Zeitkonten: Gestaltungsempfehlungen und Entwicklungstrends
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Dr. Hoff · Weidinger · Herrmann<br />
Arbeitszeitberatung<br />
Michael Weidinger 10/06<br />
<strong>Zeitkonten</strong>: <strong>Gestaltungsempfehlungen</strong><br />
<strong>und</strong> <strong>Entwicklungstrends</strong><br />
Flexible Arbeitszeitgestaltung setzt voraus, dass Vergütung <strong>und</strong> Arbeitszeit voneinander<br />
entkoppelt werden: Während das monatliche Gr<strong>und</strong>entgelt in gleichbleibender<br />
Höhe gezahlt wird – wobei variable Entgeltbestandteile <strong>und</strong> Zuschläge für<br />
Schwankungen sorgen können –, werden Lage <strong>und</strong> Verteilung der Arbeitszeit den<br />
jeweiligen Erfordernissen flexibel angepasst. Dies geschieht<br />
� entweder mit Hilfe eines Zeitkontos mit zwangsläufig vorgeschalteter Zeiterfassung,<br />
wenn die aufgewendeten Arbeitszeiten bzw. ihre Abweichungen gegenüber<br />
der Vertragsarbeitszeit laufend dokumentiert werden sollen<br />
� oder auf der Basis von Vertrauen eigenverantwortlich durch den Mitarbeiter 1<br />
(„Vertrauensarbeitszeit“), wobei diese Eigenverantwortlichkeit auch entsprechende<br />
Gestaltungsspielräume voraussetzt.<br />
Die folgenden Ausführungen beschäftigen sich ausschließlich mit Fragen der <strong>Zeitkonten</strong>gestaltung<br />
<strong>und</strong> -steuerung. Langzeit- bzw. Lebensarbeitszeitkonten dagegen<br />
sind aufgr<strong>und</strong> ihrer ganz anderen Zweckbestimmung – dem Ansammeln von<br />
Wertguthaben, um längere bezahlte (Teil-)Freistellungen von der Arbeit bis hin<br />
zum gleitenden oder vorgezogenen Ruhestandseintritt zu ermöglichen – nicht<br />
Gegenstand dieses Beitrages 2 . Und auch die Vertrauensarbeitszeit, die unter anderem<br />
eine sehr individuelle Durchmischung von Arbeits- <strong>und</strong> Privatzeit zulässt<br />
<strong>und</strong> damit auch eine alternsgerechte Arbeitszeitgestaltung unterstützen kann,<br />
bleibt im Folgenden außer Betracht 3 .<br />
1. <strong>Gestaltungsempfehlungen</strong> für <strong>Zeitkonten</strong><br />
Schaubild 1 fasst die aus unserer Sicht wichtigsten <strong>Gestaltungsempfehlungen</strong> für<br />
<strong>Zeitkonten</strong> zusammen:<br />
1<br />
Ausschließlich im Interesse der leichteren Lesbarkeit wird hier <strong>und</strong> im Folgenden jeweils nur<br />
die männliche Form verwendet.<br />
2<br />
Hierzu verweise ich auf den aktuellen Beitrag meines Partners Dr. Andreas Hoff „Welche Zukunft<br />
haben Langzeitkonten?“ auf unserer Internetseite www.arbeitszeitberatung.de. Hier finden<br />
Sie im übrigen auch viele weitere Hinweise zur praktischen Gestaltung flexibler Arbeitszeitsysteme<br />
sowie Arbeitszeitplanungs- <strong>und</strong> -erfassungstools zum kostenlosen Herunterladen.<br />
3<br />
Auch hierzu finden Sie einschlägige Texte sowie entsprechende Passagen in Überblicksbeiträgen<br />
auf unserer Internetseite www.arbeitszeitberatung.de.<br />
Hauptstraße 23 - 24 � 10827 Berlin<br />
Telefon 030 / 803 20 41 � Fax 030 / 803 91 33<br />
www.arbeitszeitberatung.de � email@arbeitszeitberatung.de
Schaubild 1<br />
Dr. Hoff · Weidinger · Herrmann<br />
Arbeitszeitberatung<br />
� <strong>Zeitkonten</strong> sollten möglichst durchlaufen – aber nicht überlaufen! „Unendlich,<br />
aber nicht unbegrenzt“: Dieses Prinzip der <strong>Zeitkonten</strong>gestaltung setzt auf die<br />
fortlaufende Steuerung der Arbeitszeiten, wobei das Zeitkonto sowohl aus<br />
Produktivitätsgründen wie auch im Interesse der Entlastung der Mitarbeiter unter<br />
permanentem Ausgleichsdruck stehen muss.<br />
Ein <strong>Zeitkonten</strong>abschluss z.B. zum Monats-, Quartals- oder Jahresende ist in<br />
diesem Zusammenhang immer problematisch: Je nachdem, was am Stichtag<br />
mit den dann noch verbliebenen Zeitsalden geschieht, wird z.B. vor einer vereinbarten<br />
Auszahlung der überschießenden St<strong>und</strong>en eher mit gesteigertem<br />
Arbeitszeitverbrauch <strong>und</strong> Verzicht auf möglichen Freizeitausgleich (!), vor deren<br />
drohendem Verfall (sofern überhaupt zulässig) eher mit Leistungszurückhaltung<br />
zu rechnen sein. Tatsächlich werden deshalb beispielsweise so genannte<br />
Jahresarbeitszeitkonten oft abweichend hiervon gehandhabt – etwa mit<br />
einem Übertrag von x Plus- oder Minusst<strong>und</strong>en auf den folgenden 12-Monats-<br />
Zeitraum. Eine akzeptable, weil die <strong>Zeitkonten</strong>-Steuerung unterstützende Möglichkeit,<br />
Zeitkonto <strong>und</strong> Ausgleichszeitraum zu verknüpfen (wenn beispielsweise<br />
ein Tarifvertrag dies zwingend erfordert), besteht darin, den letzteren zu individualisieren:<br />
Der individuelle <strong>Zeitkonten</strong>saldo muss dann beispielsweise<br />
immer spätestens nach 12 Monaten wieder die Nulllinie berühren.<br />
2
Dr. Hoff · Weidinger · Herrmann<br />
Arbeitszeitberatung<br />
� <strong>Zeitkonten</strong> sollten nahe Null gehalten werden. Im Kern geht es hierbei um die<br />
Unterscheidung zwischen Flexibilität <strong>und</strong> Kapazität (Schaubild 2): <strong>Zeitkonten</strong><br />
sollten ausschließlich ersterer dienen <strong>und</strong> insbesondere nicht zum Instrument<br />
eines verdeckten Arbeitszeit-Kapazitätsaufbaus werden (so werden sie aber<br />
gern von Mitarbeitern <strong>und</strong> Führungskräften genutzt), so dass die <strong>Zeitkonten</strong>salden<br />
in einer – möglichst kurzfristig – rückführbaren Größenordnung bleiben<br />
müssen. Dies bedeutet auch: <strong>Zeitkonten</strong> sollten keinerlei Signale zum Guthabenaufbau<br />
geben – etwa in Gestalt höherer Plus- als Minusbandbreiten.<br />
Schaubild 2<br />
� <strong>Zeitkonten</strong> sollten keinen Geld-Ausgleich ermöglichen. Denn dies wäre, wie<br />
schon im Zusammenhang mit der Stichtags-Thematik erwähnt, ein großer Anreiz,<br />
Arbeitszeit verschwenderisch zu verausgaben statt sie wirtschaftlich einzusetzen.<br />
Folglich müssen <strong>Zeitkonten</strong> auch klar von Überst<strong>und</strong>en abgegrenzt<br />
sein: Weder darf es einen <strong>Zeitkonten</strong>überlauf in Form bezahlter oder auf ein<br />
Langzeitkonto übertragener Überst<strong>und</strong>en geben noch dürfen Überst<strong>und</strong>enzuschläge<br />
daran geknüpft sein, wie viele Plusst<strong>und</strong>en schon auf dem Zeitkonto<br />
angesammelt wurden.<br />
Überst<strong>und</strong>en kann es in flexiblen Arbeitszeitsystemen eigentlich nur noch als<br />
bezahlte zusätzliche Arbeitszeit-Kapazität geben, über deren Notwendigkeit<br />
3
Dr. Hoff · Weidinger · Herrmann<br />
Arbeitszeitberatung<br />
die Führungskraft unter Beachtung der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates<br />
vorab entscheidet. Und diese Kapazitätsentscheidung sollte unabhängig<br />
vom aktuellen Stand des Zeitkontos getroffen werden – ausschließlich daran<br />
orientiert, ob der hierdurch zu bewältigende zusätzliche Arbeitsanfall tatsächlich<br />
auf Sicht nicht mehr durch Freizeit ausgeglichen werden kann.<br />
Ein Geld-Ausgleich von <strong>Zeitkonten</strong> sollte im übrigen auch bei Ausscheiden des<br />
Mitarbeiters unterbleiben – mit Ausnahme von Mitarbeiter-Guthaben, deren<br />
Zeit-Ausgleich bis zum Zeitpunkt des Ausscheidens aus vom Mitarbeiter nicht<br />
zu vertretenden Gründen unterblieben ist. Für (überwiegend) eigenverantwortlich<br />
gesteuerte, „echte“ <strong>Zeitkonten</strong> kann <strong>und</strong> sollte jedoch auch diese Auszahlungs-Option<br />
vollständig ausgeschlossen werden 4 – nicht zuletzt, um den<br />
Übergang zur Vertrauensarbeitszeit zu erleichtern.<br />
Zwei <strong>Zeitkonten</strong>-Modelle, die die <strong>Zeitkonten</strong>steuerung entsprechend den genannten<br />
<strong>Gestaltungsempfehlungen</strong> unterstützen, werden im folgenden Kapitel vorgestellt.<br />
2. Ampelkonto <strong>und</strong> Sofortverfallkonto<br />
Das Ampelkonto (Schaubild 3) – Anfang der 90er Jahre im Rahmen eines Beratungsprojekts<br />
unseres Hauses entwickelt <strong>und</strong> mittlerweile in deutschen Betrieben<br />
in unzähligen Varianten sehr verbreitet – ist gr<strong>und</strong>sätzlich so aufgebaut, dass,<br />
nach dem Vorbild einer Verkehrsampel, Grün-, Gelb- <strong>und</strong> Rotphase symmetrisch<br />
um die Nulllinie herum angeordnet sind:<br />
Schaubild 3<br />
4 Auch in der einschlägigen Rechtsprechung finden sich entsprechende Differenzierungen – vgl.<br />
die BAG-Urteile 5 AZR 334/99 v. 13.12.2000 (NZA 2002, 390ff.) sowie 5 AZR 470/00 v.<br />
13.02.2002 (NZA 2002, 683ff.).<br />
4
Dr. Hoff · Weidinger · Herrmann<br />
Arbeitszeitberatung<br />
� Solange der persönliche Zeitsaldo in der Grünphase bleibt, erfolgt die Steuerung<br />
der Arbeitszeit nach den hierfür geltenden betrieblichen Regeln: also etwa<br />
mit vorrangiger Orientierung an den zu erfüllenden K<strong>und</strong>enanforderungen<br />
eigenverantwortlich in Teamabsprache (wie häufig in Verwaltungsbereichen<br />
mit Servicezeitregelungen) oder durch Führungskraft <strong>und</strong> Mitarbeiter im Rahmen<br />
definierter Flexi-Spielregeln (wie vielfach in Schichtbetrieben). In Verwaltungsbereichen<br />
umfasst die Grünphase meist im Plus- wie im Minusbereich<br />
maximal eine Vollzeit-Wochenarbeitszeit; bei vorwiegend oder gar ausschließlich<br />
durch die jeweilige Führungskraft gesteuerten Arbeitszeiten – etwa in Produktionsbereichen<br />
– kann diese Bandbreite auch größer gewählt werden, sollte<br />
jedoch auch hier im zweistelligen St<strong>und</strong>enbereich bleiben, um ein Ausufern<br />
der Salden zu vermeiden. Gelegentlich werden die Saldenbandbreiten im Übrigen<br />
auch proportional zur Vertragsarbeitszeit definiert, sind dann für Teilzeitmitarbeiter<br />
also kleiner als für Vollzeitmitarbeiter. In den meisten Fällen unterbleibt<br />
eine solche Differenzierung jedoch, <strong>und</strong> ich halte sie bei relativ eng<br />
gefassten Saldenbandbreiten auch nicht für erforderlich.<br />
� Überschreitet der Zeitsaldo diesen Korridor, schließt sich in den meisten Ampelkonten<br />
im Plus- wie im Minusbereich die Gelbphase an, die üblicherweise<br />
in der Größenordnung einer halben Vollzeit-Wochenarbeitszeit liegt. Dann ändert<br />
sich zweierlei: Zum einen setzt das Konto nun einen eigenen Rücksteue-<br />
5
Dr. Hoff · Weidinger · Herrmann<br />
Arbeitszeitberatung<br />
rungs-Impuls, zum anderen – das ist jedenfalls zu empfehlen – geht die Verantwortung<br />
für die <strong>Zeitkonten</strong>(rück)steuerung auf die (nächst höhere) Führungskraft<br />
über bzw. nimmt diese zumindest mit in die Pflicht, den Zeitsaldo<br />
zurückzusteuern. Letzteres kann etwa durch die Regel erfolgen, dass ohne<br />
vorheriges Einverständnis dieser Führungskraft keine weitere Entfernung von<br />
der Nulllinie mehr zulässig ist – <strong>und</strong> die Führungskraft dieses Einverständnis<br />
nur erteilen darf, wenn sie auch den Abbau der zusätzlich aufgebauten Zeitsalden<br />
als möglich einschätzt.<br />
� Wenn auch diese Phase nicht ausreicht, tritt der <strong>Zeitkonten</strong>saldo in die Rotphase<br />
ein. Hier kommen z.B. die (über-)nächst höhere Führungsebene <strong>und</strong><br />
meist auch Personalleitung <strong>und</strong> Betriebsrat ins Spiel <strong>und</strong> wirken auf die zuständige<br />
Führungskraft in der Weise ein, dass letztere nun aber wirklich ihrer<br />
Rücksteuerungs-Verantwortung nachkommt, bzw. treffen die diesbezüglichen<br />
Entscheidungen an deren Stelle. Mitunter schließt sich die Rotphase auch direkt<br />
an die Grünphase an („Fußgängerampel“) – etwa in Produktionsbereichen,<br />
in denen ein dreiphasiger Kontenaufbau als unnötig kompliziert betrachtet<br />
wird. Die Rotphase weist in der Regel keine Ober- bzw., im Minusbereich,<br />
keine Untergrenze auf, weil hier die Steuerung ja ohnehin in der Verantwortung<br />
des Betriebes liegt.<br />
Dem Ampelkonto liegt also die Logik zugr<strong>und</strong>e, dass die Rückführung hoher Zeitsalden<br />
in den Verantwortungsbereich der (nächst höheren) Führungskraft fällt.<br />
Dieses Konzept stößt jedoch beispielsweise an Grenzen, wenn der Mitarbeiter<br />
seine Arbeit zeitlich so selbständig ausführt, dass die Führungskraft kaum Chancen<br />
hat, den <strong>Zeitkonten</strong>saldo zu steuern. Außerdem entspricht es nicht immer den<br />
jeweiligen Vorstellungen über die (angestrebte) Eigenverantwortlichkeit der Mitarbeiter.<br />
Und schließlich stellt es Anforderungen an die Führungskräfte, denen diese<br />
oft nicht gerecht werden (wollen).<br />
In solchen Fällen kann sich als Alternative zum Ampelkonto das im Jahr 2000 im<br />
Rahmen eines Beratungsprojekts unseres Hauses in Fortführung eines aus dem<br />
Ruder gelaufenen Ampelkontos entwickelte Sofortverfallkonto empfehlen<br />
(Schaubild 4 zeigt das Prinzip anhand eines Beispiels). Es sieht den unmittelbaren<br />
Verfall (also bereits im Zeitpunkt des Entstehens) von über die zulässige<br />
Bandbreite hinausgehenden Plus- wie Minus-(!)Salden vor. Mit der Kappungsregel<br />
mancher früheren Gleitzeitkonten per Monatsende hat dies wenig gemein:<br />
Hier geht es um die zuverlässige Begrenzung des Zeitsaldos in Bereichen, in denen<br />
die Mitarbeiter ihre Arbeitszeiten weitestgehend oder gar ausschließlich<br />
selbst steuern – <strong>und</strong> deshalb dann auch die Verantwortung für ihren <strong>Zeitkonten</strong>saldo<br />
tragen sollten (bei Information (a) der Führungskraft über Salden, die in absehbarer<br />
Zeit auf die Verfallgrenze zusteuern könnten, <strong>und</strong> (b) eines – zur Begleitung<br />
neuer Arbeitszeitregelungen sowie zur Vermittlung in etwaigen Konfliktfällen<br />
erfahrungsgemäß empfehlenswerten – paritätisch besetzten Begleitgremiums<br />
über verfallene Salden).<br />
6
Schaubild 4<br />
Dr. Hoff · Weidinger · Herrmann<br />
Arbeitszeitberatung<br />
Dies bedeutet allerdings nicht, dass der Mitarbeiter für Planungsfehler der Führungskraft<br />
oder andere nicht von ihm verursachte betriebliche Probleme oder<br />
Engpässe gerade stehen muss. Vielmehr muss er den Verfall von Plusst<strong>und</strong>en<br />
abwenden können (im – seltenen – umgekehrten Fall eines drohenden Verfalls<br />
von Minusst<strong>und</strong>en zu Lasten des Arbeitgebers hat die Führungskraft ja ganz einfach<br />
die Möglichkeit, dem betreffenden Mitarbeiter zusätzliche Aufgaben zu übertragen).<br />
Dem dient in aller Regel der – zweckmäßigerweise betrieblich, z.B. im<br />
Rahmen einer Betriebsvereinbarung, schriftlich fixierte – Anspruch jedes Mitarbeiters,<br />
mit seiner Führungskraft jederzeit ein so genanntes Entlastungsgespräch<br />
führen zu können, in dem die in Schaubild 5 aufgeführten Fragen abgearbeitet<br />
werden. Diese Fragen eignen sich übrigens auch zur Klärung <strong>und</strong> Behebung der<br />
Ursachen von gelb- oder rotphasigen Zeitsalden im Ampelkonto – <strong>und</strong> werden<br />
zum unverzichtbaren Regelungselement, wenn man sich für Vertrauensarbeitszeit<br />
entscheidet.<br />
Schaubild 5<br />
7
Dr. Hoff · Weidinger · Herrmann<br />
Arbeitszeitberatung<br />
Wenn größere Schwankungen des Arbeitszeitbedarfs zu bewältigen sind – beispielsweise<br />
aus saisonalen Gründen oder im Zusammenhang mit Projektarbeit –,<br />
können die hier vorgestellten, auf permanenten Ausgleich angelegten <strong>Zeitkonten</strong>modelle<br />
an Grenzen stoßen.<br />
Die zunächst nahe liegend erscheinende Lösung, bei <strong>Zeitkonten</strong>führung dann<br />
doch einfach die zulässigen Plus- <strong>und</strong> Minussaldenbereiche entsprechend zu erweitern,<br />
überzeugt deshalb nicht, weil damit ja genau der angestrebte Konten-<br />
Ausgleichsdruck verloren ginge. Stattdessen bietet sich in solchen Fällen etwa<br />
eine geplant ungleichmäßige Verteilung der Vertragsarbeitszeit mit gleich mitgeplantem<br />
Ausgleich innerhalb einer bestimmten Zeitspanne an (Schaubild 6 zeigt<br />
das Prinzip). In diesem Fall läuft gewissermaßen ein zweites virtuelles Zeitkonto<br />
im Hintergr<strong>und</strong> mit 5 (das auch bei individuellen Ein- bzw. Austritten während der<br />
Laufzeit einer solchen Regelung zu berücksichtigen ist).<br />
5<br />
In diesem Zusammenhang sei noch auf zwei gesetzliche Schwellenwerte für Zeitguthaben<br />
hingewiesen:<br />
� Hat ein Mitarbeiter am Monatsende mehr als 250 St<strong>und</strong>en geldwerte Zeitguthaben (hier<br />
sind sämtliche Zeitguthaben des Mitarbeiters zusammenzuzählen mit Ausnahme derer,<br />
deren Auszahlung generell, also z.B. auch bei Ausscheiden, ausgeschlossen ist), müssen<br />
durch den Arbeitgeber besondere Nachweise geführt werden, um ggf. eine ordnungsgemäße<br />
Störfallabwicklung (d.h. hier: Verbeitragung der bei Ausscheiden nicht mehr in Zeit<br />
8
Schaubild 6<br />
Dr. Hoff · Weidinger · Herrmann<br />
Arbeitszeitberatung<br />
ausgleichbaren <strong>und</strong> deshalb auszuzahlenden Zeitguthaben) sicherzustellen (vgl. Sozialrechtliche<br />
Absicherung flexibler Arbeitszeitregelungen. R<strong>und</strong>schreiben der Spitzenorganisationen<br />
der Sozialversicherung vom 29.08.03, Seite 42f.; dieses Dokument kann z.B. von<br />
unserer Internetseite www.arbeitszeitberatung.de herunter geladen werden).<br />
� Übersteigt das Wertguthaben eines Mitarbeiters – wobei wiederum alle geldwerten Zeitguthaben<br />
<strong>und</strong> eventuelle, beispielsweise auf einem Langzeitkonto, als Wertguthaben angesparte<br />
Entgeltansprüche zusammenzuzählen sind – einschließlich der Arbeitgeberanteile<br />
am Gesamtsozialversicherungsbeitrag den Wert des Dreifachen der monatlichen Bezugsgröße<br />
(diese beträgt 2006 für die alten B<strong>und</strong>esländer € 2.450/Monat <strong>und</strong> für die neuen<br />
B<strong>und</strong>esländer € 2.065/Monat <strong>und</strong> wird jährlich neu festgesetzt) <strong>und</strong> übersteigt der vereinbarte<br />
Zeitraum, in dem das Wertguthaben auszugleichen ist, 27 Kalendermonate nach<br />
der ersten Gutschrift (von beiden Schwellenwerten kann durch Tarifvertrag abgewichen<br />
werden), so ist in § 7d SGB IV für den übersteigenden Betrag ein Insolvenzschutz verpflichtend<br />
vorgeschrieben.<br />
9
3. Zeiterfassung<br />
Dr. Hoff · Weidinger · Herrmann<br />
Arbeitszeitberatung<br />
Um <strong>Zeitkonten</strong> führen zu können, muss eine Erfassung der geleisteten Arbeitszeit<br />
erfolgen. Hierbei denkt man meist sofort an Buchungsterminals, an denen die<br />
Mitarbeiter Kommen <strong>und</strong> Gehen mit scheckkartenähnlichen Ausweisen buchen.<br />
Eine Erfahrung allerdings macht so gut wie jedes Unternehmen, das solche elektronische<br />
Kommt-Geht-Zeiterfassung eingeführt hat: Wenn jede gebuchte Minute<br />
zählt, sammelt ein mehr oder weniger großer Teil der Mitarbeiterschaft nicht mehr<br />
nur Bonuspunkte an der Tankstelle oder im Kaufhaus, sondern auch Plusminuten<br />
im Betrieb. Folge: Die <strong>Zeitkonten</strong> laufen entgegen ihrer Zweckbestimmung stetig<br />
ins Plus, was weder wirtschaftlich ist noch der betrieblichen Flexibilität zugute<br />
kommt – im Gegenteil: Die so „erwirtschafteten“ „Gleittage“ beeinträchtigen die<br />
Leistungsqualität <strong>und</strong> müssen durch die Kollegen ausgeglichen werden, die dadurch<br />
wiederum selbst „Gleittage“ ansparen, etc.<br />
Kommt-Geht-Zeiterfassung ist zunächst einmal Anwesenheitszeiterfassung. Anwesenheit<br />
<strong>und</strong> Arbeitszeit sind jedoch nicht immer dasselbe – <strong>und</strong> sollen es auch<br />
gar nicht unbedingt sein: Dann nämlich ist es beispielsweise im Büro auch ohne<br />
schlechtes Gewissen möglich, am Arbeitsplatz einmal nicht zu arbeiten, sondern<br />
eine kurze persönliche Auszeit zu nehmen oder privat zu telefonieren oder im Internet<br />
zu surfen – korrekte Aufgabenerledigung selbstverständlich vorausgesetzt.<br />
Umgekehrt wird immer mehr auch an anderen Orten als im Betrieb gearbeitet –<br />
ob beim K<strong>und</strong>en, unterwegs oder zuhause; <strong>und</strong> auch diese Zeiten sollten unaufwändig<br />
im Rahmen der Zeiterfassung berücksichtigt werden können.<br />
Es gibt also gute Gründe, über Alternativen zur sek<strong>und</strong>engenauen Kommt-Geht-<br />
Zeiterfassung nachzudenken. Bei vom Mitarbeiter selbst beeinflussten Arbeitsprozessen<br />
kann sich beispielsweise die viertelst<strong>und</strong>enweise eigenverantwortliche<br />
Aufzeichnung – d.h., durch den Mitarbeiter selbst – lediglich der Abweichungen<br />
der tatsächlichen Tagesarbeitszeitdauer von der jeweiligen anteiligen Vertragsarbeitszeit<br />
mit Hilfe einfacher PC-Erfassungsformulare (etwa auf Excel-Basis) anbieten.<br />
Erfasst werden also ausschließlich Volumina <strong>und</strong> keine Zeitpunkte – <strong>und</strong><br />
die Viertelst<strong>und</strong>e als kleinste Erfassungseinheit fungiert als Unschärfebereich<br />
(<strong>und</strong> nicht etwa als R<strong>und</strong>ungsregel). Schaubild 7 zeigt ein entsprechendes einfaches<br />
Excel-Tool (wie auch andere Tools kostenlos herunterzuladen unter<br />
www.arbeitszeitberatung.de). Privatzeiten im Betrieb berücksichtigt der Mitarbeiter<br />
bei dieser Aufschreibung ebenso wie Pausenzeiten <strong>und</strong> Arbeitszeiten außerhalb<br />
des Betriebs eigenverantwortlich nach „Treu <strong>und</strong> Glauben“. Das hiermit gezeigte<br />
Vertrauen des Arbeitgebers sollte allerdings auch nicht dramatisiert werden: Auch<br />
die Kommt-Geht-Zeiterfassung ermöglicht keine Kontrolle der tatsächlichen Arbeitszeit,<br />
sondern immer nur der Anwesenheitszeiten.<br />
10
Schaubild 7<br />
4. Ausblick<br />
Dr. Hoff · Weidinger · Herrmann<br />
Arbeitszeitberatung<br />
<strong>Zeitkonten</strong> sind in vielen Unternehmen zugleich Voraussetzung <strong>und</strong> – vielleicht<br />
wichtigstes – Regelungselement flexibler Arbeitszeitgestaltung <strong>und</strong> werden es<br />
aller Voraussicht nach auch bleiben.<br />
Wo betriebliche Flexibilitätsanforderungen durch maßgeblich betriebsseitig gesteuerte<br />
Arbeitszeiten bewältigt werden – etwa in flexiblen Schichtbetrieben –,<br />
dürften sich Ampelkonten oder vergleichbare Modelle am besten eignen. Dies gilt<br />
auch dann noch, wenn sich diese Steuerung typischer Weise in Richtung eines<br />
Gebens <strong>und</strong> Nehmens zwischen Mitarbeitern <strong>und</strong> Führung entwickelt; <strong>und</strong> gr<strong>und</strong>sätzlich<br />
auch in Verwaltungs- oder anderen Bereichen, in denen die Führungskraft<br />
die Arbeitszeiten ihrer Mitarbeiter aktiv mitsteuert oder dies zumindest tun<br />
sollte (woran es allerdings nicht selten hapert).<br />
In Bereichen, in denen die Mitarbeiter ihre Arbeitszeiten in erheblichem Umfang<br />
selbst steuern können oder müssen, stellen sich allerdings etwas andere Anforderungen:<br />
Die Gr<strong>und</strong>idee des Ampelkontos, mit zunehmender Abweichung von der<br />
„Nulllinie“ die (Rück-)Steuerungsverantwortung schrittweise auf die Führungsebe-<br />
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Dr. Hoff · Weidinger · Herrmann<br />
Arbeitszeitberatung<br />
nen zu verlagern, funktioniert hier oft nur eingeschränkt oder gar nicht. Stattdessen<br />
können sich dann Sofortverfallkonten empfehlen – wenn man nicht gleich den<br />
Schritt zur Vertrauensarbeitszeit, also zur fortlaufenden eigenverantwortlichen<br />
Ausbalancierung von Arbeitszeit <strong>und</strong> Privatzeit entsprechend der vertraglichen<br />
Leistungsvereinbarung zwischen Arbeitgeber <strong>und</strong> Arbeitnehmer, in Angriff nehmen<br />
möchte. Das bereits im Zusammenhang mit dem Sofortverfallkonto vorgestellte<br />
Entlastungsgespräch (Schaubild 5) wird dann noch wichtiger – <strong>und</strong> kann<br />
durchaus den Weg zu einem veränderten Führungsstil in Richtung von Entlastung<br />
<strong>und</strong> Effizienz, verstanden als eng miteinander verb<strong>und</strong>ene Ziele, ebnen.<br />
12