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Jubiläumsmagazin Januar 2010 - Baumeler

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_Friedemann Bartu_NZZ Reiseredaktor<br />

FREUD UND LEID<br />

EINES REISEREDAKTORS<br />

Reiseredaktor bei der Neuen Zürcher<br />

Zeitung – das klingt wie ein Traumjob. Tat-<br />

sächlich ist es das auch. Nur, wie jeder an-<br />

dere Beruf hat auch dieser zwei Seiten. Es<br />

reicht nicht aus, gerne und viel zu reisen.<br />

Man muss auch kompetent, unterhaltsam<br />

und kritisch schreiben können. Muss in der<br />

Lage sein, stilsicher zu redigieren und eine<br />

Flut von Mails zu bewältigen. Und zudem<br />

sollte man stets bereit sein für kurzfristige<br />

Einsätze. Da bleibt kaum Zeit für Familie<br />

und Freunde.<br />

«Du hast ja einen Schoggijob» – Nie zuvor<br />

in meiner über 30jährigen journalistischen<br />

Tätigkeit habe ich diesen Spruch so oft gehört<br />

wie in den letzten fünf Jahren, in denen ich<br />

bei der NZZ die freitags erscheinende Beilage<br />

«Reisen und Freizeit» betreue. Tatsächlich ist<br />

das eine sehr spannende Tätigkeit. Jede Woche<br />

laden Leistungsträger oder Destinationen<br />

zu Pressereisen in alle Welt ein.<br />

So entstehen unvergessliche Erinnerungen:<br />

etwa die Fahrt im Moon-Raker quer durch<br />

Islands Vulkan-und Gletscherlandschaft; die<br />

Reise im Sonderzug durch Syrien; oder der Yoga-Retreat<br />

in einem Luxus-Resort in Nordindien<br />

am Fuss des Himalayas. Natürlich erlebt<br />

man auch die eine oder andere Krisensituation:<br />

etwa die Maschine der United Airlines,<br />

die plötzlich über dem Atlantik wegen Panne<br />

notfallmässig nach Philadelphia zurückkehren<br />

muss; oder die Nacht in Ausschaffungshaft im<br />

Senegal, weil man ohne Visum angereist war.<br />

Doch das sind Gott sei Dank Ausnahmen.<br />

Weil die NZZ kein Budget für Reisen hat,<br />

müssen wir uns einladen lassen. Damit stellt<br />

sich ein Problem: Wie die Unabhängigkeit<br />

bewahren? Wie sicherstellen, dass einem von<br />

den Gastgebern nicht Sand in die Augen gestreut<br />

wird? Der Anspruch an den Reisejournalisten<br />

ist deshalb gross. Sein Kompass heisst<br />

hohe Professionalität, grenzenlose Neugier,<br />

viel Toleranz und Verantwortung sowie absolute<br />

Unbestechlichkeit.<br />

Mit eben diesem Kompass zog auch ich<br />

immer wieder aufs Neue los. Und so war ich<br />

praktisch jedes Wochenende an einem anderen<br />

Ort und in einer anderen Gruppe unterwegs<br />

– und wenn immer möglich auch mit<br />

meiner Angetrauten. Zumindest anfänglich.<br />

Fünf Jahre später und um viele Erfahrungen<br />

reicher, gehe ich die Dinge gelassener an. Ich<br />

habe gelernt, bei den Einladungen die Spreu<br />

vom Weizen zu trennen. So werde ich nie wieder<br />

in der Economy<br />

Class für drei Tage<br />

zu einer Hoteleröffnung<br />

nach Kapstadt<br />

fliegen – selbst wenn<br />

das Hotel sich rühmt,<br />

das teuerste Afrikas<br />

zu sein. Und nie mehr<br />

werde ich an einem Programm mitmachen,<br />

das so vollbeladen ist, dass man zwar fast alles<br />

gesehen letztlich aber gar nichts erlebt hat.<br />

Denn für mich hat der Reisejournalist die<br />

Pflicht, nicht nur die Hardware zu erkunden,<br />

sondern auch die Software. Er soll Emotionen<br />

vermitteln. Und zwar in glaubwürdiger Weise.<br />

Dazu muss er an Ort und Stelle selbstständig<br />

recherchieren und auch hinter die Kulissen<br />

schauen können. Natürlich funktioniert<br />

während der Pressereise alles. Doch wie sieht<br />

es im normalen Alltag aus? Dies in kürzester<br />

Zeit herauszufinden, ist eine der grossen He-<br />

«Der Anspruch an den Reisejournalisten<br />

ist gross. Sein Kompass heisst<br />

hohe Professionalität, grenzenlose Neugier,<br />

viel Toleranz und Verantwortung<br />

sowie absolute Unbestechlichkeit.»<br />

Friedemann Bartu<br />

Friedemann Bartu wurde 1950 in Kärnten (Österreich) geboren. Er kam 1952<br />

mit seinen Eltern nach Zürich, wo er seine ganze Jugendzeit verbrachte, 1973<br />

sein Studium der Ökonomie abschloss und 1975 Schweizer Bürger wurde. Nach<br />

einem mehrjährigen Aufenthalt in Peru stiess er 1978 zur Redaktion der Neuen<br />

Zürcher Zeitung, für die er ab 1980 während der nächsten 25 Jahre mit der<br />

ganzen Familie abwechslungsweise als Ausland- oder Wirtschafts-Korrespondent<br />

in London, Singapur, Paris und Genf tätig war. Seit 2005 ist Bartu zurück<br />

auf der Redaktion als Verantwortlicher für die wöchentliche Tourismus-Beilage.<br />

Bartu ist verheiratet und hat drei erwachsene Kinder: eine Tochter in Hongkong,<br />

einen Sohn in Brasilien und einen Sohn in Australien. Der Apfel fällt nicht weit<br />

vom Stamm.<br />

rausforderungen dieses Metiers. Eine weitere<br />

heisst: packend schreiben und mit allen Mitteln<br />

vermeiden, dass der Text nach Public<br />

Relations klingt. Ausdrücke wie «Die Seele<br />

baumeln lassen» oder «atemberaubender Ausblick»<br />

gehören in Prospekte, nicht in die Zeitung.<br />

Ebenso wenig Begriffe wie «der höchste<br />

Turm der Welt» oder das «grösste Schiff aller<br />

Zeiten». Denn irgendwo auf der Welt gibt es<br />

immer etwas grösseres, schöneres und schnelleres.<br />

Solche Fallen zu vermeiden, ist ebenfalls<br />

Teil meines Pflichtenheftes. Womit gesagt ist,<br />

dass das Reisen nur etwa 30 Prozent meiner<br />

Arbeit ausmacht.<br />

Ich habe zudem<br />

das Glück, dass ich liebend<br />

gerne schreibe.<br />

Nicht nur über ferne<br />

Destinationen. Denn<br />

nicht selten liegt das<br />

Gute ganz nahe. So bin<br />

ich zum Beispiel noch heute stolz auf meinen<br />

Artikel über eine mehrtägige, kräfteraubende<br />

Wanderung, die uns auf alten Säumerwegen<br />

von der Innerschweiz über mehrere Pässe<br />

nach Domodossola führte.<br />

Sehr viel Zeit muss ich auch für Themenplanung,<br />

Autorenwahl und Autorenpflege<br />

aufbringen; sowie für ein sauberes Redigieren<br />

von Texten. Ausserdem habe ich administrativ<br />

einiges zu tun. Dazu gehört etwa die Bearbeitung<br />

von täglich weit über 100 Mails aus aller<br />

Welt. Spätestens hier hört der Spass auf.<br />

baumeler_<strong>Jubiläumsmagazin</strong> <strong>2010</strong> I 25

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