Profil 5/2002 f r PDF - Kolbenschmidt Pierburg AG
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Seite 4 Das aktuelle Thema<br />
Das <strong>Profil</strong> 5/<strong>2002</strong><br />
„Automotive“: Kompetenz bei Zukunftstechnologie<br />
Brennstoffzelle macht<br />
dem Motor „Dampf“<br />
Neuss. „Der Deutschen liebstes Kind<br />
ist das Auto“ – sagt ein Sprichwort:<br />
3638319 Neuzulassungen waren es<br />
hierzulande im vergangenen Jahr.<br />
Trotz des zunehmenden Fahrzeugbestandes<br />
plant die Bundesregierung,<br />
die CO2-Emissionen des Straßenverkehrs<br />
bis 2005 um mindestens 25 Prozent<br />
(gegenüber 1990) zu verringern,<br />
um so dem globalen Treibhauseffekt<br />
entgegenzutreten. Die Automobilindustrie<br />
steht heute um so mehr vor der<br />
Aufgabe, den Autoverkehr zukünftig<br />
umweltfreundlicher zu gestalten – jedoch<br />
ohne nennenswerte Einschränkungen<br />
von Fahrleistung und Komfort.<br />
Keine einfache Aufgabe, aber eine<br />
mögliche Lösung scheint gefunden:<br />
die Brennstoffzelle. Sie kann, betrieben<br />
mit Wasserstoff, Strom liefern, der<br />
die Erdatmosphäre nicht belastet.<br />
Auch Unternehmen der Automobilzuliefer-Industrie<br />
– wie die <strong>Kolbenschmidt</strong><br />
<strong>Pierburg</strong> <strong>AG</strong> – entwickeln seit<br />
einigen Jahren an dieser richtungweisenden<br />
Technologie.<br />
„Die Brennstoffzelle birgt ein enormes<br />
Potential. Sie arbeitet hocheffizient,<br />
umweltfreundlich, und ihr technischer<br />
Wirkungsgrad ist, insbesondere<br />
im Teillastbereich, erheblich höher als<br />
bei den herkömmlichen Antriebsformen.<br />
Zudem ist das System bedeutend<br />
leiser“, erläutert Dr. Dirk Hunkel,<br />
Leiter Systementwicklung für Brennstoffzellen-Komponenten<br />
bei der <strong>Pierburg</strong><br />
GmbH in Neuss, die Vorteile der<br />
neuen Technik. Bereits seit 1998 werden<br />
beim Rheinmetall-Tochterunternehmen<br />
Komponenten für Brennstoffzellen-Fahrzeuge<br />
entwickelt. Heute<br />
umfaßt die Abteilung elf festangestellte<br />
Mitarbeiter sowie Praktikanten und<br />
Diplomanden. „Unser Team besteht<br />
aus Ingenieuren verschiedener Fachrichtungen“,<br />
berichtet der Abteilungsleiter:<br />
„So arbeiten hier unter anderem<br />
Elektroingenieure, Maschinenbauer,<br />
Physiker und Regelungstechniker.“<br />
Für <strong>Pierburg</strong> ist die Brennstoffzelle<br />
eine große Herausforderung, denn<br />
eine Vielzahl der Produkte des Automobilzulieferers<br />
agieren rund um den<br />
klassischen Verbrennungsmotor.<br />
„Wenn die neue Technologie kommt,<br />
müssen wir bei unserer derzeitigen<br />
Produktlinie mit erheblichen Umsatzeinbußen<br />
rechnen“, erklärt der<br />
35jährige Teamleiter: „Aus diesem<br />
Grund haben wir schon frühzeitig mit<br />
der Entwicklung von Komponenten für<br />
alternative Antriebe – speziell die<br />
Brennstoffzelle – begonnen. So können<br />
wir schon heute die technologische<br />
Basis für die spätere Serienfertigung<br />
legen und uns eine gute Marktposition<br />
sichern.“ Die langjährige<br />
Kompetenz als Systempartner der<br />
Automobilindustrie hilft dem Neusser<br />
Zulieferer beim anstehenden Techno-<br />
„Comeback“ nach<br />
mehr als 100 Jahren<br />
Wales/Neuss. Die Brennstoffzellen-<br />
Technologie ist keine Erfindung der Neuzeit.<br />
Bereits im Jahre 1839 konstruierte<br />
der Walisische Jurist und Physiker Sir<br />
William Robert Grove (1811-1896) den<br />
ersten funktionsfähigen Prototypen einer<br />
Brennstoffzelle, die sogenannte<br />
„galvanische Gasbatterie“. Diese bestand<br />
aus zwei Platin-Elektroden, die<br />
beide jeweils von einem Glaszylinder<br />
umschlossen waren. In dem einen<br />
Zylinder befand sich Wasserstoff, in<br />
dem anderen Sauerstoff.<br />
Die Elektroden<br />
tauchte Grove<br />
in verdünnte Schwefelsäure,<br />
die als<br />
Elektrolyt diente und<br />
die elektrische Verbindung<br />
schuf. An<br />
den Elektroden<br />
Sir W. R. Grove.<br />
konnte er eine Spannung<br />
abgreifen, die<br />
logiewechsel. Zukünftig wird der Forschungsschwerpunkt<br />
des Unternehmens<br />
im Bereich der Systemkompetenz<br />
liegen. „Wir wollen uns auch bei<br />
der neuen Technologie als Modullieferant<br />
positionieren“, betont Hunkel:<br />
„So planen wir, bald ein umfassendes<br />
Luftversorgungssystem, bestehend<br />
aus einem Kompressor, Luftgebläse,<br />
Luftmassensensoren, Ventilen und der<br />
dazugehörigen Elektronik, für einen<br />
Brennstoffzellen-Antrieb anzubieten.“<br />
Insgesamt fünf Produktgruppen<br />
werden derzeit im Entwicklungsteam,<br />
das bei <strong>Pierburg</strong> der Hauptabteilung<br />
Schadstoffreduzierung zugeordnet<br />
ist, konzipiert. Dazu gehören – neben<br />
Sensoren und speziellen Gebläsen –<br />
elektrische Pumpen, Kompressoren<br />
und im Bereich der Fahrzeugelektronik<br />
die Ventile. „Um den notwendigen<br />
Wasserstoff durch den Brennstoffzellen-‚Stack‘<br />
(Stapel) zu pumpen,<br />
benötigt man ein Wasserstoffzirkulationsgebläse.<br />
Der Katalysator, der zur<br />
Wärmeerzeugung Restwasserstoff<br />
verbrennt, erhält die dafür notwendige<br />
Luft ebenfalls durch ein spezielles<br />
Gebläse“, erläutert Hunkel zwei der<br />
für Brennstoffzellen-Fahrzeuge notwendigen<br />
Komponenten: „Für die<br />
Kühlung der Zelle selbst haben wir eine<br />
elektrische Kühlmittelpumpe entwickelt.“<br />
Neben Wasserstoff benötigt das umweltfreundliche<br />
Automobil den Luftsauerstoff<br />
zur Energieerzeugung. „Wir<br />
arbeiten zur Zeit an einem optimalen<br />
Kompressorsystem, mit dem die Luft<br />
geholt und mit einem Druck von zwei<br />
bis drei bar durch das System gepumpt<br />
werden kann“, so Hunkel. Ein<br />
jedoch sehr gering war. Kurzerhand<br />
schaltete der Physiker mehrere dieser<br />
Brennstoffzellen zusammen und erhielt<br />
dadurch eine deutlich höhere Spannung.<br />
Heute wird diese Reihenschaltung<br />
der Brennstoffzellen „Stack“ genannt.<br />
Nach Groves Entdeckung geriet der<br />
umweltfreundliche Energiespender für<br />
lange Zeit in Vergessenheit. Erst im Zeichen<br />
des „Kalten Krieges“ in den fünfziger<br />
Jahren des 20. Jahrhunderts kamen<br />
die ersten Brennstoffzellen wieder<br />
zum Einsatz. Raumfahrt und Militärtechnik<br />
benötigten kompakte und leistungsfähige<br />
Stromquellen, da es sowohl<br />
in Raumfahrzeugen als auch in U-<br />
Booten Bedarf an elektrischer Energie<br />
gab, ohne daß Verbrennungsmotoren<br />
eingesetzt werden konnten. Da Batterien<br />
für Raumfahrzeuge zu schwer waren,<br />
entschied sich die NASA – beispielsweise<br />
im „Apollo“-Programm –<br />
für die direkte chemische Energieerzeugung<br />
durch Brennstoffzellen. Die<br />
unter anderem in diesem Raumfahrtprogramm<br />
verwendeten alkalischen<br />
Zellen haben bis heute in über 87 Flü-<br />
Kompressor für die Verwendung in einer<br />
Brennstoffzellen-Anlage unterscheidet<br />
sich deutlich von den bisher<br />
im Automobilbau verwendeten Kompressoren,<br />
da die Brennstoffzelle weit<br />
höhere Anforderungen an das Druckniveau<br />
und die Reinheit der eingespeisten<br />
Luft stellt als ein Verbrennungsmotor.<br />
So muß beispielsweise eine<br />
absolute Öl- und Kontaminationsfreiheit<br />
der Luft gewährleistet sein. Schon<br />
kleinste Verunreinigungen können zu<br />
großen Schäden führen.<br />
Beim „Necar 4“, der unter anderem mit einem Luftmassensensor, einer elektrischen<br />
Wasserpumpe, Sicherheitssensoren und Ventilen der <strong>Pierburg</strong> GmbH (Neuss) ausgestattet<br />
ist, finden bequem fünf Personen mit Gepäck Platz. Der kompakte Brennstoffzellen-Antrieb<br />
ist im Unterboden des A-Klasse-Modells untergebracht. Insgesamt<br />
sind 320 Zellen zu zwei „Stacks“ zusammengefaßt, die eine Leistung von 70<br />
Kilowatt mit einer Spitzengeschwindigkeit von 145 Stundenkilometern bringen.<br />
Keine Scheu vor Wasser(stoff): das <strong>Pierburg</strong>-Entwicklerteam für Komponenten rund um den Brennstoffzellen-Antrieb mit –<br />
v.l.n.r. – Peter Haushälter, Dr. Dirk Hunkel, Michael-Thomas Benra, Niels Fries, Dr. Karsten Grimm, Robert Watson (Vordergrund)<br />
und Michael Lauterbach. Beim Fototermin fehlten Rolf Lappan, Martin Nowak, Björn Rentemeister und Christian Röthlin.<br />
gen der „Space Shuttle“-Raumfähren<br />
mehr als 65000 Betriebsstunden absolviert.<br />
Im Jahr 1966 gab es erstmals<br />
ein durch Brennstoffzellen angetriebenes<br />
Automobil – einen 3,5 Tonnen<br />
schweren Kleintransporter vom weltweit<br />
größten Automobilhersteller General<br />
Motors (Detroit).<br />
Seit Anfang der neunziger Jahre entwickeln<br />
Wissenschaftler verstärkt neue<br />
Konzepte und Technologien, mit denen<br />
es gelungen ist, die Leistungsfähigkeit<br />
der Zellen kontinuierlich zu steigern und<br />
gleichzeitig die Kosten zu senken. Inzwischen<br />
reichen die Einsatzmöglichkeiten<br />
der Brennstoffzelle in der zivilen Nutzung<br />
von Fahrzeugantrieben, Hausheizungen<br />
und Großkraftwerken mit mehreren Megawatt<br />
Leistung bis in den Bereich der<br />
Kleinstanwendungen wie Handys oder<br />
mobile Computer. Seit 1994 fahren die<br />
ersten Wasserstoff betriebenen Autos<br />
auf bundesdeutschen Straßen – bislang<br />
allerdings noch zu Testzwecken. Im „Necar<br />
4“ und „Necar 5“ von DaimlerChrysler<br />
ist die <strong>Pierburg</strong> GmbH mit zahlreichen<br />
Komponenten vertreten. cw<br />
Eine Vielzahl der bei <strong>Pierburg</strong> entwickelten<br />
Komponenten befindet sich<br />
bereits im Einsatz. So fahren sowohl<br />
der „Necar 4“ als auch der „Necar 5“<br />
(„New Electric Car“) von DaimlerChrysler<br />
(Stuttgart) mit Systemen des Neusser<br />
Zulieferers. „Neben DaimlerChrysler<br />
gehören General Motors und Volkswagen<br />
zu unseren Kunden. Aber auch<br />
Brennstoffzellen-Hersteller wie der<br />
Kirchheimer Anbieter Ballard Power<br />
Systems nutzen unsere Produkte“, erklärt<br />
der Diplom-Physiker: „Weltweit<br />
arbeiten bereits rund sechzig Firmen<br />
an Elektrofahrzeugen, die ihren Strom<br />
aus Brennstoffzellen beziehen. Seit<br />
diesem Jahr sind etwa dreißig ‚Citaro‘-<br />
Busse von DaimlerChrysler in neun europäischen<br />
Hauptstädten – darunter<br />
in Amsterdam, Barcelona, Hamburg,<br />
London, Stockholm und Reykjavik –<br />
im Einsatz. Angetrieben werden sie<br />
von Brennstoffzellen.“ Beeindruckend,<br />
wenn man bedenkt, daß<br />
man in den Medien eher wenig von<br />
der richtungsweisenden Technologie<br />
hört.<br />
Dennoch, in den zuständigen Entwicklungsbüros<br />
rauchen die Köpfe. 28<br />
Millionen Euro stellte allein das Düsseldorfer<br />
Wirtschaftsministerium für<br />
Brennstoffzellen-Projekte in Nordrhein-Westfalen<br />
aus Mitteln des<br />
„REN“-Programmes („Rationelle Energieverwendung<br />
und Nutzung unerschöpflicher<br />
Energiequellen“) bisher<br />
zur Verfügung. Seit zwei Jahren gibt es<br />
das „Kompetenz-Netzwerk Brennstoffzelle<br />
NRW“, eine Arbeitsgruppe der<br />
„Landesinitiative Zukunftsenergien<br />
NRW“, in der rund 150 Firmen, Institu-<br />
te und Experten an zukunftsfähigen<br />
Lösungen für die Energieversorgung<br />
arbeiten.<br />
„Bei <strong>Pierburg</strong> gibt es aktuell ein Projekt,<br />
das im Rahmen des Kompetenz-<br />
Netzwerkes gefördert wird“, weiß Hunkelzu<br />
berichten: „Seit Dezember 2000<br />
entwickeln wir die Steuerelektronik für<br />
einen Wasserstoffsensor, der im<br />
Brennstoffzellen-Auto zum Einsatz<br />
kommen soll.“ Sensoren als Bestandteil<br />
des Sicherheitssystems spielen<br />
bei der Nutzung von Brennstoffzellen<br />
im Automobil eine wichtige Rolle,<br />
wenn es zu Wasserstoff-Luft-Gemischen<br />
kommt.<br />
„Genau genommen<br />
sind diese<br />
Gemische nicht<br />
gefährlicher als<br />
Erdgas-Luft-Gemische<br />
oder Benzin-<br />
Luft-Gemische“,<br />
Dr. Dirk Hunkel<br />
erklärt der in Bayreuth<br />
geborene<br />
Entwickler: „Aber Unfälle wie die Explosion<br />
des deutschen Zeppelin-Luftschiffes<br />
‚Hindenburg‘ im Mai 1937<br />
beim Landeanflug auf Lakehurst im<br />
US-Bundesstaat New Jersey sind in<br />
der Erinnerung der meisten Menschen<br />
so präsent, daß sie der neuen Technologie<br />
erst einmal skeptisch gegenüberstehen.“<br />
„Mit unseren Sensoren überwachen<br />
wir aktiv alle sicherheitsrelevanten Parameter<br />
am Fahrzeug, wie beispielsweise<br />
die Wasserstoffkonzentration<br />
innerhalb und außerhalb des Sy-<br />
(Fortsetzung auf Seite 5)<br />
Was der Jurist und Physiker Sir William R. Grove vor über 160 Jahren entdeckte,<br />
findet heute im neuesten Brennstoffzellen-Fahrzeug von DaimlerChrysler<br />
Anwendung. Der umweltfreundliche „Necar 5“ erreicht Spitzengeschwindigkeiten<br />
von über 150 Stundenkilometern – verbunden mit niedrigem Kraftstoffverbrauch,<br />
hohen Reichweiten und dynamischem Fahrverhalten.<br />
Fotos (2): DaimlerChrysler Communications<br />
Fotos(2): Danetzki+Weidner; Composing: frei-stil digitale Bildgestaltung