Andreas Freitäger
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Gerhard Neumeier<br />
Staatssicherheit zur Vertuschung ihres Handelns begonnen hatten, in<br />
großem Stil Akten zu vernichten. Heute schätzt man, dass etwa ein Viertel<br />
des Gesamtmaterials des Ministeriums für Staatssicherheit vom MfS selbst<br />
vernichtet wurde. 8 Dies betraf vor allem die Unterlagen der Hauptverwaltung<br />
Aufklärung (HVA), also des Auslandsspionagedienstes der DDR.<br />
Die Vernichtung dieser Akten vollzog sich mit Billigung des Runden<br />
Tisches und der Bürgerkomitees vor allem im Frühjahr 1990, da die Angehörigen<br />
der demokratischen Opposition vor allem an Unterlagen, die die<br />
Überwachung der DDR-Bevölkerung dokumentierten, interessiert waren<br />
und sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen konnten, dass sich auch<br />
die Hauptverwaltung Aufklärung in vielfältiger Weise an den Aktivitäten<br />
der Staatssicherheit im Inland beteiligt hatte. Ansonsten betrafen die<br />
Aktenvernichtungen vor allem Akten aus den jeweiligen Dienstzimmern<br />
der hauptamtlichen Mitarbeiter der Staatssicherheit. Um diese Vernichtungen<br />
zu stoppen, wurden während der Auflösungsphase unter der Aufsicht<br />
der Bürgerkomitees aus den Diensträumen der ehemaligen MfS-Mitarbeiter<br />
die Unterlagen der Diensteinheiten geholt. 9 Anders ausgedrückt:<br />
„Emanzipierte Bürger verschafften sich Zugang zu einem noch arbeitenden<br />
Geheimdienst und übernehmen die Kontrolle seiner Tätigkeit“. 10 Die<br />
Bürgerkomitees bewachten daraufhin die Akten, um sie später zu nutzen.<br />
8 Jens Gieseke: Der Mielke-Konzern (wie Anm. 3), S. 18.<br />
9 Birgit Salamon: Das Archiv der Bundesbeauftragten (BStU) für die Stasiunterlagen –<br />
Die archivfachliche Arbeit an den MfS-Geheimdienstunterlagen – Fragen und Herausforderungen,<br />
Homepage der BstU.<br />
10 David Gill: Von den Bürgerkomitees (wie Anm.7), S. 69.<br />
204 Universitätsreden 73<br />
Bew ertung bei der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes<br />
Die Vorgeschichte des Stasi-Unterlagen-Gesetzes (StUG) und<br />
dessen Stellung als Grundlage für die Arbeit der<br />
Bundesbeauftragten für die Unterlagen des<br />
Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU)<br />
Das Stasi-Unterlagen-Gesetz (StUG) vom 20. Dezember 1991 regelt in § 1<br />
die „Erfassung, Erschließung, Verwaltung und Verwendung der Unterlagen<br />
des Ministeriums für Staatssicherheit und seiner Vorläufer- und<br />
Nachfolgeorganisationen (Staatssicherheitsdienst) der ehemaligen Deutschen<br />
Demokratischen Republik…“. Es soll „dem einzelnen Zugang zu<br />
den vom Staatssicherheitsdienst zu seiner Person gespeicherten Informationen<br />
… ermöglichen, damit er die Einflussnahme des Staatssicherheitsdienstes<br />
auf sein persönliches Schicksal aufklären kann.“ Neben dieser<br />
„persönlich-biografischen Dimension“ 11 soll die historische, politische<br />
und juristische Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes gewährleistet<br />
und gefördert werden. Das StUG bildet die Grundlage für die<br />
Arbeit der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes<br />
der ehemaligen DDR.<br />
Wie kam es zum StUG? Wer war wann an dessen Formulierung beteiligt?<br />
Welche Ziele und Aufgaben beinhaltet das Gesetz? Angesichts der Aktenvernichtungsaktionen<br />
innerhalb des Ministeriums für Staatsicherheit und<br />
seiner Nachfolgeorganisation, dem „Amt für Nationale Sicherheit“, stellte<br />
sich bereits auf der ersten Sitzung des „Runden Tisches“ am 7. Dezember<br />
1989 die Frage nach der Zukunft der Akten, der materiellen Hinterlassenschaft<br />
des MfS. Ulrike Poppe von der Bürgerbewegung „Demokratie Jetzt!“<br />
forderte: „1. Die sofortige Auflösung des Amtes für Nationale Sicherheit,<br />
gegen die Absicht der Modrow-Regierung, die Arbeit des MfS im verkleinerten<br />
Maßstab fortzusetzen …, 2. die Sicherung der Archive der Staatssicherheit,<br />
gegen die im Gang befindlichen Aktenvernichtungen; 3. die<br />
Möglichkeit der Umschulung der ehemaligen Mitarbeiter der Staatssicherheit<br />
für eine gesellschaftlich nützliche Tätigkeit, gegen die in der revolu-<br />
11 Siebenter Tätigkeitsbericht der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes<br />
der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik. Berlin 2005, S. 10.<br />
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