Andreas Freitäger
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Werner Lengger<br />
Ein ausgeprägtes Interesse insbesondere der Forschung, aber auch der<br />
Wirtschaft, an den Prüfungsarbeiten darf also durchaus unterstellt werden.<br />
Die in der Praxis daraus resultierende Nachfrage muss in das Bewertungsverfahren<br />
als gewichtiges Kriterium einfließen. 13 Die Universitätsarchive<br />
bzw. gegebenenfalls die Universitätsbibliotheken stehen entsprechend in<br />
der Pflicht, den Benutzungswünschen potentieller Interessenten – selbstverständlich<br />
innerhalb des hier relativ engen Rahmens der archivgesetzlichen<br />
Bestimmungen – entgegenzukommen.<br />
Den Arbeiten kommt aber auch ein weiterer archivischer Wert zu, den<br />
ich in Anlehnung an Schellenberg als Evidenzwert bezeichnen möchte.<br />
Hier sind wiederum verschiedene Bereiche anzusprechen, die alle der<br />
Dokumentation einzelner Aspekte dienen, die aus der Sicht eines Universitätsarchivs<br />
als relevant eingestuft werden können. So sind die Arbeiten<br />
etwa dazu geeignet, die Art und Qualität studentischer Prüfungsarbeiten<br />
in den verschiedenen Studienfächern im zeitlichen Ablauf abzubilden.<br />
Aus meiner Sicht aber fast noch wichtiger ist die Möglichkeit, mit ihnen<br />
Forschungsschwerpunkte und auch inhaltliche Standpunkte von Professoren,<br />
Instituten und Fakultäten abzubilden. Nicht selten werden derartige<br />
Arbeiten im Rahmen größerer Forschungsprojekte oder bestimmter<br />
Forschungsschwerpunkte vergeben. Anhand der Prüfungsarbeiten lässt<br />
sich einerseits zeigen, inwieweit die Verfasser Einflüsse und Meinungen<br />
ihrer akademischen Lehrer aufnehmen; nicht selten profitieren aber auch<br />
die Professoren von den Forschungen ihrer Schüler, so dass auch ein gewisser<br />
Wissenstransfer in der umgekehrten Richtung zu unterstellen ist. Die<br />
Prüfungsarbeiten können insofern durchaus als Quellen für universitätsund<br />
wissenschaftsgeschichtliche Forschungen dienen. Das insbesondere in<br />
den letzten Jahren stark gestiegene Interesse verschiedener Wissenschaftsdisziplinen<br />
an der Geschichte ihres Faches wird sich auch auf die Prüfungs-<br />
nachgedacht, um den Zugang zu den darin dokumentierten Forschungsergebnissen<br />
weiter zu erleichtern.<br />
13 So erreichen etwa das Universitätsarchiv Augsburg jährlich zahlreiche diesbezügliche<br />
Anfragen, die dank der weit vorangeschrittenen archivischen Erschließung mittlerweile<br />
in vielen Fällen positiv beantwortet werden können. Diese relativ große Nachfrage war<br />
auch eines der ausschlaggebenden Kriterien für die Entscheidung, im Universitäts-<br />
182 Universitätsreden 73<br />
Bew ertung v on Prüfungsarbeiten im Univ ersitätsarchiv Augsburg<br />
arbeiten als wissenschaftsgeschichtliche Quellen richten, sofern die Universitätsarchive<br />
und -bibliotheken diese Quellengruppe nicht aus den Augen<br />
verlieren. 14 Nicht zu vernachlässigen ist sicherlich auch der personengeschichtliche<br />
Aspekt, auch wenn nicht aus jedem Studenten ein Nobelpreisträger<br />
werden kann.<br />
Als gravierendes Problem für die Ermittlung des bleibenden Werts einer<br />
Arbeit stellt sich in der Praxis die in sehr vielen Fällen fehlende fachliche<br />
Kompetenz des Archivars dar. Als Historiker, der er in der Regel ist, stößt<br />
er naturgemäß auf große Schwierigkeiten, soll er über Arbeiten aus ihm<br />
gänzlich fremden Wissenschaftsdisziplinen urteilen. Da liegt der Gedanke<br />
nahe, zu diesem Zweck den an der Universität vorhandenen Sachverstand<br />
„anzuzapfen“. In dem Fall, mit dem sich das Universitätsarchiv Augsburg<br />
vor einiger Zeit konfrontiert sah, ging es um die Bewertung von rund 120<br />
lfm Diplomarbeiten aus der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät. Unser<br />
Ansinnen, die Fachleute aus der Fakultät in die Bewertung der bereits im<br />
Archiv verwahrten Arbeiten einzubinden, wurde relativ kühl zurückgewiesen.<br />
Statt dessen empfahl der Fachbereichsrat einstimmig, die Diplomarbeiten<br />
aus der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät vollständig zu kassieren.<br />
Mangels Alternativen haben wir nun begonnen, nach und nach die<br />
Diplomarbeiten zu kassieren, sofern die rechtlichen Aufbewahrungsfristen<br />
abgelaufen waren. Um jedoch nicht einen kompletten Überlieferungsstrang<br />
zu verlieren, wurden zunächst 10 Prozent der Arbeiten, die in Form<br />
einer Zufallsstichprobe ausgewählt wurden, zurückbehalten. Gerade im Bereich<br />
der Wirtschaftswissenschaften ist die schiere Menge an Prüfungsarbeiten<br />
freilich so enorm, dass selbst die Überlieferung einer Stichprobe<br />
von 10 Prozent mit Blick auf die hierfür erforderliche Lagerkapazität zu<br />
einem Problem zu werden droht. Es kann sich daher unter Umständen die<br />
Notwendigkeit ergeben, diese Stichprobe noch weiter zu verringern.<br />
archiv Augsburg im Bereich der Prüfungsarbeiten eine relativ dichte Überlieferung<br />
anzustreben.<br />
14 Möglichkeiten und Wege eines institutionengeschichtlichen Zugangs anhand von<br />
Prüfungsarbeiten zeigt Reimund Haas: „Der von der Kirche bezeugte Glaube und die<br />
Wirklichkeit des Menschen“. 25 Jahre überdiözesanes Studienhaus St. Lambert am<br />
Beispiel der theologischen Abschlußarbeiten, in: ders. (Hrsg.): Wege zum Priestertum:<br />
25 Jahre überdiözesanes Studienhaus St. Lambert. Grafschaft 1997, S. 57-78.<br />
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