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Ablauf der Entscheidungs- prozesse zur Anlage einer perkutanen ...

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Forschungsbericht im Auftrag<br />

des AOK-Bundesverbandes<br />

Sabine Bartholomeyczik • Rainer Markgraf<br />

Tina Quasdorf • Claudia Dinand • Julia Müller<br />

<strong>Ablauf</strong> <strong>der</strong> <strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong><br />

<strong>zur</strong> <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong><br />

<strong>perkutanen</strong> endoskopischen<br />

Gastrostomie (PEG)<br />

Department für Pflegewissenschaft <strong>der</strong><br />

Universität Witten /Herdecke,<br />

Lehrstuhl Epidemiologie – Pflegewissenschaft<br />

Allgemeines Krankenhaus Hagen,<br />

Abteilung Gastroenterologie<br />

Universität Witten /Herdecke<br />

INKLUSIVE:<br />

ENTSCHEIDUNGSHILFE<br />

FÜR ANGEHÖRIGE


<strong>Ablauf</strong> <strong>der</strong> <strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong> <strong>zur</strong> <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> <strong>perkutanen</strong><br />

endoskopischen Gastrostomie (PEG)<br />

Bericht<br />

<strong>der</strong> empirischen Untersuchung in drei Teilen im Auftrag des AOK-Bundesverbandes<br />

vom<br />

Department für Pflegewissenschaft <strong>der</strong> Universität Witten/Herdecke, Lehrstuhl<br />

Epidemiologie-Pflegewissenschaft<br />

und dem<br />

Allgemeines Krankenhaus Hagen, Abt. Gastroenterologie <strong>der</strong><br />

Universität Witten/Herdecke<br />

Witten, im August 2009<br />

Korrespondenzadresse:<br />

Prof. Dr. Sabine Bartholomeyczik<br />

Universität Witten/Herdecke<br />

Department für Pflegewissenschaft<br />

Alfred Herrhausen Str. 50<br />

58448 Witten<br />

Autoren/innen:<br />

Prof. Dr. Sabine Bartholomeyczik<br />

PD. Dr. med. Rainer Markgraf<br />

Tina Quasdorf, MScN<br />

Claudia Dinand, MScN<br />

Julia Müller


Dieser Forschungsbericht wird voraussichtlich im Herbst 2011<br />

mit <strong>der</strong> ISBN 978-386321-010-6 auch im Mabuse-Verlag erscheinen.


Inhaltsverzeichnis<br />

1. Zusammenfassung ............................................................................................ 5<br />

2. Einleitung ........................................................................................................... 11<br />

3. <strong>Entscheidungs</strong>findung <strong>zur</strong> PEG ....................................................................... 13<br />

3.1 Rechtliche und ethische Aspekte ............................................................................... 13<br />

3.2 Kommunikation und Information ................................................................................. 14<br />

3.3 Rollenverteilung im <strong>Entscheidungs</strong>prozess ................................................................ 14<br />

3.4 Zufriedenheit mit dem <strong>Entscheidungs</strong>prozess und <strong>der</strong> Entscheidung ...................... 15<br />

3.5 Relevante Einflussfaktoren für die Entscheidung ..................................................... 16<br />

3.6 Forschungsgegenstand ............................................................................................ 17<br />

4. Der <strong>Entscheidungs</strong>prozess <strong>zur</strong> <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG Sonde im Krankenhaus<br />

.................................................................................................................. 19<br />

4.1 Patienten und Methodik ................................................................................................ 19<br />

4.2 Ergebnisse .................................................................................................................... 21<br />

4.3 Diskussion .................................................................................................................... 35<br />

5. Der <strong>Entscheidungs</strong>prozess im Spiegel von Bewohnerdokumentationen<br />

in Altenpflegeheimen ......................................................................................<br />

5.1 Methodisches Vorgehen ...............................................................................................<br />

5.2 Ergebnisse ....................................................................................................................<br />

5.3 Limitierungen ................................................................................................................<br />

5.4 Diskussion ....................................................................................................................<br />

5.5 Schlussfolgerung und Ausblick .....................................................................................<br />

6. Der <strong>Entscheidungs</strong>prozess in stationären Einrichtungen <strong>der</strong> Altenhilfe<br />

aus <strong>der</strong> Perspektive von Pflegenden und nie<strong>der</strong>gelassenen Ärzten .......... 83<br />

6.1 Methodisches Vorgehen ............................................................................................... 83<br />

6.2 Ergebnisse .................................................................................................................... 87<br />

6.3 Zusammenfassung ..................................................................................................... 139<br />

6.4 Grenzen vorliegen<strong>der</strong> Untersuchung .......................................................................... 142<br />

6.5 Diskussion .................................................................................................................. 143<br />

6.6 Schlussfolgerung ........................................................................................................ 146<br />

7. Gemeinsame Diskussion <strong>der</strong> Teilergebnisse ............................................. 147<br />

7.1 Prozessphasen ....................................................................................................... 147<br />

7.2 Klientel .................................................................................................................... 147<br />

7.3 Prozess und Akteure .............................................................................................. 148<br />

7.4 Empfehlungen ........................................................................................................ 150<br />

8. Literaturverzeichnis ...................................................................................... 153<br />

9. Anhang ........................................................................................................... 157<br />

39<br />

39<br />

42<br />

76<br />

77<br />

82


1. Zusammenfassung<br />

Problemstellung<br />

Daten über Prävalenz und Inzidenz von PEG-Sonden beruhen auf unterschiedlichen Schätzungen.<br />

In Deutschland geht man davon aus, dass etwa 140 000 PEG-Sonden jährlich gelegt<br />

werden und dass etwa 65 % <strong>der</strong> PEG-Sonden auf ältere Menschen entfallen. Schätzungsweise<br />

30 bis 50 % dieser Patienten haben psychische o<strong>der</strong> dementielle Erkrankungen.<br />

Insbeson<strong>der</strong>e für diese Patientengruppe wird <strong>der</strong> Nutzen <strong>der</strong> enteralen Ernährung durch eine<br />

Ernährungssonde heute infrage gestellt.<br />

In <strong>der</strong> aktuellen Diskussion um den Umgang mit enteraler Ernährung durch PEG-Sonden<br />

wird gefor<strong>der</strong>t, dass <strong>der</strong> Entscheidung für o<strong>der</strong> gegen das Anlegen <strong>einer</strong> PEG-Sonde ein<br />

Prozess des sorgfältigen Abwägens von Nutzen und Risiken im Einzelfall vorangeht. Über<br />

den praktischen Verlauf des <strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong>s <strong>zur</strong> Einleitung <strong>einer</strong> künstlichen enteralen<br />

Ernährungsbehandlung mithilfe <strong>einer</strong> PEG, liegen bisher sowohl für den akutstationären<br />

Bereich als auch für stationäre Pflegeeinrichtungen in Deutschland kaum systematische<br />

Erkenntnisse vor. Das hier beschriebene Forschungsprojekt ist darauf ausgerichtet, diese<br />

Prozesse näher zu beleuchten.<br />

Das Projekt wurde durch den AOK-Bundesverband geför<strong>der</strong>t und ist in drei Teilbereiche<br />

unterteilt:<br />

� Dokumentationsanalyse im akutstationären Bereich<br />

� Dokumentationsanalyse in Altenpflegeeinrichtungen<br />

� Interviews mit Pflegenden aus Altenpflegeeinrichtungen und nie<strong>der</strong>gelassenen Ärzten.<br />

Der <strong>Entscheidungs</strong>prozess <strong>zur</strong> <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG-Sonde im Krankenhaus<br />

In drei Krankenhäusern in NRW, einem <strong>der</strong> Maximal-, einem <strong>der</strong> Schwerpunktversorgung<br />

und <strong>einer</strong> Geriatrie, wurden Daten aus den Akten von 277 Patienten erfasst, bei denen eine<br />

PEG gelegt wurde.<br />

Die Mehrzahl <strong>der</strong> PEG-Empfänger (50 - 75%) ist bereits vor <strong>der</strong> Krankenhauseinweisung<br />

hilfeabhängig o<strong>der</strong> pflegebedürftig. Ebenfalls die Mehrzahl <strong>der</strong> PEG-<strong>Anlage</strong>n erfolgt im<br />

Rahmen eines längeren Krankenhausaufenthaltes wegen überwiegend altersneurologischer<br />

o<strong>der</strong> Tumorerkrankungen. An<strong>der</strong>s als nach den Vorbefragungen an den beteiligten Krankenhäusern<br />

zunächst vermutet, spielt die stationäre Einweisung mit dem Zielauftrag <strong>einer</strong> PEG-<br />

<strong>Anlage</strong> eine völlig untergeordnete Rolle, passend hierzu auch die von den Hausärzten angegebenen<br />

Einweisungsgründe. Die konkrete Indikation ist überwiegend eine Dysphagie (> 70<br />

%). Eine vorstationär beobachtete Verschlechterung des Ernährungszustandes o<strong>der</strong> ein aktuell<br />

dokumentierter schlechter Ernährungszustand nehmen eine absolut nachrangige Rolle<br />

ein.<br />

<strong>Entscheidungs</strong>fähige Patienten mit an<strong>der</strong>en als altersneurologischen Erkrankungen finden<br />

sich vor allem in <strong>der</strong> Gruppe <strong>der</strong> jüngeren, unter 65-jährigen Patienten, bei denen intensivmedizinisch<br />

versorgte Krankheitsbil<strong>der</strong> o<strong>der</strong> Tumorleiden eine wesentliche Rolle spielen.<br />

Dies sind auch überwiegend die Patienten, bei denen PEG-gestützte Ernährungsverfahren<br />

nur vorübergehend o<strong>der</strong> zumindest wahrscheinlich nur vorübergehend <strong>zur</strong> Anwendung<br />

kommen.<br />

Die Rekonstruktion eines komplexen <strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong>s <strong>zur</strong> Einleitung <strong>einer</strong> künstlichen<br />

Ernährungsbehandlung aufgrund retrospektiv erhobener Daten selbst unter ergänzen<strong>der</strong><br />

nachträglich durchgeführter Befragung von Krankenhausmitarbeitern ist problematisch.<br />

Deutlich wird zunächst, dass die formalen Aspekte <strong>der</strong> <strong>Entscheidungs</strong>findung insbeson<strong>der</strong>e<br />

5


ei nicht einwilligungsfähigen Patienten durchgehend an allen Kliniken beachtet werden. Bei<br />

vorliegenden gesetzlichen Betreuungsverhältnissen werden die Betreuer regelhaft in den<br />

<strong>Entscheidungs</strong>prozess eingebunden, gleiches geschieht mit den Angehörigen bei Patienten<br />

mit vorliegen<strong>der</strong> Vorsorgevollmacht. Auch grundsätzlich ist die Beteiligung <strong>der</strong> Angehörigen<br />

in hohem Prozentsatz dokumentiert. Probleme zeigten sich hier in erster Linie bei Patienten<br />

mit fehlenden Lebenspartnern, was offensichtlich auch die Kontaktaufnahme zu an<strong>der</strong>en<br />

Angehörigen einschränkt bzw. erschwert. Auch die Dokumentation des formalen <strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong>s<br />

ist stabil. In dieser Hinsicht führte die Nachbefragung bei <strong>der</strong> zweiten Patientengruppe<br />

nicht zu einem weiteren Informationsgewinn.<br />

Der inhaltliche <strong>Ablauf</strong> des <strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong>s ist hingegen so gut wie nicht zu rekonstruieren,<br />

da dieser praktisch nicht dokumentiert ist und durch die Nachbefragung von Krankenhausmitarbeitern<br />

nicht relevant erhellt werden konnte. Dies wird anhand <strong>der</strong> Daten illustriert,<br />

durch die extrem geringe Rolle von Vorsorgevollmachten und Patientenverfügungen, so<br />

dass in <strong>der</strong> übergroßen Mehrzahl aller Fälle <strong>der</strong> mutmaßliche Patientenwille nicht darzustellen<br />

ist. In Anbetracht <strong>der</strong> öffentlichen Debatte um Patientenverfügungen und Sterbehilfe ist<br />

die geringe Prävalenz von Patientenverfügungen in <strong>der</strong> vorliegenden Untersuchung erstaunlich.<br />

Die vorliegende Untersuchung gibt keinen Aufschluss darüber, ob <strong>der</strong> formal gut dokumentierte<br />

<strong>Entscheidungs</strong>prozess bei nicht einwilligungsfähigen Patienten auch den inhaltlichen<br />

Kriterien genügt, die die Bundesgerichtshofurteile zum Abbruch künstlicher Ernährung (BGH<br />

1994, BGH 2003) gesetzt haben. Es ist nicht ersichtlich, inwieweit Betreuer o<strong>der</strong> Bevollmächtigte<br />

Kenntnisse über den mutmaßlichen Willen des Patienten hatten, ob diese Kenntnisse<br />

tatsächlich Basis <strong>der</strong> <strong>Entscheidungs</strong>findung waren bzw. ob diese Fragen überhaupt mit<br />

den berechtigten Personen seitens <strong>der</strong> <strong>Entscheidungs</strong>träger diskutiert wurden. Problematisch<br />

erscheint in diesem Zusammenhang auch die äußerst seltene Einbeziehung des Hausarztes<br />

in den im Krankenhaus stattfindenden <strong>Entscheidungs</strong>prozess wie auch die nahezu<br />

nicht vorhandene Kontaktaufnahme zu den Alten- bzw. Pflegeheimen <strong>der</strong> bereits vorstationär<br />

heimversorgten Patienten.<br />

Der <strong>Entscheidungs</strong>prozess im Spiegel von Bewohnerdokumentationen in Altenpflegeheimen<br />

Analysiert wurden in diesem Teil 72 Dokumentationen aus 11 Altenpflegeheimen <strong>einer</strong> Gelegenheitsstichprobe<br />

in NRW. Ausgewählt wurden nur Dokumente von Bewohnern, die im<br />

Laufe ihrer Zeit als Bewohner <strong>der</strong> Einrichtung eine PEG-<strong>Anlage</strong> erhalten hatten.<br />

Mehr als die Hälfte <strong>der</strong> teilnehmenden Personen mit PEG-Sonde ist älter als 80 Jahre. Etwa<br />

ebenso viele haben eine Demenz. Etwa 70 % <strong>der</strong> Bewohner weisen in ihrer Anamnese eine<br />

akute o<strong>der</strong> progredient verlaufende neurologische Erkrankung auf. Bereits vor <strong>Anlage</strong> <strong>der</strong><br />

PEG-Sonde wurden etwa drei Viertel <strong>der</strong> Teilnehmer in <strong>einer</strong> Altenpflegeeinrichtung betreut.<br />

In etwa fünfzig Prozent <strong>der</strong> Fälle bedingte ein akutes Ereignis die <strong>Anlage</strong> <strong>der</strong> PEG-Sonde,<br />

bei ebenso vielen wird eine Dysphagie beschrieben. Etwa 50 % <strong>der</strong> Teilnehmer hatten zum<br />

Zeitpunkt <strong>der</strong> PEG-<strong>Anlage</strong> einen BMI, <strong>der</strong> als normal o<strong>der</strong> hoch gilt, allerdings liegen bei 35<br />

% <strong>der</strong> Fälle keine Informationen hierzu vor.<br />

Etwa 70 % <strong>der</strong> Teilnehmer erhalten zum Zeitpunkt <strong>der</strong> Erhebung ein ergänzendes orales<br />

Nahrungsangebot, <strong>der</strong> Umfang variiert jedoch stark.<br />

Bei etwa 33 % <strong>der</strong> Teilnehmer traten Komplikationen auf, die auf die PEG-Sonde <strong>zur</strong>ückzuführen<br />

sind. Vorwiegend handelt es sich um Wundinfektionen.<br />

Ein Grundproblem dieser Dokumentenanalyse liegt darin, dass nur bei 16 (22 %) <strong>der</strong> 72 untersuchten<br />

Dokumentationen Informationen zum praktischen <strong>Ablauf</strong> des <strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong>s<br />

zu finden waren. In erster Linie sind dies Angaben zu Gesprächen zwischen den an<br />

<strong>der</strong> Entscheidung beteiligten Personen sowie zu Arztkontakten aufgrund ernährungsbedingter<br />

Probleme. In einigen Fällen finden sich Angaben <strong>zur</strong> Nutzung von Assessmentinstru-<br />

6


menten sowie zu Maßnahmen, die <strong>zur</strong> Verbesserung <strong>der</strong> Ernährungssituation durchgeführt<br />

wurden. Gespräche und Arztkontakte finden vorwiegend in den letzten zwei Wochen vor<br />

<strong>Anlage</strong> <strong>der</strong> PEG-Sonde statt. Maßnahmen <strong>zur</strong> Verbesserung <strong>der</strong> Ernährungssituation und<br />

<strong>der</strong> Einsatz von Assessmentinstrumenten finden kontinuierlicher über einen Zeitraum von<br />

etwa drei bis vier Monaten vor <strong>Anlage</strong> <strong>der</strong> PEG-Sonde statt.<br />

Während am häufigsten Angehörige und Ärzte am <strong>Entscheidungs</strong>prozess beteiligt werden,<br />

sehen sich die Pflegenden selbst nur selten als an <strong>der</strong> Entscheidung Beteiligte.<br />

Etwa 85 % <strong>der</strong> Teilnehmer werden durch einen gesetzlichen Betreuer o<strong>der</strong> einen Vorsorgebevollmächtigten<br />

vertreten. Nur sieben Teilnehmer (10 %) haben eine Patientenverfügung,<br />

von denen nur eine einzige differenzierte Aussagen <strong>zur</strong> enteralen Ernährung enthält.<br />

Insgesamt finden sich nur sehr vereinzelte Textpassagen innerhalb <strong>der</strong> Bewohnerdokumentationen,<br />

die ein zusammenhängendes Bild des <strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong>s im Vorfeld <strong>der</strong> <strong>Anlage</strong><br />

<strong>einer</strong> PEG-Sonde bieten. Zumeist handelt es sich um nicht zusammenhängende Informationen<br />

auf verschiedenen Formblättern und verschiedenen Abschnitten <strong>der</strong> Dokumentationen,<br />

die mühsam zusammengefügt werden müssen. Auch anhand einiger weniger Fallrekonstruktionen<br />

auf Basis <strong>der</strong> Dokumentationen wird deutlich, dass ein zusammenhängen<strong>der</strong><br />

und strukturierter Prozess <strong>zur</strong> <strong>Entscheidungs</strong>findung offenbar nur unzulänglich stattfindet.<br />

Die dokumentierten Informationen spiegeln in den meisten Fällen individuelle Prioritäten wi<strong>der</strong><br />

und weniger ein planmäßiges Vorgehen zu dokumentieren.<br />

Der <strong>Entscheidungs</strong>prozess aus <strong>der</strong> Perspektive von Pflegenden in stationären Einrichtungen<br />

<strong>der</strong> Altenpflege und nie<strong>der</strong>gelassenen Ärzten<br />

Im dritten Teil des Forschungsprojektes wurden qualitative leitfadengestützte Experteninterviews<br />

mit 26 Pflegenden aus Altenpflegeeinrichtungen und acht nie<strong>der</strong>gelassenen Ärzten,<br />

die in Altenheimen an den <strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong>n beteiligt sind, geführt. Hierbei sollte<br />

untersucht werden, wie <strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong> in <strong>der</strong> Realität aus <strong>der</strong> Perspektive <strong>der</strong><br />

Betroffenen wahrgenommen werden.<br />

Als Ergebnis zeigt sich, dass <strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong> in Form eines Phasenmodells<br />

stattfinden, in dem sich drei wesentliche Einheiten unterscheiden. Die Phase vor <strong>der</strong><br />

Entscheidung, in <strong>der</strong> beobachtend und meinungsbildend gearbeitet wird, die Phase des<br />

Entscheids mit <strong>der</strong> Konsequenz <strong>einer</strong> Handlung o<strong>der</strong> einem Handlungsverzicht und die<br />

Phase nach getroffener Entscheidung, in <strong>der</strong> die Entscheidung überprüft, bewertet und ggf.<br />

revidiert wird.<br />

<strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong> <strong>zur</strong> <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG dauern je nach Indikation zwischen einigen<br />

Tagen und mehreren Wochen, manchmal auch Monate. Die meisten Entscheidungen werden<br />

in den Kliniken getroffen. Die <strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong> sind komplex, uneinheitlich und<br />

durch individuelle Prioritäten beteiligter Personen gesteuert. Uneinheitlich, da die Krankheitsbil<strong>der</strong><br />

und die Interventionsdauer differieren und spezifische Entscheidungen notwendig<br />

machen. Uneinheitlich auch, da viele Akteure zu unterschiedlichen Anteilen und Zeitpunkten<br />

beteiligt sind und den Prozess beeinflussen.<br />

Die wenigsten Bewohner in Altenpflegeheimen sind entscheidungsfähig, noch ist ein Wille<br />

bekannt o<strong>der</strong> schriftlich fixiert. In diesen Situationen übernehmen Angehörige mit Betreuungsvollmacht<br />

o<strong>der</strong> beauftragte Berufsbetreuer stellvertretend die <strong>Entscheidungs</strong>verantwortung.<br />

Familienangehörige sind stark emotional involviert, durch Rollenkonflikte mit <strong>der</strong> Entscheidung<br />

oft überfor<strong>der</strong>t o<strong>der</strong> schlecht beraten. Berufsbetreuer zeichnen sich durch ihr<br />

distanziertes Verhältnis <strong>zur</strong> Person aus, über die entschieden wird und vollziehen häufig<br />

einen formalen Akt <strong>der</strong> Unterschrift.<br />

Die Pflegenden in den Altenheimen sind durch ihren engen und häufigen Kontakt mit Bewohnern<br />

Informationsträger, wenn Bewohner „nicht essen und trinken wollen o<strong>der</strong> können“<br />

7


und lösen initial einen <strong>Entscheidungs</strong>prozess aus, sehen sich sonst jedoch eher als<br />

Koordinatoren und im Hintergrund <strong>der</strong> Entscheidung Tätige. Übrig bleibt die Entscheidung<br />

zum Wohle des Patienten anhand <strong>der</strong> medizinischen Indikation durch die behandelnden<br />

Ärzte. Ihnen verbleibt nicht nur formal die Rolle <strong>der</strong> Aufklärungsverantwortung, son<strong>der</strong>n<br />

aufgrund mangeln<strong>der</strong> Kenntnis, Fähigkeit, o<strong>der</strong> Zeit formaler <strong>Entscheidungs</strong>träger, die sich<br />

auf den Rat und die medizinische Empfehlung verlassen, die <strong>Entscheidungs</strong>verantwortung.<br />

Instrumente <strong>zur</strong> <strong>Entscheidungs</strong>findung wie Fallbesprechungen o<strong>der</strong> <strong>Entscheidungs</strong>hilfen<br />

spielen aktuell eine marginale Rolle und werden kritisch diskutiert. Patientenverfügungen<br />

sind wichtig, liegen in <strong>der</strong> Realität jedoch nicht vor o<strong>der</strong> sind nicht aktuell o<strong>der</strong> explizit genug.<br />

Sichtbare Mangelernährung und dokumentierte o<strong>der</strong> messbare Ernährungsdefizite erhöhen<br />

den Druck auf die Handelnden. Prüfungen durch den MDK, <strong>der</strong> Heimaufsicht und eine Angst<br />

sich juristisch angreifbar zu machen, also eine Fehlentscheidung zu treffen, in Verbindung<br />

mit <strong>einer</strong> schlechten Versorgungsstruktur, wirken als Verstärker. Sie unterstützen den als<br />

bequemer und einfacher wahrgenommenen Weg, eine PEG-<strong>Anlage</strong> zu befürworten. Als<br />

schwerer und komplizierter wird die Entscheidung gegen eine PEG-<strong>Anlage</strong> gesehen.<br />

Essen zu reichen entgegen dem Willen <strong>der</strong> Bewohner o<strong>der</strong> ein Verschlucken zu provozieren<br />

bedeutet Schaden zuzufügen und eine „Quälerei“. Attribute, die helfen<strong>der</strong> Tätigkeit prinzipiell<br />

entgegenstehen. Kein Essen zu reichen bedeutet über kurz o<strong>der</strong> lang den Tod. Maßnahmen<br />

<strong>zur</strong> Vermeidung <strong>einer</strong> PEG bieten keine wirkliche Alternative. Wenn zudem ein klarer Nutzen<br />

<strong>der</strong> PEG nicht beschrieben werden kann und nicht auszuschließen ist, dass die PEG Leiden<br />

verlängert und Siechtum för<strong>der</strong>t, geraten die Beteiligten in eine Zwickmühle <strong>der</strong> Entscheidung.<br />

Ein klassisches Dilemma zeichnet sich ab, nämlich die Wahl zwischen zwei o<strong>der</strong> mehreren<br />

schlechten Alternativen. Unterstützt wird dies wie<strong>der</strong>um durch mangelnde argumentative<br />

Kraft die Entscheidung zu <strong>einer</strong> einmal gelegten PEG ohne Zustandsbesserung wie<strong>der</strong><br />

rückgängig machen zu können.<br />

Schlussfolgerungen<br />

Ein grundsätzliches Problem <strong>der</strong> Aktenanalysen stellt die Patienten-/Bewohnerselektion dar,<br />

weil ausschließlich Personen erfasst wurden, bei denen eine PEG-<strong>Anlage</strong> erfolgte, nicht hingegen<br />

jene Patienten, bei denen diese Maßnahme erwogen, letztendlich dann aber nicht<br />

durchgeführt wurde. Außerdem handelt es sich um überschaubare Gelegenheitsstichproben.<br />

Auch die Experteninterviews wurden bei <strong>einer</strong> Gelegenheitsstichprobe Interessierter durchgeführt.<br />

Dennoch kann die aus mehreren Perspektiven in einem Methodenmix durchgeführte Studie<br />

ein ziemlich stimmiges Bild zeichnen.<br />

Die Ergebnisse des Projektes bestätigen, dass es sich bei <strong>der</strong> untersuchten Population um<br />

eine Gruppe von Menschen handelt, bei denen ein sorgfältiger und individueller <strong>Entscheidungs</strong>prozess<br />

hinsichtlich <strong>der</strong> <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG-Sonde obligat ist. Insbeson<strong>der</strong>e das vorwiegend<br />

hohe Alter <strong>der</strong> Teilnehmer und die damit häufig einhergehende Multimorbidität sowie<br />

ein in vielen Fällen vorliegendes Betreuungsverhältnis, das offensichtlich mit kognitiven<br />

Einschränkungen <strong>der</strong> betroffenen Personen zu begründen ist, sind in diesem Zusammenhang<br />

hervorzuheben. Eine lückenlose Darstellung des <strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong>s war anhand<br />

<strong>der</strong> Aktenanalyse nicht zu erwarten. Dennoch unterstützt die aufgezeigte geringe Transparenz<br />

und eine auf formale Aspekte beschränkte <strong>Entscheidungs</strong>findung die Notwendigkeit<br />

strukturieren<strong>der</strong> Hilfen. Gerade für problematische <strong>Entscheidungs</strong>situationen erscheint eine<br />

Handlungsorientierung sinnvoll und wird von den befragten Personen als auch von öffentlicher<br />

Seite befürwortet. Hier scheint ein „Gesamtpaket“ unterschiedlicher Maßnahmen angebracht.<br />

Es ist zu empfehlen, Fallkonferenzen in Krankenhäusern und Altenheimen sowohl innerhalb<br />

<strong>der</strong> professionellen Teams als auch mit allen Beteiligten - Patienten/Bewohnern, Angehöri-<br />

8


gen und gesetzlichen Betreuern - bei Bedarf einzuberufen und zu kultivieren. An dieser<br />

Stelle hätte auch eine zu empfehlende systematische Überprüfung <strong>der</strong> getroffenen Entscheidung<br />

mit <strong>Entscheidungs</strong>algorithmen ihren Platz.<br />

Eine auf die Person konzentrierte Organisationsstruktur mit Bezugspflegeelementen und<br />

verantwortlichen Ansprechpartnern könnte die Willkür im Prozess reduzieren und Informationslücken<br />

schließen. Das bestätigen die wenigen, aber positiven Erfahrungen einzelner befragter<br />

Ärzte und Pflegekräfte.<br />

Für die Zusammenarbeit <strong>der</strong> Institutionen und <strong>der</strong> Versorgungsakteure ist es vor allem<br />

hilfreich, wenn eine Entscheidung nicht dem Zufall überlassen bleibt. Deshalb ist eine <strong>Entscheidungs</strong>hilfe<br />

insbeson<strong>der</strong>e für Altenheime von großer Bedeutung, auch um die Möglichkeiten<br />

und die Rolle <strong>der</strong> Pflegenden in diesem Prozess zu stärken. Denn sie sind diejenigen,<br />

die aufgrund <strong>der</strong> Nähe zu den Bewohnern und den Angehörigen den mutmaßlichen Patientenwillen<br />

erkunden und ggf. auch Einfluss auf die Qualität von Patientenverfügungen nehmen<br />

können. Hierzu bedarf es vermehrter Kenntnisse zum Thema, auch um die Entscheidungen<br />

für die Nicht-<strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG mit ihren Informationen stützen zu können. Von <strong>einer</strong><br />

<strong>Entscheidungs</strong>hilfe profitieren durch den Informationsgewinn letztlich alle zentralen Akteure<br />

im <strong>Entscheidungs</strong>prozess: Patienten/Bewohner, damit <strong>der</strong> mutmaßliche Wille entscheidungsleitend<br />

eruiert und eingesetzt wird; Ärzte und Pflegende, um ihre Aufklärungs-<br />

und Beratungskompetenz zu stärken und eigenen ethischen Konflikten und Dilemmata präventiv<br />

begegnen zu können und Angehörige, um <strong>der</strong> emotionalen Betroffenheit stichhaltige<br />

Argumente im Sinne <strong>einer</strong> informierten Zustimmung o<strong>der</strong> Ablehnung entgegen setzen zu<br />

können.<br />

Vor diesem Hintergrund wurde in Anlehnung an die von Mitchell und Mitarbeitern am Ottawa<br />

Health Research Institute, Kanada entwickelte und 2008 überarbeitete <strong>Entscheidungs</strong>hilfe<br />

„Making Choices: Long Term Feeding Tube Placement in El<strong>der</strong>ly Patients“<br />

(www.tropenklinik.de/Archiv/PEG.pdf) in einem ebenfalls durch den AOK-Bundesverband<br />

geför<strong>der</strong>ten und am Department für Pflegewissenschaft <strong>der</strong> Universität Witten/Herdecke<br />

durchgeführten Folgeprojekt eine <strong>Entscheidungs</strong>hilfe entwickelt. Sie wird voraussichtlich ab<br />

Frühjahr 2011 beim AOK-Bundesverband als Leitfaden in gedruckter Form o<strong>der</strong> unter <strong>der</strong><br />

Internetadresse www.aok.de/gesundheitsnavi –> <strong>Entscheidungs</strong>hilfen<br />

verfügbar sein wird.<br />

9


2. Einleitung<br />

Tina Quasdorf, Claudia Dinand, Julia Müller, Rainer Markgraf, Sabine Bartholomeyczik<br />

Die Ernährung ist ein Grundbedürfnis des Menschen und unverzichtbarer Bestandteil <strong>einer</strong><br />

angemessenen medizinischen und pflegerischen Versorgung. Bis in die jüngste Vergangenheit<br />

war es die vorherrschende Position, mit Ausnahme <strong>der</strong> eigentlichen Sterbephase eine<br />

enterale Ernährungstherapie bei einem Risiko für Mangelernährung auch prognoseunabhängig<br />

als notwendige Behandlung durchzuführen. Ziel <strong>der</strong> künstlichen Ernährung ist, die<br />

Erkrankung des Patienten, <strong>der</strong>en Symptomatik und Verlauf durch die Ernährungstherapie<br />

positiv zu beeinflussen, die Lebensqualität und Funktionalität des Patienten zu erhalten o<strong>der</strong><br />

zu verbessern, Leiden zu lin<strong>der</strong>n und die Morbidität sowie Mortalität zu reduzieren (Volkert et<br />

al., 2004).<br />

Bei Patienten, bei welchen eine orale Nahrungszufuhr (vorübergehend o<strong>der</strong> dauerhaft) nicht<br />

in ausreichendem Maße möglich ist, ist stets die enterale <strong>der</strong> parenteralen Ernährung vorzuziehen,<br />

falls die vorliegende Erkrankung dies zulässt (Braunschweig et al., 2001; Woodcock<br />

et al., 2001). Dies wird mit Hilfe von Ernährungssonden seit über 400 Jahren praktiziert<br />

(Kirby et al., 1995). Bei kurzzeitiger künstlicher enteraler Ernährung steht als Hilfsmittel eine<br />

nasogastrale Sonde <strong>zur</strong> Verfügung. Bei langfristiger <strong>Anlage</strong> ist eine Gastrostomie vorzuziehen,<br />

bei akuten neurologischen Erkrankungen mit Dysphagie wird sie bereits bei <strong>einer</strong> erwarteten<br />

Dauer <strong>der</strong> künstlichen Ernährung von über 14 Tagen empfohlen (Broadley et al.,<br />

2003).<br />

Das zugrunde liegende Erkrankungsspektrum ist sehr weit und umfasst Tumoren des oberen<br />

Gastrointestinaltraktes, neurologische Krankheitsbil<strong>der</strong> wie amyotrophe Lateralsklerose,<br />

Apoplex und an<strong>der</strong>e cerebrovaskuläre Erkrankungen sowie Krankheitsbil<strong>der</strong> <strong>der</strong> Geriatrie,<br />

hier insbeson<strong>der</strong>e die Demenz (Hauser et al., 2004).<br />

Bereits Mitte des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts wurden erste Versuche unternommen, Patienten, denen<br />

eine ausreichende orale Nahrungsaufnahme nicht möglich ist, die Nahrungsaufnahme durch<br />

<strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> Gastrostomie zu ermöglichen. In den folgenden Jahrzehnten fanden zahlreiche<br />

Modifikationen <strong>der</strong> chirurgischen Technik statt, die jedoch ausnahmslos vielfältige Risiken für<br />

den Patienten mit sich brachten (Gau<strong>der</strong>er et al., 1980; Tealey, 1994). Erst im Jahr 1980<br />

entwickelten Gau<strong>der</strong>er, Ponsky und Izant eine Methode <strong>zur</strong> <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> solchen<br />

Gastrostomie, die ohne die Durchführung <strong>einer</strong> Laparotomie umzusetzen ist, die sogenannte<br />

perkutane endoskopische Gastrostomie (PEG) (Gau<strong>der</strong>er et al., 1980). Diese Methode <strong>der</strong><br />

Gastrostomie etablierte sich in den folgenden Jahren als Methode <strong>der</strong> Wahl <strong>zur</strong> Sicherstellung<br />

von enteraler Ernährung über lange Zeiträume. Gründe hierfür waren unter an<strong>der</strong>em die<br />

im Vergleich einfache Durchführung sowie die vergleichsweise niedrige Komplikationsrate im<br />

Zusammenhang mit <strong>der</strong> Prozedur (Gau<strong>der</strong>er, 1999; Rabeneck et al., 1996).<br />

Heute werden in Deutschland schätzungsweise 140000 PEG-Sonden jährlich gelegt (Eibach<br />

& Zwirner, 2002; Wirth et al., 2007). Ein großer Teil <strong>der</strong> PEG-Sonden wird bei älteren Menschen<br />

eingesetzt (Angus & Burakoff, 2003; Brotherton & Lyons, 2006; Callahan et al., 2000).<br />

In Deutschland geht man davon aus, dass etwa 65 Prozent <strong>der</strong> PEG-Sonden auf ältere<br />

Menschen entfallen; an<strong>der</strong>e Schätzungen geben an, dass 70 Prozent bei Heimbewohnern zu<br />

finden sind (Strätling et al., 2005; Wirth et al., 2007). Schätzungsweise 30 bis 50 Prozent<br />

dieser Patienten haben psychische o<strong>der</strong> dementielle Erkrankungen (Cervo et al., 2006;<br />

Dharmarajan et al., 2001; Eibach & Zwirner, 2002; Finucane et al., 2007; Synofzik, 2007).<br />

Während Risiken und Komplikationen, die in direktem Zusammenhang mit <strong>der</strong> <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong><br />

PEG-Sonde stehen, umfassend untersucht und beschrieben wurden, sind Langzeitfolgen<br />

ebenso wie <strong>der</strong> Nachweis des erwarteten Nutzens zum Teil nur un<strong>zur</strong>eichend beschrieben<br />

(Rabeneck et al., 1996).<br />

11


Insbeson<strong>der</strong>e für die Patientengruppe mit dementiellen Erkrankungen wird <strong>der</strong> Nutzen <strong>der</strong><br />

enteralen Ernährung durch eine Ernährungssonde heute infrage gestellt. Zahlreiche Studien<br />

wi<strong>der</strong>legen den Nutzen o<strong>der</strong> aber können einen solchen in Bezug auf Parameter wie die<br />

Überlebenszeit, den funktionalen Status, den Ernährungszustand sowie für die Vermeidung<br />

von Aspirationspneumonien und Dekubitalgeschwüren zumindest nicht nachweisen (Gillick,<br />

2000; Li, 2002; Meier et al., 2001; Murphy & Lipman, 2003). Inwieweit eine Verbesserung <strong>der</strong><br />

Lebensqualität und des Wohlbefindens durch die Ernährung mit <strong>einer</strong> PEG-Sonde bei Menschen<br />

im fortgeschrittenen Lebensalter und mit psychischen o<strong>der</strong> dementiellen Erkrankungen<br />

erreicht werden kann, ist ebenso fraglich. Zwar ist aufgrund <strong>der</strong> kognitiven Situation dieser<br />

Patienten eine Beurteilung <strong>der</strong> Lebensqualität häufig nur un<strong>zur</strong>eichend möglich, jedoch<br />

betonen Kritiker <strong>der</strong> Sondenernährung, dass Daten von Patienten mit an<strong>der</strong>en terminalen<br />

Erkrankungen darauf hindeuten, dass diese in vielen Fällen kein Hunger- und Durstgefühl<br />

erfahren o<strong>der</strong> aber dieses durch minimale Zufuhr von Nahrung und Flüssigkeit gestillt werden<br />

könne (Gillick, 2000; Li, 2002).<br />

Neben dem fehlenden Nachweis eines Nutzens werden auch nachteilige Auswirkungen von<br />

enteraler Ernährung über PEG-Sonden diskutiert. In diesem Zusammenhang werden vor<br />

allem negative Auswirkungen auf psychologische und soziale Aspekte, wie die Verän<strong>der</strong>ung<br />

von Lebensgewohnheiten, von sozialen Kontakten, des Körperbilds sowie <strong>der</strong> Verlust des<br />

Genusses von Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme, hervorgehoben (Brotherton & Lyons,<br />

2006; Gillick, 2000; Liley & Manthorpe, 2003; Rickman, 1998). Des Weiteren existieren Daten,<br />

die Fixierungen bei bis zu 71% <strong>der</strong> Patienten mit dementiellen Erkrankungen und Ernährungssonden<br />

<strong>zur</strong> Vermeidung <strong>einer</strong> Dislokation <strong>der</strong> Sonde belegen (Gillick, 2000; Synofzik,<br />

2007).<br />

Auf Grundlage dieser Daten wird in <strong>der</strong> aktuellen Diskussion um den Umgang mit enteraler<br />

Ernährung durch PEG-Sonden gefor<strong>der</strong>t, dass <strong>der</strong> Entscheidung für o<strong>der</strong> gegen das Anlegen<br />

<strong>einer</strong> PEG-Sonde ein Prozess des sorgfältigen Abwägens von Nutzen und Risiken im<br />

Einzelfall vorangeht. Über den praktischen Verlauf des <strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong>s <strong>zur</strong> Einleitung<br />

<strong>einer</strong> künstlichen enteralen Ernährungsbehandlung mithilfe <strong>einer</strong> PEG liegen bisher<br />

sowohl für den akutstationären Bereich als auch für stationäre Pflegeeinrichtungen in<br />

Deutschland kaum systematische Erkenntnisse vor. Das hier beschriebene Forschungsprojekt<br />

ist darauf ausgerichtet, diese Prozesse näher zu beleuchten.<br />

12


3. <strong>Entscheidungs</strong>findung <strong>zur</strong> PEG<br />

Die Literaturrecherche zeigt, dass im deutschsprachigen Raum kaum Studien durchgeführt<br />

wurden, die sich mit dem Prozess <strong>der</strong> <strong>Entscheidungs</strong>findung im Vorfeld <strong>einer</strong> PEG-<strong>Anlage</strong><br />

auseinan<strong>der</strong>setzen. Lediglich in <strong>einer</strong> Studie, die vom Gesundheitsamt Bremen zum Thema<br />

PEG-Ernährung in <strong>der</strong> stationären Altenpflege durchgeführt wurde, befasste man sich mit<br />

<strong>der</strong> Frage, auf wessen Initiative die <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG-Sonde durchgeführt wird. Es zeigt<br />

sich, dass in den beteiligten Einrichtungen nach Ansicht <strong>der</strong> befragten Heimleitungen in 75%<br />

<strong>der</strong> Fälle die Initiative <strong>zur</strong> <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG-Sonde vom Haus- o<strong>der</strong> Klinikarzt ausgeht. Des<br />

Weiteren werden Mitarbeiter <strong>der</strong> Einrichtungen (14,3%), Angehörige (13,1%) und rechtliche<br />

Betreuer (10,4%) genannt. Bewohner selbst werden nur in 0,9% <strong>der</strong> Fälle als Initiatoren für<br />

die PEG-<strong>Anlage</strong> genannt (Becker & Hilbert, 2004).<br />

International finden sich verschiedene Studien, die sich mit unterschiedlichen Aspekten des<br />

<strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong>s im Vorfeld <strong>der</strong> <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG-Sonde auseinan<strong>der</strong>setzen.<br />

Im Folgenden werden Themenbereiche aufgeführt, die in den einzelnen Studien bearbeitet<br />

wurden.<br />

3.1 Rechtliche und ethische Aspekte<br />

Einen wichtigen Schritt des Prozesses stellt die medizinische Indikationsstellung dar. Diese<br />

bedarf jedoch <strong>einer</strong> differenzierteren Begründung als die bloße Tatsache, dass <strong>der</strong> Patient<br />

un<strong>zur</strong>eichend isst. Der Nachweis positiver Auswirkungen auf Lebensqualität und/o<strong>der</strong> Lebensdauer<br />

muss <strong>der</strong> Einleitung dieser invasiven Behandlungsform zu Grunde liegen. In diesem<br />

Zusammenhang ist problematisch, dass dieser Nutzen, wie bereits aufgeführt, häufig<br />

nicht nachgewiesen ist.<br />

Auch unter ethischen Gesichtspunkten besteht ein Dilemma. Jahrhun<strong>der</strong>telang war die hippokratische<br />

o<strong>der</strong> Fürsorgeethik Handlungsgrundlage des Arztes. Er nutzte seine ärztliche<br />

Fachkompetenz, um dem Kranken zu nützen und Schaden zu vermeiden, berief sich dabei<br />

allein auf sein Urteil, ohne dass <strong>der</strong> Patient als entscheidungsberechtigtes Subjekt die maßgebliche<br />

Rolle spielte (Paternalismus). Die zeitgenössische Ethik stellt hingegen die Autonomie<br />

des Menschen in den Mittelpunkt und ordnet die Fürsorgepflicht des Arztes dem<br />

Selbstbestimmungsrecht des Patienten unter. Dies erfor<strong>der</strong>t das aktive Einbeziehen des Patienten<br />

in den <strong>Entscheidungs</strong>prozess und lässt Konflikte zwischen dem fürsorgeorientierten<br />

Arzt und seinem Patienten entstehen, wenn dieser die ärztlich vorgeschlagene Maßnahme<br />

ablehnt.<br />

Diese dargestellte ethische Problematik hat gewichtige juristische Bedeutung. Nach deutscher<br />

Rechtslage stellt je<strong>der</strong> medizinische Eingriff eine Körperverletzung dar und ist nur<br />

dann nicht rechtswidrig, wenn sie mit Einwilligung des Patienten vorgenommen wird (§§ 223<br />

und 228 StGB). Der Arzt würde sich also strafbar machen, handelte er ohne das Einverständnis<br />

des Patienten o<strong>der</strong> sogar gegen dessen Willen. Er ist somit verpflichtet, das Einverständnis<br />

des Patienten einzuholen. Aufgrund <strong>der</strong> technisch einfachen <strong>Anlage</strong>, <strong>der</strong> relativen<br />

Kostengünstigkeit, <strong>der</strong> niedrigen Komplikationsrate und <strong>der</strong> guten Verfügbarkeit kommt die<br />

PEG zunehmend bei betagten und schwerkranken Patienten zum Einsatz, sodass dadurch<br />

auch die Zahl <strong>der</strong> nicht einwilligungsfähigen Patienten steigt. In diesem Fall sind als <strong>Entscheidungs</strong>träger<br />

die durch eine gesetzliche Betreuung, eine Vorsorgevollmacht o<strong>der</strong> eine<br />

Betreuungsverfügung Bevollmächtigten in den <strong>Entscheidungs</strong>prozess einzubeziehen bzw. in<br />

ungeregelten Situationen Betreuungsverfahren einzuleiten. Da Behandlungsverzicht o<strong>der</strong><br />

Behandlungsabbruch mit letztendlich möglicher Todesfolge vom Gesetzgeber im Betreuungsrecht<br />

nicht geregelt sind, müssen in diesem Zusammenhang auch die höchstrichterlichen<br />

Rechtsprechungen beachtet werden. Das sog. Kemptener Urteil des Bundesgerichtshofes<br />

(BGH) vom 13.09.1994 definierte den „mutmaßlichen Willen“ des Patienten als wesentliches<br />

Kriterium für einen Behandlungsverzicht o<strong>der</strong> – abbruch und stellte hohe Anfor<strong>der</strong>ungen<br />

an dessen Dokumentation (Bundesgerichtshof 1994). Das Urteil des BGH vom<br />

17.03.2003 stärkte nochmals die rechtliche Bedeutung <strong>der</strong> Patientenverfügung („Ist ein Pati-<br />

13


ent einwilligungsfähig und hat sein Grundleiden einen irreversiblen tödlichen Verlauf angenommen,<br />

so müssen lebenserhaltende o<strong>der</strong> –verlängernde Maßnahmen unterbleiben, wenn<br />

dies seinem zuvor – etwa in Form <strong>einer</strong> Patientenverfügung – geäußerten Willen entspricht.“)<br />

(Bundesgerichtshof 2003). Auch die zum 01.09.2009 in Kraft getretene Än<strong>der</strong>ung des<br />

Gesetzes <strong>zur</strong> Patientenverfügung (www.bmj.bund.de/files/-/3741/Gesetzesbeschluss<br />

Patientenverfuegung_Betreuungsrecht.pdf) sowie das aktuelle BGH-Urteil vom 25.06.2010<br />

(juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/ list.py?Gericht=bgh&am p;Art=en&sid=<br />

fb073753be9a42c93028885525e49a4b)<br />

bestätigen erneut das Bestreben <strong>zur</strong> Stärkung<br />

<strong>der</strong> Patientenautonomie. Dies verdeutlicht die Notwendigkeit, vor <strong>der</strong> geplanten<br />

Einleitung <strong>einer</strong> künstlichen Ernährung den mutmaßlichen Willen des Patienten zu eruieren<br />

und eventuell betreuungsrechtliche Fragen zu klären.<br />

3.2 Kommunikation und Information<br />

Kommunikation zwischen den an <strong>der</strong> Entscheidung beteiligten Personen sowie eine umfassende<br />

Information <strong>der</strong> Patienten und ihrer Angehörigen werden als wichtige Bestandteile des<br />

<strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong>s angesehen (Brotherton & Carter, 2007). Dennoch lassen Ergebnisse<br />

aus Studien vermuten, dass insbeson<strong>der</strong>e die Information <strong>der</strong> <strong>Entscheidungs</strong>träger<br />

häufig nur unzulänglich stattfindet. Patienten und Angehörige bemängeln unter an<strong>der</strong>em<br />

inadäquate Informationen bezüglich <strong>der</strong> Methode, <strong>der</strong> potenziellen Komplikationen, <strong>der</strong><br />

Prognose, <strong>einer</strong> möglichen zeitlichen Begrenzung <strong>der</strong> enteralen Ernährung sowie bezüglich<br />

alternativer Maßnahmen <strong>zur</strong> Sicherstellung <strong>der</strong> Ernährung (Golan et al., 2007; Ladas et al.,<br />

2002; Shega et al., 2003; Todd et al., 2005; Van Rosendaal et al., 1999; Van Rosendaal et<br />

al., 1997).<br />

Auch ein zu enger zeitlicher Rahmen für Informationsgespräche wird beanstandet. Insbeson<strong>der</strong>e<br />

für Rückfragen und für Gespräche innerhalb <strong>der</strong> Familie sei vor <strong>der</strong> Entscheidung<br />

häufig keine Zeit (Todd et al., 2005).<br />

Ebenso wird von wi<strong>der</strong>sprüchlichen Informationen <strong>zur</strong> Prognose durch verschiedene Mitglie<strong>der</strong><br />

des therapeutischen Teams sowie von Informationsgesprächen in für den Patienten und<br />

die Angehörigen nicht verständlicher Fachsprache berichtet (Todd et al., 2005; Van Rosendaal<br />

et al., 1999).<br />

Die aufgeführten Ergebnisse werden weiterhin durch eine Studie von Brett und Rosenberg<br />

(2001) unterstützt, die eine Aktenanalyse <strong>zur</strong> Qualität des Informed Consent bei PEG-<strong>Anlage</strong>n<br />

durchführten. Sie bezeichnen die Qualität des Informed Consent auf Grundlage <strong>der</strong> von<br />

ihnen analysierten Akten als nicht angemessen. Zwar sei in allen Fällen ein Standardformular<br />

vorhanden gewesen, jedoch sei lediglich in einem von 154 Fällen eine individuelle Dokumentation<br />

des Informations<strong>prozesse</strong>s erfolgt. In 34 Fällen erfolgte die Zustimmung durch<br />

stellvertretende <strong>Entscheidungs</strong>träger ausschließlich telefonisch.<br />

Anhand <strong>der</strong> Literatur zum Thema kann folglich geschlossen werden, dass die Kommunikation<br />

zwischen den <strong>Entscheidungs</strong>trägern sowie die ausführliche Information <strong>der</strong> Patienten<br />

und ihrer Angehörigen zwar gefor<strong>der</strong>t werden, jedoch in <strong>der</strong> Praxis vielfach nicht o<strong>der</strong> nur<br />

unzulänglich umgesetzt werden.<br />

3.3 Rollenverteilung im <strong>Entscheidungs</strong>prozess<br />

In <strong>der</strong> Literatur werden diverse Personengruppen angeführt, die am <strong>Entscheidungs</strong>prozess<br />

im Vorfeld <strong>einer</strong> PEG-<strong>Anlage</strong> beteiligt sind. Hierzu gehören neben Patienten, Angehörigen<br />

und gesetzlichen Vertretern unterschiedlichste Berufsgruppen des Gesundheitswesens. Es<br />

scheint einvernehmlich anerkannt zu sein, dass die Entscheidung für o<strong>der</strong> gegen die <strong>Anlage</strong><br />

<strong>einer</strong> PEG-Sonde im multidisziplinären Setting stattfinden sollte (Callahan et al., 1999;<br />

Hasan et al., 1995; Todd et al., 2005).<br />

Dennoch werden die behandelnden Ärzte am häufigsten als Initiatoren und <strong>Entscheidungs</strong>träger<br />

genannt. Ebenso wird ihnen die Hauptverantwortung für die Information <strong>der</strong> Patienten<br />

und ihrer Stellvertreter zu gesprochen (Callahan et al., 1999; Todd et al., 2005; Van Rosendaal<br />

et al., 1999).<br />

14


Die Rolle von Pflegekräften im <strong>Entscheidungs</strong>prozess untersuchten Todd et al. (2005) in<br />

<strong>einer</strong> Studie. Sie interviewten hierzu Pflegekräfte, die Erfahrung mit dem Thema PEG aufweisen<br />

konnten. Die befragten Pflegekräfte fühlten sich in den meisten Fällen stark in den<br />

<strong>Entscheidungs</strong>prozess involviert. Sie sahen ihre Hauptverantwortung in <strong>der</strong> Information und<br />

in <strong>der</strong> Beantwortung von Fragen durch Patienten und Angehörige. Des Weiteren empfanden<br />

sie eine Verantwortung im Sinne eines Fürsprechers („advocate“) gegenüber den Patienten.<br />

Als negative Aspekte nannten sie eine mangelnde Information und Kommunikation in <strong>der</strong><br />

Zusammenarbeit mit an<strong>der</strong>en Berufsgruppen. Es scheint stark von den Strukturen des individuellen<br />

Arbeitsbereiches abhängig zu sein, ob Pflegekräfte aktiv in die Entscheidung eingebunden<br />

werden.<br />

Auch Gastroenterologen kritisieren eine zu geringe Einbeziehung in den <strong>Entscheidungs</strong>prozess.<br />

Es ist zumeist unklar, ob ihre Leistung in erster Linie als technischer Service in Anspruch<br />

genommen wird o<strong>der</strong> ob sie eine aktive Rolle bei <strong>der</strong> <strong>Entscheidungs</strong>findung spielen<br />

sollten (Golan et al., 2007; Van Rosendaal et al., 1999).<br />

Neben den genannten Berufsgruppen werden unter an<strong>der</strong>em Sprachtherapeuten, Ernährungsberater<br />

und Seelsorger als weitere Beteiligte am <strong>Entscheidungs</strong>prozess genannt<br />

(Callahan et al., 1999; Shega et al., 2003; Todd et al., 2005). Hierzu liegen jedoch keine<br />

detaillierteren Daten vor.<br />

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass in <strong>der</strong> Literatur zwar eine multidisziplinäre<br />

Entscheidung in Zusammenarbeit mit den Patienten und ihren Angehörigen gefor<strong>der</strong>t wird,<br />

dass jedoch die tragende Rolle im <strong>Entscheidungs</strong>prozess beim ärztlichen Personal zu liegen<br />

scheint. Eine interdisziplinäre Zusammenarbeit scheint nur in unstrukturierter Form vorzuliegen<br />

und es existieren kaum empirische Daten, ob und in welchem Ausmaß diese in <strong>der</strong> Praxis<br />

umgesetzt wird.<br />

3.4 Zufriedenheit mit dem <strong>Entscheidungs</strong>prozess und <strong>der</strong> Entscheidung<br />

Es wurden einige Studien durchgeführt, die sich mit <strong>der</strong> Zufriedenheit <strong>der</strong> <strong>Entscheidungs</strong>träger,<br />

sowohl in Bezug auf den <strong>Entscheidungs</strong>prozess als auch auf Nutzen für den Patienten,<br />

beschäftigen.<br />

In Bezug auf den <strong>Entscheidungs</strong>prozess beklagen Angehörige und auch Patienten in verschiedenen<br />

Studien, un<strong>zur</strong>eichende Möglichkeiten <strong>zur</strong> Beteiligung (Brotherton & Carter,<br />

2007; Golan et al., 2007; Van Rosendaal et al., 1999). An<strong>der</strong>e Autoren berichten vom Fehlen<br />

<strong>einer</strong> tatsächlichen Wahlmöglichkeit. Callahan et al. (1999) berichten beispielsweise, dass<br />

Angehörige die Entscheidung häufig als „foregone conclusion“ empfinden, sobald die Option<br />

<strong>einer</strong> PEG einmal in Betracht gezogen wurde und von Liley und Manthorpe (2003) in <strong>einer</strong><br />

qualitativen Studie befragte Patienten und Angehörige verstanden die erhaltene professionelle<br />

Information als Empfehlung, nicht aber als eine Option mit möglichen Alternativen.<br />

Inwieweit Patienten und Angehörige retrospektiv betrachtet mit <strong>der</strong> Entscheidung für die<br />

PEG zufrieden sind, o<strong>der</strong> ob sie die Richtigkeit dieser Entscheidung infrage stellen, ist anhand<br />

<strong>der</strong> vorliegenden Studien nicht eindeutig zu beantworten. In <strong>einer</strong> Studie von Van Rosendaal<br />

et al. (1997) war ein Teil <strong>der</strong> befragten Angehörigen unsicher, die richtige Entscheidung<br />

getroffen zu haben. Die befragten Patienten hingegen beurteilten die Entscheidung als<br />

richtig. Ergebnisse aus <strong>einer</strong> Studie von Ladas et al. (2002) indessen weisen darauf hin,<br />

dass hier die überwiegende Anzahl <strong>der</strong> befragten Angehörigen auch rückblickend ihre Entscheidung<br />

für die PEG als positiv bewertet und diese Prozedur auch an<strong>der</strong>en Personen in<br />

<strong>einer</strong> ähnlichen Situation empfehlen würden. Auch in <strong>einer</strong> Studie von Brotherton et al.<br />

(2007) gaben über 70% <strong>der</strong> Patienten und <strong>der</strong> Angehörigen an, dass sie die gleiche<br />

Entscheidung noch einmal treffen würden, wenn die Möglichkeit bestände. Allerdings gaben<br />

in dieser Studie auch über 50% <strong>der</strong> Patienten an, dass sie die Sondenernährung absetzen<br />

würden, wenn sie die Wahl hätten.<br />

McNabney et al. (1994) berichten, dass zwar <strong>der</strong> überwiegende Anteil <strong>der</strong> befragten<br />

Angehörigen angab, mit <strong>der</strong> Entscheidung für die PEG zufrieden zu sein und diese wie<strong>der</strong>-<br />

15


holen würde, dass aber nur etwa ein Drittel dieser Angehörigen <strong>der</strong> Meinung war, dass <strong>der</strong><br />

Patient diese Entscheidung gewollt hätte.<br />

Wie Pflegekräfte, Ärzte o<strong>der</strong> Beteiligte an<strong>der</strong>er Berufsgruppen Entscheidungen, die im Zusammenhang<br />

mit <strong>einer</strong> PEG-<strong>Anlage</strong> getroffen werden, beurteilen, ist anhand <strong>der</strong> <strong>zur</strong> Verfügung<br />

stehenden Literatur kaum ersichtlich.<br />

Lediglich die Studie von Brotherton et al. (2007) beschäftigt sich mit dieser Frage. Hier wurden<br />

neben Patienten und Angehörigen auch Pflegekräfte und Ernährungsberater befragt,<br />

von denen <strong>der</strong> jeweils überwiegende Teil angab mit <strong>der</strong> Entscheidung für eine PEG bei dem<br />

betreffenden Patienten zufrieden zu sein.<br />

Insgesamt liegen zu diesen Personengruppen jedoch keine aussagekräftigen Informationen<br />

vor.<br />

3.5 Relevante Einflussfaktoren für die Entscheidung<br />

In <strong>der</strong> Literatur finden sich zahlreiche Einflussfaktoren, die im <strong>Entscheidungs</strong>prozess für o<strong>der</strong><br />

gegen die <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG, von Bedeutung sind.<br />

Im Vor<strong>der</strong>grund <strong>der</strong> Entscheidung scheint in den meisten Fällen <strong>der</strong> Nutzen für den Patienten<br />

zu stehen. Hierbei wird ein positiver Effekt auf verschiedene Aspekte, wie beispielsweise<br />

die Lebensqualität, den Ernährungszustand, die Überlebensdauer o<strong>der</strong> auch die Vermeidung<br />

von Aspiration und damit einhergehenden Pneumonien erwartet (Callahan et al., 1999;<br />

Golan et al., 2007; Hasan et al., 1995; Ladas et al., 2002; Shega et al., 2003; Van Rosendaal<br />

et al., 1999).<br />

Neben diesen Erwartungen spielen jedoch auch an<strong>der</strong>e Faktoren eine Rolle im <strong>Entscheidungs</strong>prozess.<br />

Häufig werden von Ärzten ökonomische Gesichtspunkte genannt, die auf ihre<br />

Entscheidung für o<strong>der</strong> gegen eine PEG-<strong>Anlage</strong> einwirken. Beispielsweise wird berichtet,<br />

dass die PEG-<strong>Anlage</strong> vor dem Hintergrund <strong>einer</strong> Verlegung in ein Pflegeheim forciert wird.<br />

Dies wird unter an<strong>der</strong>em damit begründet, dass in den USA für Bewohner, die mittels <strong>einer</strong><br />

PEG-Sonde enteral ernährt werden, ein finanzieller Ausgleich an die Pflegeeinrichtungen<br />

entrichtet wird (Golan et al., 2007; Van Rosendaal et al., 1999). Ärzte gaben außerdem an,<br />

dass For<strong>der</strong>ungen durch Pflegeeinrichtungen eine PEG anzulegen ihre Entscheidung für<br />

eine PEG beeinflussen würden (Shega et al., 2003).<br />

Auch eine Erleichterung <strong>der</strong> Situation für die pflegenden Angehörigen durch das Anlegen<br />

<strong>einer</strong> PEG-Sonde wurde von Ärzten und Pflegekräften als entscheiden<strong>der</strong> Faktor genannt<br />

(Callahan et al., 1999; Todd et al., 2005). Ärzte fühlen sich darüber hinaus verpflichtet PEGs<br />

zu empfehlen, in Situationen in denen sie dieses Vorgehen als „standard of care“ empfinden<br />

o<strong>der</strong> wenn sie sich durch an<strong>der</strong>e Berufsgruppen beeinflusst fühlen (Shega et al., 2003).<br />

Ein weiterer wichtiger Aspekt für den <strong>Entscheidungs</strong>prozess im Zusammenhang mit <strong>einer</strong><br />

PEG ist <strong>der</strong> (mutmaßliche) Wille des Patienten. Problematisch ist, dass Patienten aufgrund<br />

ihrer gesundheitlichen und kognitiven Situation häufig nicht in <strong>der</strong> Lage sind, ihre Wünsche<br />

bezüglich <strong>einer</strong> enteralen Ernährung zu äußern.<br />

Cogen et al. (1992) berichten, dass annähernd 70% <strong>der</strong> von ihnen befragten Angehörigen<br />

angaben, die Entscheidung für die PEG nicht auf Grundlage von Statements und Aussagen<br />

des Patienten getroffen zu haben und Studienergebnisse von Van Rosendaal et al. (1999)<br />

zeigten, dass auch wenn eine Willensäußerung des Patienten in schriftlicher o<strong>der</strong> mündlicher<br />

Form vorlag, diese in 42% <strong>der</strong> Fälle nicht berücksichtigt wurde. Die näheren Umstände dieser<br />

Entscheidungen sind jedoch in beiden Studien nicht näher untersucht. Von den durch<br />

Shega et al. (2003) befragten Ärzten gaben 36% an, dass sie eine PEG entgegen dem zu<br />

einem früheren Zeitpunkt geäußerten Willen des Patienten anlegen würden, wenn dies <strong>der</strong><br />

Wunsch <strong>der</strong> Angehörigen sei.<br />

Problematisch scheint jedoch vor allem, dass in den meisten Fällen eine Willensäußerung<br />

des Patienten nicht <strong>zur</strong> Verfügung steht (Callahan et al., 1999; McNabney et al., 1994).<br />

16


Als weitere Faktoren, die einen Einfluss auf die Entscheidung für o<strong>der</strong> gegen eine PEG haben,<br />

wurden kulturelle, moralische und religiöse Ansichten genannt und auch die Angst davor<br />

den Patienten verhungern zu lassen, stellt einen wichtigen Aspekt bei <strong>der</strong> <strong>Entscheidungs</strong>findung<br />

dar (Callahan et al., 1999; Todd et al., 2005; Van Rosendaal et al., 1999; Van<br />

Rosendaal et al., 1997).<br />

Die aufgeführten Studienergebnisse zeigen, dass verschiedenste Aspekte im Rahmen des<br />

<strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong>s für o<strong>der</strong> gegen eine PEG-<strong>Anlage</strong> eine Rolle spielen. Es lassen sich<br />

jedoch keine Regelmäßigkeiten feststellen und anhand <strong>der</strong> <strong>zur</strong> Verfügung stehenden Literatur<br />

ist zu vermuten, dass es sich hierbei um individuelle Prioritäten handelt, die am ehesten<br />

von den beteiligten Personen und <strong>der</strong>en Einstellung abhängig sind. Eine strukturierte Erfassung<br />

<strong>der</strong> für die Entscheidung relevanten Aspekte wird nicht beschrieben.<br />

3.6 Forschungsgegenstand<br />

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass eine beträchtliche Anzahl an Studien vorliegt,<br />

die sich mit dem <strong>Entscheidungs</strong>prozess im Vorfeld <strong>einer</strong> PEG-<strong>Anlage</strong> auseinan<strong>der</strong>setzen.<br />

Allerdings behandeln die einzelnen Studien sehr unterschiedliche Facetten des <strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong>s,<br />

sodass die Ergebnisse nur unter Vorbehalt vergleichbar sind. Zudem weisen<br />

einige <strong>der</strong> Studien methodische Schwächen sowie geringe Stichprobengrößen auf, sodass<br />

die Ergebnisse lediglich bedingt repräsentativ sind. Zur Situation in Deutschland liegen<br />

darüber hinaus kaum Daten vor. Die beschriebenen Ergebnisse aus an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n sind<br />

insbeson<strong>der</strong>e aufgrund <strong>der</strong> speziellen ethischen und kulturellen Problematik des Themas<br />

jedoch nur schwierig auf die deutsche Situation übertragbar. Es scheint deshalb sinnvoll sich<br />

mit dieser Thematik auch vor dem Hintergrund <strong>der</strong> speziellen Situation in <strong>der</strong> BRD näher zu<br />

beschäftigen. Auch aufgrund <strong>der</strong> Tatsache, dass die Studien zahlreiche Problemfel<strong>der</strong> im<br />

Zusammenhang mit dem <strong>Entscheidungs</strong>prozess rund um die PEG aufgezeigt haben, handelt<br />

es sich hierbei um ein relevantes Forschungsthema.<br />

Desweiteren kann gesagt werden, dass die Entscheidung für o<strong>der</strong> gegen die <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong><br />

PEG-Sonde <strong>zur</strong> enteralen Ernährung in vielen Fällen nur schwierig zu treffen ist. Es wird<br />

empfohlen diese Entscheidungen im interdisziplinären Team und unter Einbeziehung des<br />

Patienten und s<strong>einer</strong> Angehörigen zu treffen (Arvanitakis et al., 2006; Löser & Müller, 1998).<br />

Ebenso wird angeraten in schwierigen Fällen eine Ethikkommission <strong>zur</strong>ate zu ziehen (Eibach<br />

& Zwirner, 2002; Mackie, 2001; Morgenstern et al., 2005) und auch die Nutzung von<br />

Richtlinien <strong>zur</strong> <strong>Entscheidungs</strong>findung hat sich als sinnvoll erwiesen (Löser et al., 2005).<br />

Inwieweit diese Empfehlungen <strong>zur</strong> <strong>Entscheidungs</strong>findung in <strong>der</strong> Praxis Anwendung finden<br />

und wie <strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong> im Vorfeld <strong>der</strong> <strong>Anlage</strong> von PEG-Sonden stattfinden, ist bisher<br />

fraglich und ist Thema des hier beschriebenen Forschungsprojektes.<br />

Das Projekt ist in drei Teilbereiche unterteilt:<br />

� Dokumentationsanalyse im akutstationären Bereich<br />

� Dokumentationsanalyse in Altenpflegeeinrichtungen<br />

� Interviews mit Pflegenden aus Altenpflegeeinrichtungen und nie<strong>der</strong>gelassenen Ärzten<br />

Im folgenden Bericht werden zunächst die einzelnen Teilprojekte (vgl. Abb. 1) und <strong>der</strong>en<br />

Ergebnisse vorgestellt. Abschließend folgt eine gemeinsame Diskussion <strong>der</strong> Ergebnisse.<br />

17


Abbildung 1: Aufbau des Forschungsprojektes zum <strong>Ablauf</strong> von <strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong>n <strong>zur</strong> <strong>Anlage</strong><br />

<strong>einer</strong> <strong>perkutanen</strong> endoskopischen Gastrostomie (PEG)<br />

18


4. Der <strong>Entscheidungs</strong>prozess <strong>zur</strong> <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG-Sonde im<br />

Krankenhaus<br />

Rainer Markgraf, Julia Müller<br />

4.1 Patienten und Methodik<br />

Die Untersuchung zum <strong>Entscheidungs</strong>prozess vor Einleitung <strong>einer</strong> künstlichen Ernährungsbehandlung<br />

über PEG konnte und sollte keine repräsentative Darstellung dieses Prozesses<br />

in Deutschland sein. Vielmehr galt die Untersuchung <strong>der</strong> Beschreibung <strong>der</strong> <strong>Entscheidungs</strong>findung<br />

an großen Kliniken, in denen häufig perkutane Ernährungssonden gelegt werden<br />

und in denen unterschiedliche Versorgungsstrukturen bestehen, innerhalb <strong>der</strong>er die künstliche<br />

Ernährung eingeleitet und durchgeführt wird.<br />

Teilnehmende Kliniken<br />

Die Untersuchung erfolgte an einem Krankenhaus <strong>der</strong> Maximalversorgung, dem Klinikum<br />

Lüdenscheid, mit dem Einzugsgebiet <strong>der</strong> Kreisstadt Lüdenscheid und den umgebenden<br />

ländlichen Gemeinden des Märkischen Kreises in <strong>der</strong> Abteilung Innere Medizin I (Gastroenterologie<br />

und Endokrinologie), in <strong>der</strong> häufig und nach bisherigen Angaben auch im Rahmen<br />

von Auftragsleistungen PEG-<strong>Anlage</strong>n erfolgen. Als Klinik <strong>der</strong> Maximalversorgung verfügt das<br />

Krankenhaus neben mehreren inneren Abteilungen auch über eine neurologische Abteilung<br />

mit Stroke-Unit sowie Möglichkeiten zu onkologischen Behandlungsmaßnahmen in konservativen,<br />

operativen und strahlentherapeutischen Abteilungen.<br />

Die zweite Klinik ist ein Krankenhaus <strong>der</strong> Schwerpunktversorgung, das Allgemeine Krankenhaus<br />

Hagen, mit dem Einzugsgebiet <strong>der</strong> Großstadt Hagen sowie angrenzen<strong>der</strong> kl<strong>einer</strong>er<br />

Gemeinden. PEG-<strong>Anlage</strong>n erfolgen hier im gastroenterologischen Schwerpunkt <strong>der</strong> großen<br />

Medizinischen Klinik. Am Krankenhaus erfolgen onkologische Therapien in konservativen,<br />

operativen und strahlentherapeutischen Abteilungen. Eine neurologische Abteilung existiert<br />

nicht.<br />

Das dritte Klinikum sind die St. Antonius-Kliniken mit den Standorten Wuppertal-Barmen<br />

(Akutgeriatrie) und Velbert-Neviges (rehabilitative Geriatrie) mit den Einzugsgebieten <strong>der</strong><br />

beiden Städte sowie umliegen<strong>der</strong> Gemeinden. Hier erfolgte die Untersuchung in den geriatrischen<br />

Abteilungen, die wegen ihres strukturierten diagnostischen und therapeutischen <strong>Ablauf</strong>s<br />

(geriatrisches Assessment, geriatrische Teambehandlung) sowie regelmäßig erfolgen<strong>der</strong><br />

PEG-<strong>Anlage</strong>n ausgewählt wurden.<br />

Patienten<br />

Basis <strong>der</strong> Untersuchung waren die Endoskopie-Dokumentationen <strong>der</strong> die PEG-Eingriffe<br />

durchführenden Funktionsabteilungen, anhand <strong>der</strong>er alle Patienten, die im Rahmen eines<br />

stationären Aufenthaltes eine PEG erhielten, erfasst wurden. Es erfolgte zum einen für alle<br />

Patienten, die zwischen dem 01.01.2007 und dem 31.12.2007 eine PEG erhielten eine detaillierte<br />

Analyse <strong>der</strong> Krankenakte. Um zwischen tatsächlich fehlenden Informationen und<br />

eventuellen Dokumentationsmängeln unterscheiden zu können, wurden zusätzlich zeitnah<br />

<strong>zur</strong> PEG-<strong>Anlage</strong> die Krankenunterlagen aller Patienten zwischen dem 01.07.2008 und dem<br />

31.01.2009 analysiert und in Ergänzung bei in den Dokumenten fehlenden Angaben die ärztlichen<br />

und pflegerischen Mitarbeiter <strong>zur</strong> Komplettierung <strong>der</strong> Informationen befragt. Dies erfolgte<br />

bewusst nach dem jeweiligen Aufenthalt <strong>der</strong> Patienten, um den <strong>Ablauf</strong> selbst nicht zu<br />

beeinflussen.<br />

Datenerhebung<br />

Die Extraktion <strong>der</strong> Daten aus den Krankenunterlagen geschah anhand <strong>einer</strong> strukturierten<br />

Checkliste (<strong>Anlage</strong>), die für jeden Patienten zunächst anhand <strong>der</strong> Krankenakte abgearbeitet<br />

und in <strong>der</strong> zweiten Patientengruppe durch Befragung von Ärzten o<strong>der</strong> Pflegekräften ergänzt<br />

wurde.<br />

Erfasst wurden demographische Patientendaten, Krankenhausaufenthaltsdauer, Pflegebedürftigkeit<br />

vor und nach dem stationären Aufenthalt, die medizinische Indikation <strong>zur</strong> PEG-<br />

19


<strong>Anlage</strong> in Form <strong>der</strong> Grun<strong>der</strong>krankung und dem Anlass <strong>zur</strong> Einleitung <strong>der</strong> Ernährungsbehandlung<br />

sowie <strong>der</strong> Erkrankungsprognose, Informationen zum Ernährungsstatus und <strong>der</strong><br />

Ernährungsanamnese sowie <strong>zur</strong> Schluckfähigkeit des Patienten, Informationen <strong>zur</strong> Aufklärungs-<br />

und Einwilligungsfähigkeit des Patienten, zu eventueller neuropsychiatrischer Diagnostik<br />

sowie zu Betreuungen, Vorsorgevollmachten, Patientenverfügungen und in den <strong>Entscheidungs</strong>prozess<br />

einbezogener Personengruppen.<br />

Berücksichtigt wurden dabei sowohl die Verwaltungsdaten, die ärztlichen Abschlussberichte,<br />

die Visitendokumentationen, die Pflegeberichte, die Einweisungsdokumente, Konsiliar- und<br />

Testberichte, Dokumentationen von Teamsitzungen und jedwede weitere Aktenvermerke.<br />

Bei den Befragungen wurden gezielt aus den Akten nicht erhebbare Informationen erfragt,<br />

ebenfalls an Hand <strong>der</strong> Checkliste.<br />

Bei Interpretations- o<strong>der</strong> Ermessensspielräumen in <strong>der</strong> Informationsbewertung wurde wie<br />

folgt vorgegangen:<br />

Diagnosen: Die Einweisungsdiagnose wurde entwe<strong>der</strong> dem Einweisungsschein des Hausarztes,<br />

dem Notarzt- o<strong>der</strong> Rettungsdienstprotokoll o<strong>der</strong> bei Selbsteinweisung <strong>der</strong> Dokumentation<br />

des aufnehmenden Arztes entnommen. Als Hauptdiagnose wurde die im Abschlussbericht<br />

des Krankenhauses angeführte Diagnose gewertet, darüber hinaus die Nebendiagnosen<br />

erfasst. Die Unterscheidung in akute o<strong>der</strong> chronische Grun<strong>der</strong>krankung basierte auf <strong>der</strong><br />

Anamnesedokumentation bezüglich Neuauftreten <strong>der</strong> Symptomatik o<strong>der</strong> bereits vorbestehen<strong>der</strong><br />

Symptome. Die Prognoseeinschätzung erfolgte als zusammenfassendes Urteil des<br />

ärztlichen Datenauswerters, wobei die Prognose bei fortgeschrittener Demenz o<strong>der</strong> Multimorbidität<br />

mit Pflegebedürftigkeit als schlecht, bei Akutereignissen (z.B. zerebraler Insult)<br />

und deutlicher Symptombesserung während des Krankenhausaufenthaltes wie auch bei kurativ<br />

behandelbaren Malignomerkrankungen als gut eingeschätzt wurde.<br />

Indikationen: Als Anlass <strong>zur</strong> <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG (konkrete Indikation, z.B. Dysphagie, Nahrungsverweigerung<br />

etc.) wurden die in den verschiedenen Indikationsdokumenten (Endoskopieanfor<strong>der</strong>ung,<br />

Pflegebericht, Visitenvermerk o<strong>der</strong> Entlassungsbericht) angegebenen<br />

Gründe gewertet, wobei Überschneidungen möglich waren und hier vom Auswerter gewichtet<br />

wurde. Nahrungsverweigerung wurde als Anlass nur dann gewertet, wenn hierzu eine<br />

ausdrücklich Bezugnahme auf die Indikationsstellung zu finden war. Sowohl bei den Grun<strong>der</strong>krankungen<br />

als auch den Anlässen <strong>zur</strong> PEG-<strong>Anlage</strong> wurde gruppiert, bei den Diagnosen in<br />

zerebraler Insult, Demenz, an<strong>der</strong>e neurologische Erkrankungen, Tumorerkrankungen und<br />

sonstige Erkrankungen, bei den Anlässen in akut neurologische Symptome, PEG-<strong>Anlage</strong> im<br />

Rahmen von Intensivtherapie, Nahrungsverweigerung, Dysphagie und verschiedene, wobei<br />

hierunter als allgemein un<strong>zur</strong>eichend bewertete Nahrungsaufnahme o<strong>der</strong> auch prophylaktische<br />

PEG-<strong>Anlage</strong>n im Rahmen erwarteter Ernährungsstörung bei Tumortherapie fielen.<br />

Einwilligungsfähigkeit: Als nicht einwilligungsfähig wurde alle Patienten mit gesetzlich eingerichteter<br />

Betreuung gewertet. Bei nicht betreuten Patienten wurden Bewertungen <strong>der</strong> <strong>Entscheidungs</strong>fähigkeit<br />

in Visitenberichten, neuropsychiatrischen Konsiliarbewertungen o<strong>der</strong><br />

Demenzteste zugrunde gelegt. Nicht Ziel <strong>der</strong> Untersuchung war es zu prüfen, ob bei vorliegen<strong>der</strong><br />

gesetzlicher Betreuung trotzdem eine <strong>Entscheidungs</strong>fähigkeit bezüglich medizinischer<br />

Maßnahmen bestand.<br />

Einbezogene Personenkreise: Die Kontaktaufnahme zu Betreuern, Bevollmächtigten o<strong>der</strong><br />

Angehörigen wurde entsprechenden Vermerken in den Krankendokumenten entnommen<br />

o<strong>der</strong> durch Nachbefragung ergänzt. Als Beteiligung des Hausarztes an <strong>der</strong> Indikationsstellung<br />

wurde neben <strong>der</strong> dokumentierten Kontaktaufnahme zum Hausarzt auch eine durch den<br />

Hausarzt gezielt <strong>zur</strong> PEG-<strong>Anlage</strong> ausgestellte Einweisung gewertet.<br />

Pflegebedürftigkeit: Basis <strong>der</strong> Einschätzung <strong>der</strong> Pflegebedürftigkeit waren vorliegende Informationen<br />

über persönliche o<strong>der</strong> institutionelle Pflegemaßnahmen bzw. nach stationärem<br />

Aufenthalt <strong>der</strong> Entlassungsort des Patienten mit Angaben <strong>zur</strong> Pflegeorganisation. Dabei wurden<br />

poststationär als selbständig auch solche Patienten eingestuft, die in Rehabilitationseinrichtungen<br />

verlegt wurden, da Angaben über den Rehabilitationserfolg nicht vorlagen, so<br />

dass <strong>der</strong> Anteil <strong>der</strong> nachstationär selbständigen Patienten wahrscheinlich als geringer anzunehmen<br />

ist.<br />

20


Datenauswertung<br />

Die Daten wurden in die Eingabemaske <strong>einer</strong> relationalen Datenbank (Microsoft Access)<br />

eingegeben und in das Statistikpaket SPSS übertragen, hier auf Vollständigkeit und Plausibilität<br />

überprüft, korrigiert und dann anonymisiert. Die statistische Auswertung erfolgte mit dem<br />

SPSS-Base- und Professional-Modul.<br />

Datenschutz<br />

Die aus den Krankendokumenten extrahierten Checklisten wurden unter Verschluss<br />

gehalten und waren nur dem ärztlichen Datenauswerter und dem Untersuchungsleiter<br />

zugänglich. Die EDV-Daten wurden nach Qualitätstest anonymisiert. Der Untersuchung<br />

wurde nach Vorlage des Studienprotokolls einschließlich <strong>der</strong> Maßnahmen zum Datenschutz<br />

von <strong>der</strong> Ethikkommission des Instituts für Pflegewissenschaft <strong>der</strong> Universität<br />

Witten/Herdecke stattgegeben.<br />

4.2 Ergebnisse<br />

Insgesamt wurden die Daten von 277 Patienten erhoben, davon 63 am Allgemeinen Krankenhaus<br />

Hagen, 109 am Klinikum Lüdenscheid sowie 105 in den St. Antonius-Kliniken Wuppertal.<br />

Die Gruppe <strong>der</strong> rein retrospektiv analysierten Patienten betrug 229, bei 48 wurden<br />

fehlende Daten durch ergänzende Befragung komplettiert. Die Basisdaten <strong>der</strong> Patienten sind<br />

in Tabelle 1 sowie den Abbildungen 1 bis3 zusammengefasst.<br />

Abb. 1 Beteiligte Kliniken<br />

Parameter Gesamt AKH LÜD WUP<br />

Fallzahl 277 63 109 105<br />

Alter* 75,6 (80; 1- 69 (76; 1- 73 (77; 15- 82 (82; 67-<br />

98)<br />

93)<br />

91)<br />

98)<br />

Geschlecht weiblich 161 (58,1 %) 36 (57,1 %) 51 (46,8 %) 74 (70,5 %)<br />

Selbständigkeit 111 (40,1 %) 30 (47,6 %) 54 (49,5 %) 27 (25,7 %)<br />

Aufenthaltsdauer* 23,1 (20; 1- 27 (20; 1- 20 (14; 2-63) 24 (22; 1-70)<br />

83)<br />

83)<br />

Todesfälle 34 (12,6 %) 8 (12,7 %) 9 (8,3 %) 18 (17,1 %)<br />

* Mittelwert (Median; Min – Max)<br />

Tabelle 1 Basisdaten<br />

Abb. 2 Datenerhebung<br />

21


Abb. 3 Datenerhebung nach Kliniken<br />

Das Durchschnittsalter <strong>der</strong> Patienten liegt auch in den internistischen Akutabteilungen im<br />

geriatrischen Bereich, ist aber deutlich niedriger als in den geriatrischen Kliniken. Durch einzelne<br />

Patienten im Kindes- und Jugendalter in den internistischen Abteilungen ist <strong>der</strong> Altersmittelwert<br />

niedriger als <strong>der</strong> Median. Der Anteil weiblicher Patienten ist in <strong>der</strong> Geriatrie mit<br />

mehr als zwei Drittel deutlich höher als in den an<strong>der</strong>en Abteilungen. Im Klinikum Lüdenscheid<br />

überwiegen sogar die Männer. Der Anteil <strong>der</strong> vor dem stationären Aufenthalt pflegerisch<br />

selbständigen Patienten liegt in allen Kliniken unter 50%, in <strong>der</strong> Geriatrie sogar nur bei<br />

etwa einem Viertel <strong>der</strong> Patienten. Die Krankenhausaufenthaltsdauer liegt trotz einiger Kurzaufenthalte<br />

im Durchschnitt bei zwei bis drei Wochen. Die Todesfälle während des stationären<br />

Aufenthaltes liegen zwischen 8% und 17% mit dem höchsten Wert in <strong>der</strong> Geriatrie.<br />

Die Altersverteilung <strong>der</strong> Patienten zeigt die Abbildung 4. Nur in den akut-internistischen Abteilungen<br />

finden sich einzelne jüngere Patienten, in <strong>der</strong> Geriatrie werden definitionsgemäß<br />

nur über 65-jährige Patienten behandelt.<br />

Abb. 4 Altersverteilung<br />

Die vorstationäre Pflegebedürftigkeit <strong>der</strong> Patienten im einzelnen ist in Abbildung 5 dargestellt,<br />

<strong>der</strong> Anteil pflegebedürftiger Patienten, insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> Heimbewohner, ist in <strong>der</strong> Geriatrie<br />

deutlich am größten.<br />

22


Abb. 5 Pflegebedürftigkeit<br />

Die Verteilung <strong>der</strong> Krankenhausaufenthaltsdauern findet sich in Abbildung 6. Es wird erkennbar,<br />

dass Kurzaufenthalte bis zu vier Tagen nur einen sehr geringen Anteil ausmachen<br />

und noch am ehesten im Allgemeinen Krankenhaus Hagen vorkommen. Dies wird weiter<br />

unten im Zusammenhang mit dem Erkrankungsspektrum näher dargestellt.<br />

Abb. 6 Aufenthaltsdauer<br />

Indikationen<br />

Die <strong>der</strong> Einleitung künstlicher Ernährungsbehandlung zugrunde liegenden Erkrankungen<br />

werden gruppiert in Abbildung 7 dargestellt. Es zeigt sich zunächst, dass die überwiegende<br />

Zahl <strong>der</strong> Patienten an altersneurologischen Erkrankungen leidet. Die Betrachtung nach einzelnen<br />

Kliniken weist aber deutliche Unterschiede auf. Im Klinikum Lüdenscheid mit neurologischer<br />

Abteilung und Stroke-Unit sowie in <strong>der</strong> Geriatrie finden sich deutlich häufiger Patienten<br />

mit Apoplex-Erkrankungen, während im Allgemeinen Krankenhaus Hagen ein hoher Anteil<br />

<strong>der</strong> Patienten an Tumorleiden erkrankt ist. Etwa ein Viertel <strong>der</strong> Patienten weist Demenzerkrankungen<br />

auf. Dieser Anteil ist mit etwa 34% in <strong>der</strong> Geriatrie am höchsten.<br />

23


Abb. 7 Grun<strong>der</strong>krankung<br />

Vergleicht man Grun<strong>der</strong>krankungen und konkrete Ernährungsindikationen <strong>der</strong> über und unter<br />

65-Jährigen und damit grundsätzlich <strong>der</strong> geriatrischen bzw. nicht geriatrischen Patienten<br />

(Abbildung 8), so zeigt sich, dass bei den Jüngeren an<strong>der</strong>e neurologische Erkrankungen als<br />

Schlaganfälle o<strong>der</strong> Demenz sowie Tumorleiden im Vor<strong>der</strong>grund stehen und intensivmedizinische<br />

Fälle einen relevanten Anteil einnehmen, während die Dysphagie-Problematik in beiden<br />

Altersgruppen in etwa gleich relevanter Häufigkeit auftaucht.<br />

Abb. 8 Diagnose und Indikation <strong>der</strong> über und unter 65-Jährigen<br />

Die Diagnoseverteilung <strong>der</strong> Kurzlieger unter fünf Tage zeigt Abbildung 9. Hier handelt es sich<br />

möglicherweise um Zielaufträge <strong>zur</strong> PEG-<strong>Anlage</strong>, obwohl dies in den Dokumenten nicht<br />

durchgehend vermerkt ist (siehe unten). Da die Fallzahlen dieser Gruppe klein sind, wurde<br />

auf eine prozentuale Darstellung verzichtet.<br />

24


Abb. 9 Diagnosen <strong>der</strong> Kurzlieger (


Abb. 11 Anamnese Gewichtsverlust<br />

Abb. 12 Biometrische Daten<br />

Die Daten <strong>zur</strong> Indikation Dysphagie finden sich in den Abbildungen 13-15. In den Dokumenten<br />

findet sich bei gut 72% <strong>der</strong> Patienten die Dysphagie als beschriebenes Symptom. Eine<br />

weitergehende Abklärung <strong>der</strong> Symptomatik erfolgte bei 57% aller Patienten, entsprechend<br />

80% <strong>der</strong> dysphagischen Patienten. Dies geschah bei 51% <strong>der</strong> Patienten durch klinisch-logopädische<br />

Diagnostik, entsprechend 70% <strong>der</strong> dysphagischen Patienten, und nur ausnahmsweise<br />

durch apparative Diagnostik wie Endoskopie o<strong>der</strong> Röntgen. Aufgeschlüsselt nach Kliniken<br />

zeigen sich deutliche Unterschiede. In den geriatrischen Kliniken gehörte die Dysphagie-Diagnostik<br />

fast <strong>zur</strong> Regel. Im Klinikum Lüdenscheid erfolgte sie bei etwa <strong>der</strong> Hälfte <strong>der</strong><br />

Patienten, im Allgemeinen Krankenhaus Hagen nur ausnahmsweise. Die aus <strong>der</strong> logopädischen<br />

Diagnostik abgeleiteten Konsequenzen für die orale Nahrungszufuhr führten in 45%<br />

<strong>der</strong> entsprechend untersuchten Patienten zu Einschränkungen in <strong>der</strong> oralen Nahrungszufuhr<br />

und bei 50% zu einem vollständigen Schluckverbot.<br />

Abb. 13 Dysphagie-Abklärung<br />

26


Abb. 14 Dysphagie-Abklärung nach Klinken<br />

Abb. 15 Dysphagie-Befund<br />

Eine Aufnahme nur <strong>zur</strong> <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG erfolgte bei 29 Patienten, entsprechend 10,5%,<br />

wobei dies bei 13 Patienten, entsprechend 21%, am häufigsten am Allgemeinen Krankenhaus<br />

Hagen geschah (Abbildung 16).<br />

Abb. 16 Zielauftrag PEG nach Kliniken<br />

Die diagnostische Verteilung dieser Patienten zeigt ein Überwiegen <strong>der</strong> Demenzkranken, am<br />

Allgemeinen Krankenhaus Hagen zusätzlich Tumorpatienten (Abbildung 17).<br />

27


Abb. 17 Zielauftrag PEG - Diagnosen<br />

Von vorn herein als vorübergehend wurde die PEG-<strong>Anlage</strong> bei 10 Patienten, entsprechend3,6%,<br />

angesehen, wobei es sich hier überwiegend um Intensivpatienten handelte (Abbildung<br />

18).<br />

Abb. 18 Indikationen temporärer PEG-<strong>Anlage</strong><br />

Bei 130 Patienten, entsprechend 47%, blieb die Frage <strong>der</strong> Dauerhaftigkeit <strong>der</strong> PEG-<strong>Anlage</strong>anfangs<br />

unklar. Die diagnostische Aufteilung zeigt, dass es sich hier in den Kliniken Lüdenscheid<br />

und Wuppertal passend zum Versorgungsspektrum überwiegend um Schlaganfallpatienten,<br />

im Allgemeinen Krankenhaus Hagen um Tumorpatienten handelte (Abbildung 19).<br />

Abb. 19 Diagnosen unklarer PEG-Dauer<br />

<strong>Entscheidungs</strong>prozess <strong>zur</strong> PEG-<strong>Anlage</strong><br />

80% <strong>der</strong> Patienten waren gemäß <strong>der</strong> Definition im Methodikkapitel als nicht entscheidungsfähig<br />

einzustufen. Dies verteilte sich gemäß Abbildung 20 auf die drei Kliniken unterschiedlich.<br />

Der Prozentsatz lag in den geriatrischen Abteilungen mit 88% am höchsten<br />

28


Abb. 20 Einwilligungsfähigkeit nach Kliniken<br />

Betrachtet man in diesem Zusammenhang geson<strong>der</strong>t die Gruppe <strong>der</strong> Tumorkrankheiten, so<br />

finden sich diese überwiegend am Allgemeinen Krankenhaus Hagen. Bei ihnen waren im<br />

Unterschied zum Gesamtkollektiv 75% <strong>der</strong> Patienten einwilligungsfähig. Entsprechend fand<br />

sich nur in 22% eine gesetzliche Betreuung (Abbildung 21).<br />

Abb. 21 Tumorkranke<br />

Die Bewertung als einwilligungsunfähig basierte im Wesentlichen auf vorhandenen Betreuungen<br />

(58%). Testungen erfolgten praktisch nur in <strong>der</strong> Geriatrie, dies bei 40% <strong>der</strong> dortigen<br />

Patienten (Abbildung 22).<br />

Abb. 22 Beurteilung <strong>der</strong> Einwilligungsfähigkeit nach Kliniken<br />

Die Details <strong>zur</strong> Beurteilung <strong>der</strong> Einwilligungsfähigkeit zeigt Abbildung 23. Es wird deutlich,<br />

dass die Hinzuziehung psychiatrischer Konsiliarbeurteilungen nur ausnahmsweise erfolgte,<br />

dies noch am ehesten im Allgemeinen Krankenhaus Hagen. Die klinische Einschätzung <strong>der</strong><br />

29


fehlenden Einwilligungsfähigkeit als temporär im Rahmen eines Durchgangssyndroms geschah<br />

nur ausnahmsweise zwischen 3% und 10% <strong>der</strong> Patienten je nach Klinik.<br />

Abb. 23 Bewertung <strong>der</strong> Einwilligungsfähigkeit<br />

Gesetzliche Betreuungen bestanden bei 60% <strong>der</strong> Patienten, dies interessanterweise im Klinikum<br />

Lüdenscheid mit 70% am häufigsten und in <strong>der</strong> Geriatrie mit 54% deutlich seltener<br />

(Abbildung 24). Das Einverständnis des Betreuers <strong>zur</strong> PEG-<strong>Anlage</strong> wurde bei allen Patienten<br />

mit bestehen<strong>der</strong> Betreuung eingeholt.<br />

Abb. 24 Gesetzliche Betreuung nach Kliniken<br />

Vorsorgevollmachten spielten im Unterschied <strong>zur</strong> gesetzlichen Betreuung eine deutlich untergeordnete<br />

Rolle. Nur 33 Patienten (11,9%) besaßen eine Vorsorgevollmacht, dies am<br />

häufigsten in den geriatrischen Kliniken (Abbildung 25). Aus den Krankenakten war nicht<br />

eindeutig zu erkennen, ob das Einverständnis <strong>zur</strong> PEG-<strong>Anlage</strong> bei <strong>der</strong> bevollmächtigten Person<br />

eingeholt wurde. Deshalb wurde als Hinweis auf die Beachtung <strong>der</strong> Vorsorgevollmacht<br />

die Häufigkeit <strong>der</strong> Kontaktaufnahme bei Patienten mit vorliegen<strong>der</strong> Vollmacht gewertet. Dies<br />

geschah mit <strong>einer</strong> Ausnahme in allen Fällen. Bei diesem einen Patienten handelte es sich<br />

um eine entscheidungsfähige Patientin, so dass die Vorsorgevollmacht faktisch nicht in Kraft<br />

war.<br />

30


Abb. 25 Vorsorgevollmacht nach Kliniken<br />

Die Einbeziehung <strong>der</strong> Angehörigen insgesamt erfolgte bei 223 Patienten, entsprechend 81%,<br />

dies am häufigsten in <strong>der</strong> Geriatrie (Abbildung 26).<br />

Abb. 26 Einbeziehung <strong>der</strong> Angehörigen nach Einwilligungsfähigkeit<br />

Betrachtet man nur die Gruppe <strong>der</strong> nicht einwilligungsfähigen Patienten, so wurden die Angehörigen<br />

deutlich häufiger, aber nicht zu 100% kontaktiert. Um Hinweise für die Ursache<br />

<strong>der</strong> mangelnden Kontaktaufnahme bei nicht einwilligungsfähigen Patienten zu erhalten,<br />

wurde hier <strong>der</strong> Familienstand betrachtet (Abbildung 27). Hierbei fällt für das Gesamtkollektiv<br />

auf, dass in einem hohen Prozentsatz von etwa 35% Angaben zum Familienstand fehlten,<br />

weshalb hier zum Vergleich die Daten <strong>der</strong> Patientengruppe mit Nachbefragung hinzugezogen<br />

wurden. Bei dieser Gruppe wurde <strong>der</strong> Familienstand geklärt. Es zeigte sich, dass die<br />

Nichteinbeziehung <strong>der</strong> Angehörigen nahezu ausnahmslos bei solchen Patienten vorlag, bei<br />

denen kein Lebenspartner existierte.<br />

31


Abb. 27 Nicht-Einbeziehung <strong>der</strong> Angehörigen bei Nicht-Einwilligungsfähigen<br />

Die Einbeziehung des Hausarztes in den <strong>Entscheidungs</strong>prozess stellte eine Ausnahme dar<br />

und erfolgte nur bei 28 Patienten (10%), wobei zu berücksichtigen ist, dass dies lediglich in<br />

Form <strong>der</strong> gezielt <strong>zur</strong> PEG-<strong>Anlage</strong> ausgestellten Einweisung des Hausarztes stattfand. Bei<br />

nicht einwilligungsfähigen Patienten war die Einbeziehung des Hausarztes zwar deutlich<br />

häufiger (11,7%) als bei einwilligungsfähigen Patienten (3,6%), insgesamt aber nach wie vor<br />

gering. Aufgeteilt nach Kliniken war die Einbeziehung des Hausarztes interessanterweise in<br />

<strong>der</strong> Geriatrie am seltensten. Sie erfolgte am häufigsten bei demenzerkrankten Patienten<br />

(Abbildung 28).<br />

Abb. 28 Einbeziehung des Hausarztes<br />

Beim Vergleich <strong>der</strong> Einbeziehung bzw. Nichteinbeziehung des Hausarztes fällt auf, dass die<br />

Nichteinbeziehung bei Schlaganfallpatienten und die Einbeziehung bei Demenzpatienten<br />

überwog (Abbildung 29).<br />

32


Abb. 29 Diagnosen nach Hausarzteinbeziehung<br />

Erstaunlicherweise fanden sich Patientenverfügungen nur bei 10 Patienten (3,6%), davon<br />

6 Schlaganfallpatienten, 5 Krankheitsbil<strong>der</strong> waren als akutneurologisch einzuordnen, so dass<br />

nur bei 5 Patienten, hiervon 3 Demenzerkrankte, mit chronischen Krankheitsbil<strong>der</strong>n eine<br />

Verfügung vorlag (Abbildung 30).<br />

Abb. 30 Diagnose und Indikation bei Patientenverfügung<br />

Nur bei 2 Patienten fand sich in <strong>der</strong> Patientenverfügung die Ablehnung künstlicher Ernährung.<br />

In einem <strong>der</strong> beiden Fälle handelte es sich um eine akut aufgetretene Dysphagie im<br />

Rahmen eines Schlaganfalls, somit um eine potentiell reversible Störung, was Grund <strong>der</strong><br />

Nichtbeachtung des mutmaßlichen Patientenwillens war. In dem an<strong>der</strong>en Fall erhielt <strong>der</strong> Patient<br />

die PEG auf <strong>der</strong> Intensivstation unter Langzeitbeatmung im Rahmen intensivtherapeutischer<br />

Maßnahmen, er verstarb im Verlauf im Krankenhaus.<br />

Zur Frage <strong>der</strong> Dokumentationsqualität erfolgte ein Vergleich <strong>der</strong> Informationen zu gesetzlicher<br />

Betreuung, Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung in <strong>der</strong> Gruppe <strong>der</strong> rein retrospektiv<br />

analysierten Patienten im Vergleich <strong>zur</strong> Gruppe mit Nachbefragung. Abbildung 31<br />

dokumentiert die diesbezüglich stabile Dokumentation.<br />

33


Abb. 31 Dokumentationsqualität<br />

Poststationäre Versorgung<br />

Nach Beendigung des stationären Aufenthaltes wurden 44% <strong>der</strong> Patienten in eine stationäre<br />

Pflegeeinrichtung entlassen. Die Rate war somit im Vergleich <strong>zur</strong> vorstationären Betreuung<br />

um knapp 10% gestiegen. Unter „sonstige“ zusammengefasst wurden Entlassungen selbständig<br />

nach Hause sowie Verlegungen in eine Rehabilitationseinrichtung, diese waren mit<br />

23% gering, am häufigsten im Klinikum Lüdenscheid mit 35% und am seltensten in den geriatrischen<br />

Abteilungen mit 13% (Abbildung 32). Die PEG konnte bei insgesamt 6 Patienten,<br />

entsprechend 2%, wie<strong>der</strong> entfernt werden, wobei es sich bei allen 6 Patienten um solche<br />

handelte, bei denen die PEG-<strong>Anlage</strong> auch primär als nur temporär eingeschätzt worden war.<br />

Abb. 32 Versorgung nach Entlassung<br />

Abbildung 33 zeigt zusammenfassend den Vergleich <strong>der</strong> vor- und nachstationären Versorgung.<br />

Neben dem Anstieg <strong>der</strong> heimversorgten Patienten zeigt sich parallel ein deutlicher<br />

Abfall <strong>der</strong> selbständig lebenden Patienten, wobei für diese 63 Patienten, entsprechend 23%,<br />

die Situation bezüglich Selbstständigkeit wegen fehlen<strong>der</strong> Kenntnisse über Rehabilitationsergebnisse<br />

sehr wahrscheinlich überschätzt wird.<br />

34


Abb. 33 Versorgung vor und nach dem Krankenhaus<br />

4.3 Diskussion<br />

Die vorliegende Arbeit dokumentiert exemplarisch an drei großen Kliniken, je einem <strong>der</strong> Maximal-<br />

und Schwerpunktversorgung im Bereich <strong>der</strong> Inneren Medizin sowie einem geriatrischen<br />

Klinikverbund, die Entscheidung <strong>zur</strong> Einleitung <strong>einer</strong> künstlichen Ernährungsbehandlung<br />

über perkutane endoskopische Gastrostomie mit ihren Stärken, aber auch ihren faktischen<br />

und dokumentarischen Schwächen.<br />

Bei den Patienten handelt es sich nicht nur in <strong>der</strong> Geriatrie selbst, son<strong>der</strong>n auch in den internistischen<br />

Abteilungen überwiegend um Patienten <strong>der</strong> geriatrischen Altersgruppe, bei denen<br />

unabhängig vom Vorhandensein <strong>einer</strong> neurologischen Fachversorgung altersneurologische<br />

Erkrankungen im Vor<strong>der</strong>grund stehen. Die Patienten sind bereits vor dem stationären Aufenthalt<br />

zu mehr als <strong>der</strong> Hälfte in unterschiedlichem Ausmaße pflegebedürftig und zu vier<br />

Fünftel nicht entscheidungsfähig, wobei hier allerdings die erste wesentliche Kenntnislücke<br />

sichtbar wird. Bei <strong>der</strong> Mehrzahl <strong>der</strong> Patienten wurde die Nichtentscheidungsfähigkeit aus<br />

dem Vorliegen eines gesetzlichen Betreuungsverhältnisses geschlussfolgert, ohne dass<br />

Kenntnisse über die reale kognitive Situation <strong>der</strong> meisten dieser Patienten vorliegen. Differenziertere<br />

Daten stehen lediglich in <strong>der</strong> Geriatrie wegen des strukturierten Assessment<strong>prozesse</strong>s<br />

in Form von Testergebnissen <strong>zur</strong> Verfügung, die somit aber keine Aussage über das<br />

Gesamtkollektiv erlauben.<br />

<strong>Entscheidungs</strong>fähige Patienten mit an<strong>der</strong>en als altersneurologischen Erkrankungen finden<br />

sich vor allem in <strong>der</strong> Gruppe <strong>der</strong> jüngeren, unter 65-jährigen Patienten, bei denen intensivmedizinisch<br />

versorgte Krankheitsbil<strong>der</strong> o<strong>der</strong> Tumorleiden eine wesentliche Rolle spielen.<br />

Dies sind auch überwiegend die Patienten, bei denen PEG-gestützte Ernährungsverfahren<br />

nur vorübergehend o<strong>der</strong> zumindest wahrscheinlich nur vorübergehend <strong>zur</strong> Anwendung<br />

kommen.<br />

Unter Berücksichtigung <strong>der</strong> Diskussion um den Ernährungszustand von heimversorgten Patienten<br />

und den Maßnahmen <strong>der</strong> Kostenträger <strong>zur</strong> Überprüfung <strong>der</strong> Versorgungsqualität<br />

mittels biometrischer Daten fällt auf, dass eine vorstationär beobachtete Verschlechterung<br />

des Ernährungszustandes o<strong>der</strong> ein aktuell dokumentierter schlechter Ernährungszustand<br />

eine absolut nachrangige Rolle einnehmen. Dies ist zu interpretieren im Zusammenhang mit<br />

den Schwierigkeiten <strong>der</strong> Erhebung anamnestischer Daten, da diese aufgrund <strong>der</strong> bei <strong>der</strong><br />

absoluten Mehrzahl <strong>der</strong> Patienten vorhandenen sehr eingeschränkten Befragungsfähigkeit<br />

und <strong>der</strong> grundsätzlichen Probleme fremdanamnestischer Informationen nur sehr eingeschränkt<br />

<strong>zur</strong> Verfügung stehen. Die ebenfalls nur bei <strong>einer</strong> Min<strong>der</strong>heit <strong>der</strong> Patienten vorliegenden<br />

Daten zum aktuellen Ernährungszustand verweisen auf die Probleme <strong>der</strong> Größen-<br />

und Gewichtsbestimmung dieses in hohem Maße pflegebedürftigen und erheblich mobilitätseingeschränkten<br />

Klientels. Insofern ist es nicht verwun<strong>der</strong>lich, dass mit weitem Abstand die<br />

Schluckstörung entwe<strong>der</strong> infolge akutneurologischer Probleme o<strong>der</strong> chronischer Erkrankungen<br />

im Vor<strong>der</strong>grund des Indikationsspektrums steht. Auch wenn differenzierte Untersuchungsmethoden<br />

<strong>zur</strong> Beurteilung <strong>der</strong> Dysphagie nur ausnahmsweise zum Einsatz kommen,<br />

erfolgt zumindest in hohem Prozentsatz eine klinisch-logopädische Abklärung <strong>der</strong> Schluckstörung.<br />

Die verordneten Einschränkungen für die orale Nahrungsaufnahme mit einem ho-<br />

35


hen Anteil an absoluten Schluckverboten dokumentieren die Indikationsbasis <strong>zur</strong> Einleitung<br />

<strong>der</strong> künstlichen Ernährung.<br />

An<strong>der</strong>s als nach den Vorbefragungen an den beteiligten Krankenhäusern zunächst vermutet<br />

spielt die stationäre Einweisung mit dem Zielauftrag <strong>einer</strong> PEG-<strong>Anlage</strong> eine völlig untergeordnete<br />

Rolle, passend hierzu auch die von den Hausärzten angegebenen Einweisungsgründe.<br />

Dies spiegelt in richtiger Weise die Situation an den Kliniken in Hagen und Wuppertal<br />

wi<strong>der</strong>. Für das Klinikum Lüdenscheid muss einschränkend festgestellt werden, dass hier<br />

in relevantem Umfang ambulante PEG-<strong>Anlage</strong>n im Rahmen von Zielaufträgen erfolgen.<br />

Diese Patienten wurden im Rahmen <strong>der</strong> vorliegenden Untersuchungen aber nicht erfasst.<br />

Die Rekonstruktion eines komplexen <strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong>s <strong>zur</strong> Einleitung <strong>einer</strong> künstlichen<br />

Ernährungsbehandlung aufgrund retrospektiv erhobener Daten selbst unter ergänzen<strong>der</strong><br />

nachträglich durchgeführter Befragung von Krankenhausmitarbeitern ist problematisch,<br />

wie die vorliegende Untersuchung zeigt. Deutlich wird zunächst, dass die formalen Aspekte<br />

<strong>der</strong> <strong>Entscheidungs</strong>findung insbeson<strong>der</strong>e bei nicht einwilligungsfähigen Patienten durchgehend<br />

an allen Kliniken beachtet werden. Bei vorliegenden gesetzlichen Betreuungsverhältnissen<br />

werden die Betreuer regelhaft in den <strong>Entscheidungs</strong>prozess eingebunden, gleiches<br />

geschieht mit den Angehörigen bei Patienten mit vorliegen<strong>der</strong> Vorsorgevollmacht. Auch<br />

grundsätzlich ist die Beteiligung <strong>der</strong> Angehörigen in hohem Prozentsatz dokumentiert. Probleme<br />

zeigten sich hier in erster Linie bei Patienten mit fehlenden Lebenspartnern, was offensichtlich<br />

auch die Kontaktaufnahme zu an<strong>der</strong>en Angehörigen einschränkt bzw. erschwert.<br />

Auch die Dokumentation des formalen <strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong>s ist stabil. In dieser Hinsicht<br />

führte die Nachbefragung bei <strong>der</strong> zweiten Patientengruppe nicht zu einem weiteren Informationsgewinn.<br />

Der inhaltliche <strong>Ablauf</strong> des <strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong>s ist hingegen so gut wie nicht zu rekonstruieren,<br />

da dieser praktisch nicht dokumentiert ist und durch die Nachbefragung von Krankenhausmitarbeitern<br />

nicht relevant erhellt werden konnte. Dies wird anhand <strong>der</strong> Daten illustriert<br />

durch die extrem geringe Rolle von Vorsorgevollmachten und Patientenverfügungen, so<br />

dass in <strong>der</strong> übergroßen Mehrzahl aller Fälle <strong>der</strong> mutmaßliche Patientenwille nicht darzustellen<br />

ist. In Anbetracht <strong>der</strong> öffentlichen Debatte um Patientenverfügungen und Sterbehilfe ist<br />

die geringe Prävalenz von Patientenverfügungen in <strong>der</strong> vorliegenden Untersuchung erstaunlich.<br />

Sie liegt damit nicht höher als in Untersuchungen aus den 90er Jahren, in denen etwa<br />

5% angegeben werden (Eibach und Schäfer 1997, Haupt et al. 1999, Weisheit 2001).<br />

Die vorliegende Untersuchung gibt keinen Aufschluss darüber, ob <strong>der</strong> formal gut dokumentierte<br />

<strong>Entscheidungs</strong>prozess bei nicht einwilligungsfähigen Patienten auch den inhaltlichen<br />

Kriterien genügt, die die Bundesgerichtshofurteile zum Abbruch künstlicher Ernährung (BGH<br />

1994, BGH 2003) gesetzt haben. Der mutmaßliche Patientenwille ist nur in den wenigen<br />

Fällen vorliegen<strong>der</strong> Patientenverfügungen bekannt. Es ist nicht ersichtlich, inwieweit Betreuer<br />

o<strong>der</strong> Bevollmächtigte Kenntnisse über den mutmaßlichen Willen des Patienten hatten,<br />

ob diese Kenntnisse tatsächlich Basis <strong>der</strong> <strong>Entscheidungs</strong>findung waren bzw. ob diese Fragen<br />

überhaupt mit den berechtigten Personen seitens <strong>der</strong> <strong>Entscheidungs</strong>träger diskutiert<br />

wurden. Die tägliche Praxis lässt hier zumindest große Zweifel aufkommen. Häufig handelt<br />

es sich bei Betreuern um Berufsbetreuer, die oftmals keine Kenntnisse des mutmaßlichen<br />

Willens ihres Betreuten haben. Die Autoren <strong>der</strong> Studie erleben immer wie<strong>der</strong>, dass Aufklärungs-<br />

und Einverständnisdokumente lediglich zwischen Krankenhaus und Betreuer <strong>zur</strong> Einholung<br />

<strong>der</strong> Unterschrift hin- und hergefaxt werden, ohne dass überhaupt eine Diskussion<br />

über das Für und Wi<strong>der</strong> <strong>der</strong> Ernährungsbehandlung und den mutmaßlichen Patientenwillen<br />

stattfindet. Aussagen über die Häufigkeit dieses Phänomens lässt die vorliegende Studie<br />

nicht zu. Problematisch erscheint in diesem Zusammenhang auch die äußerst seltene Einbeziehung<br />

des Hausarztes in den im Krankenhaus stattfindenden <strong>Entscheidungs</strong>prozess wie<br />

auch die nahezu nicht vorhandene Kontaktaufnahme zu den Alten- bzw. Pflegeheimen <strong>der</strong><br />

bereits vorstationär heimversorgten Patienten. Dies ist zum Teil sicherlich zu interpretieren<br />

im Zusammenhang mit Akuterkrankungen, die <strong>zur</strong> Notwendigkeit künstlicher Ernährung führen<br />

und von den behandelnden Ärzten als prognostisch offen o<strong>der</strong> gar gut bewertet werden.<br />

Aber auch bei chronisch Kranken, insbeson<strong>der</strong>e demenziell erkrankten Patienten, findet<br />

diese Kontaktaufnahme selten bis gar nicht statt, obwohl hier sicherlich wichtige Informationen<br />

zum sozialen Gesamtkontext und zum mutmaßlichen Patientenwillen zu erhalten wären.<br />

36


Grundsätzliches Problem <strong>der</strong> vorliegenden Untersuchung stellt die Patientenselektion für die<br />

Datenerhebung dar. Es wurden ausschließlich solche Patienten erfasst, bei denen eine<br />

PEG-<strong>Anlage</strong> erfolgte, nicht hingegen jene Patienten, bei denen diese Maßnahme erwogen,<br />

letztendlich dann aber nicht durchgeführt wurde. Erst die Gegenüberstellung dieser beiden<br />

Patientengruppen würde es erlauben zu bewerten, inwieweit künstliche Ernährungsmaßnahmen<br />

im Zusammenhang mit dem faktischen o<strong>der</strong> bei einwilligungsunfähigen Patienten<br />

mutmaßlichen Willen eingeleitet o<strong>der</strong> nicht durchgeführt werden. Dies ließe sich nur in <strong>einer</strong><br />

aufwändigen prospektiven Untersuchung durchführen, die allerdings den methodischen<br />

Nachteil hätte, dass durch die Untersuchung selbst <strong>der</strong> <strong>Entscheidungs</strong>prozess beeinflusst<br />

und somit <strong>der</strong> Status quo nicht exakt wie<strong>der</strong>gegeben würde. Gleichwohl erscheint eine Intervention<br />

aufgrund <strong>der</strong> unklaren Kenntnisse über den inhaltlichen <strong>Ablauf</strong> des <strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong>s<br />

sinnvoll und wünschenswert. Hier würde sich eine Untersuchung <strong>zur</strong> Einführung<br />

<strong>einer</strong> <strong>Entscheidungs</strong>hilfe (z. B. Mitchell et al.), die über die formalen Aspekte hinaus auch die<br />

inhaltlichen Dimensionen als regelhaften Bestandteil des <strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong>s einfor<strong>der</strong>t,<br />

anbieten, was im gemeinsamen Diskussionsanteil bei<strong>der</strong> Untersuchungsbereiche weiter<br />

unten diskutiert wird.<br />

37


5. Der <strong>Entscheidungs</strong>prozess im Spiegel von Bewohnerdokumentationen<br />

in Altenpflegeheimen<br />

Tina Quasdorf, Sabine Bartholomeyczik<br />

Die in <strong>der</strong> Einleitung aufgeführte Problemdarstellung macht deutlich, dass das Thema enteraler<br />

Ernährung mittels <strong>einer</strong> PEG-Sonde sowohl aufgrund des häufigen Vorkommens als<br />

auch aufgrund s<strong>einer</strong> beson<strong>der</strong>en ethischen und moralischen Brisanz <strong>einer</strong> detaillierten und<br />

sorgfältigen Bearbeitung bedarf. Nicht zuletzt <strong>der</strong> bisher nur teilweise geklärte Nutzen <strong>der</strong><br />

enteralen Ernährung durch PEG-Sonden bei <strong>einer</strong> in beson<strong>der</strong>em Maße vulnerablen Patientenklientel<br />

begründet die allgemeine For<strong>der</strong>ung nach <strong>einer</strong> sorgfältig getroffenen Entscheidung<br />

für o<strong>der</strong> gegen die <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG-Sonde.<br />

Auch für den folgenden Teil des Projektes ergab sich daher die Fragestellung:<br />

Wie verläuft <strong>der</strong> <strong>Entscheidungs</strong>prozess im Vorfeld <strong>einer</strong> <strong>perkutanen</strong> endoskopischen<br />

Gastrostomie (PEG) in Einrichtungen <strong>der</strong> stationären Altenpflege?<br />

Anhand <strong>der</strong> <strong>zur</strong> Verfügung stehenden Literatur wurden auf <strong>der</strong> Grundlage empirisch und<br />

theoretisch bedingter Vorüberlegungen Themenbereiche und Aspekte identifiziert, die <strong>zur</strong><br />

Formulierung folgen<strong>der</strong> Zielsetzungen führte:<br />

� die Erfassung von gesundheitlichen, ernährungsspezifischen und an<strong>der</strong>en Faktoren<br />

(z. B. Patientenverfügungen), die für den <strong>Entscheidungs</strong>prozess vor <strong>der</strong> <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong><br />

PEG von Bedeutung sind<br />

� die Darstellung des <strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong>s im Hinblick auf die beteiligten Akteure<br />

und <strong>der</strong>en Interaktion sowie die Nutzung von <strong>Entscheidungs</strong>hilfen und Maßnahmen<br />

<strong>zur</strong> Vermeidung <strong>einer</strong> PEG<br />

5.1 Methodisches Vorgehen<br />

Die <strong>zur</strong> Bearbeitung <strong>der</strong> Fragestellung benötigten Daten wurden anhand <strong>einer</strong> Analyse von<br />

Pflegedokumentationen aus Altenpflegeeinrichtungen erhoben. Sie bieten Informationen zum<br />

<strong>Entscheidungs</strong>ablauf vor <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG und es können Regelmäßigkeiten und Strukturen,<br />

die diesem Prozess zugrunde liegen, dargestellt werden.<br />

Für die Dokumentenanalyse wurde ein quantitativer Forschungsansatz mit retrospektivem,<br />

deskriptivem Design gewählt.<br />

Da es sich bei dem Forschungsvorhaben um eine erste deskriptive Annäherung an das<br />

Themenfeld handelt und das Projekt zeitlich sehr begrenzt ist, konnte hier nicht <strong>der</strong> Anspruch<br />

bestehen, eine repräsentative Stichprobe zu akquirieren. Die hierfür notwendige Form <strong>der</strong><br />

Stichprobenziehung auf Grundlage <strong>einer</strong> Zufallsauswahl (Kromrey, 2006) konnte im Rahmen<br />

des Projektes nicht gewährleistet werden, wurde jedoch unter Berücksichtigung des explorativen<br />

Forschungsziels auch nicht als notwendig erachtet und eine Gelegenheitsstichprobe<br />

geplant.<br />

Vorab durchgeführte, nicht repräsentative Anfragen in verschiedenen Altenpflegeeinrichtungen<br />

wiesen darauf hin, dass nur ein sehr geringer Teil <strong>der</strong> Bewohner mithilfe <strong>einer</strong> PEG-<br />

Sonde enteral ernährt wird. Anhand dieser Schätzungen wurde davon ausgegangen, dass<br />

maximal zehn Prozent <strong>der</strong> Bewohner <strong>einer</strong> Einrichtung eine PEG-Sonde haben. Bei <strong>einer</strong><br />

angenommenen Durchschnittsgröße <strong>einer</strong> Altenpflegeeinrichtung mit 100 Bewohnern hätten<br />

so in fünf Einrichtungen etwa 50 Teilnehmer für die Studie rekrutiert werden können. Dies<br />

schien im Hinblick auf die für dieses Projekt <strong>zur</strong> Verfügung stehenden Ressourcen sowie<br />

bezogen auf das Forschungsziel <strong>einer</strong> angemessenen Stichprobengröße zu entsprechen. Es<br />

war deshalb vorgesehen, mindestens fünf Altenpflegeeinrichtungen in Nordrhein-Westfalen<br />

für die Teilnahme an <strong>der</strong> Studie zu gewinnen. Es sollten in diesen Einrichtungen die Dokumentationen<br />

möglichst aller Bewohner mit <strong>einer</strong> PEG-Sonde eingesehen werden.<br />

39


Teilnehmende Einrichtungen wurden gebeten, als Gatekeeper zu fungieren und den nötigen<br />

Kontakt zu potenziellen Teilnehmern o<strong>der</strong> <strong>der</strong>en gesetzlichen Vertretern herzustellen.<br />

Aus sachlogischen Gründen besteht die Stichprobe aus Bewohnern, die über eine PEG-<br />

Sonde <strong>zur</strong> enteralen Ernährung verfügen o<strong>der</strong> zu einem früheren Zeitpunkt während ihres<br />

Aufenthaltes in <strong>der</strong> Einrichtung über eine solche verfügten. Es wird hierbei nicht berücksichtigt,<br />

ob die Sonde bereits vor Einzug in die Altenpflegeeinrichtung gelegt wurde. Voraussetzung<br />

war jedoch, dass bewohnerspezifische Dokumentation, aus dem Zeitraum in dem <strong>der</strong><br />

Bewohner die PEG-Sonde erhalten hat, <strong>zur</strong> Verfügung gestellt werden konnte.<br />

Ausgeschlossen wurden Fälle, in denen eine Entscheidung gegen die <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG<br />

getroffen wurde, sowie Fälle, in denen es nicht möglich war einen mündlichen o<strong>der</strong> schriftlichen<br />

Informed Consent durch den Bewohner o<strong>der</strong> dessen gesetzliche Betreuer einzuholen.<br />

Als Analyseeinheit wurden die vollständigen Pflegeakten <strong>der</strong> teilnehmenden Bewohner definiert,<br />

wobei eine zeitliche Begrenzung bei sechs Monaten vor <strong>Anlage</strong> <strong>der</strong> PEG-Sonde veranschlagt<br />

wurde. Ein beson<strong>der</strong>er Fokus lag jedoch vor allem auf <strong>der</strong> Phase unmittelbar vor<br />

<strong>Anlage</strong> <strong>der</strong> PEG-Sonde sowie auf <strong>der</strong> Gesundheits- und Ernährungssituation zum Zeitpunkt<br />

<strong>der</strong> Erhebung.<br />

Die Rekrutierung <strong>der</strong> Teilnehmer stellte sich im Verlauf als schwierig heraus. Insbeson<strong>der</strong>e<br />

<strong>der</strong> Zugang zum Feld brachte einige Probleme mit sich.<br />

Um Altenpflegeeinrichtungen für die Teilnahme an <strong>der</strong> Studie zu gewinnen, wurden Informationsschreiben<br />

mit <strong>der</strong> Bitte um Teilnahme an zunächst dreizehn willkürlich ausgewählte Einrichtungen<br />

im Ennepe-Ruhr-Kreis und in Hagen versandt. Geplant war es, nach <strong>Ablauf</strong> <strong>einer</strong><br />

Zeitspanne von etwa <strong>einer</strong> Woche in diesen Einrichtungen erneut telefonisch vorstellig zu<br />

werden. Ein Teil dieser Einrichtungen mit kirchlicher Trägerschaft leitete die Anfrage jedoch<br />

an eine zentrale Stelle weiter, von wo aus angeboten wurde, die weitere Anfrage NRW-weit<br />

intern zu bearbeiten. Des Weiteren wurde gebeten, von weiterer telefonischer Rücksprache<br />

Abstand zu nehmen. Durch dieses Vorgehen konnten nur zwei Einrichtungen gewonnen<br />

werden, die sich dazu bereit erklärten an <strong>der</strong> Studie teilzunehmen.<br />

In einem weiteren Schritt wurden dann erneut etwa zwanzig Altenpflegeeinrichtungen mit<br />

privater o<strong>der</strong> kommunaler Trägerschaft vorwiegend im Raum Wuppertal und Dortmund kontaktiert.<br />

Es konnten auf diesem Wege weitere neun Einrichtungen gewonnen werden, die<br />

sich dazu bereit erklärten an <strong>der</strong> Studie teilzunehmen.<br />

Diese größere Anzahl an Einrichtungen stellte sich als notwendig heraus, da in einigen Einrichtungen<br />

nur wenige Bewohner über eine PEG-<strong>Anlage</strong> verfügten.<br />

In den teilnehmenden Einrichtungen konnten insgesamt 76 Bewohner für die Teilnahme an<br />

<strong>der</strong> Studie gewonnen werden, wobei die Teilnehmerzahl pro Einrichtung zwischen drei und<br />

dreizehn Bewohnern lag. Diese unregelmäßige Verteilung <strong>der</strong> Teilnehmer auf die Einrichtungen<br />

ergab sich zufällig. Gründe hierfür waren zum einen, dass unterschiedlich viele <strong>der</strong> Bewohner<br />

über eine PEG-Sonde enteral ernährt wurden. Zum an<strong>der</strong>en waren die Einrichtungen<br />

zum Teil nicht bereit alle relevanten Bewohnerdokumentationen <strong>zur</strong> Verfügung zu stellen,<br />

bzw. konnten von den Bewohnern o<strong>der</strong> <strong>der</strong>en gesetzlichen Betreuern keinen Informed Consent<br />

einholen.<br />

Vier <strong>der</strong> Bewohnerdokumentationen mussten nachträglich aus <strong>der</strong> Analyse ausgeschlossen<br />

werden, da sich herausstellte, dass die Dokumentation aus dem Zeitraum <strong>der</strong> PEG-<strong>Anlage</strong><br />

bereits archiviert war und nicht <strong>zur</strong> Verfügung gestellt werden konnte. Die Datenerhebung<br />

anhand dieser vier Dokumentationen konnte dementsprechend nur lückenhaft erfolgen und<br />

ließ keine sinnvolle Analyse zu.<br />

Die Datenerhebung erfolgte in Form <strong>einer</strong> retrospektiven quantitativen Auswertung von Bewohnerdokumentationen.<br />

Diese Form <strong>der</strong> Datenerhebung wurde im Sinne <strong>einer</strong> quantitativen<br />

Inhaltsanalyse, wie sie in <strong>der</strong> sozialwissenschaftlichen Methodenlehre beschrieben wird,<br />

verstanden. Dafür wurde ein Kategoriensystem als teilstandardisiertes Erhebungsinstrument<br />

in Form <strong>einer</strong> Checkliste entwickelt. Grundlage für die Erstellung des Instrumentes waren<br />

40


sowohl theoretische Vorüberlegungen, die sich mit <strong>der</strong> Frage beschäftigten, welche Informationen<br />

für die Bearbeitung <strong>der</strong> Forschungsfrage relevant sein würden, als auch aus <strong>der</strong> Literatur<br />

gewonnene Informationen zum <strong>Entscheidungs</strong>prozess im Zusammenhang mit <strong>der</strong> <strong>Anlage</strong><br />

<strong>einer</strong> PEG-Sonde. Folgende Informationen sollten mit dem Erhebungsinstrument erfasst<br />

werden:<br />

� Wo, wann und in welchem Zusammenhang wurde die PEG gelegt (evtl. akutes<br />

gesundheitliches Ereignis)?<br />

� Lässt sich eine typische gesundheitliche Entwicklung beschreiben (Mangelernährung,<br />

Demenz, an<strong>der</strong>e neurologische Erkrankungen)?<br />

� Wie lässt sich die Entwicklung <strong>der</strong> Betreuungskonstellationen beschreiben (zu Hause,<br />

Heim, Krankenhaus, teilstationäre Versorgung etc.; Angehörige, professionelle Pflegedienste,<br />

Haus-, Facharzt)?<br />

� Wer war im Vorfeld <strong>der</strong> <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG in die gesundheitliche Beurteilung und Entscheidung<br />

einbezogen (Professionelle, Angehörige, gesetzliche Betreuer)?<br />

� Welche Maßnahmen und Instrumente wurden im Zusammenhang mit dem <strong>Entscheidungs</strong>prozess<br />

genutzt?<br />

� Lag eine Patientenverfügung vor?<br />

Die Qualität und die Anwendbarkeit des Kategoriensystems wurden nach Auswertung <strong>der</strong><br />

ersten fünf Bewohnerdokumentationen beurteilt, woraufhin das Instrument geringfügig modifiziert<br />

werden musste. Die im Rahmen dieses Pretests ausgewerteten Bewohnerdokumentationen<br />

konnten in die Analyse, trotz <strong>der</strong> vorgenommenen Än<strong>der</strong>ungen, eingeschlossen werden<br />

(vgl. <strong>Anlage</strong>).<br />

Die Datenerhebung fand im Zeitraum September bis November 2008 statt und wurde von<br />

drei verschiedenen Mitarbeiterinnen des Projektes (darunter zwei studentische Hilfskräfte)<br />

durchgeführt. Die studentischen Hilfskräfte, die an <strong>der</strong> Erarbeitung des Erhebungsinstrumentes<br />

nicht beteiligt waren, wurden vor <strong>der</strong> Datenerhebung entsprechend geschult. Darüber<br />

hinaus wurde die Datenerhebung in den Einrichtungen jeweils zu zweit durchgeführt,<br />

sodass die Möglichkeit gegeben war, Unklarheiten zu diskutieren.<br />

Die Analyse <strong>der</strong> quantitativen Daten wurde mithilfe <strong>der</strong> Software SPSS 17.0 durchgeführt.<br />

Da <strong>der</strong> Ansatz des Forschungsvorhabens deskriptiv explorativer Natur ist, erfolgte die Analyse<br />

unter primärem Einsatz deskriptiver statistischer Verfahren. Intention <strong>der</strong> Analyse war<br />

folglich eine Aufbereitung <strong>der</strong> Daten im Sinne eines Ordnens, Zusammenfassens und Darstellens<br />

(Lorenz, 1996). Der Fokus lag dabei vor allem auf <strong>der</strong> tabellarischen und grafischen<br />

Darstellung von Häufigkeitsverteilungen.<br />

Die Nutzung multivariater Analysemethoden war aufgrund <strong>der</strong> geringen Stichprobengröße<br />

nur bedingt möglich. Lediglich einzelne Variablen eigneten sich dazu, zweidimensionale<br />

Merkmalsausprägungen darzustellen. Dieser Sachverhalt ist in erster Linie damit zu begründen,<br />

dass die einzelnen eindimensionalen Merkmalsausprägungen zu selten auftraten, um<br />

sie sinnvoll miteinan<strong>der</strong> in Beziehung zu setzen (Burns & Grove, 2003; Lorenz, 1996).<br />

Wenn anhand theoretischer Überlegungen sowie <strong>der</strong> grafischen und tabellarischen Darstellung<br />

die Vermutung bestand, dass ein Zusammenhang zweier Merkmale gegeben war,<br />

wurde zudem die Stärke des statistischen Zusammenhangs bestimmt. Wegen des vorwiegend<br />

nominalen Datenniveaus wurde hierzu <strong>der</strong> Chiquadrat-Test angewandt (Quatember,<br />

2005).<br />

Vor Beginn <strong>der</strong> Datenerhebung wurde zudem angenommen, dass in den Bewohnerdokumentationen<br />

Informationen zu finden seien würden, die in Zusammenhang mit <strong>der</strong> <strong>Anlage</strong><br />

<strong>einer</strong> PEG-Sonde stehen, aber nicht mithilfe <strong>der</strong> vorbereiteten Checkliste hätten erfasst werden<br />

können. In diesem Fall war eine qualitative inhaltsanalytische Herangehensweise in Anlehnung<br />

an Gläser und Laudel (2006) vorgesehen. Während <strong>der</strong> Datenerhebung stellte sich<br />

jedoch heraus, dass nur sehr wenig Material mit dieser offenen Form <strong>der</strong> Datenerhebung<br />

gewonnen werden konnte, sodass die qualitative inhaltsanalytische Vorgehensweise wenig<br />

41


sinnvoll erschien. Die auf diesem Weg gewonnen Daten werden aus diesem Grund lediglich<br />

in Form von Fallbeispielen <strong>zur</strong> Unterstreichung <strong>der</strong> quantitativen Ergebnisse dargestellt.<br />

Ethische Überlegungen<br />

Im Rahmen des vorliegenden Forschungsprojektes wurde von allgemeingültigen ethischen<br />

Grundsätzen im Zusammenhang mit Forschung ausgegangen. Dabei wird das Recht auf<br />

Anonymität und Vertraulichkeit <strong>der</strong> Informanten, das Recht auf Selbstbestimmung, das Recht<br />

auf Abbruch <strong>der</strong> Teilnahme an <strong>der</strong> Forschung sowie das Recht auf Schutz von Personen vor<br />

Schäden garantiert (Burns & Grove, 2003).<br />

Im Hinblick auf die genannten Prinzipien sind im Rahmen dieses Projektes sowohl datenschutzrechtliche<br />

Aspekte als auch die vermutlich in einigen Fällen bestehende beson<strong>der</strong>e<br />

Vulnerabilität <strong>der</strong> zu untersuchenden Gruppe zu berücksichtigen. „Vulnerable (verletzte,<br />

verletzliche) Probanden sind Personen, die aufgrund ihres Alters o<strong>der</strong> ihrer eingeschränkten<br />

geistigen Fähigkeiten keine informierte Zustimmung geben können und/ o<strong>der</strong> die aufgrund<br />

ihrer beson<strong>der</strong>en Lebenssituation durch die Teilnahme an einem Forschungsvorhaben in<br />

beson<strong>der</strong>em Maße belastet o<strong>der</strong> gar gefährdet werden können.“ (Schnell & Heinritz, 2006, S.<br />

43)<br />

Es war davon auszugehen, dass einige <strong>der</strong> Bewohner, die mithilfe <strong>einer</strong> PEG-Sonde ernährt<br />

werden, neurologische Erkrankungen aufweisen würden, die zu <strong>einer</strong> Vulnerabilität im Sinne<br />

<strong>der</strong> genannten Definition führen. Zur Bearbeitung <strong>der</strong> Fragestellung war jedoch vorgesehen,<br />

dass ausschließlich Routinedaten in anonymisierter Form erhoben werden, sodass hieraus<br />

kein Schaden für die Teilnehmer entstehen konnte.<br />

Potenzielle Teilnehmer, bzw. <strong>der</strong>en gesetzliche Betreuer, wurden durch die Einrichtungen<br />

über das Projekt informiert und um ihr Einverständnis <strong>zur</strong> Teilnahme gebeten. Die Einrichtungen<br />

wurden in einem Informationsschreiben darauf hingewiesen, dass das Einverständnis<br />

<strong>der</strong> Bewohner o<strong>der</strong> <strong>der</strong> gesetzlichen Betreuer Voraussetzung für die Teilnahme <strong>der</strong> Bewohner<br />

ist. Wäre eine Einrichtung nicht in <strong>der</strong> Lage gewesen, die betreffenden Bewohner zu informieren<br />

und <strong>der</strong>en Zustimmung einzuholen, wäre dieses durch die Mitarbeiter des Projektes<br />

übernommen worden. Die erhobenen Daten wurden bereits während <strong>der</strong> Erhebung innerhalb<br />

<strong>der</strong> Einrichtungen anonymisiert und standen den Forschenden ausschließlich in dieser<br />

Form <strong>zur</strong> weiteren Bearbeitung <strong>zur</strong> Verfügung. Nach Verlassen <strong>der</strong> Einrichtungen war<br />

eine rückwirkende Identifikation von Bewohnern nicht möglich. Es wurde zu keinem Zeitpunkt<br />

eine Zuordnung einzelner Datensätze zu Patientennamen o<strong>der</strong> Geburtsdaten o<strong>der</strong><br />

an<strong>der</strong>en persönlichen Daten dokumentiert.<br />

Vor Beginn <strong>der</strong> Studie wurde ein Antrag auf ethische Begutachtung bei <strong>der</strong> Ethikkommission<br />

des Instituts für Pflegewissenschaft an <strong>der</strong> Universität Witten/Herdecke eingereicht. Ein positives<br />

Votum wurde vor Erhebung <strong>der</strong> ersten Daten erteilt.<br />

Obwohl geplant war lediglich ein mündliches Einverständnis <strong>der</strong> Bewohner o<strong>der</strong> ihrer gesetzlichen<br />

Vertreter <strong>zur</strong> Teilnahme an <strong>der</strong> Studie einzuholen und dieses Vorgehen durch das<br />

positive Votum <strong>der</strong> Ethikkommission legitimiert war, wünschten einige <strong>der</strong> teilnehmenden<br />

Altenpflegeeinrichtungen das Vorliegen eines schriftlichen Einverständnisses, um den Mitarbeitern<br />

des Forschungsprojektes Einsicht in die Bewohnerdokumentationen zu gewähren.<br />

Aus diesem Grund wurden zusätzlich ein Informationsschreiben und eine Einverständniserklärung<br />

in schriftlicher Form für die Bewohner und <strong>der</strong>en gesetzlichen Vertreter erstellt und<br />

den Einrichtungen <strong>zur</strong> Verfügung gestellt.<br />

5.2 Ergebnisse<br />

Die in diesem Kapitel aufgeführten grafischen Darstellungen bilden die Auswertung <strong>der</strong><br />

quantitativen Daten in erster Linie in Form von Diagrammen ab. Absolute Fallzahlen werden<br />

im Fließtext durch die entsprechenden Prozentangaben ergänzt. Die Ergebnisse, die sich<br />

aus dem offenen Anteil des Erhebungsinstrumentes ergeben, werden in einem abschließenden<br />

Abschnitt dieses Kapitels in Form von Fallbeispielen und in Ergänzung zu den Ergebnissen<br />

<strong>der</strong> quantitativen Analyse aufgeführt.<br />

42


Stichprobe<br />

In die Analyse wurden die Daten aus insgesamt 72 Bewohnerdokumentationen aus elf verschiedenen<br />

Altenpflegeeinrichtungen einbezogen. Im folgenden Abschnitt werden die wichtigsten<br />

Charakteristika <strong>der</strong> Einrichtungen sowie die Stichprobe beschrieben.<br />

Bei den teilnehmenden Einrichtungen handelt es sich ausschließlich um Einrichtungen <strong>der</strong><br />

stationären Altenpflege. Einige <strong>der</strong> Einrichtungen verfügen außerdem über Pflegebereiche<br />

<strong>der</strong> ambulanten Tagesbetreuung sowie des betreuten Wohnens. Diese Pflegebereiche wurden<br />

jedoch nicht für die Rekrutierung von Teilnehmern für das Projekt berücksichtigt. Eine<br />

<strong>der</strong> Einrichtungen führt zusätzlich einen stationären Wohnbereich für jüngere pflegebedürftige<br />

Personen. Dieser wurde für die Rekrutierung von Teilnehmern eingeschlossen.<br />

Drei <strong>der</strong> elf Pflegeheime sind konfessionelle Einrichtungen. Weitere drei Pflegeheime sind<br />

Einrichtungen von privaten Trägern, während die restlichen fünf Pflegeheime kommunale<br />

Einrichtungen sind. Diese fünf kommunalen Einrichtungen sind zudem mit weiteren kommunalen<br />

Einrichtungen in einem Verbund zusammengeschlossen.<br />

Die Größe <strong>der</strong> Einrichtungen entspricht zwar im Durchschnitt den zuvor benannten Schätzungen<br />

( = 105,8), variiert jedoch zwischen den einzelnen Einrichtungen stark. Die kleinste<br />

Einrichtung verfügt über 61 Betreuungsplätze, während die größte Einrichtung 154 Betreuungsplätze<br />

anbietet (SD = 34,960; R = 93).<br />

Wie oben bereits beschrieben, verteilt sich die Anzahl <strong>der</strong> Teilnehmer unregelmäßig auf die<br />

teilnehmenden Einrichtungen. Die grafische Darstellung <strong>der</strong> Verteilung findet sich in Abbildung<br />

1 wie<strong>der</strong>. Da den Einrichtungen Anonymität zugesichert wurde, werden in <strong>der</strong> Grafik<br />

lediglich die Standorte <strong>der</strong> einzelnen Einrichtungen aufgeführt.<br />

Abbildung 1: Zahl <strong>der</strong> Bewohnerakten nach Einrichtung in <strong>der</strong> Reihenfolge <strong>der</strong> Erhebung<br />

Die Abbildung zeigt, dass die meisten Bewohnerdokumentationen in <strong>einer</strong> Altenpflegeeinrichtung<br />

in Düsseldorf gewonnen werden konnten (n = 13). Auch in zwei Einrichtungen in<br />

Dortmund konnten jeweils zehn Bewohnerdokumentationen analysiert werden. Die kleinste<br />

Anzahl (n = 3) an Bewohnerdokumentationen stand ebenfalls in <strong>einer</strong> Einrichtung in Dortmund<br />

<strong>zur</strong> Verfügung.<br />

Zu berücksichtigen ist außerdem, dass annähernd die Hälfte <strong>der</strong> analysierten Akten (n = 34)<br />

aus den Altenpflegeeinrichtungen in Dortmund stammen, die in einem Verbund zusammengeschlossen<br />

sind.<br />

43


Die Erhebung soziodemografischer Daten beschränkt sich auf Merkmale, von denen angenommen<br />

werden kann, dass sie bei <strong>einer</strong> überwiegenden Anzahl <strong>der</strong> teilnehmenden Bewohner<br />

in <strong>der</strong> Dokumentation ersichtlich sein würden. In Tabelle 1 wird eine Übersicht <strong>der</strong> soziodemografischen<br />

Charakteristika <strong>der</strong> Stichprobe dargestellt.<br />

Geschlecht<br />

(n = 72)<br />

Männlich 16 22,2%<br />

Weiblich 56 77,8%<br />

Alter (n = 72)<br />

Mittelwert = 78, SD = 11,8<br />

Min. = 42, Max. = 98<br />

50 % <strong>der</strong> Teilnehmer sind älter als 81<br />

Jahre.<br />

< 50 Jahre 1 1,4%<br />

50-59 Jahre 5 6,9%<br />

60-69 Jahre 10 13,9%<br />

70-79 Jahre 17 23,6%<br />

80-89 Jahre 32 44,4%<br />

> 89 Jahre 7 9,7%<br />

Tabelle 1: Soziodemografische Merkmale <strong>der</strong> Stichprobe<br />

Nationalität (n =<br />

69)<br />

Deutsch 67 97,1%<br />

Polnisch 1 1,4%<br />

Österreichisch 1 1,4%<br />

Religion<br />

(n = 61)<br />

Evangelisch 29 47,5%<br />

Römisch-katholisch 24 39,3%<br />

Russisch-orthodox 1 1,6%<br />

Apostolisch 2 3,3%<br />

Keine 5 8,2%<br />

Von den 72 teilnehmenden Bewohnern <strong>der</strong> Altenpflegeeinrichtungen sind 56 Frauen (77,8%)<br />

und 16 Männer (22,2%). Der Altersdurchschnitt liegt auf die Gesamtstichprobe bezogen bei<br />

77,9 Jahren, wobei die Spannweite 56 Jahre beträgt und die Standardabweichung 11,780<br />

Jahre. Der jüngste Teilnehmer ist 42 Jahre alt und <strong>der</strong> älteste Teilnehmer 98 Jahre. Die<br />

Gruppe <strong>der</strong> Frauen ( =79,86; SD = 11,86; R = 56) ist im Durchschnitt 8,6 Jahre älter als die<br />

Gruppe <strong>der</strong> Männer ( = 71,25; SD = 8,881; R = 31). Während bezogen auf die Gesamtstichprobe<br />

(44,4%) und auf die Gruppe <strong>der</strong> Frauen (53,6%) am häufigsten die Altersgruppe <strong>der</strong><br />

80 – 89-jährigen vertreten ist, lassen sich die Männer am häufigsten (50%) <strong>der</strong> Altersgruppe<br />

70 – 79 Jahre zuordnen.<br />

Neben Alter und Geschlecht <strong>der</strong> Teilnehmer wurden zusätzlich die Nationalität sowie die<br />

Religionszugehörigkeit <strong>der</strong> Teilnehmer erfasst. Die Erhebung dieser Daten wurde durchgeführt,<br />

da in <strong>der</strong> Literatur Hinweise darauf zu finden waren, dass diese Aspekte einen Einfluss<br />

auf die <strong>Entscheidungs</strong>findung haben könnten. Wie in Tabelle 1 ersichtlich sind die Teilnehmer<br />

in 97,1 Prozent <strong>der</strong> Fälle deutsche Staatsbürger. Etwa 87 Prozent <strong>der</strong> Teilnehmer sind<br />

evangelisch o<strong>der</strong> römisch-katholisch. Es sind deshalb anhand dieser Merkmale keine Rückschlüsse<br />

zu ziehen.<br />

Des Weiteren wurde erhoben, im wievielten Jahr die Teilnehmer zum Zeitpunkt <strong>der</strong> Erhebung<br />

in <strong>der</strong> jeweiligen Altenpflegeeinrichtung leben. Mit 18,6 Prozent die größte Gruppe lebt<br />

zum Zeitpunkt <strong>der</strong> Erhebung weniger als ein Jahr in <strong>der</strong> Einrichtung. Die durchschnittliche<br />

Aufenthaltsdauer in <strong>der</strong> Einrichtung zum Zeitpunkt <strong>der</strong> Erhebung beträgt 5,4 Jahre (SD =<br />

5,606) und die längste Aufenthaltsdauer weist einen Bewohner auf, <strong>der</strong> bereits seit 36 Jahren<br />

in <strong>der</strong> Einrichtung lebt.<br />

44


Situation zum Zeitpunkt <strong>der</strong> PEG-<strong>Anlage</strong><br />

Es werden sowohl Aspekte <strong>der</strong> gesundheitlichen Situation <strong>der</strong> Teilnehmer herausgearbeitet<br />

als auch die Betreuungs- und Ernährungssituation <strong>der</strong> Bewohner beschrieben.<br />

Betreuungssituation<br />

In Abbildung 2 wird die Betreuungssituation <strong>der</strong> teilnehmenden Bewohner vor <strong>der</strong> <strong>Anlage</strong> <strong>der</strong><br />

PEG-Sonde dargestellt. Es ist zu beachten, dass sich die Darstellung auf die jeweiligen prozentualen<br />

Anteile innerhalb <strong>der</strong> einzelnen Untergruppen bezieht. In sechs Fällen finden sich<br />

in <strong>der</strong> Bewohnerdokumentation keine Angaben <strong>zur</strong> Betreuungssituation <strong>der</strong> Teilnehmer vor<br />

<strong>Anlage</strong> <strong>der</strong> PEG-Sonde. Die Gruppe <strong>der</strong> Frauen (n = 51) ist dabei weitaus größer als die<br />

Gruppe <strong>der</strong> Männer (n = 15) und macht 77,3 Prozent <strong>der</strong> Gesamtstichprobe (n = 66) aus.<br />

Es wird deutlich, dass die meisten Bewohner (72,7%) bereits vor <strong>der</strong> PEG-<strong>Anlage</strong> in <strong>einer</strong><br />

Altenpflegeeinrichtung betreut wurden. Allerdings wurden nur 60 Prozent <strong>der</strong> Männer im<br />

Vergleich zu 76,5 Prozent <strong>der</strong> Frauen in Altenpflegeeinrichtungen betreut. Es wurden dagegen<br />

jedoch 13,3 Prozent <strong>der</strong> Männer gegenüber 3,9 Prozent <strong>der</strong> Frauen in <strong>der</strong> eigenen<br />

Wohnung durch Angehörige betreut. Auch selbstständig versorgte sich ein größerer Anteil<br />

<strong>der</strong> Männer (26,7%) als <strong>der</strong> Frauen (13,7%). Bei dieser Kategorie ist jedoch zu berücksichtigen,<br />

dass möglicherweise, obwohl eine pflegerische Unterstützung durch Angehörige nicht<br />

explizit als solche erfasst und dokumentiert war, dennoch selbstpflegerische Defizite durch<br />

Angehörige kompensiert wurden. Dies würde erklären, warum ein größerer Anteil <strong>der</strong> Männer<br />

als selbstständig eingestuft wurde.<br />

In 1,5 Prozent <strong>der</strong> Fälle finden sich keine näheren Angaben, wie Teilnehmer, die in ihrer eigenen<br />

Wohnung lebten, betreut wurden.<br />

Abbildung 2: Betreuungsart vor <strong>Anlage</strong> <strong>der</strong> PEG-Sonde 1<br />

Die Betreuung nach <strong>der</strong> <strong>Anlage</strong> <strong>der</strong> PEG-Sonde fand bei den teilnehmenden Bewohnern zu<br />

mindestens 94,4 Prozent in Altenpflegeeinrichtungen statt, wobei sich in vier (5,6%) Bewohnerdokumentationen<br />

keine Angaben <strong>zur</strong> Betreuungssituation nach <strong>der</strong> <strong>Anlage</strong> <strong>der</strong> PEG-<br />

Sonde finden.<br />

Ort <strong>der</strong> PEG-<strong>Anlage</strong><br />

1 Zur übersichtlicheren grafischen und tabellarischen Darstellung wurden die Antwortkategorien des<br />

Erhebungsinstrumentes folgen<strong>der</strong>maßen abgekürzt: 1) Eigene Wohnung, keine Betreuung =<br />

selbstständig; 2) Eigene Wohnung, Betreuung durch Angehörige = Angehörige; 3) Eigene<br />

Wohnung, Betreuung durch Pflegedienst = Pflegedienst; 4) Altenpflegeeinrichtung = Pflegeheim;<br />

5) Eigene Wohnung ohne Angabe <strong>zur</strong> Betreuung = Wohnung o. A.<br />

45


Des Weiteren wurde erhoben, in welcher Art von Krankenhaus die teilnehmenden Bewohner<br />

zum Zeitpunkt <strong>der</strong> <strong>Anlage</strong> <strong>der</strong> PEG-Sonde betreut wurden. Abbildung 3 stellt die entsprechenden<br />

Ergebnisse dar.<br />

Mit 62,5 Prozent am häufigsten erfolgte die <strong>Anlage</strong> in einem Krankenhaus <strong>der</strong> Allgemeinversorgung<br />

ohne speziellen Schwerpunkt. Nur in 27,9 Prozent <strong>der</strong> Fälle fand eine Versorgung<br />

des Patienten zum Zeitpunkt <strong>der</strong> PEG-<strong>Anlage</strong> in <strong>einer</strong> spezialisierten Fachabteilung, wie<br />

Gerontopsychiatrie, Geriatrie, Neurologie, o<strong>der</strong> in <strong>einer</strong> Rehabilitationseinrichtung statt. In<br />

9,7 Prozent <strong>der</strong> Fälle finden sich in <strong>der</strong> Bewohnerdokumentation keine Informationen <strong>zur</strong> Art<br />

<strong>der</strong> Einrichtung, in <strong>der</strong> <strong>der</strong> Teilnehmer zum Zeitpunkt <strong>der</strong> PEG-<strong>Anlage</strong> versorgt wurde.<br />

Abbildung 3: Art <strong>der</strong> Einrichtung, in <strong>der</strong> die PEG-Sonde gelegt wurde<br />

Eine Aufschlüsselung <strong>der</strong> Variable hinsichtlich des Alters <strong>der</strong> teilnehmenden Bewohner zeigt<br />

aufgrund <strong>der</strong> geringen Fallzahlen in einigen <strong>der</strong> Altersgruppen keine nennenswerten Tendenzen.<br />

Die Abbildung 4 veranschaulicht jedoch, dass Bewohner mit einem akuten Ereignis<br />

zum Zeitpunkt <strong>der</strong> Sondenanlage häufiger in <strong>einer</strong> Rehabilitationseinrichtung o<strong>der</strong> <strong>einer</strong> neurologischen<br />

Abteilung betreut wurden, während sich Bewohner ohne akutes Ereignis häufiger<br />

in einem Krankenhaus ohne Spezialisierung o<strong>der</strong> in <strong>einer</strong> geriatrischen Abteilung befanden.<br />

46


Abbildung 4: Art <strong>der</strong> Einrichtung, in <strong>der</strong> die PEG-Sonde gelegt wurde, nach dem Vorliegen eines akuten<br />

Ereignisses<br />

Gesundheitssituation<br />

Zur Beurteilung <strong>der</strong> Gesundheitssituation <strong>der</strong> Teilnehmer wurde zunächst erfasst, ob ein<br />

akutes Ereignis <strong>zur</strong> <strong>Anlage</strong> <strong>der</strong> PEG-Sonde geführt hat (Abb. 5). Bei etwa <strong>der</strong> Hälfte <strong>der</strong> Bewohner<br />

(48,6%) traf dies nicht zu. Das heißt, es kann davon ausgegangen werden, dass bei<br />

diesen Teilnehmern eine stetige Verschlechterung des Ernährungs- und Gesundheitszustandes<br />

über einen längeren Zeitraum die <strong>Anlage</strong> <strong>der</strong> PEG-Sonde bedingt hat. Bei 43,1 Prozent<br />

<strong>der</strong> Teilnehmer lag ein akutes Ereignis vor, das <strong>zur</strong> <strong>Anlage</strong> <strong>der</strong> PEG-Sonde führte und<br />

bei 8,3 Prozent <strong>der</strong> Teilnehmer fanden sich in <strong>der</strong> Dokumentation keine Angaben zu den<br />

auslösenden Faktoren. Bei <strong>der</strong> in Abbildung 5 aufgeführten Kategorie „Sonstiges“ handelt es<br />

sich um akute Ereignisse, die k<strong>einer</strong> Kategorie zuzuordnen waren. In einem Fall trat eine<br />

akute Dysphagie auf, <strong>der</strong>en Genese nicht weiter beschrieben wird. In den an<strong>der</strong>en Fällen<br />

traten eine plötzliche Somnolenz, ein prärenales Nierenversagen und eine akute Verschlechterung<br />

des Allgemeinzustandes auf, wobei auch in diesen Fällen die Genese, bzw.<br />

eine präzise Diagnose, anhand <strong>der</strong> <strong>zur</strong> Verfügung stehenden Bewohnerdokumentationen<br />

nicht erfasst werden konnte. In allen vier Fällen trat das Ereignis akut auf, die Bewohner<br />

wurden daraufhin in einem Krankenhaus stationär betreut und während dieses Krankenhausaufenthaltes<br />

wurde die PEG-Sonde gelegt.<br />

47


Abbildung 5: Vorliegen und Art eines akuten Ereignisses, das <strong>zur</strong> PEG-<strong>Anlage</strong> führte<br />

In den Fällen, bei denen ein akutes Ereignis vorlag, wurde zusätzlich erhoben, wie viel Zeit<br />

zwischen dem akuten Ereignis und <strong>der</strong> PEG-<strong>Anlage</strong> verstrich. In vier Fällen finden sich<br />

hierzu keine Angaben in <strong>der</strong> Bewohnerdokumentation. In etwa 85 Prozent <strong>der</strong> verbleibenden<br />

Fälle (n = 27) erfolgte die <strong>Anlage</strong> <strong>der</strong> PEG-Sonde innerhalb <strong>der</strong> ersten vier Wochen nach<br />

Auftreten des akuten Ereignisses (Abb. 6). Obwohl zu berücksichtigen ist, dass es sich um<br />

eine sehr kleine Fallzahl handelt, wird hier eine zeitliche Tendenz deutlich. Es scheint, dass<br />

<strong>der</strong> Prozess <strong>zur</strong> Entscheidung für eine PEG-Sonde in einem Zeitraum von etwa vier Wochen<br />

nach dem Auftreten eines akuten Ereignisses stattfindet. Keine Aussage kann jedoch darüber<br />

getroffen werden, ob und wie häufig Entscheidungen gegen eine PEG-Sonde stattfinden.<br />

Abbildung 6: Zeitdauer zwischen dem akuten Ereignis und <strong>der</strong> <strong>Anlage</strong> PEG-Sonde<br />

Neben <strong>der</strong> Frage nach einem akuten Ereignis im Vorfeld <strong>einer</strong> PEG-<strong>Anlage</strong> wurde auch <strong>der</strong><br />

allgemeine Gesundheitszustand <strong>der</strong> Teilnehmer erfasst. Hierzu wurden zunächst alle in den<br />

Bewohnerdokumentationen aufgeführten Erkrankungen dokumentiert. Für die statistische<br />

Auswertung <strong>der</strong> Daten wurden die einzelnen Erkrankungen zu Kategorien zusammenge-<br />

48


fasst. Es werden hier nur Kategorien von Krankheiten berücksichtigt und dargestellt, bei denen<br />

davon auszugehen ist, dass sie im Zusammenhang mit <strong>der</strong> Notwendigkeit <strong>einer</strong> künstlichen<br />

Ernährung mittels <strong>einer</strong> PEG-Sonde relevant sind, bzw. dass ihnen bei <strong>der</strong> <strong>Entscheidungs</strong>findung<br />

eine beson<strong>der</strong>e Bedeutung zu kommt.<br />

Bei <strong>der</strong> Interpretation von Abbildung 7 ist zu berücksichtigen, dass bei den einzelnen Teilnehmern<br />

verschiedene Erkrankungen erfasst werden konnten. Es ist außerdem zu beachten,<br />

dass eine Relevanz dieser Erkrankungen in Bezug auf die <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG-Sonde lediglich<br />

vermutet wird und anhand <strong>der</strong> Aktenlage nicht immer nachweisbar war.<br />

Genau 50 Prozent <strong>der</strong> Teilnehmer weisen eine dementielle Erkrankung auf. Bei 38,9 Prozent<br />

<strong>der</strong> Teilnehmer finden sich in <strong>der</strong> Anamnese ein Apoplex o<strong>der</strong> ein Schädel-Hirn-Trauma und<br />

auch neurologische Erkrankungen 2 sind mit 30,6 Prozent häufig vertreten. Maligne<br />

Erkrankungen spielen eine untergeordnete Rolle, da sie lediglich bei 2,8 Prozent <strong>der</strong> Teilnehmer<br />

vorkommen.<br />

Abbildung 7: Grun<strong>der</strong>krankungen <strong>der</strong> Teilnehmer<br />

Bei den genannten Krankheitskategorien wurde außerdem überprüft, ob sich eine Beziehung<br />

zu <strong>der</strong> Variable „Alter des Bewohners“ nachweisen lässt. Dies war lediglich bei <strong>der</strong> Krankheitskategorie<br />

„Demenz“ <strong>der</strong> Fall. Erwartungsgemäß treten mit zunehmendem Alter dementielle<br />

Erkrankungen häufiger auf (Abb. 8, = 14,070; df = 5; p= 0,015). Der Zusammenhang<br />

dieser beiden Variablen ist für die Interpretation <strong>der</strong> Ergebnisse zu berücksichtigen, da in <strong>der</strong><br />

zugrunde liegenden Stichprobe vor allem die höheren Altersgruppen vertreten sind. Des<br />

Weiteren wurde in <strong>der</strong> Literatur die <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG-Sonde insbeson<strong>der</strong>e bei Patienten mit<br />

dementiellen Erkrankungen kritisch diskutiert.<br />

2 In Abgrenzung zu akuten neurologischen Erkrankungen, wie Apoplex und Schädel-Hirn-Traun<br />

(SHT), wurden hierunter progredient verlaufende neurologische Erkrankungen, wie Multiple<br />

Sklerose o<strong>der</strong> Morbus Parkinson, zusammengefasst.<br />

49


Abbildung 8: Personen mit Demenz nach Altersgruppen<br />

Ernährungssituation<br />

Zur Beurteilung <strong>der</strong> Ernährungssituation wurde zunächst erfasst, ob bei den Teilnehmern<br />

zum Zeitpunkt <strong>der</strong> PEG-<strong>Anlage</strong> eine Dysphagie vorlag. Dies trifft bei genau 50 Prozent <strong>der</strong><br />

Teilnehmer zu. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass eine Dysphagie nur dann erfasst werden<br />

konnte, wenn sich Hinweise hierauf in den analysierten Bewohnerdokumentationen fanden.<br />

Hierbei wurden alle Fälle berücksichtigt, in denen entwe<strong>der</strong> die Diagnose Dysphagie explizit<br />

dokumentiert ist o<strong>der</strong> aber bei denen Schluckstörungen anhand <strong>der</strong> Pflegedokumentation<br />

festgehalten sind. Es ist durchaus denkbar, dass <strong>der</strong> tatsächliche Anteil <strong>der</strong> Teilnehmer, die<br />

zum Zeitpunkt <strong>der</strong> PEG-<strong>Anlage</strong> eine Dysphagie hatten, größer ist als 50 Prozent. Auffallend<br />

bei <strong>der</strong> Analyse <strong>der</strong> Daten ist, dass <strong>der</strong> Anteil <strong>der</strong> Teilnehmer mit Dysphagie in <strong>der</strong> Gruppe<br />

<strong>der</strong> Männer mit 75 Prozent größer ist als in <strong>der</strong> Gruppe <strong>der</strong> Frauen (42,9%). Da insbeson<strong>der</strong>e<br />

die Gruppe <strong>der</strong> Männer jedoch sehr klein ist, kann dieser Unterschied nur unter Vorbehalt<br />

interpretiert werden.<br />

Weiterhin wurde erhoben, ob die Teilnehmer vor <strong>Anlage</strong> <strong>der</strong> PEG-Sonde über eine nasogastrale<br />

Sonde ernährt wurden. Auch bei dieser Frage lässt sich lediglich überprüfen, ob in<br />

<strong>der</strong> Bewohnerdokumentation Hinweise darauf zu finden sind. Das ist nur bei vier Teilnehmern<br />

<strong>der</strong> Fall. Ebenso wie bei <strong>der</strong> Frage nach <strong>einer</strong> Dysphagie, muss jedoch auch hier berücksichtigt<br />

werden, dass möglicherweise die Nutzung <strong>einer</strong> nasogastralen Sonde in <strong>der</strong><br />

Bewohnerdokumentation <strong>der</strong> Altenpflegeeinrichtung nicht dokumentiert wurde. Insbeson<strong>der</strong>e<br />

bei Teilnehmern, die die PEG-Sonde bereits vor Einzug in die Einrichtung erhalten haben,<br />

bzw. die aufgrund eines akuten Ereignisses in einem Krankenhaus versorgt wurden, ist diese<br />

Möglichkeit nicht auszuschließen.<br />

Zur Beurteilung <strong>der</strong> Ernährungssituation wurde außerdem <strong>der</strong> Body-Mass-Index (BMI) <strong>der</strong><br />

Teilnehmer zum Zeitpunkt <strong>der</strong> PEG-<strong>Anlage</strong> anhand des dokumentierten Gewichts und <strong>der</strong><br />

Größe errechnet. Die größte Gruppe <strong>der</strong> Teilnehmer wies zum Zeitpunkt <strong>der</strong> <strong>Anlage</strong> <strong>der</strong><br />

PEG-Sonde einen BMI von 20 kg/m 2 bis 25 kg/m 2 auf, was entsprechend <strong>der</strong> Definition durch<br />

die WHO (2009) als normal gilt (Abb. 9). Bei jeweils neun Teilnehmern war <strong>der</strong> BMI kl<strong>einer</strong><br />

als 20 kg/m 2 o<strong>der</strong> größer als 25 kg/m 2 . In weiteren 25 Bewohnerdokumentationen finden sich<br />

keine Informationen über den BMI o<strong>der</strong> die Größe und das Gewicht <strong>der</strong> Teilnehmer zum<br />

Zeitpunkt <strong>der</strong> PEG-<strong>Anlage</strong>.<br />

50


Abbildung 9: BMI zum Zeitpunkt <strong>der</strong> PEG-<strong>Anlage</strong><br />

Situation zum Zeitpunkt <strong>der</strong> Erhebung<br />

Um einschätzen zu können, wie sich die <strong>Anlage</strong> <strong>der</strong> PEG-Sonde und die daraus resultierende<br />

enterale Ernährung <strong>der</strong> Teilnehmer auf <strong>der</strong>en Ernährungssituation ausgewirkt hat,<br />

bzw. wie sich diese im weiteren Verlauf entwickelt hat, wurden Daten <strong>zur</strong> Beurteilung <strong>der</strong><br />

Ernährungssituation zum Zeitpunkt <strong>der</strong> Erhebung ermittelt. Des Weiteren wurde erhoben, ob<br />

seit <strong>Anlage</strong> <strong>der</strong> PEG-Sonde Komplikationen aufgetreten sind, die möglicherweise durch die<br />

PEG-Sonde o<strong>der</strong> die damit einhergehende Sondenernährung bedingt sind.<br />

Ernährungssituation<br />

Zunächst wurde erfasst, ob den Teilnehmern zusätzlich <strong>zur</strong> Sondenkost orale Nahrung angeboten<br />

wurde. Bei genau 50 Teilnehmern wird auch eine orale Nahrungsaufnahme angeboten<br />

(Abb.10). Das entspricht einem Anteil von etwa 70 Prozent aller PEG-Sondenträger. In<br />

nur einem einzigen Fall ist die PEG-Sonde zum Zeitpunkt <strong>der</strong> Erhebung nicht mehr vorhanden.<br />

Indikation für die <strong>Anlage</strong> <strong>der</strong> PEG-Sonde war in diesem Fall eine massive Ösophagitis,<br />

die offenbar im weiteren Verlauf abgeklungen war. In lediglich drei <strong>der</strong> Bewohnerdokumentationen<br />

finden sich Hinweise darauf, dass zum Zeitpunkt <strong>der</strong> Datenerhebung in Erwägung<br />

gezogen wurde, die enterale Ernährung mithilfe <strong>der</strong> PEG-Sonde nicht dauerhaft fortzusetzen.<br />

Die Option, eine PEG-Sonde als vorübergehende Maßnahme zu betrachten, scheint<br />

offenbar in <strong>der</strong> alltäglichen Praxis eine untergeordnete Rolle zu spielen.<br />

51


Abbildung 10: Zusätzliches Angebot <strong>zur</strong> oralen Nahungsaufnahme<br />

Fraglich ist, ob diese Option aufgrund <strong>der</strong> gesundheitlichen und ernährungsspezifischen Situation<br />

<strong>der</strong> Bewohner nicht infrage kommt o<strong>der</strong> aber, ob die Möglichkeit eine PEG-Sonde bei<br />

<strong>einer</strong> Verbesserung <strong>der</strong> Situation wie<strong>der</strong> zu entfernen, aufgrund an<strong>der</strong>er Aspekte nicht in<br />

Betracht gezogen wird. Aus diesem Grund wurde zusätzlich erfasst, in welchem Umfang die<br />

teilnehmenden Bewohner mit Sondenkost, bzw. anhand von oraler Nahrungsaufnahme, ernährt<br />

werden.<br />

Insgesamt werden 63,4 Prozent <strong>der</strong> teilnehmenden Bewohner zum Zeitpunkt <strong>der</strong> Datenerhebung<br />

vorwiegend o<strong>der</strong> ausschließlich über die PEG-Sonde ernährt. Etwa 24 Prozent <strong>der</strong><br />

teilnehmenden Bewohner werden jedoch zumindest vorwiegend oral ernährt, wobei 11,3<br />

Prozent lediglich Flüssigkeit über die PEG-Sonde erhalten und die Sonde in zwei Fällen<br />

überhaupt nicht genutzt wurde. In einigen Fällen scheint die PEG-Sonde folglich entwe<strong>der</strong><br />

für den Fall <strong>einer</strong> erneuten Verschlechterung <strong>der</strong> Ernährungssituation zu verbleiben o<strong>der</strong><br />

aber <strong>zur</strong> ergänzenden Flüssigkeits- o<strong>der</strong> Nahrungssubstitution genutzt zu werden.<br />

52


Abbildung 11: Umfang <strong>der</strong> oralen Nahrungsaufnahme 3<br />

Obwohl <strong>der</strong> Umfang des Nahrungsangebotes stark variiert, scheint die zusätzliche orale Ernährung<br />

in den teilnehmenden Altenpflegeeinrichtungen einen großen Stellenwert zu haben<br />

und eine allgemein gebräuchliche pflegerische Maßnahme zu sein. Zu berücksichtigen ist<br />

jedoch auch, dass anhand <strong>der</strong> erhobenen Daten nicht beurteilt werden kann, ob <strong>der</strong> Umfang<br />

des oralen Nahrungsangebotes dem gesundheitlichen Zustand und den Bedürfnissen <strong>der</strong><br />

einzelnen Bewohner entspricht.<br />

Zur Beurteilung <strong>der</strong> Entwicklung <strong>der</strong> Ernährungssituation wurde weiterhin <strong>der</strong> BMI <strong>der</strong> teilnehmenden<br />

Bewohner zum Zeitpunkt <strong>der</strong> Datenerhebung erfasst. Es sollte vor allem ein<br />

Vergleich mit den BMI-Werten, die zum Zeitpunkt <strong>der</strong> PEG-<strong>Anlage</strong> dokumentiert waren, ermöglicht<br />

werden. Zu beachten ist, dass über die Höhe des BMI zum Zeitpunkt <strong>der</strong> PEG-<strong>Anlage</strong><br />

in 34,7 Prozent <strong>der</strong> analysierten Bewohnerdokumentationen keine Angaben verfügbar<br />

sind und auch für den Zeitpunkt <strong>der</strong> Erhebung fehlen diese Angaben bei 15,3 Prozent <strong>der</strong><br />

Bewohnerdokumentationen. In die grafische Darstellung des Vergleichs <strong>der</strong> BMI-Werte zum<br />

Zeitpunkt <strong>der</strong> PEG-<strong>Anlage</strong> und zum Zeitpunkt <strong>der</strong> Erhebung sind diese fehlenden Werte<br />

nicht eingeflossen. In Abbildung 12 werden ausschließlich die <strong>zur</strong> Verfügung stehenden BMI-<br />

Werte berücksichtigt.<br />

Abbildung 12: BMI zum Zeitpunkt <strong>der</strong> PEG-<strong>Anlage</strong> und zum Zeitpunkt <strong>der</strong> Datenerhebung<br />

Es zeigt sich, dass zu beiden Zeitpunkten jeweils die meisten teilnehmenden Bewohner einen<br />

BMI von 20 kg/m 2 bis 25 kg/m 2 haben. Zum Zeitpunkt <strong>der</strong> Datenerhebung ist <strong>der</strong> Anteil<br />

<strong>der</strong> Teilnehmer, die einen BMI von 20 kg/m 2 o<strong>der</strong> darunter haben, um 7,6 Prozentpunkte<br />

kl<strong>einer</strong> als zum Zeitpunkt <strong>der</strong> PEG-<strong>Anlage</strong>. Hingegen ist <strong>der</strong> Anteil <strong>der</strong> Teilnehmer, die einen<br />

BMI von 26 kg/m 2 bis 30 kg/m 2 haben, mit 21,3 Prozent zum Zeitpunkt <strong>der</strong> Datenerhebung im<br />

Vergleich zu 14,9 Prozent zum Zeitpunkt <strong>der</strong> PEG-<strong>Anlage</strong> geringfügig größer. Es zeigt sich<br />

also eine leichte Tendenz zu einem höheren BMI nach Beginn <strong>der</strong> Sondenernährung.<br />

3 Zur übersichtlicheren grafischen und tabellarischen Darstellung wurden die Antwortkategorien des<br />

Erhebungsinstrumentes folgen<strong>der</strong>maßen abgekürzt: 1) Ausschließlich orale Nahrungsaufnahme =<br />

Orale Ernährung; 2) Ausschließlich Flüssigkeitsgabe über die PEG = Flüssigkeitsgabe; 3)<br />

Vorwiegend orale Nahrungsaufnahme = Vorwiegend o. E.; 4) Sondenkost und orale<br />

Nahrungsaufnahme zu gleichen Teilen = SK & o. E.; 5) Vorwiegend Sondenkost = Vorwiegend<br />

SK; 6) Ausschließlich Sondenkost = Sondenkost<br />

53


Um auch den Gewichtsverlauf zwischen den beiden Erhebungszeitpunkten des BMI-Wertes<br />

zu berücksichtigen, wurde zusätzlich anhand <strong>der</strong> in den Bewohnerdokumentationen <strong>zur</strong><br />

Verfügung stehenden Gewichtsangaben beurteilt, wie sich das Körpergewicht <strong>der</strong> einzelnen<br />

teilnehmenden Bewohner in diesem Zeitraum entwickelte. Es stehen vier Antwortkategorien<br />

<strong>zur</strong> Verfügung, denen die Gewichtsverläufe <strong>der</strong> einzelnen Teilnehmer zugeordnet werden.<br />

Der Fokus liegt auf <strong>einer</strong> subjektiven Beurteilung des Gesamtverlaufes durch die Mitarbeiter<br />

des Projektes im Zeitraum von <strong>der</strong> <strong>Anlage</strong> <strong>der</strong> PEG-Sonde bis zum Zeitpunkt <strong>der</strong> Erhebung<br />

(Abb. 13), wobei die Cut-off-Punkte für eine Gewichtszunahme o<strong>der</strong> –abnahme bei <strong>einer</strong><br />

Abweichung von mindestens fünf Kilogramm vom Ausgangsgewicht festgelegt wurden.<br />

Abbildung 13: Gewichtsverläufe nach <strong>Anlage</strong> <strong>der</strong> PEG-Sonde<br />

Bei 26 <strong>der</strong> teilnehmenden Bewohner ist eine entsprechende Zuordnung zu <strong>einer</strong> <strong>der</strong> vier<br />

Kategorien nicht möglich. Gründe hierfür sind zum einen, dass sich in <strong>der</strong> Bewohnerdokumentation<br />

keine Informationen finden, die eine Zuordnung ermöglichen o<strong>der</strong> aber dass die<br />

Zeitspanne zwischen <strong>Anlage</strong> <strong>der</strong> PEG-Sonde und <strong>der</strong> Datenerhebung zu kurz ist, um eine<br />

sinnvolle Beurteilung des Gewichtsverlaufes vorzunehmen. In Abbildung 13 sind diese Fälle<br />

nicht berücksichtigt, son<strong>der</strong>n es findet ausschließlich ein Vergleich <strong>der</strong> gültigen Fälle statt.<br />

Anhand <strong>der</strong> Darstellung wird deutlich, dass in 56,5 Prozent <strong>der</strong> Fälle eine Zunahme des Körpergewichts<br />

zu beobachten ist. Jeweils bei 17,4 Prozent <strong>der</strong> Teilnehmer ist <strong>der</strong> Gewichtsverlauf<br />

unregelmäßig o<strong>der</strong> aber es treten keine Verän<strong>der</strong>ungen des Körpergewichts auf. In<br />

8,7 Prozent <strong>der</strong> Fälle findet eine Abnahme an Körpergewicht statt.<br />

Die beschriebenen ernährungsspezifischen Daten wurden darüber hinaus dahin gehend untersucht,<br />

ob Zusammenhänge mit an<strong>der</strong>en Variablen bestehen. Hierzu wurden verschiedene<br />

inhaltslogische Kombinationen von Variablen anhand von Kreuztabellen ausgewertet. Diese<br />

Form <strong>der</strong> Auswertung zeigt jedoch keine Korrelationen einzelner Variablen, wie beispielsweise<br />

zwischen dem Vorliegen eines akuten Ereignisses als auslösendes Moment für die<br />

PEG-<strong>Anlage</strong> o<strong>der</strong> bestehenden Grun<strong>der</strong>krankungen und <strong>der</strong> Entwicklung <strong>der</strong> Ernährungssituation.<br />

Auch die Variablen Alter und Geschlecht stehen bei <strong>der</strong> zugrunde liegenden Stichprobe<br />

in k<strong>einer</strong> Beziehung <strong>zur</strong> Entwicklung <strong>der</strong> Ernährungssituation.<br />

Komplikationen und gesundheitliche Probleme<br />

Neben <strong>der</strong> ernährungsspezifischen Entwicklung nach <strong>Anlage</strong> <strong>der</strong> PEG-Sonde wurde ebenfalls<br />

erhoben, ob bedingt durch die PEG-Sonde, durch <strong>der</strong>en <strong>Anlage</strong> o<strong>der</strong> durch die Ernährung<br />

anhand von Sondenkost Komplikationen und gesundheitliche Probleme bei den einzelnen<br />

teilnehmenden Bewohnern aufgetreten waren.<br />

In insgesamt 33,3 Prozent <strong>der</strong> Bewohnerdokumentationen sind gesundheitliche Probleme<br />

beschrieben, die durch die PEG-Sonde verursacht wurden. Zu berücksichtigen ist hier erneut,<br />

dass möglicherweise nicht alle Komplikationen, die auftraten, dokumentiert wurden,<br />

54


o<strong>der</strong> aber dass <strong>der</strong> Zusammenhang von gesundheitlichen Problemen und PEG-Sonde anhand<br />

<strong>der</strong> Bewohnerdokumentation nicht nachvollziehbar ist.<br />

Die häufigste Komplikation im Zusammenhang mit <strong>der</strong> PEG-Sonde stellt eine lokale Wundinfektion<br />

<strong>der</strong> Einstichstelle dar (Abb. 14). In lediglich zwei Fällen ist das Auftreten <strong>einer</strong> Diarrhö<br />

dokumentiert, die durch eine Unverträglichkeit <strong>der</strong> Sondenkost verursacht wurde. In einem<br />

Fall wurde ein sogenanntes Buried-Bumper-Syndrom diagnostiziert, worunter das Einwachsen<br />

<strong>der</strong> inneren Halteplatte, mit <strong>der</strong> die PEG-Sonde fixiert wird, in die Magenwand verstanden<br />

wird. Eine Dislokation <strong>der</strong> Magensonde ist ebenfalls in einem Fall beschrieben.<br />

Ebenso, wie bei <strong>der</strong> Beurteilung <strong>der</strong> Ernährungssituation zum Zeitpunkt <strong>der</strong> Datenerhebung,<br />

lassen sich auch in Bezug auf gesundheitliche Probleme, die im Zusammenhang mit <strong>der</strong><br />

PEG auftraten, anhand statistischer Auswertung k<strong>einer</strong>lei Tendenzen in Bezug auf an<strong>der</strong>e<br />

Variablen, wie beispielsweise Alter, Geschlecht o<strong>der</strong> das Vorliegen <strong>einer</strong> Demenz nachweisen.<br />

Abbildung 14: Komplikationen im Zusammenhang mit <strong>der</strong> PEG-Sonde<br />

<strong>Entscheidungs</strong>findung<br />

Mithilfe des folgenden Abschnitts des Erhebungsinstrumentes wurden Informationen zum<br />

praktischen <strong>Ablauf</strong> des <strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong>s im Vorfeld <strong>der</strong> <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG-Sonde<br />

erhoben. Die einzelnen Items bezogen sich auf die Nutzung von Hilfsmitteln <strong>zur</strong> <strong>Entscheidungs</strong>findung,<br />

auf Maßnahmen <strong>zur</strong> Verbesserung o<strong>der</strong> Stabilisierung <strong>der</strong> Ernährungssituation<br />

sowie auf die Beteiligung verschiedener Personengruppen am <strong>Entscheidungs</strong>prozess<br />

und <strong>der</strong>en Interaktion.<br />

Während <strong>zur</strong> Bearbeitung <strong>der</strong> zuvor beschriebenen Themenbereiche sämtliche in <strong>der</strong> Bewohnerdokumentation<br />

enthaltenen Informationen genutzt wurden, waren für die Bearbeitung<br />

<strong>der</strong> folgenden Items ausschließlich pflegespezifische Dokumente <strong>der</strong> Altenpflegeeinrichtungen<br />

relevant. Infolgedessen wurden alternative Dokumente, die sich in den Bewohnerdokumentationen<br />

befanden, wie beispielsweise Entlassungsbriefe von Krankenhäusern o<strong>der</strong> aus<br />

Rehabilitationseinrichtungen, nicht als Datenquelle berücksichtigt. Ausschlaggebend für<br />

diese Einschränkung war zum einen, dass davon auszugehen war, dass sich in diesen Dokumenten<br />

keine detaillierten Informationen finden würden, die einen im Pflegeheim erfolgten<br />

<strong>Entscheidungs</strong>prozess nachvollziehbar machen würden. Zum an<strong>der</strong>en bezog sich die Fragestellung<br />

dieses Teiles des Forschungsprojektes auf den <strong>Ablauf</strong> von <strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong>n<br />

im Vorfeld <strong>der</strong> <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG-Sonde im Setting Altenpflegeeinrichtung. Insofern<br />

55


hätten diese Dokumente keine aussagekräftigen Informationen <strong>zur</strong> Bearbeitung <strong>der</strong> Forschungsfrage<br />

liefern können.<br />

Anhand <strong>einer</strong> Filterfrage wurde zunächst eruiert, ob in <strong>der</strong> <strong>zur</strong> Verfügung stehenden Pflegedokumentation<br />

<strong>der</strong> einzelnen teilnehmenden Bewohner grundsätzlich Informationen zum<br />

<strong>Entscheidungs</strong>prozess enthalten waren. Die folgenden Items des Erhebungsinstrumentes<br />

befassten sich dann detailliert mit <strong>der</strong> Art <strong>der</strong> <strong>zur</strong> Verfügung stehenden Informationen.<br />

Informationen zum <strong>Entscheidungs</strong>prozess sind tatsächlich nur in 16 <strong>der</strong> analysierten Bewohnerdokumentationen<br />

festgehalten (Abb. 15), was einem Anteil von 22,2 Prozent entspricht.<br />

In den verbleibenden 56 Bewohnerdokumentationen finden sich k<strong>einer</strong>lei Hinweise<br />

darauf, ob und wie ein <strong>Entscheidungs</strong>prozess stattgefunden hat.<br />

Erwartungsgemäß handelt es sich bei den 16 Bewohnerdokumentationen, in denen Informationen<br />

verfügbar waren, um Akten von Bewohnern, die bereits vor <strong>Anlage</strong> <strong>der</strong> PEG-Sonde in<br />

<strong>der</strong> Altenpflegeeinrichtung betreut wurden.<br />

Abbildung 15: Dokumentation des <strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong>s im Vorfeld <strong>der</strong> PEG-<strong>Anlage</strong><br />

Wie bereits im entsprechenden Ergebnisteil ausgeführt, wurden 48 <strong>der</strong> 72 teilnehmenden<br />

Bewohner bereits vor <strong>Anlage</strong> <strong>der</strong> PEG-Sonde in <strong>einer</strong> Altenpflegeeinrichtung betreut. Bei<br />

diesen 48 Bewohnern war davon auszugehen, dass Informationen <strong>zur</strong> <strong>Entscheidungs</strong>findung<br />

für die <strong>Anlage</strong> <strong>der</strong> PEG-Sonde in <strong>der</strong> Bewohnerdokumentation vorhanden sind. Es zeigte<br />

sich jedoch, dass auch bei diesen Bewohnern lediglich in 33,3 Prozent <strong>der</strong> Fälle <strong>der</strong>artige<br />

Informationen dokumentiert sind (Abb. 16).<br />

56


Abbildung 16: Dokumentation des <strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong>s im Vorfeld <strong>der</strong> PEG-<strong>Anlage</strong> nach Betreuungsart<br />

vor <strong>der</strong> PEG-<strong>Anlage</strong> 4<br />

Es wurde deshalb nach weiteren Variablen gesucht, die einen Einfluss auf die Dokumentation<br />

des <strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong>s in <strong>der</strong> Bewohnerdokumentation <strong>der</strong> Altenpflegeeinrichtungen<br />

haben können.<br />

Das Vorliegen eines akuten Ereignisses als auslösen<strong>der</strong> Faktor für die <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG-<br />

Sonde, hat einen wesentlichen Einfluss darauf, ob Informationen zum <strong>Entscheidungs</strong>prozess<br />

dokumentiert sind o<strong>der</strong> nicht (Abb. 17). In <strong>der</strong> Abbildung wurden ausschließlich diejenigen<br />

Bewohner berücksichtigt, die auch vor <strong>Anlage</strong> <strong>der</strong> PEG-Sonde bereits in <strong>der</strong> Pflegeeinrichtung<br />

betreut wurden.<br />

4 Zur übersichtlicheren grafischen und tabellarischen Darstellung wurden die Antwortkategorien des<br />

Erhebungsinstrumentes, wie bereits in Abbildung 2, folgen<strong>der</strong>maßen abgekürzt: 1) Eigene<br />

Wohnung, keine Betreuung = Selbstständig; 2) Eigene Wohnung, Betreuung durch Angehörige =<br />

Angehörige; 3) Eigene Wohnung, Betreuung durch Pflegedienst = Pflegedienst; 4)<br />

Altenpflegeeinrichtung = Pflegeheim; 5) Eigene Wohnung ohne Angabe <strong>zur</strong> Betreuung =<br />

Wohnung o. A.<br />

57


Abbildung 17: Vorliegen eines akuten Ereignisses bei dokumentiertem <strong>Entscheidungs</strong>prozess<br />

Lag kein akutes Ereignis vor, sind in 41,9 Prozent <strong>der</strong> Fälle Informationen <strong>zur</strong> <strong>Entscheidungs</strong>findung<br />

dokumentiert. In Fällen, bei denen ein akutes Ereignis vorlag, trifft dies nur bei<br />

18,8 Prozent zu. Bei diesen akuten Ereignissen handelt es sich jeweils um Erkrankungen<br />

des Magen-Darm-Traktes, die offenbar nicht mit <strong>einer</strong> sofortigen stationären Versorgung in<br />

einem Krankenhaus einhergingen. Es lässt sich hier kein statistisch signifikanter Zusam-<br />

menhang nachweisen ( = 2,527; df = 1; p= 0,112). Dennoch wird eine Tendenz anhand<br />

<strong>der</strong> grafischen Darstellung deutlich. Der fehlende Nachweis <strong>der</strong> statistischen Signifikanz<br />

lässt sich womöglich mit <strong>der</strong> geringeren Stichprobengröße (n = 48) erklären.<br />

Fraglich ist, warum in 58,1 Prozent <strong>der</strong> Dokumentationen von Bewohnern ohne akutes Ereignis<br />

k<strong>einer</strong>lei Hinweise auf die <strong>Entscheidungs</strong>findung im Vorfeld <strong>der</strong> <strong>Anlage</strong> <strong>der</strong> PEG-<br />

Sonde zu finden sind. Obwohl die Stichprobengröße sehr gering ist, entsprechen diese 58,1<br />

Prozent <strong>einer</strong> Anzahl von 18 Bewohnerdokumentationen, die zum einen in <strong>einer</strong> Altenpflegeeinrichtung<br />

betreut wurden und bei denen zum an<strong>der</strong>en kein akutes Ereignis die <strong>Anlage</strong><br />

<strong>der</strong> PEG-Sonde bedingt hatte. Es ist also davon auszugehen, dass bei dieser Gruppe von<br />

teilnehmenden Bewohnern die Entscheidung für die enterale Ernährung anhand <strong>einer</strong> PEG-<br />

Sonde getroffen wurde, während sie Bewohner <strong>einer</strong> Altenpflegeeinrichtung waren. Zu klären<br />

ist, aus welchen Gründen sich bei diesen Bewohnern k<strong>einer</strong>lei Hinweise auf die <strong>Entscheidungs</strong>findung<br />

in <strong>der</strong> Bewohnerdokumentation finden.<br />

Die Daten wurden des Weiteren dahin gehend analysiert, ob ein Zusammenhang zwischen<br />

dem Vorliegen <strong>einer</strong> dementiellen Erkrankung bei den teilnehmenden Bewohnern und <strong>der</strong><br />

Nachvollziehbarkeit des <strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong>s für die <strong>Anlage</strong> <strong>der</strong> PEG-Sonde in den<br />

Pflegedokumentationen dieser Bewohner besteht. Diese Analyse wurde vorgenommen, da in<br />

<strong>der</strong> Literatur <strong>der</strong> <strong>Entscheidungs</strong>prozess vor <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG-Sonde insbeson<strong>der</strong>e bei<br />

Personen mit dementiellen Erkrankungen als beson<strong>der</strong>s essenziell und häufig problematisch<br />

beschrieben wird.<br />

Es wurden auch bei dieser Auswertung ausschließlich die Fälle berücksichtigt, die bereits vor<br />

<strong>Anlage</strong> <strong>der</strong> PEG-Sonde in <strong>einer</strong> Altenpflegeeinrichtung betreut wurden. Es zeigt sich<br />

tatsächlich einen Unterschied zwischen diesen beiden Gruppen von Bewohnern (Abb. 18).<br />

In <strong>der</strong> Gruppe <strong>der</strong> Bewohner, die keine dementielle Erkrankung haben, finden sich lediglich<br />

in 26,7 Prozent <strong>der</strong> Pflegedokumentationen Informationen zum <strong>Ablauf</strong> des <strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong>s.<br />

Hingegen finden sich in <strong>der</strong> Gruppe <strong>der</strong> Bewohner, die eine dementielle Erkrankung<br />

haben, in 36,4 Prozent <strong>der</strong> Pflegedokumentationen Angaben zu diesem Prozess.<br />

Statistisch lässt sich hier allerdings keine signifikante Korrelation <strong>der</strong> beiden Variablen<br />

nachweisen, sodass berücksichtigt werden muss, dass es sich um einen auf Zufall beruhenden<br />

Unterschied zwischen diesen beiden Gruppen handeln könnte. Dennoch besteht die<br />

Möglichkeit, dass die Entscheidung für die <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG-Sonde bei Altenheimbewohnern,<br />

die eine dementielle Erkrankung haben, tatsächlich in einigen Fällen sehr sorgfältig<br />

bedacht wird.<br />

58


Abbildung 18: Vorliegen <strong>einer</strong> dementiellen Erkrankung bei dokumentiertem <strong>Entscheidungs</strong>prozess<br />

Darüber hinaus wurde analysiert, ob in den verschiedenen Altenpflegeeinrichtungen unterschiedlich<br />

häufig Informationen zum <strong>Entscheidungs</strong>prozess in den Bewohnerdokumentationen<br />

vorliegen. Abbildung 19 stellt die entsprechenden Ergebnisse grafisch dar.<br />

Abbildung 19: Häufigkeit <strong>der</strong> Dokumentation des <strong>Entscheidungs</strong>prozess nach Einrichtung<br />

Aufgrund <strong>der</strong> geringen Stichprobengröße und <strong>der</strong> ungleichmäßigen Verteilung <strong>der</strong> Fälle auf<br />

die einzelnen Altenpflegeeinrichtungen lässt sich in Bezug auf diese Fragestellung keine<br />

Systematik erkennen. Dennoch fällt auf, dass in einigen Einrichtungen in k<strong>einer</strong> <strong>der</strong> Bewohnerdokumentationen<br />

Informationen zum <strong>Entscheidungs</strong>prozess vorliegen, während dies in<br />

an<strong>der</strong>en Einrichtungen relativ häufig <strong>der</strong> Fall ist. Ob diese Unterschiede durch die unterschiedliche<br />

Qualität <strong>der</strong> Dokumentation und <strong>Entscheidungs</strong>findung bedingt sind o<strong>der</strong> ob hier<br />

an<strong>der</strong>e Faktoren eine Rolle spielten, lässt sich anhand <strong>der</strong> <strong>zur</strong> Verfügung stehenden Daten<br />

jedoch nicht beurteilen.<br />

Für die Analyse <strong>der</strong> folgenden Items konnten ausschließlich Bewohnerdokumentationen berücksichtigt<br />

werden in denen Informationen <strong>zur</strong> <strong>Entscheidungs</strong>findung enthalten waren. Die<br />

folgenden Ergebnisausführungen beziehen sich folglich ausschließlich auf die 16 Bewohnerdokumentationen<br />

in denen entsprechende Informationen vorlagen.<br />

59


Übersicht<br />

Abbildung 20 stellt zunächst eine Übersicht <strong>der</strong> Items dar, die im Zusammenhang mit <strong>der</strong><br />

<strong>Entscheidungs</strong>findung im Vorfeld <strong>der</strong> PEG-<strong>Anlage</strong> bearbeitet wurden. Es wird in dieser Grafik<br />

lediglich veranschaulicht, ob zu den einzelnen Themenbereichen Informationen vorhanden<br />

waren o<strong>der</strong> nicht.<br />

Abbildung 20: Was wird dokumentiert? (Übersicht)<br />

Es zeigt sich ein wenig einheitliches Bild. Während beispielsweise die Nutzung von <strong>Entscheidungs</strong>hilfen<br />

sowie Gespräche im Team eine untergeordnete Rolle spielen, scheinen<br />

Informationen zu beteiligten Personen, zu Gesprächen mit Bewohnern und Angehörigen und<br />

zu Arztkontakten regelmäßig im Zusammenhang mit <strong>der</strong> Entscheidung für die <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong><br />

PEG-Sonde dokumentiert zu werden. Informationen <strong>zur</strong> Nutzung von Assessmentinstrumenten<br />

o<strong>der</strong> Maßnahmen <strong>zur</strong> Vermeidung <strong>einer</strong> PEG-Sonde und Konfliktsituation sind jeweils<br />

in einem Teil <strong>der</strong> analysierten Bewohnerdokumentationen aufgeführt.<br />

<strong>Entscheidungs</strong>hilfen<br />

<strong>Entscheidungs</strong>hilfen wurden im Rahmen dieses Projektes definiert als Richtlinien und<br />

Handlungsanweisungen, die innerhalb <strong>der</strong> einzelnen teilnehmenden Altenpflegeeinrichtungen<br />

routinemäßig eingesetzt werden, um den <strong>Entscheidungs</strong>prozess im Vorfeld <strong>der</strong> <strong>Anlage</strong><br />

<strong>einer</strong> PEG-Sonde zu steuern.<br />

Anhand <strong>der</strong> oben bereits aufgeführten Abbildung 20 wird deutlich, dass <strong>der</strong> Einsatz solcher<br />

<strong>Entscheidungs</strong>hilfen in den beteiligten Einrichtungen keine Rolle zu spielen scheint. In k<strong>einer</strong><br />

<strong>der</strong> elf Altenpflegeeinrichtungen konnte anhand <strong>der</strong> analysierten Bewohnerdokumentationen<br />

die Anwendung eines solchen Algorithmus nachgewiesen werden.<br />

Assessmentinstrumente<br />

Der Einsatz von Assessmentinstrumenten <strong>zur</strong> Unterstützung <strong>der</strong> Entscheidung für die <strong>Anlage</strong><br />

<strong>einer</strong> PEG-Sonde war ein weiterer Aspekt, <strong>der</strong> bei <strong>der</strong> Analyse <strong>der</strong> Bewohnerdokumentationen<br />

erfasst wurde. Relevant war in erster Linie die Nutzung von Assessmentinstrumenten,<br />

die <strong>zur</strong> Beurteilung des Ernährungszustandes eingesetzt werden. Denkbar war jedoch<br />

auch <strong>der</strong> Einsatz an<strong>der</strong>er Assessmentinstrumente, die beispielweise im Rahmen <strong>einer</strong><br />

Schluckdiagnostik o<strong>der</strong> <strong>zur</strong> Erfassung des Unterstützungsbedarfs bei <strong>der</strong> Nahrungs- und<br />

Flüssigkeitsaufnahme eingesetzt werden.<br />

In insgesamt acht Fällen wurde die Nutzung von Assessmentinstrumenten im Zusammenhang<br />

mit <strong>der</strong> Entscheidung für die <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG-Sonde dokumentiert (Abb. 21). Hierbei<br />

60


handelte es sich jedoch in <strong>der</strong> Mehrzahl <strong>der</strong> Fälle um die Nutzung einfacher Trink- und Ernährungsprotokolle,<br />

die <strong>zur</strong> Beurteilung und zum Nachweis des Ernährungsverhaltens <strong>der</strong><br />

Bewohner geführt wurden. Nur in zwei Fällen wurde das sogenannte Mini Nutritional Assessment<br />

(MNA) genutzt, welches angewendet wird um das Vorliegen eines Risikos für Ernährungsprobleme<br />

bei Menschen, die älter als 65 Jahre sind, zu bestimmen. Beide Fälle<br />

sind <strong>der</strong>selben Altenpflegeeinrichtung zuzuordnen.<br />

Der Gebrauch komplexer Assessmentinstrumente <strong>zur</strong> Beurteilung des Ernährungszustandes<br />

scheint in den Altenpflegeeinrichtungen nicht gebräuchlich zu sein.<br />

Abbildung 21: Nutzung von Assessmentinstrumenten <strong>zur</strong> Unterstützung <strong>der</strong> Entscheidung<br />

Maßnahmen <strong>zur</strong> Verbesserung o<strong>der</strong> Stabilisierung <strong>der</strong> Ernährungssituation<br />

Mit dem nächsten Item des Erhebungsinstrumentes wird <strong>der</strong> Frage nachgegangen, ob Maßnahmen<br />

ergriffen wurden, mit <strong>der</strong>en Hilfe eine Verbesserung o<strong>der</strong> Stabilisierung <strong>der</strong> Ernährungssituation<br />

herbeigeführt werden sollte. Es werden sowohl pflegerische Maßnahmen berücksichtigt<br />

als auch die Zusammenarbeit mit an<strong>der</strong>en Berufsgruppen und die Nutzung von<br />

<strong>der</strong>en therapeutischen Möglichkeiten.<br />

In neun <strong>der</strong> sechzehn Bewohnerdokumentationen wird die Anwendung solcher Maßnahmen<br />

dokumentiert (Abb. 22).<br />

Bei <strong>der</strong> Interpretation <strong>der</strong> Abbildung ist zu berücksichtigen, dass bei Anwendung verschiedener<br />

Maßnahmen, diese jeweils geson<strong>der</strong>t aufgeführt werden.<br />

Am häufigsten (n = 7) wird das regelmäßige Anreichen von Nahrung und Flüssigkeit durch<br />

das Pflegepersonal sowie die Anwendung von Maßnahmen <strong>zur</strong> Unterstützung bei <strong>der</strong> Nahrungs-<br />

und Flüssigkeitsaufnahme angeführt.<br />

Als Maßnahmen <strong>zur</strong> Unterstützung werden sämtliche Bemühungen verstanden, die darauf<br />

abzielten, die Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme zu erleichtern o<strong>der</strong> aber die dazu dienen<br />

sollten einen Appetitanreiz zu schaffen. Dazu gehören beispielsweise das Andicken von<br />

Flüssigkeiten und das Angebot passierter Kost bei Schluckbeschwerden, aber auch die Anwendung<br />

hochkalorischer Nahrungsergänzung o<strong>der</strong> das Ermöglichen <strong>einer</strong> individuellen und<br />

biografieorientierten Esskultur.<br />

61


Abbildung 22: Maßnahmen <strong>zur</strong> Verbesserung o<strong>der</strong> Stabilisierung <strong>der</strong> Ernährungssituation<br />

In fünf Fällen werden subkutane Infusionen <strong>zur</strong> Flüssigkeitssubstitution verabreicht. Weitergehende<br />

Maßnahmen, wie die Inanspruchnahme <strong>einer</strong> Ernährungsberatung o<strong>der</strong> aber die<br />

Hinzuziehung von Logopäden sind nur in insgesamt drei Fällen zu finden.<br />

Personengruppen, die in den <strong>Entscheidungs</strong>prozess einbezogen werden<br />

Es wurde ebenfalls erhoben, welche Personengruppen an <strong>der</strong> Entscheidung für die <strong>Anlage</strong><br />

<strong>einer</strong> PEG-Sonde beteiligt wurden. In 15 Bewohnerdokumentationen sind Informationen <strong>zur</strong><br />

Beantwortung dieser Fragestellung enthalten. Nur in einem Fall war mithilfe <strong>der</strong> Bewohnerdokumentationen<br />

keine Aussage zu den beteiligten Personengruppen möglich.<br />

Abbildung 23: In den <strong>Entscheidungs</strong>prozess einbezogene Personen<br />

In fast allen Fällen sind Angehörige an <strong>der</strong> Entscheidung für die <strong>Anlage</strong> <strong>der</strong> PEG-Sonde beteiligt.<br />

Nur in einem Fall wird statt <strong>der</strong> Angehörigen ein gesetzlicher Betreuer genannt. Auch<br />

<strong>der</strong> behandelnde Arzt ist in 14 Fällen an <strong>der</strong> Entscheidung beteiligt, Pflegende hingegen nur<br />

in sieben Fällen. Ein Ernährungsberater, als weitere fachliche Disziplin, wurde nur in einem<br />

einzigen Fall hinzugezogen, während an<strong>der</strong>e relevante Professionen, wie beispielsweise<br />

62


Logopäden, in den 16 zugrunde liegenden Fällen keine Berücksichtigung finden o<strong>der</strong> aber<br />

diese zumindest in den analysierten Bewohnerdokumentationen nicht aufgeführt sind.<br />

Auffällig ist vor allem, dass auch die betroffenen Bewohner nur in drei <strong>der</strong> sechzehn Fälle an<br />

<strong>der</strong> Entscheidung beteiligt zu sein scheinen. In den verbleibenden Bewohnerdokumentationen<br />

finden sich keine Hinweise darauf, dass die Bewohner in den Prozess <strong>zur</strong> Entscheidung<br />

für die <strong>Anlage</strong> <strong>der</strong> PEG-Sonde eingebunden werden.<br />

Konflikte und kontroverse Meinungen<br />

Im Rahmen eines <strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong>s ist ebenfalls denkbar, dass es, gerade vor dem<br />

Hintergrund eines <strong>der</strong>artig ethisch und moralisch komplexen Themengebietes, zu Konfliktsituationen<br />

und zu kontroversen Meinungen bei den daran beteiligten Personen kommt. Es<br />

wurde aus diesem Grund erhoben, ob <strong>der</strong>artige Situationen in den Pflegeberichten <strong>der</strong> beteiligten<br />

Bewohner aufgeführt sind.<br />

Wie sich in Abbildung 24 zeigt, ist dies in vier Fällen gegeben. In den verbleibenden zwölf<br />

Bewohnerdokumentationen finden sich keine Hinweise auf das Auftreten von Konfliktsituationen<br />

im Zusammenhang mit dem <strong>Entscheidungs</strong>prozess.<br />

Zu berücksichtigen ist in Bezug auf diese Frage jedoch auch, dass insgesamt nur 16 Bewohnerdokumentationen<br />

überhaupt Informationen zum <strong>Entscheidungs</strong>prozess enthalten. Es<br />

ist durchaus denkbar, dass weitere Konfliktsituationen und problematische Entscheidungen<br />

bei an<strong>der</strong>en Bewohnern vorhanden waren, diese jedoch nicht dokumentiert sind.<br />

Abbildung 24: Dokumentation von kontroversen Meinungen beim <strong>Entscheidungs</strong>prozess<br />

Bei den vier Fällen, bei denen Konfliktsituationen dokumentiert sind, finden sich zusätzlich<br />

detailliertere Informationen zu Art und Verlauf dieser Konflikte sowie zu den daran beteiligten<br />

Personen. In einem geson<strong>der</strong>ten Abschnitt zum Abschluss des Ergebnisberichtes werden<br />

diese in Form von Fallbeispielen detaillierter vorgestellt.<br />

Gespräche <strong>zur</strong> <strong>Entscheidungs</strong>findung<br />

Ein weiterer wichtiger Aspekt <strong>zur</strong> Beurteilung des <strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong>s ist die Durchführung<br />

von Gesprächen <strong>zur</strong> <strong>Entscheidungs</strong>findung.<br />

Hierzu ist im Erhebungsinstrument ein Item vorgesehen mit dessen Hilfe erhoben werden<br />

sollte, ob die Durchführung <strong>der</strong>artiger Gespräche dokumentiert ist und falls dies <strong>der</strong> Fall ist,<br />

welche Personengruppen daran beteiligt sind. In diesem Item sind alle möglichen Formen<br />

von Gesprächen zusammengefasst. Während <strong>der</strong> Datenbearbeitung und –auswertung stellte<br />

63


sich jedoch heraus, dass es sinnvoller ist, die erhobenen Daten nach <strong>der</strong> Art <strong>der</strong> Gespräche<br />

zu unterscheiden.<br />

Daher wurden Gespräche zusammengefasst, die zwischen den potenziellen <strong>Entscheidungs</strong>trägern,<br />

worunter <strong>der</strong> Bewohner o<strong>der</strong> seine Stellvertreter verstanden werden, und beruflich<br />

beteiligten Personengruppen geführt wurden. Bei dieser Art von Gesprächen steht sicherlich<br />

neben <strong>der</strong> <strong>Entscheidungs</strong>findung vor allem die Information und Beratung <strong>der</strong> <strong>Entscheidungs</strong>träger<br />

über die enterale Ernährung mithilfe <strong>einer</strong> PEG-Sonde im Vor<strong>der</strong>grund.<br />

Davon unterschieden wurden Gespräche, an denen ausschließlich Fachpersonal beteiligt ist.<br />

Hierunter werden beispielsweise interdisziplinäre Fallbesprechungen o<strong>der</strong> Besprechungen<br />

im Pflegeteam verstanden.<br />

Insgesamt sind in vierzehn Fällen Informationen zu Gesprächen zwischen <strong>Entscheidungs</strong>trägern<br />

und Fachpersonal im Rahmen des <strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong>s im Vorfeld <strong>der</strong> <strong>Anlage</strong><br />

<strong>der</strong> PEG-Sonde vorhanden.<br />

In Abbildung 25 wird dargestellt, wie häufig die einzelnen Personengruppen an Gesprächen<br />

<strong>zur</strong> <strong>Entscheidungs</strong>findung beteiligt sind. Es wird deutlich, dass am häufigsten Angehörige<br />

und Ärzte beteiligt sind. Pflegepersonal ist lediglich in sechs Fällen an diesen Gesprächen<br />

beteiligt und Bewohner sogar nur in drei Fällen. Ein gesetzlicher Betreuer war nur in einem<br />

einzigen Fall an Gesprächen <strong>zur</strong> <strong>Entscheidungs</strong>findung beteiligt, wobei zu berücksichtigen<br />

ist, dass Familienmitglie<strong>der</strong>, die die gesetzliche Betreuung übernommen hatten, <strong>der</strong> Gruppe<br />

<strong>der</strong> Angehörigen zu gerechnet wurden und deshalb in <strong>der</strong> Gruppe <strong>der</strong> gesetzlichen Betreuer<br />

nicht vertreten sind .<br />

Insgesamt spiegeln diese Zahlen die gleiche Tendenz wie<strong>der</strong>, die sich bereits bei <strong>der</strong> Frage<br />

nach den an <strong>der</strong> Entscheidung beteiligten Personengruppen zeigt.<br />

Abbildung 25: Beteiligung <strong>der</strong> einzelnen Personengruppen an Gesprächen<br />

In einem weiteren Analyseschritt wird <strong>der</strong> Frage nachgegangen, in welchen Kombinationen<br />

von Personengruppen die Gespräche geführt wurden (Abb. 26).<br />

64


Abbildung 26: Kombination von an den Gesprächen <strong>zur</strong> <strong>Entscheidungs</strong>findung beteiligten Personen 5<br />

Am häufigsten finden Gespräche zwischen Arzt und Angehörigen statt (n = 7). Diese beiden<br />

Personengruppen sind auch insgesamt am häufigsten an Gesprächen beteiligt. In weiteren<br />

drei Fällen wurde neben Angehörigen und Arzt auch Pflegepersonal an den Gesprächen<br />

beteiligt. Nur in einzelnen Fällen finden sich an<strong>der</strong>e Kombinationen von Personengruppen<br />

bei den Gesprächen <strong>zur</strong> <strong>Entscheidungs</strong>findung.<br />

Gespräche auf professioneller Ebene in Form von interdisziplinären Fallbesprechungen o<strong>der</strong><br />

Teambesprechungen beim Pflegepersonal spielen bei <strong>der</strong> zugrunde liegenden Stichprobe<br />

eine untergeordnete Rolle. Nur in einem einzigen Fall finden sich Angaben in <strong>der</strong> Bewohnerdokumentation,<br />

die darauf hinweisen, dass eine solche Fallbesprechung stattgefunden hat.<br />

Insgesamt muss bei <strong>der</strong> Interpretation dieser Ergebnisse sicherlich bedacht werden, dass<br />

möglicherweise informelle Gespräche zwischen verschiedenen Personengruppen stattgefunden<br />

haben, die sich in <strong>der</strong> Bewohnerdokumentation nicht wie<strong>der</strong>finden.<br />

Arztkontakt<br />

Es ist wahrscheinlich, dass das Pflegepersonal <strong>der</strong> Altenpflegeeinrichtungen beim Auftreten<br />

von Ernährungsproblemen zu einem bestimmten Zeitpunkt den Hausarzt <strong>der</strong> betreffenden<br />

Bewohner hinzuzieht. Aus diesem Grund wurde ebenfalls erfasst, ob solche Hausarztkontakte<br />

in den Pflegedokumentationen <strong>der</strong> teilnehmenden Bewohner aufgeführt sind. Zur Bearbeitung<br />

dieser Fragestellung wurden nur solche Arztkontakte berücksichtigt, bei denen<br />

ausdrücklich ernährungsbedingte Probleme im Vor<strong>der</strong>grund standen. Routinemäßige ärztliche<br />

Visiten o<strong>der</strong> aber Arztbesuche, die aus an<strong>der</strong>en gesundheitlichen Situationen resultierten,<br />

werden nicht berücksichtigt.<br />

In 13 Fällen kann anhand <strong>der</strong> Bewohnerdokumentation ein Hausarztkontakt aufgrund ernährungsbedingter<br />

Probleme identifiziert werden (Abb. 27).<br />

Neben <strong>der</strong> Dokumentation von Gesprächen zwischen <strong>Entscheidungs</strong>trägern und Fachpersonal<br />

sowie <strong>der</strong> Dokumentation von Informationen zu an <strong>der</strong> Entscheidung beteiligten Personen<br />

sind somit die Arztkontakte im Zusammenhang mit dem <strong>Entscheidungs</strong>prozess im<br />

Vorfeld <strong>der</strong> <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG-Sonde am häufigsten dokumentiert.<br />

5 Zur übersichtlicheren grafischen Darstellung wurden die beteiligten Personengruppen<br />

folgen<strong>der</strong>maßen abgekürzt: 1) A = Angehörige; 2) PP = Pflegepersonal; 3) B = Bewohner; 4) Betr.<br />

= Gesetzlicher Betreuer<br />

65


Abbildung 27: Hinzuziehung des Hausarztes zu einem bestimmten Zeitpunkt<br />

Zusammenfassend betrachtet fällt auf, dass zu den einzelnen Fragen, die den praktischen<br />

<strong>Ablauf</strong> des <strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong>s im Vorfeld <strong>der</strong> <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG-Sonde erfassen sollten,<br />

unterschiedlich viele Informationen in den Bewohnerdokumentationen <strong>zur</strong> Verfügung<br />

stehen. Priorität scheinen vor allem Gespräche mit den <strong>Entscheidungs</strong>trägern sowie die<br />

Kontaktaufnahme mit dem Hausarzt bei ernährungsbedingten Problemen zu haben.<br />

Die Nutzung von Assessmentinstrumenten ebenso wie Maßnahmen <strong>zur</strong> Verbesserung <strong>der</strong><br />

Ernährungssituation werden ebenfalls in einigen Fällen dokumentiert, wobei es sich dabei in<br />

erster Linie um simple Verfahren handelt, die ohne großen Aufwand umgesetzt werden können.<br />

An<strong>der</strong>e Aspekte, wie beispielsweise <strong>der</strong> Einsatz von Algorithmen <strong>zur</strong> <strong>Entscheidungs</strong>findung<br />

o<strong>der</strong> aber die Durchführung von Fallbesprechungen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en formalen Methoden <strong>zur</strong><br />

<strong>Entscheidungs</strong>findung, spielen in Bezug auf die hier zugrunde liegende Stichprobe keine<br />

Rolle.<br />

Hervorzuheben ist jedoch in erster Linie, dass sich insgesamt lediglich in 16 von 72 Pflegedokumentationen<br />

von Bewohnern mit PEG-Sonden Informationen finden, die den praktischen<br />

<strong>Ablauf</strong> des <strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong>s im Vorfeld <strong>der</strong> <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG-Sonde nachvollziehbar<br />

machen. Zu berücksichtigen ist vor allem, dass es sich bei den 56 Pflegedokumentationen,<br />

die keine Informationen enthalten, in zahlreichen Fällen um Akten von Bewohnern<br />

handelt, die sich vermutlich zum Zeitpunkt <strong>der</strong> <strong>Entscheidungs</strong>findung bereits in <strong>einer</strong><br />

Altenpflegeeinrichtung aufhielten und dort betreut wurden.<br />

(Mutmaßlicher) Patientenwille und stellvertretende <strong>Entscheidungs</strong>träger<br />

In einem weiteren Abschnitt des Erhebungsinstrumentes wird die Verfügbarkeit von Möglichkeiten<br />

<strong>zur</strong> Ermittlung des mutmaßlichen Patientenwillens erfasst.<br />

Gefragt wurde danach, ob die teilnehmenden Bewohner über Stellvertreter verfügen, die ihre<br />

Interessen in Bezug auf gesundheitliche Belange vertreten und ob eine Patientenverfügung<br />

existiert, in <strong>der</strong> gegebenenfalls Aussagen <strong>zur</strong> enteralen Ernährung und <strong>zur</strong> <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> Ernährungssonde<br />

gemacht werden.<br />

Zunächst wurde erhoben, ob die Bewohner einen gesetzlichen Betreuer haben o<strong>der</strong> ob sie<br />

möglicherweise in <strong>einer</strong> Vorsorgevollmacht eine Person benannt haben, die inzwischen als<br />

Vorsorgebevollmächtigte ihre Interessen vertritt.<br />

Der überwiegende Teil <strong>der</strong> teilnehmenden Bewohner hat entwe<strong>der</strong> einen gesetzlichen Betreuer<br />

o<strong>der</strong> aber wird durch eine vorsorgebevollmächtigte Person vertreten (Abb. 29). Nur in<br />

66


elf Fällen werden die Bewohner nicht durch eine gesetzlich benannte o<strong>der</strong> selbst benannte<br />

Person vertreten. Das entspricht einem Anteil von 15,3 Prozent.<br />

Abbildung 28: Vorhandensein eines gesetzlichen Betreuers/Vorsorgebevollmächtigten<br />

In einem weiteren Analyseschritt wurde <strong>der</strong> Frage nachgegangen, ob ein Zusammenhang<br />

zwischen dem Vorliegen <strong>einer</strong> Demenz und <strong>einer</strong> gesetzlichen Betreuung o<strong>der</strong> <strong>einer</strong> Vorsorgevollmacht<br />

ersichtlich ist.<br />

In Abbildung 29 wird dargestellt, dass dieser Zusammenhang bei <strong>der</strong> zugrunde liegenden<br />

Stichprobe eindeutig nicht gegeben ist. Sowohl in <strong>der</strong> Gruppe <strong>der</strong> dementiell erkrankten Bewohner<br />

als auch in <strong>der</strong> Gruppe <strong>der</strong> Bewohner ohne dementielle Erkrankung liegt <strong>der</strong> Anteil<br />

<strong>der</strong>er, die eine gesetzliche Betreuung o<strong>der</strong> einen Vorsorgebevollmächtigten haben, bei deutlich<br />

über 80 Prozent. In <strong>der</strong> Gruppe <strong>der</strong> dementiell erkrankten Bewohner ist dieser Anteil<br />

sogar um 2,8 Prozentpunkte kl<strong>einer</strong> als in <strong>der</strong> Gruppe ohne Demenz.<br />

Abbildung 29: Vorliegen <strong>einer</strong> Demenz und gesetzliche Betreuung/Vorsorgevollmacht<br />

67


Es wurde außerdem erfasst, ob bei den einzelnen teilnehmenden Bewohnern zum Zeitpunkt<br />

<strong>der</strong> <strong>Anlage</strong> <strong>der</strong> PEG-Sonde eine Patientenverfügung vorlag. Die Beantwortung dieser Frage<br />

dient <strong>der</strong> Einschätzung, inwieweit ein in dieser Form geäußerter Patientenwille bei <strong>der</strong> Entscheidung<br />

für die <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG-Sonde berücksichtigt wurde, bzw. um zu beurteilen inwieweit<br />

solche prospektiv verfassten Willensäußerungen in <strong>der</strong> Praxis überhaupt verfügbar<br />

sind und als <strong>Entscheidungs</strong>grundlage dienen können.<br />

Die Auswertung <strong>der</strong> Daten zeigt, dass nur in sieben <strong>der</strong> analysierten Bewohnerdokumentationen<br />

eine Patientenverfügung hinterlegt ist, bzw. vermerkt ist, dass eine solche Patientenverfügung<br />

existiert. Das entspricht einem Anteil von 9,7 Prozent.<br />

In diesen sieben Fällen, in denen eine Patientenverfügung vorliegt, wurde des Weiteren erhoben,<br />

ob darin Aussagen <strong>zur</strong> künstlichen Ernährung o<strong>der</strong> <strong>zur</strong> <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG-Sonde<br />

gemacht werden.<br />

Dies trifft nur in einem einzigen Fall zu. In fünf Patientenverfügungen sind keine Aussagen<br />

hierzu vorhanden und die verbleibende Patientenverfügung ist nicht in <strong>der</strong> Bewohnerdokumentation<br />

<strong>der</strong> Altenpflegeeinrichtung hinterlegt, sodass nicht erfasst werden konnte, ob Aussagen<br />

<strong>zur</strong> künstlichen Ernährung mithilfe <strong>einer</strong> PEG-Sonde gemacht sind.<br />

Patientenverfügungen sind folglich bei den teilnehmenden Bewohnern nur selten vorhanden<br />

und geben, wenn vorhanden, kaum verwertbare Auskünfte zu den Wünschen des Bewohners<br />

in Bezug auf dieses Thema. Sie können im Prozess <strong>der</strong> <strong>Entscheidungs</strong>findung für o<strong>der</strong><br />

gegen die <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG-Sonde somit kaum als Diskussionsgrundlage und <strong>zur</strong> Ermittlung<br />

des mutmaßlichen Patientenwillens herangezogen werden.<br />

Zusammenfassend betrachtet scheint <strong>der</strong> mutmaßliche Patientenwille, im Hinblick auf die<br />

<strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG-Sonde und eine dadurch mögliche enterale Ernährung mit Sondenkost, in<br />

<strong>der</strong> Praxis meist durch den Einsatz stellvertreten<strong>der</strong> <strong>Entscheidungs</strong>träger repräsentiert zu<br />

werden. Die Möglichkeit <strong>einer</strong> vorsorglichen Willensäußerung in Form <strong>einer</strong> Patientenverfügung<br />

wird von den an dieser Studie teilnehmenden Bewohnern nur in wenigen Fällen genutzt<br />

und ist dann zumeist nicht detailliert und aussagekräftig genug, um als <strong>Entscheidungs</strong>grundlage<br />

zu dienen.<br />

Fraglich ist, inwieweit stellvertretende <strong>Entscheidungs</strong>träger dazu befähigt sind, den tatsächlichen<br />

Willen des Patienten zu vertreten. Möglicherweise verfügen zumindest enge Vertraute,<br />

die diese Funktion übernehmen, über entsprechende Kenntnisse und ein adäquates Urteilsvermögen<br />

bezüglich <strong>der</strong> Wünsche des Bewohners. Hierzu kann jedoch mittels <strong>der</strong> in dieser<br />

Untersuchung <strong>zur</strong> Verfügung stehenden Daten keine Aussage getroffen werden.<br />

Zeitleiste<br />

Das Datenerhebungsinstrument beinhaltet eine weitere Komponente, mit <strong>der</strong>en Hilfe es ermöglicht<br />

werden sollte, den zeitlichen Verlauf des <strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong>s im Vorfeld <strong>der</strong><br />

<strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG-Sonde zu erfassen und darzustellen. Diese Darstellung wird im weiteren<br />

Verlauf als Zeitleiste bezeichnet.<br />

Zu diesem Zweck wurde retrospektiv in verschiedenen Zeitabschnitten erhoben, ob vorab<br />

benannte Maßnahmen durchgeführt wurden und vorab benannte Interaktionen stattfanden.<br />

Die Zeitabschnitte wurden während des ersten Monats vor <strong>Anlage</strong> <strong>der</strong> PEG-Sonde auf eine<br />

wochenweise Erhebung festgelegt und im weiteren Verlauf auf eine monatsweise Erhebung<br />

bis zu einem Zeitpunkt von sechs Monaten vor <strong>Anlage</strong> <strong>der</strong> PEG-Sonde. Während <strong>der</strong> Datenerhebung<br />

wurde erfasst, ob in diesen definierten Zeiträumen die benannten Maßnahmen und<br />

Interventionen durchgeführt wurden o<strong>der</strong> nicht, bzw. ob sich Hinweise auf <strong>der</strong>en Durchführung<br />

in den einzelnen Bewohnerdokumentationen finden.<br />

Ziel und Zweck dieser Form <strong>der</strong> Datenerhebung ist es, darzustellen, in welchem zeitlichen<br />

Rahmen vor <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG-Sonde <strong>der</strong> <strong>Entscheidungs</strong>prozess stattfindet, bzw. ernährungsbedingte<br />

Probleme festgestellt werden, und darauf reagiert wird.<br />

68


Ebenso wie bei den bereits oben aufgeführten Ergebnissen <strong>zur</strong> <strong>Entscheidungs</strong>findung, können<br />

auch bei <strong>der</strong> Analyse <strong>der</strong> Daten <strong>zur</strong> Zeitleiste nur diejenigen Bewohnerdokumentationen<br />

berücksichtigt werden, in denen sich Informationen zum <strong>Entscheidungs</strong>prozess im Vorfeld<br />

<strong>der</strong> <strong>Anlage</strong> <strong>der</strong> PEG-Sonde finden. Aus diesem Grund beziehen sich die im folgenden Abschnitt<br />

aufgeführten Ergebnisse wie<strong>der</strong>um ausschließlich auf die 16 Bewohnerdokumentationen,<br />

in denen <strong>der</strong>artige Informationen vorliegen. Es ist bei <strong>der</strong> Interpretation <strong>der</strong> Ergebnisse<br />

ebenfalls zu berücksichtigen, dass in einigen dieser 16 Bewohnerdokumentationen nicht <strong>der</strong><br />

vollständige Zeitraum von sechs Monaten abgedeckt ist, weil einige Bewohner erst seit kürzerer<br />

Zeit in <strong>der</strong> Einrichtung wohnen. Dementsprechend können im zweiten Monat vor <strong>Anlage</strong><br />

<strong>der</strong> PEG-Sonde nur noch 14 Bewohnerdokumentationen für die Datenauswertung berücksichtigt<br />

werden und ab dem dritten Monat vorher lediglich dreizehn Bewohnerdokumentationen.<br />

Für die Darstellung <strong>der</strong> Ergebnisse wurden Prozentwerte gewählt, da auf diese Weise eine<br />

bessere Vergleichbarkeit <strong>der</strong> einzelnen Zeitpunkte gegeben ist (Abb. 30). Die jeweiligen Prozentangaben<br />

beziehen sich auf die jeweils gültigen Fälle, sodass für den zweiten Monat vor<br />

<strong>Anlage</strong> <strong>der</strong> PEG-Sonde lediglich die Daten aus 14 Bewohnerdokumentationen berücksichtigt<br />

wurden und ab dem dritten Monat nur noch Daten aus dreizehn Bewohnerdokumentationen.<br />

Die dargestellten Kategorien entsprechen weitestgehend den Items, die bereits zuvor dazu<br />

dienten, Informationen zum <strong>Ablauf</strong> des <strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong>s zu erheben. Allerdings<br />

wurde für die Zeitleiste keine weitergehende Differenzierung vorgenommen, son<strong>der</strong>n es<br />

wurde lediglich erhoben, ob die jeweiligen Interventionen und Interaktionen dokumentiert<br />

sind o<strong>der</strong> nicht.<br />

Abbildung 30: Zeitleiste: Maßnahmen im zeitlichen Abstand vor <strong>Anlage</strong> <strong>der</strong> PEG<br />

Anhand <strong>der</strong> Abbildung 30 wird deutlich, dass vor allem in den ersten zwei Monaten vor <strong>Anlage</strong><br />

<strong>der</strong> PEG-Sonde viele Informationen, die im Zusammenhang mit <strong>der</strong> Ernährungssituation<br />

und <strong>der</strong> möglichen <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG-Sonde stehen, dokumentiert werden.<br />

Die Daten unterstützen die bereits zuvor getroffene Feststellung, dass vor allem die Gespräche<br />

mit den betroffenen Bewohnern, bzw. <strong>der</strong>en Angehörigen o<strong>der</strong> gesetzlichen Betreuern,<br />

sowie <strong>der</strong> Arztkontakt aufgrund ernährungsbedingter Probleme häufig dokumentiert sind.<br />

Maßnahmen <strong>zur</strong> Verbesserung o<strong>der</strong> Stabilisierung <strong>der</strong> Ernährungssituation sowie die Nutzung<br />

von Assessmentinstrumenten <strong>zur</strong> Beurteilung <strong>der</strong> Ernährungssituation werden insgesamt<br />

seltener genutzt. Gespräche im therapeutischen Team in Form von interdisziplinären<br />

Fallbesprechungen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Arten von Fachgesprächen spielen, wie zuvor bereits be-<br />

69


schrieben, keine Rolle, sodass die Darstellung eines zeitlichen Verlaufes k<strong>einer</strong>lei Aussagekraft<br />

hat.<br />

Neben bereits aufgeführten Kategorien wurde außerdem erhoben, ob in den jeweiligen Zeiträumen<br />

eine Gewichtskontrolle bei den teilnehmenden Bewohnern durchgeführt wurde.<br />

Diese Kategorie ist sicherlich von den an<strong>der</strong>en Kategorien abzugrenzen und bedarf <strong>einer</strong><br />

geson<strong>der</strong>ten Interpretation. Sie unterscheidet sich von den an<strong>der</strong>en Kategorien insofern, als<br />

es sich hierbei um eine routinemäßig durchgeführte Maßnahme handelt, die erwartungsgemäß<br />

unabhängig von <strong>der</strong> ernährungsspezifischen Situation <strong>der</strong> Bewohner in allen Altenpflegeeinrichtungen<br />

durchgeführt wird. Aus diesem Grund ist ein Vergleich mit den an<strong>der</strong>en Kategorien<br />

<strong>der</strong> Zeitleiste kaum sinnvoll.<br />

Die grafische Darstellung in Abbildung 30 unterstützt diese Vermutung. Insgesamt wird die<br />

Gewichtskontrolle weitaus häufiger durchgeführt als die an<strong>der</strong>en dargestellten Interventionen<br />

und Interaktionen. Die relativ niedrigen prozentualen Werte zu Beginn des Verlaufes sind mit<br />

den kürzeren Zeitintervallen zwischen den Erfassungszeitpunkten zu erklären, da vermutlich<br />

nicht in wöchentlichen Abständen eine routinemäßige Gewichtskontrolle durchgeführt wird.<br />

Zur besseren Übersichtlichkeit werden in Abbildung 31 die Gespräche mit Bewohnern und<br />

Angehörigen sowie die Arztkontakte geson<strong>der</strong>t dargestellt.<br />

Abbildung 31: Zeitleiste: Gespräche mit Bewohnern und Angehörigen/Arztkontakte<br />

Anhand dieser Darstellung des zeitlichen Verlaufes wird deutlich, dass diese beiden Formen<br />

<strong>der</strong> Interaktionen und Kommunikation vorwiegend innerhalb eines sehr begrenzten Zeitraumes<br />

vor <strong>Anlage</strong> <strong>der</strong> PEG-Sonde stattfinden. Insbeson<strong>der</strong>e die Gespräche werden fast ausschließlich<br />

in den letzten zwei Wochen vor <strong>Anlage</strong> <strong>der</strong> PEG-Sonde geführt. Jedoch auch die<br />

Arztkontakte aufgrund von ernährungsbedingten Problemen nehmen vor dem ersten Monat<br />

vor <strong>Anlage</strong> <strong>der</strong> PEG-Sonde stark ab.<br />

In Abgrenzung zu diesen beiden Interaktionen werden in Abbildung 32 die Nutzung von Assessmentinstrumenten<br />

und die Maßnahmen <strong>zur</strong> Vermeidung <strong>einer</strong> PEG-Sonde grafisch dargestellt.<br />

70


Abbildung 32: Zeitleiste (Assessmentinstrumente/Maßnahmen)<br />

Wie oben bereits ersichtlich finden sich hierzu insgesamt seltener Informationen in den Bewohnerdokumentationen,<br />

als zu den Gesprächen mit Bewohnern und Angehörigen und den<br />

Arztkontakten. Stattdessen werden diese jedoch kontinuierlicher über einen Zeitraum von<br />

vier Monaten vor <strong>Anlage</strong> <strong>der</strong> PEG-Sonde dokumentiert. Es ist also zu vermuten, dass vor <strong>der</strong><br />

Durchführung von Gesprächen die im Zusammenhang mit <strong>der</strong> Entscheidung für o<strong>der</strong> gegen<br />

die <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG-Sonde geführt werden und ebenfalls vor <strong>der</strong> Kontaktaufnahme mit<br />

dem Hausarzt in den Altenpflegeeinrichtungen in einigen Fällen bereits über einen längeren<br />

Zeitraum hinweg Bemühungen unternommen werden, um <strong>einer</strong> inadäquaten Ernährungssituation<br />

zu begegnen und diese zu regulieren.<br />

Insgesamt ist bei <strong>der</strong> Interpretation <strong>der</strong> im Zusammenhang mit <strong>der</strong> Zeitleiste vorgestellten<br />

Ergebnisse zu berücksichtigen, dass für die Datenanalyse nur eine sehr begrenzte Anzahl<br />

an Fällen <strong>zur</strong> Verfügung steht. Dennoch zeigen sich einige interessante Tendenzen, die<br />

Hinweise auf den praktischen <strong>Ablauf</strong> <strong>der</strong> <strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong> im Vorfeld <strong>der</strong> <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong><br />

PEG-Sonde in Altenpflegeeinrichtungen liefern.<br />

Fallbeispiele<br />

Da sich in den Pflegeberichten <strong>der</strong> analysierten Bewohnerdokumentationen weniger aussagekräftige<br />

Informationen zum <strong>Entscheidungs</strong>prozess im Vorfeld <strong>der</strong> <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG-<br />

Sonde finden, als während <strong>der</strong> Planung des Forschungsprojektes vermutet, musste von <strong>einer</strong><br />

inhaltsanalytischen Vorgehensweise bei <strong>der</strong> Auswertung <strong>der</strong> Daten, die mithilfe des offenen<br />

Frageteils des Erhebungsinstrumentes erhoben wurden, abgesehen werden.<br />

Es werden stattdessen einige Passagen aus Pflegeberichten und an<strong>der</strong>en Teilen <strong>der</strong> Bewohnerdokumentation<br />

in Form von Fallbeispielen dargestellt, die in Ergänzung zu den bereits<br />

aufgeführten quantitativen Ergebnissen einen vertiefenden Einblick in den <strong>Ablauf</strong> des<br />

<strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong>s ermöglichen sollen.<br />

Da sich anhand einiger Fallbeispiele Aussagen zu unterschiedlichen Aspekten des <strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong>s<br />

treffen lassen, war eine thematische Zuordnung zu den bereits aufgeführten<br />

Ergebnissen nicht immer möglich, sodass nun eine geson<strong>der</strong>te Darstellung folgt.<br />

In Fallbeispiel 1 finden sich Informationen zu verschiedenen Aspekten des <strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong>s.<br />

Vor<strong>der</strong>gründig scheint zunächst ein Konflikt im Hinblick auf die <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong><br />

PEG-Sonde. Während diese von professioneller Seite befürwortet wird, lehnen sowohl die<br />

Bewohnerin als auch <strong>der</strong>en gesetzliche Betreuerin diese Maßnahme zunächst ab. Vonseiten<br />

<strong>der</strong> Betreuerin wird offenbar angenommen, dass von professioneller Seite nicht <strong>der</strong> gesundheitliche<br />

Nutzen <strong>der</strong> Bewohnerin, son<strong>der</strong>n eine Erleichterung <strong>der</strong> pflegerischen Situation<br />

71


ausschlaggebend für die Befürwortung dieser Maßnahme sei. Anhand <strong>der</strong> Pflegedokumentation<br />

ist nicht ersichtlich, wie dieser Konflikt tatsächlich gelöst wurde. Zwar ist <strong>der</strong> Dokumentation<br />

zu entnehmen, dass letztendlich eine Einigung für die <strong>Anlage</strong> <strong>der</strong> PEG-Sonde<br />

stattgefunden hat, jedoch nicht, wie <strong>der</strong> anfänglich aufgetretene Konflikt gelöst werden<br />

konnte.<br />

01.08. „Frau H. (Hausärztin) angerufen zwecks PEG-<strong>Anlage</strong>, Ärztin meinte wir<br />

brauchen eine Einverständniserklärung von Frau B. (Betreuerin). Frau B.<br />

angerufen, sie ist damit nicht einverstanden und wird darum kämpfen, dass<br />

sie keine PEG-<strong>Anlage</strong> bekommt; außerdem wäre es für uns eine Arbeitserleichterung.“<br />

12.10. „Bew. ist untergewichtig; hält nicht viel vom Essen und Trinken, trinkt trotzdem<br />

ausreichend, wird jede Woche gewogen, hatte nie Normalgewicht, BMI<br />

momentan 15,3. Eine PEG-<strong>Anlage</strong> lehnt sie ab; ihre Betreuerin auch und die<br />

behandelnde Ärztin momentan auch.“<br />

Fallbeispiel 1: Auszüge aus dem Pflegebericht<br />

Nachtrag „Fr. K. (Bewohnerin) ist geistig orientiert, aber auf dem Stand eines Kindes<br />

zwischen 10 u. 12 Jahren; sie steht unter Betreuung.“<br />

26.10. „Ein Gespräch mit Frau B. über Gewicht informiert. 33,4 kg. Frau B. ist einverstanden,<br />

dass Frau K. PEG-<strong>Anlage</strong> erhält.“<br />

Neben diesem Konflikt vermittelt das Fallbeispiel Informationen zu den an <strong>der</strong> Entscheidung<br />

beteiligten Personengruppen. Von professioneller Seite waren Pflegepersonal und Hausärztin<br />

beteiligt. Initiiert wurde <strong>der</strong> Prozess vermutlich durch das Pflegepersonal, das aus diesem<br />

Grunde Kontakt <strong>zur</strong> Hausärztin aufnahm. Ebenfalls dokumentiert sind die Wünsche <strong>der</strong> Bewohnerin<br />

sowie <strong>der</strong> Betreuerin. Fraglich ist allerdings, ob die Wünsche <strong>der</strong> Bewohnerin bei<br />

<strong>der</strong> abschließenden Entscheidung für die PEG-Sonde berücksichtigt wurden, da in diesem<br />

Zusammenhang nur noch die Betreuerin erwähnt wird.<br />

Weiterhin wird anhand des Fallbeispiels deutlich, dass das Pflegepersonal offensichtlich bemüht<br />

ist, die defizitäre Ernährungssituation zu dokumentieren und durch die Angabe ernährungsspezifischer<br />

Parameter zu unterstreichen. Ebenfalls wird in diesem Zusammenhang<br />

eine Beschreibung des kognitiven Zustands durch das Pflegepersonal vorgenommen, wobei<br />

nicht ersichtlich ist, aus welchem Grund diese erfolgt.<br />

Auch das zweite Fallbeispiel beschreibt eine <strong>Entscheidungs</strong>situation, in <strong>der</strong> verschiedene<br />

Meinungen vertreten werden. Während von professioneller Seite keine Zweifel an <strong>der</strong> Notwendigkeit<br />

<strong>einer</strong> PEG-Sonde zu bestehen scheinen, erstreckt sich <strong>der</strong> <strong>Entscheidungs</strong>prozess<br />

bei den stellvertretenden <strong>Entscheidungs</strong>trägern über einen weitaus längeren Zeitraum.<br />

Arztvisite vom 16.07. (wegen<br />

Nahrungsverweigerung)<br />

„Bewohner soll nächste Woche ins KH <strong>zur</strong> PEG-<strong>Anlage</strong>,<br />

Dr. bringt am 23.07 die Einweisung mit.“<br />

Pflegebericht vom 17.07. „Gespräch mit dem Sohn von Frau M. (Bewohnerin) und<br />

s<strong>einer</strong> Ehefrau – Info über gestrige Hausarztvisite von Dr.<br />

A. sowie jetzigen AZ von Frau M. Angehörige sind mit <strong>der</strong><br />

eventuellen PEG-<strong>Anlage</strong> einverstanden.“<br />

Pflegebericht vom 22.07.<br />

72<br />

„Besuch von Angehörigen – Gespräch mit d. Sohn – bezüglich<br />

evtl. PEG-<strong>Anlage</strong>, nach Gesprächen in <strong>der</strong> Familie<br />

ist Herr M. gegen die PEG-<strong>Anlage</strong> bei s<strong>einer</strong> Mutter. Entscheidend<br />

sind für ihn biografische Aspekte von Fr. M.. Hr.<br />

M. kommt morgen gegen 13:30 Uhr und möchte noch mit


Arztvisite vom 23.07.<br />

Pflegebericht vom 24.07.<br />

Dr. A. Rücksprache halten.“<br />

„Dr. A. hat mit dem Sohn ein ausführliches Beratungsgespräch<br />

zwecks Anlegen <strong>einer</strong> PEG-Sonde geführt. Es wurden<br />

Vor- und Nachteile angesprochen. Fresubin Energy<br />

kann Bew. je<strong>der</strong>zeit bekommen. Der Sohn hat vor dem<br />

Gespräch sowie nach dem Gespräch eine PEG-Sonde<br />

abgelehnt.“<br />

„Herr M., Sohn von Frau M., hat sich mit den Angehörigen<br />

für die PEG-<strong>Anlage</strong> entschlossen. Am Mo., den 30.07,<br />

bringt Dr. A. die Einweisung.“<br />

Fallbeispiel 2: Auszüge aus Berichten zu Arztvisiten und dem Pflegebericht<br />

Der Sohn <strong>der</strong> Bewohnerin, <strong>der</strong> offensichtlich eine Hauptrolle in <strong>der</strong> Betreuung <strong>der</strong> Mutter<br />

übernimmt, bedient sich verschiedener Möglichkeiten eine Entscheidung im Sinne s<strong>einer</strong><br />

Mutter zu treffen. Im Vor<strong>der</strong>grund des <strong>Entscheidungs</strong>ablaufes stehen Gespräche in verschiedenen<br />

Konstellationen. Es finden Gespräche sowohl zwischen Pflegekräften und Sohn<br />

als auch zwischen Arzt und Sohn statt. Dem Arzt wird hier vor allem eine aufklärende und<br />

beratende Funktion auf medizinischer Ebene eingeräumt.<br />

Neben den Gesprächen mit Professionellen führte <strong>der</strong> Sohn auch im familiären Umfeld Diskussionen<br />

<strong>zur</strong> <strong>Entscheidungs</strong>findung. Hier scheint vor allem die Ermittlung des mutmaßlichen<br />

Patientenwillens auf Grundlage biografischer Kenntnisse im Fokus zu stehen und zunächst<br />

zu <strong>einer</strong> Ablehnung <strong>der</strong> Maßnahme zu führen. Welche biografischen Aspekte hier<br />

angeführt werden, kann <strong>der</strong> Dokumentation aber nicht entnommen werden. Auch nach erneuter<br />

fachlicher Beratung durch den Arzt finden wie<strong>der</strong>um Gespräche innerhalb <strong>der</strong> Familie<br />

statt. Hervorzuheben ist, dass die Entscheidung letztlich im Kreis <strong>der</strong> Familie getroffen und<br />

getragen wird. Dem Sohn kommt dabei eine vermittelnde und repräsentierende Funktion zu.<br />

Fallbeispiel 3 demonstriert eine Situation, in <strong>der</strong> anhand des Pflegeberichts <strong>der</strong> <strong>Entscheidungs</strong>verlauf<br />

vor <strong>Anlage</strong> <strong>der</strong> PEG-Sonde kaum nachvollziehbar ist.<br />

Mittels verschiedener an<strong>der</strong>er Formblätter innerhalb <strong>der</strong> Bewohnerdokumentation konnte<br />

festgestellt werden, dass zwar bereits vier Wochen vor <strong>der</strong> <strong>Anlage</strong> <strong>der</strong> PEG-Sonde <strong>der</strong><br />

Hausarzt durch das Pflegepersonal über eine problematische Entwicklung <strong>der</strong> Ernährungssituation<br />

informiert wurde, jedoch wurde diese Problematik nicht näher beschrieben. Im Pflegebericht<br />

wird diese Problematik erstmalig zwei Tage vor <strong>Anlage</strong> <strong>der</strong> PEG-Sonde dokumentiert.<br />

Auch anhand <strong>der</strong> bereits über einen längeren Zeitraum geführten Ernährungs- und<br />

Trinkprotokolle sowie über den Gewichtsverlauf sind die Gründe <strong>der</strong> Entscheidung für die<br />

PEG-<strong>Anlage</strong> nicht nachvollziehbar.<br />

23.02. „Bew. aß mit Appetit die Mahlzeiten, trank ausreichend.“<br />

25.02. „Bew. hat gut gegessen und getrunken.“<br />

26.02. „Bew. aß wenig zum Frühstück.“<br />

„Essen und Trinken war schlecht. Sie behielt Nahrung und Flüssigkeit lange im<br />

Mund bevor sie schluckte.“<br />

28.02 <strong>Anlage</strong> <strong>der</strong> PEG-Sonde<br />

Fallbeispiel 3: Auszüge aus dem Pflegebericht<br />

Fraglich ist, inwieweit sich in diesem Fall lediglich eine schlechte Dokumentationssituation<br />

wi<strong>der</strong>spiegelt. Möglicherweise wurden in <strong>der</strong> Praxis pflegerische Maßnahmen ergriffen und<br />

eine begründete Entscheidung für die PEG-Sonde getroffen. Dies ist jedoch anhand <strong>der</strong> Dokumentationslage<br />

kaum zu beurteilen.<br />

73


Auch im Fallbeispiel 4 ist die Entscheidung für die <strong>Anlage</strong> <strong>der</strong> PEG-Sonde kaum nachvollziehbar.<br />

Die Patientin wurde zu diesem Zeitpunkt aufgrund <strong>einer</strong> akut aufgetretenen Gastritis<br />

stationär in einem Krankenhaus versorgt. Die Ernährungssituation wird in <strong>der</strong> Bewohnerdokumentation<br />

<strong>der</strong> Altenpflegeeinrichtung zu keinem Zeitpunkt als problematisch beschrieben<br />

und offenbar auch im Krankenhaus als angemessen beurteilt.<br />

Die Option <strong>einer</strong> Entfernung <strong>der</strong> PEG-Sonde wird zu keinem Zeitpunkt in <strong>der</strong> Bewohnerdokumentation<br />

thematisiert und auch nach <strong>der</strong> Rückkehr in die Altenpflegeeinrichtung wird die<br />

Bewohnerin weiterhin über die PEG-Sonde ernährt.<br />

Nicht nachvollziehbar ist, aus welchen Gründen sich die Ernährungssituation in einem solchen<br />

Maß verschlechtert hat, dass offenbar die Indikation für eine PEG-Sonde gesehen<br />

wurde. Ebenfalls ungeklärt bleibt, wie <strong>der</strong> <strong>Entscheidungs</strong>prozess für die PEG-<strong>Anlage</strong> verlief<br />

und ob die Bewohnerin und ihre Wünsche berücksichtigt werden konnten, da diese ja offensichtlich<br />

die Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme im Krankenhaus ablehnte.<br />

Entlassungsbrief „… 86 jährige Patientin in chronisch reduziertem Allgemeinzustand<br />

und regelrechtem Ernährungszustand….“<br />

Pflegebericht „ Anruf im KH K., Frau B. liegt auf Station 5 wird über eine Magensonde<br />

ernährt, da sie Essen und Trinken dort ablehnte.“<br />

Fallbeispiel 4: Auszüge aus einem Entlassungsbrief und dem Pflegebericht<br />

Wie bereits in einem früheren Abschnitt des Ergebnisberichts aufgeführt, wurde nur in einem<br />

einzigen Fall die PEG-Sonde wie<strong>der</strong> entfernt. Der Verlauf dieses Falls findet sich in Fallbeispiel<br />

5 wie<strong>der</strong>. Die Bewohnerin erhielt die PEG-Sonde etwa zwei Monate zuvor aufgrund<br />

<strong>einer</strong> massiven Gastritis und <strong>einer</strong> damit einhergehenden Verschlechterung des Allgemein-<br />

und Ernährungszustandes. Es wurde von Beginn an ergänzend <strong>zur</strong> Sondenkost die orale<br />

Nahrungsaufnahme angeboten und geför<strong>der</strong>t. Eine lediglich temporäre Entlastung <strong>der</strong> Ernährungssituation<br />

mithilfe <strong>der</strong> Sondenernährung war vermutlich bereits bei <strong>Anlage</strong> <strong>der</strong> PEG-<br />

Sonde vorgesehen und eine Rückkehr <strong>zur</strong> normalen Nahrungsaufnahme geplant.<br />

17.09. „Bewohner äußert sich sehr positiv <strong>zur</strong> AZ-Verän<strong>der</strong>ung, sie sagt es ginge ihr<br />

wesentlich besser“<br />

27.09. „Fr. H. freut sich am langen Tisch zu essen, da ganz viele nette Leute rings<br />

um sie sitzen und eine gute Unterhaltung möglich ist“<br />

29.09. „Fr. H. möchte am Sonntag um 9 Uhr mit ihrer Familie frühstücken“<br />

Seit 10/07 Ausschließlich H2O über die Sonde<br />

26.02. Entfernung <strong>der</strong> PEG-Sonde<br />

28.03. „Psych. Zustand ist stabil. Ernährung ohne PEG gut. Bew. trinkt ausreichend.“<br />

Fallbeispiel 5: Auszüge aus dem Pflegebericht<br />

Abschließend finden sich in Fallbeispiel 6 Auszüge aus <strong>einer</strong> Patientenverfügung, die sich<br />

explizit auf die Wünsche des entsprechenden Bewohners bezüglich <strong>einer</strong> künstlichen Ernährung<br />

beziehen.<br />

„…Wenn ich wegen <strong>einer</strong> Erkrankung keinen eigenen Willen mehr äußern kann, möchte ich<br />

nur solange weiter leben und jede schulmedizinische Behandlung erhalten, wie eine hinreichende<br />

Wahrscheinlichkeit auf Besserung besteht. Nur solange bin ich damit einverstanden,<br />

dass mir <strong>zur</strong> Ernährung eine Magensonde gelegt wird o<strong>der</strong> ich sonst in irgend<strong>einer</strong> Weise<br />

künstlich ernährt werde. Ich willige ausdrücklich <strong>einer</strong> Magensonde zu, soweit sie erfor<strong>der</strong>-<br />

74


lich ist, um mir Medikamente zuzuführen….“<br />

„…Wenn mit an Sicherheit grenzen<strong>der</strong> Wahrscheinlichkeit feststeht, dass ich in einem Zustand<br />

unumkehrbarer Bewusstlosigkeit o<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Endphase <strong>einer</strong> tödlich verlaufenden<br />

Erkrankung bin, mit an Sicherheit grenzen<strong>der</strong> Wahrscheinlichkeit keine Aussicht mehr auf<br />

Heilung besteht und ich wohl nie mehr ein selbstbestimmtes Leben führen kann, möchte ich,<br />

dass jegliche lebensverlängernde Maßnahmen (z. B. künstliche Ernährung, Flüssigkeitszufuhr,<br />

…) abgebrochen werden….“<br />

Fallbeispiel 6: Auszüge aus <strong>einer</strong> Patientenverfügung<br />

Auch zu dieser Thematik finden sich, wie bereits beschrieben, nur in <strong>einer</strong> einzigen Bewohnerdokumentation<br />

Informationen. Während in insgesamt sieben Fällen Patientenverfügungen<br />

vorliegen, wurden nur in dieser detaillierte Wünsche im Hinblick auf eine gegebenenfalls<br />

eintretende Notwendigkeit <strong>einer</strong> künstlichen Ernährung geäußert.<br />

Obwohl in diesem Fallbeispiel explizite Aussagen zu den Wünschen des Bewohners bezüglich<br />

<strong>der</strong> künstlichen Ernährung mithilfe <strong>einer</strong> PEG-Sonde getroffen werden, ist auch in diesem<br />

Fall ein Interpretationsspielraum gegeben.<br />

Auffallend ist insbeson<strong>der</strong>e, dass es keine eindeutige Aussage zu einem möglichen Abbruch<br />

<strong>der</strong> Sondenernährung gibt. Dieser Sachverhalt ist vor dem Hintergrund, dass <strong>der</strong> Bewohner<br />

bereits eine PEG-Sonde hat, beson<strong>der</strong>s hervorzuheben.<br />

Zum Zeitpunkt <strong>der</strong> Erhebung verfügt <strong>der</strong> Bewohner über einen stabilen Gesundheits- und<br />

Ernährungszustand und nimmt aktiv am sozialen Leben in <strong>der</strong> Altenpflegeeinrichtung teil.<br />

Insgesamt kann gesagt werden, dass sich nur sehr vereinzelte Textpassagen innerhalb <strong>der</strong><br />

Bewohnerdokumentationen finden, die ein zusammenhängendes Bild des <strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong>s<br />

im Vorfeld <strong>der</strong> <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG-Sonde geboten hätten. Zumeist handelt es sich<br />

um unzusammenhängende Informationen, die mittels verschiedener Abschnitte und Formblätter<br />

<strong>der</strong> Bewohnerdokumentationen zusammengefügt werden mussten.<br />

Die ursprünglich geplante inhaltsanalytische Vorgehensweise konnte aus diesem Grund<br />

nicht in sinnvoller Weise umgesetzt werden. Die in diesem Abschnitt aufgeführten Fallbeispiele<br />

können lediglich dazu dienen, die zuvor beschriebenen quantitativen Ergebnisse zu<br />

unterstreichen und anekdotisch zu vertiefen.<br />

Auch anhand dieser wenigen aufgeführten Beispiele wird deutlich, dass ein zusammenhängen<strong>der</strong><br />

und strukturierter Prozess <strong>zur</strong> <strong>Entscheidungs</strong>findung offenbar nur unzulänglich stattfindet.<br />

Die dokumentierten Informationen scheinen in den meisten Fällen individuelle Prioritäten<br />

wi<strong>der</strong>zuspiegeln und weniger ein planmäßiges Vorgehen zu dokumentieren.<br />

Zusammenfassung <strong>der</strong> Ergebnisse<br />

Die Analyse <strong>der</strong> Daten hat eine Vielzahl von Ergebnissen erbracht. Im folgenden Abschnitt<br />

findet sich <strong>zur</strong> besseren Übersicht eine zusammenfassende Darstellung <strong>der</strong> wichtigsten<br />

Aussagen, die anhand <strong>der</strong> Analyse <strong>der</strong> Bewohnerdokumentation getroffen werden können:<br />

� Mehr als fünfzig Prozent <strong>der</strong> teilnehmenden Personen mit PEG-Sonde sind älter als<br />

80 Jahre.<br />

� Fünfzig Prozent <strong>der</strong> Teilnehmer haben eine dementielle Erkrankung.<br />

� Etwa 70 Prozent <strong>der</strong> Bewohner weisen in ihrer Anamnese eine akute o<strong>der</strong> progredient<br />

verlaufende neurologische Erkrankung auf.<br />

� Bereits vor <strong>Anlage</strong> <strong>der</strong> PEG-Sonde wurden etwa 75 Prozent <strong>der</strong> Teilnehmer in <strong>einer</strong><br />

Altenpflegeeinrichtung betreut.<br />

� In etwa fünfzig Prozent <strong>der</strong> Fälle bedingte ein akutes Ereignis die <strong>Anlage</strong> <strong>der</strong> PEG-<br />

Sonde.<br />

75


� Etwa 50 Prozent <strong>der</strong> Teilnehmer haben zum Zeitpunkt <strong>der</strong> PEG-<strong>Anlage</strong> einen BMI, <strong>der</strong><br />

als normal o<strong>der</strong> zu hoch gilt. In etwa 35 Prozent <strong>der</strong> Fälle liegen keine Informationen<br />

hierzu vor.<br />

� Etwa 70 Prozent <strong>der</strong> Teilnehmer erhalten zum Zeitpunkt <strong>der</strong> Erhebung ein ergänzendes<br />

orales Nahrungsangebot, <strong>der</strong> Umfang variiert jedoch stark.<br />

� Bei etwa 33 Prozent <strong>der</strong> Teilnehmer treten Komplikationen auf, die auf die PEG-<br />

Sonde <strong>zur</strong>ückzuführen sind. Vorwiegend handelt es sich um Wundinfektionen.<br />

� Informationen zum praktischen <strong>Ablauf</strong> des <strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong>s liegen nur in 16<br />

<strong>der</strong> analysierten Bewohnerdokumentationen vor.<br />

� Wenn vorhanden, finden sich in erster Linie Angaben zu Gesprächen zwischen den an<br />

<strong>der</strong> Entscheidung beteiligten Personen sowie zu Arztkontakten aufgrund ernährungsbedingter<br />

Probleme. In einigen Fällen finden sich Angaben <strong>zur</strong> Nutzung von Assessmentinstrumenten<br />

sowie zu Maßnahmen, die <strong>zur</strong> Verbesserung <strong>der</strong> Ernährungssituation<br />

durchgeführt werden.<br />

� Am häufigsten werden Angehörige und Ärzte am <strong>Entscheidungs</strong>prozess beteiligt.<br />

� Gespräche und Arztkontakte finden vorwiegend in den letzten zwei Wochen vor <strong>Anlage</strong><br />

<strong>der</strong> PEG-Sonde statt.<br />

� Maßnahmen <strong>zur</strong> Verbesserung <strong>der</strong> Ernährungssituation und <strong>der</strong> Einsatz von Assessmentinstrumenten<br />

finden kontinuierlicher über einen Zeitraum von etwa drei bis vier<br />

Monaten vor <strong>Anlage</strong> <strong>der</strong> PEG-Sonde statt.<br />

� Etwa 85 Prozent <strong>der</strong> Teilnehmer werden durch einen gesetzlichen Betreuer o<strong>der</strong> einen<br />

Vorsorgebevollmächtigten vertreten.<br />

� Nur sieben Teilnehmer hatten eine Patientenverfügung. Darunter enthält nur eine<br />

differenzierte Aussagen <strong>zur</strong> enteralen Ernährung.<br />

5.3 Limitierungen<br />

Das hier beschriebene Forschungsprojekt weist einige Limitierungen auf, die vorwiegend<br />

durch die methodische Vorgehensweise bedingt sind.<br />

Zunächst muss berücksichtigt werden, dass es sich bei den analysierten Bewohnerdokumentationen<br />

um eine Gelegenheitsstichprobe handelt, die entsprechende Schwächen in Bezug<br />

auf ihre Repräsentativität aufweist. Darüber hinaus liegt ihr kein strenger Planungscharakter<br />

im Hinblick auf die statistische Power zugrunde, son<strong>der</strong>n es wurde aufgrund <strong>der</strong> <strong>zur</strong><br />

Verfügung stehenden Ressourcen und unter Berücksichtigung des Forschungsziels eine<br />

kleine Stichprobengröße gewählt. Da lediglich eine erste deskriptive Annäherung an das<br />

Themenfeld beabsichtigt wurde, war davon auszugehen, dass sich trotz dieser Schwächen<br />

aussagekräftige Ergebnisse ergeben würden.<br />

Auch ist zu berücksichtigen, dass aus den verschiedenen Altenpflegeeinrichtungen unterschiedlich<br />

viele Bewohnerdokumentationen in die Datenerhebung einflossen. Zudem ist nicht<br />

nachzuvollziehen, ob die einzelnen Einrichtungen die Dokumentationen von allen Bewohnern<br />

mit PEG-Sonde <strong>zur</strong> Verfügung stellten und welche Gründe gegebenenfalls dazu führten,<br />

dass nur ein Teil <strong>der</strong> Akten angeboten wurde. Eine mögliche Verzerrung <strong>der</strong> Daten aus<br />

diesen Gründen ist deshalb nicht auszuschließen.<br />

Auch die Methode <strong>der</strong> Datenerhebung weist einige Merkmale auf, die bei <strong>der</strong> Interpretation<br />

<strong>der</strong> Ergebnisse zu berücksichtigen sind.<br />

An erster Stelle ist hier zu nennen, dass die in <strong>der</strong> Dokumentation <strong>zur</strong> Verfügung stehenden<br />

Informationen kein Spiegelbild <strong>der</strong> Realität darstellen, son<strong>der</strong>n dass diese in <strong>einer</strong> subjektiven<br />

und reduzierten Form dargestellt wird. Da es sich um eine retrospektive Methode <strong>der</strong><br />

Datenerhebung handelt, können fehlende Daten nicht nachträglich erhoben werden. Um<br />

diese Schwächen <strong>der</strong> Methode zu kompensieren, wurde für das Gesamtprojekt ein multimethodischer<br />

Ansatz geplant.<br />

Es ist weiterhin anzuführen, dass die Güte des Erhebungsinstrumentes nicht getestet wurde.<br />

Zwar wurde zu Beginn <strong>der</strong> Datenerhebung ein Pretest durchgeführt und das Instrument dar-<br />

76


aufhin geringfügig modifiziert, jedoch war eine umfangreichere Testung des Instrumentes im<br />

Rahmen des Projektes nicht realisierbar.<br />

Abschließend ist zu bemerken, dass für das Forschungsprojekt ausschließlich Fälle berücksichtigt<br />

wurden, in denen eine Entscheidung für die <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG-Sonde getroffen<br />

wurde. Für eine differenziertere Darstellung des <strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong>s hätten sicher auch<br />

diejenigen Fälle erfasst werden müssen, in denen eine Entscheidung gegen die <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong><br />

PEG-Sonde getroffen wurde.<br />

5.4 Diskussion<br />

Wie bereits anhand <strong>der</strong> Ergebnisdarstellung ersichtlich, liefert die Auswertung <strong>der</strong> erhobenen<br />

Daten aussagekräftige Informationen zu verschiedensten Aspekten des <strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong>s<br />

im Vorfeld <strong>der</strong> <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG-Sonde in Altenpflegeeinrichtungen. Die Daten beziehen<br />

sich auf die Ernährungs- und Gesundheitssituation zum Zeitpunkt <strong>der</strong> PEG-<strong>Anlage</strong><br />

und zum Zeitpunkt <strong>der</strong> Erhebung ebenso wie auf den praktischen <strong>Ablauf</strong> des <strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong>s.<br />

Die Diskussion soll, insbeson<strong>der</strong>e im Hinblick auf die mögliche Entwicklung <strong>einer</strong> <strong>Entscheidungs</strong>hilfe<br />

für das Setting Altenpflegeheim, Anregungen liefern und kritische Aspekte <strong>der</strong><br />

Praxis hervorheben.<br />

Soziodemografische, gesundheitliche und ernährungspezifische Merkmale <strong>der</strong><br />

Stichprobe<br />

Um Hinweise auf den <strong>Entscheidungs</strong>prozess im Vorfeld <strong>der</strong> <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG-Sonde zu<br />

gewinnen, wurden im Rahmen des hier beschriebenen Forschungsprojektes zunächst Daten<br />

erhoben, die dazu dienen, die betroffene Population und <strong>der</strong>en Gesundheits- und Ernährungssituation<br />

zu definieren.<br />

Die untersuchte Stichprobe entspricht hinsichtlich <strong>der</strong> Merkmale Alter und Geschlecht weitestgehend<br />

den bundesweit in Pflegeheimen betreuten Pflegebedürftigen (Statistisches Bundesamt,<br />

2009).<br />

Vergleichsdaten in Bezug auf Heimbewohner mit PEG-Sonden liegen allerdings lediglich aus<br />

<strong>der</strong> Studie des Gesundheitsamtes Bremen vor (Becker & Hilbert, 2004). Diese weisen im<br />

Vergleich ähnliche Tendenzen in Bezug auf das Alter und das Geschlecht <strong>der</strong> Teilnehmer<br />

auf. Heimbewohner mit PEG-Sonden sind dementsprechend zu über 70 Prozent Frauen und<br />

<strong>der</strong> Altersgipfel liegt bei 80 bis 90 Jahren. Trotz <strong>der</strong> geringen Stichprobengröße und <strong>der</strong> methodischen<br />

Schwächen <strong>der</strong> Stichprobenziehung sprechen diese Vergleiche für ein gewisses<br />

Maß an Repräsentativität <strong>der</strong> in diesem Forschungsprojekt gewonnenen Daten.<br />

Die Betreuung <strong>der</strong> teilnehmenden Bewohner fand bereits vor <strong>Anlage</strong> <strong>der</strong> PEG-Sonde überwiegend<br />

in <strong>einer</strong> Altenpflegeeinrichtung statt. Dies kann für ein hohes Maß an Pflegebedürftigkeit<br />

bedingt durch Multimorbidität und kognitive Einschränkungen bereits vor <strong>Anlage</strong> <strong>der</strong><br />

PEG-Sonde sprechen und deutet im Zusammenhang mit dem hohen Alter <strong>der</strong> Probanden<br />

darauf hin, dass es sich hierbei um eine Klientel handelt, bei <strong>der</strong> Mangelernährung ein häufiges<br />

Problem darstellt (Schreier & Bartholomeyczik, 2004).<br />

Insbeson<strong>der</strong>e bei den Teilnehmern, die kein akutes Ereignis aufwiesen, das <strong>zur</strong> <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong><br />

PEG-Sonde führte, kann deshalb angenommen werden, dass die ernährungsbedingten<br />

Probleme sich über einen längeren Zeitraum entwickelt haben und die Möglichkeit <strong>zur</strong> sorgfältigen<br />

<strong>Entscheidungs</strong>findung in <strong>der</strong> Altenpflegeeinrichtung gegeben war.<br />

Akute Ereignisse, die die <strong>Anlage</strong> <strong>der</strong> PEG-Sonde bedingten, waren am häufigsten akute<br />

neurologische Ereignisse, ebenso jedoch Infektionserkrankungen sowie Magen-Darm-Erkrankungen.<br />

Bei diesen Indikationen wird die <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG-Sonde auch bei geriatrischen<br />

Patienten unumstritten empfohlen, jedoch sollte eine möglichst zeitnahe Rückführung<br />

zu oraler Nahrungsaufnahme angestrebt werden (Löser et al., 2005; Volkert et al., 2004).<br />

77


Es wird darüber hinaus gefor<strong>der</strong>t, dass auf die Gefahr <strong>einer</strong> Mangelernährung frühzeitig reagiert<br />

wird und dass gerade im Zusammenhang mit solchen akuten Ereignissen innerhalb<br />

weniger Wochen die enterale Ernährung aufgenommen wird (Löser et al., 2005; Volkert et<br />

al., 2004). Die in diesem Forschungsprojekt erhobenen Daten weisen darauf hin, dass dieser<br />

For<strong>der</strong>ung zumindest im Bezug auf akute Ereignisse in <strong>der</strong> Praxis weitestgehend nachgekommen<br />

wird. In etwa 85 Prozent <strong>der</strong> Fälle wurde die <strong>Anlage</strong> <strong>der</strong> PEG-Sonde in den ersten<br />

vier Wochen nach Auftreten des akuten Ereignisses durchgeführt.<br />

Neben den akuten Ereignissen, die offensichtlich ausschlaggebend für die <strong>Anlage</strong> <strong>der</strong> PEG-<br />

Sonde waren, wurden im Rahmen des Projektes auch an<strong>der</strong>e in <strong>der</strong> Anamnese aufgeführte<br />

Grun<strong>der</strong>krankungen erhoben. Einige hiervon haben möglicherweise einen Einfluss auf die<br />

<strong>Entscheidungs</strong>findung im Vorfeld <strong>der</strong> <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG-Sonde, bzw. sollten in diesem Zusammenhang<br />

berücksichtigt werden.<br />

Einen beson<strong>der</strong>en Stellenwert nehmen hierbei die dementiellen Erkrankungen ein. Gerade<br />

bei Patienten mit <strong>der</strong>artigen Erkrankungen ist <strong>der</strong> Nutzen <strong>einer</strong> enteralen Ernährung anhand<br />

von PEG-Sonden sehr umstritten und es wird eine sorgfältige und individuelle Abwägung des<br />

Nutzens im Vorfeld <strong>der</strong> Entscheidung gefor<strong>der</strong>t (Gemeinsamer Bundesausschuss 2005;<br />

Finucane et al., 1999; Löser et al., 2005).<br />

Die Ergebnisse <strong>der</strong> Dokumentationsanalyse bestätigen die Forschungsergebnisse an<strong>der</strong>er<br />

Studien, die einen hohen Anteil von dementiell Erkrankten unter den Personen mit PEG-<br />

Sonde identifizierten (Becker & Hilbert, 2004; Bucher & Hufnagel, 2004). Anhand <strong>der</strong> in diesem<br />

Projekt erhobenen Daten ist lei<strong>der</strong> nicht nachvollziehbar, welche Indikationen <strong>der</strong> <strong>Anlage</strong><br />

<strong>der</strong> PEG-Sonde zugrunde lagen. Jedoch wurde in an<strong>der</strong>en Studien bei bis zu 28 Prozent<br />

<strong>der</strong> untersuchten Fälle eine Nahrungsverweigerung, die vermutlich vielfach mit <strong>einer</strong><br />

dementiellen Erkrankung einhergeht, als Indikation für die <strong>Anlage</strong> <strong>der</strong> Sonde genannt<br />

(Becker & Hilbert, 2004; Bucher & Hufnagel, 2004).<br />

Weitere Ausarbeitungen zu diesem Thema sind in jedem Fall zu empfehlen, denn eine solche<br />

Indikationsstellung ist zweifelsohne kritisch zu hinterfragen. Eine umfassende Ursachenforschung<br />

sollte in solchen Fällen sicher <strong>der</strong> <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG-Sonde vorangestellt<br />

werden.<br />

Bei etwa siebzig Prozent <strong>der</strong> teilnehmenden Bewohner werden darüber hinaus akute o<strong>der</strong><br />

progredient verlaufende neurologische Erkrankungen in <strong>der</strong> Anamnese aufgeführt. Auch bei<br />

diesen Erkrankungen wird vor dem Hintergrund <strong>einer</strong> möglichen Multimorbidität und einem<br />

hohen Lebensalter ein sorgfältiges Abwägen <strong>der</strong> Indikation für eine PEG-Sonde empfohlen<br />

(Gemeinsamer Bundesausschuss 2005).<br />

Ebenfalls bei 50 Prozent <strong>der</strong> teilnehmenden Bewohner ist eine Dysphagie beschrieben. In<br />

<strong>der</strong> Studie des Gesundheitsamtes Bremen trat dieses Problem in etwa sechzig Prozent <strong>der</strong><br />

Fälle auf (Becker & Hilbert, 2004), wobei zu berücksichtigen ist, dass dieser Unterschied sich<br />

möglicherweise aus <strong>der</strong> Methodik <strong>der</strong> Datenerhebung ergibt.<br />

Inwieweit das Problem <strong>der</strong> Dysphagie auslösen<strong>der</strong> Faktor für die <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG-Sonde<br />

ist, lässt sich anhand <strong>der</strong> Daten aus beiden Studien nicht beantworten. Berücksichtigt werden<br />

muss jedoch, dass die enterale Ernährung anhand <strong>einer</strong> PEG-Sonde im Falle <strong>einer</strong><br />

Dysphagie ausschließlich indiziert ist, wenn keine alternativen Maßnahmen <strong>zur</strong> Verfügung<br />

stehen (Gemeinsamer Bundesausschuss 2005). Die <strong>Anlage</strong> <strong>der</strong> PEG-Sonde sollte dabei<br />

ausschließlich <strong>zur</strong> Sicherstellung <strong>einer</strong> ausreichenden Ernährung erfolgen. Die Vermeidung<br />

<strong>einer</strong> Aspirationspneumonie ist durch diese Vorgehensweise nicht gewährleistet, son<strong>der</strong>n<br />

wird im Gegenteil womöglich sogar erhöht (Finucane et al., 1999).<br />

Eines <strong>der</strong> verbreitetesten Kriterien <strong>zur</strong> Beurteilung des Ernährungszustandes ist <strong>der</strong> BMI.<br />

Grundsätzlich werden BMI-Werte von 20 kg/m 2 bis 25 kg/m 2 als normal bezeichnet, jedoch<br />

gilt bei älteren Personen ein höherer BMI-Wert als wünschenswert. Bei Personen, die älter<br />

als 65 Jahre sind, wird dementsprechend bereits bei einem BMI von 24 kg/m 2 o<strong>der</strong> kl<strong>einer</strong><br />

von einem erhöhten Risiko für Ernährungsstörungen gesprochen (Brüggemann et al., 2003).<br />

Der BMI als isolierter Parameter <strong>zur</strong> Beurteilung des Ernährungszustandes ist nur un<strong>zur</strong>ei-<br />

78


chend aussagekräftig und kann lediglich erste Hinweise auf eine mangelhafte Ernährungssituation<br />

liefern. Insbeson<strong>der</strong>e bei alten Menschen kann er irreführend sein, als ein hoher<br />

BMI durchaus mit <strong>einer</strong> Mangelernährung verbunden sein kann, z.B. bei Ödemen, ein niedriger<br />

BMI <strong>zur</strong> Geschichte <strong>der</strong> Person ohne Anzeichen von Mangelernährung gehören kann. In<br />

jedem Fall sollte <strong>zur</strong> weiteren Abklärung ein umfassendes Ernährungsassessment erfolgen<br />

(Gemeinsamer Bundesausschuss 2005; ASPEN, 2002). Im Rahmen des vorliegenden<br />

Projektes wurde dennoch <strong>der</strong> BMI <strong>der</strong> einzelnen Teilnehmer <strong>zur</strong> Beurteilung des Ernährungszustandes<br />

erhoben, da davon auszugehen war, dass sich hierzu am ehesten vergleichbare<br />

Informationen in den einzelnen Bewohnerdokumentationen finden würden. Die<br />

Auswertung <strong>der</strong> Daten zeigt, dass zum Zeitpunkt <strong>der</strong> <strong>Anlage</strong> <strong>der</strong> PEG-Sonde <strong>der</strong> größte Teil<br />

<strong>der</strong> Bewohner einen BMI-Wert aufwies, <strong>der</strong> entsprechend <strong>der</strong> oben genannten Definition als<br />

normal zu bezeichnen ist. Dies spricht dafür, dass dem Problem <strong>einer</strong> Mangelernährung bereits<br />

zu einem frühen Zeitpunkt begegnet wird. Allerdings ist zu bedenken, dass hierbei nur<br />

<strong>der</strong> Gewichtsverlust, bzw. eine Abnahme an Körpermasse berücksichtigt wird. An<strong>der</strong>e Folgen<br />

<strong>einer</strong> Fehl- o<strong>der</strong> Mangelernährung werden nicht erfasst, sodass im Rahmen <strong>der</strong> vorliegenden<br />

Ergebnisse keine Aussagen hierzu getroffen werden können.<br />

Die Maßnahme <strong>einer</strong> enteralen Ernährung mithilfe <strong>einer</strong> PEG-Sonde wird in erster Linie <strong>zur</strong><br />

Überbrückung von krankheitsbedingten Phasen empfohlen, in denen eine ausreichende Ernährung<br />

durch orale Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme nicht sichergestellt werden kann.<br />

In jedem Fall muss in regelmäßigen Abständen eine erneute Prüfung <strong>der</strong> Indikation und <strong>der</strong><br />

Notwendigkeit <strong>einer</strong> enteralen Ernährung erfolgen. Es wird des Weiteren gefor<strong>der</strong>t, dass eine<br />

kontinuierliche Durchführung von Maßnahmen erfolgt, die eine Rückführung zu oraler Nahrungsaufnahme<br />

unterstützen. Die für dieses Forschungsprojekt erhobenen Daten legen<br />

nahe, dass diesen For<strong>der</strong>ungen in <strong>der</strong> Praxis nur selten nachgekommen wird. Nur in einem<br />

Fall war die PEG-Sonde zum Zeitpunkt <strong>der</strong> Erhebung wie<strong>der</strong> entfernt worden. Allerdings<br />

fand in etwa 70 Prozent <strong>der</strong> Fälle in Ergänzung <strong>zur</strong> Sondennahrung auch ein orales Nahrungsangebot<br />

statt. Anhand <strong>der</strong> Datenlage bleibt deshalb offen, ob die dauerhafte Nutzung<br />

<strong>der</strong> PEG-Sonde auf die beson<strong>der</strong>en Charakteristika <strong>der</strong> zugrunde liegenden Population <strong>zur</strong>ückzuführen<br />

ist, o<strong>der</strong> ob hier die Option <strong>einer</strong> Entfernung <strong>der</strong> PEG-Sonde nicht hinreichend<br />

berücksichtigt wird. Die Tendenz zu <strong>einer</strong> langfristigen Applikation von Sondenernährung bei<br />

hochaltrigen Personen wird jedoch auch durch an<strong>der</strong>e Studien bestätigt (Becker & Hilbert,<br />

2004; Bucher & Hufnagel, 2004).<br />

Der Erhalt, bzw. die Verbesserung <strong>der</strong> Lebensqualität sollte sicherlich als primäres Ziel <strong>einer</strong><br />

enteralen Ernährung gelten. Es ist deshalb auch zu berücksichtigen, welche Komplikationen<br />

und nachteiligen Auswirkungen die <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG-Sonde mit sich bringen kann. Obwohl<br />

die <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG-Sonde als sichere Methode <strong>zur</strong> Ermöglichung <strong>einer</strong> enteralen Ernährung<br />

gilt (Cervo et al., 2006; Wirth et al., 2007), werden in <strong>der</strong> Literatur Komplikationsraten<br />

zwischen 8 und 30 Prozent angeführt, wobei schwerwiegende Ereignisse in 1 bis 4 Prozent<br />

<strong>der</strong> Fälle auftreten. Die am häufigsten beschriebene Komplikation stellt hierbei die lokale<br />

Wundinfektion <strong>der</strong> Einstichstelle dar (Löser et al., 2005). Dies trifft auch auf die Stichprobe<br />

des hier beschriebenen Forschungsprojektes zu. Ebenso traten in vereinzelten Fällen Diarrhöen,<br />

Dislokationen und das Buried-Bumper-Syndrom auf. Es ist außerdem zu bedenken,<br />

dass mittels <strong>der</strong> angewandten Methodik <strong>der</strong> Datenerhebung mit großer Wahrscheinlichkeit<br />

nicht alle durch die PEG-Sonde bedingten Komplikationen erfasst werden konnten. Insbeson<strong>der</strong>e<br />

in <strong>der</strong> Literatur beschriebene Auswirkungen wie Aspirationspneumonien, eine Zunahme<br />

von Fixierungen bei Personen mit Demenz und Auswirkungen auf psychische und<br />

soziale Faktoren waren anhand <strong>der</strong> verwendeten Methodik nicht in Beziehung <strong>zur</strong> enteralen<br />

Ernährung zu setzen (Finucane et al., 1999; Gillick, 2000). Dennoch unterstützt die hohe<br />

Rate an Komplikationen bei den Teilnehmern <strong>der</strong> hier beschriebenen Studie, die For<strong>der</strong>ung<br />

nach einem sorgfältigen Abwägen des Nutzens <strong>einer</strong> PEG-Sonde.<br />

<strong>Ablauf</strong> des <strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong>s<br />

Neben <strong>der</strong> Beschreibung <strong>der</strong> gesundheitlichen und ernährungsspezifischen Situation lag <strong>der</strong><br />

Fokus des Forschungsprojektes vor allem auf <strong>der</strong> Beschreibung des praktischen <strong>Ablauf</strong>es<br />

des <strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong>s im Vorfeld <strong>der</strong> <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG-Sonde. Ausgegangen wurde<br />

79


hierbei von <strong>der</strong> Hypothese, dass ein strukturierter Prozess <strong>zur</strong> <strong>Entscheidungs</strong>findung sich in<br />

<strong>der</strong> Bewohnerdokumentation <strong>der</strong> Altenpflegeeinrichtungen wie<strong>der</strong> finden würde.<br />

Als wesentliches Ergebnis dieser Forschungsarbeit ist deshalb festzuhalten, dass sich lediglich<br />

in 16 <strong>der</strong> 72 analysierten Bewohnerdokumentationen Informationen finden, die Rückschlüsse<br />

auf diesen Prozess zuließen. Zweifelsohne ist bei <strong>der</strong> Interpretation dieses Ergebnisses<br />

<strong>der</strong> Tatsache Rechnung zu tragen, dass knapp dreißig Prozent <strong>der</strong> teilnehmenden<br />

Bewohner erst nach <strong>Anlage</strong> <strong>der</strong> PEG-Sonde durch die entsprechende Altenpflegeeinrichtung<br />

betreut wurden. Auch ist zu berücksichtigen, dass in einigen Fällen eine akute Erkrankung<br />

möglicherweise dazu führte, dass <strong>der</strong> <strong>Entscheidungs</strong>prozess für die <strong>Anlage</strong> <strong>der</strong> PEG-Sonde<br />

im Krankenhaus stattfand. Dennoch verbleiben etwa 20 Fälle, in denen aus ungeklärten<br />

Gründen k<strong>einer</strong>lei Informationen zum <strong>Entscheidungs</strong>prozess in <strong>der</strong> Bewohnerdokumentation<br />

verfügbar sind.<br />

Obwohl zum <strong>Entscheidungs</strong>ablauf aus diesen Gründen nur eine sehr geringe Anzahl an Bewohnerdokumentationen<br />

<strong>zur</strong> Verfügung stand, ergaben sich hieraus Hinweise auf verschiedene<br />

Aspekte des <strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong>s.<br />

Im Rahmen eines strukturierten <strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong>s wird unter an<strong>der</strong>em <strong>der</strong> Einsatz<br />

von Algorithmen empfohlen, die dabei helfen sollen relevante Aspekte lückenlos zu berücksichtigen.<br />

Verschiedene Beispiele solcher <strong>Entscheidungs</strong>hilfen finden sich in <strong>der</strong> Literatur<br />

(Angus & Burakoff, 2003; Löser & Müller, 1998; San<strong>der</strong>s et al., 2002). In den analysierten<br />

Bewohnerdokumentationen des vorliegenden Forschungsprojektes ist die Anwendung <strong>der</strong>artiger<br />

<strong>Entscheidungs</strong>hilfen nicht dokumentiert. In <strong>der</strong> Praxis scheinen <strong>der</strong>artige <strong>Entscheidungs</strong>hilfen<br />

also keine Anwendung zu finden. Das ist insbeson<strong>der</strong>e interessant, da während<br />

<strong>der</strong> Datenerhebung einige <strong>der</strong> Kontaktpersonen in den Altenpflegeeinrichtungen äußerten,<br />

dass sie die Entwicklung <strong>einer</strong> <strong>Entscheidungs</strong>hilfe als sehr sinnvoll empfinden würden.<br />

Auch eine umfassende Beurteilung des Ernährungszustandes und <strong>der</strong> Ernährungssituation<br />

sowie die Anwendung alternativer Maßnahmen <strong>zur</strong> Sicherung eines adäquaten Ernährungszustandes<br />

wird im Zusammenhang mit <strong>der</strong> <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG-Sonde gefor<strong>der</strong>t<br />

(Gemeinsamer Bundesausschuss 2005; Brüggemann et al., 2003; Volkert, 2004). In den<br />

analysierten Bewohnerdokumentationen liegen in acht Fällen Informationen zu einem Ernährungsassessment<br />

vor. In erster Linie handelte es sich hierbei jedoch um Trink- und Ernährungsprotokolle.<br />

Lediglich das Gewicht, bzw. <strong>der</strong> BMI, wurde regelmäßig erfasst. Insgesamt<br />

kann jedoch festgestellt werden, dass das gefor<strong>der</strong>te umfassende Assessment in <strong>der</strong> Praxis<br />

nicht stattfindet. Ebenso verhält es sich mit <strong>der</strong> Durchführung alternativer Maßnahmen <strong>zur</strong><br />

Verbesserung o<strong>der</strong> <strong>zur</strong> Stabilisierung <strong>der</strong> Ernährungssituation.<br />

Ein weiteres Thema, das in <strong>der</strong> Literatur im Zusammenhang mit dem <strong>Entscheidungs</strong>prozess<br />

vor <strong>der</strong> <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG-Sonde häufig diskutiert wird, ist die Beteiligung verschiedener<br />

Personengruppen am <strong>Entscheidungs</strong>prozess. Auf professioneller Ebene wird empfohlen,<br />

dass eine multidisziplinäre Entscheidung getroffen wird. Ebenso wird die aktive Einbeziehung<br />

verschiedener <strong>Entscheidungs</strong>träger gefor<strong>der</strong>t. Im Mittelpunkt sollten hier die Patienten<br />

und ihre Angehörigen stehen (Callahan et al., 1999; Hasan et al., 1995; Todd et al., 2005).<br />

Die Ergebnisse verschiedener Studien zum <strong>Entscheidungs</strong>prozess vor <strong>Anlage</strong> <strong>der</strong> PEG-<br />

Sonde weisen jedoch darauf hin, dass dieser For<strong>der</strong>ung in <strong>der</strong> Praxis nur bedingt nachgekommen<br />

wird. Primär werden hier die behandelnden Ärzte sowie die stellvertretenden Angehörigen<br />

als am <strong>Entscheidungs</strong>prozess beteiligte Personengruppen identifiziert (Becker &<br />

Hilbert, 2004; Callahan et al., 1999; Todd et al., 2005; Van Rosendaal et al., 1999). Diese<br />

Ergebnisse werden durch die Ergebnisse <strong>der</strong> hier beschriebenen Dokumentationsanalyse<br />

bestätigt. Auch die äußerst seltene Beteiligung <strong>der</strong> Patienten selbst, die bereits in <strong>der</strong> Studie<br />

des Bremer Gesundheitsamtes festgestellt wurde (Becker & Hilbert, 2004), lässt sich anhand<br />

<strong>der</strong> in diesem Forschungsprojekt erhobenen Daten unterstreichen. Zu berücksichtigen ist<br />

selbstverständlich, dass in beiden Studien aufgrund <strong>der</strong> Altersstruktur <strong>der</strong> Stichprobe und<br />

des Settings <strong>der</strong> Erhebung davon auszugehen war, dass in zahlreichen Fällen gesundheitliche<br />

Probleme vorlagen, die eine kognitive Einschränkung <strong>der</strong> Teilnehmer nach sich zog und<br />

so die Beteiligung am <strong>Entscheidungs</strong>prozess erschwerte. Dies bestätigt sich durch die große<br />

Zahl an Teilnehmern, die durch einen gesetzlichen Betreuer o<strong>der</strong> einen Vorsorgebevoll-<br />

80


mächtigten vertreten werden. Dennoch sollte sicherlich kritisch hinterfragt werden, ob das<br />

Vorliegen eines Betreuungsverhältnisses im Einzelfall die Einbeziehung <strong>der</strong> betroffenen Person<br />

tatsächlich ausschließt.<br />

Ebenfalls bestätigen die Ergebnisse des hier beschriebenen Forschungsprojektes die anhand<br />

<strong>der</strong> Ergebnisse verschiedener Studien belegte relativ seltene Beteiligung von Pflegekräften<br />

am <strong>Entscheidungs</strong>prozess (Becker & Hilbert, 2004; Todd et al., 2005). Dieser<br />

Sachverhalt ist speziell in Bezug auf das Setting Altenpflegeheim bedenklich, da Pflegekräfte<br />

auf professioneller Seite hauptverantwortlich für die Versorgung und Pflege <strong>der</strong> Bewohner<br />

sind. Es ist deshalb davon auszugehen, dass sie über Kenntnisse zu den einzelnen Bewohnern<br />

verfügen, die durch an<strong>der</strong>e Berufsgruppen nicht kompensiert werden können und die<br />

für <strong>der</strong>artige Entscheidungen von grundlegen<strong>der</strong> Bedeutung sind. An dieser Stelle bedarf es<br />

sicher <strong>einer</strong> differenzierteren Ursachenforschung, die anhand <strong>der</strong> in diesem Forschungsprojekt<br />

<strong>zur</strong> Verfügung stehenden Daten nicht geleistet werden kann. Möglicherweise spielen<br />

jedoch fehlende Sachkenntnis, schlecht ausgebildete Kommunikationsstrukturen sowie individuelle<br />

Beson<strong>der</strong>heiten einzelner Einrichtungen hierbei eine Rolle (Becker & Hilbert, 2004;<br />

Todd et al., 2005). Es ist außerdem möglich, dass die Rolle <strong>der</strong> Pflegenden im <strong>Entscheidungs</strong>prozess<br />

vor <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG-Sonde einen vorwiegend informellen Charakter hat, da<br />

dem Arzt auf rechtlicher Ebene die Aufgabe <strong>der</strong> Indikationsstellung und Aufklärung zukommt<br />

(Brüggemann et al., 2003; Körner et al., 2003). Es ist deshalb denkbar, dass sich die<br />

Funktion <strong>der</strong> Pflegekräfte im <strong>Entscheidungs</strong>prozess in einem geringeren Maße in <strong>der</strong><br />

Bewohnerdokumentation nie<strong>der</strong>schlägt als es <strong>der</strong> Realität entspricht. Diese Annahme wird<br />

durch die Studienergebnisse von Todd et al. (2005) ebenso unterstützt, wie durch Aussagen<br />

von Gatekeepern <strong>der</strong> hier beschriebenen Studie. In beiden Fällen wurde eine primär beratende<br />

Funktion <strong>der</strong> Pflegekräfte für die Bewohner und <strong>der</strong>en Angehörige beschrieben.<br />

Die Beteiligung an<strong>der</strong>er Professionen am <strong>Entscheidungs</strong>prozess wird in <strong>der</strong> Literatur zwar<br />

als sinnvoll erachtet (Callahan et al., 1999; Shega et al., 2003), jedoch liegen hierzu kaum<br />

empirische Ergebnisse vor. Es ist zu vermuten, dass dies in <strong>der</strong> Praxis eher selten umgesetzt<br />

wird. Auch in <strong>der</strong> hier beschriebenen Studie wird nur in wenigen Fällen die Beteiligung<br />

weiterer Berufsgruppen, wie Logopäden o<strong>der</strong> Ernährungsberatern, beschrieben.<br />

Eine Beteiligung <strong>der</strong> betroffenen Bewohner am <strong>Entscheidungs</strong>prozess findet wie bereits geschil<strong>der</strong>t<br />

nur in seltenen Fällen statt. Es ist also davon auszugehen, dass diese häufig nicht<br />

dazu in <strong>der</strong> Lage sind, ihre Wünsche hinsichtlich <strong>einer</strong> enteralen Ernährung mittels <strong>einer</strong><br />

PEG-Sonde zu äußern. In <strong>der</strong>artigen Fällen sind die <strong>Entscheidungs</strong>träger ebenso wie die<br />

verantwortlichen Ärzte und an<strong>der</strong>e beteiligte Berufsgruppen verpflichtet im Sinne des mutmaßlichen<br />

Willens des Patienten zu handeln (Bundesärztekammer, 1998; Körner et al.,<br />

2003). Die Ermittlung des mutmaßlichen Willens gestaltet sich in <strong>der</strong> Praxis jedoch häufig<br />

schwierig. Die Vertretung des mutmaßlichen Willens <strong>der</strong> Patienten sollen in erster Linie die<br />

stellvertretenden <strong>Entscheidungs</strong>träger übernehmen. Die Ergebnisse aus <strong>der</strong> Dokumentationsanalyse<br />

zeigen jedoch, dass es sich hierbei in erster Linie um gesetzliche Betreuer handelt.<br />

Die Datenlage lässt keine Aussage darüber zu, inwieweit es sich hierbei um Angehörige<br />

handelt, die möglicherweise Kenntnisse über die Wünsche des Patienten haben und in wie<br />

vielen Fällen hierfür Berufsbetreuer eingesetzt werden. Festzustellen ist jedoch, dass nur in<br />

wenigen Fällen von <strong>der</strong> Möglichkeit Gebrauch gemacht wird, mittels <strong>einer</strong> Vorsorgevollmacht<br />

den eigenen Wünschen Ausdruck zu verleihen und eine Person zu benennen, die über entsprechende<br />

Kenntnisse verfügt.<br />

Ähnliches trifft auf den Einsatz von Patientenverfügungen zu. Diese gelten neben Vorsorgevollmachten<br />

als Mittel <strong>der</strong> Wahl um persönliche Wünsche und Einstellungen im Hinblick auf<br />

potenzielle Gesundheitsprobleme zu äußern und sind als rechtsverbindlich anzusehen<br />

(Bundesärztekammer, 1998). Auch diese wurden durch die Teilnehmer des Forschungsprojektes<br />

nur in wenigen Fällen genutzt. Darüber hinaus zeigte die Analyse <strong>der</strong> Bewohnerdokumentationen,<br />

dass sie wenn vorhanden fast immer wenig differenziert sind und somit<br />

praktisch keine Hilfe bei <strong>der</strong> Ermittlung des mutmaßlichen Patientenwillens darstellen.<br />

Insgesamt kann festgestellt werden, dass die Ergebnisse dieses Forschungsprojektes die<br />

anhand <strong>der</strong> Literaturrecherche gewonnen Erkenntnisse bezüglich des <strong>Ablauf</strong>es von Ent-<br />

81


scheidungs<strong>prozesse</strong>n vor <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG-Sonde weitestgehend bestätigen. Ein strukturierter<br />

und zielgerichteter <strong>Entscheidungs</strong>prozess scheint in den meisten Fällen nicht stattzufinden.<br />

5.5 Schlussfolgerung und Ausblick<br />

Ziel dieses Forschungsprojektes war es den <strong>Entscheidungs</strong>prozess vor <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG-<br />

Sonde im Setting Altenpflegeheim darzustellen, um so Anhaltspunkte <strong>zur</strong> Qualität dieses<br />

Prozesses zu gewinnen und die Relevanz für die Entwicklung <strong>einer</strong> <strong>Entscheidungs</strong>hilfe <strong>zur</strong><br />

Optimierung des Prozesses zu ermitteln.<br />

Die Ergebnisse des Projektes bestätigen zunächst, dass es sich bei Bewohnern von Altenpflegeeinrichtungen,<br />

bei denen eine PEG-Sonde <strong>zur</strong> enteralen Ernährung angelegt wurde,<br />

um eine Population handelt, <strong>der</strong>en gesundheitliche und ernährungsspezifische Situation einen<br />

sorgfältigen und individuellen <strong>Entscheidungs</strong>prozess hinsichtlich <strong>der</strong> <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG-<br />

Sonde obligat machen. Insbeson<strong>der</strong>e das vorwiegend hohe Alter <strong>der</strong> Teilnehmer und die<br />

damit häufig einhergehende Multimorbidität sowie ein in vielen Fällen vorliegendes Betreuungsverhältnis,<br />

das offensichtlich mit kognitiven Einschränkungen <strong>der</strong> betroffenen Personen<br />

zu begründen ist, sind in diesem Zusammenhang hervorzuheben.<br />

Gerade vor diesem Hintergrund ist es umso kritischer zu bewerten, dass sich lediglich in<br />

einigen wenigen Bewohnerdokumentationen Informationen finden, die den Verlauf des <strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong>s<br />

vor <strong>Anlage</strong> <strong>der</strong> PEG-Sonde transparent machen.<br />

Obwohl zu bedenken ist, dass anhand <strong>der</strong> Bewohnerdokumentationen sicher keine lückenlose<br />

Darstellung des <strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong>s zu erwarten war, stimmt es dennoch nachdenklich,<br />

dass sich in zahlreichen Akten k<strong>einer</strong>lei Informationen finden, die Hinweise auf die<br />

<strong>Entscheidungs</strong>situation vor <strong>Anlage</strong> <strong>der</strong> PEG-Sonde geben.<br />

Auch die wenigen Bewohnerdokumentationen, die entsprechende Hinweise enthalten, bieten<br />

keinesfalls ein umfassendes Bild des <strong>Entscheidungs</strong>ablaufes. Vielmehr verstärken sie den<br />

Eindruck, dass es sich hierbei um ein durch individuelle Prioritäten geprägtes und wenig<br />

strukturiertes Vorgehen handelt.<br />

Schlussfolgernd ist deshalb zu empfehlen, Maßnahmen zu ergreifen, die dabei helfen können,<br />

den Prozess <strong>der</strong> <strong>Entscheidungs</strong>findung im Hinblick auf die mögliche <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG-<br />

Sonde strukturierter zu gestalten.<br />

Eine <strong>Entscheidungs</strong>hilfe, die eine lückenlose und zielgerichtete Erfassung von Informationen<br />

steuert, die für die <strong>Entscheidungs</strong>findung relevant sind, wäre deshalb sicher zu befürworten.<br />

Dies bestätigen auch Aussagen von Pflegepersonen, die im Rahmen des Gesamtprojektes<br />

interviewt wurden. Der <strong>Entscheidungs</strong>prozess im Zusammenhang mit <strong>der</strong> <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG-<br />

Sonde wurde hier häufig als sehr schwierig beschrieben und die Entwicklung eines Instrumentes<br />

<strong>zur</strong> <strong>Entscheidungs</strong>findung als sinnvoll bewertet.<br />

Darüber hinaus würde ein solches Instrument dazu beitragen, den <strong>Entscheidungs</strong>prozess<br />

transparenter zu machen und somit dem vielfach geäußerten Vorwurf zu begegnen die <strong>Anlage</strong><br />

<strong>einer</strong> PEG-Sonde unter an<strong>der</strong>em aus pflegeerleichternden Gründen anzustreben.<br />

82


6. Der <strong>Entscheidungs</strong>prozess in stationären Einrichtungen <strong>der</strong><br />

Altenhilfe aus <strong>der</strong> Perspektive von Pflegenden und nie<strong>der</strong>gelassenen<br />

Ärzten 1<br />

Claudia Dinand<br />

6.1 Methodisches Vorgehen<br />

Studiendesign<br />

Im dritten Teil des Forschungsprojektes wurden qualitative leitfadengestützte Experteninterviews<br />

mit Pflegenden und nie<strong>der</strong>gelassenen Ärzten geführt. Ziel dieses Vorgehens war es,<br />

herauszufinden, wie <strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong> in <strong>der</strong> Realität aus <strong>der</strong> Perspektive <strong>der</strong> Betroffenen<br />

wahrgenommen werden. Dazu wurde ein naturalistisches Design (Prakke 2007) gewählt.<br />

Qualitative Forschung ist bemüht, „die subjektiven Sichtweisen und Deutungsmuster sozialer<br />

Akteure in ihrem Alltagshandeln zu rekonstruieren und Lebenswelten „von innen heraus“ aus<br />

<strong>der</strong> Sicht <strong>der</strong> handelnden Menschen zu beschreiben“ (Flick et al. 2000: 14). Davon ausgehend,<br />

dass sich <strong>Entscheidungs</strong>abläufe <strong>zur</strong> PEG nicht erschöpfend durch die Dokumentenanalyse<br />

darstellen lassen würden und informelle Wege und Sichtweisen <strong>der</strong> Akteure eine<br />

Rolle spielen könnten, schien eine qualitative Herangehensweise beson<strong>der</strong>s geeignet, zusätzliche<br />

Antworten auf die Fragestellung zu geben.<br />

Als Methode wurden leitfadengestützte Interviews im Sinne von Experteninterviews geplant<br />

und durchgeführt. Unter Experten werden Personen verstanden, die über ein spezifisches<br />

Wissen und über beson<strong>der</strong>e Erfahrungen und Strategien zu einem sozialen Sachverhalt<br />

verfügen. Experteninterviews sind eine Methode, dieses Wissen zu erschließen (Gläser,<br />

Laudel 2006: 10). Nach Meuser und Nagel (2005) ist ein Experte außerdem ein Experte in<br />

Bezug auf das Forschungsinteresse. Der Expertenstatus wird vom Forscher, begrenzt auf<br />

eine spezifische Fragestellung verliehen und betrifft Personen, die Teil des Handlungsfeldes<br />

sind, dessen Probleme gelöst werden sollen (Meuser, Nagel 1994: 182). Im Unterschied zu<br />

an<strong>der</strong>en Formen des Interviews zielt die Befragung von Experten auf ihre Position als Funktionsträger<br />

und den damit erworbenen Erfahrungen, weniger auf die individuelle Ausrichtung<br />

<strong>der</strong> Gesamtperson. Als Experte wird angesprochen, wer<br />

� „in irgend<strong>einer</strong> Weise Verantwortung trägt für den Entwurf, die Implementierung o<strong>der</strong><br />

die Kontrolle <strong>einer</strong> Problemlösung,<br />

� o<strong>der</strong> über einen privilegierten Zugang zu Informationen über Personengruppen o<strong>der</strong><br />

<strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong> verfügt“ (Meuser, Nagel 2005: 73).<br />

1<br />

In vorliegen<strong>der</strong> Untersuchung wird aus Gründen <strong>der</strong> Lesbarkeit die männliche Schreibweise gewählt, Frauen<br />

sind immer mit gemeint.<br />

83


Für die vorliegende Untersuchung wurden diesbezüglich nie<strong>der</strong>gelassene Ärzte und Pflegende<br />

in stationären Einrichtungen <strong>der</strong> Altenhilfe als entscheidende Personen im Handlungsfeld<br />

ausgewählt.<br />

Zugang und Stichprobe<br />

Wie im methodischen Teil <strong>der</strong> Dokumentationsanalyse bereits detailliert beschrieben, wurden<br />

Einrichtungen <strong>der</strong> Altenhilfe in Nordrhein-Westfalen angeschrieben und neben <strong>der</strong> Teilnahme<br />

<strong>zur</strong> Dokumentationsanalyse auch gebeten, den Zugang zu Personen herzustellen,<br />

die bereit sind an einem Interview teilzunehmen (vgl. Anschreiben/<strong>Anlage</strong>).<br />

Einrichtungen, die an <strong>einer</strong> Teilnahme interessiert waren, erhielten in einem Erstkontakt<br />

Informationsmaterialien inklusive Einverständniserklärungen und wurden in einem persönlichen<br />

Gespräch über Ziel und Zweck <strong>der</strong> Studie informiert. Die Auswahl <strong>der</strong> Interviewpartner<br />

fand in <strong>der</strong> Regel über die Pflegedienstleitungen <strong>der</strong> jeweiligen Einrichtungen statt. Um sicherzustellen,<br />

dass die Teilnehmenden auch als Experten <strong>zur</strong> Fragestellung angesehen<br />

werden konnten, wurden die Pflegedienstleitungen gebeten, solche Pflegenden nach ihrer<br />

Bereitschaft <strong>zur</strong> Teilnahme zu fragen und ihnen die Informationsschreiben zum Projekt auszuhändigen,<br />

die bereits über eine lange Berufstätigkeit verfügten o<strong>der</strong> in Wohnbereichen<br />

arbeiteten, und deshalb häufiger mit <strong>der</strong> Frage <strong>der</strong> PEG konfrontiert worden waren.<br />

Bei den Pflegenden zeigte sich eine hohe Bereitschaft an einem Interview teiIzunehmen, so<br />

dass im Rahmen dieses Projektes die Anzahl <strong>der</strong> Teilnehmer nach <strong>Ablauf</strong> <strong>der</strong> vorgesehen<br />

Datenerhebungszeit limitiert werden musste. Insgesamt wurden 26 Pflegende (19 Frauen/7<br />

Männer) im Alter von 23 – 56 Jahren mit <strong>einer</strong> Berufserfahrung von mindestens 3 1/2 - 37<br />

Jahren befragt. 19 Pflegende waren Altenpfleger/innen, fünf waren Gesundheits-und<br />

Krankenpfleger/innen und eine war eine Familienpflegerin. Eine Pflegekraft hatte eine<br />

Weiterbildung in Palliativ Care, fünf hatten eine Weiterbildung <strong>zur</strong> gerontopsychiatrischen<br />

Pflegefachkraft, es gab eine Diplom-Pflegewirtin und eine Ökotrophologin; zwei Pflegende<br />

arbeiteten im ambulanten Bereich, sieben Befragte arbeiteten als Wohnbereichsleitungen,<br />

zwei in stellvertreten<strong>der</strong> Position, es gab vier Pflegedienstleitungen und drei Stellvertreter/innen,<br />

eine Heimleitung und eine stellvertretende Heimleitung.<br />

Der Kontakt zu den nie<strong>der</strong>gelassenen Ärzten wurde z. T. durch die Pflegedienstleitungen <strong>der</strong><br />

Einrichtungen hergestellt, entwe<strong>der</strong> durch die Weitergabe <strong>der</strong> Namensliste <strong>der</strong> Ärzte, die<br />

Bewohner mit <strong>einer</strong> PEG betreuen o<strong>der</strong> in <strong>Entscheidungs</strong>situationen einbezogen gewesen<br />

waren o<strong>der</strong> indem Informationsmaterialien direkt an die Ärzte weitergeleitet wurden. Hiermit<br />

sollte sichergestellt werden, dass das Thema eine gewisse Relevanz im Alltag <strong>der</strong> Ärzte besitzt.<br />

Desweiteren wurde ein Anschreiben an eine Auswahl nie<strong>der</strong>gelassener Ärzte <strong>der</strong> Region<br />

versandt. Alle Ärzte wurden zwei Wochen nach dem Anschreiben erneut per Telefonanfrage<br />

kontaktiert. 8 von 33 angeschriebenen Ärzten, erklärten sich spontan für eine Teilnahme<br />

bereit. Prinzipielle Ablehnung, Arbeitsbelastung und Termindruck waren die Hauptkriterien<br />

für eine Ablehnung.<br />

Bei den Interviews mit den Ärzten handelte es sich um zwei Frauen und sechs Männer im<br />

Alter von 44-65 Jahren. Vier waren Fachärzte für Allgemeinmedizin, drei waren Fachärzte für<br />

Innere Medizin und <strong>einer</strong> arbeitete als praktischer Arzt. Spezialisierungen gab es im Bereich<br />

<strong>der</strong> Psychotherapie, Geriatrie, Naturheilverfahren, Cardiologie, Diabetologie, Onkologie,<br />

Dialyse, Palliativmedizin und Suchtmedizin. Ein Arzt war außerdem Physiologe. Die<br />

Berufserfahrung betrug mindestens 15 und maximal 42 Jahre.<br />

84


Durchführung <strong>der</strong> Interviews<br />

Die Interviews dauerten zwischen 20 Minuten und <strong>einer</strong> Stunde und fanden nach Absprache<br />

mit den Ärzten in <strong>der</strong>en Praxisräumen statt. Interviews mit den Pflegenden wurden in Konferenz-<br />

o<strong>der</strong> Aufenthaltsräumen <strong>der</strong> jeweiligen Einrichtungen geführt. Zwei <strong>der</strong> Teilnehmer<br />

wurden auf ihren speziellen Wunsch hin gemeinsam interviewt.<br />

Ziel <strong>der</strong> Interviews war es, mithilfe des Wissens und <strong>der</strong> Erfahrung <strong>der</strong> Pflegenden und Ärzten,<br />

Modalitäten von <strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong>n <strong>zur</strong> <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG zu rekonstruieren.<br />

Dazu wurde ein Leitfaden erstellt, <strong>der</strong> helfen sollte, das Interview thematisch zu lenken.<br />

Dabei ist es nicht erfor<strong>der</strong>lich die einzelnen Fragen <strong>der</strong> Reihe nach abzuarbeiten. Eher dient<br />

ein Leitfaden <strong>der</strong> Orientierung im Themengebiet und gibt dem Interviewer die Möglichkeit<br />

den Gesprächsfluss durch erneutes Fragen an<strong>zur</strong>egen, wenn das Interview ins Stocken<br />

geraten ist o<strong>der</strong> Themen zu beleuchten, die bislang noch nicht angesprochen wurden<br />

(Meuser, Nagel 1994). Im Vor<strong>der</strong>grund standen Fragen <strong>zur</strong> Situation <strong>der</strong> Patienten/<br />

Bewohner, bei denen eine PEG in Erwägung gezogen wurde, zu beteiligten Akteuren und<br />

zum Einsatz von Instrumenten <strong>zur</strong> <strong>Entscheidungs</strong>findung (vgl. <strong>Anlage</strong>). Im Anschluss an das<br />

Interview wurden bei jedem Interviewteilnehmer ein Bogen <strong>zur</strong> Erfassung von Angaben zum<br />

Alter, Geschlecht, Berufserfahrung in Jahren, die Berufsqualifikation und das Datum des<br />

Interviews ausgefüllt (vgl. <strong>Anlage</strong>).<br />

Alle Interviews wurden mithilfe eines digitalen Tonbandgerätes aufgezeichnet und anschließend<br />

verschriftlicht (vgl. Datenanalyse). Bei einem Interview kam es durch ein technisches<br />

Problem zu einem Aufnahmefehler, so dass für dieses Interview nur ein Postskript vorliegt,<br />

was direkt im Anschluss an das Interview durch die Interviewerin verfasst wurde. Inhalte aus<br />

diesem Interview flossen ergänzend in die Analyse ein und konnten daher nur sinngemäß<br />

wie<strong>der</strong>gegeben werden.<br />

Datenanalyse<br />

Die Auswertung <strong>der</strong> Interviews erfolgte qualitativ in Anlehnung an das von Meuser und Nagel<br />

(2005) vorgeschlagene interpretative Verfahren des thematischen Vergleichs <strong>zur</strong> Analyse<br />

leitfadenorientierter Experteninterviews. Ziel dabei ist „das Überindividuell-Gemeinsame herauszuarbeiten,<br />

Aussagen über Repräsentatives, über gemeinsam geteilte Wissensbestände,<br />

Relevanzstrukturen, Wirklichkeitskonstruktionen, Interpretationen und Deutungsmuster zu<br />

treffen“ (ebd. 2005: 80). Es werden vier bis sechs Schritte <strong>der</strong> Auswertung vorgeschlagen,<br />

die Meuser und Nagel (2005) als modellhaft verstanden wissen wollen und die flexibel an die<br />

jeweilige Untersuchungsbedingung angepasst werden können:<br />

� Transkription / Paraphrasierung<br />

� Bildung von Überschriften<br />

� Thematischer Vergleich<br />

� (Soziologische) Konzeptualisierung / Theoretische Generalisierung<br />

Für die Auswertung von Interviews ist eine Verschriftlichung Voraussetzung. Welche Teile<br />

transkribiert und welche paraphrasiert werden, muss anhand <strong>der</strong> leitenden Forschungsfragen<br />

und dem parallel fortschreitenden Auswertungsprozess entschieden werden (Meuser,<br />

Nagel 2005: 83). In vorliegen<strong>der</strong> Untersuchung wurden 21 Interviews vollständig transkribiert<br />

und paraphrasiert. Darin sind alle Interviews mit den nie<strong>der</strong>gelassenen Ärzten enthalten. 12<br />

Interviews wurden vorwiegend paraphrasiert und an beson<strong>der</strong>s relevanten Textabschnitten<br />

wortgetreu wie<strong>der</strong>gegeben. Die Transkription erfolgte, wie empfohlen (Gläser, Laudel 2006,<br />

Meuser, Nagel 2005: 83) ohne aufwendige Notationssysteme (vgl. <strong>Anlage</strong>).<br />

85


Die Bildung von Überschriften führt <strong>zur</strong> Verdichtung des Materials. Der Leitfaden wird zum<br />

wesentlichen Bestandteil <strong>der</strong> Auswertung, indem die thematischen Schwerpunkte Vorformulierungen<br />

<strong>der</strong> theorierelevanten Kategorien bei <strong>der</strong> Bildung von Überschriften darstellen, die<br />

je nach Aussagen <strong>der</strong> Befragten ihre inhaltliche Ausgestaltung erhalten. Relevante Aspekte,<br />

die im Datenmaterial entdeckt wurden, aber nicht im Leitfaden vorgesehen waren, wurden<br />

dem Prinzip <strong>der</strong> Offenheit folgend als neue aus den Daten generierte Überschriften ergänzt.<br />

An dieser Stelle wurden die Daten mithilfe <strong>der</strong> Computersoftware für qualitative Daten MAX<br />

QDA 2007 verwaltet.<br />

Auf <strong>der</strong> Stufe des thematischen Vergleichs geht die Analyse über das einzelne Interview<br />

hinaus. Aussagen <strong>der</strong> Beteiligten werden in Bezug auf Ähnlichkeiten und Unterschiede themenbezogen<br />

miteinan<strong>der</strong> verglichen und können schließlich zu allgem<strong>einer</strong>en Konzepten<br />

zusammengefasst und in Relation gestellt werden. Je nach Stellung im Forschungsdesign<br />

findet eine theoretische Generalisierung also die Verknüpfung mit existenten Theorien o<strong>der</strong><br />

<strong>der</strong>en Modifikation statt (Meuser; Nagel 2005: 91). Die in dieser Untersuchung geführten<br />

Interviews wurden mit dem Ziel geführt Auskunft über Insi<strong>der</strong>wissen und informelle Prozesse<br />

zu geben und Ergebnisse <strong>der</strong> Dokumentationsanalyse um die Sichtweise <strong>der</strong> Handelnden zu<br />

erweitern. Eine theoretische Einordnung findet im Rahmen <strong>der</strong> Diskussion statt.<br />

Gütekriterien<br />

Die Beurteilung <strong>der</strong> Güte des qualitativen Teils <strong>der</strong> vorliegenden Untersuchung orientiert sich<br />

an den von Steinke (2000) vorgeschlagenen Kernkriterien <strong>der</strong> intersubjektiven Nachvollziehbarkeit.<br />

Diese soll durch eine dichte, nachvollziehbare Dokumentation des Forschungs<strong>prozesse</strong>s,<br />

die Anwendung kodifizierter Verfahren und die Interpretation in Gruppen gewährleistet<br />

werden. Hierzu wurde in den Kapiteln zum methodischen Vorgehen exemplarisch versucht<br />

� den Forschungsprozess transparent darzustellen,<br />

� die Wahl <strong>der</strong> angewandten Methoden und Vorgehensweisen im Erhebungs- und<br />

Analyseprozess zu begründen,<br />

� einem anerkannten Verfahren (Meuser, Nagel 2005) zu folgen,<br />

� den Prozess durch regelmäßige Treffen <strong>der</strong> Projektgruppe sinnvoll zu strukturieren<br />

und konstruktiv weiterzuentwickeln und<br />

� die Ergebnisse detailliert zu beschreiben sowie mit Ausschnitten aus den Originaldaten<br />

zu belegen.<br />

Ethische Überlegungen<br />

Im Falle <strong>der</strong> leitfadengestützten Befragung handelt es sich um Experteninterviews mit Pflegenden<br />

und nie<strong>der</strong>gelassenen Ärzten. Experten (s.o.) gelten primär nicht als vulnerable Personen<br />

im forschungsethischen Sinn (Schnell, Heinritz 2006). Die Teilnehmenden wurden vor<br />

<strong>der</strong> Durchführung des Interviews ausreichend über das Forschungsvorhaben informiert und<br />

hatten je<strong>der</strong>zeit die Möglichkeit sich aus freiem Willen für o<strong>der</strong> gegen eine Teilnahme zu entscheiden<br />

(vgl. <strong>Anlage</strong>). Eine beson<strong>der</strong>e Position nehmen dabei Personen ein, die durch ihr<br />

Angestelltenverhältnis in gewisser Abhängigkeit zu den Vorgesetzten ihrer Einrichtungen<br />

stehen und damit weisungsgebunden sind. Im vorliegenden Fall galt dieses vorwiegend für<br />

die Pflegenden, die vor dem Interview nochmals auf ihre freiwillige Teilnahme o<strong>der</strong> einen<br />

möglichen gewünschten Abbruch des Interviews ihrerseits hingewiesen wurden. Von diesem<br />

Recht hat in dieser Untersuchung niemand Gebrauch gemacht.<br />

86


Es wird davon ausgegangen, dass Personen, die <strong>einer</strong> Teilnahme zustimmen, ihre Expertise<br />

zum Forschungsgegenstand weitergeben wollen. Deswegen ist nicht zu erwarten, dass den<br />

befragten Personen durch die Teilnahme am Interview ein Schaden entstanden ist. Trotzdem<br />

kann die Auseinan<strong>der</strong>setzung mit <strong>der</strong> eigenen Berufsbiographie o<strong>der</strong> Fragen zum Umgang<br />

mit ethisch schwierigen Situationen, wie im Falle <strong>einer</strong> PEG, zu Situationen führen, die bei<br />

den Befragten Emotionen und Erinnerungen auslösen, die sie persönlich berühren. Für diesen<br />

Fall wurde den Teilnehmenden die Möglichkeit zugesichert, das Interview zu je<strong>der</strong> Zeit<br />

unterbrechen zu können o<strong>der</strong> ihre Zustimmung, auch nach dem Interview, durch Kenntnis<br />

<strong>der</strong> Kontaktpersonen und <strong>der</strong>en Telefonnummern <strong>zur</strong>ückzuziehen (vgl. <strong>Anlage</strong>). In einem<br />

Fall kam es <strong>zur</strong> Schil<strong>der</strong>ung <strong>einer</strong> aktuell schwierigen <strong>Entscheidungs</strong>situation. In diesem Fall<br />

wurde den Beteiligten nach dem Interview Informationsmaterial <strong>zur</strong> <strong>Entscheidungs</strong>findung<br />

<strong>zur</strong> Verfügung gestellt.<br />

Weiter wurde garantiert, dass eine Rückerkennung <strong>der</strong> teilnehmenden Einrichtungen und <strong>der</strong><br />

Personen nicht möglich ist. Personenbezogene Angaben wurden nicht erhoben. Namen und<br />

Wohnorte o<strong>der</strong> sonstige identifizierende Angaben, die während des Interviews genannt wurden,<br />

wurden bei <strong>der</strong> Auswertung durch Nummerierungen o<strong>der</strong> Pseudonyme ersetzt. Das gilt<br />

auch für alle in vorliegendem Bericht im Anschluss an die Originalzitate verwandten Namen.<br />

Weiter wurde gewährleistet, dass die gewonnenen Daten ausschließlich zu Forschungszwecken<br />

verwendet werden, vertraulich und anonym behandelt, sicher aufbewahrt und nicht an<br />

Dritte weitergegeben werden. Dies gilt insbeson<strong>der</strong>e für die Vorgesetzen <strong>der</strong> Einrichtungen,<br />

denen gegenüber die Forschenden <strong>zur</strong> Verschwiegenheit bezüglich <strong>der</strong> Aussagen <strong>der</strong> Pflegenden<br />

verpflichtet sind (vgl. <strong>Anlage</strong>).<br />

Die Ethikkommission <strong>der</strong> Universität Witten/Herdecke hat vor Beginn <strong>der</strong> Studie durch ein<br />

positives Votum die Durchführung unter ethischen Gesichtspunkten genehmigt.<br />

6.2 Ergebnisse<br />

<strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong> - Kontext<br />

<strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong> lassen sich als klassisches Phasenmodell darstellen. Im Vorfeld<br />

<strong>einer</strong> Entscheidung werden Beobachtungen gemacht, Parameter erhoben und Diskussionen<br />

geführt, um die Entscheidung abzuwägen, zu manifestieren und schließlich in eine Handlung<br />

zu transformieren. Zur Feststellung <strong>einer</strong> Indikation werden von den Befragten verschiedene<br />

Kriterien genannt, die helfen ein Problem zu benennen, einzugrenzen und die getroffene<br />

Entscheidung zu begründen. So gibt es neben messbaren Parametern auch Instrumente und<br />

„weiche“ Kriterien, die <strong>zur</strong> Einschätzung <strong>der</strong> Lebenssituation des betroffenen Menschen und<br />

damit bei <strong>der</strong> <strong>Entscheidungs</strong>findung <strong>zur</strong> <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG beitragen. Im Sinne eines<br />

Phasenmodells lassen sich drei wesentliche Einheiten unterscheiden. Die Phase vor <strong>der</strong><br />

Entscheidung, in <strong>der</strong> beobachtend und meinungsbildend gearbeitet wird, die Phase des<br />

Entscheids mit <strong>der</strong> Konsequenz <strong>einer</strong> Handlung o<strong>der</strong> einem Handlungsverzicht und die<br />

Phase nach getroffener Entscheidung, in <strong>der</strong> die Entscheidung überprüft, bewertet und ggf.<br />

revidiert wird.<br />

87


Abbildung 1: Prozessphasen<br />

Welche Ausprägungen dieses Vorgehen im praktischen Alltag nie<strong>der</strong>gelassener Ärzte und<br />

Ärztinnen und <strong>der</strong> Pflegenden in stationären Einrichtungen <strong>der</strong> Altenhilfe haben kann, wird<br />

im Anschluss vorgestellt.<br />

Die Aussagen <strong>der</strong> Befragten unterscheiden sich aus <strong>der</strong> Perspektive <strong>der</strong> jeweiligen Profession<br />

heraus. So sind Pflegende stärker in <strong>der</strong> Alltagsbeobachtung und Begleitung des Essens<br />

und Trinkens aus <strong>der</strong> Situation in <strong>einer</strong> Altenpflegeeinrichtung involviert. Die Ärzte konzentrieren<br />

sich auf die Schil<strong>der</strong>ung medizinischer Sachverhalte und dominieren bei <strong>der</strong> Indikationsstellung.<br />

Ihr Blickwinkel umfasst zu den Menschen in <strong>der</strong> Altenpflege auch die ambulante<br />

Situation. In Bezug auf den <strong>Entscheidungs</strong>prozess gab es jedoch eine Reihe von<br />

Überschneidungen. Um Redundanzen zu vermeiden, wurde vom ursprünglichen Vorhaben<br />

abgesehen, die jeweiligen Sichtweisen getrennt voneinan<strong>der</strong> darzustellen. In diesem Bericht<br />

ist immer dann allgemein von Befragten die Rede, wenn sowohl Pflegende als auch Ärzte<br />

gemeint sind. Aussagen werden dann getrennt vorgestellt, wenn es keine Überschneidungen<br />

<strong>der</strong> beiden Berufsgruppen gab o<strong>der</strong> Einzelaussagen vorgestellt werden und wenn die spezifische<br />

Perspektive für die Fragestellung relevant erschien. Ärzte sprechen von Patienten,<br />

Pflegende von Bewohnern, wenn über die Person berichtet wird, bei <strong>der</strong> eine PEG in Erwä-<br />

88


gung gezogen wurde. Die Bezeichnung wurde so beibehalten, wie es in den jeweiligen Berufsgruppen<br />

üblich ist.<br />

Die meisten <strong>der</strong> Befragten verfügen über eine lange Berufserfahrung. So gibt es Pflegende<br />

und Ärzte, die sich noch daran erinnern können, dass die Applikation von PEG-Sonden noch<br />

gar nicht üblich war. Gründe für die aktuelle Problematisierung <strong>einer</strong> PEG seien auf die Zunahme<br />

<strong>der</strong> Hochaltrigkeit inklusive Demenz und auf ein steigendes Bewusstsein für Qualitätssicherung<br />

<strong>zur</strong>ückzuführen (Gudrun Kohlmann 2 - Pflegende). Seien Entscheidungen in<br />

früheren Jahren immer von Ärzten getroffen worden, so würde heute die Einbeziehung des<br />

Patienten-/Bewohnerwillens stärker berücksichtigt und die Entscheidung hinterfragt (Kati<br />

Nimwegen - Pflegende).<br />

Wie werden Entscheidungen getroffen?<br />

Der <strong>Entscheidungs</strong>prozess <strong>zur</strong> <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG dauert nach Schil<strong>der</strong>ungen aus den Interviews<br />

je nach Indikation zwischen einigen Tagen und mehreren Wochen, manchmal auch<br />

Monate.<br />

„Bei dem Herrn J, wo wir drüber gesprochen haben, ging`s innerhalb von zwei Wochen, sehr<br />

schnell finde ich. Dann gibt`s so <strong>Entscheidungs</strong>findungen, die dauern vier-sechs-acht Wochen.<br />

Habe ich auch schon erlebt“ (Jörg Demmler – Pflegen<strong>der</strong>)<br />

Wann und wie eine Entscheidung getroffen wird, hängt stark vom zugrundeliegenden Krankheitsbild<br />

und den beteiligten Akteuren ab. Ein einheitlicher Standard o<strong>der</strong> Richtlinien für Vorgehensweisen,<br />

wie in an<strong>der</strong>en Zusammenhängen, sei in <strong>der</strong> Frage <strong>der</strong> PEG nicht vorhanden.<br />

„Und so was gibt es bei <strong>der</strong> PEG-Sonde nicht, son<strong>der</strong>n es gibt so viele verschiedene Faktoren,<br />

hm... auch die Herangehensweise ist immer an<strong>der</strong>s hm, so dass es immer uneinheitlich ist“ (Jörg<br />

Demmler - Pflegen<strong>der</strong>).<br />

Die Befragten berichten in ihren Schil<strong>der</strong>ungen von verschiedenen Arten eine Entscheidung<br />

zu treffen. Dem Abwägen <strong>der</strong> Vor- und Nachteile und dem klinischen Urteil kommt eine<br />

große Bedeutung zu. Parameter hierzu werden ausführlich in Kapitel <strong>zur</strong> <strong>Entscheidungs</strong>findung<br />

dargestellt.<br />

Berichtet werden aber auch Entscheidungen „aus dem Bauch heraus“ und vom Rückgriff auf<br />

persönliche und berufliche Erfahrungen o<strong>der</strong> das eigene ethische Bewusstsein.<br />

„Also ich tue mich da eigentlich gar nicht schwer mit <strong>der</strong> PEG, ich lasse das einfach so laufen und<br />

frage die Angehörigen und das Personal und entscheide dann wirklich ganz individuell und aus<br />

dem Bauch heraus“ (Rainer Braun - Arzt).<br />

2 Alle Namen <strong>der</strong> Interviewpartner wurden anonymisiert und sind frei erfunden, auf akademische<br />

Titel o<strong>der</strong> detailliertere Berufsbezeichnungen wurde in <strong>der</strong> Darstellung verzichtet, um eine<br />

Wie<strong>der</strong>erkennung beteiligter Personen zu vermeiden.<br />

89


Bei <strong>der</strong> Entscheidung nach persönlicher Wertvorstellung wird auf Hintergründe eigener Erfahrungshorizonte<br />

<strong>zur</strong>ückgegriffen und das eigene ethische Bewusstsein aktiviert. Einige<br />

Befragte nehmen sich selbst, an<strong>der</strong>e eine nahestehende Person, um die Situation für sich<br />

erfahrbar und spürbar werden zulassen. Die Besinnung auf eigene Werte scheint eine Möglichkeit<br />

zu sein, den Schweregrad <strong>der</strong> Entscheidung bewerten und im Sinne <strong>einer</strong> guten,<br />

richtigen und <strong>einer</strong> menschengerechten Entscheidung urteilen zu können.<br />

„Das ist dann einfach die persönliche Sache, würde ich so leben wollen, würde ich das meinen Eltern<br />

wünschen wollen und hm?“ (Sabine Murnau - Ärztin)<br />

„und da habe ich schon viel bei meinen Kollegen so etwas geäußert, wie zum Beispiel, ich würde<br />

für meinen Vater o<strong>der</strong> Mutter auch die letzte Möglichkeit ausschöpfen, die dem Mensch einfach<br />

zusteht. Weil, wie gesagt, entscheidend ist, wie ich lebe, wie meine Eltern gelebt haben und wie<br />

die Gesellschaft überhaupt heut zu Tage lebt“ (Max Toschik - Pflegen<strong>der</strong>).<br />

Entscheidungen auf <strong>der</strong> Grundlage erlernter Verhaltensmaßnahmen o<strong>der</strong> langjähriger persönlicher<br />

und beruflicher Erfahrung können nur mit <strong>der</strong> Zeit und mit viel Übung erworben<br />

werden. Je jünger und unerfahrener, desto eher werden nach Angaben einiger Befragter<br />

PEG-Sonden veranlasst und Hilfen <strong>zur</strong> Entscheidung benötigt (siehe <strong>Entscheidungs</strong>hilfen).<br />

„aber, wenn ich durch eine Ernährungssituation den Patienten doch in s<strong>einer</strong> Lebensqualität nicht<br />

helfe, dass, wie ich es von meinem Lehrherren gelernt habe, (..) eine sinnvolle Lebensverlängerung<br />

also das heißt Leben mit guter Lebensqualität, wenn ich das sagen kann, dann sollte man´s<br />

tun, wenn ich aber da nur Leiden verlänger, und <strong>der</strong> evtl. ne Woche länger lebt, aber da nur hinvegetiert,<br />

dann sollte man´s nicht tun und das ist dann Erfahrung, ne“ (Bernhard Beinbühl - Arzt)<br />

Maßnahmen, wie die PEG können auch Bestandteil eines Behandlungsplans sein, die als<br />

Standard in ein Therapiekonzept eingeflochten sind. Für die PEG kommt dies bei onkologischen<br />

Fragestellungen in Betracht. Dort dient sie <strong>der</strong> Vorbereitung an<strong>der</strong>er Therapien.<br />

“die kriegen einen Stent, die kriegen eine Chemotherapie und die kriegen eine PEG, nicht wahr,<br />

entwe<strong>der</strong> klappt´s o<strong>der</strong> es klappt nicht, also da kann man doch gar nicht solange diskutieren (Ingo<br />

Klare - Arzt).<br />

Auch die Zuhilfenahme von Literatur kann bei <strong>der</strong> <strong>Entscheidungs</strong>findung hilfreich sein.<br />

„Es gab mal vor ein paar Jahren in Dr. med. Mabuse, kennen Sie die Zeitschrift? - so einen Artikel<br />

über Für und Wi<strong>der</strong> PEG. Das fand ich gut. Und die haben dann eben gesagt, eigentlich gibt es<br />

keine Studie, die dann sagt, das ist für o<strong>der</strong> das ist gegen. Eigentlich ist es völlig egal, ob man ne<br />

PEG hat o<strong>der</strong> nicht. Den nehm ich manchmal auch <strong>zur</strong> Hilfe. Ja. Diesen Artikel. (..) Auch für die<br />

Angehörigen“ (Irmgard Buschmühler - Pflegende).<br />

Es ist davon auszugehen, dass getroffene Entscheidungen selten ausschließlich auf <strong>einer</strong><br />

Form basieren. Eher ist eine Mischung unterschiedlicher Zusammensetzung aus allen Anteilen<br />

anzunehmen. Eine These diesbezüglich lautet: Je eindeutiger und offensichtlicher sich<br />

die Parameter darstellen, desto weniger wird auf persönliche o<strong>der</strong> intuitive Elemente <strong>zur</strong>ückgegriffen.<br />

Wo wird die Entscheidung getroffen?<br />

Den Befragten zufolge gibt es drei Orte <strong>der</strong> Entscheidung: die ambulante, häusliche Situation,<br />

die Situation in <strong>der</strong> Altenpflegeeinrichtung o<strong>der</strong> während eines Krankenhausaufenthaltes.<br />

90


Nach Einschätzung <strong>der</strong> befragten Ärzte und Ärztinnen gibt es selten Situationen, in denen<br />

aus <strong>der</strong> häuslichen Situation heraus Entscheidungen für o<strong>der</strong> gegen eine PEG getroffen<br />

werden müssen.<br />

„Nee, also dann, wenn im ambulanten Bereich, dann kommen die Patienten mit <strong>einer</strong> PEG aus<br />

dem Krankenhaus <strong>zur</strong>ück. (...) Dann müssen wir sie halt versorgen o<strong>der</strong>, o<strong>der</strong> betreuen, aber das<br />

wir die Entscheidung treffen ist eigentlich eher nicht <strong>der</strong> Fall“ (Rainer Braun - Arzt).<br />

Indikationen mit positivem Entscheid beziehen sich zumeist auf onkologische Fragestellungen<br />

im Rahmen <strong>einer</strong> OP- o<strong>der</strong> Chemotherapie-Vorbereitung. Ein Arzt berichtet auch von<br />

PEG-Sonden, die ambulant implantiert werden, im Regelfall ist <strong>der</strong> Ort <strong>der</strong> <strong>Anlage</strong> das Krankenhaus.<br />

“(...) Kollegen schicken uns jemand <strong>zur</strong> PEG o<strong>der</strong> wenn die gewechselt werden muss o<strong>der</strong> wir legen<br />

manchmal selber welche im Rahmen von onkologischen Fragestellungen, nech, aber das das<br />

ist nicht (..), das Gro <strong>der</strong> PEGs wird im Krankenhaus gelegt, (...)“ (Ingo Klare - Arzt)<br />

Vermehrt stehen Entscheidungen in Bezug auf eine PEG in den Altenheimen o<strong>der</strong> den Kliniken<br />

an. Letzteres sei <strong>der</strong> weit häufigere Fall (Klaus Krämer - Arzt).<br />

Auch aus <strong>der</strong> Perspektive <strong>der</strong> Pflegenden werden viele Entscheidungen für eine PEG bereits<br />

vor Einzug in die Altenpflegeeinrichtung getroffen. In diesen Fällen werden die Bewohner mit<br />

PEG, meist nach einem Krankenhausaufenthalt mit anschließen<strong>der</strong> Rehabilitationsmaßnahme<br />

in die Einrichtung aufgenommen. In diesen Fällen ist den Befragten so gut wie nichts<br />

über den <strong>Entscheidungs</strong>prozess bekannt. Aber auch während des Heimaufenthaltes kommt<br />

es infolge eines akuten Ereignisses, z. B. aufgrund eines Schlaganfalles o<strong>der</strong> <strong>einer</strong> Verschlechterung<br />

des Gesundheitszustandes zu <strong>einer</strong> Verlagerung <strong>der</strong> <strong>Entscheidungs</strong>situation<br />

in die weiterbehandelnden Kliniken. Auch in diesen Fällen gibt es kaum Anhaltspunkte, nach<br />

welchen Kriterien eine Entscheidung angestoßen und getroffen wurde.<br />

„und dann kam sie ins Krankenhaus, wegen Pneumonie, und sie ist wie<strong>der</strong> gekommen mit PEG“<br />

(Martina Reger - Pflegende)<br />

„dann haben wir es ein- o<strong>der</strong> zwei mal auch so gehabt, dass nach so stationären Aufenthalt jemand<br />

eben mit <strong>der</strong> PEG wie<strong>der</strong> kam, wegen <strong>einer</strong> akuten Verschlechterung o<strong>der</strong> wegen einem<br />

Apoplex“ (Sabine Murnau - Ärztin).<br />

Werden Entscheidungen für o<strong>der</strong> gegen eine Entscheidung in <strong>der</strong> Altenpflegeeinrichtung<br />

getroffen, handelt es sich um Entscheidungen infolge schleichend verlaufen<strong>der</strong> chronischer<br />

Prozesse.<br />

„also, bei uns ist das ja meistens, sage ich mal, diese PEG-<strong>Anlage</strong>n, wenn es von uns aus kommt,<br />

also aus dem Haus her, dass meistens die Leute nicht mehr essen und trinken von sich aus, also<br />

irgendwann nichts mehr zu sich nehmen (Steffen Schmidtmeier - Pflegen<strong>der</strong>).<br />

„Ja, das sind ja meistens Patienten, die tatsächlich im Altenheim Bereich leben, ganz selten mal<br />

jemand <strong>der</strong> zu Hause ist, weil, wenn die Entscheidung zu fällen ist, dann sind die Patienten meistens<br />

schon in so einem Zustand, dass die nicht mehr zu Hause betreut werden und diese Patienten<br />

im Altenheim sind meistens ja demente Patienten, muss man schon sagen, weil sie sehr betagt<br />

sind (...)“ (Sigrid Kreuzer - Ärztin).<br />

Ein Arzt unterscheidet dabei zwei Vorgehensweisen:<br />

„Ich schreibe dann eine Einweisung, PEG-<strong>Anlage</strong> erfor<strong>der</strong>lich und schreibe drunter eine kurze Begründung,<br />

also in fast allen Fällen ist das ja so vorbereitet auch mit Betreuer, <strong>der</strong> dann da hin geht<br />

und unterschreibt, dass die sagen: „ok, alles klar, ist nachvollziehbar“, weil die gedankliche Arbeit<br />

ist ja getan und sollten Fragen da sein, rufen die an. Das ist ganz selten, häufiger ist, das jemand<br />

91


gar nicht wegen PEG im Krankenhaus ist, son<strong>der</strong>n dass <strong>der</strong> einfach da ist und <strong>der</strong> ist „unterernährt“<br />

in Anführungsstrichen und die fragen nach, wie stehen Sie <strong>zur</strong> PEG. Das passiert also doch<br />

schon öfter. Wir kennen den nicht, Sie kennen den, <strong>der</strong> ist aus dem Pflegeheim, wie stehen sie<br />

dazu, das passiert öfter, aber wenn wir mit Betreuer, mit Pflegeteam, mit uns letztlich sagen PEG<br />

ja, ist es eigentlich ein Selbstgänger, wenn diese Vorarbeit geleistet ist und <strong>der</strong> ist dann auch<br />

übernächsten Tag wie<strong>der</strong> da“ (Niklas Seifert - Arzt).<br />

Nicht immer werden jedoch bereits gefasste Entscheidungen durch die weiterbehandelnden<br />

Ärzte beachtet, wie in folgendem Beispiel:<br />

„ja dann haben wir uns halt entschlossen eine PEG zu legen, das hat auch nicht gleich geklappt,<br />

das Krankenhaus hat das erst abgelehnt gehabt, ich weiß gar nicht mehr welcher Grund das war,<br />

ist auch egal. Im zweiten Anlauf haben sie es dann gemacht, (...)“ (Rainer Braun - Arzt)<br />

Akteure im <strong>Entscheidungs</strong>prozess<br />

Zu den zentralen Personen im <strong>Entscheidungs</strong>prozess zählen die Patienten selbst, ihre<br />

Angehörigen mit und ohne Betreuungsvollmacht, Berufsbetreuer, sofern beauftragt, die<br />

behandelnden Ärzte und die Pflegenden (vgl. Abbildung 3).<br />

„dann ist an <strong>der</strong> <strong>Entscheidungs</strong>findung, wenn er kann <strong>der</strong> Patient beteiligt, auch wenn er den<br />

ganzen Umfang nicht erkennen mag, versucht man ihn dran zu beteiligen o<strong>der</strong> im Vorfeld eben.<br />

Beteiligt sind dann eben Angehörige auf jeden Fall, Betreuer, auf jeden Fall, Pflegekräfte, oft auch<br />

im negativen, weil sie nicht damit Umgehen können, dass <strong>der</strong> nun mal abnimmt und wenig trinkt,<br />

dann auch wie<strong>der</strong> Druck. Ja und natürlich <strong>der</strong> Hausarzt, wobei meine Funktion oft darin besteht zu<br />

mo<strong>der</strong>ieren, was die Beteiligten wollen“ (Niklas Seifert - Arzt)<br />

Abbildung 2: Primäre Akteure im <strong>Entscheidungs</strong>prozess<br />

Den beteiligten Akteuren können aus Sicht <strong>der</strong> Befragten je nach Situation und Position unterschiedliche<br />

Rollen zugeordnet werden. Aussagen hierzu werden im Folgenden beschrieben.<br />

92


Die Rolle des Patienten/Bewohners<br />

In Bezug auf die Entscheidung für o<strong>der</strong> gegen eine PEG gelten die Patienten zum einen<br />

durch ihren Gesundheitszustand als „Gegenstand“ o<strong>der</strong> Anlass <strong>der</strong> Entscheidung und zum<br />

an<strong>der</strong>en als die primären <strong>Entscheidungs</strong>träger, was bedeutet, dass <strong>der</strong> Wille o<strong>der</strong> ein Entscheid,<br />

sofern erfahrbar o<strong>der</strong> bekannt, zählt und für die Entscheidung ausschlaggebenden<br />

Charakter besitzt.<br />

„Wenn er sich äußern kann, ist es eine tragende Rolle.“ (Dieter Kronau - Pflegen<strong>der</strong>).<br />

Die <strong>Entscheidungs</strong>fähigkeit ist ein grundlegen<strong>der</strong> Parameter, <strong>der</strong> bestimmt, in welcher Form<br />

Patienten/Bewohner einen Einfluss auf die Entscheidung ausüben können. Die Rolle des<br />

Entschei<strong>der</strong>s wahrnehmen und sich aktiv an Überlegungen im <strong>Entscheidungs</strong>prozess beteiligen,<br />

setzt eine uneingeschränkte <strong>Entscheidungs</strong>fähigkeit voraus. Nach den Erfahrungen<br />

<strong>der</strong> befragten Ärzte und Ärztinnen ist dies für <strong>Entscheidungs</strong>situationen im ambulanten,<br />

häuslichen Bereich eher, bei Menschen im stationären Bereich seltener bis gar nicht <strong>der</strong> Fall.<br />

Zwei <strong>der</strong> Ärztinnen berichten von Menschen mit <strong>einer</strong> Amyotrophen Lateralsklerose (ALS),<br />

die sich aus eigenem Willen für eine PEG entschieden.<br />

„Wir hatten einmal ne ALS-Patientin, (...) die konnte das wirklich bei vollem Bewusstsein selber<br />

entscheiden, aber ist natürlich die Ausnahme. Normal können die Patienten das nicht selber“ (Sabine<br />

Murnau - Ärztin).<br />

Auch die Pflegenden schil<strong>der</strong>n vereinzelt Situationen, in denen jemand die Entscheidung für<br />

eine PEG selbst getroffen hat.<br />

„Ich hatte jetzt wie gesagt, <strong>der</strong> Bewohner hat selber die Entscheidung getroffen. Und hat vor vier<br />

Wochen eine PEG bekommen. Und ich war, als er das gesagt hat, ja ich möchte das, ich war dabei.<br />

Da war ein Betreuer anwesend und am nächsten Tag <strong>der</strong> Arzt, besser gesagt einen Tag davor<br />

war <strong>der</strong> Arzt da und ich finde das in Ordnung, dass <strong>der</strong> Patient das noch selber, Bewohner selber<br />

noch machen kann“ (Max Toschik - Pflegen<strong>der</strong>).<br />

Situationen <strong>einer</strong> aktiven Negativentscheidung wurden von den Ärzten nicht berichtet, wohl<br />

aber Situationen, in denen unklar war, ob eine <strong>Entscheidungs</strong>fähigkeit angenommen werden<br />

konnte. Ein Arzt führt dies auf beginnende dementielle Prozesse, Uneinsichtigkeit o<strong>der</strong> fehlende<br />

Reflektion <strong>der</strong> eigenen Situation seitens <strong>der</strong> Patienten <strong>zur</strong>ück.<br />

„ich esse doch genug, ich weiß nicht, was Sie wollen, Herr Doktor,“ (Bernhard Beinbühl - Arzt)<br />

Eine Pflegende berichtet von <strong>einer</strong> Bewohnerin, die zu Lebzeiten eine Patientenverfügung<br />

sowie eine Vorsorgevollmacht eingerichtet hat, mit dem Wunsch keine PEG zu bekommen.<br />

Nach zwei Jahren des Lebens und Wohnens im Heim entschied sie sich nichts mehr zu essen<br />

und zu trinken:<br />

„Ja, das hat die gesagt, sie hat gesagt, ich möchte jetzt nichts mehr essen, ich möchte jetzt nichts<br />

mehr trinken, das war´s jetzt für mich, ich möchte jetzt sterben, das hat sie jetzt gesagt“ (Verena<br />

Meißner - Pflegende).<br />

In den meisten Fällen, bei denen eine PEG diskutiert wurde, handelte es sich nach Einschätzung<br />

<strong>der</strong> Befragten um Menschen, die aufgrund ihrer Erkrankung o<strong>der</strong> ihres Alters nicht<br />

mehr selbst entscheiden können. Vorliegende Nichteinwilligungsfähigkeit zum Zeitpunkt <strong>der</strong><br />

Entscheidung erschwert den <strong>Entscheidungs</strong>prozess erheblich.<br />

Die werden ja gar nicht mehr gefragt. Lei<strong>der</strong> Gottes sind die alle dann in dem Zustand wo die selber<br />

nicht mehr entscheiden können“ (Irmgard Buschmühler - Pflegende).<br />

93


Dem Patienten/Bewohner stehen hier verschiedene Möglichkeiten <strong>zur</strong> Verfügung weiterhin<br />

die Entscheidung in seinem Sinne zu lenken, indem er zum Zeitpunkt s<strong>einer</strong> noch vorhandenen<br />

<strong>Entscheidungs</strong>fähigkeit vorsorglich mündlich o<strong>der</strong> schriftlich seinen Willen an Angehörige<br />

und Betreuende weitergibt, eine Vorsorgevollmacht einrichtet o<strong>der</strong> eine Patientenverfügung<br />

bzw. ein Patiententestament erstellt (vgl. Patientenverfügung).<br />

„dass die eben mit <strong>der</strong> Situation konfrontiert werden, ( ) sie sind jetzt hier im Pflegeheim, das ist<br />

vielleicht ihr letzter Wohnort, es kann sein, dass es ihnen mal schlechter geht und wir würden<br />

gerne wissen, wie stehen Sie dazu. Das versuchen wir natürlich, wenn wir den rechtzeitig erwischen,<br />

machen wir das aktenkundig und dann gilt das auch (Niklas Seifert- Arzt)<br />

„um solchen fiesen Situationen, sag ich jetzt mal aus dem Weg zu gehen, sollte man sich vielleicht<br />

schon in Zeiten auseinan<strong>der</strong>setzen wo man noch selbst entscheiden kann, weil das ist ja nicht nur<br />

eine Hilfe für die Pflegekräfte o<strong>der</strong> für die Ärzte und Angehörigen, son<strong>der</strong>n man ist ja auch selbst<br />

irgendwie sicherer, wenn man weiß, man wird, es wird das später gemacht was man will (Lisa<br />

Griffler - Pflegende).<br />

Auch eine Notiz in den Akten kann als Hinweis bei <strong>der</strong> Ermittlung des mutmaßlichen Willens<br />

hilfreich sein und den stellvertretend Entscheidenden das Gefühl geben, im Sinne des Bewohners<br />

gehandelt zu haben. Zu <strong>einer</strong> Patientenverfügung seien die meisten auch nicht<br />

mehr bereit (Monika Reichert - Pflegende).<br />

„o<strong>der</strong> auch als bloßer Eintrag in unsere Karteikarten, dass wir mit dem gesprochen haben, dass er<br />

das halt nicht will und für mich ist dann die <strong>Anlage</strong> eine Körperverletzung, weil gegen den Willen<br />

des Patienten, den er erklären konnte, muss ich dann ganz harte Kriterien haben( Niklas Seifert -<br />

Arzt).<br />

Nur wenige machen den Aussagen <strong>der</strong> Befragten zufolge davon Gebrauch. We<strong>der</strong> sprechen<br />

sie mit ihren Angehörigen über ihre Wünsche, noch liegt ein schriftliches Dokument vor, auf<br />

das sich im Falle <strong>einer</strong> Nichteinwilligungsfähigkeit berufen werden kann. Als Grund hierfür<br />

wird die Angst, sich mit dem Sterben auseinan<strong>der</strong>zusetzten genannt o<strong>der</strong> wie eine Ärztin<br />

dies beschreibt.<br />

„Weil die junge Leute, wenn die dann sagen du musst Vater, du bist jetzt so krank, wie stellst dir<br />

jetzt vor, den Tod? Das tut k<strong>einer</strong>. Das ist ja auch bisschen hm....das kann man eben nicht machen.<br />

Das muss schon hmm von den Betroffenen selbst kommen. Sonst hatten wir auch oft das<br />

Gefühl man redet den Tod herbei o<strong>der</strong> das Ende...ist zu schwierig, ist einfach ein Tabuthema“ (Sabine<br />

Murnau - Ärztin)<br />

Eine Pflegende gibt auch zu bedenken, dass es typbedingt Menschen gibt, die eine Verantwortung<br />

auch für das eigene Leben gern abgeben und die Entscheidung an<strong>der</strong>en überlassen<br />

(Gudrun Kohlmann - Pflegende). Hat ein Mensch für den Fall <strong>der</strong> Nichteinwilligungsfähigkeit<br />

nicht vorgesorgt, beginnt die Suche nach dem mutmaßlichen Willen. Die Angehörigen werden<br />

nun zu zentralen Personen im <strong>Entscheidungs</strong>prozess.<br />

In diesem Sinne erscheint das Priorat <strong>der</strong> primären <strong>Entscheidungs</strong>trägerschaft des Betroffenen<br />

in stationären Einrichtungen formal, denn als praktisch erfahrbare Handhabung im <strong>Entscheidungs</strong>prozess<br />

für Situationen in stationären Einrichtungen <strong>der</strong> Altenhilfe und wird annähernd<br />

bedeutungslos.<br />

Die Rolle <strong>der</strong> Angehörigen<br />

Angehörige sind die wichtigsten <strong>Entscheidungs</strong>- und Informationsträger, wenn ein Patient<br />

sich <strong>zur</strong> Frage <strong>der</strong> PEG nicht mehr äußern kann. Sie verfügen über ein langjähriges biografisches<br />

Wissen <strong>zur</strong> Person aus <strong>einer</strong> „erlebten Anamnese“ (Sabine Murnau - Ärztin) und ste-<br />

94


hen, vor allem in häuslichen Pflegearrangements in direktem Kontakt zu den Betroffenen.<br />

Angehörige übernehmen oft eine Vermittler- und Fürsprecherfunktion zwischen Arzt und Betroffenem,<br />

beson<strong>der</strong>s bei Hochaltrigkeit o<strong>der</strong> schwerer Krankheit, in <strong>der</strong> Regel mit, aber auch<br />

ohne gesetzlich geregeltem Betreuungsverhältnis.<br />

„Meistens sind ja unsere Bewohner nicht mehr selbst entscheidungsfähig und haben einen Betreuer<br />

und dann ist <strong>der</strong> Betreuer, sprich Tochter, Sohn o<strong>der</strong> <strong>der</strong> vom Gericht eingesetzt worden ist ,<br />

ein Betreuer da“ (Arina Schnürer - Pflegende)<br />

„und dann ist natürlich auch so die Frage, wie reagieren die Angehörigen. Gibt es, gibt es überhaupt<br />

eine Betreuung, eine offizielle auf die man, nach <strong>der</strong> man sich richten kann, o<strong>der</strong> nicht,<br />

meistens gibt es die natürlich nicht. Dann muss man die erst einrichten und wenn die eingerichtet<br />

ist, dann ist die Frage, ja wie geht man dann vernünftigerweise vor“ (Sören Wißling - Arzt).<br />

„Denn die Entscheidung trifft <strong>der</strong> Betreuer o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Patient o<strong>der</strong> wer halt da ist und es kommt nur<br />

ganz selten vor, dass jetzt praktisch notfallmäßig ohne Betreuer gehandelt werden muss“ (Niklas<br />

Seifert - Arzt).<br />

Die Arbeit mit den Familien gehört aus <strong>der</strong> Perspektive <strong>der</strong> Befragten zum Behandlungso<strong>der</strong><br />

Betreuungsalltag. Daraus erwachsen den Angehörigen Aufgaben <strong>der</strong> Überzeugungsarbeit<br />

und <strong>der</strong> Einflussnahme auf die Entscheidung sowie die Unterstützung hinsichtlich <strong>einer</strong><br />

gesunden und regelmäßigen Nahrungsaufnahme des Patienten/Bewohners im Vorfeld<br />

<strong>einer</strong> Entscheidung. Auch die Versorgung und Integration <strong>einer</strong> PEG in den Alltag nach positivem<br />

Entscheid gehört dazu. Pflegende berichten von engen und häufigen Kontakten zu den<br />

Angehörigen, mit denen sie oft zusammenarbeiten, aber auch von distanzierten Verhältnissen,<br />

wenn Angehörige selten zu Besuch sind.<br />

Die Befragten berichten in diesen Situationen von Angehörigen, die sehr klar wissen, welche<br />

Entscheidung sie treffen wollen. Manche von ihnen seien „mit (Literatur aus) dem Internet<br />

bewaffnet“ (Ingo Klare - Arzt) und for<strong>der</strong>n sehr forsch alles medizinisch Machbare ein. An<strong>der</strong>e,<br />

die sagen:<br />

„man soll die Kirche im Dorf lassen und soll eben das (..) so menschenwürdig wie möglich machen.<br />

Keine Schmerzen, aber eben wenn, wenn sie nicht mehr isst und trinkt, dann ist das halt so, dann<br />

gibt man halt so viel Flüssigkeit wie möglich und nimmt den natürlichen Verlauf in Kauf, was auch<br />

in meinen Augen vernünftig ist.“ (Sören Wißling - Arzt).<br />

Wie<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e sind unsicher, holen sich Rat beim Hausarzt o<strong>der</strong> den Pflegenden, bewegen<br />

die Argumente für und gegen, brauchen viel Zeit für die Entscheidung und bleiben mitunter<br />

unentschlossen.<br />

„das war dann ein schwieriger <strong>Entscheidungs</strong>prozess, weil die, ja auch die Tochter sich immer sich<br />

so richtig, wusste eben auch nicht so richtig, was sie wollte“ (Sigrid Kreuzer - Ärztin).<br />

„und die Angehörigen dann selbst in <strong>der</strong> Situation überfor<strong>der</strong>t sind, und eigentlich den Rat bei uns<br />

suchen, wo eigentlich wir denken, jetzt müsste ich die Angehörigen fragen und hab dann schon<br />

den Wunsch, die wissen, wer die Person ist, was oft nicht <strong>der</strong> Fall ist“ (Meike Saalfeld - Pflegende).<br />

Als Gründe werden außer <strong>der</strong> prekären <strong>Entscheidungs</strong>situation vor allem Angst vor Trennung<br />

und einem Nicht-loslassen-können o<strong>der</strong> <strong>einer</strong> falschen Entscheidung genannt.<br />

Manchmal sind es auch Erfahrungen mit <strong>einer</strong> PEG aus dem direkten Bekanntenkreis, die<br />

eine Entscheidung beeinflussen o<strong>der</strong> Ängste verursachen (Ines Junkers - Pflegende), <strong>einer</strong><br />

Angst, <strong>der</strong> man im Gespräch begegnen müsse (Niklas Seifert - Arzt). Söhne könnten diese<br />

Entscheidung häufig einfacher und weniger emotional beteiligt treffen als Töchter (Steffen<br />

Schmidtmeier - Pflegen<strong>der</strong>).<br />

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Nach Erfahrung <strong>der</strong> Befragten stehen die Angehörigen unter hoher emotionaler Belastung.<br />

Zum einen käme es zu <strong>einer</strong> Rollenvermischung, gleichzeitig Betreuer und Tochter/Sohn<br />

o<strong>der</strong> Ehepartner zu sein. Zum an<strong>der</strong>en bedeute die Entscheidung gegen eine PEG häufig<br />

die Entscheidung „für den Tod“ und ist implizit mit dem Vorwurf des „Verhungern-und-verdursten-lassens“<br />

verbunden. Eine Entscheidung für eine PEG hingegen kann selten ein Versprechen<br />

auf eine tatsächliche Verbesserung <strong>der</strong> Situation einlösen. Diese Verantwortung ist<br />

von den Angehörigen schwer zu (er)tragen. Ambivalenz und Unentschlossenheit sind die<br />

Folge.<br />

„Und die PEG, tja, da kommt dann wie<strong>der</strong> so, ja sollen wir den denn verhungern lassen, den Patienten<br />

o<strong>der</strong> dann kommen oft die Angehörigen, auf <strong>der</strong> einen Seite sagen sie, nee, wir wollen nichts<br />

lebensverlängerndes haben, aber verhungern sollen sie och nicht. Das ist eine ganz schwierige<br />

Kiste“ (Rainer Braun - Arzt).<br />

„Was machen wir mit <strong>der</strong> Mutter. Lassen wir sie jetzt hier sterben o<strong>der</strong> lassen wir sie nicht sterben“<br />

(Rainer Braun - Arzt).<br />

Diese Angehörigen würden sich oft auf die Empfehlungen <strong>der</strong> Pflegenden und Ärzte verlassen.<br />

Gibt es unterschiedliche Auffassungen zum Vorgehen, besitzt <strong>der</strong> Betreuungsbevollmächtigte<br />

die <strong>Entscheidungs</strong>gewalt.<br />

„also das kann man nur in Absprache mit den Angehörigen machen, und dann sagen, dass machen<br />

wir nicht mehr, wenn die das wollen, müssen sie es machen“ (Bernhard Beinbühl – Arzt).<br />

Unterscheiden sich die Auffassungen zum Vorgehen jedoch so gravierend und besteht akuter<br />

Handlungsbedarf aus medizinscher Sicht, kann die Betreuung in Frage gestellt und per<br />

Gerichtsverfahren angezweifelt werden. Ein Arzt berichtet von einem <strong>der</strong>artigen <strong>Entscheidungs</strong>konflikt,<br />

in dem er den Eindruck hatte, <strong>der</strong> bestellte Betreuer, in diesem Fall ein Angehöriger,<br />

hätte die Situation nicht korrekt erfasst. Nachdem sich dies im Gespräch nicht lösen<br />

konnte, stellte <strong>der</strong> Arzt die Betreuung in Frage und erhob Einwand beim Gericht, wobei im<br />

Anschluss ein Berufsbetreuer den Angehörigen in s<strong>einer</strong> Vollmacht ablöste.<br />

Die Rolle <strong>der</strong> Berufsbetreuer<br />

Stehen keine Angehörigen im direkten Umfeld des Patienten <strong>zur</strong> Verfügung, die für eine<br />

Betreuungsvollmacht in Frage kommen, werden Berufsbetreuer mit dieser Rolle beauftragt<br />

und übernehmen die <strong>Entscheidungs</strong>verantwortung. Sie stehen häufig in einem distanzierten,<br />

wenig persönlichem Verhältnis zu den Betroffenen, was <strong>zur</strong> Folge hat, dass sie die Entscheidung<br />

treffen müssen, ohne den Patienten richtig zu kennen. Eine Ärztin antwortet auf<br />

die Frage, wer eine Entscheidung trifft folgen<strong>der</strong>maßen:<br />

„Ja wenn es sie gibt, natürlich Angehöriger, wenn sie denn da sind...O<strong>der</strong> eben Betreuer, wobei die<br />

Berufsbetreuer ja meistens nicht so`ne intensive Beziehung <strong>zur</strong> dem Betroffenen haben. (..) Also<br />

wenn jemand ablehnt, habe ich bis jetzt bei Berufsbetreuer nicht erlebt, son<strong>der</strong>n nur von Angehörigen.<br />

Die sagen wir haben das früher so besprochen, das wird er nicht gewollt, das hat unsere Oma<br />

schon gehabt und mein Mann fand das schon immer so schrecklich o<strong>der</strong> irgendwie so was, das<br />

wissen nur die Angehörigen aus <strong>der</strong> erlebten Anamnese. Ein Berufsbetreuer weiß das ja nicht“<br />

(Sabine Murnau - Ärztin)<br />

Auch Pflegende beschreiben die Rolle <strong>der</strong> Berufsbetreuer als wenig involviert und auf die<br />

formale Beziehung begrenzt. Es gäbe selten mal einen Berufsbetreuer, <strong>der</strong> sich nach seinen<br />

Schutzbefohlenen erkundige, geschweige denn vorbeischaue (Meike Saalfeld - Pflegende).<br />

Das erschwere den Prozess, beson<strong>der</strong>s bei <strong>der</strong> Suche nach dem Willen des Betroffenen<br />

(Steffen Schmidtmeier - Pflegen<strong>der</strong>).<br />

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„man sieht das ja, bei den gesetzlichen Betreuern erlebt man das ja immer wie<strong>der</strong>, die kommen<br />

vielleicht einmal im Jahr, man muss hinter allem möglichen her rennen und die haben ja gar nicht<br />

diese Verbindung, o<strong>der</strong> die Bindung als wenn man jetzt wirklich Angehöriger ist“ (Sandra Kutschke<br />

- Pflegende).<br />

Dabei scheint es so zu sein, dass auch die Berufsbetreuer in ihrer Entscheidung häufig <strong>der</strong><br />

professionellen Empfehlung Folge leisten, was bedeutet, dass <strong>der</strong> Haltung und <strong>der</strong> Begründung<br />

ärztlicher <strong>Entscheidungs</strong>findung in diesen Konstellationen ein starker und wegweisen<strong>der</strong><br />

Einfluss zukommt.<br />

„<strong>der</strong> Gedanke wird dann schon so vermittelt, dass es eigentlich wenig <strong>Entscheidungs</strong>möglichkeiten<br />

noch gibt, ehrlich gesagt, also die haben ja auch oft dieses medizinische Bild gar nicht und oft, die<br />

sind ja selten vor Ort“ (Meike Saalfeld - Pflegende)<br />

„Der Kontakt mit den Betreuern ist ausschließlich telefonisch. Also meine Erfahrung ist, die Betreuer,<br />

das sind ja in <strong>der</strong> Regel Profis, also ich spreche jetzt Betreuer, Rechtsanwälte, Berufsbetreuer,<br />

die wissen um die Problematik. (...) Die wissen für sich selber auch welche Kriterien da eine<br />

Rolle spielen, die kennt man per Telefon mittlerweile und man kann sich da austauschen, dass<br />

man sagt, die fragen auch wie ist denn ihre Meinung und dann sage ich meine Meinung ganz klar,<br />

ja o<strong>der</strong> nein begründe die auch und versuche denen Argumentationen zu liefern, das ist ein Telefongespräch<br />

von sieben Minuten und dann sage ich, wenn Fragen sind o<strong>der</strong> so, rufen sie doch<br />

bitte noch mal durch o<strong>der</strong> wie auch immer. Das geht ganz unkompliziert“ (Niklas Seifert - Arzt).<br />

Die Rolle beruflich Pflegen<strong>der</strong><br />

Pflegende üben während des <strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong>s mehrere Rollen aus. Sie fungieren<br />

als direkte Kontaktpersonen zum Patienten bis hin zum „Familienersatz“, wenn keine Angehörigen<br />

mehr da sind o<strong>der</strong> selten zu Besuch kommen. Desweiteren übernehmen sie die<br />

Rolle <strong>der</strong> Informationsträger aus <strong>der</strong> Patientenbeobachtung, agieren als Initiatoren und Koordinatoren<br />

im Kontakt zu Ärzten und Angehörigen und können in Situationen unklarer Indikationsstellung<br />

durch ihre Initiative eine PEG hinauszögern o<strong>der</strong> beschleunigen. Das gilt<br />

sowohl für ambulante Situationen häuslicher Pflege als auch für den Bereich stationärer Altenpflege.<br />

„Pflegekräfte sind ja an <strong>der</strong> Entscheidung, eh in <strong>der</strong> Entscheidung relativ wichtig (...) wie oft sehe<br />

ich denn den Angehörigen, selten und dann ist es eine äußere Situation, das ist ja eine an<strong>der</strong>e Situation<br />

als die Alltagssituation, die <strong>der</strong> Pflegekraft begegnet, (...) und die muss ich fragen, wie<br />

geht´s, was war, was ist das, wer macht da was“ (Ingo Klare - Arzt).<br />

Der direkte und regelmäßige Kontakt, „tags und nachts“ zu den Betroffenen, vor allem in den<br />

Pflegeheimen, mache die Pflegenden zu den „wichtigsten Bezugspersonen“ <strong>der</strong> Patienten<br />

(Sabine Murnau - Ärztin). So scheint es, dass den Pflegenden eine Schlüsselstellung innerhalb<br />

<strong>der</strong> Akteure zugeordnet wird. Neben den Angehörigen sind die Pflegenden in <strong>der</strong> Regel<br />

diejenigen, die eine Entscheidung hauptsächlich initiieren.<br />

„ja, über uns praktisch, wir sind ja diejenigen, die vor Ort sind, wir sind ja mit dem Bewohner den<br />

ganzen Tag zusammen, führen die ganzen Protokolle, haben die Beobachtung, wir reagieren dann<br />

da drauf, setzen uns dann mit allen Richtungen in Verbindung“ (Heidrun Stocke - Pflegende)<br />

„diejenigen, die in <strong>der</strong> stationieren Altenpflege den Anstoß geben, sind in aller Regel das Pflegepersonal,<br />

natürlich weil die ja beim Essen dabei sind“ (Sabine Murnau - Ärztin).<br />

An dieser Stelle besitzen sie eine gewisse Steuerfunktion.<br />

„<strong>der</strong> Arzt muss sich doch darauf verlassen, was wir über diesen Patienten wissen, und wir verbringen<br />

soundso viele Stunden mit dem Patienten, <strong>der</strong> Arzt sieht ihn einmal die Woche für zehn Minuten,<br />

und deswegen kann man die son bisschen leiten“ (Monika Reichert - Pflegende)<br />

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Pflegenden werden weitere Möglichkeiten zugeordnet sich im <strong>Entscheidungs</strong>prozess zu<br />

positionieren und Einfluss auf die Entscheidung auszuüben. Die Pflegenden selbst sehen<br />

ihre Aufgabe „als Begleitung, als Betreuung und als Wegbegleiter <strong>der</strong> alten Menschen, auf<br />

dem letzten Stück des Weges“ (Karin Kridow - Pflegende). Das Nahrungsanreichen gehört<br />

zu den zentralen pflegerischen Aufgaben. Nach Ansicht <strong>der</strong> Befragten hat die Art, das Engagement<br />

und die Kompetenz <strong>der</strong> Pflegenden entscheidend Einfluss, wie lange eine PEG<br />

hinausgezögert werden kann. Nach Ansicht einiger Ärzte sind die Pflegekräfte um den<br />

Patienten sehr bemüht, wiegen, überlegen, welche Maßnahmen <strong>zur</strong> Vermeidung <strong>einer</strong><br />

Sondenkost hilfreich sein könnte, bieten Nahrung und Flüssigkeiten in diversen<br />

Konsistenzen an o<strong>der</strong> versuchen ein Flüssigkeitsdefizit auszugleichen, stoßen dabei jedoch<br />

an strukturelle Grenzen (vgl. Versorgungsstrukturen).<br />

„Nur, ne es muss halt auch so ein Bewusstsein da sein. Man kann sich das ja wirklich total einfach<br />

machen. Den Pflegekräften sagen okay, wir übersehen das. Wir stellen <strong>der</strong> mal einen Pudding hin,<br />

damit sie noch was isst, aber dass sie vielleicht auch gerne ein Brot kauen würde, ne (..) das liegt<br />

auch viel eben an <strong>der</strong> Kompetenz vor Ort (..). (2 )Und am Mut (!). Man muss das ja auch riskieren.<br />

Man kann ja auch sagen, okay, aber <strong>der</strong> hat die doch. Und die Kompetenz vor Ort, die muss das<br />

entscheiden können“ (Irmgard Buschmühler - Pflegende).<br />

Hinsichtlich des <strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong>s beschreibt eine Pflegekraft ihre Rolle als „meinungsbildend“,<br />

indem sie Empfehlungen ausspreche, man könne den Angehörigen die Entscheidung<br />

nicht abnehmen. (Gudrun Kohlmann - Pflegende).<br />

„wir können nur beraten und empfehlen und wenn wir, wir sind ja auch in dem Moment auch keine<br />

Fachkräfte, wir können dann praktisch nur an den behandelnden Hausarzt noch weitervermitteln<br />

und sagen so, sprechen sie mit ihrem Arzt, <strong>der</strong> dann die genaueren Informationen geben kann. Wir<br />

können ja praktisch nur hinweisen und den Weg praktisch ebnen o<strong>der</strong> ihnen sagen, diese Möglichkeit<br />

besteht, aber alles an<strong>der</strong>e muss dann auch mit dem Arzt besprochen werden (Arina Schnürer -<br />

Pflegende),<br />

Ein Arzt schil<strong>der</strong>t auf die Frage <strong>der</strong> Rollenzuordnung den Einfluss von Persönlichkeit und <strong>der</strong><br />

Berufserfahrung auf die Art, wie Pflegende im Prozess agieren.<br />

„Bei den Pflegepersonen ist es natürlich individuell sehr verschieden, da würde ich sagen einmal<br />

die Rolle <strong>der</strong> juristischen Unangreifbarkeit und wenn sie etwas professioneller, länger im Geschäft<br />

und mutiger sind auch eher diese menschliche Rolle des Abwägens“. (Niklas Seifert - Arzt)<br />

Die juristische Unangreifbarkeit bezieht sich auf die Zurückhaltung <strong>der</strong> Pflegenden eine Position<br />

im <strong>Entscheidungs</strong>prozess einzunehmen, sich in die Entscheidung aktiv einzumischen<br />

und Verantwortung zu übernehmen, was sich nach Ansicht des Arztes auf den Prozess för<strong>der</strong>lich<br />

auswirken würde. Ein an<strong>der</strong>er Arzt würde sich mehr Begegnung auf Augenhöhe und<br />

Mut <strong>zur</strong> Auseinan<strong>der</strong>setzung seitens <strong>der</strong> Pflegenden im Sinne eines Dialoges o<strong>der</strong> ggf. auch<br />

eines Streitgespräches wünschen, was eng mit Verantwortungsübernahme verknüpft ist.<br />

Wissen Sie, was mich ärgert mit den Pflegekräften ist oft, die erzählen zuhause den Patienten im<br />

häuslichen Bereich abenteuerliche Dinge, mich hat noch nie <strong>einer</strong> angerufen und hat mir das gesagt,<br />

und wenn sie (die Patienten) mir das erzählen, ich sag oft, sagen sie doch mal Schwester<br />

Heidi, sie soll mich anrufen, dann hat se wenigstens einen Gegner, nicht wahr, und dann soll sie<br />

mir das mal erklären, wissen Sie, da wird eine Konkurrenzsituation aufgebaut, die in k<strong>einer</strong> Weise<br />

dienlich ist, für alle Situationen“ (Ingo Klare - Arzt).<br />

Die Pflegenden selbst bestätigen diese Haltung, indem sie es an<strong>der</strong>en überlassen, eine<br />

Richtung vorzugeben. Eine Pflegende sagt: „die Entscheidung letztendlich treffen für uns<br />

an<strong>der</strong>e“ (Gudrun Kohlmann - Pflegende) Eine an<strong>der</strong>e betont: „wenn es nach mir ginge, wä-<br />

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en es mehr Bewohner mit <strong>einer</strong> PEG-<strong>Anlage</strong>, aber ich entscheide nicht“ (Ines Junkers -<br />

Pflegende). Wie<strong>der</strong> eine an<strong>der</strong>e Pflegende sagt:<br />

„weil ich als Pflegekraft werde nicht zu raten und nicht abraten zu <strong>einer</strong> PEG. Das ist nicht meine<br />

Aufgabe, das ist die Aufgabe des Arzt, des Arztes. (..) ja dann kommt natürlich immer die Frage, ja,<br />

Jutta, was meinen Sie denn und da muss ich natürlich immer so bisschen ausweichen, weil ich<br />

möchte nicht ja o<strong>der</strong> nein sagen, das ist nicht meine Aufgabe“ (Jutta Vorsig - Pflegende)“<br />

Auch ein Pflegen<strong>der</strong> in leiten<strong>der</strong> Position sagt über seine eigene Berufsgruppe:<br />

„Aber ich denke viele Pflegekräfte können vor allem diese emotionelle ethische Verantwortung<br />

auch vielleicht nicht unbedingt mit tragen. Die haben es nicht gelernt. Ne, und das was dort entschieden<br />

wird, wird an sich immer auf <strong>der</strong> mittleren o<strong>der</strong> höheren Leitungsebenen mitentscheiden.<br />

Das heißt ist immer Wohnbereichsleitung, Pflegedienstleitung, Heimleitung“ (Jörg Demmler - Pflegen<strong>der</strong>).<br />

Eine Pflegekraft schil<strong>der</strong>t, dass es Situationen gibt, in denen sich Pflegende <strong>der</strong> Verantwortung<br />

nicht entziehen können.<br />

„wenn dann noch nicht einmal ein Angehöriger da ist, dann bist du seine Familie, du bist dann<br />

<strong>der</strong>jenige <strong>der</strong> für ihn, für ihn Entscheidungen trifft teilweise und mit ihm lebt.“ (Lisa Griffler - Pflegende)<br />

Weiter scheinen sich die Persönlichkeit und die fachliche Ausrichtung auf die Entscheidung<br />

indirekt auszuwirken. Pflegende mit <strong>einer</strong> Altenpflegeausbildung bezeichnen sich als stärker<br />

alltagsbezogen und sozialpflegerisch orientiert. Eine PEG erscheint vor diesem Hintergrund<br />

„künstlich“. Diese Pflegenden stehen <strong>einer</strong> PEG zögerlich gegenüber. Pflegende mit einem<br />

Krankenpflegehintergrund scheinen stärker medizinisch ausgerichtet zu sein und haben weniger<br />

Berührungsängste, was sich auch anhand <strong>der</strong> Aussagen in den Interviews bestätigen<br />

lässt.<br />

„PEG gehört noch nicht zum normalen Alltag, PEG ist immer noch sowas Befremdliches und dann<br />

muss man gucken ja wo ist die Pflegekraft groß geworden. ja?(...) Das heißt, wir aus <strong>der</strong> Krankenpflege<br />

sehen so mehr aus <strong>der</strong> medizinischen Sicht, die Leute aus <strong>der</strong> Altenpflege haben einen<br />

ganz an<strong>der</strong>en Ansatz“(Jörg Demmler - Pflegen<strong>der</strong>).<br />

Nach Ansicht <strong>einer</strong> Pflegenden hänge ihr Einfluss auf die Entscheidung von <strong>der</strong> Kooperationsbereitschaft<br />

des betreuenden Arztes ab, diese sei je nach Persönlichkeit sehr verschieden<br />

(Ines Junkers - Pflegende). Die meisten Pflegenden fühlten sich genügend beteiligt und<br />

respektiert. Auf die Frage nach mehr Einbezug in den <strong>Entscheidungs</strong>prozess, antworten einige<br />

Pflegenden, dass sie ihre Position durchaus akzeptabel finden und sich auch keine<br />

Verän<strong>der</strong>ung wünschen. Eine stärkere Verantwortungsübernahme lehnen die meisten <strong>der</strong><br />

befragten Pflegenden sogar ab. Pflegende hätten keine <strong>Entscheidungs</strong>gewalt, das sei von<br />

Gesetzgeber so vorgesehen, und es sei gut, dass es Regelungen dieser Art gäbe (Ines<br />

Junkers - Pflegende).<br />

„Ich denke wir sind jetzt recht, sehr beteiligt, also die Beteiligung ist, ist wenn ich vergleiche jetzt<br />

vor fünf, sechs o<strong>der</strong> zehn Jahren, dann ist heute die Beteiligung <strong>der</strong> Pflegekräfte/ Fachkräfte ist<br />

sehr, sehr groß. Also da, da läuft wenig ohne, ohne Fachkräfte bei <strong>der</strong> Entscheidung“ (Max Toschik<br />

- Pflegen<strong>der</strong>).<br />

Die Rolle nie<strong>der</strong>gelassener Ärzte<br />

Die befragten Ärzte und Ärztinnen beschreiben ganz unterschiedliche Aufgaben und Rollenverteilungen<br />

für sich selbst. Ein Arzt beschreibt die Rolle des Arztes, im Gegensatz zu Angehörigen<br />

und Pflegenden, als distanziert. Ein Aspekt, <strong>der</strong> es einfacher mache eine Entschei-<br />

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dung zu treffen (Rainer Braun - Arzt). Ein an<strong>der</strong>er versteht sich primär als „Verwalter eines<br />

Krankheits- und Lebenslaufes“ (Ingo klare), was bedeutet, dass Entscheidungen im Kontext<br />

<strong>einer</strong> langjährigen ärztlichen Begleitung und im Kontakt mit <strong>der</strong> betroffenen Person und s<strong>einer</strong><br />

Familie o<strong>der</strong> den Pflegepersonen stattfinden. Daraus erwachsen wichtige Funktionen,<br />

wie die des Vermittlers und Beraters.<br />

„ja, ich meine Verantwortlichkeit, also ich habe im Rahmen m<strong>einer</strong> ärztlichen Verantwortlichkeit bin<br />

ich dafür da den Patienten zu beraten“ (Ingo Klare - Arzt)<br />

Dies beinhaltet die Aufklärung in medizinischen Fragen, z. B. über technische Details in <strong>der</strong><br />

Vorgehensweise <strong>der</strong> PEG-<strong>Anlage</strong> sowie das Aufzeigen <strong>einer</strong> Perspektive und das Abwägen<br />

<strong>der</strong> Vor- und Nachteile <strong>einer</strong> PEG in <strong>der</strong> spezifischen Situation, in <strong>der</strong> sich die Familien befinden.<br />

Je nach Situation finde die Kontaktaufnahme auf Initiative <strong>der</strong> Angehörigen, manchmal<br />

auf Anraten durch eine Pflegeperson o<strong>der</strong> umgekehrt durch den Arzt statt. Je nach Bedürfnis<br />

seien auch längere o<strong>der</strong> mehrfache Gespräche erfor<strong>der</strong>lich, um den (mutmaßlichen)<br />

Willen des Betroffenen zu ergründen o<strong>der</strong> die Angehörigen bei <strong>der</strong> Entscheidung zu unterstützen,<br />

wenn eine Nichteinwilligungsfähigkeit <strong>der</strong> erkrankten Person vorliegt.<br />

Sind die Angehörigen entschieden und for<strong>der</strong>n ein Vorgehen für o<strong>der</strong> gegen eine PEG ein,<br />

empfinden sich die Ärzte eher in <strong>einer</strong> formalen Rolle verantwortlich für die Prozedur in Form<br />

des „Einweisers“ o<strong>der</strong> desjenigen, <strong>der</strong> dazu die Unterschrift gibt.<br />

„Bitte schön. Also ich bin da nur <strong>der</strong>jenige, <strong>der</strong> die Unterschrift über einen Einweisungsschein gibt“<br />

(Rainer Braun - Arzt)<br />

Sind die Angehörigen unentschieden o<strong>der</strong> möchten die Verantwortung nicht tragen, übernehmen<br />

die Ärzte auch die Funktion eines indirekten <strong>Entscheidungs</strong>trägers. Zum einen sei<br />

es eine zentrale Aufgabe, den Angehörigen die Angst zu nehmen eine falsche Entscheidung<br />

zu treffen (Klaus Krämer - Arzt). Zum an<strong>der</strong>en kann argumentativ auf die Entscheidung Einfluss<br />

genommen werden. Letztendlich jedoch seien es die Angehörigen, die die Entscheidung<br />

zu treffen hätten.<br />

„<strong>der</strong> Gedanke geht mir natürlich auch immer, darf ich darüber überhaupt entscheiden. Deswegen<br />

tue ich mich da eigentlich nicht so sehr schwer, da sage ich, lass die Angehörigen das entscheiden.<br />

Und ich gebe meinen Willi drunter, ich diskutier mit den Angehörigen das für und wi<strong>der</strong> betone<br />

natürlich beson<strong>der</strong>s das wie<strong>der</strong>, aber wenn die darauf bestehen, bitte schön, habe ich keine Probleme<br />

mit“ (Rainer Braun - Arzt).<br />

Sind Angehörige sehr unsicher o<strong>der</strong> nicht mehr vorhanden, rücken die behandelnden Ärzte<br />

im Kreis <strong>der</strong> Professionellen, z. B. den Berufsbetreuern o<strong>der</strong> den Pflegenden an eine zentrale<br />

Position im <strong>Entscheidungs</strong>prozess und werden zu <strong>Entscheidungs</strong>trägern mit direkter<br />

Auswirkung auf das Geschehen. Einige sehen sich als „<strong>der</strong>jenige, <strong>der</strong> die Entscheidung fällt“<br />

(Sören Wißling - Arzt).<br />

„wenn da jetzt von den Kin<strong>der</strong>n jetzt nichts kommt, o<strong>der</strong> vom nächsten Angehörigen o<strong>der</strong> er hat<br />

überhaupt keine, ja dann liegt es an uns o<strong>der</strong> am Arzt, zu entscheiden, und oftmals ist es dann <strong>der</strong><br />

traurige Weg ins Krankenhaus, weil wir mit unserem Latein am Ende sind“ (Monika Reichert - Pflegende).<br />

An<strong>der</strong>e betonen stärker die vermittelnde und mo<strong>der</strong>ierende Funktion zwischen den beteiligten<br />

Personen:<br />

100<br />

„Das man selber mal wirklich entscheidet, selten. Also ich verstehe mich mehr also Mo<strong>der</strong>ator des<br />

<strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong>s und die Entscheidung das sage ich auch, muss <strong>der</strong> Betreuer treffen, aber<br />

ich sage ihm auch ganz klar, damit sie für sich diese Entscheidung auch nachvollziehbar treffen<br />

können, können sie auch schriftlich haben meine Meinung dazu, <strong>Entscheidungs</strong>findung gar kein


Problem, aber ich kann es im Endeffekt ja nicht gegen den Betreuer entscheiden, <strong>der</strong> entscheidet<br />

das, letztlich (Niklas Seifert - Arzt).<br />

Ein Arzt schil<strong>der</strong>t auch die Zwickmühle, in <strong>der</strong> sich Ärzte im Geflecht <strong>der</strong> Beteiligten befinden<br />

können und beschreibt die Verantwortung als belastende Situation:<br />

„das ist eigentlich im Prinzip so,(...) man steht () zwischen diesen Interessen manchmal (..) Angehörige,<br />

die sagen, ich möchte gar nicht und <strong>der</strong> Druck von, von außen, du musst aber, wenn du es<br />

nicht tust bist du ein schlechter Arzt und du lässt die Leute verkommen. Und letztendlich, die ganze<br />

Verantwortung wird immer auf den Arzt abgeschoben, <strong>der</strong> muss dann entscheiden, was passiert<br />

und <strong>der</strong> muss auch dafür gerade stehen, muss unterschreiben und so. Das ist, das ist manchmal,<br />

ist das schon, nimmt schon bizarre Züge an das Ganze aber wir haben ja breite Schultern“ (Sören<br />

Wißling - Arzt).<br />

Eine Pflegende beschreibt, dass sich die Rolle des Arztes im Laufe <strong>der</strong> Zeit auch gewandelt<br />

habe, <strong>der</strong> Einbezug <strong>der</strong> Patienten /Bewohner, <strong>der</strong> Angehörigen o<strong>der</strong> auch <strong>der</strong> Meinung <strong>der</strong><br />

Pflegenden wäre erst ein neues Phänomen, dass in den letzten Jahren zugenommen hätte.<br />

Früher hätten die Ärzte mehr entschieden (Kati Nimwegen - Pflegende). An<strong>der</strong>e Pflegende<br />

heben auch hervor, dass es von <strong>der</strong> Persönlichkeit, <strong>der</strong> Haltung und dem Rückgrat des<br />

betreuenden Arztes abhänge, ob eine PEG forciert würde o<strong>der</strong> ob man eine vernünftige<br />

Sterbephase einleiten könne (Steffen Schmidtmeier - Pflegen<strong>der</strong>).<br />

„Die Rolle des Arztes, es gibt verschiedene Ärzte, einige sagen, wenn ich den anrufen würde, pass<br />

mal auf die Frau Z. kann seit paar Tagen nicht mehr essen, nicht mehr schlucken, trinken. Was<br />

mache ich jetzt? Ja dann sagt er mir, zu mir, ja dann müssen wir über eine PEG-<strong>Anlage</strong> nachdenken.<br />

So und am nächste Tag wahrscheinlich ruft er selber die Betreuerin und die, den Betreuer an<br />

und bespricht das und dann wird die PEG-<strong>Anlage</strong> gelegt. Also es gibt Ärzte die an<strong>der</strong>s denken,<br />

also unterschiedlich denken, woran das liegt, weiß ich nicht“ (Max Toschik - Pflegen<strong>der</strong>).<br />

„wir haben Glück, wir haben wirklich einen Arzt, <strong>der</strong> ein totales Rückgrat hat, <strong>der</strong> also mit den Angehörigen<br />

Tacheles redet, <strong>der</strong> spricht mit denen und fragt dann auch, hätte ihre Mutter das gewollt,<br />

(..)“ (Monika Reichert - Pflegende)<br />

Die Rolle externer Personen im <strong>Entscheidungs</strong>prozess<br />

Als externe Personen werden Diätassistentinnen, Ernährungsberaterinnen und an<strong>der</strong>e Therapeuten<br />

genannt, die im <strong>Entscheidungs</strong>prozess mitwirken. Logopäden und Seelsorgern<br />

konnte für den Bereich <strong>der</strong> Altenheimversorgung nur eine geringe Bedeutung zugeordnet<br />

werden.<br />

„Ja so von den Externen, Logopädin (3) hatten wir schon mal gehabt. Ernährungsberatung von den<br />

( ) sogar hatten wir vor Ort. jemanden gehabt vor drei Jahren. Vor drei Jahren glaube ich war das.<br />

Ja sonst fällt mir nichts an<strong>der</strong>es ein“.<br />

„Ich denk so wenn man die letzte, sich die letzte Lebensphase dann anguckt, dann ist schon gut,<br />

dass sie hier vor Ort sind, wenn sich <strong>der</strong> Bewohner das gewünscht hat o<strong>der</strong> in den letzten Stunden.<br />

Aber wenn wir jetzt über die Entscheidungen für eine PEG sprechen und was davor alles entscheidend<br />

ist, dann hat ( ) nichts zu tun.“ (Max Toschik – Pflegen<strong>der</strong>)<br />

Auch gab es nur in einem Fall den Einbezug eines richterlichen Beschlusses und keine Erfahrungen<br />

mit Ethikkommissionen im <strong>Entscheidungs</strong>prozess.<br />

ErnährungsberaterInnen scheinen im Vorfeld <strong>einer</strong> Entscheidung hilfreich bei <strong>der</strong> Wahl von<br />

Trinknahrung und an<strong>der</strong>en Produkten zu sein, wenn es darum geht die Nahrung zu ergänzen<br />

und eine PEG zu verhin<strong>der</strong>n. Weiterhin wird ein Einfluss auf therapeutische Entscheidungen<br />

<strong>zur</strong> Zusammensetzung <strong>der</strong> Sondenkost nach <strong>Anlage</strong> <strong>der</strong> PEG beschrieben. Kompetenz<br />

101


kommt ihnen bei <strong>der</strong> Errechnung eines notwenigen Energiebedarfs sowie <strong>der</strong> Beratung anfallen<strong>der</strong><br />

Kosten zu. Ihre Rolle im <strong>Entscheidungs</strong>prozess für o<strong>der</strong> gegen eine PEG scheint<br />

gering, ihre Absicht zuweilen auch „dubios“ (Bernhard Beinbühl - Arzt). So wird ihnen von<br />

einigen Ärzten und Pflegenden vorrangig ein Verkaufsinteresse unterstellt, anstatt sich für<br />

das Wohl des Patienten zu bemühen, vor allem wenn im Auftrag <strong>einer</strong> Firma <strong>der</strong> Sondenkostherstellung<br />

o<strong>der</strong> für ein Sanitätshaus gearbeitet wird.<br />

Ethikkommissionen werden nach Aussagen <strong>der</strong> Interviewteilnehmer selten eingesetzt und<br />

sollten auch dem Extremfall o<strong>der</strong> in Son<strong>der</strong>situationen vorbehalten sein, denn je mehr Personen<br />

sich theoretisch damit beschäftigten, desto unübersichtlicher würde die Situation (Sabine<br />

Murnau - Ärztin). Besser sei ein Gespräch mit den beteiligten Personen auf direkter<br />

"kl<strong>einer</strong>“ Ebene, bei dem alle Beteiligten miteinbezogen seien (Klaus Krämer - Arzt). Theoretische<br />

Expertise sei zudem wenig hilfreich, denn Experten seien diejenigen, die den Betroffenen<br />

am besten kennen (Sabine Murnau - Ärztin).<br />

Zusammenarbeit <strong>der</strong> Akteure<br />

Die häufigste Form <strong>der</strong> Kontaktaufnahme zwischen den Akteuren sind Gespräche. In <strong>der</strong><br />

Regel handelt es sich um Einzelgespräche <strong>der</strong> jeweiligen Personen untereinan<strong>der</strong>. Es werden<br />

Gespräche jeweils zwischen Patient, Angehörigen, Pflegekraft und Arzt beschrieben<br />

sowie <strong>der</strong> Pflegenden und Ärzte untereinan<strong>der</strong> o<strong>der</strong> gelegentlich auch mit externen Personen.<br />

Nach Ansicht eines Arztes ist „das direkte Gespräch (..) immer noch die Wahl Nummer<br />

eins“ (Rainer Braun - Arzt).<br />

Gespräche<br />

Über Gespräche zwischen Patient/Bewohner und Angehörigen wird meist im Zusammenhang<br />

mit dem mutmaßlichen Willen o<strong>der</strong> <strong>einer</strong> Verfügung des Patienten berichtet. Sie werden<br />

im Vorfeld <strong>der</strong> Entscheidung, manchmal auch Jahre vorher, geführt und haben eher<br />

grundsätzlichen Charakter. Die PEG spielt zu diesem Zeitpunkt selten eine akute Rolle und<br />

ist fiktiv in eine unbestimmte Zukunftsperspektive eingebunden.<br />

Gespräche zwischen Arzt und Patient und/o<strong>der</strong> Angehörigen werden geführt, um herauszufinden,<br />

was <strong>der</strong> Patient und/o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Angehörige/die Familie an Wünschen und Einstellungen<br />

hat und welche Form <strong>der</strong> Aufklärung und Information benötigt wird, um eine Entscheidung<br />

treffen zu können.<br />

„dann versuch ich, ich eigentlich schon so im Vorfeld einmal mit dem Betreuer o<strong>der</strong> mit dem Angehörigen<br />

Kontakt aufzunehmen, das und das Problem kommt demnächst auf uns zu, wie denken sie<br />

da drüber, haben sie das mit ihrem Vater, Mann irgendwie besprochen, möchte, <strong>der</strong> das, möchte<br />

<strong>der</strong> das auf keinen Fall. Manchmal findet man dann da schon hm zu <strong>einer</strong> definierten Einstellung“<br />

(Sabine Murnau - Ärztin)<br />

„und dann will ich von den Angehörigen, ich will <strong>der</strong>en Einstellung kennen lernen, ich will wissen,<br />

wie denken die darüber, wie sind die gestrickt.“ (Sören Wißling - Arzt)<br />

Manchmal sind mehrere o<strong>der</strong> längere Gespräche nötig, um Ängste abzubauen und Unsicherheiten<br />

zu klären.<br />

„Sehr positiv, weil die stehen ja auch unter hoher emotionaler Belastung, sehen im Prinzip ja auch<br />

keinen Ausweg und haben aber dann am Ende eines solchen Gesprächs irgendwie das Gefühl,<br />

gut dass wir das jetzt mal <strong>zur</strong> Sprache gebracht haben und das, das geht“ (Niklas Seifert - Arzt).<br />

Gespräche dieser Art werden von beiden Professionen geführt und haben aufklärenden und<br />

beratenden Charakter. Dazu werden Termine in <strong>der</strong> Pflegeeinrichtung o<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Praxis<br />

102


vereinbart. Pflegende berichten auch von Begegnungen mit den Angehörigen, die spontan<br />

und zwischendurch stattfinden, weil sie als Ansprechpersonen immer präsent sind.<br />

„Wir rufen die an und sagen, die Situation ist die, <strong>der</strong> braucht das, kommen se längs, em weil,<br />

wenn <strong>der</strong> Patient schon nicht will, und wir wollen, dann muss jemand von Außen noch kommen<br />

und sagen: "Vatter, Du musst jetzt",(Bernhard Beinbühl – Arzt)<br />

„wo dann häufig wir uns dann einigen, dass er (<strong>der</strong> Arzt) aber doch erst mal mit dem Angehörigen<br />

vorab einfach das Medizinische erklärt, was hier stattfindet, ne und mit den pflegerischen Fragen,<br />

die dann immer von den Angehörigen kommen, das übernehmen dann wir, kann sie dann noch<br />

mobilisiert werden, das sind dann so die Hauptfragen, ne, bekommt sie jetzt überhaupt noch was<br />

zu essen“ (Meike Saalfeld - Pflegende)<br />

„Angehörigen, die häufig kommen, die man auch gut kennt, ist das eigentlich ein entspannteres<br />

Gespräch, das findet schon in Ruhe statt, und schon mit <strong>der</strong> Erklärung und wo die Befürchtungen<br />

liegen und die Gründe für die PEG erläutert werden, es gibt dann auch Angehörige, die muss<br />

man per Telefon erst zum Gespräch bitten muss, wo man dann erst mal wartet und die auch viel<br />

Zeit benötigen“ (Meike Saalfeld - Pflegende)<br />

Der Austausch mit Berufsbetreuern hingegen findet eher kurz, zielorientiert und „ausschließlich<br />

telefonisch“ (Niklas Seifert - Arzt) statt.<br />

Pflegende und Ärzte tauschen sich <strong>zur</strong> Informationsweitergabe in Bezug auf ein medizinisch<br />

therapeutisches Vorgehen aus. Zur gängigen Praxis gehören Kontakte zu strukturierten Zeiten,<br />

wie „immer mittwochs <strong>zur</strong> Visite“, ein Austausch über Informationen in den Akten sowie<br />

spontane telefonische Kontakte aus akuten Anlässen, seltener auch in Form von einberufenden<br />

Besprechungen.<br />

„also wir haben eigentlich hier eh viele Hausärzte, die regelmäßig ins Haus kommen, ihre Visiten<br />

ein bis zweimal in zwei Wochen durchführen, auch zu den Bewohnern selbst ans Bett gehen, die<br />

sehen ja den Prozess eigentlich auch, man fängt irgendwann an über das Gewicht zu sprechen,<br />

ne das geht weiter runter, ne es kommt noch, verschluckt sich ständig, <strong>der</strong> Hausarzt ist also schon<br />

informiert, und wun<strong>der</strong>t sich dann nicht, wenn man dann über eine PEG dann redet“ (Meike Saalfeld<br />

- Pflegende)<br />

Ein Pflegen<strong>der</strong> bewertet die Kooperation folgen<strong>der</strong>maßen:<br />

„aber die Zusammenarbeit hat zugenommen und wir werden gefragt, unsere, unsere Meinung<br />

zählt, doch. Bei uns ist <strong>der</strong>jenige <strong>der</strong> das praktisch vierundzwanzig Stunden am Tag dann beobachten,<br />

messen, dokumentieren, ja und sich dann austauschen auch“ (Max Toschik - Pflegen<strong>der</strong>)<br />

Der Austausch zwischen den Institutionen, vor allem dem Altenheim und dem Krankenhaus<br />

wird von den Beteiligten als problematisch beschrieben. Es scheint als herrsche hier eine<br />

Lücke im Informationstransfer als klassische Schnittstellenproblematik. Die befragten Pflegenden<br />

können sich nicht erinnern jemals bei <strong>einer</strong> Entscheidung, die in <strong>der</strong> Klinik gefällt<br />

wurde, um ihre Einschätzung gefragt worden zu sein. Viele berichten jedoch, dass sie häufig<br />

von Angehörigen während des Klinikaufenthaltes als Kontaktpersonen aufgesucht und um<br />

Rat zu <strong>einer</strong> Entscheidung gefragt werden.<br />

„das wird maximal von den Angehörigen abgefragt, aber niemals und ich betone wirklich niemals<br />

von ärztlicher Seite, das wir gefragt wurden, hatte <strong>der</strong> Mensch noch den Wunsch weiterzuleben,<br />

wenn dies und das eintritt, noch nie“ (Rudi Menrich - Pflegen<strong>der</strong>).<br />

Die behandelnden Ärzte berichten Ähnliches. Eine Ärztin bemerkt dazu:<br />

„Vom Krankenhaus ruft normalerweise k<strong>einer</strong> hier an und sagt uns, sollen wir eine PEG legen o<strong>der</strong><br />

nicht“ (Sabine Murnau - Ärztin).<br />

103


Dies wird unterschiedlich bewertet. Manche Ärzte vertrauen dabei auf die Kompetenz ihrer<br />

Kollegen in den Kliniken, an<strong>der</strong>e finden es grundsätzlich nicht sinnvoll. Eine Ärztin meint,<br />

„die Kollegen, die das entschieden haben, haben sich natürlich was dabei gedacht (...). Und wenn<br />

die Krankenhauskollegen mit dem Betreuer sprechen und er ist einverstanden, dann würde ja<br />

meine theoretische Meinung unwesentlich helfen“ (Sabine Murnau - Ärztin).<br />

Manche wünschen sich mehr Einbezug, wie<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e sind selbst aktiv und mischen sich<br />

von sich aus in die Entscheidung ein, was die Vermutung nahelegt, dass die Persönlichkeit<br />

von Bedeutung ist, wie bei diesem Arzt, <strong>der</strong> sich die Rücksprache mit den Kollegen einfor<strong>der</strong>t:<br />

„<strong>der</strong> ruft mich an, (..) würde ich ja gar nicht verstehen, nun gut, ich mach das schon so<br />

lang und ich habe ne gewisse Form mich durchzusetzen“ (Ingo Klare - Arzt).<br />

Fallbesprechungen<br />

Fallbesprechungen werden auf zwei Ebenen angesprochen, <strong>der</strong> Besprechung zwischen<br />

Beteiligten im <strong>Entscheidungs</strong>prozess, bestehend aus Arzt, Pflegekraft, Angehörigen und<br />

Bewohner/Patient o<strong>der</strong> als Besprechung innerhalb <strong>der</strong> Berufsgruppe, dem pflegerischen<br />

Team o<strong>der</strong> als interdisziplinäre innerärztliche Fallkonferenz.<br />

Fallbesprechungen vom ersten Typ werden von einigen Befragten positiv bewertet. Sie helfen<br />

Zeit für unnötige Telefonate im Nachhinein zu sparen und stärken den interprofessionellen<br />

Dialog. Auch eine Pflegende, die bereits Erfahrungen mit Fallbesprechungen gemacht<br />

hat, schil<strong>der</strong>t ihre Eindrücke:<br />

"dann wird dann gemeinsam richtig, gemeinsam (..), und das ist wirklich gut, wenn wirklich dann<br />

alle miteinan<strong>der</strong>, dann ihre Blickwinkel zusammentragen können, um eben halt diese Entscheidung<br />

zu treffen, ob eine PEG-<strong>Anlage</strong> erfor<strong>der</strong>lich ist o<strong>der</strong> nicht (..) weil auch schnell eine Entscheidung<br />

getroffen wird, weil ansonsten kann das passieren, dass eben halt ein Arzt dann den Angehörigen<br />

in die Sprechstunde bittet, um da in Ruhe das Thema noch zu besprechen, und da vergeht ja auch<br />

Zeit“ (Heidrun Stocke - Pflegende)<br />

An<strong>der</strong>e Befragte stehen dem kritisch gegenüber und vermuten ein logistisch schwieriges<br />

Unterfangen, da die Zeiten <strong>der</strong> einzelnen Akteure nicht immer kompatibel seien. Es bedeute<br />

mehr Arbeit, sei organisatorisch schwierig, sehr zeitaufwändig und än<strong>der</strong>e nichts am En<strong>der</strong>gebnis<br />

(Niklas Seifert - Arzt, Gudrun Kohlmann - Pflegende). Auffällig ist, dass in diesen<br />

Fällen so gut wie keine Erfahrungen mit tatsächlich durchgeführten Fallbesprechungen gemacht<br />

worden sind. Möglicherweise auch, weil die Befragten die herkömmliche Gesprächspraxis<br />

genauso effektiv finden:<br />

„Wobei da ist dann noch die Frage ( ), das geht dann jetzt nicht alle zusammen, aber es ist dann<br />

irgendwie schon auch zusammengetragen“ (Sigrid Kreuzer - Ärztin)<br />

Nach den Erfahrungen <strong>der</strong> Befragten sind Fallbesprechungen selten. Häufiger erfolgen Besprechungen<br />

des zweiten Typs. Pflegende tragen erste Überlegungen im Team mit den<br />

Kollegen zusammen und diskutieren, bevor sie die Angehörigen o<strong>der</strong> dem Arzt involvieren,<br />

denn „K<strong>einer</strong> von uns würde das alleine entscheiden“ (Monika Reichert - Pflegende). Steht<br />

eine Entscheidung an, dann werden die Pflegedienstleitung und die Heimleitung hinzugezogen.<br />

Fallbesprechungen werden auch <strong>zur</strong> Entlastung <strong>der</strong> Pflegekräfte durchgeführt.<br />

104<br />

„Warum diese Fallbesprechungen? Viele Pflegekräfte haben sich unter an<strong>der</strong>em bei solchen Bewohnern<br />

sehr schwer getan, die sind nach Hause mit, mit so <strong>einer</strong> gewissen Belastung gegangen,<br />

nach dem Motte in m<strong>einer</strong> Schicht hatte er das, hat er sich verschluckt, konnte nicht schlucken und<br />

konnte sich nicht beruhigen o<strong>der</strong> musste ins Krankenhaus, weil ich ihm eigentlich etwas Gutes tun<br />

wollte. Essen reichen, trinken und ich habe das nicht geschafft“ (Max Toschik - Pflegen<strong>der</strong>).


Fallbesprechungen würden gelegentlich mit Ärzte geführt, die alle vier Wochen o<strong>der</strong> einmal<br />

im Quartal vorbeischauen. Für Ärzte, die jede Woche zum Hausbesuch kommen finden Absprachen<br />

auf dem „kurzen Dienstweg“ statt (Gudrun Kohlmann - Pflegende).<br />

Der Austausch unter ärztlichen Kollegen wird unterschiedlich hoch bewertet. Zur diagnostischen<br />

Urteilsbildung im Zusammenhang mit <strong>einer</strong> PEG wird gelegentlich die Meinung eines<br />

Kollegen z. B. eines Neurologen, Onkologen o<strong>der</strong> eines Psychiaters konsiliarisch hinzugezogen.<br />

Das sei beson<strong>der</strong>s sinnvoll um z. B. depressive Verstimmungen differentialdiagnostisch<br />

von an<strong>der</strong>en Ursachen des „Nicht-Essen-Wollens“ abzugrenzen.<br />

„ja natürlich haben wir das, wenn´s schwierig ist wir haben, wir können ja eine Fallkonferenz mit<br />

dem Palliativmediziner ergänzend machen, ich selber bin Onkologe und darf das auch vertreten,<br />

(..), wir sind ja manchmal fachärztlich gerufen nicht wahr, als Facharzt, mit dem Hausarzt treffen<br />

wir uns da und sprechen sowas ab, wir ziehen in Einzelfällen Neurologen dazu, nicht wahr, man<br />

muss ja einfach sehen was ist Krankheit, was ist Depression, wissen Sie manchen Patienten aus<br />

s<strong>einer</strong> depressiven Episode herausbringen, sind Sie ganz erstaunt, was er doch noch kann, also<br />

solche Gespräche sind einfach notwendig, und die werden auch gemacht, da kommt nicht ein stilles<br />

Konsil, da geht mal <strong>einer</strong> hin und gucken und son<strong>der</strong>n ggf. ruft <strong>der</strong> <strong>zur</strong>ück und wenn´s nicht am<br />

Bett stattfindet gibt es eine telefonische Rücksprache also dass ist ein ganz hoher Stellenwert, den<br />

wir da haben“ (Ingo Klare - Arzt).<br />

Fallbesprechungen in Form von interdisziplinären Fallkonferenzen helfen Konflikte und professionellen<br />

Kränkungen vorzubeugen und unnötiges „Ärztehopping“ zu vermeiden. Sie erhöhen<br />

das Verständnis <strong>der</strong> jeweiligen Perspektiven. Ein Arzt sah dies pessimistischer und<br />

hatte wenig Hoffnung, was den Erfolg eines Dialoges unter den Kollegen betraf.<br />

„ich glaube das ist sinnlos, brauchen wir gar nicht, (...) die Chirurgen wollen das nicht und die an<strong>der</strong>en<br />

denken nicht, soweit, das ist nicht ihr Problem, das erfassen die Leute noch nicht als ihr<br />

Problem“ (Bernhard Beinbühl - Arzt).<br />

Konflikte bei <strong>der</strong> Zusammenarbeit <strong>der</strong> Akteure<br />

Nach Angaben <strong>einer</strong> Ärztin ist die PEG per se „ein klassisches Konfliktthema“. Konflikte tauchen<br />

immer dann auf, wenn es konträre Auffassungen zu Therapieentscheidungen gibt. Es<br />

werden sowohl Konflikte im Sinne von Meinungsverschiedenheiten zwischen den einzelnen<br />

Akteuren als auch zu verschiedenen Zeitpunkten/Positionen im Prozess beschrieben.<br />

Konflikte mit Patienten werden nur von einem Arzt beschrieben. Dabei handelte es sich primär<br />

um die fehlende Zustimmung von Patienten <strong>zur</strong> empfohlenen Therapie, z. B. bei <strong>der</strong><br />

Verordnung von Zusatznahrung, die nach Meinung des Arztes nicht indiziert war o<strong>der</strong> in<br />

Form eines grundsätzlichen Empfindens, dass alte Menschen häufiger Therapieentscheidungen<br />

ablehnen.<br />

Angehörige gelten als konfliktträchtig, wenn sie den Ärzten „nörgelnd und besserwissend“<br />

(Ingo Klare - Arzt) entgegentreten, mit <strong>der</strong> Therapieentscheidung nicht einverstanden sind<br />

o<strong>der</strong> sich nicht entscheiden können. Oftmals hätten die Angehörigen auch einen persönlichen<br />

Konflikt mit sich o<strong>der</strong> den Patienten. Das äußere sich dann in einem schlechten Gewissen<br />

ihren Partnern o<strong>der</strong> Eltern gegenüber (Rainer Braun - Arzt). Nach Aussage eines Arztes<br />

gäbe es eher Konflikte mit Angehörigen als mit Pflegekräften (Klaus Krämer - Arzt). Auch<br />

Pflegende schil<strong>der</strong>n schwierige Auseinan<strong>der</strong>setzungen mit Angehörigen, beson<strong>der</strong>s, wenn<br />

sie selten da sind, sehr for<strong>der</strong>nd auftreten o<strong>der</strong> sich gegen eine Empfehlung entscheiden<br />

(Gudrun Kohlmann - Pflegende).<br />

Umgekehrt gibt es Kritik am Umgang ärztlicher Kollegen mit Angehörigen, beson<strong>der</strong>s in Bezug<br />

auf eine adäquate Aufklärung. So berichten die Befragten über Situationen, in denen<br />

105


Angehörige bei <strong>der</strong> Entscheidung durch das Klinikpersonal unter Druck gesetzt wurden, indem<br />

sie die Frage stellten: „Wollen Sie ihre Mutter/ ihren Vater verhungern und verdursten<br />

lassen?“ Ein Arzt kommentiert dies:<br />

„wer will das schon, (...) Das ist ein Totschlag Argument, (...) kriege ich oft, oft gesagt, warum haben<br />

sie denn zugestimmt, ja die haben gesagt, wollen Sie meine Mutter verhungern, ich wollte<br />

doch nicht meine Mutter verhungern lassen. Das ist also, die diskutieren oft nicht, die machen<br />

(Sören Wißling - Arzt).<br />

„wo die Angehörige dann im Krankenhaus unter Druck gesetzt werden, indem gesagt wird, ja, Sie<br />

können doch Ihre Mutter, Ihren Vater nicht verhungern lassen, dann sind das so Situationen, wo<br />

ich mir denke, da fehlt dann doch so ein bisschen mehr Vorinformation für die Angehörigen“<br />

(Sandra Kutschke - Pflegende).<br />

Auf die Angehörigen würde nicht nur Druck ausgeübt, sie würden manchmal we<strong>der</strong> informiert,<br />

noch würde ihre Einwilligung abgewartet, son<strong>der</strong>n vor vollendete Tatsachen, nämlich<br />

<strong>der</strong> <strong>einer</strong> gelegten PEG, gestellt.<br />

„nein, die haben gar nicht informiert, absolut nicht informiert, das löst auch bei <strong>der</strong> guten Bekannten<br />

auch wirklich Entsetzten aus, die sagte, die sagen ja gar nichts, die erzählen einem ja gar<br />

nichts“ (Rudi Menrich - Pflegen<strong>der</strong>).<br />

Eine Pflegende beschreibt, wie eine Angehörige bei ihr Rat suchte, <strong>der</strong>en 90jährige Mutter,<br />

von <strong>der</strong> bekannt war, dass sie in frem<strong>der</strong> Umgebung kaum aß, im Krankenhaus mit dem<br />

Argument des Nicht-Verhungern-Lassen-Könnens eine PEG bekam:<br />

„sie ruft da an und kommt an<strong>der</strong>n Tag völlig aufgelöst wie<strong>der</strong> und sagt: meine Mutter hat schon<br />

eine, weil <strong>der</strong> Arzt gesagt hat, ist Gefahr in Verzug und sie braucht jetzt eine, also da wird nicht<br />

mehr gehört“ (Gudrun Kohlmann - Pflegende).<br />

Nicht eindeutig ist, ob eine Betreuung in diesen Situationen vorlag. Neuerdings sei jedoch<br />

ein Wandel zu beobachten und es würde mehr Rücksicht auf die Angehörigen genommen.<br />

Konflikte zwischen Ärzten und Pflegekräften werden im Zusammenhang mit <strong>der</strong> Versorgungssituation<br />

im Vorfeld <strong>einer</strong> PEG-<strong>Anlage</strong> beschrieben. Obwohl es aus ärztlicher Sicht<br />

sehr positive Beispiele über das Engagement <strong>der</strong> Pflegenden und ihre Bemühungen um das<br />

Anreichen <strong>der</strong> Nahrung gibt, schil<strong>der</strong>n einige auch Meinungsverschiedenheiten bei den<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Flüssigkeitssubstitution und über Versorgungsengpässe in den Einrichtungen.<br />

„ja sicher gibt`s ...was heißt Konflikte, ich meine wir streiten uns ja nicht in dem Sinne, ja. Es gibt<br />

halt die... die Theorien natürlich, dass man sagt: „man möchte jede möglichst lange ermöglichende<br />

orale Stimulation um Geschmacksnerven und auch menschliche Zuwendung natürlich, die übers<br />

Nahrungs- anreichen kommt möglichst lange, möglichst hm...lebensnah zu ermöglichen und wenn<br />

das Pflegepersonal sagt geht nicht, man kriegt ja häufiger die Hektik mit, dann hat man schon<br />

manchmal den Verdacht, das ist schlicht Zeitproblem.... wo die einzelnen Schwestern ja nicht, in<br />

dem Sinne, ja das können die ja auch nicht beeinflussen, Personalschlüssel o<strong>der</strong> irgendwas, hm...<br />

ja das ist natürlich gewisser Konfliktpunkt aber hm... das ist jetzt auch k<strong>einer</strong> dem ich mit <strong>der</strong> Pflegepersonal<br />

lösen kann, ja? Wie viel Zeit, wie viel den einzelnen Patienten zum Schlucktraining und<br />

so, Nahrungsanreichen zum Verfügung haben.“ (Sabine Murnau - Ärztin)<br />

Pflegende schil<strong>der</strong>n ihre Konflikte mit Ärzten dann, wenn sie von ärztlicher Seite wenig Engagement<br />

wahrnehmen, ihnen eine PEG zu früh erscheint o<strong>der</strong> sie die Entscheidung gegen<br />

eine <strong>Anlage</strong> nicht mittragen wollen. Eine Pflegende beschreibt auch, dass Aspekte des Informationstranfers<br />

dabei eine Rolle spielen.<br />

106


„Im Laufe <strong>der</strong> Zeit fand ich dann schon manche Situationen sehr, sehr schwierig in Bezug auf<br />

Ärzte, also wir sind ja nun mal <strong>der</strong> Komplex um den Bewohner (.) im Heim. Sprich Ärzte, Angehörige,<br />

Pflegemitarbeiter, Betreuung jetzt die, was ich ja hier auch mache und das ist ein Zusammenspiel<br />

und wenn da <strong>der</strong> Informationsfluss nicht richtig stimmt, dann kommt es zu Missverständnissen,<br />

dann kommt es vielleicht zu Entscheidungen, die hätten vielleicht an<strong>der</strong>s ausfallen können<br />

aufgrund mangeln<strong>der</strong> Informationen, Wissen, Fachwissen und so weiter (Karin Kridow - Pflegende)<br />

Der Zeitpunkt <strong>der</strong> <strong>Anlage</strong> sorgt für Konflikte unter Arztkollegen. Beson<strong>der</strong>s eine frühe Indikationsstellung<br />

bei onkologischen Patienten, wie sie von zwei Ärzten favorisiert werden, hätte<br />

sich noch nicht bei allen Kollegen, beson<strong>der</strong>s den „Chirurgen“ als gängiges Modell durchgesetzt.<br />

Dies bringe Zwist und Wahrung <strong>der</strong> Pfründe mit sich.<br />

Konfliktlösungen<br />

Die befragten Ärzte berichten von Situationen, in denen ihnen sehr daran gelegen ist, die<br />

Konfliktpartner von ihrer Haltung zu überzeugen.<br />

„den Leuten muss man klar machen in dem Gespräch <strong>zur</strong> PEG-<strong>Anlage</strong>, dass dadurch seine Behandlungssituation<br />

deutlich verbessert wird und auch (..) die Wahrscheinlichkeit <strong>der</strong> Therapiewirksamkeit<br />

viel viel größer ist, und dann machen die das schon (Bernhard Beinbühl - Arzt).<br />

„das war immer so, dass man, gerade bei solchen Fällen, extremen Fällen, wenn es mal wirklich<br />

hart auf hart kommt, dann redet man, kann man mit den Leuten reden, kann denen klar machen<br />

was wirklich los ist und wie sich das alles darstellt und dann die meisten sehen es auch wirklich,<br />

alle haben es bisher eingesehen. Das man da, das man wirklich nicht, das nichts mehr zu machen<br />

ist (Sören Wißling - Arzt)<br />

An<strong>der</strong>e Befragte wollen die Situation prinzipiell weniger dominieren und vertreten die Position,<br />

dass man im professionellen Kontext eine konträr gefällte Entscheidung <strong>der</strong> berechtigten<br />

Personen respektieren müsse. An<strong>der</strong>e fügen sich eher in die Situation.<br />

„Der Konsens besteht darin, natürlich, dass ich sage, ok, ich unterschreibe euch, dass sie ins<br />

Krankenhaus geht“ (Rainer Braun - Arzt)<br />

Lehnen Angehörige entgegen <strong>einer</strong> medizinisch-pflegerischen Empfehlung eine PEG ab,<br />

müsse man nur aus Gründen <strong>der</strong> Qualitätssicherung die Heimaufsicht involvieren, um weitern<br />

Konflikten im Prozess vorzubeugen. Dies sei auch eine Maßnahme, um z. B. Akzeptanz<br />

für eine chronische, aber biografisch bedingte Mangelernährung ohne PEG einzuholen<br />

(Gudrun Kohlmann - Pflegende).<br />

Eine Pflegende sieht auch Potential <strong>zur</strong> Stärkung <strong>der</strong> Angehörigen gegenüber den Professionellen<br />

in Form von Aufklärung und Information z. B. durch Informationsabende für Angehörige,<br />

um Konfliktsituationen vorzubeugen (Sandra Kutschke - Pflegende).<br />

Scheint keine Einigung in Sicht, werden zwei Handlungsalternativen beschrieben. Die Meinung<br />

richterlich anzufechten und wie in einem Fall die Betreuung in Frage zu stellen, mit <strong>der</strong><br />

Idee die eigene Haltung unter medizinischer Begründung durchzusetzen.<br />

„in dem Fall würde ich sogar die Behandlung dann ablehnen, würde ich den Patienten abgeben.<br />

Wenn, also wenn ein Patient, wenn jemand () Tumor im Endstadium ist o<strong>der</strong> im dement Endstadium<br />

und, und die wollten unbedingt eine PEG-Sonde haben, dann würde ich sagen, dann behandele<br />

ich den Patienten nicht weiter, dann sollen sie sich einen Arzt suchen, <strong>der</strong> das macht“ (Sören<br />

Wißling - Arzt).<br />

“und da gibt es dann Verfügungsberechtigten und wenn se sagt nein, dann sind das oft Situationen,<br />

wo ich eine weitere Behandlung ablehne, wenn ich ein völlig an<strong>der</strong>es Verständnis <strong>der</strong> Krankheitssituation<br />

habe als die Familie und <strong>der</strong> Fürsorgeberechtigte hat, es gibt viele Ärzte und man<br />

107


kann sie öfters wechseln, dann muss man den suchen, den man haben möchte, das bin nicht ich<br />

(Ingo Klare – Arzt),<br />

Der Abbruch <strong>einer</strong> Behandlung scheint die letzte vorstellbare Konsequenz <strong>einer</strong> Uneinigkeit<br />

zu sein und ist als fiktive Drohung zu verstehen, die de facto von befragten Ärzten noch nicht<br />

erlebt wurde. Wahrscheinlicher sei eine Einigung.<br />

„weil die Angehörigen sehen ja einen Patienten, wie <strong>der</strong> sich verschlechtert, das sehen die ja auch<br />

und von daher, ich habe noch nie ( ) erlebt, aber wenn es mal so wäre, würde ich das so tun,<br />

würde ich klipp und klar meine Meinung sagen, und sagen ich trage das nicht mit, ich lehne die<br />

Behandlung dann weiter ab“(Sören Wißling – Arzt)<br />

Der Abbruch <strong>einer</strong> Behandlung ist eine Konfliktlösung, die in diesem Prozess den Ärzten<br />

vorbehalten ist, Pflegende müssen aus ihrer Selbstwahrnehmung eine Entscheidung, auch<br />

wenn sie konträrer Ansicht sind „hinnehmen“ und aushalten, sie müssen weiter pflegen und<br />

je nach Entscheidung eine PEG bestücken, weiter essen anreichen o<strong>der</strong> gar nichts tun, also<br />

„etwas tun“, was ihrer Ansicht nach „dem Bewohner nicht gut tut, das ist so schwer“ (Judith<br />

Riese)<br />

„ich kann ihnen sagen, ich habe Blicke erlebt von Leuten, die vorher immer den Kopf weggedreht<br />

haben, die nicht mehr sprechen konnten, wo sie aber dann doch eine PEG–<strong>Anlage</strong> bekommen haben,<br />

die uns bitter böse sind und die dann mit ihren Blicken uns das spüren lassen, wenn wir jedesmal<br />

wie<strong>der</strong> den Schlauch anschließen o<strong>der</strong> einen angucken mit Augen, dass vergessen sie<br />

nicht“ (Monika Reichert - Pflegende).<br />

„wissen Sie, bei dieser Dame jetzt, bei <strong>der</strong> kommt noch so viel, bei den an<strong>der</strong>en (Bewohnerinnen<br />

mit <strong>einer</strong> PEG) kommt einfach nichts, also weniger und die bekommen die einfach, die PEG und<br />

bei ihr sagt man nein, gut die an<strong>der</strong>en Damen oben die sind noch nicht so alt, also mit ihr kann<br />

man wirklich kommunizieren, und die muss man verhungern lassen, jetzt, also das ist schon<br />

schwer (Martina Reger - Pflegende).<br />

<strong>Entscheidungs</strong>findung<br />

Ereignisse, die eine Entscheidung einleiten<br />

„eigentlich, fängt das eigentlich häufig damit an, dass die Menschen anfangen, weniger zu essen<br />

o<strong>der</strong> weniger zu trinken o<strong>der</strong> beides“ (Verena Meißner - Pflegende)<br />

„Nicht mehr essen und trinken wollen“ scheint ein eher unspektakuläres, aber typisches Ereignis<br />

zu sein, was am Beginn <strong>einer</strong> ganzen <strong>Entscheidungs</strong>kette steht und hinsichtlich <strong>der</strong><br />

<strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG eine auslösende Funktion einnimmt. „Nicht mehr essen und trinken wollen“<br />

lässt eine enge Konnotation an die Person, ihre Lebenssituation und einen implizierten<br />

Willen assoziieren und wird als ein beson<strong>der</strong>es Problem des alten Menschen angesehen.<br />

„Nicht mehr essen und trinken können“ steht ebenfalls am Anfang <strong>einer</strong> <strong>Entscheidungs</strong>situation,<br />

deutet hingegen stärker auf ein manifestes, organisch begründetes Krankheitsgeschehen<br />

hin, durch das die Fähigkeit Nahrung aufzunehmen vermin<strong>der</strong>t o<strong>der</strong> gänzlich unmöglich<br />

geworden ist. Hierbei steht die Diagnose weniger abhängig des Alters im Vor<strong>der</strong>grund <strong>der</strong><br />

Entscheidung.<br />

108<br />

„das ist für mich noch wie<strong>der</strong> ein Unterschied, ob Patienten so zu sagen eigentlich essen möchten,<br />

aber es nicht mehr hinbekommen, weil <strong>der</strong> Schluckakt irgendwo zentral gestört ist, sich da verschlucken,<br />

ist eine Quälerei und auch für die Pflegenden, das Pflegepersonal o<strong>der</strong> pflegende Angehörige<br />

ganz furchtbar, wenn sie das, wenn sie dann jemanden sehen, <strong>der</strong> da anfängt zu husten,<br />

sich verschluckt und aspiriert und ich meine, das ist auch nicht ganz ungefährlich dann o<strong>der</strong> ob es<br />

so ist, dass Patienten schwächer und schwächer werden und einfach nicht mehr essen wollen,


einfach so, man merkt, sie wollen nicht mehr. Sie wollen vielleicht auch wirklich mit dem Leben abschließen,<br />

sie wollen nicht mehr essen“ (Sigrid Kreuzer - Ärztin)<br />

Situationen, in denen eine Entscheidung <strong>zur</strong> PEG getroffen werden muss, können akut auftreten<br />

und durch ein plötzliches Ereignis, wie das eines Schlaganfalles das Leben <strong>der</strong> Betroffenen<br />

abrupt verän<strong>der</strong>n und Entscheidungen dieser Art kurzfristig notwendig machen. Sie<br />

können aber auch chronisch verlaufen und sich langsam ankündigen, z. B. in Form eines<br />

fortschreitenden Gewichtsverlustes, ohne ein klar definiertes Ereignis als Auslöser aufzuweisen.<br />

Die Handelnden müssen in diesen Situationen den Zeitpunkt <strong>der</strong> Entscheidung selbst<br />

einleiten. Welche Überlegungen hierzu angestellt werden, wird nun erläutert.<br />

Abbildung 2 - Auslösende Ereignisse<br />

Parameter <strong>zur</strong> <strong>Entscheidungs</strong>findung / Indikationsstellung<br />

Aus den Aussagen <strong>der</strong> Befragten konnten Indikatoren identifiziert werden, die den <strong>Entscheidungs</strong>prozess<br />

für o<strong>der</strong> gegen eine PEG maßgeblich beeinflussen. Dazu gehören:<br />

� die Diagnose<br />

� <strong>der</strong> erwartete Nutzen in Bezug auf<br />

� den Gesundheitsstatus<br />

� die Lebensqualität<br />

� die Lebenserwartung<br />

� <strong>der</strong> (mutmaßliche) Patienten/Bewohnerwille<br />

Im Folgenden werden die Aspekte im Kontext <strong>einer</strong> positiven o<strong>der</strong> negativen Entscheidung<br />

<strong>zur</strong> <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG betrachtet und vorgestellt. Hierfür ist die Ausprägung <strong>der</strong> Indikatoren<br />

entscheidend.<br />

Diagnoseabhängige Indikationsstellung<br />

Den Aussagen <strong>der</strong> Interviewteilnehmer zufolge lassen sich Krankheitsbil<strong>der</strong> bestimmen, in<br />

denen eine Entscheidung eindeutig getroffen werden kann. <strong>Entscheidungs</strong>verläufe dieser Art<br />

sind klar und werden als wenig problematisch beschrieben. Davon unterscheiden sich<br />

Krankheitsverläufe, die keine eindeutige Entscheidung zulassen und den <strong>Entscheidungs</strong>prozess<br />

erschweren.<br />

109


Diagnosen mit eindeutiger Indikation<br />

Als Diagnosen, die für die <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG sprechen, werden anhaltende o<strong>der</strong> ausgeprägte<br />

Schluckstörungen mit drohen<strong>der</strong> Aspirationsgefahr nach apoplektischen Insult, selten<br />

auch infolge <strong>einer</strong> Demenz o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>er neurologischer Erkrankungen (Chorea Huntington,<br />

ALS) genannt. Weniger häufig ist von Erkrankungen des Magen-Darmtraktes sowie malignen<br />

Erkrankungen des oberen Verdauungstraktes, z. B. ein Ösöphagus- o<strong>der</strong> Larynxcarcinom<br />

die Rede. Allen gemeinsam ist eine krankheitsbedingte anatomische Passageblockade.<br />

Patienten mit diesen Diagnosen können in <strong>der</strong> Regel keine Nahrung mehr zu sich nehmen<br />

und entwickeln infolge dessen vorhersehbare Mangelerscheinungen. Kann dies mit an<strong>der</strong>en<br />

Maßnahmen nicht ausgeglichen werden, drohen ein progredienter Gewichtsverlust mit einhergehen<strong>der</strong><br />

chronischer Mangelernährung, allgemeine Dekompensation o<strong>der</strong> falls trotzdem<br />

Nahrung oral aufgenommen wird, die Gefahr <strong>einer</strong> Aspirationspneumonie. Zur <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong><br />

PEG gibt es nach Aussage <strong>der</strong> befragten Ärzte in diesen Situationen keine Alternative und<br />

wird "so früh, wie möglich" (Niklas Seifert - Arzt) empfohlen. Entscheidungen dieser Art sind<br />

unzweifelhaft und werden "ohne Frage" und vor allem schnell getroffen. Die Befragten empfinden<br />

diese Situationen häufig als einfach und problemlos.<br />

„<strong>der</strong> kann nicht essen, da ist die PEG ja gar keine Frage, die wird rein gemacht und zwar so früh<br />

wie möglich, ich weiß ja, das wird nichts und den kann ich ja ernähren, den lass ich doch jetzt nicht<br />

abmagern und lege dann eine PEG, die kriegt er mit achtzig Kilo. Das ist doch gar kein Problem,“<br />

(Niklas Seifert - Arzt)<br />

„Ja einmal von <strong>der</strong> Indikation her, wie Magencarcinom, Ösöphaguscarcinom, Kopf-Halstumore,<br />

sofort, muss man gar nicht drüber nachdenken“ (Bernhard Beinbühl - Arzt)<br />

"Also hauptsächlich waren das Bewohner mit neurologischen Krankheitsbil<strong>der</strong>n, also häufig sind<br />

die Entscheidungen schnell gefallen bei Parkinson Erkrankten, bei richtig heftigen Schlaganfällen,<br />

habe ich eigentlich die Mehrheit erlebt mit PEG-Sonde, wo auch <strong>der</strong> <strong>Entscheidungs</strong>prozess ziemlich<br />

schnell ablief, länger gedauert hat die <strong>Entscheidungs</strong>findung bei Demenzerkrankten älteren<br />

Bewohnern“ (Meike Saalfeld - Pflegende).<br />

Des Weiteren finden sich <strong>Entscheidungs</strong>situationen bei Menschen im terminalen Stadium<br />

ihrer Erkrankung. Genannt wurden vor allem Spätstadien <strong>einer</strong> Demenz und schwere persistierende<br />

cardiale Dekompensationen im Krankheitsverlauf. Auch Tumorerkrankungen<br />

zählen dazu, kommen jedoch stärker im häuslichen, ambulant betreuten Bereich vor. Hier<br />

handelt es sich primär um Entscheidungen am Lebensende und um Situationen, in denen<br />

die befragten Ärzte und die Pflegenden eine Behandlung mit <strong>einer</strong> PEG ablehnen o<strong>der</strong> nicht<br />

empfehlen würden. Der Sterbeprozess und <strong>der</strong> Einsatz palliativer Maßnahmen mit dem Ziel<br />

<strong>der</strong> Lebensqualität stehen im Vor<strong>der</strong>grund medizinisch therapeutischer Maßnahmen.<br />

„wenn Sie aber jetzt einen Patienten haben, einen Tumorpatienten und wissen, das dauert vielleicht<br />

noch drei bis vier Wochen, eine überschaubare Zeit, dann brauchen wir nicht diskutieren, <strong>der</strong><br />

braucht keine PEG“ (Ingo Klare - Arzt)<br />

„nicht empfehlen würde ich das, wenn jemand praktisch so schlecht liegt, wenn man weiß, <strong>der</strong>jenige<br />

wird ohnehin nicht mehr lange leben, um z. B. einen Sterbeprozess über Gebühr hinauszuziehen“<br />

(Heidrun Stocke - Pflegende)<br />

Diagnosen mit unklarer Indikation<br />

Wie<strong>der</strong>um berichten einige <strong>der</strong> befragten Ärzte und Ärztinnen von Situationen, in denen sich<br />

die Indikation für o<strong>der</strong> gegen eine PEG nicht so eindeutig darstellt. Diese Situationen werden<br />

als schwierig empfunden. Unklare Indikationsstellungen betreffen meist alte, multimorbide<br />

und demente Menschen, <strong>der</strong>en Ernährungszustand und in Folge auch <strong>der</strong>en Allgemeinzu-<br />

110


stand sich zunehmend verschlechtert und chronifiziert, eine Prognose nicht klar gegeben<br />

werden kann o<strong>der</strong> die sich nicht unmittelbar in <strong>einer</strong> Sterbephase befinden. Die Pflegenden<br />

nennen hier chronische Gewichtsabnahme bis hin <strong>zur</strong> Mangelernährung, Flüssigkeitsdefizite,<br />

Schluckstörungen bei Demenz und Nahrungsverweigerung.<br />

„Indikation ist eben, dass <strong>der</strong> Bewohner abnimmt, d. h. nicht genügend isst, nicht genügend trinkt,<br />

kann ja auch sein, das nur halt jemand nicht auf die zu erreichende Flüssigkeitsmenge kommt,<br />

kann auch alleine ein Grund dafür sein, ne (..) ja, Nahrungsverweigerung, sagt, ich will nicht, kann<br />

natürlich auch ein Grund sein (Heidrun Stocke - Pflegende).<br />

Probleme treten auf verschiedenen Ebenen auf. Geschil<strong>der</strong>t werden Situationen, in denen es<br />

"schwierig" ist<br />

� eine klare Diagnose zu stellen, aufgrund <strong>der</strong>er dann eine Entscheidung für o<strong>der</strong> gegen<br />

eine PEG getroffen werden kann<br />

� auch mit bestehen<strong>der</strong> Diagnose die Lebenserwartung einzuschätzen<br />

� den Patientenwillen zu ermitteln, vor allem bei vorliegen<strong>der</strong> Nichteinwilligungsfähigkeit<br />

� gegen eine PEG zu argumentieren, also Parameter zu finden, die eine Entscheidung<br />

begründen und dem Vorwurf des „Verhungern und Verdursten-Lassens“ standzuhalten<br />

� sich dem Druck von Leitlinien und Medien entgegenzustellen<br />

� Meinungsdifferenzen o<strong>der</strong> Konflikte beteiligter Akteure zu mo<strong>der</strong>ieren und ggf. zu lösen<br />

� Die meisten Befragten betonen dass Entscheidungen dieser Art nicht allein von <strong>der</strong><br />

Diagnose her, son<strong>der</strong>n immer im Kontext <strong>der</strong> Gesamtsituation <strong>der</strong> betroffenen Person<br />

und individuell, für den Einzelfall getroffen werden müssen.<br />

Erwarteter Nutzen<br />

Neben <strong>einer</strong> Diagnose muss nach Aussage eines Arztes auch eine Perspektive aufgezeigt<br />

werden, denn die Entscheidung hänge immer davon ab, was man erreichen wolle (Rainer<br />

Braun - Arzt). Eine Grundlage im <strong>Entscheidungs</strong>prozess ist daher das Ziel <strong>einer</strong> Handlung<br />

und meint im therapeutischen Prozess die Wirksamkeit <strong>einer</strong> Maßnahme. Therapeutische<br />

Maßnahmen sind in <strong>der</strong> Regel mit <strong>einer</strong> positiven Konsequenz o<strong>der</strong> dem Benefit für den Patienten<br />

verknüpft und können auch als Nutzen beschrieben werden. Als Nutzen <strong>einer</strong> (Nicht-)<br />

<strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG werden Auswirkungen auf den Ernährungszustand und infolgedessen<br />

auch auf den Gesundheitsstatus, die Lebensqualität und die Lebenserwartung assoziiert.<br />

„da muss ich einfach gucken, was kann ich mir leisten, was kann ich mir therapeutisch leisten, wo<br />

habe ich Ansätze (..) für eine Sublimierung seines Allgemeinbefindens, wo komm ich hin mit o<strong>der</strong><br />

wo könnte ich hinkommen, wenn ich ihn körperlich etwas besser restaurieren kann“ (Ingo Klare -<br />

Arzt).<br />

„ja, ich denke immer den therapeutischen, den therapeutischen Sinn, darf man bei <strong>einer</strong> PEG niemals<br />

vergessen“ (Verena Meißner - Pflegende)<br />

Die Befragten sind sich prinzipiell einig darüber, dass eine PEG eine unkomplizierte und<br />

sinnvolle Methode <strong>zur</strong> Substitution von Nahrung und/o<strong>der</strong> Flüssigkeit sein kann.<br />

„ja, was spricht dafür, es ist eigentlich ein relativ unkompliziertes Verfahren, es hat jetzt, es geht<br />

relativ zügig, das Anlegen <strong>der</strong> PEG-<strong>Anlage</strong> selbst, es ist ein relativ sicheres Verfahren“ (Meike<br />

Saalfeld - Pflegende)<br />

Als eindeutiger Vorteil dieser Form künstlicher Ernährung gilt die Applikation über die dafür<br />

vorgesehene enterale Passage und dem Beibehalt <strong>der</strong> natürlichen Verdauungsvorgänge des<br />

111


unteren Gastrointestinaltraktes. Dennoch gibt es Bedenken für einen unkritischen Einsatz.<br />

Die starke Unterschiedlichkeit des Patientenklientels macht außerdem eine differenzierte,<br />

aber klare Indikationsstellung für eine ausgewählte Personengruppe notwendig. In diesem<br />

Spannungsfeld scheint es nicht immer einfach eine klare Entscheidung zu treffen.<br />

(Nicht-) <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG<br />

den Ernährungszustand<br />

Gesundheitsstatus Lebenserwartung<br />

Lebensqualität<br />

Abbildung 3: Parameter zum erwarteten Nutzen<br />

Auswirkungen auf den Ernährungs- und Gesundheitszustand<br />

Nach Angaben <strong>der</strong> Befragten dient die PEG in erster Linie <strong>der</strong> Stabilisierung des körperlichen<br />

Zustandes durch Ausgleich o<strong>der</strong> Vorbeugung eines Mangels, z. B. Flüssigkeit o<strong>der</strong><br />

Nährstoffen. Je nach Diagnose stehen folgende Aspekte im Vor<strong>der</strong>grund:<br />

� Aufrechterhaltung <strong>der</strong> Stoffwechselfunktion<br />

� Stabilisierung des Flüssigkeitshaushaltes und des Ernährungsstatus<br />

� Prophylaxe und Ausgleich von Fehl- und Mangelernährung und damit zusammenhängenden<br />

Folgeerscheinungen<br />

� Verbesserung des Allgemeinbefindens<br />

Die Ernährungssituation alter Menschen sei eine beson<strong>der</strong>e Problemlage, die auch <strong>einer</strong><br />

beson<strong>der</strong>en Beachtung und Unterstützung bedürfe. Bezug genommen wird auf eine Min<strong>der</strong>ung<br />

<strong>der</strong> Appetenz, dem Nachlassen des Hunger- und Durstgefühls und <strong>der</strong> mangelnden<br />

Einschätzung dieser Misslage von Seiten <strong>der</strong> Betroffenen, beson<strong>der</strong>s in Zusammenhang mit<br />

einem dementiellen Prozess. Dieses müsse man versuchen auszugleichen o<strong>der</strong> zu respektieren<br />

(Klaus Krämer - Arzt).<br />

„<strong>der</strong> ältere Mensch isst weniger, trinkt weniger, meint er täte beides gut, ist unterernährt, ist unterhydriert,<br />

und muss vom Doktor her dazu bewogen werden das zu tun“ (Bernhard Beinbühl - Arzt)<br />

Ein Nutzen für den Patienten wird in einem erhöhten Wachheitsgrad, <strong>einer</strong> gesteigerten Aktivität<br />

und darin gesehen, über genügend Kraft zu verfügen, wie<strong>der</strong> selbst trinken und essen<br />

zu können (vgl. Lebensqualität). Von <strong>der</strong> PEG wird in diesem Zusammenhang die Überbrückung<br />

<strong>einer</strong> vorübergehenden akuten Verschlechterung erwartet und dient <strong>einer</strong> Krisenintervention.<br />

112


„Und ja für mich ist es einfach wichtig, dass die Folgeschäden durch schlechte Versorgung mit<br />

Flüssigkeit, Mangelernährung vermieden werden können“ (Irmgard Buschmühler - Pflegende)<br />

In bestimmten Situationen z. B. <strong>zur</strong> Vorbereitung <strong>einer</strong> Chemotherapie ist die PEG Teil eines<br />

ganzen Behandlungsprogramms und reiht sich als eine von mehreren Maßnahmen in das<br />

Therapiekonzept ein. Der Nutzen wird hier als „Grundsicherung, sonst nichts“ (Ingo Klare -<br />

Arzt) beschrieben, die zu gewährleisten sei, weil es nicht sein könne, dass Patienten kostenintensiven<br />

Behandlungen unterzogen würden, aber nicht ausreichend zu essen hätten<br />

(Bernhard Beinbühl - Arzt).<br />

Auf <strong>der</strong> Grundlage <strong>der</strong> Stabilisierung des Ernährungszustandes, vor allem des Eiweißhaushaltes<br />

vermuten einige <strong>der</strong> Befragten einen positiven Effekt auf die Wundheilung und damit<br />

auf die Vermeidung und/o<strong>der</strong> Behandlung von Dekubitalgeschwüren.<br />

„Also ich habe schon den Eindruck, dass die Patienten, die gut versorgt sind, dass die also dann<br />

auch weniger Komplikationen mit diesen Dekubitusproblemen haben.“ (Sigrid Kreuzer - Ärztin)<br />

„Aber ich denke allein schon durch die Zuführung von Eiweiß hat man doch auch die Unterstützung<br />

<strong>einer</strong> Wundheilung“ (Dieter Kronau - Pflegen<strong>der</strong>)<br />

Handelt es sich um sterbende Menschen, wird <strong>der</strong> Nutzen, also <strong>der</strong> Vorteil, den eine PEG für<br />

den Patienten bedeuten würde als gering eingeschätzt.<br />

„bei diesem Menschen erreicht man ja auch keinen Muskelaufbau und nichts mehr, man wässert<br />

die und macht ein bisschen Fett rein, da ist denen ja letztlich nicht mit geholfen“ (Niklas Seifert -<br />

Arzt).<br />

Auch hin<strong>der</strong>e man den Patienten durch eine PEG daran, in eine friedvolle Sterbephase eintreten<br />

zu können. Eine PEG sei in diesen Fällen nicht ratsam (Klaus Krämer - Arzt).<br />

In Situationen vom Typ <strong>der</strong> unklaren Diagnosen herrscht Uneinigkeit über den tatsächlichen<br />

Nutzen. So gibt es Stimmen, die gerade bei Vorliegen <strong>einer</strong> Demenz <strong>der</strong> PEG einen geringen<br />

Nutzen zuordnen, an<strong>der</strong>e Ärzte for<strong>der</strong>n eine realistische Einschätzung <strong>der</strong> Möglichkeiten<br />

<strong>einer</strong> PEG. Zum einen sei zu bedenken, dass <strong>der</strong> Stellenwert <strong>der</strong> PEG in Bezug zu Kosten<br />

und Aufwand im Vergleich mit an<strong>der</strong>en invasiven Maßnahmen als gering einzuschätzen sei.<br />

„das ist ja ein Unterschied o<strong>der</strong> ob man ihm jetzt alle möglichen, ich sage mal sonstigen Dinge<br />

noch angedeihen lässt, was weiß ich, mal Herzkatheter und all solche Sachen, das ist für mich ein<br />

Unterschied o<strong>der</strong> ob man eben nur eine ausreichende Ernährung garantiert.“ (Sigrid Kreuzer - Ärztin)<br />

Zum an<strong>der</strong>en seien we<strong>der</strong> Wun<strong>der</strong> in Form eines “Jungbrunnens“ durch die PEG zu erwarten,<br />

noch ein Muskelaufbau o<strong>der</strong> eine dauerhafte Verbesserung <strong>der</strong> kognitiven Funktionen,<br />

son<strong>der</strong>n lediglich ein Ausgleich <strong>einer</strong> Krankheitssymptomatik mit Hilfe <strong>der</strong> Zufuhr von Nährstoffen.<br />

„damit kann man natürlich klar die Kalorienzufuhr und die Eiweiß und alles ein bisschen bessern<br />

aber die Fehlernährung ist ja Folge <strong>der</strong> Krankheit und nicht Ursache.“ (Sabine Murnau - Ärztin).<br />

Eine Ärztin findet es sinnvoll sich lediglich auf die Mangelernährung zu konzentrieren und<br />

diese auszugleichen:<br />

„weil wir haben doch auch viele Patienten, die im schlechten Zustand waren und dann mit so <strong>einer</strong><br />

Sonde da muss man oft ja sehen, dass man sogar, dass die richtig deutlich dicker werden wie<strong>der</strong>,<br />

das die richtig zunehmen, manchmal muss man dann auch die Kost ein bisschen runter fahren,<br />

dass es zu viel ist kalorisch einfach und dass man damit eigentlich eine ganz guten Zustand hat,<br />

natürlich sind die weiterhin dement, aber doch eigentlich in einem gut gepflegten, gut ernährtem<br />

Zustand und das finde ich ist dann eigentlich auch, dann hat man auch was erreicht, ob die des-<br />

113


wegen länger leben, das kann ich ihnen auch nicht sagen, aber sie sterben dann zumindest nicht<br />

daran“ (Sigrid Kreuzer - Ärztin).<br />

Wie<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e schil<strong>der</strong>n Situationen, in denen das Ernährungsdefizit gut behandelbar war,<br />

für den Patienten <strong>der</strong> Benefit im zeitlichen Verlauf fraglich bleibt, wie zwei Ärzte bemerken:<br />

„Natürlich erholt sich jemand primär wie<strong>der</strong>. Die ersten vier-sechs Wochen geht’s den Leuten dann<br />

besser, wenn die bisschen zunehmen, aber dann..... dass die dann wirklich wie<strong>der</strong> aufstehen und<br />

loslaufen o<strong>der</strong> cerebral deutlich besser werden, weil die jetzt besser ernährt sind.... das kann ich<br />

nicht so jetzt nachvollziehen“ (Sabine Murnau - Ärztin)<br />

„das ist ja manchmal paradox, die haben dann manchmal eine PEG-Sonde und werden dicker und<br />

dicker, die mästen ja auch unheimlich und sterben natürlich nicht, weil die, die, die leben, leben da<br />

vor sich hin, aber gucken nach rechts oben und wissen nicht was passiert“ (Sören Wißling - Arzt).<br />

Auch müsse man bedenken, dass eine PEG nicht so komplikationsarm sei, wie oftmals angenommen,<br />

es käme nicht selten zu Durchfällen o<strong>der</strong> Reflux von applizierter Nahrung bis hin<br />

<strong>zur</strong> Aspiration, die man ja eigentlich verhin<strong>der</strong>n wolle, das sei für die Patienten nicht immer<br />

angenehm und bedeute außerdem eine Min<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Lebensqualität (Klaus Krämer - Arzt).<br />

Pflegende berichten auch davon, dass sich die Einstichstellen entzünden o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Schlauch<br />

porös würde, so dass eine Neuanlage inklusive Krankenhausaufenthalt nötig würde (Gudrun<br />

Kohlmann - Pflegende, Ines Junkers - Pflegende). Eine an<strong>der</strong>e Pflegende berichtet davon,<br />

dass die PEG gerade für die Bewohner mit <strong>einer</strong> Demenz ein Störfaktor sein kann. Der liegende<br />

Schlauch könne einen Reflex auslösen daran zu greifen, zu fummeln o<strong>der</strong> sich diesen<br />

wie<strong>der</strong> herauszuziehen. Das birge auch Gefahren, z. B. sich zu verletzen. Beobachtet worden<br />

waren Situationen, in denen sich die Bewohner die Sondenkost samt Infusionsstän<strong>der</strong><br />

ins Bett gerissen hätten, weil sie den Gegenstand als solchen nicht erkannt hätten (Kati<br />

Nimwegen - Pflegende). Eine Pflegende schil<strong>der</strong>t, dass man bei unruhigen Menschen mitunter<br />

die Hände o<strong>der</strong> die Person fixieren müsste, damit die Sondenkost appliziert werden<br />

könne. Das sei eine deutliche Einschränkung <strong>der</strong> Lebensqualität. Der medizinische Nutzen<br />

müsse hier einwandfrei nachgewiesen werden (Jutta Vorsig - Pflegende).<br />

Aspekte <strong>der</strong> Lebensqualität<br />

Lebensqualität stellt einen bedeutenden Parameter in den <strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong>n <strong>zur</strong> <strong>Anlage</strong><br />

<strong>einer</strong> PEG dar. Ein Arzt bezieht hier deutlich Stellung und sagt:<br />

„<strong>der</strong> einzige Nutzen, <strong>der</strong> für mich wirklich Nutzen wäre, wäre, wenn ich einem Menschen durch<br />

eine Maßnahme eine höhere Lebensqualität verschaffen würde“ (Niklas Seifert - Arzt).<br />

Ein wesentlicher Aspekt, <strong>der</strong> für die Befragten mit Lebensqualität des Patienten verbunden<br />

ist, ist die Teilhabe und <strong>der</strong> Grad <strong>der</strong> Einbezogenheit in das soziale Leben sowie die Fähigkeit<br />

aktiv am Leben teilzunehmen, über das eigene Leben verfügen und entscheiden zu können.<br />

Teilhabe kann bedeuten einfach die Umgebung wahrzunehmen.<br />

„Teilnahme, Teilnahme, so, (...) an allem, an Krach, an Leben, ob er sich aufregt o<strong>der</strong> sich nicht<br />

aufregt, also, wenn ich Regungen sehe, Emotionen sehe o<strong>der</strong> erkennen kann, auch wenn er nicht<br />

sprechen kann, Augen, ja, wie er mit den Augen spricht, wie er teilnimmt“ (Martina Reger - Pflegende).<br />

Teilhabe bedeute auch auf Gerüche zu reagieren, den Duft von Apfelkuchen zu reichen, Appetit<br />

zu verspüren, einen warmen Tee zu trinken o<strong>der</strong> gemeinsam Mahlzeiten einzunehmen.<br />

Essen bedeute genießen können und sei gleichbedeutend mit Lebensqualität (Gudrun<br />

Kohlmann - Pflegende).<br />

114


„Es ist halt, was, was ist Lebensqualität, in wieweit kann ich die messen, wie empfindet <strong>der</strong><br />

Mensch, <strong>der</strong> da liegt, diese Lebensqualität.(.) Also <strong>der</strong> bekommt was mit, <strong>der</strong> kann am Leben teilhaben,<br />

sprich Augenkontakt, Körperkontakt, Berührungen, ne, die die, die Angebote die wir ja auch<br />

haben ne, durch basale Stimulation, Ausstreichung und diese ganzen Sachen, also in Ruhe auf<br />

diesen Menschen eingehen und <strong>der</strong> <strong>der</strong> PEG zu verdanke hat, da ist jemand bei mir, da habe ich<br />

den Kontakt und kann mich vielleicht nicht äußern, aber da ist einfach jemand bei mir“ (Karin Kridow<br />

- Pflegende)<br />

Teilhabe bezieht sich auch auf den jeweiligen familiären Kontext, in dem die Entscheidung<br />

stattfindet und kann sowohl als Verstärker für als auch gegen die <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG gerichtet<br />

sein. Scheint Teilhabe ein erreichbares Ziel in Form von Stabilisierung o<strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>erlangung<br />

des gesundheitlichen Status durch den Einsatz <strong>einer</strong> PEG, ist dies ein unterstützen<strong>der</strong> Faktor<br />

für die PEG.<br />

„wissen Sie, wenn Sie alleine sehen, dass solche Leute mit einem definierten Ende vielleicht ein<br />

halbes bis ein Jahr, wenn die nach einem viertel Jahr vielleicht draußen sind, nicht wahr mitgehen<br />

können in den Aufenthaltsraum, vor dem Fernseher einschlafen wie die an<strong>der</strong>en und aus m Bett,<br />

das finde ich ne tolle Sache, das finde ich ein tolles Erlebnis und ich freue mich auch, wenn meine<br />

Oma da sitzt auf <strong>der</strong> Bettkante und sacht: hallo Herr Doktor, das finde ich toll, wenn ich das damit<br />

erreicht hab, habe ich ganz viel gemacht,“ (Ingo Klare - Arzt)<br />

„Aber ich habe genug Beispiele, hier erlebt, wo wir einfach dann gemerkt haben, bemerkt haben,<br />

dass nach ein paar Monaten sich <strong>der</strong> Zustand verän<strong>der</strong>t hat weil, nämlich die Versorgung mit Flüssigkeit,<br />

mit Nahrung, mit Medikamenten auf einem ganz an<strong>der</strong>en Wege dazu beigetragen hat, dass<br />

<strong>der</strong> Mensch allgemein sich verbessert hat, also <strong>der</strong> Zustand und angefangen hat selbstständig zu<br />

essen. Und da war praktisch noch später die PEG, die Sonde dafür da, dass man ihm Flüssigkeit<br />

dann einfach verabreicht hat. Wenn er einen schlechten Tag hatte. (..) also ich sehe das nicht als<br />

längeres, verlängernde Maßnahme, ich sehe das in erster Linie als Möglichkeit zum besser leben“<br />

(Max Toschik - Pflegen<strong>der</strong>).<br />

Die Perspektive <strong>der</strong> Angehörigen und Familien und das, was für sie Lebensqualität bedeuten<br />

kann, ihre Gefühle und Möglichkeiten selbst aktiv an <strong>einer</strong> Besserung <strong>der</strong> Lebensqualität<br />

mitarbeiten zu können, kann bei <strong>der</strong> Entscheidung mitgedacht werden.<br />

„also Lebensqualität würde ich in dem Sinne ja nicht nur einseitig sehen, son<strong>der</strong>n schon auch so<br />

ein bisschen die Angehörigen sehen, wie leiden die, wenn sie sehen, wie die Mutter o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Vater<br />

stirbt“ (Rainer Braun - Arzt)<br />

Ein Verbleiben in <strong>der</strong> häuslichen Situation besitzt eine hohe Wertigkeit in <strong>der</strong> Beurteilung und<br />

Ermöglichung von Lebensqualität, denn:<br />

„häuslicher Bereich ist für mich gleich Lebensqualität, ist gleich besser als sonst“. (Ingo Klare -<br />

Arzt)<br />

Aspekte von Normalität und gemeinsam gelebtem Alltag unter Erhalt gewachsener Beziehungsstrukturen<br />

bilden dafür eine Grundlage, wenn ein Arzt den Angehörigen ermöglicht<br />

"das selbstgemachte Süppchen“ durch die PEG zu geben und damit selbst am Leben ihres<br />

Angehörigen „teilhaben“ und „mit Sorge tragen“ (Ingo Klare - Arzt) zu können.<br />

Lebensqualität ist deutlich positiv konnotiert. Im Gegenzug dazu bedeutet keine Lebensqualität<br />

für den Betroffenen aus ärztlicher Sicht, wenn es nicht möglich ist mithilfe medizinisch<br />

therapeutischer Maßnahmen, und in diesem Fall mittels PEG, diese Teilhabe wie<strong>der</strong> herstellen<br />

zu können, möglicherweise damit einen „Zustand zu stabilisieren, den man gar nicht<br />

stabilisieren möchte“ (Sabine Murnau - Ärztin) o<strong>der</strong> schlimmstenfalls durch die Behandlung<br />

Schmerzen, Leiden o<strong>der</strong> Siechtum unnötig zu verlängern.<br />

115


„Wenn man da hin kommt und man ist kaum noch weckbar und nur, reagiert nur auf Schmerzreize,<br />

das ist ja keine Lebensqualität“ (Niklas Seifert - Arzt)<br />

In diesem Fall bedeutet Lebensqualität eine gute Sterbephase erleben zu können und keine<br />

unnötigen Schmerzen o<strong>der</strong> Qualen erleiden zu müssen. Lebensqualität fungiert in den<br />

meisten Schil<strong>der</strong>ungen als hemmen<strong>der</strong> Faktor für die PEG. In einem Fall jedoch berichten<br />

Pflegende von <strong>einer</strong> positiven Entwicklung durch <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG, obwohl eine palliative<br />

Situation vorlag. Sie bewerteten dies als Steigerung <strong>der</strong> Lebensqualität.<br />

„Aber wir möchten, dass <strong>der</strong> Tagesbedarf gedeckt ist. Die die Lagerung war einfacher, das Gesicht<br />

war nicht mehr schmerzverzehrt und sie ist dann so zwei Monate später ganz toll friedlich eingeschlafen.<br />

(..) Und die Angehörigen konnten viel besser begleiten(..). Und konnten richtig loslassen.<br />

Und waren zufrieden.“ (Erika Weiße - Pflegende).<br />

Lebensqualität bleibt ein weicher, subjektiver Parameter <strong>zur</strong> Einschätzung eines sinnhaften<br />

Einsatzes <strong>einer</strong> PEG und ist für die Behandelnden und Betreuenden nicht immer einfach zu<br />

beurteilen. Ein Arzt sagt in Bezug auf die Lebensqualität: „wie man die dann misst, muss<br />

man sich drüber unterhalten,“ (Niklas Seifert - Arzt). Beson<strong>der</strong>s problematisch ist die Einschätzung<br />

<strong>der</strong> Lebensqualität bei Menschen, die nur eingeschränkt kommunizieren können<br />

z. B. durch eine Aphasie o<strong>der</strong> zum Zeitpunkt <strong>der</strong> Entscheidung nicht einwilligungsfähig sind,<br />

„weil wir eben Lebensqualität bei Leuten, die sich nicht selber äußern können, auch nicht<br />

messen können.“ (Sabine Murnau - Ärztin). Der Aspekt <strong>der</strong> Fremdeinschätzung durch Dritte<br />

erschwert diese Unsicherheit.<br />

Lebensqualität versus Lebenserwartung<br />

Lebensqualität wird häufig in Abgrenzung <strong>zur</strong> Lebenserwartung o<strong>der</strong> <strong>einer</strong> Verlängerung <strong>der</strong><br />

Lebenszeit diskutiert.<br />

„wenn ich aber da nur Leiden verlänger, und <strong>der</strong> evtl. ne Woche länger lebt, aber da nur hinvegetiert,<br />

dann sollte man´s nicht tun“ (Bernhard Beinbühl - Arzt)<br />

Dabei konkurriert die Quantität, dem mehr an Lebenszeit mit <strong>der</strong> Qualität, dem „Wie“ <strong>der</strong><br />

verbleibenden Zeit als antizipierte Konsequenz <strong>der</strong> Behandlung.<br />

„mit k<strong>einer</strong> PEG verlängern Sie das Leben, sie verbessern nur die Lebensqualität o<strong>der</strong> sie ist sinnlos“<br />

(Ingo Klare - Arzt).<br />

„natürlich kann ein Patient dann länger leben, aber es wäre ja falsch zu denken, wenn man ihm<br />

das jetzt vorenthält, dann hat er ja im Grunde einen Mangel.“(Sigrid Kreuzer - Ärztin).<br />

Ähnlich <strong>der</strong> Lebensqualität lässt sich nach Angaben <strong>der</strong> Befragten die Lebenswartung nur<br />

selten präzise vorhersagen. So gibt es Situationen, in denen es sich die Lebenserwartung<br />

relativ eindeutig bestimmen lässt, und Situationen, die eine Prognose nicht zulassen. Ein<br />

Arzt antwortet auf die Frage nach <strong>der</strong> Einschätzbarkeit <strong>der</strong> Lebenserwartung:<br />

„Also bei Krebserkrankungen ist es ja schon schwierig, aber immerhin so absehbar, dass man<br />

sagt, na ja, PEG muss jetzt nicht, bei Demenzerkrankungen also praktisch unmöglich.“ (Niklas<br />

Seifert - Arzt)<br />

„Keine Ahnung, wie soll ich so was feststellen, wenn jemand präfinal ist, das sehe ich natürlich, das<br />

ist ja keine ( ) ist klar, aber, aber wenn jemand, ob jemand noch vier Wochen lebt o<strong>der</strong> fünf o<strong>der</strong><br />

acht, keine Ahnung ( ) gibt es da irgendwelche, ich kenne sie nicht.“ (Sören Wißling - Arzt)<br />

„Es gibt einzelne Situationen, wo man es vielleicht einschätzen kann, aber Karzinom-Patienten<br />

o<strong>der</strong> so was. Aber in den Senioren, die halt regelmäßig immer weniger werden in An-<br />

116


führungsstrichen kann man nicht sagen vier Wochen, acht Wochen, vier Monate. Das geht<br />

nicht“. (Sabine Murnau - Ärztin)<br />

Alter ist ein Einflussfaktor <strong>der</strong> Lebenserwartung. Für die Entscheidung spielt das Alter in<br />

Verbindung mit dem Allgemeinzustand eine Rolle. Je älter und je schlechter <strong>der</strong> Allgemeinzustand,<br />

desto weniger wird eine PEG als sinnvoll erachtet. Eine Pflegende äußert sich:<br />

„ich sag mal so, für diese Frau würde ich jetzt nicht unbedingt mit 99 Jahren empfehlen noch eine<br />

PEG anzulegen, weil vielleicht jetzt in einem halben Jahr o<strong>der</strong> in einem Jahr, ist das nicht schlimm,<br />

dann macht man vielleicht ein bisschen mehr Flüssigkeit, noch vielleicht eine Sondenkost, dann<br />

isst sie, das ist für sie dann weniger Stress, aber mit 99 weiß ich ja, soviel Jahre lang habe ich natürlich<br />

nicht mehr viel zu leben, was soll da jetzt mit nach 99 noch viel kommen“ (Verena Meißner -<br />

Pflegende).<br />

Ist die Lebenserwartung deutlich eingeschränkt und lässt sich eine Prognose relativ eindeutig<br />

auf eine absehbare Zeiteinheit begrenzen, spricht dies eher gegen eine PEG. Ist die Lebenswartung<br />

nicht einschätzbar, spricht dies eher für eine <strong>Anlage</strong>.<br />

„da sind wir uns ganz einig, nur wenn Sie das Ende nicht absehen können o<strong>der</strong> es Zeiträume sind<br />

<strong>der</strong> möglicherweise im häuslichen Bereich ein Verbleiben möglich macht und häuslicher Bereich ist<br />

für mich gleich Lebensqualität, ist gleich besser als sonst, dann würde ich sagen, sollte man es<br />

machen“ (Ingo Klare - Arzt)<br />

„Also, wenn man jetzt weiß, da ist ein Mensch, <strong>der</strong> lebt maximal noch zwei Wochen, dann braucht<br />

man nicht unbedingt noch eine PEG legen. Aber wenn man denkt, das geht jetzt noch ein halbes<br />

Jahr, das geht noch ein Jahr, und wir legen dem jeden Abend da ne Infusion, da finde ich da sollte<br />

man sagen, okay da ist es mit <strong>einer</strong> PEG besser. Es ist auch menschlicher und weniger Komplikationen“<br />

(Irmgard Buschmühler).<br />

Überlegungen dieser Art sind ethischer Natur. Die Beteiligten stellen Fragen nach dem Sinn<br />

<strong>einer</strong> Behandlung und dem Recht auf Entscheidung über Leben und Tod. Die Fragen bleiben<br />

offen, eine Antwort bleibt aus.<br />

„ob das wirklich so schön ist, ob das menschenwürdig ist ( ) die große Frage, was soll man tun. Ist<br />

das, soll man sie einfach sterben lassen, darf man das, darf man das nicht?“ (Sören Wißling - Arzt)<br />

„und ich würde mir von keinem Menschen vorschreiben lassen, wenn es mich selber beträfe, dass<br />

<strong>einer</strong> vor mir steht, Schwester Hiltrud sagt, <strong>der</strong> braucht das nicht mehr, <strong>der</strong> wird nichts mehr, wir<br />

sehen gerade in den Verläufen bei Apoplexen o<strong>der</strong> so etwas, nicht wahr, sehen wir einfach wieviel<br />

die Leute nach einem Zeitraum von sechs acht Wochen o<strong>der</strong> einem Viertel Jahr plötzlich wie<strong>der</strong> an<br />

Lebensqualität und Aktivitäten haben, ja, habe ich ein Recht das abzuwürgen? O<strong>der</strong> ist das einfach<br />

nur gesellschaftspolitisch gesehen, ein sozialverträgliches Absterben, nicht wahr, dass müssen<br />

dann an<strong>der</strong>e sagen und nicht wir“ (Ingo Klare - Arzt)<br />

„also wenn ich sage keine, dann habe ich definitiv bestimmt, sie stirbt, und mit PEG habe ich die<br />

Entscheidung nicht getroffen, dann übernimmt sie <strong>der</strong> liebe Gott“ (Martina Reger - Pflegende).<br />

(Mutmaßlicher) Patientenwille<br />

Der Patientenwille gehört ebenfalls zu den zentralen Parametern im <strong>Entscheidungs</strong>prozess<br />

<strong>zur</strong> PEG. Ist es möglich den Willen desjenigen zu erkunden, <strong>der</strong> die PEG erhalten soll, dann<br />

hat diese Entscheidung Priorität. Häufig ist es jedoch so, dass die Betroffenen zu <strong>einer</strong> klaren<br />

Stellungnahme nicht mehr in <strong>der</strong> Lage sind, was in Bezug <strong>zur</strong> Eruierung des Willens<br />

Probleme und Hürden aufwirft, die es zu überwinden gilt.<br />

Zur Ermittlung des Patientenwillens unterscheiden die Befragten zwischen einem mündlich<br />

geäußerten Willen o<strong>der</strong> in Form eines schriftlichen Dokuments z. B. eine Patientenverfügung<br />

o<strong>der</strong> ein Testament.<br />

117


„Ja, also mein, ein Hauptkriterium für mich wäre die Frage, würde dieser Mensch, wenn er denn<br />

selber über sich entscheiden dürfte, würde er es wollen. Eine ganz zentrale Frage. Die stelle ich<br />

auch den Angehörigen immer, sind sie denn <strong>der</strong> Meinung, dass ihr Großvater, Vater, Tante, Onkel<br />

wenn er jetzt wach wäre, das wirklich wollte. Das ist mein Hauptkriterium, wenn jemand sich nicht<br />

mehr selbst bestimmt entscheiden kann für o<strong>der</strong> gegen etwas, dann versuche ich seinen vermeintlichen<br />

Willen, aber das ist sehr weich, dann sagen, wenn ich dann Angehörige habe und die sagen<br />

mir, das hätte Onkel Fritz aber wirklich nicht gewollt, dann ist für mich die Sache eigentlich klar,<br />

dann will er das halt nicht und dann werde ich auch versuchen trotz BMI o<strong>der</strong> alles, es zu vermeiden<br />

und wenn die sagen, also <strong>der</strong> war immer <strong>der</strong> Meinung Hun<strong>der</strong>tprozent und alles muss und<br />

kann und soll, dann eben doch. Also da würde ich meine persönliche Sicht <strong>der</strong> Dinge dem auf jeden<br />

Fall unterordnen wollen. Also das wäre so ein Kriterium“ (Niklas Seifert - Arzt).<br />

Ist es nicht möglich, den Willen des Betroffenen zu eruieren, geht es um die Erfassung eines<br />

mutmaßlichen Willens und die Entscheidung durch einen Stellvertreter. In erster Linie übernehmen<br />

Angehörige diese Funktion, stehen diese nicht <strong>zur</strong> Verfügung werden Berufsbetreuer<br />

für diese Aufgabe herangezogen (siehe Akteure im <strong>Entscheidungs</strong>prozess).<br />

Aus den Interviews mit den Pflegenden erscheint die <strong>Entscheidungs</strong>findung im Zusammenhang<br />

mit <strong>einer</strong> Demenz als beson<strong>der</strong>s problematisch hinsichtlich <strong>der</strong> Ermittlung des mutmaßlichen<br />

Willens. Die Bedeutung von Mimik und Gestik bei Menschen, <strong>der</strong>en Willen nur<br />

eingeschränkt o<strong>der</strong> gar nicht ermittelbar ist, wird verschiedentlich beurteilt. Zum einen vermuten<br />

einige <strong>der</strong> Befragten, dass hinter <strong>einer</strong> Ablehnung <strong>der</strong> Nahrung, also nicht mehr essen<br />

und trinken wollen (s.o.) und mit dem Leben abschließen wollen ein Zusammenhang besteht.<br />

„gut, ich denke mal wenn jemand, wenn jemand nicht mehr essen möchte und sie haben eigentlich<br />

da doch den Eindruck sie gucken da noch in etwas wachere Augen und <strong>der</strong> Mund wird zugekniffen<br />

und es wird vielleicht auch die Hand die etwas anreicht wegge (unverständlich), ist die Sache<br />

für mich ziemlich eindeutig, da will jemand nicht mehr“ (Sigrid Kreuzer - Ärztin).<br />

Die gleiche Ärztin hält es im Falle <strong>einer</strong> vorliegenden Demenz für schwierig einen Rückschluss<br />

auf den tatsächlichen Willen zu ziehen, „Ist schwierig, kann ich auch jetzt mal nicht<br />

so sagen,“ (Sigrid Kreuzer - Ärztin), da an<strong>der</strong>e Gründe für eine solche Verhaltensweise nicht<br />

auszuschließen sind, z. B. Schmerzen beim Kauen, die Antipathie mit <strong>der</strong> nahrungsanreichenden<br />

Person o<strong>der</strong> eine bloße situative Verstimmung. Eine Pflegende sagt diesbezüglich:<br />

„Lippen zukneifen ist eine Aussage, aber warum, das ist ja die Frage, keine Lust, keinen Appetit,<br />

einfach vergessen“, nicht immer könne man auf ein Nicht-Mehr-Leben-Wollen schließen<br />

(Ines Junkers - Pflegende).<br />

Die Frage nach dem Lebenswillen ist ein zentraler Aspekt im <strong>Entscheidungs</strong>prozess, <strong>der</strong> die<br />

therapeutische Zielorientierung lenkt. Auf die Frage, wie denn dieser Lebenswille herausgefunden<br />

werden kann, wenn die entsprechende Person sich hierzu nicht mehr äußern kann,<br />

sagen die Pflegenden:<br />

118<br />

„und ich merke, da glimmt es aber. Also hinter diesem gar nicht wollen, aber doch dieses Stück, ja<br />

ich, ich, ich stabilisiere mich, war sehr schwach <strong>der</strong> Mann und da merke ich, da kommt so ein bisschen,<br />

da kommen die Ressourcen. Da ist Kraft hinter und in dieser Kraft ist auch <strong>der</strong> Lebenswille“<br />

(Karin Kridow - Pflegende)<br />

„Wenn jetzt jemand wirklich nicht mehr möchte, das merken wir schon, dass da überhaupt keine<br />

Kooperationsbereitschaft mehr ist. Wir werden weggedrückt, ich sag mal <strong>der</strong> Mund wird ganz bewusst<br />

zu gemacht und da können Sie auch mit <strong>zur</strong>eden nicht mehr arbeiten. Und dann ist das egal,<br />

ob das die Pflegefachkraft macht o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Angehörige. Da ist so ein Abschalten, <strong>der</strong> Glanz ist aus<br />

den Augen“ (Erika Weiße - Pflegende)


Ein Arzt möchte sich auf die Interpretation nonverbaler Äußerungen nicht einlassen, wenn er<br />

sagt:<br />

„also jetzt erstmal <strong>zur</strong> Demenz, Demenz ist ja ne Frage, wenn ich eine Abwehrung eines Dementen<br />

als Willensäußerung werte, kriege ich persönliche Schwierigkeiten,(...) ganz einfach aus dem<br />

Grunde, weil primär bei jedem Dementen erstmal eine Abwehrreaktion auf alles, was an<strong>der</strong>s als<br />

das, was er im Umfeld hat, ja den können Sie nicht motivieren, können nicht klarmachen, dass eine<br />

sinnvolle Therapie vor ihm steht, (Ingo Klare - Arzt)<br />

Offensiv versus Defensiv<br />

Weitere Einflussfaktoren, die sich auf die <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG auswirken beziehen sich auf den<br />

Zeitpunkt <strong>der</strong> <strong>Anlage</strong> und <strong>einer</strong> dahinterstehenden offensiven und eine defensiveren Haltung<br />

<strong>zur</strong> Vorgehensweise. Einige <strong>der</strong> Befragten bemängeln, dass die PEG mit zu vielen negativen<br />

Assoziationen behaftet sei und oftmals viel zu spät eingesetzt würde.<br />

„was mich bedrückt, ist, dass die meisten Patienten das zu spät angeboten bekommen“ (Ingo Klare<br />

- Arzt)<br />

Gefor<strong>der</strong>t wird sowohl ein Abbau <strong>der</strong> Ängste und Vorurteile als auch ein offensiverer Umgang<br />

mit <strong>der</strong> <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG als hilfreiche und unterstützende Methode <strong>zur</strong> Nahrungsergänzung.<br />

Eine Nichtanlage wird als „Versäumnis“ (Sigrid Kreuzer - Ärztin) interpretiert, zu<br />

dem man kein Recht hätte und dem Patienten Schaden zufügen könne. Ein Umdenken sei<br />

vor allem in präventiven, onkologischen Zusammenhängen dringend erfor<strong>der</strong>lich, um Schaden<br />

vom Patienten durch die voraussehbaren Folgen <strong>einer</strong> Chemotherapie o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />

invasiven Maßnahmen, wie Operationen im Vorhinein abwenden zu können und wie<strong>der</strong>holte<br />

Arztbesuche und stationäre Einweisungen unnötig zu machen.<br />

Gründe für eine Zurückhaltung <strong>einer</strong> Indikationsstellung lägen vor allem darin, dass alle noch<br />

die Idee hätten, die PEG sei etwas Furchtbares und könne in <strong>der</strong> terminalen Lebensphase<br />

vielleicht hilfreich sein, wenn man nicht mehr schlucken und essen könne. Das sei jedoch<br />

etwas ganz an<strong>der</strong>es (Ingo Klare - Arzt).<br />

Ein an<strong>der</strong>er Arzt sieht das Problem für einen zögerlichen Umgang mit <strong>der</strong> PEG in <strong>der</strong> Zusammenarbeit<br />

ärztlicher Kollegen an<strong>der</strong>er Fachdisziplinen und führt die Ablehnung auf ein<br />

Nichtwissen und eine gewollte Verlagerung <strong>der</strong> Arbeit <strong>zur</strong>ück. Er sagt:<br />

„es gibt in <strong>der</strong> Onkologie eindeutige Indikationen zu PEG, die lei<strong>der</strong> von den Leuten, die sie kennen<br />

müssten, nicht gesehen werden, insbeson<strong>der</strong>e den Chirurgen, o<strong>der</strong> den diagnostizierenden Internisten,<br />

also ein Ösöphagus-Ca sollte vor Behandlung grundsätzlich mit ner PEG versorgt werden,<br />

passiert vielleicht in zehn Prozent er Fälle, weil man sagt, dem geht´s ja noch gut, und <strong>der</strong> Gewichtsverlust,<br />

<strong>der</strong> war ja gar nicht so schlimm und das ist ja gar nicht so schlimm und das wird<br />

schon gehen, und dann ist <strong>der</strong> ja woan<strong>der</strong>s und dann sollen die sich da mal drum kümmern.“<br />

(Bernhard Beinbühl - Arzt).<br />

Auch eine Pflegekraft wünscht sich eine <strong>Anlage</strong> „bei Zeiten“ damit Folgeschäden vermieden<br />

werden können (Irmgard Buschmühler - Pflegende). Eine an<strong>der</strong>e Pflegekraft betont: „wenn<br />

es nach mir ginge wären es mehr Bewohner mit <strong>einer</strong> PEG-<strong>Anlage</strong>, aber ich entscheide<br />

nicht“ (Ines Junkers - Pflegende).<br />

Ein Arzt warnt jedoch vor <strong>einer</strong> unkritischen frühzeitigen PEG-<strong>Anlage</strong> und merkt kritisch an:<br />

„was heißt früh legen, wenn ich jetzt anfange mit einem BMI von einundzwanzig, dann haben<br />

ich ja eine halbe Bundesrepublik hinterher mit <strong>der</strong> PEG da rumflitzen, das ist doch quatsch“.<br />

(Niklas Seifert – Arzt)<br />

119


Eine defensive Haltung wird vor allem in palliativen Situationen eingenommen. Hier erscheint<br />

die PEG-<strong>Anlage</strong> am Ende <strong>einer</strong> langen Kette von Maßnahmen, um z. B. Fehlernährung o<strong>der</strong><br />

Mangelzustände zu kompensieren. Ihr Einsatz erfolgt zögerlich und in <strong>der</strong> Regel wohlüberlegt.<br />

Ein Arzt beschreibt seine Position folgen<strong>der</strong>maßen:<br />

„Also das unkritische Legen ist meines Erachtens viel riskanter als vielleicht mal ein, ja was heißt<br />

zu spät, ein spätes Legen“ (Niklas Seifert - Arzt).<br />

Hintergrund <strong>einer</strong> solchen zögerlichen Haltung gegenüber <strong>der</strong> <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG ist die Erfahrung,<br />

dass man „durch Legen <strong>einer</strong> PEG eben viele Menschen in ihrem letzten Lebensabschnitt<br />

in eine Situation hinein zwingt, die k<strong>einer</strong> wollte“ (Niklas Seifert - Arzt) Auch hier ist<br />

vorausschauendes, prophylaktisches Denken erfor<strong>der</strong>lich, führt jedoch zum umgekehrten<br />

Schluss, dem abwartenden Umgang mit <strong>einer</strong> PEG-<strong>Anlage</strong>.<br />

„solange <strong>der</strong> ausreichend schlucken kann, bei einem reinen terminalen Tumorstadium würde ich<br />

die Indikation bei <strong>einer</strong> Schluckfähigkeit, würde ich die also sehr differenziert und sehr <strong>zur</strong>ückhaltend<br />

sehen“ (Ingo Klare - Arzt)<br />

Eine Pflegende merkt an: „wann ist früh genug (..), wo ist <strong>der</strong> richtige Moment, das sagt einem<br />

k<strong>einer</strong>“ (Gudrun Kohlmann - Pflegende).<br />

„das ist eine Vermischung, das ist wirklich eine hochindividuelle Geschichte, also das wird wohl<br />

beides richtig sein, dass wir oft viel zu spät handeln, und manchmal, dass es einfach unsinnig war“<br />

(Meike Saalfeld - Pflegende)<br />

Einsatz von Instrumenten <strong>zur</strong> <strong>Entscheidungs</strong>findung<br />

Zur Ermittlung eines Handlungsbedarfs werden verschiedene Parameter erhoben, die im<br />

Vorfeld <strong>der</strong> Entscheidung unterstützend genutzt werden. Auch hier handelt es sich eher um<br />

beispielhafte, denn um eine vollständige Beschreibung möglicher Erhebungsparameter, da<br />

dieses Themengebiet in den Interviews sehr unterschiedlich stark angesprochen wurde. Die<br />

klinische Beobachtung, das Messen von Größe und Gewicht und die Dokumentation <strong>der</strong><br />

Trink- und Essmengen dienen primär <strong>der</strong> Einschätzung des Ernährungszustandes und <strong>der</strong><br />

Ermittlung <strong>einer</strong> Mangelernährung. Sie sind nur indirekt als Instrumente <strong>der</strong> <strong>Entscheidungs</strong>findung<br />

zu bewerten. Eine Patientenverfügung o<strong>der</strong> <strong>Entscheidungs</strong>hilfen hingegen sind eigens<br />

<strong>zur</strong> Erleichterung <strong>einer</strong> Entscheidung für o<strong>der</strong> gegen z. B. eine PEG ausgelegt.<br />

Klinische Beobachtung des Bewohners/Patienten<br />

Die Beobachtung ist das erste Instrument <strong>zur</strong> Erkennung von Verän<strong>der</strong>ungen. Im Alltag<br />

kommt den betreuenden Personen mit direktem Kontakt eine große Bedeutung zu (vgl. Akteure<br />

im <strong>Entscheidungs</strong>prozess). Pflegende kennen den Bewohner oft über Jahre und nennen<br />

Aspekte, die in diesem Zusammenhang beson<strong>der</strong>e Aufmerksamkeit erhalten. So müsse<br />

genau geschaut werden, welche Ursache z. B <strong>einer</strong> Gewichtsabnahme o<strong>der</strong> <strong>einer</strong> Appetitlosigkeit<br />

zugrunde lägen.<br />

„auch die Befindlichkeit, war die traurig, hatte die ein Erlebnis, wie war <strong>der</strong> Vormittag? Hatte die<br />

eine schlechte Nacht? Wie ist die in den Tag gekommen und Punkt Mahlzeiten, essen, trinken ist<br />

ganz schwierig“ (Karin Kridow - Pflegende).<br />

Dazu müsse auch <strong>der</strong> Mund- und Zahnstatus genau geprüft werden, um auszuschließen,<br />

dass Druckstellen für ein Nicht essen wollen verantwortlich gemacht werden kann. Zusätzlich<br />

müsse darauf geachtet werden, ob und inwiefern sich die Essgewohnheiten verän<strong>der</strong>t hätten<br />

(Kati Nimwegen - Pflegende, vgl. Unterstützen oraler Nahrungszufuhr).<br />

120


Auch den Ärzten ist eine kontinuierliche Patientenbeobachtung wichtig. Regelmäßige Patientenkontakte<br />

in Form von Hausbesuchen, Praxisterminen o<strong>der</strong> wöchentlichen Visiten in den<br />

Einrichtungen dienen <strong>der</strong> Meinungsbildung und dem klinischen Urteil.<br />

„Ich fahre ja... wenn das jetzt meine Patienten sind fahre ich ja regelmäßig hin und da gucke ich<br />

halt, was die wiegen“ (Sabine Murnau - Ärztin).<br />

“Ich mache jede Woche Visite, jeden Mittwoch, in dem Pflegeheim, sodass man also die Entwicklung<br />

erstmal persönlich erlebt, den Patienten kennt man eh“ (Niklas Seifert - Arzt).<br />

„bei uns ist die Situation auch noch etwas an<strong>der</strong>s wie in <strong>der</strong> normalen Praxis, zu uns kommen ja<br />

die Patienten relativ regelmäßig und häufig und dadurch sehen wir die natürlich an<strong>der</strong>s und erfassen<br />

das möglicherweise auch vielleicht frühzeitiger, ob wir die davor bewahren, weiß ich nicht“<br />

(Bernhard Beinbühl - Arzt).<br />

In diesen Situationen sind die Ärzte sehr auf die betreuenden Personen angewiesen, um<br />

wichtige Informationen zu erhalten (vgl. Rolle <strong>der</strong> Pflegenden).<br />

Biophysiologische Messungen - Gewicht, Größe, Body Mass Index (BMI)<br />

Die Messung des Gewichts stellt einen wesentlichen Indikator für die Bestimmung des Ernährungszustandes<br />

dar, vor allem, wenn wie<strong>der</strong>holte Kontrollen durchgeführt werden, um<br />

einen Verlauf beobachten zu können. Nach Aussagen <strong>der</strong> Pflegenden gibt es regelmäßige<br />

Termine, z. B. einmal im Monat immer sonntags (Robert Längerich - Pflegen<strong>der</strong>, Ines<br />

Junkers - Pflegende), an denen das Gewicht kontrolliert wird. Handele es ich um einen auffälligen<br />

Befund, würde häufiger gemessen.<br />

„da wird ja auch immer sehr drauf geachtet, das da die Dokumentation <strong>der</strong>, des Gewichtes da ist<br />

und wenn man jetzt, das sehe ich ja dann auch oft wenn ich komme, Patient wird deutlich dünner<br />

und ich mal frage, wie ist denn da <strong>der</strong> Gewichtsverlauf und wenn man dann sieht, da nimmt jemand<br />

also kontinuierlich ab, und kommt so an so eine kritische Grenze, das man so sagt, man das<br />

ist, was machen wir denn jetzt,“ (Sigrid Kreuzer - Ärztin).<br />

Würde sich vor allem in palliativen Situationen gegen eine PEG entschieden, dann würde<br />

auch vorsätzlich we<strong>der</strong> das Gewicht, noch ein BMI erhoben (Klaus Krämer - Arzt).<br />

Der auf <strong>der</strong> Messung von Gewicht und Körpergröße basierende Body Mass Index (BMI)<br />

scheint ein entscheiden<strong>der</strong>, wenn auch ambivalent bewerteter Parameter. Zum einen habe<br />

<strong>der</strong> BMI „den unglaublichen Vorteil, dass er ein Messwert ist“ (Niklas Seifert - Arzt) anhand<br />

dessen ein weiteres Vorgehen geplant werden kann.<br />

„wenn jemand den BMI nicht mehr hat, den er haben sollte, dann ist das auch ein Kriterium für eine<br />

Überlegung, was muss daraus geschehen, wenn er nicht mehr selber essen, trinken kann o<strong>der</strong> will,<br />

muss er eine PEG bekommen o<strong>der</strong> nicht“ (Sören Wißling - Arzt)<br />

„also wenn ich sehe, beim Patienten geht <strong>der</strong> BMI runter o<strong>der</strong> <strong>der</strong> entwickelt ne Schluckstörung<br />

o<strong>der</strong>.... ja, also die beiden Sachen sind ja meistens, dann versuch ich, ich eigentlich schon so im<br />

Vorfeld einmal mit dem Betreuer o<strong>der</strong> mit dem Angehörigen Kontakt aufzunehmen, das und das<br />

Problem kommt demnächst auf uns zu, wie denken sie da drüber“ (Sabine Murnau - Ärztin).<br />

BMI – basierte Entscheidungen werden nicht immer als sinnvoll angesehen, gerade bei alten<br />

und vor allem bettlägerigen Menschen sei das Problem <strong>der</strong> Fehlmessung vorprogrammiert.<br />

Das führe zu einem falschen Ergebnis (Klaus Krämer - Arzt). Diese seien nur bedingt aussagekräftig<br />

und seine Unterschreitung sei für die Handelnden ein Problem, beson<strong>der</strong>s, wenn<br />

daraus resultierende Maßnahmen als nicht sinnvoll erachtet werden.<br />

121


„Nur ist das, sagen wir mal BMI gesteuerte Indikationsstellung im Grunde genommen quatsch, bei<br />

diesem Menschen erreicht man ja auch keinen Muskelaufbau und nichts mehr, man wässert die<br />

und macht ein bisschen Fett rein, da ist den ja letztlich nicht mit geholfen“ (Niklas Seifert - Arzt).<br />

Handeln müsse man aber, da <strong>der</strong> Medizinische Dienst <strong>der</strong> Krankenkassen (MDK) BMI´s vorschreibe,<br />

die nicht unterschritten werden dürften und die Unterschreitung dieser BMI´s regelmäßig<br />

als Pflegefehler interpretiert würden, so dass also auf das Pflegeheim schon mal<br />

Druck ausgeübt würde Richtung PEG (Niklas Seifert - Arzt). Auch die Pflegenden berichten<br />

davon, dass grenzwertige BMI-Werte direkt an die Heimaufsicht im Sinne <strong>einer</strong> Qualitätssicherung<br />

weitergeleitet werden müssen (Ines Junkers - Pflegende).<br />

Dieser Zirkel scheint nach den Aussagen <strong>der</strong> Befragten unterbrochen o<strong>der</strong> umgangen werden<br />

zu können, wenn es möglich ist, einen klaren Patientenwillen zu eruieren, <strong>der</strong> eine solche<br />

Entscheidung untermauert. Ein Arzt schil<strong>der</strong>t auch, dass er durch systematische Neumessungen<br />

einige grenzwertige BMIs aus dem kritischen Bereich korrigieren konnte.<br />

„wenn ich dann Angehörige habe und die sagen mir, das hätte Onkel Fritz aber wirklich nicht gewollt,<br />

dann ist für mich die Sache eigentlich klar, dann will er das halt nicht und dann werde ich<br />

auch versuchen trotz BMI o<strong>der</strong> alles, es zu vermeiden“ (Niklas Seifert - Arzt.)<br />

„da ist eine Dame, die wiegt, glaube ich 39 o<strong>der</strong> 37 Kilo, aber da sagt die Betreuerin auch, die<br />

möchte das nicht, die Bewohnerin sagt das auch selber, sie war schon immer so schlank, , sie<br />

möchte auch nicht zunehmen“ (Ines Junkers - Pflegende).<br />

Eine Pflegekraft äußert entrüstet:<br />

„also ein BMI spielt schon eine Rolle, <strong>der</strong> Expertenstandard sagt ja alles, was unter 20 ist, ist kachektisch<br />

und da muss man gucken, aber auch da muss man gucken, und ich lass mir meine<br />

Fachlichkeit nicht durch einen Expertenstandard nicht abnehmen und da habe ich auch ein Kreuz<br />

im Nacken, wie gesagt, ich muss mich allerdings auch absichern, d. h. ich würde mir dann auch die<br />

Heimaufsicht ins Boot holen, die Heim- und Pflegedienstleitung, damit die informiert sind, was da<br />

los ist, mit dem Angehörigen zusammen“ (Gudrun Kohlmann - Pflegende).<br />

Richtwerte können nicht nur eine Behandlung erzwingen, sie können auch eine hinauszögern,<br />

wie in folgendem Beispiel berichtet wird.<br />

„Was ich noch nie verstanden habe, eine gewisse Vorgabe von dem Arzt, <strong>der</strong> sagt, wenn er<br />

sechsunddreißig Kilo erreicht, bzw. wenn er erstmal sechsunddreißig Kilo wiegt, also Beispiel,<br />

dann müssen wir was tun. Das habe ich schon erlebt, das heißt, ein gewisser Zahlenwert fixiert,<br />

ohne diese Zahl läuft nichts. Das heißt <strong>der</strong> Mensch muss so lange warten bis er diese magische<br />

Zahl erreicht hat. Das, das fand ich immer wie<strong>der</strong> so bisschen verblüffend. Letzte Zeit weniger,<br />

aber vor vier Jahren, doch, doch, das war noch so. Immer also alle sieben Tage gewogen und<br />

dann bis irgendwann gesagt wurde, ja gut, jetzt können wir machen. Jetzt haben wir keine Möglichkeit“<br />

(Max Toschik - Pflegen<strong>der</strong>).<br />

Um die Ernährungssituation laborchemisch erfassen und eine Diagnose erhärten zu können,<br />

werden von einem Arzt die Bestimmung des Gesamteiweiß in <strong>der</strong> Elektrophorese, Albumin<br />

direkt genannt.<br />

Bioimpedanzmessungen dienen dazu die Körperfettmasse im Verhältnis zu Wasseransammlungen<br />

im Körper zu bestimmen und würden bei Bedarf durchgeführt (Gudrun Kohlmann<br />

- Pflegende, Bernhard Beinbühl - Arzt).<br />

Bilanzierungen und Ernährungsprotokolle<br />

Bilanzierungs- und Ernährungsprotolle werden angelegt, wenn sich die Ernährungssituation<br />

verschlechtert o<strong>der</strong> ein BMI unter 20 gemessen wurde (Ines Junkers - Pflegende). Mit ihrer<br />

122


Hilfe scheinen sich erste Verdachtshinweise zu bestätigen, dass sich ein Ernährungsproblem<br />

manifestiert. Aufzeichnungen dieser Art dienen dazu eine Ist-Situation zu dokumentieren und<br />

die Kommunikation zwischen Arzt und Pflegekraft zu erleichtern.<br />

„die Kriterien sind natürlich, dass wir engmaschig die Gewichte kontrollieren, gucken, ob da eine<br />

Verän<strong>der</strong>ung ist, auch gezielt ein Ernährungsprotokoll führen, um zu sehen, was geht rein, was<br />

geht raus, ist ja auch wichtig“ (Gudrun Kohlmann - Pflegende)<br />

„die Schwester o<strong>der</strong> das Pflegepersonal stellt fest, <strong>der</strong>, <strong>der</strong> nimmt nicht mehr genug zu sich. Als<br />

erstes legen die ein Protokoll an, so und dann sieht man, aha, anhand es Protokolls, <strong>der</strong> hat zu<br />

wenig gegessen zu wenig getrunken und dann kommt die Frage so, was jetzt, wie können wir drauf<br />

reagieren?“ (Sören Wißling - Arzt).<br />

Assessmentinstrumente<br />

Instrumente <strong>zur</strong> Einschätzung des Ernährungszustandes werden durch die Befragten kaum<br />

erwähnt. Nach Ansicht eines Arztes sind sie als eine sinnvolle Unterstützung anzusehen,<br />

dürfen aber gerade in <strong>der</strong> Betreuung alter Menschen nicht überbewertet werden. Alte Menschen<br />

trinken oft wenig, das gilt es auch zu respektieren (Klaus Krämer - Arzt). Von einem<br />

an<strong>der</strong>en Arzt wurde ein Fragebogen <strong>zur</strong> Ernährungssituation <strong>der</strong> Firma Nestle genannt, mit<br />

dem gute Erfahrungen gemacht wurden. An<strong>der</strong>e Einschätzungsinstrumente wurden nicht<br />

genannt.<br />

Patientenverfügungen<br />

Patientenverfügungen werden als ein wichtiges Instrument <strong>zur</strong> <strong>Entscheidungs</strong>findung angesehen.<br />

Lei<strong>der</strong> spielen sie nach aktuellen Erfahrungen <strong>der</strong> Befragten bei den jetzt alten Menschen<br />

eine marginale Rolle und würden kaum eingesetzt. Entwe<strong>der</strong> seien die Angaben zu<br />

pauschal verfasst o<strong>der</strong> Aussagen <strong>zur</strong> künstlichen Ernährung gar nicht erwähnt.<br />

Zukünftig sei jedoch eine Zunahme des Einsatzes von Patientenverfügungen o<strong>der</strong> Testamenten<br />

zu erwarten, das sei eine positive Entwicklung (Klaus Krämer - Arzt).<br />

Ein Arzt schlägt vor, bereits bei Eintritt in eine Pflegeeinrichtung das Thema <strong>der</strong> Patientenverfügung<br />

mit den Betroffenen anzusprechen und die Wünsche zu verschriftlichen, um diejenigen,<br />

die möglicherweise später eine stellvertretende Entscheidung treffen müssten in ihrer<br />

Verantwortung zu entlasten.<br />

„Und ich hatte schon angeregt, im Rahmen <strong>einer</strong> Palliativ-Fortbildung, die ich im Pflegeheim da<br />

mal abgehalten habe, dass man überlegt, ob man nicht bei Eintritt in ein Pflegeheim zum Standardaufnahmeverfahren,<br />

bei bewussten Menschen, diese Frage klärt.?“ (...) „Also ein Argument<br />

was ich immer im persönlichen Gespräch sage ist, Sie müssen für sich eine Entscheidung treffen,<br />

aber genauso wichtig ist, dass Sie die Menschen, die Sie dann versorgen, juristisch freistellen, Sie<br />

können denen nicht sagen, ich will das nicht, Sie müssen denen schreiben, ich will das nicht“<br />

(Niklas Seifert - Arzt).<br />

An<strong>der</strong>e geben zu bedenken, dass die Patienten zum Zeitpunkt des Heimeinzuges diese Entscheidung<br />

schon nicht mehr treffen könnten und empfehlen grundsätzlich eine frühzeitigere<br />

Verfassung des Patientenwillens, wenn eine <strong>Entscheidungs</strong>fähigkeit noch gegeben ist. Ein<br />

Arzt schil<strong>der</strong>t ein Erlebnis mit <strong>einer</strong> dementen Patientin:<br />

„gerade eben fragten die Angehörigen, ob ich ne Patientenverfügung habe, ob ich eine hätte, die<br />

die Mutter dann unterschreiben würde, habe ich gesagt, wenn die die heute unterschreibt, die<br />

glaubt ihnen doch k<strong>einer</strong>, es ist zu spät“ (Bernhard Beinbühl - Arzt)<br />

Ein an<strong>der</strong>er Arzt berichtet auch davon, dass er eine eigene Patientenverfügung entwickelt<br />

habe, die er dann gemeinsam mit seinen Patienten bespreche (Rainer Braun - Arzt). Prob-<br />

123


lematisch sei weiterhin, dass Verfügungen immer aktualisiert werden müssten, um gültig und<br />

aussagekräftig zu sein.<br />

„und auch obwohl früher mal Vollmachten gegeben worden sind, dass die an dem Tag, an dem die<br />

Entscheidung getroffen werden muss, nicht mehr unbedingt aussagekräftig sind, vor allem, weil<br />

auch <strong>der</strong> Betroffene vielleicht in dieser Situation seine Meinung geän<strong>der</strong>t hat, ne? Auch vielleicht<br />

gar nicht mehr, weil er vielleicht so geschwächt ist, auch gar nicht mehr für sich selbst entscheiden<br />

kann, was ist mal in einem halben Jahr, ja, vielleicht hat er ganz an<strong>der</strong>e Dinge jetzt im Kopf, lässt<br />

sein Leben Revue passieren und was in <strong>einer</strong> Woche ist, das kann er vielleicht gar nicht mehr so<br />

für sich in Anspruch nehmen, das zu entscheiden, ne?“(Jörg Demmler - Pflegen<strong>der</strong>)<br />

„ja, Patientenverfügungen ist etwas, was wir ernst nehmen, eh Patientenverfügungen ist aber sehr<br />

stark abhängig davon wie<strong>der</strong> in welchem Stadium wir ihn antreffen, wenn zum Zeitpunkt, dass <strong>der</strong><br />

Krankheitsverlauf nicht absehbar ist, ist die Patientenverfügung relativ (...) wenn eine klare Diagnosesituation<br />

da ist, die den Krankheitsverlauf abschätzen lässt, dann ist die Verfügung da, dann hat<br />

sie auch ne Rechtsverbindlichkeit, zum an<strong>der</strong>en, dass diese Rechtsverbindlichkeit ja oft nicht so<br />

gemeint ist, wie sie angekreuzt ist, das muss man nämlich abfragen, wenn ich also eine Verfügung<br />

habe, die eine 55 jährige vor ihrem Tod mit 70 zuletzt aktualisiert hat, dann muss ich sagen, kann<br />

die keine Verbindlichkeit mehr haben, dann spielt man Golf und fährt Cabrio und mit 70 hat man<br />

an<strong>der</strong>e Bedürfnisse, zum an<strong>der</strong>en ist unklar, was gemeint ist mit Infusionen, Tropf und Schläuchen,<br />

ob das ein Flüssigkeitsersatz ist, das muss man dann mit den Betroffenen und mit den Angehörigen<br />

besprechen“(Ingo Klare - Arzt).<br />

Außerdem müsse man immer in <strong>der</strong> aktuellen Situation wie<strong>der</strong> neu entscheiden und „selbst,<br />

wenn man sowas hat, ist ja nicht sicher, dass sich daran gehalten wird, also es ist, ja, die<br />

letzte <strong>Entscheidungs</strong>kraft hat dann <strong>der</strong>jenige, <strong>der</strong> am nächsten steht,“ (Steffen Schmidtmeier<br />

- Pflegen<strong>der</strong>).<br />

„also, wir hatten hier so ne Dame, die hatte so ne Patientenverfügung, und eh die hatte ganz klar<br />

gesagt, meine Schwester hat ne PEG bekommen, zu Zeiten wo sie noch relativ orientiert war,<br />

meine Schwester hat ne PEG bekommen, ich möchte das für mich definitiv nicht! Hat das in <strong>einer</strong><br />

Patientenverfügung also dann dementsprechend dann fixiert, hat ihre, hat zu Lebzeiten schon eine<br />

Betreuerin, das war ihre Nichte, eine Betreuerin festgemacht, wenn ich mal nicht, ne dann Entscheidungen<br />

treffen kann, dann möchte ich, dass Du die Betreuung übernimmst, und bitte achte<br />

darauf, dass ich auch keine PEG kriege und dann ist die Dame irgendwann ins hier ins Altenheim<br />

gekommen und hier war sie auch, sagen wir mal zwei Jahre hat sie auch ganz normal gelebt, wo<br />

sie auch gegessen und getrunken hat ohne das da irgendwelche Probleme da waren, und irgendwann<br />

hat sie entschieden für sich, so jetzt will ich nicht mehr essen, jetzt will ich nicht mehr trinken,<br />

jetzt will ich sterben, und im Endeffekt ist unterm Strich rausgekommen, dass die Nichte dann im<br />

Krankenhaus gesagt bekommen hat, Sie können doch ihre Tante, können Sie doch nicht verhungern<br />

und verdursten lassen und sie hat die Unterschrift für eine PEG-<strong>Anlage</strong> gegeben, ja und dann<br />

hat die natürlich dementsprechend lang mit so ner PEG dann noch gelebt“ (Verena Meißner - Pflegende).<br />

<strong>Entscheidungs</strong>hilfen<br />

<strong>Entscheidungs</strong>hilfen werden nach Aussagen <strong>der</strong> Ärzte und Ärztinnen aus dieser Untersuchung<br />

in aktuellen <strong>Entscheidungs</strong>verläufen nicht angewendet, noch wurden sie aktiv erwähnt.<br />

Einige Ärzte und Ärztinnen sehen auf Nachfrage eine <strong>Entscheidungs</strong>hilfe als mögliche<br />

Unterstützung an. Ein an<strong>der</strong>er Arzt grenzt die Personengruppe auf weniger erfahrene<br />

Ärzte ein, für die eine <strong>Entscheidungs</strong>hilfe nützlich sein könnte und sagt dazu:<br />

124<br />

„wenn Leute keine k<strong>einer</strong>lei Erfahrung damit haben, kann es, sowas sicherlich sinnvoll sein, aber<br />

ich bin jetzt über zwanzig Jahre nie<strong>der</strong>gelassen, ich mache 30 Jahre Onkologie und betreue nur<br />

schwerstkranke Leute und diese Ernährungssituation liegt mir so am Herzen, eh also ich brauche<br />

da keinen Baum mehr, son<strong>der</strong>n ich gucke mir die Leute an, sehe, in was für einem desolaten Zu-


stand sie sind und sehe, die werden dünner, sehe die Laborwerte, sehe die Fette sind niedrig, die<br />

die Schilddrüse ist n, es ist alles nur am Boden, da muss ich gar nicht mehr <strong>Entscheidungs</strong>bäume<br />

treffen“ (Bernhard Beinbühl - Arzt).<br />

Weiterhin scheint es, dass die Entwicklung eines solchen <strong>Entscheidungs</strong>baumes nicht nur<br />

begrenzt für notwendig gehalten, son<strong>der</strong>n auch kritisch begutachtet wird. <strong>Entscheidungs</strong>hilfen<br />

seien zum einen zu theoretisch und ein Eingriff in die medizinische Behandlungsfreiheit,<br />

zum an<strong>der</strong>en würde den Bedürfnissen <strong>der</strong> Patienten nach <strong>einer</strong> individuell angepassten<br />

Entscheidung nicht gerecht.<br />

„Also arbeiten nach einem gewissen Schema ist, ist einfach, vereinfacht das Leben für viele Menschen,<br />

weil die einfach so etwas brauchen, ist aber wie<strong>der</strong> für die, also für mich so eine theoretische<br />

( ) Geschichte, wo ich denke, da muss ich mich wie<strong>der</strong> an irgend ein, so eine ja, also Vorschriften<br />

nicht, aber so eine bestimmte Vorgabe halten. Das heißt, ich habe da wahrscheinlich<br />

auch wenig, vielleicht auch wenig Spielraum für den, für den Menschen, als, als Mensch,“ (Max<br />

Toschik - Pflegen<strong>der</strong>)<br />

„Der Vorteil dieser <strong>Ablauf</strong>pläne ist natürlich, dass man versucht etwas zu standardisieren und vorformuliert<br />

auch <strong>Entscheidungs</strong>hilfen zu geben, <strong>der</strong> große Nachteil ist, dass man sich mit vielen<br />

<strong>Ablauf</strong>plänen von den Bedürfnissen <strong>der</strong> Menschen entfernt“ (Niklas Seifert - Arzt).<br />

Auch wird eine solche <strong>Entscheidungs</strong>hilfe als Gefahr gesehen, sich juristisch angreifbar zumachen.<br />

„Wobei immer natürlich, immer dann die Gefahr läuft, wenn man dann so etwas hat und richtet sich<br />

dann nicht danach, hat man natürlich noch ein größeres Problem, wenn was passiert“.<br />

Viel interessanter und hilfreicher als eine <strong>Entscheidungs</strong>hilfe wäre ein Hinweis auf juristische<br />

Fallstricke, die im <strong>Entscheidungs</strong>prozess <strong>zur</strong> <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG zu beachten seien (Rainer<br />

Braun - Arzt).<br />

Maßnahmen, um eine Mangelernährung zu vermeiden<br />

In Situationen, in denen keine klare Indikation gestellt werden kann, gilt die PEG als eine <strong>der</strong><br />

letzten Möglichkeiten, um Nahrung o<strong>der</strong> Flüssigkeit zu substituieren.<br />

„dann ist immer die Entscheidung, machen wir eine subkutane Flüssigkeitszufuhr o<strong>der</strong> machen wir<br />

es nicht, machen wir gleich eine PEG o<strong>der</strong> so was, wobei PEG eigentlich immer die letzte Entscheidung<br />

ist“ (Rainer Braun - Arzt).<br />

Maßnahmen, mit <strong>der</strong>en Hilfe ein Mangel an Flüssigkeit und/o<strong>der</strong> Nährstoffen kompensiert<br />

werden kann, lassen sich wie folgt glie<strong>der</strong>n. Der Stimulation über den natürlichen Verdauungsweg<br />

wird dabei Priorität verliehen.<br />

Unterstützen oraler Nahrungszufuhr<br />

Die Unterstützung bei <strong>der</strong> Nahrungsaufnahme durch Angehörige und Pflegende bildet nach<br />

Ansicht <strong>der</strong> Befragten dabei eine wichtige Komponente bei dem Versuch die orale Ernährung<br />

aufrechtzuerhalten, bevor man durch kostenintensive Maßnahmen das Gesundheitswesen<br />

belaste (Bernhard Beinbühl - Arzt). Essen bedeute Lebenskraft, Lebensfreude, Genuss und<br />

Gemeinschaftlichkeit. Das könne eine PEG nicht leisten (Gudrun Kohlmann - Pflegende).<br />

Kleine und häufige Mahlzeiten über den Tag verteilt, z. B. auch Joghurt und Quark seien ein<br />

erster Versuch die Ernährung sicherzustellen (Bernhard Beinbühl - Arzt).<br />

Die Pflegenden beschreiben weitere Möglichkeiten. So könne man die Getränke andicken,<br />

wenn es sich um eine Schluckstörung handele. Man müsse sich nach den Gewohnheiten<br />

125


ichten, Lieblingsspeisen und dazugehörige Uhrzeiten herausfinden und Biografiearbeit leisten.<br />

Für ausländische Bewohner würde auch speziell eingekauft und gekocht (Heidrun Stocke<br />

- Pflegende). Man müsse auch berücksichtigen, ob die Betroffenen schon immer sehr<br />

schlank waren und wenig gegessen hätten. Auch gäbe es Verän<strong>der</strong>ungen in <strong>der</strong> Geschmacksverhalten.<br />

Manche Bewohner hätten ihr Leben lang Wurst gegessen und würden<br />

dies spontan nicht mehr mögen (Kati Nimwegen - Pflegende). Wie<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e äßen prinzipiell<br />

nur noch Süßes gern. Hier müsse man ständig austesten und ausprobieren, was möglich<br />

sei, müsse die Lippen mit Nahrung benetzen und immer wie<strong>der</strong> Reize setzen o<strong>der</strong> die Sinne<br />

anregen, auch ein Lolly sei manchmal hilfereich, um den Appetit an<strong>zur</strong>egen. Eine Pflegende<br />

berichtet von <strong>einer</strong> Situation, in <strong>der</strong> ein Bewohner nur mit Lakritzwasser zu motivieren war,<br />

etwas zu trinken (Karin Kridow - Pflegende). Eine an<strong>der</strong>e beschreibt einen Bewohner, <strong>der</strong><br />

aufgrund eines Zufallsbefundes seither sein Brot mit Leberwurst und Kaffee aß (Kati<br />

Nimwegen - Pflegende) Manchmal hilft auch einfach abwarten und Geduld haben:<br />

„Am Anfang waren es vielleicht nur zwei drei Löffelchen und wir haben uns wirklich gedacht, warum<br />

ist die Frau denn nicht. Was ist denn los mit <strong>der</strong> und dann haben wir es einfach ihr hingestellt<br />

und stehen gelassen und dann fing sie einzeln mal an, hat sie vielleicht mal nur einen Joghurt gegessen<br />

(..) Ja und jetzt isst sie meistens halt was Weiches, was Passiertes und was süß ist, isst sie<br />

gerne und hat auch zugenommen, also sie ist ein kleines Pummelchen geworden (Lisa Griffler -<br />

Pflegende).<br />

Auch hätte man bei Menschen mit Demenz eine halbe Stunde später manchmal das Glück,<br />

dass sie vergessen hätten, was sie vorher vehement abgelehnt hätten (Gudrun Kohlmann -<br />

Pflegende). Gerade diese Menschen bräuchten die Stimulation über Gerüche und eine Hinführung<br />

<strong>zur</strong> sinngefüllten Nahrungsaufnahme, die mehr bedeute als die Zuführung von Nährstoffen.<br />

„ja, probiert wird erstmal über Lieblingsspeisen, was mag sie denn, über Biographie, gucken was<br />

hat er gern gegessen,(...) zwischendurch mal hinzugehen, zu fragen möchten Sie irgendetwas, die<br />

meisten Dementiellen können es nicht mehr sagen, ich selber bin noch jemand vom alten Schlag,<br />

muss ich sagen und wenn ich dann merke, dass so dieses Essverhalten sich verän<strong>der</strong>t, ich stell<br />

mich dann auch mal selber in die Küche und (...)ich hab letztens noch mit den Bewohnern Apfelkuchen<br />

gebacken, und dann direkt auch gleich im Aufenthaltsraum (..) und oh, es riecht wie zuhause,<br />

mmh, und du siehst richtig, Leute, die sich sonst vor Essen ekel, oh ja, o<strong>der</strong> stell mich abends hin,<br />

mach ne Pfanne Bratkartoffel, mach eine Pfanne Rührei, irgendetwas fällt mir immer ein, (…) dann<br />

sind auch selbst die, die eigentlich unlustig sind am Essen, die sind dabei“ (Gudrun Kohlmann -<br />

Pflegende).<br />

Es käme auch darauf an, nicht nur zu beachten, was jemand isst, son<strong>der</strong>n wie er es gereicht<br />

bekomme. Das Essen müsse warm sein, man müsse Ruhe ausstrahlen, Bettlägerige müssen<br />

vernünftig sitzen o<strong>der</strong> in eine gute Position gebracht werden, das Essen müsse sichtbar<br />

ihm zugewandt sein, die Düfte müssen aufsteigen und man müsse nonverbal mit den Bewohnern<br />

in Kontakt sein, dann wäre Essen auch weiterhin Lebensqualität (Gudrun Kohlmann<br />

- Pflegende).<br />

Desweitern wird von einigen Pflegenden erwähnt, dass Mund- und Zahnprobleme o<strong>der</strong><br />

Druckstellen durch eine schlecht sitzende Prothese für ein Nicht-essen-wollen ausgeschlossen<br />

werden müssten, bevor man Maßnahmen <strong>zur</strong> Nahrungsergänzung ergreife (Kati Nimwegen<br />

- Pflegende, Heidrun Stocke - Pflegende).<br />

Führen all diese Maßnahmen nicht in absehbarer Zeit zum Erfolg, wird ein Ernährungsplan<br />

erstellt und eine hochkalorische, eiweißreiche Zusatzernährung hinzugezogen, die in Form<br />

von Trinkpäckchen eingenommen werden kann.<br />

126


„also hier setzen sich die Schwestern dann hin und füttern und dann kriegen die eiweißreiche Zusatznahrung,<br />

das rezeptieren wir auch gegen den Wi<strong>der</strong>stand <strong>der</strong> ganzen Kassen“ (Bernhard<br />

Beinbühl - Arzt)<br />

„Also wenn das Thema aufkommt, PEG könnte drohen, dann machen, versuchen wir eben durch<br />

hoch kalorische Zusatzkost, Trinknahrung und so weiter zunächst mal vor uns her zuschieben“.<br />

(Niklas Seifert - Arzt)<br />

Dazu verfügen die Pflegenden über Risikolisten, in denen ein Kalorien- o<strong>der</strong> Nährstoffmangel<br />

ablesbar ist (Kati Nimwegen - Pflegende). Problem bei <strong>der</strong> Trinknahrung sei, dass diese<br />

von den Krankenkassen nicht finanziert würden, manche Bewohner könnten sich das nicht<br />

auf Dauer leisten, eine PEG hingegen würde bezahlt (Kati Nimwegen - Pflegende). Inwiefern<br />

sich solche Aspekte auf die Entscheidung auswirken, konnte anhand vorliegen<strong>der</strong> Daten<br />

nicht geklärt werden.<br />

Flüssigkeitssubstitution<br />

Liegt das Problem primär darin den Flüssigkeitshaushalt zu stabilisieren, weil die Trinkmenge<br />

pro Tag nicht ausreicht, werden subkutane Infusionen als gängige Methode vorgeschlagen.<br />

„klar und wir gehen dann auch her und geben schon mal subkutan Flüssigkeit an heißen Tagen<br />

wenn so die Trinkmenge nicht reicht. O<strong>der</strong> wenn das wahrscheinlich eine vorübergehende Problematik<br />

ist, das man einfach sagt, man gibt jetzt mal tausend Milliliter pro Tag. Manchmal klaren die<br />

dann auch wie<strong>der</strong> auf und fangen wie<strong>der</strong> an zu trinken, das überbrücken wir schon“ (Niklas Seifert<br />

- Arzt)<br />

Flüssigkeitssubstitution dient jedoch in erster Linie dazu kurzfristige Mangelzustände auszugleichen,<br />

um die Ressourcen <strong>der</strong> Patienten zu aktivieren o<strong>der</strong> alternativ die Sicherstellung<br />

<strong>einer</strong> Minimalversorgung in palliativen Situationen zu garantieren.<br />

„Ja immer nicht, aber in Einzelfällen so als Palliativmaßnahme schon, ja. Das machen wir schon.<br />

Aber das ist ja schon, kann man ja rein nur Flüssigkeit geben hm....Das geht dann wenn jemand<br />

einfach die Mengen nicht aufnehmen kann, o<strong>der</strong> wirklich wenn klar ist sie Patienten/Angehörigen<br />

wollen keine PEG und jemand ist moribund und man muss dann paar Wochen überbrücken, um<br />

eine Überweisung zu vermeiden“. (Sabine Murnau - Ärztin)<br />

Ein Arzt empfahl auch die rektale Applikation, um die Resorptionsfähigkeit des Enddarmes<br />

auszunutzen, was auf wenig Akzeptanz seitens des Pflegepersonals stieß. Eine Pflegende<br />

wünscht sich mehr Handlungsspielraum auch in <strong>der</strong> Altenpflege Flüssigkeit intravenös verabreichen<br />

zu dürfen.<br />

„Wenn wir zum Beispiel hier ganz legal i.v. geben dürfen. Ja. Da wär ja vielen mit geholfen, ne<br />

Viggo zu legen. Ein paar Tage. (3) Und dann eben den Verlauf beobachten“(..) „Es gibt Krisensituationen<br />

im Leben eines Menschen, wo man im Krankenhaus zum Beispiel dann ja ohne Probleme<br />

einen ZVK legt, ja. Der Mensch stabilisiert sich wie<strong>der</strong> und ist in einem an<strong>der</strong>en Zustand, besseren<br />

Zustand o<strong>der</strong> wie vorher kann <strong>der</strong> entlassen werden. Diese Möglichkeit haben wir hier nicht. Mit<br />

dem ZVK“ (Irmgard Buschmühler - Pflegende).<br />

Wendepunkte <strong>der</strong> Entscheidung<br />

Den vorgestellten Verfahren sind nach Ansicht <strong>der</strong> Befragten Grenzen gesetzt. Sind diese<br />

Grenzen erreicht, scheint es zu einem Wendepunkt im <strong>Entscheidungs</strong>prozess zu kommen.<br />

War bislang das therapeutische Ziel die Ernährung auf natürlichem Wege zu sichern und<br />

eine PEG zu vermeiden, wird nun aktiv über Vorteile eine PEG nachgedacht. Seltener sind<br />

es tatsächliche einschneidende Ereignisse, die diese Wendepunkte einleiten, son<strong>der</strong>n „ir-<br />

127


gendwann kommt da die Frage, kann man da nicht was an<strong>der</strong>es machen“ (Sören Wißling -<br />

Arzt), denn „da kann man auch dann irgendwie nicht gut zusehen. Vor allen Dingen, wenn<br />

das dann so lange geht“ (Sigrid Kreuzer - Ärztin). Grenzen werden aufgezeigt, wenn ausprobierte<br />

Maßnahmen nicht ausreichen, das Gewicht zu stabilisieren o<strong>der</strong> eine Nahrungszufuhr<br />

über einen längeren Zeitraum zu garantieren, wenn die betreffende Person Nahrung dauerhaft<br />

verweigert, wenn die Ressourcen und <strong>der</strong> zeitliche Rahmen <strong>der</strong> Versorgungsstruktur<br />

ausgeschöpft sind o<strong>der</strong> wenn dem Empfinden „handeln zu müssen“, auch auf Druck äußerer<br />

Rahmenbedingungen, nachgegeben wird. Eine Pflegende beschreibt, wie sich das Problem<br />

immer mehr in den Vor<strong>der</strong>grund drängt:<br />

"es deutet sich in den Übergaben schon an, hat sich heut häufig verschluckt, man hört das dann<br />

jeden Tag, so jetzt ist Schluss, wir müssen jetzt handeln, es ist wie ein Prozess zu sehen, <strong>der</strong><br />

Name fällt in <strong>der</strong> Übergabe oft, das Problem wird ständig erwähnt“ (Meike Saalfeld - Pflegende).<br />

„ .. uns das eine Zeitlang angucken, mit den Hausärzten uns kurzschließen und dann also eine bestimmte<br />

Grenze haben, wo wir dann sagen, hier ist Schluss, und eh dann muss eine Entscheidung<br />

fallen so o<strong>der</strong> so,“ (Gudrun Kohlmann - Pflegende)<br />

Grenzen substituieren<strong>der</strong> Maßnahmen<br />

Subkutane Infusionen scheinen keine dauerhafte Lösung zu sein und eine wirkliche Alternative<br />

<strong>zur</strong> PEG darzustellen. Zum einen kann lediglich Flüssigkeit und keine Nahrung ergänzt<br />

werden, zum an<strong>der</strong>en kann nur eine begrenzte Menge Flüssigkeit, z. B. max. 1 l pro Tag<br />

appliziert werden und drittens stelle sich auch hier die Frage, inwieweit die tägliche Gabe von<br />

Flüssigkeit in den Oberschenkel, <strong>der</strong> dann wie ein Ballon aufquille und den Patienten immobilisiere,<br />

für den Patienten wirklich angenehm sei (Klaus Krämer - Arzt, Irmgard Buschmühler<br />

- Pflegende), was den Aspekt <strong>der</strong> Lebensqualität berührt.<br />

„Es gibt ja alte Menschen, die aus welchen Gründen auch immer nicht genug trinken und diese<br />

subkutanen Flüssigkeitszufuhren sind dann auch nicht so toll und die durch eine PEG und richtige<br />

Flüssigkeitszufuhr auch mal wie<strong>der</strong> wacher werden“ (Niklas Seifert - Arzt)<br />

An<strong>der</strong>e Alternativen, wie eine parenterale Ernährung via Port o<strong>der</strong> intravenöser Applikation<br />

werden von den Ärzten nicht diskutiert und nur von einigen Pflegenden angesprochen.<br />

Letzteres ist in stationären Einrichtungen <strong>der</strong> Altenhilfe kein legitimiertes, da an die Anwesenheit<br />

eines Arztes gebundenes Verfahren.<br />

Grenzen oraler Nahrungszufuhr<br />

Grenzen <strong>der</strong> oralen Nahrungszufuhr können dadurch versursacht sein, dass die Patienten/Bewohner<br />

nicht essen wollen und die Nahrung ablehnen o<strong>der</strong> nicht essen können (Übelkeit,<br />

Erbrechen, Schluckstörungen) o<strong>der</strong> weil die Art <strong>der</strong> gereichten Nahrung nicht ausgewogen<br />

genug ist, z. B. wenn nur Joghurt o<strong>der</strong> Milchsuppe gegessen werden, um dadurch den<br />

Ernährungszustand dauerhaft stabil zu halten.<br />

128<br />

„manchmal ja, wenn die im klinisch guten Zustand sind, dann spricht das schon dafür, dass man<br />

das (die PEG) macht, weil da ist es schon, <strong>der</strong> natürlichere Weg ist schon über den Magen-Darm-<br />

Takt was zu bekommen, ist schon <strong>der</strong> natürlichere als ständig nur Joghurt essen o<strong>der</strong> Pudding und<br />

Infusionen über die Haut zu bekommen, das ist schon nicht so natürlich und auch, störend für den<br />

Patienten, da ist schon eine PEG dann leichter,“ (Sören Wißling - Arzt)<br />

„wenn das alles nicht mehr fruchtet, gibt´s letztendlich nur diese eine Lösung, aber das wird schon<br />

bis zum Ende ausgelotet“ (Gudrun Kohlmann - Pflegende).


Eine Pflegende berichtet, wie sie vorsichtig versucht hat <strong>einer</strong> Bewohnerin Nahrung anzubieten,<br />

um zu testen, ob diese überhaupt die Fähigkeit besitzt die nötigen Mundbewegungen<br />

zu machen:<br />

„ja, ich habe sie heute gefragt, ob sie Schmerzen hat , nein, hätte se nicht, ob sie Hunger hat, ob<br />

sie mal was essen möchte, hat se ja gesagt und dann habe ich mal probiert, ob sie einen Joghurt,<br />

nicht essen kann, also das nicht, also ich habe nur mal den Löffel mal in den Joghurt gehalten,<br />

das <strong>der</strong> die Löffelflächen mal mit Joghurt benetzt waren, ich hab ihr das mal so in den Mund gegeben,<br />

den Löffel in den Mund gehalten, also sie kann nichts vom Löffel nehmen“ (Martina Reger -<br />

Pflegende).<br />

Eine Ärztin bestärkt dies und zeigt Grenzen auf, die durch die Krankheit selbst bedingt sind:<br />

„wenn die Grundkrankheit da ist, nach dem Apoplex hm.., ist das schwierig. Ist es unmöglich, wenn<br />

Schluckstörungen, wo wirklich das, Speichel aus dem Mund läuft, da kann man ja nichts sinnvolles<br />

an<strong>der</strong>es machen, ansonsten kann man ja wirklich nur versuchen hochkalorisch oral zu ernähren<br />

und wir haben es ein o<strong>der</strong> zweimal auch versucht, mit Schlucktraining über Schlucktherapeuten<br />

und so, das ist aber dann nicht wirklich von Erfolg gekrönt gewesen. Es war mehr so eine Verzweiflungstat,<br />

hat alles an<strong>der</strong>e ausreizen wollte. Sonst ja Zeit und Zuwendung, ja natürlich, aber es<br />

hilft halt auch nicht immer. Es ist nicht nur ein Zeitproblem“ (Sabine Murnau - Ärztin).<br />

„da haben wir schon drei vier Leute gehabt, die wir mit PEG versorgt haben, weil es nicht an<strong>der</strong>s<br />

ging,(...) nicht, weil wir zu faul waren (Bernhard Beinbühl - Arzt)“<br />

Ein Pflegen<strong>der</strong> gibt zu bedenken, dass sinnvolles Nahrungsanreichen sich dann erschöpft,<br />

wenn man damit Schaden verursacht.<br />

„und letztendlich zum Schluss, es kam zu massiven Hustenanfällen und immer wie<strong>der</strong> hat sie aspiriert,<br />

so und da verbinde ich eben so diese Nahrungsaufnahme o<strong>der</strong> Nahrungsgabe mit Schaden,<br />

sich Schaden zufügen o<strong>der</strong> (jemandem) Schaden zufügen o<strong>der</strong> schaden, <strong>der</strong> Gesundheit schaden“<br />

(Max Toschik - Pflegen<strong>der</strong>).<br />

An<strong>der</strong>s ist es, wenn die Nahrungsaufnahme abgelehnt wird. Jemandem das Essen anbieten<br />

müssen, <strong>der</strong> dies vehement ablehnt wird als Quälerei für beide Seiten o<strong>der</strong> gar als „Vergewaltigung“<br />

(Gudrun Kohlmann - Pflegende) angesehen. Vor allem die Pflegenden geraten<br />

hier unter Druck, dem eigenen professionellen Anspruch nicht gerecht werden zu können<br />

o<strong>der</strong> zu versagen. Dies verursacht Gefühle <strong>der</strong> Ohnmacht, nicht zu wissen, wie man weiter<br />

agieren soll. Die PEG scheint hier <strong>zur</strong> sinnvollen Lösung beitragen zu können.<br />

„Also ich erlebe auch Menschen, die einfach dann wirklich an die Grenze kommen, wo es immer<br />

schwieriger wird, immer schwieriger. (..) genau. Trinken o<strong>der</strong> Essen immer wie<strong>der</strong> verweigern und<br />

<strong>der</strong> mir mit allen zu s<strong>einer</strong> Macht stehenden Mitteln signalisiert, ich will nicht mehr. Also er () zeigt<br />

mir, Kopfschütteln, Augen zu, Mund zu, die Lippen zusammen pressen. Manchmal sogar noch <strong>der</strong><br />

Gesichtsausdruck, angewi<strong>der</strong>t, ne. Wobei, das auch wie<strong>der</strong> auf den Zeitpunkt ankommt. Also es<br />

kann natürlich sein, dass <strong>der</strong> in <strong>einer</strong> halben Stunde später, dieser Mensch zugänglich ist o<strong>der</strong><br />

vielleicht Hunger-, Durstgefühle lässt dann ja auch oft nach. Das, das Angebot machen wir ja immer<br />

wie<strong>der</strong>. Aber ich merke so innerlich, das ich an meine Grenze stoße, wenn ich sehe, (.) <strong>der</strong> will<br />

nicht (Karin Kridow - Pflegende)<br />

Hier erleben die Befragten professionelle und persönliche Grenzen. Eine Pflegende schil<strong>der</strong>t<br />

die Situation aus <strong>der</strong> Perspektive <strong>der</strong> Betroffenen und hofft, dass die PEG eine Entlastung<br />

für alle Beteiligten ist.<br />

„dieser Druck, jetzt muss ich essen, jetzt muss ich trinken, jetzt steht die Schwester da mit dem<br />

Teller, läuft mit <strong>der</strong> Tasse hinter mir her, und oft, wenn dieser Druck ist, ich muss, und <strong>der</strong> Bewohner<br />

hat mit Sicherheit das Gefühl alle quälen mich, (..) ich muss essen, ja die gucken ja auch ganz<br />

gequält, machen den Mund auch zu, an <strong>der</strong> Gestik, Mimik sieht man das ja auch“ (…) „Und oft ist<br />

129


es ja auch so, durch die PEG-<strong>Anlage</strong>, dass die Leute, wenn <strong>der</strong> Druck dann weg ist, dass die dann<br />

auch wie<strong>der</strong> alleine essen, später“ (Heidrun Stocke - Pflegende),<br />

Druck erleben und sich juristisch absichern wollen<br />

Von allen Beteiligten werden Situationen geschil<strong>der</strong>t, in dem Sie „Druck erleben“. Druck erzeugt<br />

innere Konflikte <strong>der</strong> handelnden Person. Innere Konflikte entstehen, wenn <strong>der</strong> For<strong>der</strong>ung<br />

nach oraler Nahrungszufuhr nicht entsprochen werden kann, wenn die Ressourcen<br />

ausgeschöpft sind und nicht genügend Zeit o<strong>der</strong> qualifiziertes Personal <strong>zur</strong> Verfügung steht.<br />

Innere Konflikte entstehen auch dann, wenn die zu versorgende Person die Nahrung ablehnt<br />

o<strong>der</strong> das Pensum <strong>der</strong> erfor<strong>der</strong>lichen Menge auf Dauer nicht erreicht. Diese Problematik ist<br />

vor allem für die Pflegenden erfahrbar, die unmittelbar Verantwortung für das Essen und<br />

trinken reichen übernehmen Druck wird auch durch For<strong>der</strong>ungen seitens <strong>der</strong> Kontrollbehörden<br />

wie dem MDK o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Heimaufsichtsbehörde erlebt. Die Interviewteilnehmer schil<strong>der</strong>n,<br />

wie sie sich zum Handeln verpflichtet fühlen.<br />

„Aber sobald man natürlich auch ne Kontrolle hat, was solche Sachen angeht, wird es für den Bewohner<br />

natürlich manchmal auch brenzlich, das ist dann halt, denke ich auch so diese Problematik,<br />

dann muss man den Menschen drängen zu diesen, dementsprechende Sollzahl zu essen und die<br />

Sollzahl zu trinken und er kann das dann meistens oft gar nicht mehr in <strong>der</strong> Form leisten und dann<br />

ist man in Druck, muss man alles Mögliche sich ausdenken, wie kann ich jetzt wirklich die Milliliterzahl<br />

am Tag erhöhen, mach ich z. B. einen Wackelpudding, nehme dann Vorsuppen, habe ich<br />

dann die Kalorienzahl, die Nährstoffdichte <strong>der</strong> einzelnen Mahlzeiten, die ich dann erhöhe also dann<br />

muss ich manchmal schon erfin<strong>der</strong>isch sein“ (Verena Meißner - Pflegende)<br />

Zum einen können sie diesen Druck an die Bewohner durch „Drängen“ weitergeben o<strong>der</strong> in<br />

Form <strong>einer</strong> künstlichen Ernährung die Situation entspannen. In allen Interviews ist die Suche<br />

nach <strong>der</strong> richtigen Entscheidung deutlich spürbar. Auch hier wird ein Konflikt geschil<strong>der</strong>t,<br />

nämlich die richtige Entscheidung für den Bewohner zu treffen o<strong>der</strong> sich juristisch unangreifbar<br />

zu verhalten. Die meisten <strong>der</strong> Befragten äußerten Befürchtungen, eine falsche Entscheidung<br />

zu treffen, angeklagt zu werden o<strong>der</strong> die Entscheidung öffentlich verantworten zu müssen.<br />

„Der Druck, <strong>der</strong> äußere Druck, <strong>der</strong> macht einen, <strong>der</strong> lässt einen eher dazu sagen ich stimme, als<br />

ich stimme nicht zu, weil man immer das Gefühl hat, da kommt sofort, es könnte mal eine Anklage<br />

kommen“(Sören Wißling - Arzt).<br />

Die Angst, sich juristisch angreifbar zu machen erhöht die Bereitschaft <strong>einer</strong> PEG zuzustimmen,<br />

denn „<strong>der</strong> bequeme, <strong>der</strong> einfache Weg ist die PEG und <strong>der</strong> schwere und komplizierte<br />

Weg ist die Nicht-PEG.“ (Niklas Seifert - Arzt).<br />

130<br />

„ich mein jetzt z. B. einfach so ne Heimaufsicht z. B. o<strong>der</strong> auch eben so beim MDK, ja die gucken,<br />

wieso hat <strong>der</strong> Bewohner hier nur einen BMI nur von 18, sag ich jetzt mal, so, warum ist <strong>der</strong> untergewichtig,<br />

was für Maßnahmen haben sie ergriffen, was hat <strong>der</strong> Arzt gesagt, was hat <strong>der</strong> Betreuer,<br />

wo sind im Grunde genommen die Maßnahmen, die sie ergriffen haben, so das können Sie soweit<br />

machen, aber das ist immer ein wahnsinniger Wust an Arbeit, das ist richtig Arbeit, wenn Sie, Sie<br />

können ja nicht einfach mal eben so im Bewohnerzimmer entscheiden, o.k. ich lass mal heute den<br />

Bewohner in Ruhe, <strong>der</strong> möchte jetzt nicht essen und trinken, verhackstücken Sie das mit den Angehörigen,<br />

verhackstücken Sie das mit, Sie müssen das alles schriftlich nie<strong>der</strong>legen, sie müssen<br />

alles in mehrfacher Art dokumentieren, warum und wieso, welche Versuche und m m m, das ist<br />

natürlich viel viel aufwendiger, als wenn ich sage, ja o.k. <strong>der</strong> hat dementsprechend einen geringen<br />

BMI, <strong>der</strong> will nicht mehr soviel essen, er will nicht so trinken, also zack ins Krankenhaus, ab PEG-<br />

<strong>Anlage</strong>, die kann ich bestücken, kann ich nach Bedarf, ist auch weniger zeitaufwendig, denn gebe<br />

ich so ein bisschen mal was zu essen, ein bisschen was zu trinken, ansonsten hänge ich die Flasche<br />

da dran, hänge ich Flüssigkeit da dran, habe immer die komplette Sollzahl, die ein Mensch so


haben soll, ist ja auch nicht mal eben so aus<strong>zur</strong>echnen, sie haben ein umfangreiches Krankheitsbild“<br />

(Verena Meißner - Pflegende)<br />

Unterstützt würde dieser Druck von <strong>einer</strong> schlechten Darstellung <strong>der</strong> Versorgungssituationen<br />

in den Heimen in den Medien. Schlagzeilen, wie „Bewohner ist verhungert“ führen dazu,<br />

dass man doppelt und dreifach vorsichtig sei, weil man hätte reagieren müssen (Ines<br />

Junkers - Pflegende).<br />

„in <strong>der</strong> stationären Pflege erzählen die mir immer dass Heimaufsicht und Verhungert und Bild-Zeitung<br />

und es ist alles zu gefährlich und es darf man nicht. Da bleibt einem nichts an<strong>der</strong>es übrig,<br />

denke ich“ (Sabine Murnau - Ärztin).<br />

Unterstützt würde dies auch durch die Unfähigkeit, den Tod zuzulassen o<strong>der</strong> die Angst sich<br />

dem Sterbeprozess zu stellen. Faktoren, die ebenfalls die <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG begünstigten.<br />

Das sei ein gesellschaftliches Problem und ein Problem unserer Zeit.<br />

„weil ja im Grunde immer, im Grunde ist es ja wirklich so, wenn jemand nicht mehr isst und trinkt<br />

dann, dann wird er irgendwann sterben, aber <strong>der</strong> wird dann sterben, weil es halt so ist, und im<br />

Grunde wäre das ja auch ein natürlicher Prozess, <strong>der</strong> Sterbeprozess wäre auch natürlich, wir lassen<br />

es aber nicht zu, also wir können nicht zugucken wie jemand stirbt, das können wir nicht mehr<br />

und weil wir das nicht können und im Heim möglicherweise gar nicht dürfen, weil da irgendwelche<br />

Kontrollen sind, sagt man sich, ja gut wir müssen, wir müssen, wir müssen Flüssigkeit rein bekommen<br />

(Sören Wißling - Arzt).<br />

Eine Pflegende beschreibt den Konflikt, in dem Entscheidungen getroffen werden, dass es<br />

einen gewissen Spielraum für Entscheidungen gibt, die professionell begründet werden können,<br />

dass letztlich jedoch im Zugzwang eine Handlung im Sinne eines „handeln müssen“<br />

erfolgen muss.<br />

„ja, wir haben ja nun mal den Expertenstandard Ernährung und <strong>der</strong> gibt ja nun gewisse Kriterien<br />

vor, und eh wir sind ja natürlich auch angehalten uns ein stückweit daran zu halten, en stückweit,<br />

weil je<strong>der</strong> Expertenstandard wird auch mit Leben gefüllt, ne und ich denke, da muss man auch<br />

schon eine gerade Linie fahren, und auch sagen, wenn ich zum Beispiel jemand sehe, <strong>der</strong> völlig<br />

multimorbid ist, <strong>der</strong> im Endeffekt letztendlich sagt, ach lasst mich doch einfach nur in Ruhe, das ist<br />

manchmal für uns sehr schwierig zu entscheiden, lassen wir ihn in Ruhe o<strong>der</strong> tun wir irgendetwas,<br />

letztendlich sind wir verpflichtet was zu tun,“ (Gudrun Kohlmann - Pflegende).<br />

Grenzen <strong>der</strong> Versorgungsstruktur<br />

Pflegende und Ärzte schil<strong>der</strong>n gleichermaßen, dass sie alternativ etwas tun wollen würden,<br />

aber durch Grenzen struktureller Art ausgebremst werden. Eine Pflegende merkt an, dass<br />

Maßnahmen, die Sinne <strong>der</strong> Bewohner zu stimulieren o<strong>der</strong> selbst etwas für sie zu kochen, um<br />

den Appetit an<strong>zur</strong>egen in <strong>der</strong> gängigen Altenheimstruktur sowohl organisatorisch als auch<br />

architektonisch nicht vorgesehen seien. Sie vermisse es gerade für die dementiell Erkrankten<br />

gemeinsam zu kochen o<strong>der</strong> sie in den Alltag zu integrieren. Dazu sei höchstens im Spätdienst<br />

mal Zeit (Gudrun Kohlmann - Pflegende). Zeit sei eine wichtige Grundvoraussetzung<br />

beim Essen reichen, die oft nicht genügend vorhanden wäre (Ines Junkers - Pflegende).<br />

„ja, Zeit auf jeden Fall, die Versorgung <strong>einer</strong> PEG geht schneller als wenn, ist ein ganz an<strong>der</strong>er<br />

Zeitfaktor, wenn sich jemand daneben setzen muss, und jede Nahrung dann anreicht, zwischendurch<br />

denjenigen dann immer ermuntert, nehmen sie ein Schlückchen, (..)<br />

weil ich bin <strong>der</strong> Überzeugung, essen ist Lebensqualität. Zeit haben für das Essen, <strong>der</strong>, <strong>der</strong> Zeitfaktor<br />

ist, ist ein ganz wichtiger und je nachdem welche Verän<strong>der</strong>ungen bei dem alten Menschen<br />

vorliegen, sei es jetzt diagnostisch Krankheiten, durch eine Demenz, dann brauch <strong>der</strong> Mensch<br />

131


vielleicht dreißig, vierzig o<strong>der</strong> fünfzig Minuten, und kann aber in Ruhe sein Essen einnehmen. Die<br />

Zeit ist nicht, die Zeit ist nicht immer da (Karin Kridow - Pflegende).<br />

Bei <strong>der</strong> Entscheidung für o<strong>der</strong> gegen eine PEG müsse man den Zeitfaktor jedoch außer Acht<br />

lassen (Heidrun Stocke - Pflegende). Nicht immer scheint dies möglich. Ein Arzt bemängelt<br />

die Qualität herrschen<strong>der</strong> Versorgung in den Altenheimen. Dabei werden neben organisatorischen<br />

Rahmenbedingungen auch Aspekte un<strong>zur</strong>eichen<strong>der</strong> pflegerischer Kompetenz angesprochen,<br />

die die Erwägung <strong>einer</strong> PEG beschleunigen. Er schil<strong>der</strong>t seine Erfahrungen wie<br />

folgt:<br />

„und auch in den Heimen oben, wissen Sie, eh das ist so desolat, Sie gehen dahin, da ist ne russisch<br />

sprechende Pflegerin nicht wahr, (...), mit <strong>einer</strong> türkischen Vorgesetzten und eine deutsche,<br />

88 Jahre alte Dame, die Durst hat, die kriegt ihre Tasse dahingestellt, die kommt nicht da dran, die<br />

kommt gar nichts, und kommt nach 5 Stunden wie<strong>der</strong>, und es ist genau und die kriegt ihr Essen<br />

hingestellt, was sie nicht wahrnimmt (...) und das! sind alles Dinge, wo man ernsthaft überlegen<br />

muss, natürlich bräuchte ich nur das Altenheim verbessern, ich bräuchte die Pflegesituation, nur<br />

das habe ich nicht, so wie kann ich das machen, da muss ich mir überlegen, welchen Vorteil hat<br />

mein mir anvertrauter Patient, wenn ich ihm helfe, dass er trinken kann, (...) und die <strong>der</strong>zeitige finanzielle<br />

Versorgung in den Heimen, nicht wahr, im Rahmen ihrer Qualitäts-, ihrer Kräfte, nicht, ist<br />

schwierig, die zunehmenden Dokumentationsmaßnahmen behin<strong>der</strong>n ja auch noch und da bleibt im<br />

Endeffekt an Versorgung <strong>der</strong> Patienten mit in Anführungsstrichen, nicht despektierlich "Hilfskräften"<br />

übrig, weil die, die verantwortlich sind dafür in an<strong>der</strong>e Sachen eingebunden sind, leiden die Heime<br />

drunter, also, da kann man manchmal überlegen in Abhängigkeit von <strong>der</strong> Kenntnis und <strong>der</strong> Lebenssituation<br />

<strong>der</strong> alten Leute in Heimen, dass man da etwas liberaler noch ist mit <strong>der</strong> Indikation...<br />

(Ingo Klare - Arzt).<br />

An<strong>der</strong>e Befragte stellen einen Zusammenhang zwischen Arbeitsbelastung und Entscheidung<br />

für eine PEG her. Sie schil<strong>der</strong>n, dass auch die eigene Be- und Entlastung die <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong><br />

PEG begünstigen können.<br />

„Wobei manchmal, gebe ich ehrlich zu manchmal, manchmal sagt man auch ja, komm egal mach,<br />

hau rein, damit man auch seine Ruhe hat, manchmal ist es auch so, für mich auch manchmal<br />

leichter dann, das gebe ich ehrlich zu. Bei so Fällen, wo man denkt ja, kann <strong>der</strong> nicht noch trinken,<br />

geht das nicht noch irgendwie, kann man vielleicht noch mehr machen und so, aber dann ist auch<br />

die Personalsituation im Heim nicht so optimal, wenn man ganz ehrlich ist und dann sind dann<br />

solche Kriterien spielen auch eine Rolle“ (Sören Wißling - Arzt).<br />

„dass wir von zig Institutionen geprüft werden, finde ich auch richtig, ist o.k., hat aber für uns<br />

manchmal wirklich, bei <strong>der</strong> Arbeit, die auf uns lastet, und so viel ist, dass man wirklich, o<strong>der</strong> ich<br />

manchmal bestimmt schon Entscheidungen getroffen habe, gesagt, o.k. dann geht se eben ins<br />

Krankenhaus, dann wird ne PEG gelegt, ich kann es nicht länger verantworten, weil mir k<strong>einer</strong> hilft,<br />

sag ich einfach mal, (..), aber und dann sage ich manchmal wirklich, da habe ich es einfacher, ich<br />

brauche die PEG nur anzuschließen, und da ist wun<strong>der</strong>bar nachzuvollziehen für jeden, dann bin<br />

ich auf <strong>der</strong> sicheren Seite" (Monika Reichert - Pflegende).<br />

Evaluation<br />

In <strong>der</strong> dritten Phase des <strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong>s geht es um eine Bewertung <strong>der</strong> getroffenen<br />

Entscheidung. Diese Überprüfung sei wichtig und würde oft vergessen.<br />

132<br />

„Dass ich denke so problematisch ist immer wie<strong>der</strong> dieser also bei PEG dann später sich mit dieser<br />

bestehenden PEG so dann auseinan<strong>der</strong>setzen fachlich und das was ich gesagt hatte mit diesen<br />

Zielen auseinan<strong>der</strong>setzen und die Ziele nicht einfach aus, aus den Augen verlieren und das heißt<br />

dann regelmäßig überprüfen. Was hat die PEG-<strong>Anlage</strong>, also das Legen <strong>einer</strong> PEG so gebracht,<br />

nicht nur die Zahlen, also die Parameter, die ich dann sehe, dass dann einmal in einem Monat so<br />

<strong>der</strong> Bewohner so einen Kilo zugenommen hat, son<strong>der</strong>n auch die an<strong>der</strong>en Aspekte, habe ich auch


versucht o<strong>der</strong> habe ich überhaupt Versuch gestartet, dass ich ihm die Möglichkeit gebe, dass er<br />

dann irgendwann seine Ressourcen evtl. nutzen kann. Fähigkeiten, also selbstständig zu essen,<br />

trinken, ja” (Max Toschik - Pflegen<strong>der</strong>)<br />

Verläufe ohne PEG<br />

Eine Pflegende berichtet von <strong>einer</strong> Situation, in <strong>der</strong> es als Quälerei für sich und den Bewohner<br />

befand, das Essen an<strong>zur</strong>eichen, weil dieser nicht mehr essen und trinken wollte. Es kam<br />

es zu <strong>einer</strong> Krankenhauseinweisung. Der Betreuer sprach sich gegen die <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG<br />

aus und <strong>der</strong> Patient verstarb innerhalb weniger Tage. Aus <strong>der</strong> Perspektive <strong>der</strong> Pflegenden<br />

hätte man durch Flüssigkeitsgabe eine Stabilisierung erreichen können, sie selbst hätte an<strong>der</strong>s<br />

entschieden und war mit <strong>der</strong> getroffenen Entscheidung nicht zufrieden (Ines Junkers -<br />

Pflegende).<br />

Über Situationen, in denen gegen eine PEG und für eine Sterbephase entschieden wurde,<br />

wurden nur von den Pflegenden angesprochen. In einem Fall waren sich alle Beteiligten bis<br />

auf die Pflegenden über das Vorgehen einig.<br />

„da hatte <strong>der</strong>jenige halt so ne Patientenverfügung, wo es halt über eine PEG ging, und wo es auch<br />

um an<strong>der</strong>e Geräte jetzt ging, was da halt drinsteht in so <strong>einer</strong> Patientenverfügung und da wurde die<br />

PEG halt definitiv abgelehnt und <strong>der</strong>jenige durfte dann halt in Ruhe dann auch sterben (..) für die<br />

Angehörigen war das in Ordnung, aber für einige vom Pflegepersonal her, die haben das wie<strong>der</strong>um<br />

nicht verstanden, das ist, da hat ja je<strong>der</strong> sowieso wie<strong>der</strong>um seine eigene Meinung zu“ (Sandra<br />

Kutschke - Pflegende).<br />

Denn „die Pflege hat immer noch mehr die Hoffnung - es wird schon wie<strong>der</strong>. ja?“ (Jörg<br />

Demmler - Pflegen<strong>der</strong>)<br />

„also wenn wir jetzt entscheiden müssten, wir würden ihr, da sind wir uns um Team auch einig, wir<br />

würden ihr ne PEG legen, weil wir das Gefühl haben, da kommt was“ (Martina Reger - Pflegende)<br />

In einem an<strong>der</strong>en Fall wurde die Entscheidung für gut befunden keine PEG gelegt zu haben<br />

und eine gute Sterbephase gestalten zu können.<br />

„Da war es so, das diese Frau einfach, ja das, dass wir dann verschiedene Dinge ausprobiert haben<br />

und das hat auch geklappt, wie gesagt mit dem trinken, aber mit dem Essen war es dann einfach<br />

nicht mehr möglich und die ist verstorben und friedlich eingeschlafen. Das ging relativ schnell<br />

und da habe ich gedacht, vielleicht war es gut so, da keine PEG einzusetzen“ (Karin Kridow - Pflegende).<br />

Verläufe mit PEG<br />

Wurde <strong>der</strong> <strong>Entscheidungs</strong>prozess mit einem positiven Votum für eine PEG abgeschlossen,<br />

lassen sich aus den berichteten Fallbeispielen unterschiedliche Verlaufsvarianten beschreiben.<br />

Nach Angaben <strong>der</strong> Befragten ist es kaum vorhersagbar, wie lange eine PEG zum Einsatz<br />

kommt.<br />

Episodischer Einsatz <strong>der</strong> PEG<br />

Situationen <strong>der</strong> ersten Variante sind dadurch gekennzeichnet, dass nach kurzer Krisenintervention<br />

die PEG stillgelegt o<strong>der</strong> erfolgreich gezogen werden konnte, weil die Patienten anschließend<br />

in <strong>der</strong> Lage waren wie<strong>der</strong> selbstständig zu essen und zu trinken. Meist handelte<br />

es sich um eine Verbesserung <strong>der</strong> Allgemeinsituation nach unklaren o<strong>der</strong> depressiven Verstimmungen<br />

o<strong>der</strong> durch Wie<strong>der</strong>erlangung <strong>der</strong> Fähigkeiten nach Rückgang <strong>einer</strong> Schlaganfallsymptomatik.<br />

133


„das war eine Frau die, die, <strong>der</strong> Sohn sagte immer, die stirbt sowieso, wir machen nicht s mehr,<br />

aber die war nicht so weit, dass sie stirbt, die war überhaupt nicht so weit und,(...) Die Frau lebt<br />

immer noch, ist schon, also die, und interessanter Weise, bei <strong>der</strong> war es interessanter Weise so,<br />

die bekam dann die PEG-Sonde und wurde auf, war dann auf, ein viertel Jahr o<strong>der</strong> so und dann<br />

hat die wie<strong>der</strong> selbst gegessen, die braucht sie gar nicht mehr, die hat sie noch liegen aber eigentlich<br />

bräuchte sie die gar nicht mehr. Aber das war auch so ein Fall, wo man wirklich kurzfristig für<br />

ein viertel Jahr was machen konnte und dann ging es <strong>der</strong> wie<strong>der</strong> gut und <strong>der</strong> hätte die, <strong>der</strong> hätte<br />

die jetzt sterben lassen und aber die war klinisch einfach gut.“ (Sören Wißling - Arzt)<br />

„Und da ist auch eigentlich zu sehen, dass gerade bei solchen Patienten es einher geht mit dem<br />

Schlucktraining, d. h. sie wird komplett versorgt, Flüssigkeit wie auch Nahrung, und auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />

Seite bemüht man sich trotzdem das Schlucken wie<strong>der</strong> zu aktivieren und wir haben im Moment<br />

einen Fall, wo das sogar ganz gut gelingt. Man fängt mit (kleinen) Flüssigkeit an o<strong>der</strong> eben halt mit<br />

nem Joghurt und das ist eine unterstützende Maßnahme bis man vielleicht soweit kommt, dass<br />

man auch eine PEG wie<strong>der</strong> absetzen kann. Das wird dann auch getan. Ne, man kann sie ja im<br />

Prinzip auch still legen und sagt, ja okay wir benutzen sie nicht mehr, weil es nicht gebraucht wird<br />

und wenn das Schlucktraining so gut ist, dass man hun<strong>der</strong>t Prozent das so wie<strong>der</strong> übernehmen<br />

kann, dann ist PEG auch eigentlich in dem Moment reversibel, ne. Dann ist das so“ (Dieter Kronau<br />

- Pflegen<strong>der</strong>).<br />

Voraussetzung <strong>einer</strong> solchen Entwicklung ist ein positiver Krankheitsverlauf, eine situative<br />

Patientenbeobachtung und <strong>der</strong> beständige Versuch immer wie<strong>der</strong> Nahrung oral anzubieten<br />

und hängt eng mit den personellen und strukturellen Bedingungen <strong>der</strong> Versorgungssituation<br />

zusammen. Eine Ärztin merkt diesbezüglich an:<br />

„und da haben wir ja auch absolut einige Fälle schon gehabt, wo man dann gemerkt hat, das<br />

reicht, die essen gut wie<strong>der</strong> und dass man dann die Sonde dann sogar wie<strong>der</strong> entfernt hat o<strong>der</strong><br />

eben belässt für den Fall das dann mal Flüssigkeitsgabe nicht ausreichend ist, dass da aber gar<br />

keine Ernährung mehr drüber läuft, nur noch Flüssigkeit und das kann man eigentlich nur erreichen,<br />

wenn vom pflegerischen her immer wie<strong>der</strong>, (...) Angebot da ist und Versuch da ist“.(Sigrid<br />

Kreuzer - Ärztin)<br />

Auch Pflegende berichten, wie unterschiedlich mit <strong>einer</strong> liegenden PEG umgegangen werden<br />

kann und dass die persönliche Einstellung <strong>der</strong> Betreuenden einen wichtigen Einfluss<br />

ausübt, ob zusätzlich Nahrung angeboten wird.<br />

„Deswegen es ist schon interessant was man bei <strong>der</strong> Begutachtung eines Bewohners erlebt, Bewohner<br />

mit Apoplex links gelähmt, PEG- <strong>Anlage</strong> seit März 2008 und bekommt Biosorb ( ) PEG bekommt<br />

er auch Flüssigkeit nach unsrer praktisch Berechnung so und so viel am Tag und wir kreuzen<br />

bzw. führen unsere Tätigkeitsnachweise durch und da steht irgendwo im Bereich Ernährung<br />

steht Zubereitung Sondennahrung (..) da steht allerdings Zubereitung <strong>der</strong> Mahlzeiten und da habe<br />

ich unterzeichnet, abgezeichnet, also dreimal am Tag mit meinem Handzeichen, dann Zwischengetränke<br />

reichen fünf Mal am Tag, da wurde ich gefragt warum, <strong>der</strong> hat doch PEG-<strong>Anlage</strong>. Da<br />

habe ich gesagt, weil <strong>der</strong> Mensch das will, <strong>der</strong> wünscht sich das, das ist die Hauptquelle () Möglichkeit<br />

ihn zu ernähren, aber ich habe ihm trotzdem drei Mal am Tag Essen angeboten, Pudding,<br />

Kekse zermatscht und Brot klein geschnitten und zu trinken habe ich ihm fünf Mal angeboten und<br />

deswegen habe ich auch die Zeit für den Menschen, für die Pflege, für die Pflege investiert und das<br />

war mir wichtig. Für ihn und für mich und das wird auch oft dann vergessen. Man denkt verdammt<br />

noch mal jetzt hat er drei Flaschen am Tag, hat er die Pumpe o<strong>der</strong> (9) o<strong>der</strong> wie auch immer o<strong>der</strong><br />

Schwerkraft, so jetzt braucht er gar nichts mehr und da wird <strong>der</strong> Mensch als Mensch vergessen“<br />

(Max Toschik - Pflegen<strong>der</strong>).<br />

Auf die Frage, wie man das merkt, dass ein Bewohner wie<strong>der</strong> essen und trinken kann und<br />

will, antwortete ein Pfleger:<br />

134


„Das kam dadurch, dass sie im Aufenthaltsraum war mit an<strong>der</strong>en Bewohnern am Tisch und wenn<br />

dann da was stand, dass sie auch selber zugegriffen hatte und was genommen hatte und dann<br />

konnten wir das dann irgendwann sehen und dann, wir haben auch Rücksprache mit dem Hausarzt<br />

gehalten und <strong>der</strong> hat gesagt, ja, wenn das funktioniert, dann sollen wir mal weiter versuchen<br />

Sachen an<strong>zur</strong>eichen (Hannes Berger).<br />

Ein solcher Verlauf bestätigt die Handelnden in ihrer getroffenen Entscheidung. Das Ergebnis<br />

ist erfreulich, es kann eine positive Bilanz gezogen werden.<br />

„Ja, bei dieser einen Bewohnerin, wo es sich dann hinterher gebessert hat, da waren die Angehörigen<br />

natürlich froh, dass es so gut verlaufen ist und dass sie auch wie<strong>der</strong> selber Nahrung aufnehmen<br />

kann“ (Hannes Berger).<br />

Desweiteren werden Situationen geschil<strong>der</strong>t, in denen PEG-Sonden liegen bleiben ohne<br />

benutzt zu werden. Dies geschieht aus Gründen <strong>der</strong> Sicherheit und Prophylaxe für den Fall<br />

<strong>einer</strong> Verschlechterung, die nicht immer auszuschließen ist, auch um einen erneuten Krankenhausaufenthalt<br />

zu vermeiden. O<strong>der</strong> auch, um bei Bedarf, z. B. einem kurzfristigen Fieberschub<br />

genügend Flüssigkeit verabreichen zu können. Das sei eindeutig ein Vorteil (Gudrun<br />

Kohlmann - Pflegende).<br />

„Die Frage ist dann natürlich, wenn es dem Patienten wie<strong>der</strong> halbwegs gut geht, das ist eine viel<br />

wichtigere Frage, ziehen wir sie wie<strong>der</strong> raus? (..) Und was machen wir, wenn man sie raus gezogen<br />

hat, am nächsten Tag kriegt er wie<strong>der</strong> einen Apoplex o<strong>der</strong> irgend so was. O<strong>der</strong> spülen wir sie<br />

nur ab und zu und lassen die Leute normal essen, aber PEG lassen wir drin, um eventuell mal<br />

nach zu füttern o<strong>der</strong> Flüssigkeit nach zu füllen o<strong>der</strong> irgend so was“ (Rainer Braun - Arzt).<br />

In Situationen wie diesen herrscht Skepsis, ob eine dauerhafte Krisenbewältigung angenommen<br />

werden kann, die Bewertung bleibt verhalten und abwartend.<br />

Dauerhafter, zeitlich nicht begrenzter Einsatz <strong>einer</strong> PEG<br />

In an<strong>der</strong>en Verläufen gibt es keine Begrenzung zum zeitlichen Einsatz <strong>einer</strong> PEG. Hier<br />

scheint eine dauerhafte Gabe von Sondenernährung o<strong>der</strong> Flüssigkeit indiziert. Gründe hierfür<br />

sind eine unverän<strong>der</strong>te klinische Situation und keine Aussicht auf Besserung.<br />

Eine Ärztin beschreibt eine Situation, in <strong>der</strong> die PEG lediglich <strong>zur</strong> Flüssigkeitssubstitution<br />

verwendet wird und die Patientin wie<strong>der</strong> oral essen und trinken kann.<br />

„Ich hab eine Patientin, die profitiert schon. Sie ist ja untergewichtig und die hatte Nierenkoliken<br />

und bei Nierenstein inoperabel, weil sie halt alt ist und (..) die ist nicht dement, hat klar entschieden:<br />

ich esse jetzt wie<strong>der</strong>, ich will das nicht mehr. Hatten wir überlegt, ob wir die ziehen und dann<br />

haben wir gesagt, ne, wegen <strong>der</strong> Flüssigkeit lassen wir ihr die, die schafft das nicht, zwei Liter zu<br />

trinken. Und das klappt gut. (..) Sie hat auch keine Koliken mehr seit dem. Und sie isst aber, ganz<br />

normal und die, denke ich, profitiert davon, dass sie keine Beschwerden hat. Die würde alleine nie<br />

Mals die zwei Liter schaffen, das kann sie einfach nicht mehr“ (Sabine Murnau - Ärztin).<br />

Obwohl die PEG weiter nötig erscheint, wird die Entscheidung positiv bewertet, ein Nutzen<br />

ist eingetreten.<br />

Eine dauerhafte Vollsubstitution kommt nach Aussagen <strong>einer</strong> Pflegenden beson<strong>der</strong>s bei irreversiblen<br />

Schluckstörungen und implizitem Schluckverbot zum Tragen (Kati Nimwegen -<br />

Pflegende). Obwohl es nach Ansicht <strong>einer</strong> Pflegenden nicht so ist, „dass Leute mit PEG<br />

endlos leben“ (Irmgard Buschmühler - Pflegende) berichten an<strong>der</strong>e Befragte von Fallbeispielen<br />

in denen Patienten seit mehreren Jahren mit <strong>einer</strong> PEG ernährt werden.<br />

„Nee, also ich habe eine Patientin, die hat neunzehnhun<strong>der</strong>tfünfundachtzig mit PEG das Pflegeheim,<br />

also kam ins Pflegeheim, hat dann nach sieben Jahren die PEG haben wir dann wie<strong>der</strong> zie-<br />

135


hen können. Sie hat mich noch nie bewusst wahrgenommen, sie lebt immer noch, ist in einem dementen<br />

Zustand, hat dann glaube ich seit drei Jahren wie<strong>der</strong> eine PEG, das ist sehr, sehr schwierig.<br />

Also hätte man mich damals gefragt wie lang lebt die noch, hätte ich gesagt, weiß ich nicht<br />

vielleicht zwei Jahre, vielleicht auch drei und jetzt schreiben wir zweitausendundacht und sie lebt<br />

immer noch in diesem völlig dementen Dämmerzustand mit tausendfünfhun<strong>der</strong>t Kalorien pro Tag,<br />

das ist sehr, sehr problematisch.“ (Niklas Seifert - Arzt)<br />

„Also ich denke, ich habe eine Patientin, die hat vor zehn Jahren, vor zehn Jahren hat die eine<br />

PEG bekommen und die liegt im Bett, total abwesend, die wird gepflegt, die wird künstlich versorgt,<br />

jetzt fängt sie an Dekubitalgeschwüre zu entwickeln aber ansonsten, sie reagiert nicht. Ich<br />

weiß nicht, ob das sinnvoll ist“ (Rainer Braun - Arzt).<br />

Situationen, wie diese werfen das Licht auf eine beson<strong>der</strong>e Problematik <strong>der</strong> einmal getroffenen<br />

Entscheidung, die niemand verifizieren mag. Die PEG ist gelegt und erfüllt die Erwartung,<br />

die Ernährungssituation zu stabilisieren. Ein Nutzen im Sinne <strong>der</strong> Lebensqualität kann<br />

nicht klar beschrieben, aber auch nicht ausgeschlossen werden. Die Pflegenden berichten<br />

von Angehörigen, die ihre Entscheidung im Nachhinein bereuen und sich fragen: „Warum<br />

haben wir dem zugestimmt? (Rudi Menrich - Pflegen<strong>der</strong>). Es scheint, als befänden sich die<br />

Handelnden in <strong>einer</strong> Patt-Situation o<strong>der</strong> einem <strong>Entscheidungs</strong>vakuum. Die Entscheidung in<br />

Frage zu stellen und sich aktiv gegen eine Ernährung bei liegen<strong>der</strong> Ernährungssonde zu<br />

entscheiden, gerät in das Grenzgebiet passiver Sterbehilfe. Eine Entscheidung, für die niemand<br />

die Verantwortung übernehmen will.<br />

„Allerdings muss ich dazu sagen, die Dame hatte ein sehr starkes Herz und aber <strong>der</strong> Lebenswille<br />

fehlte, die Dame hat dann zwar einige Zeit o<strong>der</strong> mindestens zwei Jahre dann noch mit <strong>der</strong> PEG<br />

gelebt und die Tochter war dann enttäuscht gewesen, dass die Mutter dann praktisch nicht sterben<br />

konnte und das war dann für sie sehr schlimm. Sie hat dann im nach hinein hat sie gesagt, hätte<br />

ich das nur nicht tun lassen, denn meine Mutter, ist ja kein Leben, sie, sie vegetiert nur noch dahin<br />

und das war für die Tochter sehr, sehr schwer, denn sie wollte dann, hat mit dem Arzt gesprochen,<br />

dass sie die Nahrung absetzen können, das ging ja dann nun auch nicht mehr, das war sehr<br />

schwer für die Angehörigen, dass sie diesen Schritt gemacht haben.“ (Arina Schnürer - Pflegende).<br />

„ich habe auch erlebt, weil viele Angehörige, die das später bereut haben, dass sie das zugestimmt<br />

haben, die haben das bereut, aufgrund dieses Vegetierens, die haben geweint, und die waren <strong>der</strong><br />

Meinung, dass die leiden, ihre Mutter, ihr Vater“(Mari Minowski - Pflegende).<br />

Eine Pflegende schil<strong>der</strong>t, wie aus <strong>einer</strong> PEG, die zuerst nur <strong>zur</strong> Flüssigkeitssubstitution gedacht<br />

war, fast unbemerkt zu <strong>einer</strong> Vollernährung via PEG wird und dass die Grenzen fließend<br />

sind.<br />

136<br />

„ich sag mal, wenn jemand dann nur teilweise isst o<strong>der</strong> nur teilweise trinkt, machen wir das ja auch<br />

so, dass wir teilweise was zu essen reichen und teilweise was dann über die PEG dann bestücken,<br />

dann will <strong>der</strong>, ich sag mal, dann am nächsten Tag weniger essen, dann irgendwann landet <strong>der</strong> im<br />

kompletten System <strong>der</strong> PEG-Bestückung, dann haben sie irgendwann so ein, das ist so ein schleichen<strong>der</strong><br />

Prozess, das ist echt oft so ein schleichen<strong>der</strong> Prozess, dann ist das so aus <strong>der</strong> Routine<br />

draußen, normalerweise bin ich ja verpflichtet als Pflegekraft ihm auch wenigstens täglich etwas<br />

anzubieten, bin ich verpflichtet, aber irgendwann bei solchen Besetzungen wan<strong>der</strong>t das dann irgendwo<br />

in <strong>der</strong> Versenkung“ (..) „und so kommt das dann ganz schnell zu einem ganz schleichenden<br />

Prozess, dass nur noch die Bestückung da ist, so vielleicht kriegt er dann noch einen Joghurt<br />

o<strong>der</strong> einen Wackelpudding und das war´s und wenn die dann oftmals, dann oftmals, ich weiß nicht<br />

warum und wieso, aber sie sind dann natürlich optimal in Anführungsstrichen sind sie natürlich von<br />

<strong>der</strong> Ernährung her, von <strong>der</strong> Flüssigkeitszufuhr her, aber <strong>der</strong> Abbau schreitet ja trotzdem voran, und<br />

irgendwann liegen die komischerweise alle im Bett und sind nur bedingt mehr mobilisierbar und<br />

dann entsteht, ich sag nur und dann entsteht, weil <strong>der</strong> BMI muss ja erhalten bleiben, dann entsteht<br />

hier so n riesen Trommelbauch, das Bauchfett, das das wächst, die Gliedmaßen, weil die Mobilität<br />

eben weniger ist, habe ich ganz dünne Gliedmaßen, <strong>der</strong> Muskelabbau findet statt und das erleben


wir hier ganz ganz häufig, dass dann auf einmal die Leute nur noch bestückt werden, die liegen da,<br />

wie so lebendige Leichen, über Jahre hinweg, und werden ernährt, bekommen ausreichend Flüssigkeit,<br />

werden gelagert alle zwei Stunden, werden eben grundpflegerisch versorgt, kriegen irgend<br />

so n buntes Tuch o<strong>der</strong> ein Mobile dahin, sind aber schon komplett in <strong>einer</strong> an<strong>der</strong>en Welt, und em<br />

weiß ich nicht, also da, unter Leben stell ich mir dann noch n bisschen was an<strong>der</strong>es vor, als das<br />

einfach so, als das, was dann so am Ende dieser ganzen Prozedur dann entsteht, nach zig zig<br />

Jahren, (…) nur wenn die einmal liegen, dann liegen die, dann ist es dann nicht mehr <strong>zur</strong> Flüssigkeitsbilanzierung<br />

gewesen, dann ist hinterher doch ne Sondenkost dazugekommen, dann ist noch<br />

ne Sondenkost dazugekommen und dann irgendwann haben wir dann das Problem gehabt, dass<br />

Sie irgendwann im Bett gelegen hat, dann waren eben halt an<strong>der</strong>e Erkrankungen, die dann noch<br />

dazukamen, und dann wir dieser Sterbeprozess, <strong>der</strong> wird einfach dann so wahnsinnig lang, <strong>der</strong><br />

wird dann manchmal Jahre! die quälen sich manchmal Jahre, die haben dann solche Trommelbäuche,<br />

darum geht es einfach, (Verena Meißner - Pflegende)<br />

An<strong>der</strong>s scheint es zu sein, wenn auch bei liegen<strong>der</strong> PEG eine Sterbephase eindeutig erkennbar<br />

ist.<br />

„Die PEG kann man ja auch so nutzen, mittlerweile kann man eine PEG auch so nutzen, dass,<br />

wenn man sieht, dass ein Bewohner im Sterben liegt, o<strong>der</strong> die letzten Wochen anfangen, denke ich<br />

ist man mittlerweile so weit, und kann Sondenkost reduzieren, man kann das ja human anpassen<br />

und denjenigen nicht mit Nährstoffen vollpumpt, die gar nicht mehr verwertet werden können, also<br />

wenn man die PEG so nutzt, sehe ich eigentlich keine Probleme“ (Meike Saalfeld - Pflegende).<br />

Verbesserungspotentiale / Persönliche Empfehlungen<br />

Zum Abschluss des Interviews hatten die Befragten die Möglichkeit persönliche Empfehlungen<br />

zu äußern, die helfen könnten, den <strong>Entscheidungs</strong>prozess zu verbessern.<br />

Einige <strong>der</strong> Pflegenden sind mit <strong>der</strong> gängigen Praxis <strong>der</strong> <strong>Entscheidungs</strong>findung zufrieden und<br />

sehen keine Notwendigkeit <strong>einer</strong> Verbesserung.<br />

„Es ist gut, wie es ist“ (Ines Junkers - Pflegende)<br />

Das heißt, wenn man das in dieser Form beibehält, so wie ich das jetzt kenne, die ersten drei, vier<br />

Jahre. Dass man praktisch sich mit Informationen austauscht, dass man dann gewisse Parameter<br />

festhält, schriftlich, immer wie<strong>der</strong> die Messungen macht. Körpergewicht, Hautzustand, auch so gewisse<br />

Körperteile Umfang messen, je nachdem. Verän<strong>der</strong>ungen in <strong>der</strong> Psyche des Menschen<br />

auch berücksichtigen und dann irgendwann sich mit dem Thema so ja, PEG jetzt legen o<strong>der</strong> nicht,<br />

das finde ich in Ordnung“ (Max Toschik - Pflegen<strong>der</strong>).<br />

Eine wichtige For<strong>der</strong>ung war die nach <strong>einer</strong> guten, aber praktikablen Aufklärung <strong>der</strong> Angehörigen<br />

über Sinn, Zweck und Möglichkeiten <strong>einer</strong> PEG. Die Informationen sollten realistisch<br />

und vor allem überschaubar sein und beson<strong>der</strong>s den Angehörigen helfen, die ängstlich und<br />

unsicher in <strong>der</strong> Entscheidung sind. Zur Form <strong>der</strong> Informationstransfers wurde verschiedenes<br />

vorgeschlagen. Viel Papier würde nicht gelesen, das müsse man bedenken (Klaus Krämer -<br />

Arzt), Genügend Material sei auch vorhanden, das müsse man nur nutzen. Manche Angehörige<br />

nähmen dieses jedoch sehr gerne auf (Gudrun Kohlmann - Pflegende), einfache, aber<br />

informative Broschüren können mit nach Hause genommen und gelesen werden, wenn sie<br />

es wollen, Gespräche seien oft zu spontan (Meike Saalfeld - Pflegende). Auch Informationsveranstaltungen<br />

könne man machen (Niklas Seifert - Arzt), würden aber häufig nur von Personen<br />

besucht, die unmittelbar von <strong>der</strong> Thematik betroffen wären, dafür sei eine PEG doch<br />

recht selten (Rainer Braun - Arzt). Nach Ansicht <strong>einer</strong> Pflegekraft muss die Beratung <strong>der</strong><br />

Angehörigen professionell sein, was bedeutet, die persönliche Einstellung „außen vor“ zu<br />

lassen und eine getroffene Entscheidung zu respektieren (Kati Nimwegen - Pflegende). Direkte<br />

Anschauungen <strong>einer</strong> PEG können Berührungsängste mil<strong>der</strong>n und konkrete Fragen<br />

137


eantworten helfen (Martina Reger - Pflegende). Auch Information über das Internet würden<br />

mittlerweile von vielen Angehörigen genutzt.<br />

„Ja also, Papier, aber auch schon Internet. Weil viele, die jetzt kommen, ne. Wenn die googeln,<br />

PEG, dass dann sowas kommt. (Machen viele...) Weil es gibt, natürlich haben wir auch einen<br />

Großteil Angehörige, die sind so um die siebzig, aber wir haben natürlich mittlerweile auch Angehörige,<br />

die sind vierzig, die können alle mit dem Internet umgehen“ (Irmgard Buschmühler -<br />

Pflegende)<br />

Einen großen Verbesserungsbedarf sahen die Beteiligten für die Situation in den Krankenhäusern,<br />

in denen Verän<strong>der</strong>ungen im Aufklärungsstil unter <strong>der</strong> Devise: Information statt<br />

Druck dringend erfor<strong>der</strong>lich seien (Sandra Kutschke - Pflegende).<br />

Eine Ärztin empfahl eine frühzeitige Auseinan<strong>der</strong>setzung mit <strong>der</strong> Thematik des „Lebensendes“<br />

im Familienverbund und wünschte sich eine sachlichere Darstellung in den Medien<br />

(Sabine Murnau - Ärztin). Einige Pflegende wünschen sich nicht nur mehr Sachlichkeit, son<strong>der</strong>n<br />

auch mehr positive Berichte über die Versorgungssituation z. B. von Erfolgen mit <strong>einer</strong><br />

PEG, die dann wie<strong>der</strong> gezogen werden konnte (Ines Junkers - Pflegende). Das Thema<br />

müsse in <strong>der</strong> Öffentlichkeit stärker präsent sein und die allgemeine Bevölkerung erreichen,<br />

damit ein Tabu aufgelöst würde. Auch müsse man von professioneller Seite das Thema<br />

frühzeitiger ansprechen und stärker kultivieren (Lisa Griffler - Pflegende).<br />

„und ich denke, ich kann das nur mit meinen Kin<strong>der</strong>n besprechen, das die dann, in dem Falle,<br />

wenn ich mich nicht mehr äußern kann, für mich entscheiden also, das man immer im Gespräch<br />

bleibt, das die wissen, was meine aktuelle Verfassung ist, was ich so gerade möchte“ (Martina Reger<br />

- Pflegende).<br />

Wie bereits erwähnt legen die Befragten sehr viel Wert auf das direkte persönliche Gespräch.<br />

Ein formalisiertes Vorgehen <strong>zur</strong> Ermittlung des Patientenwillens wurde von einem<br />

Arzt zum Zeitpunkt <strong>der</strong> Aufnahme in eine Einrichtung empfohlen. An<strong>der</strong>e sahen dies skeptischer:<br />

„ ich persönlich halte nichts davon, dass so zum standardisierten Zeitpunkt zu machen, weil es<br />

eben sehr individuelle Entscheidung ist und ich versuch, wenn es irgendwie geht, das halt rechtzeitig<br />

zu besprechen, aber <strong>der</strong> Punkt ist halt bei jedem an<strong>der</strong>s und je theoretischer man das macht,<br />

desto weniger hilfreich ist es ja dann“ (Sabine Murnau - Ärztin).<br />

Eine Pflegende wünscht sich „kürzere Wege <strong>der</strong> Entscheidung“ (Gudrun Kohlmann - Pflegende).<br />

An<strong>der</strong>e, dass eine bessere Vorarbeit geleistet würde, um direkt handlungsfähig zu<br />

sein.<br />

„Ich denke, wir haben schon eine sehr große <strong>Entscheidungs</strong>kraft, also - mehr wünschen? - vielleicht<br />

etwas bessere Vorarbeit, also die nicht die Pflege leistet, son<strong>der</strong>n die einfach fertig ist, wenn<br />

die Pflege ihre Arbeit beginnt,(...) dass man dann wirklich die Materialien <strong>zur</strong> Verfügung hat und eigentlich<br />

viel klarer, zügiger, unaufgeregter arbeiten kann, das wäre eher wünschenswert (Meike<br />

Saalfeld - Pflegende)<br />

„wenn im Vorfeld geklärt werden könnte, wenn dieser Tag X kommen sollte, dass man dann auch<br />

handeln darf, dass man nicht mehr groß telefonieren muss, und praktisch so erst auch Personen<br />

davon überzeugen muss“ (Jörg Demmler - Pflegen<strong>der</strong>).<br />

Hierzu könne man durch Schulungen des Personals einen verbesserten Wissenstransfer<br />

ermöglichen und Ängste auf Seiten <strong>der</strong> Professionellen abbauen, (Lisa Griffler - Pflegende).<br />

Das gelte auch für junge und unerfahrene Ärzte (Monika Reichert – Pflegende)<br />

138


Eine engere Zusammenarbeit <strong>der</strong> Akteure wurde von den meisten Befragten als sinnvoll und<br />

erstrebenswert erachtet. Ein Arzt betonte beson<strong>der</strong>s die Kooperation <strong>der</strong> Ärzte untereinan<strong>der</strong>,<br />

auch eine frühzeitigere <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG sei zu überdenken:<br />

"mein Votum, das wichtigste: PEG ja, bei einem speziellen Patientenklientel, dass diese Indikation<br />

hat, dann aber bitte ein bisschen früher als bisher, solange er noch bewusst profitieren kann“. (Ingo<br />

Klare - Arzt)<br />

Eine Pflegekraft wünscht sich eine weniger betriebswirtschaftliche Ausrichtung <strong>der</strong> Pflegekultur,<br />

son<strong>der</strong>n eine Versorgungsstruktur, die stärker alltagsbezogen, an sinnvoller Beschäftigung<br />

und menschlicher Wärme für die alten Menschen orientiert ist (Gudrun Kohlmann -<br />

Pflegende). Vor allem für Menschen mit Demenz, die oftmals das Essen nur vergessen<br />

müsse man alternative Betreuungskonzepte einführen und auf ungewöhnliche Esskulturen,<br />

wie z. B. Fingerfood <strong>zur</strong>ückgreifen (Sandra Kutschke - Pflegende).<br />

Für alle befragten Ärzte und Pflegende ist Individualität das zentrale Kriterium <strong>der</strong> Entscheidung,<br />

die von Person zu Person getroffen werden müsse und für die ein standardisiertes<br />

Vorgehen nur bedingt von Nutzen wäre. Es bliebe „schwierig“ und sei auch weiterhin eine<br />

Einzelfallentscheidung, mit o<strong>der</strong> ohne <strong>Entscheidungs</strong>hilfe, die immer nur aktuell getroffen<br />

werden kann.<br />

„nein, dass, was jetzt zählt, ist akut entscheidend nicht was vor paar Jahren mal entschieden worden<br />

ist ne? weil noch <strong>der</strong> Betroffene än<strong>der</strong>t auch seine Ansichten, weil er vor Jahren als er dieser<br />

Entscheidungen getroffen hat konnte er sich gar nicht vorstellen, wie ist das wenn man unterernährt<br />

ist wie ist das wenn man so geschwächt ist dass man dem Tod sehr nahe ist, die Entscheidung<br />

kann k<strong>einer</strong> für sich im Vorfeld definitiv treffend, ich kann nur mir vorstellen als m<strong>einer</strong> jetzigen<br />

gesunden Situation möchte ich das nicht“ (Jörg Demmler - Pflegen<strong>der</strong>).<br />

„also ich denke, dass man diese <strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong>, dass die immer schwer bleiben werden,<br />

egal was kommt, o<strong>der</strong> welche Hilfsmittel man auch hat, weil da spielen immer Emotionen mit, und<br />

<strong>der</strong>, <strong>der</strong> die Entscheidung treffen muss, <strong>der</strong> Betreuer, <strong>der</strong> Angehörige, (...) entscheidet immer aus<br />

<strong>der</strong> Emotion heraus, in <strong>der</strong> er sich gerade befindet, ich weiß nicht, ob ich für mich eine Patientenverfügung<br />

machen werde, weil ich jetzt sage, das möcht ich nicht, ich will keine lebensverlängernden<br />

Maßnahmen, ich weiß aber nicht, was ich will, wenn ich jetzt in dieser Situation bin“ (Martina<br />

Reger - Pflegende)<br />

Ein Arzt fasst seine Empfehlungen folgen<strong>der</strong>maßen zusammen:<br />

„die PEG früh genug einzusetzen, das in einem vernünftigen Kreis <strong>der</strong> Verantwortlichen mit zu diskutieren,<br />

wozu die Familie, die Pflegedienste und die Krankenhäuser gehören und auch die Idee<br />

abzubauen, dass die PEG etwas ist, was <strong>der</strong> Willensverfügung eines Patienten nicht entgegensteht,<br />

mit k<strong>einer</strong> PEG verlängern Sie das Leben, sie verbessern nur die Lebensqualität o<strong>der</strong> sie ist<br />

sinnlos. Ich bin überzeugt dass von den spät implantierten PEGs 70% unsinnig sind, ich gehe davon<br />

aus, dass 50% eine PEG, die davon profitieren könnten nicht kriegen“ (Ingo Klare - Arzt)<br />

6.3 Zusammenfassung<br />

<strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong><br />

<strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong> durchlaufen einen Regelkreis. Im Sinne eines Phasenmodells lassen<br />

sich drei wesentliche Einheiten unterscheiden. Die Phase vor <strong>der</strong> Entscheidung, in <strong>der</strong><br />

beobachtend und meinungsbildend gearbeitet wird, die Phase des Entscheids mit <strong>der</strong> Konsequenz<br />

<strong>einer</strong> Handlung o<strong>der</strong> einem Handlungsverzicht und die Phase nach getroffener Entscheidung,<br />

in <strong>der</strong> die Entscheidung überprüft, bewertet und ggf. revidiert wird.<br />

139


<strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong> <strong>zur</strong> <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG dauern je nach Indikation zwischen einigen<br />

Tagen und mehreren Wochen, manchmal auch Monate. Die meisten Entscheidungen werden<br />

in den Kliniken getroffen.<br />

<strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong> <strong>zur</strong> <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG stellen sich komplex und uneinheitlich dar.<br />

Uneinheitlich, da die Krankheitsbil<strong>der</strong> und die Interventionsdauer differieren und spezifische<br />

Entscheidungen notwendig machen. Uneinheitlich auch, da viele Akteure zu unterschiedlichen<br />

Anteilen und Zeitpunkten beteiligt sind und den Prozess beeinflussen.<br />

Neben akuten, meist als unproblematisch erlebten <strong>Entscheidungs</strong>situationen lassen sich drei<br />

Konfliktfel<strong>der</strong> <strong>der</strong> eher langsam fortschreitenden, chronischen Krankheits<strong>prozesse</strong> identifizieren.<br />

Die kritische Ernährungssituation in <strong>der</strong> Phase <strong>der</strong> <strong>Entscheidungs</strong>findung, <strong>der</strong> nicht<br />

eruierbare Bewohnerwille mit beson<strong>der</strong>er Auswirkung in <strong>der</strong> Phase des Entscheids, und in<br />

Phase drei die fehlende Evaluation <strong>einer</strong> einmal befürworteten PEG. Diese problematischen<br />

<strong>Entscheidungs</strong>findungen sind weniger wegen <strong>der</strong> Häufigkeit ihres Auftretens, als vielmehr<br />

wegen <strong>der</strong> Konfliktträchtigkeit und Dominanz im Stationsalltag für alle Beteiligten bedeutsam<br />

und besitzen für die Situation <strong>der</strong> stationären Altenhilfe typischen Charakter.<br />

Abbildung 4: Konfliktfel<strong>der</strong> im <strong>Entscheidungs</strong>prozess<br />

Akteure und Rollen<br />

Es gibt eine Diskrepanz zwischen dem erlebten und dem formalen <strong>Entscheidungs</strong>prozess.<br />

Formal und nach Ansicht <strong>der</strong> Befragten gelten die Bewohner/Patienten als die primären <strong>Entscheidungs</strong>träger.<br />

De facto sind die wenigsten Bewohner/Patienten in stationären Einrichtungen<br />

<strong>der</strong> Altenhilfe entscheidungsfähig, noch ist ein Wille bekannt o<strong>der</strong> schriftlich fixiert. In<br />

diesen Situationen übernehmen Angehörige mit Betreuungsvollmacht o<strong>der</strong> beauftragte Berufsbetreuer<br />

stellvertretend die <strong>Entscheidungs</strong>verantwortung. Familienangehörige sind stark<br />

emotional involviert, durch Rollenkonflikte mit <strong>der</strong> Entscheidung oft überfor<strong>der</strong>t o<strong>der</strong> schlecht<br />

beraten. Berufsbetreuer zeichnen sich durch Nichtpräsenz aus und vollziehen einen formalen<br />

Akt <strong>der</strong> Unterschrift ohne mit <strong>der</strong> Person tatsächlich in Verbindung zu stehen.<br />

Pflegende sind durch ihren engen und häufigen Kontakt mit Bewohnern Informationsträger in<br />

Bezug auf ein „Nicht essen und trinken wollen o<strong>der</strong> können“ und lösen initial einen <strong>Entscheidungs</strong>prozess<br />

aus. Ärzte treffen die medizinische Indikation und bleiben je nach professionellem<br />

Schwerpunkt mit den Pflegenden vermittelnd, beratend und aufklärend tätig. Pflegende<br />

lehnen hingegen eine stärkere Verantwortungsübernahme im Prozess ab. Die eigent-<br />

140


liche Entscheidung verbleibt aufgrund <strong>der</strong> Insuffizienz formaler <strong>Entscheidungs</strong>träger in ärztlicher<br />

Hand.<br />

Konflikte werden vor allem zwischen den Institutionen als Schnittstellenproblematik beschrieben,<br />

indem es zu <strong>einer</strong> Lücke im Informationstransfer zwischen den Kliniken, den Altenheimen<br />

und den Arztpraxen gibt.<br />

<strong>Entscheidungs</strong>findung<br />

Entscheidungen <strong>zur</strong> <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG werden individuell, durch Abwägen <strong>der</strong> Vor- und<br />

Nachteile anhand <strong>der</strong> vorliegenden Diagnose im Hinblick auf den erwarteten Nutzen aus<br />

Krankheitsverlauf, Lebensqualität und Lebenserwartung getroffen und dem Patientenwillen<br />

gegenübergestellt. Schwierige <strong>Entscheidungs</strong>situationen sind solche, in denen eine kaum<br />

merkliche Verschlechterung <strong>der</strong> Ernährungssituation täglich fortschreitet, keine klare Prognose<br />

gestellt werden kann, ein Nutzen nicht sicher scheint und ein mutmaßlicher Wille nicht<br />

bekannt und/o<strong>der</strong> erfahrbar ist. Eine PEG steht hier am Ende aller Maßnahmen. Für Indikationsstellungen<br />

<strong>zur</strong> <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG in Einrichtungen <strong>der</strong> Altenhilfe ist das <strong>der</strong> typische Fall.<br />

Der Rückgriff auf persönliche Wertvorstellungen und das eigene ethische Bewusstsein sowie<br />

situativer Aspekte treten in den Vor<strong>der</strong>grund <strong>der</strong> Entscheidung.<br />

Es lassen sich episodische Implementierungen <strong>zur</strong> akuten Krisenintervention und dauerhafte<br />

<strong>Anlage</strong>n <strong>einer</strong> PEG unterscheiden. Eine Vorhersagbarkeit scheint nicht gegeben.<br />

Instrumente <strong>zur</strong> <strong>Entscheidungs</strong>findung wie Fallbesprechungen o<strong>der</strong> <strong>Entscheidungs</strong>hilfen<br />

spielen aktuell eine marginale Rolle und werden kritisch diskutiert. Patientenverfügungen<br />

sind wichtig, liegen in <strong>der</strong> Realität jedoch nicht vor o<strong>der</strong> sind nicht aktuell o<strong>der</strong> explizit genug.<br />

Eindeutige Indikationen, Einwilligungsfähigkeit des Betroffenen o<strong>der</strong> die Vorlage <strong>einer</strong> aktuellen<br />

und gültigen Patientenverfügung sowie ein Konsens <strong>der</strong> <strong>Entscheidungs</strong>träger sind<br />

Faktoren, die eine Entscheidung erleichtern.<br />

Im Gegenzug wird eine Entscheidung erschwert, wenn eine unklare Prognose in Zusammenhang<br />

mit <strong>einer</strong> Nichteinwilligungsfähigkeit des Betroffenen vorliegt, Angehörige nicht<br />

vorhanden o<strong>der</strong> verfügbar sind und <strong>der</strong> mutmaßliche Wille fraglich bleibt. Mangelnde Informiertheit<br />

kann den Prozess beschleunigen o<strong>der</strong> verzögern, führt jedoch häufig zu <strong>einer</strong> Negativbewertung<br />

<strong>der</strong> Entscheidung. Konträre Meinungen und Konflikte in <strong>der</strong> Zusammenarbeit<br />

<strong>der</strong> Professionen erhöhen die Unzufriedenheit <strong>der</strong> Beteiligten im Prozess.<br />

Dilemmata<br />

Sichtbare Mangelernährung und dokumentierte o<strong>der</strong> messbare Ernährungsdefizite erhöhen<br />

den Druck auf die Handelnden im Sinne eines „Handeln müssens“. Prüfungen durch den<br />

MDK, <strong>der</strong> Heimaufsicht und eine Angst sich juristisch angreifbar zu machen, also eine Fehlentscheidung<br />

zu treffen, in Verbindung mit <strong>einer</strong> schlechten Versorgungsstruktur wirken als<br />

Verstärker in diesem Prozess. Sie unterstützen den als bequemer und einfacher wahrgenommenen<br />

Weg, eine PEG-<strong>Anlage</strong> zu befürworten. Als schwerer und komplizierter wird die<br />

Entscheidung gegen eine PEG-<strong>Anlage</strong> gesehen.<br />

Essen zu reichen entgegen dem Willen o<strong>der</strong> ein Verschlucken zu provozieren bedeutet<br />

Schaden zufügen und eine „Quälerei“. Attribute, die helfen<strong>der</strong> Tätigkeit prinzipiell entgegenstehen.<br />

Kein Essen zu reichen bedeutet über kurz o<strong>der</strong> lang den Tod. Maßnahmen <strong>zur</strong><br />

Vermeidung <strong>einer</strong> PEG bieten keine wirkliche Alternative. Wenn zudem ein klarer Nutzen <strong>der</strong><br />

PEG nicht beschrieben werden kann und nicht auszuschließen ist, dass die PEG Leiden<br />

141


verlängert und Siechtum för<strong>der</strong>t, geraten die Beteiligten in eine Zwickmühle <strong>der</strong><br />

Entscheidung. Ein klassisches Dilemma zeichnet sich ab, nämlich die Wahl zwischen zwei<br />

o<strong>der</strong> mehreren schlechten Alternativen. Unterstützt wird dies wie<strong>der</strong>um durch mangelnde<br />

argumentative Kraft die Entscheidung zu <strong>einer</strong> einmal gelegten PEG ohne Zustandsbesserung<br />

wie<strong>der</strong> rückgängig machen zu können.<br />

Abbildung 5: Spannungsfeld "Druck erleben"<br />

6.4 Grenzen vorliegen<strong>der</strong> Untersuchung<br />

Grenzen vorliegen<strong>der</strong> Untersuchung liegen in <strong>der</strong> Wahl des Zugangs und in <strong>der</strong> Sättigung<br />

vorhandener Daten.<br />

Wie oben beschrieben wurde eine Vorauswahl möglicher Teilnehmer durch die Einrichtungen<br />

vorgenommen, um geeignete Interviewteilnehmer zu finden, die sich an <strong>der</strong> Untersuchung<br />

beteiligen und ihr Wissen weitergeben wollen. Die Voraussetzung <strong>zur</strong> freiwilligen Teilnahme<br />

und <strong>der</strong> Involviertheit in das Thema führt zu <strong>einer</strong> starken Selektion <strong>der</strong> Interviewpartner.<br />

Es ist deshalb nicht auszuschließen, dass sich dieser Selektionseffekt auf vorliegende<br />

Daten insofern ausgewirkt hat, als dass vor allem engagierte und um den Patienten<br />

/Bewohner sehr bemühte Ärzte und Pflegende ihre Erfahrungen im Umgang mit <strong>einer</strong> PEG<br />

mitgeteilt haben. Es ist also davon auszugehen, dass es sich bei aufgezeigtem <strong>Ablauf</strong> des<br />

<strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong>s und s<strong>einer</strong> Einflussfaktoren um ein „beschönigtes Abbild <strong>der</strong> Realität“<br />

handelt. Dennoch zeigt sich bei beiden Teilnehmergruppen in Bezug auf vorhandene<br />

Qualifikationen, wie Ausbildungshintergrund, vorhandene Spezialisierungen und Art <strong>der</strong><br />

Tätigkeit eine deutliche Heterogenität, die diesen Effekt abmil<strong>der</strong>n können. So konnten einige<br />

klare Positionen herausgearbeitet und den eher diffus verlaufenden Prozessen gegenübergestellt<br />

werden. Auch sind geschil<strong>der</strong>te Konflikte und Selbstdarstellungen <strong>der</strong> reell handelnden<br />

Akteure von Offenheit geprägt und zeigen ein vielschichtiges spannungsgeladenes<br />

Wechselspiel aus Irritationen des Für und Wi<strong>der</strong> auf, denen sie bei <strong>der</strong> <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG<br />

ausgesetzt sind. Das bestärkt, dass von <strong>einer</strong> gewissen Wahrhaftigkeit <strong>der</strong> Aussagen aus-<br />

142


zugehen ist, die nicht den Eindruck erwecken, als hätten sich die Interviewteilnehmer für das<br />

Interview verstellt, absichtlich die Unwahrheit gesagt o<strong>der</strong> versucht ein verzerrtes positives<br />

Bild <strong>der</strong> <strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong> zu zeichnen o<strong>der</strong> negative Aspekte aus <strong>der</strong> Schil<strong>der</strong>ung<br />

auszuschließen. Lediglich bei einigen Pflegekräften war zu spüren, dass sie fürchteten ein<br />

geäußerter Verbesserungsvorschlag könnte als Kritik an <strong>der</strong> eigenen Einrichtung ausgelegt<br />

werden und führte zu <strong>einer</strong> Betonung beson<strong>der</strong>er Qualitäten <strong>der</strong> Einrichtung.<br />

Eine Sättigung <strong>der</strong> Daten liegt dann vor, wenn keine neuen Aspekte gefunden o<strong>der</strong> vermutet<br />

werden können und bezieht sich auf die theoriebildende Funktion qualitativer Forschung. Mit<br />

vorliegen<strong>der</strong> Untersuchung wurde jedoch ein vorwiegend deskriptives Ziel verfolgt, den <strong>Entscheidungs</strong>prozess<br />

zu rekonstruieren, wie er sich in <strong>der</strong> Realität und im Alltag <strong>der</strong> Akteure<br />

zeigt. In diesem Zusammenhang zeigt sich ein Problem, das in den Äußerungen selbst liegt.<br />

Einige <strong>der</strong> Fallbeispiele liegen einige Jahre <strong>zur</strong>ück und gehören in den Erfahrungsschatz <strong>der</strong><br />

Interviewteilnehmer. Nicht immer ist bei geschil<strong>der</strong>ten Situationen die zeitliche Dimension<br />

zuordbar gewesen. Der Umgang mit <strong>einer</strong> PEG hat sich vor allem in letzter Zeit sehr im<br />

Sinne eines kritischen und bewussteren Umgangs hinsichtlich <strong>der</strong> Beachtung <strong>der</strong> Patientenautonomie<br />

o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Zusammenarbeit mit Angehörigen gewandelt. Deshalb können berichtete<br />

Beispiele nur als erlebte Realität interpretiert werden und könnte erklären, warum in vorliegen<strong>der</strong><br />

Dokumententenanalyse <strong>der</strong> Krankenhausakten die Angehörigen entgegen mancher<br />

Interviewaussagen in den Prozess immer einbezogen waren.<br />

Es ist aufgrund <strong>der</strong> Wahl <strong>der</strong> Interviewteilnehmer durchaus denkbar, dass sich weitere Aspekte<br />

und Einflussfaktoren auswirken können o<strong>der</strong> eine an<strong>der</strong>e Betonung erhalten, wenn<br />

weitere Personen befragt worden wären o<strong>der</strong> eine gezieltere Auswahl stattgefunden hätte.<br />

Auch wäre im Sinne <strong>einer</strong> theoriegeleiteten Auswahl die Perspektive <strong>der</strong> Patienten/Bewohner,<br />

<strong>der</strong> Angehörigen und Berufsbetreuer wichtig für eine Datensättigung. Dies<br />

muss Aufgabe an<strong>der</strong>er Forschungsprojekte sein.<br />

6.5 Diskussion<br />

Die Auswertung <strong>der</strong> Experteninterviews ergab, dass es nach Einschätzung <strong>der</strong> Befragten<br />

eindeutige Indikationsstellungen gibt, wie die <strong>einer</strong> ausgeprägten Dysphagie, bei denen eine<br />

frühzeitige <strong>Anlage</strong> unumstritten ist und allgemein empfohlen wird (Löser et al., 2005; Volkert<br />

et al., 2004). Problematische <strong>Entscheidungs</strong>findungen beziehen sich eher auf chronische<br />

Verläufe <strong>einer</strong> langsam fortschreitenden Ernährungssituation, einhergehend mit unklarer<br />

Inappetenz bis hin zum Ablehnen von Nahrung seitens des alten Menschen. Sie sind nicht<br />

zwingend durch die Häufigkeit des Auftretens gekennzeichnet, son<strong>der</strong>n durch ihren zeit- und<br />

raumfor<strong>der</strong>nden Charakter und ihrer Dominanz im Stationsalltag. Solche <strong>Entscheidungs</strong>situationen<br />

sind für die Altenheimsituation beson<strong>der</strong>s typisch und werden von allen Beteiligten<br />

als schwierig und belastend empfunden. In den aus <strong>der</strong> Dokumentenanalyse vorliegenden<br />

Daten (vgl. Quasdorf, Bartholomeyczik in dieser Untersuchung) kann in etwa <strong>der</strong> Hälfte<br />

<strong>der</strong> Fälle eine chronische Verschlechterung <strong>der</strong> Ernährungssituation zumindest angenommen<br />

werden. Becker und Hilbert (2004) zeigen in ihrer Untersuchung, dass in immerhin<br />

einem Drittel <strong>der</strong> Untersuchten eine drohende Unterernährung und eine Exsikkose für die<br />

PEG-<strong>Anlage</strong> verantwortlich gemacht werden konnte.<br />

Schwierigkeiten für die Pflegenden beginnen bereits zu einem Zeitpunkt, wenn von <strong>einer</strong><br />

PEG noch gar keine Rede ist und sie sich erfin<strong>der</strong>isch um ein situativ und zugleich biografisch<br />

orientiertes Angebot an regelmäßiger, ausgewogener, den Mund- und Zahnverhältnissen<br />

angepasster Nahrung bemühen müssen. In Anbetracht <strong>der</strong> Tatsache, dass die Vermeidung<br />

<strong>einer</strong> Mangelernährung zentrale Aufgabe von Pflegenden ist (Schreier,<br />

143


Bartholomeyczik 2004), wäre eine PEG in diesen Situationen das Synonym für ein Versagen<br />

<strong>der</strong> Profession. Aufgezeigte Dilemmata bestätigen die Situation <strong>der</strong> Pflegenden in einem<br />

Spannungsfeld aus handeln müssen gegen ein nicht essen und trinken können/wollen.<br />

Ergebnisse <strong>der</strong> qualitativen Studie <strong>zur</strong> Nahrungsverweigerung in <strong>der</strong> Pflege von Borker<br />

(2002) konnten fast deckungsgleich diesen Konflikt bestätigen, <strong>der</strong> auch in älteren<br />

Untersuchungen als double-bind Situation beschrieben wird (Aakerlund, Norberg 1993) und<br />

als moralisch belastend erlebt wird (Schwerdt 2005). Borker (2002) entwickelte daraus ein<br />

Nahrungsverweigerungsmodell mit den Kategorien müssen und nicht wollen o<strong>der</strong> können,<br />

wobei in diesem Fall müssen die auslösende Funktion <strong>einer</strong> Nahrungsverweigerungssituation<br />

übernimmt. Je stärker die beiden Pole ausgeprägt sind, desto größer zeigt<br />

sich das Spannungsfeld. Spannungsabbau kann durch Aufgabe <strong>einer</strong> <strong>der</strong> beiden Positionen<br />

erfolgen. Geben die Pflegenden auf, ist die Konsequenz ein Verhungern o<strong>der</strong> eine künstliche<br />

Ernährung (Borker 2002: 322). Ein Argument, was häufig als Grund für die <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG<br />

verwandt wird (Synofzik 2007). Wie sich in <strong>der</strong> vorliegenden Untersuchung zeigt, kann ein<br />

Spannungsabbau in manchen, den episodisch eingesetzten PEG-Sonden gelingen und führt<br />

zu <strong>einer</strong> positiven Bilanz. Durch die Unvorhersehbarkeit <strong>der</strong> <strong>Anlage</strong>dauer und <strong>der</strong><br />

Ungewissheit eines Garants auf Erfolg geraten die Handelnden erneut in einen<br />

<strong>Entscheidungs</strong>konflikt. Pflegende lösen an dieser Stelle einen <strong>Entscheidungs</strong>prozess für<br />

o<strong>der</strong> gegen eine PEG aus und übergeben <strong>der</strong> ärztlichen Profession die Aufgabe <strong>der</strong><br />

Indikationsstellung. Diese müssen ihrerseits nun handeln gegen eine Unbekannte, dem nicht<br />

eruierbaren Willen <strong>der</strong> Person, die eine PEG erhalten soll o<strong>der</strong> nicht. In einem Geflecht<br />

insuffizienter <strong>Entscheidungs</strong>träger, die aufgrund mangeln<strong>der</strong> Fähigkeit, Kenntnis o<strong>der</strong> Zeit<br />

<strong>der</strong> ärztlichen Empfehlung vertrauen, werden und bleiben Ärzte die eigentlichen<br />

<strong>Entscheidungs</strong>träger. Wie eingangs aufgezeigt ist dies kein isoliertes Ergebnis. Sämtliche<br />

Untersuchungen zum Thema bestätigen die gewollte o<strong>der</strong> ungewollte Dominanz ärztlicher<br />

<strong>Entscheidungs</strong>trägerschaft (Van Rosendahl et al. 1999). Auch wurde die Funktion <strong>der</strong><br />

Pflegenden als Fürsprecher im Hintergrund <strong>der</strong> Entscheidung, wie sie von Todd et al. (2005)<br />

beschrieben wird in vorliegen<strong>der</strong> Untersuchung bestätigt. Dass die Pflegenden ihre Rolle<br />

adäquat finden und ein mehr an <strong>Entscheidungs</strong>verantwortung nur selten befürworten,<br />

obwohl sie in vorliegen<strong>der</strong> Untersuchung nur geringfügig in den Prozess einbezogen waren<br />

(vgl. Quasdorf und Bartholomeyczik in dieser Untersuchung), kann damit erklärt werden,<br />

dass sie ihren Verantwortungsbereich vor allem im Bereich des Nahrunganreichens sehen.<br />

An<strong>der</strong>erseits nimmt die berufliche Sozialisation als Assistenzberuf, in dem nur auf<br />

Anweisung gehandelt, aber nicht selbst entschieden wird, darauf starken Einfluss. Ein<br />

Aspekt, <strong>der</strong> erst mühsam durch die Einführung professionellen Handelns aufgrund eigener<br />

Pflegediagnosen revidiert werden musste und auch weiterhin erfolgen muss. Die beson<strong>der</strong>e<br />

Rolle im <strong>Entscheidungs</strong>prozess benötigt nach Köpke und Meyer (2005) dringend eine<br />

Kompetenzstärkung. Sie empfehlen hier die Befähigung Entscheidungen zu treffen sowie<br />

den Ausbau von Beratungskompetenz, was dringend unterstützt werden muss.<br />

Ein drittes Dilemma zeigt sich in <strong>der</strong> Phase <strong>der</strong> Evaluation <strong>einer</strong> getroffenen Entscheidung,<br />

wenn eine Ernährung via PEG mitunter jahrelang ohne sichtbaren Nutzen erfolgt. Der allgemeine<br />

zögerliche Haltung eine liegende PEG wie<strong>der</strong> entfernen zu wollen, scheint neben dem<br />

Aspekt, dass sie sich zu einem späteren Zeitpunkt bei eintreten<strong>der</strong> Verschlechterung erneut<br />

als nützlich erweisen könnte auch an Angst vor <strong>einer</strong> Fehlentscheidung o<strong>der</strong> auch mangelndem<br />

Wissen über die herrschende Rechtslage zu liegen. Marckmann (2007) ordnet den Abbruch<br />

o<strong>der</strong> die Unterlassung <strong>einer</strong> Sondenernährung eindeutig <strong>der</strong> passiven Sterbehilfe zu,<br />

gibt aber zu bedenken, dass diese nach dem Strafgesetzbuch unter bestimmten Voraussetzungen<br />

nicht nur erlaubt, son<strong>der</strong>n geboten sei. S<strong>einer</strong> Ansicht nach sei jedoch bereits die<br />

<strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG rechtfertigungsbedürftig. Es müsse daher im Vorfeld geklärt werden, unter<br />

144


welchen Bedingungen eine PEG überhaupt legitimiert werden kann. Ein Argument, welches<br />

die gründliche <strong>Entscheidungs</strong>findung und den Einsatz von <strong>Entscheidungs</strong>hilfen nicht nur<br />

unterstützt, son<strong>der</strong>n dringend für notwendig erklärt und außerdem für die Entscheidenden<br />

<strong>zur</strong> Druckentlastung beitragen kann.<br />

Grundsätzlich wird ein sorgfältiges Abwägen des Nutzens <strong>einer</strong> PEG im Vorfeld <strong>einer</strong> Entscheidung<br />

empfohlen (Gemeinsamer Bundesausschuss 2005; Finucane et al., 1999; Löser<br />

et al., 2005). (Marckmann (2007) weist außerdem daraufhin, dass bei <strong>der</strong> Entscheidung zwischen<br />

Wirksamkeit und Nutzen unterschieden werden muss und die Lebensqualität die Entscheidung<br />

maßgeblich lenken soll. Auch wenn sich dies anhand <strong>der</strong> Aktenanalyse nicht klar<br />

darstellen lässt (vgl. Quasdorf und Bartholomeyczik in dieser Untersuchung) zeigt sich in den<br />

von den Interviewten geschil<strong>der</strong>ten <strong>Entscheidungs</strong>situationen nachweislich, dass die Interviewten<br />

eine Entscheidung selten aus dem hohlen Bauch treffen als vielmehr ernsthaft<br />

darum bemüht sind eine begründete und für den Betroffenen sinnvolle Entscheidung zu<br />

treffen, die sich an empfohlenen Parametern orientieren. Da diese oftmals nicht vorhersagbar,<br />

geschweige denn erfahrbar sind, scheinen die Akteure auf sich selbst gestellt zu sein.<br />

Ein weiterer Aspekt, <strong>der</strong> für die Entwicklung und Implementierung <strong>einer</strong> <strong>Entscheidungs</strong>hilfe<br />

sowohl für Angehörige als auch für die professionell Handelnden spricht. Eine <strong>Entscheidungs</strong>hilfe,<br />

die inhaltlich über den formalen Algorithmus (vgl. Jox et al. 2008)) hinausgeht, da<br />

offensichtlich formale Kriterien sehr wohl bekannt sind und auch eingehalten werden wollen,<br />

sich im Alltag jedoch aufgrund verschiedentlicher Störfaktoren wie Nichteinwilligungsfähigkeit,<br />

fehlende Patientenverfügung, etc. als schwierig erweisen.<br />

Beson<strong>der</strong>e Beachtung verdient <strong>der</strong> Vorschlag <strong>der</strong> Tropenklinik in Tübingen<br />

(www.tropenklinik.de/Archiv/PEG.pdf), in <strong>der</strong> bereits mit <strong>einer</strong> <strong>Entscheidungs</strong>hilfe aus den<br />

USA gearbeitet wird, die von Mitchell und Mitarbeitern entwickelt worden ist. Auch das Stiftungsklinikum<br />

Mittelrhein empfiehlt ein stufenweises Vorgehen, indem immer bei Bedarf ergänzendes<br />

Informationsmaterial und verschiedene Akteure hinzugezogen werden können<br />

(vgl. <strong>Anlage</strong>, www.stiftungsklinkum.de).<br />

Es ist zu erwarten, dass mit <strong>einer</strong> solchen Unterstützung die Beteiligten auch ein Stück von<br />

dem gespürten und eindrücklich geschil<strong>der</strong>ten Druck, eine Entscheidung gegen eine PEG<br />

ausführlichst begründen zu müssen, entlastet werden, wenn Anhaltspunkte <strong>einer</strong> sinnvollen<br />

Entscheidung dagegen gegeben sind und bereits im Vorfeld geklärt werden können. Expertenstandards<br />

und Hausbesuche durch den Medizinischen Dienst <strong>der</strong> Krankenkassen o<strong>der</strong><br />

<strong>der</strong> Heimaufsichtsbehörde sind als Instrumente <strong>zur</strong> Qualitätsentwicklung und -verbesserung<br />

gedacht, eine Kontrollfunktion ist gewollt. Einer begründeten Entscheidung anhand dem gegenwärtigen<br />

Stand des Wissens, nachdem ein Nutzen gerade für Menschen mit <strong>einer</strong> fortschreitenden<br />

Demenz nicht nachgewiesen werden kann und deshalb kritisch diskutiert wird<br />

(Synofzik 2007), scheint erst einmal kein Wi<strong>der</strong>spruch zu sein. Eine stärkere Zusammenarbeit<br />

mit kontrollierenden Instanzen im Vorfeld und während „schwieriger“ <strong>Entscheidungs</strong>situationen,<br />

wie in einigen Fällen berichtet, scheint ebenfalls hilfreich. Desgleichen konnte ein<br />

stärkerer Austausch <strong>der</strong> beteiligten Akteure im Sinne <strong>einer</strong> geteilten Verantwortung die <strong>Entscheidungs</strong>last<br />

verringern, obwohl die Beteiligten praktische Hürden <strong>der</strong> Umsetzung vermuten.<br />

Wichtig ist vor allem für die Pflegekräfte ein von Schaeffer (2002) an an<strong>der</strong>er Stelle gefor<strong>der</strong>ter<br />

Ausbau von speziellen Pflegekonzepten <strong>zur</strong> Pflege von Menschen mit Demenz<br />

o<strong>der</strong> Pflege am Lebensende („end of life care“), damit das „Aushalten“ <strong>einer</strong> getroffenen Entscheidung<br />

zu <strong>einer</strong> bewussten und kreativen Gestaltung <strong>der</strong> Betreuung umgewandelt werden<br />

kann.<br />

145


6.6 Schlussfolgerung<br />

Ein Umdenken erscheint notwendig. Verbesserungen müssen das Ziel verfolgen die Individualität<br />

<strong>der</strong> Entscheidung zu erhalten, aber den <strong>Entscheidungs</strong>prozess mit Struktur zu füllen<br />

und dadurch die Transparenz zu erhöhen. Sie sind auf mehreren Ebenen zu erarbeiten.<br />

Zum einen erscheint es sinnvoll die <strong>Entscheidungs</strong>träger durch beschreibbare Argumente<br />

handlungsfähig zu machen und sie in Form von Information und Aufklärung in ihrer Rolle zu<br />

stärken und auch gegenüber o<strong>der</strong> unter Einbezug kontrollieren<strong>der</strong> Instanzen eine Entscheidung<br />

gegen eine PEG zu begründen. Eine beson<strong>der</strong>e Betonung muss dabei auf dem tatsächlichen<br />

Nutzen zum Zeitpunkt <strong>der</strong> <strong>Anlage</strong> gelegt werden.<br />

Geprüft werden müssen Aspekte <strong>der</strong> Versorgungsstruktur. Im Beson<strong>der</strong>en, ob tatsächlich<br />

alle Möglichkeiten <strong>der</strong> oralen Nahrungsaufnahme ausgeschöpft sind und ob ausreichend<br />

Wissen und Fertigkeiten <strong>der</strong> Betreuenden o<strong>der</strong> unverzichtbare Rahmenbedingungen z. B.<br />

Wohngruppenkonzepte vorhanden sind, dies zu ermöglichen.<br />

Geprüft werden muss ebenso, ob eine frühzeitigere <strong>Anlage</strong> die Krise tatsächlich verhin<strong>der</strong>n<br />

hilft. Das geht nur, wenn gleichzeitig Instrumente implementiert werden, die helfen, die Indikation<br />

<strong>der</strong> PEG auch nach getroffener Entscheidung regelmäßig zu prüfen und ggf. zu revidieren.<br />

Eine zentrale Problematik im Prozess berührt den nicht eruierbaren Patientenwillen. Frühzeitige<br />

Ermittlung reicht über Einrichtungen des Gesundheitswesens hinaus und bedeutet Öffentlichkeitsarbeit.<br />

Die setzt da an, wo Menschen noch in <strong>der</strong> Lage sind ihre Wünsche kund<br />

zu tun. Familien müssen ermutigt werden, offen Gespräche über Problematiken des Altwerdens<br />

und das Sterben zu führen und Entscheidungen präventiv zu treffen, was auch bedeuten<br />

kann stärker vom Instrument <strong>der</strong> Betreuungsvollmacht Gebrauch zu machen.<br />

146


7. Gemeinsame Diskussion <strong>der</strong> Teilergebnisse<br />

Vorliegende Arbeit befasst sich mit dem <strong>Entscheidungs</strong>prozess <strong>zur</strong> Einleitung <strong>einer</strong> künstlichen<br />

Ernährungsbehandlung mittels perkutaner endoskopischer Gastrostomie (PEG). Die<br />

Untersuchung glie<strong>der</strong>t sich in drei Teilbereiche. Im ersten Teil wurden an drei großen Kliniken,<br />

je eine <strong>der</strong> Maximal- und Schwerpunktversorgung im Bereich <strong>der</strong> Inneren Medizin sowie<br />

ein geriatrischer Klinikverbund, Krankenakten retrospektiv als auch prospektiv <strong>zur</strong> Frage <strong>der</strong><br />

PEG-<strong>Anlage</strong> analysiert. Im zweiten Teil wurde in 11 Altenpflegeeinrichtungen ebenfalls Akten<br />

von PEG-Trägern retrospektiv ausgewertet. Im dritten Teil wurden sowohl Pflegende <strong>der</strong>selben<br />

Altenpflegeinrichtungen als auch nie<strong>der</strong>gelassene Ärzte mittels Experteninterviews zu<br />

ihrer Perspektive befragt. Fokussiert wurden verschiedene Phasen eines <strong>Entscheidungs</strong>verlaufes,<br />

verschiedene Akteure und verschiedene Institutionen. Dadurch ergibt sich ein vielfältiges<br />

Bild, in dem sich einzelne Teile aneinan<strong>der</strong>fügen lassen.<br />

7.1 Prozessphasen<br />

Der <strong>Entscheidungs</strong>prozess kann in drei Phasen aufgeteilt werden.<br />

In <strong>der</strong> hinführenden Phase wird ein Problem wahrgenommen, bewertet, abgewogen und ein<br />

Meinungsbild erzeugt, das allerdings keineswegs festgelegt sein muss. Eine Entscheidung<br />

wird nicht getroffen. Die hinführende Phase kann wenige Tage dauern, wenn <strong>der</strong> Anlass ein<br />

akutes Ereignis ist (z.B. Apoplex). Sie kann sich aber auch über mehrere Wochen o<strong>der</strong> Monate<br />

erstrecken und dann die verschiedensten Akteure einbeziehen.<br />

Die Entscheidung selbst ist das Ergebnis <strong>der</strong> ersten Phase und führt zu <strong>der</strong> Maßnahme: Anlegen<br />

<strong>einer</strong> PEG o<strong>der</strong> Verzicht auf eine PEG.<br />

Die dritte Phase umfasst die Evaluation <strong>der</strong> Entscheidung mit Beibehaltung o<strong>der</strong> Revision<br />

<strong>der</strong> <strong>Anlage</strong>.<br />

Die erste Phase ist vor allem Gegenstand <strong>der</strong> vorliegenden Untersuchung, da hier <strong>der</strong> Prozess<br />

mit allen Abwägungen und ethischen Dilemmata stattfindet. Die dritte Phase bedürfte<br />

auch intensiverer Bearbeitung, gerade vor dem Hintergrund, dass Entscheidungen evtl. revidiert<br />

werden müssen. Sie ist im vorliegenden Material allerdings nur marginal vertreten.<br />

7.2 Klientel<br />

Das Krankenhaus ist <strong>der</strong> zentrale Ort <strong>der</strong> PEG-<strong>Anlage</strong>. Entscheidungen vor Implantation<br />

<strong>einer</strong> PEG-Sonde werden in allen drei Versorgungsstrukturen zu unterschiedlichen Teilen<br />

<strong>der</strong> dort handelnden Akteure vorbereitet, werden durch eine für die <strong>Anlage</strong> nötige Krankenhausaufnahme<br />

jedoch in <strong>der</strong> Klinik erneut auf ihre Indikation geprüft. Zielaufträge <strong>zur</strong> PEG<br />

als Einweisungsdiagnose aus dem ambulanten häuslichen Bereich und den Altenpflegeheimen<br />

sind selten, das zeigen die Daten <strong>der</strong> Dokumentenanalyse <strong>der</strong> Krankenhausakten und<br />

ist kongruent mit dem Erleben <strong>der</strong> befragten Experten. Das erstaunt, da ein Großteil <strong>der</strong> bereits<br />

vor <strong>der</strong> PEG pflegebedürftigen Krankenhauspatienten in <strong>einer</strong> Pflegeeinrichtung betreut<br />

wurde. In den Altenheimen lag <strong>der</strong> Anteil <strong>der</strong> in <strong>einer</strong> Pflegeeinrichtung prästationär versorgten<br />

Menschen mit 75% noch höher.<br />

Der Großteil <strong>der</strong> Menschen, die eine PEG erhalten sind über 80 Jahre alt und aufgrund ihrer<br />

krankheitsbedingten Einschränkungen nicht einwilligungsfähig. Frauen überwiegen. Das entspricht<br />

den Ergebnissen an<strong>der</strong>e Untersuchungen (Becker, Hilbert, 2004). Das Diagnosespektrum<br />

<strong>der</strong> Krankenhauspatienten in Bezug auf eine PEG umfasst im Gegenteil <strong>zur</strong><br />

Bewohnerstruktur <strong>der</strong> Altenheime auch einige jüngere zum Teil tumorerkrankte Menschen,<br />

die in <strong>der</strong> Regel ihre Zustimmung <strong>zur</strong> PEG selbst geben konnten. Trotzdem bilden in beiden<br />

Untersuchungsergebnissen Menschen mit altersneurologischen Erkrankungen das<br />

Hauptklientel für eine PEG. Hier lassen sich akut auftretende Ereignisse mit einem Schwerpunkt<br />

apoplektischer Insulte von chronischen Verläufen mit einem hohen Anteil demenzerkrankter<br />

Menschen unterscheiden. Lei<strong>der</strong> geben die vorliegenden Daten wenig Aufschluss<br />

über den Grad <strong>der</strong> Demenz o<strong>der</strong> die spezifische Indikation, die <strong>der</strong> <strong>Anlage</strong> <strong>der</strong> PEG-Sonde<br />

147


zugrunde lagen. Aus den Interviews und an<strong>der</strong>en Untersuchungen kann vermutet werden,<br />

dass eine Inappetenz o<strong>der</strong> eine Nahrungsverweigerung, die vielfach mit <strong>einer</strong> dementiellen<br />

Erkrankung einhergeht mit <strong>der</strong> PEG-<strong>Anlage</strong> in Zusammenhang stand.<br />

Anhand <strong>der</strong> KH-Akten lässt sich nicht nachweisen, dass eine Verschlechterung <strong>der</strong> Ernährungssituation<br />

Grund für eine PEG-<strong>Anlage</strong> ist. Eher überwiegt die Dysphagie als primäre<br />

Diagnose, nicht zuletzt wegen mangeln<strong>der</strong> Dokumentation biometrischer Daten. Aus den<br />

Altenheimakten lässt sich jedoch für die Hälfte <strong>der</strong> PEG-Träger eine chronische Verschlechterung<br />

<strong>der</strong> Ernährungssituation mit <strong>der</strong> Folge <strong>einer</strong> Mangelernährung zumindest vermuten.<br />

Auch hier ist eine un<strong>zur</strong>eichende Dokumentation von Parametern wie Größe, Gewicht, BMI<br />

o<strong>der</strong> die Zuhilfenahme von Einschätzungsinstrumenten auffällig. Prüfungen des MDK Sachsen-Anhalt<br />

bestätigen diese un<strong>zur</strong>eichende Dokumentation (Bucher, Hufnagel, 2004).<br />

Letztlich gibt es zwei idealtypische <strong>Entscheidungs</strong>situationen:<br />

Die akute Erkrankung, nach <strong>der</strong> unvorhergesehen eine orale Nahrungsaufnahme erschwert<br />

o<strong>der</strong> unmöglich ist. Hier steht oftmals die Krisenintervention im Vor<strong>der</strong>grund mit dem Plan,<br />

die PEG nur befristet nutzen zu müssen. Diese Art <strong>der</strong> <strong>Entscheidungs</strong>findung wird als wenig<br />

problematisch angesehen. Die in diesem Forschungsprojekt erhobenen Daten weisen darauf<br />

hin, dass <strong>der</strong> For<strong>der</strong>ung nach frühzeitiger Einleitung enteraler Ernährung innerhalb weniger<br />

Wochen (vgl. Löser et al., 2005; Volkert et al., 2004) zumindest im Bezug auf akute Ereignisse<br />

in <strong>der</strong> Praxis weitestgehend nachgekommen wird.<br />

Dem steht die langsame und progrediente Verschlechterung <strong>der</strong> Ernährungssituation gegenüber,<br />

bei <strong>der</strong> die Unsicherheit beson<strong>der</strong>s hoch ist, wenn keine klare Prognose getroffen werden<br />

kann. Dabei kann sich als Son<strong>der</strong>situation die Weigerung <strong>der</strong> Nahrungsaufnahme durch<br />

die betroffene Person ergeben. Hier ergeben sich eine Menge ethischer Dilemmata, die ohne<br />

professionellen Paternalismus im Sinne des Patienten abgewogen werden müssen.<br />

7.3 Prozess und Akteure<br />

Der <strong>Entscheidungs</strong>prozess für die <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG stellt ein komplexes und individuelles<br />

Verfahren dar, dessen Grundlagen allerdings häufig nicht transparent sind. Dies zumindest<br />

lässt sich nach <strong>der</strong> Analyse <strong>der</strong> Dokumentationen sowohl aus den Krankenhäusern als auch<br />

aus den Altenheimen feststellen. Nachvollziehbar ist lediglich <strong>der</strong> formale Akt, in dem nachgewiesen<br />

wird, wer letztlich "offiziell" die Einwilligung gegeben hat. Im Altenheim, insbeson<strong>der</strong>e<br />

bei hochaltrigen und vor allem bei Menschen mit Demenz ist das <strong>der</strong> gesetzlich bestimmte<br />

Betreuer, in vielen Fällen ein Berufsbetreuer. Der Einbezug <strong>der</strong> Patienten o<strong>der</strong> Bewohner<br />

ist selten (vgl. auch (Becker, Hilbert, 2004). Auch bei Vorlage eines Betreuungsverhältnisses<br />

muss hier kritisch hinterfragt werden, ob das die Einbeziehung <strong>der</strong> betroffenen<br />

Person tatsächlich ausschließt.<br />

Die Art des <strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong>s scheint weiterhin von den Personen abzuhängen, die<br />

zum Zeitpunkt mehr o<strong>der</strong> weniger zufällig da sind. Das bedeutet, dass die Prioritäten, das<br />

Engagement und die Kenntnisse dieser Akteure eine große Bedeutung für den <strong>Ablauf</strong> des<br />

<strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong>s haben. Gespräche zwischen Angehörigen und Ärzten überwiegen.<br />

Angehörige scheinen oftmals überfor<strong>der</strong>t, wenn sie Verantwortung für die Entscheidung<br />

übernehmen sollen. Es ist unklar, ob sie zwischen ihrer eigenen Meinung und dem mutmaßlich<br />

Patientenwillen unterscheiden (können).<br />

Die Beteiligung <strong>der</strong> Pflegekräfte ist kaum dokumentiert, obwohl sie den Aussagen <strong>der</strong> Experten<br />

zufolge, Probleme mit <strong>der</strong> Nahrungsaufnahme in <strong>der</strong> Regel als erste wahrnehmen<br />

und damit einen <strong>Entscheidungs</strong>prozess auslösen können o<strong>der</strong> auch müssen. Sie sehen sich<br />

bisher vor allem als Informationsübermittler in diesem Prozess und fühlen sich genügend<br />

eingebunden (vgl. Todd et al., 2005). Das könnte darauf hinweisen, dass ihnen formal wenig<br />

Bedeutung beigemessen wird, im Gegensatz <strong>zur</strong> ärztlichen Profession, <strong>der</strong> auf rechtlicher<br />

Ebene die Aufgabe <strong>der</strong> Indikationsstellung und Aufklärung zukommt.<br />

Relativ klar ergibt sich auch aus den Dokumentationen, dass die gefor<strong>der</strong>ten minimalen<br />

rechtlich-ethischen Kriterien eingehalten werden, was dem geschil<strong>der</strong>ten Bedürfnis <strong>der</strong> Ex-<br />

148


perten nach juristischer Unangreifbarkeit entspricht. Inwiefern sich dokumentierte Entscheidungen<br />

inhaltlich an gefor<strong>der</strong>ten Kriterien und eines sorgfältigen Abwägens <strong>der</strong>selben orientieren,<br />

lässt sich anhand <strong>der</strong> Aktenanalyse nicht beurteilen. Nicht ersichtlich ist, wie klar hierbei<br />

<strong>der</strong> mutmaßliche Patientenwille tatsächlich zum Tragen kommt, noch wie gut <strong>der</strong> gesetzliche<br />

Betreuer diesen tatsächlich kennt. Dies wird beson<strong>der</strong>s deutlich durch die in beiden<br />

Dokumentenanalysen beobachtete extrem geringe Rolle von Vorsorgevollmachten und Patientenverfügungen.<br />

Diese waren oft we<strong>der</strong> klar genug, noch explizit auf die Ernährungssituation<br />

bezogen. In <strong>der</strong> übergroßen Mehrzahl aller Fälle ist somit <strong>der</strong> mutmaßliche Patientenwille<br />

nicht darzustellen.<br />

Nicht ersichtlich ist ebenfalls, inwieweit inhaltlich ethische Dilemmata reflektiert und abgewogen<br />

werden. Hinweise hierzu können die Aussagen befragter Experten geben und zeigen,<br />

dass das Bedürfnis eine „richtige Entscheidung“ zu treffen durchaus entscheidungsleitend ist<br />

und dass Aspekte des Nutzens wie Lebensqualität und Lebenserwartung sehr wohl diskutiert<br />

und abgewogen werden. Ebenfalls erscheint gerade die Ermittlung des mutmaßlichen Willens<br />

bei vorliegen<strong>der</strong> Nichteinwilligungsfähigkeit beson<strong>der</strong>s problematisch und konfliktauslösend.<br />

Demgegenüber steht <strong>der</strong> in allen drei Herangehensweisen dieses Projektes aufgezeigte<br />

geringe Gebrauch von unterstützenden und strukturierenden Instrumenten <strong>zur</strong> <strong>Entscheidungs</strong>findung.<br />

Dazu gehören neben schriftlichen <strong>Entscheidungs</strong>hilfen mit Algorithmen<br />

auch systematisch organisierte Fallbesprechungen. Sie liegen bisher nicht vor, sind offenbar<br />

nicht klar genug o<strong>der</strong> ihre Brauchbarkeit wird in Zweifel gezogen. Hier besteht dringen<strong>der</strong><br />

Aufklärungsbedarf, vor allem da <strong>der</strong> Nutzen <strong>einer</strong> enteralen Ernährung bei Menschen mit<br />

Demenz äußerst umstritten ist und eines Nachweises bedarf.<br />

Problematisch erscheint in diesem Zusammenhang auch die äußerst seltene Einbeziehung<br />

des Hausarztes in den im Krankenhaus stattfindenden <strong>Entscheidungs</strong>prozess wie auch die<br />

nahezu nicht vorhandene Kontaktaufnahme zu den Alten- bzw. Pflegeheimen <strong>der</strong> bereits<br />

vorstationär heimversorgten Patienten als klassische Schnittstellenproblematik. Hier wären<br />

sicherlich wichtige Informationen zum sozialen Gesamtkontext und zum mutmaßlichen Patientenwillen<br />

zu erhalten. Vor allem, da in vorliegen<strong>der</strong> Untersuchung ein Großteil <strong>der</strong> PEGs<br />

bei bereits pflegebedürftigen und in <strong>einer</strong> Pflegeeinrichtung betreuten Patienten gelegt wurde<br />

und in einigen Fällen keine Angehörigen <strong>zur</strong> Verfügung standen. An dieser Stelle muss daraufhin<br />

gewiesen werden, dass sich die Altenheimsituation durch ihren sozialpflegerischen<br />

Ansatz <strong>der</strong> Alltagsorientierung im Gegensatz <strong>zur</strong> stark medizinausgerichteten Krankenhaussituation<br />

auch durch ihre Dauerhaftigkeit und die Nähe zum medizinischen Personal unterscheidet.<br />

In vorliegen<strong>der</strong> Untersuchung wurde die Perspektive <strong>der</strong> Pflegenden in den Krankenhäusern<br />

nicht einbezogen. In <strong>der</strong> Befragung von Krankenhauspersonal (Borker 2002)<br />

konnten ähnliche Konflikte beim Essenanreichen und ein geringen Einbezug in die Entscheidung<br />

identifiziert werden.<br />

Drei grundsätzliche Probleme lassen sich für die vorliegende Untersuchung identifizieren.<br />

Zum einen erscheint die Rekonstruktion eines komplexen <strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong>s <strong>zur</strong> Einleitung<br />

<strong>einer</strong> künstlichen Ernährungsbehandlung aufgrund retrospektiv erhobener Daten<br />

problematisch, da sich Lücken in <strong>der</strong> Dokumentation nicht aufklären lassen. Des Weiteren<br />

wurden ausschließlich solche Patienten/Bewohner erfasst, bei denen eine PEG-<strong>Anlage</strong> erfolgte,<br />

nicht hingegen jene Patienten, bei denen diese Maßnahme erwogen, letztendlich<br />

dann aber nicht durchgeführt wurde. Erst die Gegenüberstellung dieser beiden Patienten-/<br />

Bewohnergruppen würde eine Bewertung über den Zusammenhang <strong>einer</strong> künstliche Ernährung<br />

mittels PEG und dem faktischen o<strong>der</strong> mutmaßlichen Willen erlauben. Das dritte Problem<br />

bezieht sich auf die Selektion <strong>der</strong> Interviewteilnehmer und <strong>einer</strong> möglichen positivverzerrten<br />

Darstellung geschil<strong>der</strong>ter <strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong> sowie <strong>der</strong> Schwierigkeit <strong>einer</strong> zeitlichen<br />

Zuordnung einiger Fallbeispiele, was die Rekonstruktion aktueller <strong>Entscheidungs</strong>findung<br />

anhand <strong>der</strong> Interviewdaten erschwert. Dies ließe sich am ehesten in Form <strong>einer</strong> prospektiven<br />

Untersuchung auflösen.<br />

149


7.4 Empfehlungen<br />

Ziel dieses Forschungsprojektes war es den <strong>Entscheidungs</strong>prozess vor <strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG-<br />

Sonde darzustellen, um Anhaltspunkte <strong>zur</strong> Qualität dieses Prozesses zu gewinnen und die<br />

Relevanz für die Entwicklung <strong>einer</strong> <strong>Entscheidungs</strong>hilfe <strong>zur</strong> Optimierung des Prozesses zu<br />

ermitteln.<br />

Die Ergebnisse des Projektes bestätigen dass es sich bei untersuchter Population in Bezug<br />

auf ihre gesundheitliche und ernährungsspezifische Situation um eine Gruppe von Menschen<br />

handelt, bei denen ein sorgfältiger und individueller <strong>Entscheidungs</strong>prozess hinsichtlich <strong>der</strong><br />

<strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG-Sonde obligat erscheint. Insbeson<strong>der</strong>e das vorwiegend hohe Alter <strong>der</strong><br />

Teilnehmer und die damit häufig einhergehende Multimorbidität sowie ein in vielen Fällen<br />

vorliegendes Betreuungsverhältnis, das offensichtlich mit kognitiven Einschränkungen <strong>der</strong><br />

betroffenen Personen zu begründen ist, sind in diesem Zusammenhang hervorzuheben.<br />

Eine lückenlose Darstellung des <strong>Entscheidungs</strong><strong>prozesse</strong>s war anhand <strong>der</strong> Aktenanalyse<br />

nicht zu erwarten. Dennoch unterstützt die aufgezeigte geringe Transparenz und ein auf formale<br />

Aspekte beschränkte <strong>Entscheidungs</strong>findung die Notwendigkeit strukturieren<strong>der</strong> Hilfen.<br />

Gerade für problematische <strong>Entscheidungs</strong>situationen erscheint eine Handlungsorientierung<br />

sinnvoll und wird von den befragten Personen als auch von öffentlicher Seite (Gemeinsamer<br />

Bundesausschuss 2005; Löser et al., 2005) befürwortet. Hier scheint ein „Gesamtpaket“<br />

unterschiedlicher Maßnahmen angebracht.<br />

Herausgestellt werden muss vor allem die Bedeutung des mutmaßlichen Patientenwillens,<br />

<strong>der</strong> im Gegensatz zum Willen von Angehörigen, aber auch zum fachlichen Urteil <strong>der</strong> Professionellen<br />

stehen kann. Gültige Patientenverfügungen können stellvertretende <strong>Entscheidungs</strong>träger<br />

in ihrer Verantwortung entlasten. Wichtig ist ein möglichst aktueller und konkret<br />

auf die Ernährungssituation bezogener Eintrag. Neben Verfügungen erscheint auch ein stärkerer<br />

Gebrauch von Vorsorgevollmachten in gesundheitlichen Belangen für den Fall <strong>einer</strong><br />

Nichteinwilligungsfähigkeit eine Entscheidung im Sinne <strong>der</strong> Person zu erleichtern.<br />

Dazu bedarf es weiterhin <strong>einer</strong> Gesprächskultur, die nicht auf informelle Kontakte beschränkt<br />

bleibt. Den Empfehlungen zufolge (Callahan et al., 1999; Hasan et al., 1995; Todd et al.,<br />

2005) und entgegen geäußerter Skepsis sind hier die Einführung von Fallkonferenzen in<br />

beiden Settings sowohl innerhalb <strong>der</strong> professionellen Teams als auch mit allen Beteiligten -<br />

Patienten/Bewohnern, Angehörigen und gesetzlichen Betreuern - bei Bedarf einzuberufen<br />

und zu kultivieren. Das Instrument <strong>einer</strong> solchen Fallbesprechung käme dem Bedürfnis <strong>der</strong><br />

Pflegenden entgegen den Grad <strong>der</strong> Verantwortung nicht zwingend zu verän<strong>der</strong>n, ohne von<br />

<strong>einer</strong> begründeten <strong>Entscheidungs</strong>findung entlastet zu sein und gleichzeitig Einfluss ausüben<br />

zu können. An dieser Stelle hätte auch eine zu empfehlende systematische Überprüfung <strong>der</strong><br />

getroffenen Entscheidung mit <strong>Entscheidungs</strong>algorithmen ihren Platz.<br />

Eine auf die Person konzentrierte Organisationsstruktur mit Bezugspflegeelementen und<br />

verantwortlichen Ansprechpartnern könnte die Willkür im Prozess reduzieren und Informationslücken<br />

schließen. Das bestätigen die wenigen, aber positiven Erfahrungen einzelner befragter<br />

Ärzte und Pflegekräfte. Spezialisierungen im Bereich geriatrischer/gerontopsychiatrischer<br />

und palliativer Qualifizierungen bei<strong>der</strong> Professionen erhöhen die Fachkompetenz<br />

und sind für die Betreuung von alten Menschen auch in Bezug <strong>zur</strong> Frage <strong>der</strong><br />

PEG institutionsunabhängig auszubauen.<br />

Für die Zusammenarbeit <strong>der</strong> Institutionen erscheint es vor allem hilfreich, wenn eine<br />

Entscheidung nicht dem Zufall überlassen bleibt, son<strong>der</strong>n durch vorgeschaltete Bereiche<br />

bereits vorbereitet ist. Denkbar sind frühzeitige Gespräche mit den Betroffenen und die<br />

Mitgabe aller nötigen Dokumente o<strong>der</strong> Informationen bei einem Klinikaufenthalt, damit keine<br />

ungewollten o<strong>der</strong> unvorgesehenen Entscheidungen getroffen werden.<br />

Deshalb ist eine <strong>Entscheidungs</strong>hilfe beson<strong>der</strong>s für Altenheime von großer Bedeutung, auch<br />

um die Möglichkeiten und die Rolle <strong>der</strong> Pflegenden in diesem Prozess zu stärken. Denn sie<br />

sind diejenigen, die aufgrund <strong>der</strong> Nähe zu den Bewohnern und den Angehörigen den mutmaßlichen<br />

Patientenwillen erkunden und ggf. auch Einfluss auf die Qualität von Patientenverfügungen<br />

nehmen können. Hierzu bedarf es vermehrter Kenntnisse zum Thema, auch um<br />

150


die Entscheidungen für die Nicht-<strong>Anlage</strong> <strong>einer</strong> PEG mit ihren Informationen stützen zu können<br />

(vgl. DNQP 2009).<br />

Von <strong>einer</strong> <strong>Entscheidungs</strong>hilfe profitieren durch den Informationsgewinn letztlich alle zentralen<br />

Akteure im <strong>Entscheidungs</strong>prozess. Patienten/Bewohner, damit <strong>der</strong> mutmaßliche Wille<br />

entscheidungsleitend eruiert und eingesetzt wird; Ärzte und Pflegende, um ihre Aufklärungsund<br />

Beratungskompetenz zu stärken und eigenen ethischen Konflikten und Dilemmata<br />

präventiv begegnen zu können und Angehörige, um <strong>der</strong> emotionalen Betroffenheit stichhaltige<br />

Argumente im Sinne <strong>einer</strong> informierten Zustimmung o<strong>der</strong> Ablehnung entgegen setzen<br />

zu können.<br />

Vor diesem Hintergrund wurde in Anlehnung an die von Mitchell und Mitarbeitern am Ottawa<br />

Health Research Institute, Kanada entwickelte und 2008 überarbeitete <strong>Entscheidungs</strong>hilfe<br />

„Making Choices: Long Term Feeding Tube Placement in El<strong>der</strong>ly Patients“<br />

(www.tropenklinik.de/Archiv/PEG.pdf) in einem ebenfalls durch den AOK-Bundesverband<br />

geför<strong>der</strong>ten und am Department für Pflegewissenschaft <strong>der</strong> Universität Witten/Herdecke<br />

durchgeführten Folgeprojekt eine <strong>Entscheidungs</strong>hilfe entwickelt. Sie wird voraussichtlich ab<br />

Frühjahr 2011 beim AOK-Bundesverband als Leitfaden in gedruckter Form o<strong>der</strong> unter <strong>der</strong><br />

Internetadresse: www.aok.de/gesundheitsnavi –> <strong>Entscheidungs</strong>hilfen<br />

verfügbar sein wird.<br />

151


8. Literaturverzeichnis<br />

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156


9. Anhang<br />

Teil 1<br />

� Einverständniserklärung Allg. Krankenhaus Hagen<br />

� Erhebungsbogen Dokumentenanalyse Krankenhäuser - Indikationsstellung<br />

Teil 2<br />

� Informationsschreiben Bewohner<br />

� Informationsschreiben Angehörige<br />

� Einverständniserklärung<br />

� Erhebungsbogen Dokumentenanalyse Altenpflegeeinrichtungen<br />

Teil 3<br />

� Informationsschreiben Ärzte/Ärztinnen<br />

� Informationsschreiben Pflegende<br />

� Einverständniserklärung<br />

� Bogen <strong>zur</strong> Erfassung allgem<strong>einer</strong> Angaben zum Interviewteilnehmer<br />

� Interviewleitfaden<br />

� Beispiel <strong>Entscheidungs</strong>hilfe<br />

157


Teil 1<br />

158


159


Teil 2<br />

160


161


162


163


164


165


166


167


168


169


170


171


Teil 3<br />

172


173


174


175


176


177


178


<strong>Ablauf</strong>schema PEG-<strong>Anlage</strong>, Quelle: Stiftungsklinikum Mittelrhein (download: 19.07.09:<br />

www.stiftungsklinikum.de/patienten_service/<strong>Ablauf</strong>schema <strong>zur</strong> PEG3.pdf)<br />

179


AOK-Bundesverband<br />

Stab Medizin<br />

Dr. Gerhard Schillinger<br />

Rosenthaler Straße 31<br />

10178 Berlin<br />

www.aok-bv.de

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