Kunst und aktuelle Medienkultur in der Schule kiss - Universität ...
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18 / 19 <strong>kiss</strong><br />
Julia Dick / Rob<strong>in</strong> Rhode<br />
Es existieren zwei unvere<strong>in</strong>bare Räume <strong>in</strong> Rhodes Arbeit: Je<strong>der</strong> weiß,<br />
Rhode wird das Auto bzw. die Wand niemals aufbrechen können <strong>und</strong><br />
Rhode schauspielert. Er ist nicht wirklich so naiv, zu denken, er könne<br />
<strong>in</strong> die Zeichenwelt e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>gen. Er tut nur so als ob, tut so, als wäre er<br />
selbst e<strong>in</strong> Zeichen. Aber <strong>der</strong> Leib als Zeichen <strong>und</strong> Bezeichnendes <strong>der</strong><br />
Performance fallen <strong>in</strong>e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> <strong>und</strong> bef<strong>in</strong>den sich im Hier <strong>und</strong> Jetzt<br />
unserer Alltagsrealität. Und unsere Alltagsrealität <strong>und</strong> die <strong>der</strong> Zeichnung<br />
bef<strong>in</strong>den sich nicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong> <strong>und</strong> demselben Raum. Dies wird gerade<br />
<strong>in</strong> dem Moment explizit, <strong>in</strong> dem Rob<strong>in</strong> Rhode <strong>in</strong> die Zeichnung<br />
e<strong>in</strong>zudr<strong>in</strong>gen versucht: Die Differenz von Körper <strong>und</strong> schlichter Zeichnung<br />
wird im Nebene<strong>in</strong>an<strong>der</strong> offensichtlich, <strong>und</strong> so bleiben die beiden<br />
Räume doch geschieden.<br />
Die Rede vom gee<strong>in</strong>ten Raum <strong>in</strong> Rhodes Arbeit lässt sich präzisieren:<br />
Der Leib als Zeichen <strong>und</strong> Bezeichnendes <strong>der</strong> Performance fallen zwar<br />
<strong>in</strong>e<strong>in</strong>an<strong>der</strong>, aber erzählen doch von etwas – von dem Wunsch, das<br />
gezeichnete Auto aufbrechen zu können, <strong>und</strong> damit von <strong>der</strong> Sehnsucht,<br />
die Grenze zwischen Zeichnung <strong>und</strong> Bezeichnetem überw<strong>in</strong>den zu<br />
können. Der Leib im Hier <strong>und</strong> Jetzt wird auf e<strong>in</strong>er weiteren Ebene wie<strong>der</strong><br />
zu e<strong>in</strong>em Zeichen für etwas <strong>und</strong> bef<strong>in</strong>det sich deswegen doch<br />
auch wie<strong>der</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Bild, welches sich <strong>der</strong> Betrachter von <strong>der</strong> Performance<br />
macht. Es entsteht e<strong>in</strong> neuer, geme<strong>in</strong>samer Bildraum – <strong>in</strong><br />
Form e<strong>in</strong>er Erzählung.<br />
Vergiss die Logik <strong>und</strong> denke beides zugleich! Die hier aufgezeigte Dialektik<br />
kann nicht aufgelöst werden. Viele Arbeiten Rhodes s<strong>in</strong>d Vexierbil<strong>der</strong>.<br />
Sie erzählen von <strong>der</strong> Utopie e<strong>in</strong>es aufbrechenden Bildraums.<br />
Hierdurch wird dem Künstler Rhode alles möglich. Dies zeigen se<strong>in</strong>e<br />
Fotoserien <strong>und</strong> Animationen: Hier wird er zum Basketball- <strong>und</strong> Skateboardprofi,<br />
wird unsagbar stark, lässt durch se<strong>in</strong> Zutun surreale Landschaften<br />
wachsen. Die »Erfüllung« <strong>der</strong> Utopie ist zugleich durch die<br />
Differenz von Körper <strong>und</strong> Zeichnung mit dem Offenbarwerden ihrer<br />
»Unerreichbarkeit« verb<strong>und</strong>en – wird doch gerade durch Rhodes<br />
gestische Zeichnung <strong>in</strong> ihrem Anti-Illusionismus die Bild- bzw. Utopiekonstruktion<br />
stets mitgezeigt.<br />
Was sich durch den Versuch, e<strong>in</strong>e <strong>der</strong>artige Utopie zu konstruieren,<br />
sie e<strong>in</strong>erseits zu erreichen <strong>und</strong> doch an<strong>der</strong>erseits daran zu scheitern,<br />
vermittelt, ist die Sehnsucht nach dieser Utopie.<br />
Der Sehnsucht ist e<strong>in</strong>e ganz ähnliche Dialektik eigen wie den Bil<strong>der</strong>n<br />
Rob<strong>in</strong> Rhodes. Sehnsucht existiert nur, solange e<strong>in</strong>e Utopie existiert.<br />
Sehnsucht existiert nur, solange sich die Utopie nicht erfüllt. Sehnsucht<br />
wird sicht- <strong>und</strong> greifbar durch den naiven Versuch, e<strong>in</strong>e Utopie<br />
erreichen zu können. Sehnsucht wird sichtbar, solange die Utopie<br />
greif- <strong>und</strong> doch unerreichbar bleibt. So wird <strong>in</strong> Rhodes »super-naiven«<br />
Arbeiten vor allem spürbar: Sehnsucht.<br />
Rob<strong>in</strong> Rhode <strong>und</strong> Julia Dick entwickeln Ideen<br />
Fotos auf den Folgeseiten: Alexandra Grieß<br />
Die Sehnsucht nach<br />
dem erfahrbaren Freiraum<br />
des Bildes als kunstpädagogischer<br />
Versuch<br />
Ich folge Rob<strong>in</strong> Rhodes Sehnsucht nach Utopie. Ich habe die Utopie,<br />
durch das Bild Wände als Freiräume umdef<strong>in</strong>ieren zu können. Statt<br />
e<strong>in</strong>er rationalen Vermittlung von Rhodes Arbeit wähle ich die Strategie<br />
<strong>der</strong> direkten Erfahrung.<br />
Die Vorgehensweise Rhodes soll direkt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Rahmen erprobt <strong>und</strong><br />
überprüft werden, <strong>der</strong> Wunsch-Utopien eigentlich fern steht: Statt <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>e <strong>Schule</strong> gehe ich <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Gefängnis für jugendliche Straftäter <strong>in</strong> Untersuchungshaft,<br />
die Justizvollzugsanstalt Braunschweig.<br />
Im Gefängnis spielt die Wand, <strong>in</strong> ihrer physischen – vielleicht sogar<br />
auch mentalen Begrenzung – e<strong>in</strong>e größere Rolle als »draußen«. Die<br />
Wand <strong>in</strong> Rob<strong>in</strong> Rhodes Arbeit h<strong>in</strong>gegen hat zwei Seiten, funktioniert<br />
dialektisch. Sie stellt wie die Mauer des Gefängnisses<br />
e<strong>in</strong>erseits e<strong>in</strong>e physisch unüberw<strong>in</strong>dbare<br />
Grenze dar, an<strong>der</strong>erseits wird sie zum Bildträger<br />
<strong>und</strong> somit zur Schwelle, zum Fenster <strong>in</strong> die utopische<br />
Welt e<strong>in</strong>es grenzenlosen Freiraums. Diesen<br />
Wi<strong>der</strong>spruch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Gefängnis zu erproben,<br />
bedeutet, ihn größer zu machen, da <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em solchen<br />
Kontext Utopien noch unerreichbarer zu<br />
se<strong>in</strong> sche<strong>in</strong>en. Der Wi<strong>der</strong>spruch <strong>in</strong> Rhodes Arbeiten<br />
wird also nicht untersucht, <strong>in</strong>dem er rational<br />
analysiert, aufgelöst <strong>und</strong> erklärt wird, son<strong>der</strong>n<br />
<strong>in</strong>dem er beibehalten <strong>und</strong> <strong>in</strong> gesteigerter Form<br />
erfahren wird. Es stellt sich die Frage, ob die Utopie<br />
e<strong>in</strong>es Freiraums im Bild <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er harten <strong>und</strong><br />
begrenzenden Realität wie <strong>der</strong> des Gefängnisses<br />
e<strong>in</strong>e Relevanz o<strong>der</strong> Wirkung haben könnte.<br />
Für das Projekt wähle ich e<strong>in</strong>en persönlichen Themenkomplex<br />
– es soll um die <strong>in</strong>dividuellen Wünsche<br />
<strong>und</strong> Sehnsüchte <strong>der</strong> Projektteilnehmer gehen.<br />
Diese Entscheidung geht von <strong>der</strong> Utopie aus, dass<br />
persönliche Wünsche <strong>und</strong> Sehnsüchte <strong>in</strong> Kom b<strong>in</strong>ation<br />
mit e<strong>in</strong>er vielleicht überw<strong>in</strong>dbaren Gren ze<br />
zwischen Alltags- <strong>und</strong> Bildraum e<strong>in</strong>en fan tas tischen<br />
Denkraum schaffen können, im S<strong>in</strong>ne von:<br />
»Unmögliche-Sachen-werden-mir-im-Bild-möglich«.<br />
Jugendliche können sich im Bild bei <strong>der</strong> »Erfüllung«<br />
ihrer Sehnsüchte selbst <strong>in</strong>szenieren,<br />
mittels <strong>der</strong> Zeichnung <strong>in</strong> Komb<strong>in</strong>ation mit ihrem<br />
eigenen Leib Bil<strong>der</strong> produzieren. Dabei gibt es<br />
ke<strong>in</strong>e Grenzen.<br />
»Gleich <strong>der</strong> Phantasie, die ihren wesentlichen<br />
seelischen Ausdruck darstellt, ist <strong>der</strong> Bereich<br />
<strong>der</strong> Ästhetik vorzüglich ›unrealistisch‹, sie hat<br />
sich um den Preis, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Realität wirkungslos<br />
zu se<strong>in</strong>, ihre Freiheit vom Realitätspr<strong>in</strong>zip bewahrt.«<br />
1<br />
Diejenigen Befriedigungen, Lüste <strong>und</strong> Bedürfnisse<br />
des Individuums, die entwe<strong>der</strong> überhaupt nicht<br />
möglich o<strong>der</strong> ausgegrenzt werden, um das Zusammenleben<br />
<strong>der</strong> Gesellschaft zu gewährleisten,<br />
können im Bild aufgr<strong>und</strong> se<strong>in</strong>er »Wirkungslosigkeit<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Realität« durchexerziert <strong>und</strong> ausgelebt<br />
werden. Auf das Subjekt könnte dieses Im-Bild-<br />
Ausleben aber vielleicht doch e<strong>in</strong>e Wirkung haben:<br />
1 Marcuse, Herbert (1957): Triebstruktur <strong>und</strong> Gesellschaft. E<strong>in</strong> philosophischer<br />
Beitrag zu Sigm<strong>und</strong> Freud, Frankfurt a.M. 1979, S. 150.