Kunst und aktuelle Medienkultur in der Schule kiss - Universität ...
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20 / 21 <strong>kiss</strong><br />
Julia Dick / Rob<strong>in</strong> Rhode<br />
die <strong>der</strong> Sublimierung. Zum<strong>in</strong>dest erlebt sich das Subjekt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er die<br />
Sehnsüchte als Potenzial umdeutenden, ausnutzenden <strong>und</strong> deswegen<br />
produktiven, schöpferischen Art <strong>und</strong> Weise. Es verharrt nicht bloß <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>er konsumorientierten, passiven Sehnsuchtshaltung, wie es vielleicht<br />
für viele <strong>der</strong> Inhaftierten zumeist die Regel ist. In e<strong>in</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong>selben<br />
Aufgabenstellung wird somit <strong>der</strong> sich niemals erfüllenden Utopie die<br />
Praxis des aktiven Herstellens <strong>und</strong> Suchens gegenübergestellt – <strong>und</strong><br />
dies mit ganz spartanischen Mitteln. Die hier<strong>in</strong> wurzelnde künstlerische<br />
Haltung <strong>der</strong> Kreativität, Aktivität wie Produktivität trotz begrenzter<br />
Möglichkeiten ist me<strong>in</strong>es Erachtens e<strong>in</strong>e s<strong>in</strong>nvolle Strategie – auch o<strong>der</strong><br />
vielmehr gerade im H<strong>in</strong>blick auf die Situation <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Gefängnis.<br />
Aus kunstpädagogischer Sicht ist entscheidend, dass e<strong>in</strong>e Utopie durch<br />
den Prozess <strong>der</strong> Veräußerlichung <strong>und</strong> Formwerdung reflektierbar wird:<br />
Das im Bild sich manifestierende »Ausleben« e<strong>in</strong>es Bedürfnisses verweist<br />
<strong>in</strong>direkt zugleich auf den eigentlichen Ist- <strong>und</strong> Soll-Zustand <strong>der</strong><br />
Alltagsrealität. Gerade e<strong>in</strong>e etwaige Differenz zwischen Fantasie <strong>und</strong><br />
Alltagsrealität, welche Rhodes Methode immer auch mitzeigt, wird<br />
reflektier- <strong>und</strong> begreifbar.<br />
Julia Dick <strong>und</strong> Rob<strong>in</strong> Rhode im Atelier<br />
Auch die Wahl e<strong>in</strong>es persönlichen Zugangs über<br />
die eigenen Wünsche <strong>und</strong> Sehnsüchte führt zu<br />
e<strong>in</strong>er Zentrierung des Subjekts. Damit geht e<strong>in</strong>her,<br />
dass das Persönliche zu e<strong>in</strong>em Bil<strong>der</strong> schaffenden<br />
Potenzial umgedeutet wird. Die Jugendlichen<br />
werden dar<strong>in</strong> unterstützt, e<strong>in</strong>en eigenen Ausdruck<br />
für <strong>in</strong>dividuelle Themen zu f<strong>in</strong>den, auch jenseits<br />
<strong>der</strong> verbalen Sprache. So können sie <strong>in</strong>time,<br />
unaussprechliche, vielleicht sogar geheime D<strong>in</strong>ge,<br />
die sie beschäftigen, transformieren, veräußern<br />
<strong>und</strong> emporheben. Darüber mittels des eigenen<br />
Leibes zu erzählen <strong>und</strong> durch die Inszenierung<br />
für e<strong>in</strong> Publikum o<strong>der</strong> für e<strong>in</strong>e Fotografie auch das<br />
Feedback durch e<strong>in</strong>e Außenperspektive zu erhalten,<br />
kann ihnen bei <strong>der</strong> Selbstvergewisserung,<br />
Selbstreflexion <strong>und</strong> Identitätskonstitution helfen.<br />
E<strong>in</strong>e zweifelsfreie Garantie, ob <strong>und</strong> <strong>in</strong> welchem<br />
Maße e<strong>in</strong> solcher Prozess <strong>in</strong> Gang kommen kann<br />
bzw. zugelassen wird, ob e<strong>in</strong>e Bewusstwerdung<br />
für e<strong>in</strong> Individuum hilfreich ist, kann es dabei<br />
nicht geben. Das Individuum ist <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung<br />
mit den eigenen Bil<strong>der</strong>n <strong>und</strong> dem<br />
eigenen Leib immer auch auf sich selbst zurückgeworfen<br />
<strong>und</strong> gehalten, e<strong>in</strong>e Art »Autopädagogik«<br />
zu betreiben. Ich kann aber versuchen, e<strong>in</strong> günstiges<br />
Sett<strong>in</strong>g für die Initiierung solcher Prozesse<br />
herzustellen, ich biete den Anfangspunkt e<strong>in</strong>er<br />
Strategie an. Diese Strategie zu entwickeln <strong>und</strong><br />
ihr dann zu folgen, muss jedem E<strong>in</strong>zelnen selbst<br />
überlassen werden.<br />
Trotz vieler Ideen, wie sich das Projekt entwickeln<br />
<strong>und</strong> welche Richtung es nehmen könnte, habe<br />
ich vor Beg<strong>in</strong>n ke<strong>in</strong>e allzu festen Pläne für die Umsetzung<br />
ausgearbeitet. Es erschien mir unrealistisch<br />
<strong>und</strong> darüber h<strong>in</strong>aus nicht gerechtfertigt, mit<br />
e<strong>in</strong>em festen, durchgeplanten Konzept <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e<br />
mir völlig unbekannte Situation zu gehen. Anstelle<br />
e<strong>in</strong>er langfristigen Planung hielt ich es für angemessener,<br />
für den Prozess offen zu bleiben, zu<br />
sehen, was da ist, was passiert, <strong>und</strong> darauf zu<br />
reagieren. Die vage <strong>und</strong> eher an formalen Kriterien<br />
orientierte Zielsetzung bestand dar<strong>in</strong>, im<br />
Rahmen <strong>der</strong> Projektarbeit zusammen mit den Jugendlichen<br />
<strong>und</strong> ihren Ideen zu e<strong>in</strong>em zeigbaren<br />
Ergebnis zu gelangen.<br />
Ich konnte Rob<strong>in</strong> Rhode <strong>in</strong> sehr unterschiedlichen Situationen erleben<br />
<strong>und</strong> lernte: Er hat viele Gesichter. Atmosphärisch privat, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
Café, war er zurückhaltend, ruhig <strong>und</strong> präzise; <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Vortrag vor<br />
me<strong>in</strong>er Fachklasse, die ihn besuchte, war er wie ausgetauscht. Er<br />
wirkte präsent <strong>und</strong> quirlig <strong>und</strong> bombardierte se<strong>in</strong> Publikum geradezu<br />
mit immer neuen <strong>und</strong> weiteren Arbeiten. Dann, beim formloseren<br />
Herumhängen im Park, von se<strong>in</strong>er Zeit <strong>in</strong> Südafrika erzählend, wird<br />
se<strong>in</strong> noch sehr junges Alter offensichtlich, er wirkt wie e<strong>in</strong>er me<strong>in</strong>er<br />
Kommilitonen – nur dass er bereits e<strong>in</strong>e steile Karriere h<strong>in</strong>ter sich hat<br />
<strong>und</strong> e<strong>in</strong>e damit verb<strong>und</strong>ene Professionalität an den Tag legt. Bei e<strong>in</strong>em<br />
nächsten Treffen, wie<strong>der</strong> zu zweit, betont er zwar noch, er wolle<br />
Die Unterstützung<br />
sich nicht <strong>in</strong>szenieren, wenn die Fotograf<strong>in</strong> kommt.<br />
Sobald sie jedoch da ist <strong>und</strong> zu fotografieren<br />
beg<strong>in</strong>nt, dreht er auf <strong>und</strong> posiert mit immenser<br />
Begeis terung. Mir wird plötzlich klar, dass auf<br />
Gr<strong>und</strong> dieser Freude am Inszenieren auch se<strong>in</strong>e<br />
Fotos so s<strong>in</strong>d, wie sie s<strong>in</strong>d – die Wirkung <strong>der</strong><br />
Fotos sche<strong>in</strong>t ganz eng mit se<strong>in</strong>em Charakter zusammenzuhängen.<br />
Rob<strong>in</strong> Rhode hat mich bei<br />
me<strong>in</strong>em Vorhaben sehr unterstützt, vor allem dadurch,<br />
dass er begeis tert war von <strong>der</strong> Idee, mit<br />
Jugendlichen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Gefängnis zu arbeiten. Auch<br />
die Themenwahl »Wünsche <strong>und</strong> Sehnsüchte«<br />
leuchtete ihm e<strong>in</strong>. Er machte mir Mut, was wahrsche<strong>in</strong>lich<br />
für mich die wichtigste Motivation war.<br />
Er besprach mit mir me<strong>in</strong>e Ideen, ergänzte sie durch<br />
eigene, stellte mir diverses Material zur Verfügung,<br />
war neugierig <strong>und</strong> <strong>in</strong>teressiert. Er betonte<br />
aber auch, dass es me<strong>in</strong> Projekt sei.<br />
Da ich trotzdem im Team arbeiten wollte – auch,<br />
da es im Gefängnis ke<strong>in</strong>en <strong>Kunst</strong>lehrer gab, <strong>der</strong><br />
mich begleitete, fragte ich me<strong>in</strong>en Kommilitonen<br />
Johannes Hock, ob er me<strong>in</strong> Vorhaben durch se<strong>in</strong>e<br />
Anwesenheit unterstützen könne. Er begleitete<br />
das Projekt, <strong>in</strong>dem er beobachtete <strong>und</strong> reflek tie rte,<br />
die Situation von e<strong>in</strong>er Außenposition spie gelte,<br />
mit mir die Unterrichtsplanung besprach <strong>und</strong> mir<br />
se<strong>in</strong>e Überlegungen <strong>und</strong> Ideen mitteilte.