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Kunst und aktuelle Medienkultur in der Schule kiss - Universität ...

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26 / 27 <strong>kiss</strong><br />

Julia Dick / Rob<strong>in</strong> Rhode<br />

Nach <strong>und</strong> nach entsteht e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same Skizze. Trotz anfänglicher<br />

Motivation zum Sprühen arbeitet wie<strong>der</strong> nicht die gesamte Gruppe<br />

mit – viele geben e<strong>in</strong>fach nach e<strong>in</strong>em ersten Versuch auf.<br />

Um noch weitere Bildmotive zum Thema Sehnsüchte <strong>und</strong> Utopien zu<br />

f<strong>in</strong>den, bekommen die Jungen den Auftrag, Texte zu folgen<strong>der</strong> Auf gabe<br />

zu schreiben:<br />

»Morgens kl<strong>in</strong>gelt bei dir das Telefon, Gott ist dran <strong>und</strong> sagt, dass<br />

heute de<strong>in</strong> letzter Tag sei. Du fragst, kann man da nicht was machen?<br />

Gott sagt, sorry, aber es bleibt lei<strong>der</strong> dabei. Aber, wenn du irgendwelche<br />

Wünsche für heute hast, sag e<strong>in</strong>fach Bescheid, ich erfülle<br />

die dann … Wie sieht also dieser Tag aus?« [M8]<br />

Alle Jungen entwickeln Geschichten. Bei <strong>der</strong> Übertragung <strong>in</strong>s Bildnerische<br />

haben allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong>ige Probleme.<br />

Zum Abschluss vergrößern wir an e<strong>in</strong>em Projekttag mit denjenigen,<br />

die sich aktiv e<strong>in</strong>gebracht haben, die Skizze an <strong>der</strong> Wand <strong>und</strong> sprühen<br />

sie anschließend. Es entsteht e<strong>in</strong> über drei Wände verteiltes Bild, auf<br />

dem die Sehnsüchte <strong>und</strong> Wünsche <strong>der</strong> Jungen <strong>und</strong> ihre Assoziationen<br />

zum Thema gezeigt werden: Auf <strong>der</strong> mittleren Wand ist e<strong>in</strong> Strand<br />

mit e<strong>in</strong>er Frau zu sehen, e<strong>in</strong> fliegendes, aggressives Herz <strong>und</strong> <strong>der</strong> Sternenhimmel.<br />

In dieser Welt gibt es auch fliegende Schwe<strong>in</strong>e. Die beiden<br />

gegenüberliegenden Wände erzählen gerade <strong>in</strong> ihrer Gegensätzlichkeit<br />

sehr viel über den Kontext Gefängnis: Auf <strong>der</strong> e<strong>in</strong>en Wand<br />

ist e<strong>in</strong>e bespielbare Gedankenblase entstanden, <strong>in</strong> <strong>der</strong> begehrte D<strong>in</strong>ge<br />

gezeigt werden: e<strong>in</strong> Hamburger, e<strong>in</strong>e Flasche Cola, e<strong>in</strong> Spielautomat,<br />

e<strong>in</strong> Motorrad. Auf <strong>der</strong> gegenüberstehenden Wand bef<strong>in</strong>det sich e<strong>in</strong><br />

Opferaltar, vor dem jemand <strong>in</strong> opferbr<strong>in</strong>gen<strong>der</strong> Geste kniet.<br />

Am Schluss entwickelt die Gruppe e<strong>in</strong>e eigene Dynamik: Diejenigen,<br />

die mit größtem Engagement mitgearbeitet haben, wollen sich selbst<br />

mit ihren Bil<strong>der</strong>n für Fotos <strong>in</strong>szenieren, so wie sie es vorweg <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit Rob<strong>in</strong> Rhode kennen gelernt hatten. Es sche<strong>in</strong>t<br />

so, als ob sie durch die arbeits<strong>in</strong>tensive Gestaltung des Bildes stolz<br />

<strong>und</strong> nun auch selbstbewusst genug geworden s<strong>in</strong>d, vor ihren eigenen<br />

Bil<strong>der</strong>n zu posieren. Hier zeigt sich, dass <strong>der</strong> Schmerz über das Fehlen<br />

<strong>der</strong> ersehnten D<strong>in</strong>ge unwichtig wird gegenüber dem Stolz über die<br />

eigene Produktion. Die Jungen haben sich als schöpferisch erlebt –<br />

e<strong>in</strong>e positive <strong>und</strong> sehr wichtige Erfahrung.<br />

E<strong>in</strong> weiteres Ergebnis fällt mir erst nach Beendigung des Projektes beim<br />

erneuten Durchschauen <strong>der</strong> Bil<strong>der</strong>, die ich <strong>in</strong>s Gefängnis gebracht hatte,<br />

<strong>in</strong> die Hände: E<strong>in</strong> Formblatt des Gefängnisses, das die Inhaftie rten<br />

ausfüllen müssen, um bestimmte Wünsche, wie<br />

z.B. e<strong>in</strong>en Telefonanruf zu beantragen, wurde<br />

mir zwischen die Unterlagen geschoben.<br />

Darauf steht:<br />

»Hiermit beantrage ich e<strong>in</strong> Schloss.«<br />

Das Formblatt stellt e<strong>in</strong>en Rahmen dar, den das<br />

Gefängnis setzt. Innerhalb des Rahmens wurde<br />

damit <strong>in</strong> utopischer Art <strong>und</strong> Weise gespielt. Der<br />

Rahmen wird dadurch verrückt. Ich sehe dar<strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>en sehr reflektierten <strong>und</strong> kreativen Kommentar,<br />

sowohl auf me<strong>in</strong> Projekt als auch auf den<br />

Kontext Gefängnis.<br />

Die Jungen hatten ke<strong>in</strong>e Probleme, herauszuf<strong>in</strong>den<br />

<strong>und</strong> zu benennen, was ihre Sehnsüchte <strong>und</strong><br />

Wünsche waren. Mit Hilfestellung gelang ihnen<br />

auch die Darstellung <strong>in</strong> Form von Zeichnen <strong>und</strong><br />

Sprühen. Über das Thema <strong>der</strong> Sehn süchte <strong>und</strong> somit<br />

<strong>in</strong>direkt über den Kontext Gefängnis hat e<strong>in</strong>e<br />

Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung stattgef<strong>und</strong>en. Die Selbst<strong>in</strong>sze<br />

nierung im H<strong>in</strong>blick auf die eigenen Wünsche<br />

fiel den Jungen aber von e<strong>in</strong>igen Ausnahmen<br />

abgesehen sehr schwer. Klar ist <strong>in</strong>des auch, dass<br />

unter den gegebenen Umständen die aus Rob<strong>in</strong><br />

Rhodes Konzept übernommene Selbst<strong>in</strong>szenierung<br />

mit den gezeichneten Gegenständen neben e<strong>in</strong>er<br />

»Erfüllung« vor allem gerade <strong>der</strong>en »Ab wesenheit«<br />

thematisiert. Es bedürfte e<strong>in</strong>es sich dis tanzie<br />

renden <strong>und</strong> spielerischen Umgangs damit.<br />

Dieses um se<strong>in</strong>er selbst willen gespielte Spiel mit<br />

den eigenen Sehnsüchten gelang den Jugendlichen<br />

allenfalls <strong>in</strong> Ansätzen. Insofern ist vielleicht<br />

e<strong>in</strong> Graffito, mit dem e<strong>in</strong>e Welt <strong>der</strong> Sehn süchte<br />

<strong>und</strong> Wünsche gezeigt wird, für sie die bessere<br />

Möglichkeit, um <strong>in</strong> <strong>der</strong> Situation des Gefängnisses<br />

e<strong>in</strong>en potenziellen Freiraum des Bildes zu erleben:<br />

Hier wird die Zeichenhaftig keit <strong>und</strong> somit die<br />

Abwesenheit <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge nicht explizit the matisiert.<br />

Die Projektion, das Fenster zur Utopie, <strong>der</strong><br />

Freiraum des Bildes, werden nicht angetastet.<br />

Das Entlarven <strong>der</strong> Bildhaftigkeit, des Bildes als Bild,<br />

f<strong>in</strong>det nicht statt. Dafür sorgt ohne h<strong>in</strong> bereits<br />

<strong>der</strong> Kontext, <strong>in</strong> dem das Bild gezeigt wird.<br />

Man schaffe sich die<br />

ungünstigsten Bed<strong>in</strong>gungen,<br />

um zu lehren –<br />

<strong>und</strong> blicke auf die <strong>Schule</strong><br />

mit an<strong>der</strong>en Augen<br />

Posieren vor dem Wandbild<br />

In e<strong>in</strong>em Gefängnis künstlerisch zu arbeiten, heißt,<br />

sich auf e<strong>in</strong>en ständigen Kampf mit herrschenden<br />

Grenzen e<strong>in</strong>zulassen. Als Leiter<strong>in</strong> des Projekts<br />

wurde ich selbst temporär physisch <strong>und</strong> gewisserma<br />

ßen auch <strong>in</strong> den von mir erwünschten Möglichkeiten<br />

des Lehrens e<strong>in</strong>gesperrt. Auch ich geriet<br />

<strong>in</strong> die Abhängigkeit <strong>der</strong> bestehenden Strukturen<br />

<strong>und</strong> zuständigen Beamten. Je<strong>der</strong> w<strong>in</strong>zig kle<strong>in</strong>e<br />

<strong>und</strong> zumeist durch Anträge erkämpfte Freiraum,<br />

sei es e<strong>in</strong>e Kamera o<strong>der</strong> Sprühdosen benutzen<br />

zu dürfen, bedeutete e<strong>in</strong>en Erfolg. In e<strong>in</strong>igen Punkten<br />

ist mir die Leitung entgegengekommen. In<br />

vielen Anliegen wurden die Sicherheitsmaßnahmen<br />

<strong>und</strong> Reglementierungen jedoch vorangestellt.<br />

So durften wir z.B. trotz wasserlöslicher Stifte<br />

nicht auf Wände zeichnen <strong>und</strong> es war uns z.B.<br />

nicht möglich, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em größeren abgeschlossenen<br />

Raum zu arbeiten. Wir wichen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en kle<strong>in</strong>en<br />

Sem<strong>in</strong>arraum, auf den Hof o<strong>der</strong> auf die Flure aus.<br />

Gerade für die körperliche Arbeit wäre es aber<br />

unbe d<strong>in</strong>gt notwendig gewesen, e<strong>in</strong>en größeren<br />

Raum zu bespielen, <strong>der</strong> Platz, Konzentration, aber<br />

vor allem auch Schutz, um sich selbst neu ausprobieren<br />

zu können, gewährleistet hätte. Schwierig<br />

waren auch Wechsel <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gruppe <strong>und</strong> das<br />

Umgehen mit <strong>der</strong> stark schwankenden Motivation.<br />

Sicher werde ich <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er beruflichen Zukunft<br />

nicht im Gefängnis arbeiten. Die Erfahrungen im<br />

Projekt wirken sich aber nachhaltig auf me<strong>in</strong> Denken<br />

<strong>und</strong> Handeln aus, zum Beispiel im H<strong>in</strong>blick auf<br />

me<strong>in</strong>e Vorstellung von kunstpädagogischer Praxis<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Normalschule. So ist mir deutlich geworden,<br />

dass die von mir zuvor oft wegen ihrer relativ<br />

engen <strong>und</strong> zum Teil starren <strong>in</strong>stitutionel len Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />

wie z.B. enger St<strong>und</strong>en taktung<br />

kritisierte <strong>Schule</strong> e<strong>in</strong> vergleichsweise offener<br />

Rahmen ist, <strong>in</strong> dem es nicht nur um Erziehungs-<br />

<strong>und</strong> Diszipl<strong>in</strong>ierungsprozesse geht, son<strong>der</strong>n <strong>in</strong><br />

dem doch recht große Spielräume für Bildungsprozesse<br />

gegeben s<strong>in</strong>d.

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