Kunst und aktuelle Medienkultur in der Schule kiss - Universität ...
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Julia Dick / Rob<strong>in</strong> Rhode<br />
Nach <strong>und</strong> nach entsteht e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same Skizze. Trotz anfänglicher<br />
Motivation zum Sprühen arbeitet wie<strong>der</strong> nicht die gesamte Gruppe<br />
mit – viele geben e<strong>in</strong>fach nach e<strong>in</strong>em ersten Versuch auf.<br />
Um noch weitere Bildmotive zum Thema Sehnsüchte <strong>und</strong> Utopien zu<br />
f<strong>in</strong>den, bekommen die Jungen den Auftrag, Texte zu folgen<strong>der</strong> Auf gabe<br />
zu schreiben:<br />
»Morgens kl<strong>in</strong>gelt bei dir das Telefon, Gott ist dran <strong>und</strong> sagt, dass<br />
heute de<strong>in</strong> letzter Tag sei. Du fragst, kann man da nicht was machen?<br />
Gott sagt, sorry, aber es bleibt lei<strong>der</strong> dabei. Aber, wenn du irgendwelche<br />
Wünsche für heute hast, sag e<strong>in</strong>fach Bescheid, ich erfülle<br />
die dann … Wie sieht also dieser Tag aus?« [M8]<br />
Alle Jungen entwickeln Geschichten. Bei <strong>der</strong> Übertragung <strong>in</strong>s Bildnerische<br />
haben allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong>ige Probleme.<br />
Zum Abschluss vergrößern wir an e<strong>in</strong>em Projekttag mit denjenigen,<br />
die sich aktiv e<strong>in</strong>gebracht haben, die Skizze an <strong>der</strong> Wand <strong>und</strong> sprühen<br />
sie anschließend. Es entsteht e<strong>in</strong> über drei Wände verteiltes Bild, auf<br />
dem die Sehnsüchte <strong>und</strong> Wünsche <strong>der</strong> Jungen <strong>und</strong> ihre Assoziationen<br />
zum Thema gezeigt werden: Auf <strong>der</strong> mittleren Wand ist e<strong>in</strong> Strand<br />
mit e<strong>in</strong>er Frau zu sehen, e<strong>in</strong> fliegendes, aggressives Herz <strong>und</strong> <strong>der</strong> Sternenhimmel.<br />
In dieser Welt gibt es auch fliegende Schwe<strong>in</strong>e. Die beiden<br />
gegenüberliegenden Wände erzählen gerade <strong>in</strong> ihrer Gegensätzlichkeit<br />
sehr viel über den Kontext Gefängnis: Auf <strong>der</strong> e<strong>in</strong>en Wand<br />
ist e<strong>in</strong>e bespielbare Gedankenblase entstanden, <strong>in</strong> <strong>der</strong> begehrte D<strong>in</strong>ge<br />
gezeigt werden: e<strong>in</strong> Hamburger, e<strong>in</strong>e Flasche Cola, e<strong>in</strong> Spielautomat,<br />
e<strong>in</strong> Motorrad. Auf <strong>der</strong> gegenüberstehenden Wand bef<strong>in</strong>det sich e<strong>in</strong><br />
Opferaltar, vor dem jemand <strong>in</strong> opferbr<strong>in</strong>gen<strong>der</strong> Geste kniet.<br />
Am Schluss entwickelt die Gruppe e<strong>in</strong>e eigene Dynamik: Diejenigen,<br />
die mit größtem Engagement mitgearbeitet haben, wollen sich selbst<br />
mit ihren Bil<strong>der</strong>n für Fotos <strong>in</strong>szenieren, so wie sie es vorweg <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit Rob<strong>in</strong> Rhode kennen gelernt hatten. Es sche<strong>in</strong>t<br />
so, als ob sie durch die arbeits<strong>in</strong>tensive Gestaltung des Bildes stolz<br />
<strong>und</strong> nun auch selbstbewusst genug geworden s<strong>in</strong>d, vor ihren eigenen<br />
Bil<strong>der</strong>n zu posieren. Hier zeigt sich, dass <strong>der</strong> Schmerz über das Fehlen<br />
<strong>der</strong> ersehnten D<strong>in</strong>ge unwichtig wird gegenüber dem Stolz über die<br />
eigene Produktion. Die Jungen haben sich als schöpferisch erlebt –<br />
e<strong>in</strong>e positive <strong>und</strong> sehr wichtige Erfahrung.<br />
E<strong>in</strong> weiteres Ergebnis fällt mir erst nach Beendigung des Projektes beim<br />
erneuten Durchschauen <strong>der</strong> Bil<strong>der</strong>, die ich <strong>in</strong>s Gefängnis gebracht hatte,<br />
<strong>in</strong> die Hände: E<strong>in</strong> Formblatt des Gefängnisses, das die Inhaftie rten<br />
ausfüllen müssen, um bestimmte Wünsche, wie<br />
z.B. e<strong>in</strong>en Telefonanruf zu beantragen, wurde<br />
mir zwischen die Unterlagen geschoben.<br />
Darauf steht:<br />
»Hiermit beantrage ich e<strong>in</strong> Schloss.«<br />
Das Formblatt stellt e<strong>in</strong>en Rahmen dar, den das<br />
Gefängnis setzt. Innerhalb des Rahmens wurde<br />
damit <strong>in</strong> utopischer Art <strong>und</strong> Weise gespielt. Der<br />
Rahmen wird dadurch verrückt. Ich sehe dar<strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>en sehr reflektierten <strong>und</strong> kreativen Kommentar,<br />
sowohl auf me<strong>in</strong> Projekt als auch auf den<br />
Kontext Gefängnis.<br />
Die Jungen hatten ke<strong>in</strong>e Probleme, herauszuf<strong>in</strong>den<br />
<strong>und</strong> zu benennen, was ihre Sehnsüchte <strong>und</strong><br />
Wünsche waren. Mit Hilfestellung gelang ihnen<br />
auch die Darstellung <strong>in</strong> Form von Zeichnen <strong>und</strong><br />
Sprühen. Über das Thema <strong>der</strong> Sehn süchte <strong>und</strong> somit<br />
<strong>in</strong>direkt über den Kontext Gefängnis hat e<strong>in</strong>e<br />
Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung stattgef<strong>und</strong>en. Die Selbst<strong>in</strong>sze<br />
nierung im H<strong>in</strong>blick auf die eigenen Wünsche<br />
fiel den Jungen aber von e<strong>in</strong>igen Ausnahmen<br />
abgesehen sehr schwer. Klar ist <strong>in</strong>des auch, dass<br />
unter den gegebenen Umständen die aus Rob<strong>in</strong><br />
Rhodes Konzept übernommene Selbst<strong>in</strong>szenierung<br />
mit den gezeichneten Gegenständen neben e<strong>in</strong>er<br />
»Erfüllung« vor allem gerade <strong>der</strong>en »Ab wesenheit«<br />
thematisiert. Es bedürfte e<strong>in</strong>es sich dis tanzie<br />
renden <strong>und</strong> spielerischen Umgangs damit.<br />
Dieses um se<strong>in</strong>er selbst willen gespielte Spiel mit<br />
den eigenen Sehnsüchten gelang den Jugendlichen<br />
allenfalls <strong>in</strong> Ansätzen. Insofern ist vielleicht<br />
e<strong>in</strong> Graffito, mit dem e<strong>in</strong>e Welt <strong>der</strong> Sehn süchte<br />
<strong>und</strong> Wünsche gezeigt wird, für sie die bessere<br />
Möglichkeit, um <strong>in</strong> <strong>der</strong> Situation des Gefängnisses<br />
e<strong>in</strong>en potenziellen Freiraum des Bildes zu erleben:<br />
Hier wird die Zeichenhaftig keit <strong>und</strong> somit die<br />
Abwesenheit <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge nicht explizit the matisiert.<br />
Die Projektion, das Fenster zur Utopie, <strong>der</strong><br />
Freiraum des Bildes, werden nicht angetastet.<br />
Das Entlarven <strong>der</strong> Bildhaftigkeit, des Bildes als Bild,<br />
f<strong>in</strong>det nicht statt. Dafür sorgt ohne h<strong>in</strong> bereits<br />
<strong>der</strong> Kontext, <strong>in</strong> dem das Bild gezeigt wird.<br />
Man schaffe sich die<br />
ungünstigsten Bed<strong>in</strong>gungen,<br />
um zu lehren –<br />
<strong>und</strong> blicke auf die <strong>Schule</strong><br />
mit an<strong>der</strong>en Augen<br />
Posieren vor dem Wandbild<br />
In e<strong>in</strong>em Gefängnis künstlerisch zu arbeiten, heißt,<br />
sich auf e<strong>in</strong>en ständigen Kampf mit herrschenden<br />
Grenzen e<strong>in</strong>zulassen. Als Leiter<strong>in</strong> des Projekts<br />
wurde ich selbst temporär physisch <strong>und</strong> gewisserma<br />
ßen auch <strong>in</strong> den von mir erwünschten Möglichkeiten<br />
des Lehrens e<strong>in</strong>gesperrt. Auch ich geriet<br />
<strong>in</strong> die Abhängigkeit <strong>der</strong> bestehenden Strukturen<br />
<strong>und</strong> zuständigen Beamten. Je<strong>der</strong> w<strong>in</strong>zig kle<strong>in</strong>e<br />
<strong>und</strong> zumeist durch Anträge erkämpfte Freiraum,<br />
sei es e<strong>in</strong>e Kamera o<strong>der</strong> Sprühdosen benutzen<br />
zu dürfen, bedeutete e<strong>in</strong>en Erfolg. In e<strong>in</strong>igen Punkten<br />
ist mir die Leitung entgegengekommen. In<br />
vielen Anliegen wurden die Sicherheitsmaßnahmen<br />
<strong>und</strong> Reglementierungen jedoch vorangestellt.<br />
So durften wir z.B. trotz wasserlöslicher Stifte<br />
nicht auf Wände zeichnen <strong>und</strong> es war uns z.B.<br />
nicht möglich, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em größeren abgeschlossenen<br />
Raum zu arbeiten. Wir wichen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en kle<strong>in</strong>en<br />
Sem<strong>in</strong>arraum, auf den Hof o<strong>der</strong> auf die Flure aus.<br />
Gerade für die körperliche Arbeit wäre es aber<br />
unbe d<strong>in</strong>gt notwendig gewesen, e<strong>in</strong>en größeren<br />
Raum zu bespielen, <strong>der</strong> Platz, Konzentration, aber<br />
vor allem auch Schutz, um sich selbst neu ausprobieren<br />
zu können, gewährleistet hätte. Schwierig<br />
waren auch Wechsel <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gruppe <strong>und</strong> das<br />
Umgehen mit <strong>der</strong> stark schwankenden Motivation.<br />
Sicher werde ich <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er beruflichen Zukunft<br />
nicht im Gefängnis arbeiten. Die Erfahrungen im<br />
Projekt wirken sich aber nachhaltig auf me<strong>in</strong> Denken<br />
<strong>und</strong> Handeln aus, zum Beispiel im H<strong>in</strong>blick auf<br />
me<strong>in</strong>e Vorstellung von kunstpädagogischer Praxis<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Normalschule. So ist mir deutlich geworden,<br />
dass die von mir zuvor oft wegen ihrer relativ<br />
engen <strong>und</strong> zum Teil starren <strong>in</strong>stitutionel len Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />
wie z.B. enger St<strong>und</strong>en taktung<br />
kritisierte <strong>Schule</strong> e<strong>in</strong> vergleichsweise offener<br />
Rahmen ist, <strong>in</strong> dem es nicht nur um Erziehungs-<br />
<strong>und</strong> Diszipl<strong>in</strong>ierungsprozesse geht, son<strong>der</strong>n <strong>in</strong><br />
dem doch recht große Spielräume für Bildungsprozesse<br />
gegeben s<strong>in</strong>d.