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Rechtsgutachten - MBWSV NRW

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ÖPNV-Zukunftskommission <strong>NRW</strong><br />

<strong>Rechtsgutachten</strong><br />

Verfassungsfragen von<br />

Regionalisierungsgesetz / Entflechtungsgesetz<br />

Stand: 17.12.2012


Prof. Dr. Christian Waldhoff<br />

Humboldt-Universität zu Berlin<br />

Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Finanzrecht<br />

Verfassungsfragen von Regionalisierungsgesetz / Entflechtungsgesetz<br />

<strong>Rechtsgutachten</strong> für die ÖPNV-Zukunftskommission Nordrhein-Westfalen<br />

Berlin, 17. Dezember 2012


Gliederung<br />

2<br />

A. Fragestellung und Vorbemerkungen ..........................................................................5<br />

I. Der Gutachtenauftrag und die Gliederung der Ausarbeitung ............................5<br />

II. Hintergrund und Entstehungsgeschichte des Art. 106a GG ...............................5<br />

1. Die Bahnreform und ihre Ziele ................................................................................5<br />

2. Legislationsgeschichte des Art. 106a GG und des Regionalisierungsgesetzes<br />

...................................................................................................................................7<br />

III. Zwischenergebnis: Kongruenz zwischen Grundzielen der Bahnreform und<br />

der Auslegung des Art. 106a GG als Verfassungsgebot ........................................8<br />

1. Interpretatorischer Zusammenhang – methodische Vorüberlegung .....8<br />

2. Auch der Personennahverkehr folgt dem Grundmodell der Bahnreform<br />

.....................................................................................................................................9<br />

B. Gesetzgebungsauftrag des Bundes aus Art. 106a Satz 2 GG .................................9<br />

I. Der organisationsrechtliche Gesetzesvorbehalt mit Zustimmungsvorbehalt<br />

.....................................................................................................................................................11<br />

II. Gesetzgebungskompetenzen als Möglichkeit zur Gesetzgebung – Art. 106a<br />

GG als Gesetzgebungsauftrag ........................................................................................12<br />

III. Die Rolle des Bundes als „Schiedsrichter“ ...............................................................14<br />

1. Das Gebot der Bundestreue / des bundesfreundlichen Verhaltens und<br />

die föderale Gleichheit ..............................................................................................14<br />

2. Als finanzverfassungsrechtliche Besonderheit: Das Konzept des sog.<br />

Maßstäbegesetzes .......................................................................................................17<br />

3. Keine Disposition über Kompetenznormen: Der Bund als „ehrlicher<br />

Makler“ ............................................................................................................................19<br />

V. Zwischenergebnis: Pflicht des Bundes zur Maßstabsbildung im Sinne der<br />

Grundintention der Reform sowie als Mittler zwischen divergierenden Länderinteressen<br />

.................................................................................................................................................20<br />

C. Verfassungsrechtliche Vorgaben für Verteilungsmaßstäbe im Rahmen des<br />

Art. 106a GG .......................................................................................................................21<br />

I. Keine expliziten Verteilungsmaßstäbe in der Norm – kein zwingendes Verteilungssystem<br />

zur regionalen Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs<br />

..........................................................................................................................23<br />

1. Denkbare Systeme / Indikatoren .........................................................................23<br />

2. Die Bedeutung föderaler Gleichheit im vorliegenden Zusammenhang<br />

..............................................................................................................................................25<br />

3. Systemgerechtigkeit als Verfassungspostulat? ..............................................26<br />

4. Grenze: Lediglich allgemeine Verteilungskriterien können verlangt<br />

werden .............................................................................................................................28<br />

II. Art. 106a GG im System des bundesstaatlichen Finanzausgleichs ................29


3<br />

1. Der vierfach gestufte bundesstaatliche Finanzausgleich der Art. 106<br />

und 107 GG ....................................................................................................................29<br />

2. Die Verteilung der (allgemeinen) Finanzierungslast ..................................31<br />

3. Stellung des Art. 106a GG im Stufensystem des Finanzausgleichs und<br />

der Finanzierungslast ...............................................................................................32<br />

III. Die Unterscheidung zwischen dem aufkommensbezogenen allgemeinen<br />

Finanzausgleich und dem bedarfsbezogenen Sonderfall des Art. 106a GG<br />

1. Finanzkraft als zentrale und bedarfsunabhängige Größe des Finanzausgleichs<br />

und ihre Ausnahmen und Durchbrechungen ...........................34<br />

2. Art. 106a GG als grundsätzlich bedarfsbezogene Verteilungsnorm .....35<br />

IV. Anforderungen an eine systemgerechte Ausgestaltung der Verteilungsregel<br />

..............................................................................................................................................36<br />

1. Unterscheidung zwischen der Höhe der Gesamtmittel und dem Verteilungsmodus<br />

...................................................................................................................36<br />

2. Zulässige bzw. unzulässige Kriterien .................................................................38<br />

a) Keine Konterkarierung des Grundanliegens der Gesamtreform der<br />

Verhinderung von Fehlanreizen zwischen Kosten und Nutzen im<br />

ÖPNV – Spannungsverhältnis zwischen dem Erfordernis „objektiver<br />

verkehrswissenschaftlicher Indikatoren“ und einem die Anreizintention<br />

verfehlenden überproportionalen Ausbau der ÖPNV-<br />

Struktur ....................................................................................................................38<br />

b) Begrenzte Relevanz der „Einheitlichkeit“ oder „Gleichwertigkeit der<br />

Lebensverhältnisse im Bundesgebiet für die Finanzierung des öffentlichen<br />

Personennahverkehrs .................................................................40<br />

aa) Herkunft, Hintergrund und verfassungsrechtsdogmatische<br />

Bedeutung ...............................................................................40<br />

bb) Bedeutungslosigkeit für vorliegende Fragestellung ......42<br />

c) Begrenzte Relevanz der Qualifikation als „Daseinsvorsorge“ ..........42<br />

aa) Das Konzept Daseinsvorsorge – Entstehung und Entwicklung<br />

.....................................................................................................42<br />

bb) Daseinsvorsorge als Rechtsbegriff? .......................................44<br />

(1) Definitionsansätze und Abgrenzungen ..........................44<br />

(2) Diskussion um das Konzept der Daseinsvorsorge ....46<br />

(3) Daseinsvorsorge in der Rechtsprechung ......................48<br />

cc) Zwischenfazit ....................................................................................49<br />

V. Rechtsschutzfragen ............................................................................................................50<br />

VI. Ergebnisse zum Regionalisierungsgesetz und seiner Revision ......................50<br />

D. Verteilungsmaßstäbe zur Fortführung der Kompensationsleistungen des<br />

Bundes gem. Art. 143c GG .............................................................................................53<br />

I. Entstehungsgeschichtlicher Hintergrund von Art. 143c GG ............................53<br />

1. Entwicklung der Mischfinanzierungstatbestände ........................................55<br />

2. Änderungen durch die Föderalismusreform I ................................................58


4<br />

3. Art. 143c GG in diesem Kontext ............................................................................60<br />

a) Auslegung der Norm in der Literatur ..........................................................61<br />

b) Auslegung der Tatbestandsmerkmale des Art. 143c Abs. 3 Satz 1 GG<br />

.......................................................................................................................................61<br />

II. Abgrenzung zur degressiven Gestaltung in Art. 104b Abs. 2 GG ...................64<br />

III. Zusammenfassung hinsichtlich der Entflechtungsmittel ..................................65<br />

E. Literaturverzeichnis .......................................................................................................66


A. Fragestellung und Vorbemerkungen<br />

I. Der Gutachtenauftrag und die Gliederung der Ausarbeitung<br />

5<br />

Aufgabenstellung vorliegenden Gutachtens ist es, finanzverfassungsrechtliche Vorgaben<br />

für die horizontale Verteilung der Mittel nach dem Bundesregionalisierungsgesetz an-<br />

hand seiner verfassungsrechtlichen Grundlage – Art. 106a GG – herauszuarbeiten. Dabei<br />

gilt es zu untersuchen, welche (aktiven) Pflichten der Bund hinsichtlich des bestehenden<br />

Verteilungsschlüssels hat und ob ein Tätigwerden rechtlich erzwungen werden könnte<br />

(Abschnitte A bis C des Gutachtens).<br />

In einem zweiten Teil ist die Frage der Fortführung der Kompensationsleistungen des<br />

Bundes nach dem Entflechtungsgesetz für den Zeitraum 2014 bis 2019 daraufhin zu<br />

untersuchen, ob diese den Ländern entsprechend des nachgewiesenen Bedarfs zu-<br />

stehen, ob und wie sie begrenzt sind bzw. bis 2019 gekürzt werden müssen bzw. dürfen<br />

(Abschnitt D des Gutachtens).<br />

II. Hintergrund und Entstehungsgeschichte des Art. 106a GG<br />

Mit Art. 106a GG ist eine Norm in das Grundgesetz gelangt, die der Kompromissfindung<br />

bei der Bahnreform 1 auf Verfassungsebene diente. Dieser entstehungsgeschichtliche<br />

Hintergrund steuert die Auslegung bis heute.<br />

1. Die Bahnreform und ihre Ziele<br />

Angeleitet durch – freilich begrenzte – europarechtliche Vorgaben 2 , die Verkehrsdienst-<br />

leistungen als Wirtschaftsgut und nicht als Daseinsvorsorge ansehen, wurde eine<br />

1 Zu Hintergrund und Ablauf in der Konzeption etwa Heinz Dürr, Die Strukturreform der Bahn, in: Blümel<br />

(Hrsg.), Verkehrswegerecht im Wandel, 1994, S. 23 ff.; im Detail etwa Günter Fromm, Die Reorganisation<br />

der Deutschen Bahnen, DVBl. 1994, S. 187 ff.; vgl. insgesamt auch Markus Möstl, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz.<br />

Kommentar, Art. 87e Rdnr. 1 ff. (Kommentierung von November 2006); Hubertus Gersdorf, in: von<br />

Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 3, 6. Aufl. 2010, Art. 87e Rdnr. 1 ff.


6<br />

„Staatsdistanz“ des Eisenbahnwesens unter Wechsel der dominierenden Entscheidungs-<br />

rationalität durchgesetzt. Nicht mehr die Verwaltungslogik, sondern ökonomische Krite-<br />

rien sollten das Eisenbahnwesen bestimmen. Dies wurde von Anfang an in der Um-<br />

schreibung der „Zielsetzung“ der Bahnreform des Gesetzentwurfs der Bundesregierung<br />

ausdrücklich ausgesagt: Bei der Bahnreform sollten<br />

- die Führung der bisherigen Bundeseisenbahnen als Wirtschaftsunternehmen in<br />

privat-rechtlicher Form,<br />

- die Übertragung der Aufgaben- und Finanzverantwortung für den Schienenper-<br />

sonennahverkehr der bisherigen Bundeseisenbahnen auf die Länder ...“ 3<br />

verwirklicht werden. Privatrechtliche Organisationsformen mit ihrer kaufmännischen<br />

Wirtschaftsführung dienten der Erreichung und Sicherung dieser Ziele: „Die Rationalität<br />

der Unternehmensziele wird durch die Entscheidungsstruktur der Unternehmensform<br />

abgestützt.“ 4 Kernstück der Bahnreform war mithin eine Organisationsprivatisierung 5 .<br />

Damit kann ein vergleichsweise klares Programm aus dem Kernelement der Bahnver-<br />

fassungsreform, Art. 87e GG, herausgelesen werden: „Wirtschaftlichkeit umgreift die<br />

Gemeinwirtschaftlichkeit gerade nicht. Geboten ist eine kaufmännische Führung. Art.<br />

87e GG bedeutet nicht mehr und nicht weniger als eine Auswechslung der Entschei-<br />

dungsrationalität. Verkehrsdienstleistungen, auch solche der Verkehrsinfrastruktur,<br />

werden als Wirtschaftsgut verstanden, durch dessen Angebot am Markt Gewinne zu er-<br />

zielen sind. Dies beinhaltet nach außen eine Orientierung am Wettbewerb mit anderen<br />

Eisenbahnunternehmen oder anderen Verkehrsträgern, nach innen eine Orientierung<br />

am Unternehmensgewinn.“ Kürzer gefasst: Ziel der Reform war „eine unternehmerische<br />

Bahn mit voller unternehmerischer Verantwortung“ 6. Dabei sollten die (verbleibenden)<br />

„Gemeinwohlaufträge“ das neue Wirtschaftsunternehmen nicht belasten; das privati-<br />

2 Siegfried Magiera, Bundesbahnreform und Europäische Gemeinschaft, in: Blümel (Hrsg.), Verkehrswegerecht<br />

im Wandel, 1994, S. 35 ff.; Markus Möstl, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz. Kommentar, Art. 87e Rdnr.<br />

38 ff. (Kommentierung von November 2006); Hubertus Gersdorf, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar<br />

zum Grundgesetz, Bd. 3, 6. Aufl. 2010, Art. 87e Rdnr. 5 ff.<br />

3 Gesetzentwurf der Bundesregierung, BRat- DrS 130/93 vom 26.03.1993, S. 1.<br />

4 Eberhard Schmidt-Aßmann/Hans Christian Röhl, Grundpositionen des neuen Eisenbahnverfassungsrechts<br />

(Art. 87e GG), DÖV 1994, S. 577 (580).<br />

5 Robert Uerpmann-Wittzack, Verkehr, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik<br />

Deutschland, Bd. 4, 3. Aufl. 2006, § 89 Rdnr. 42.<br />

6 Beide Zitate Eberhard Schmidt-Aßmann/Hans Christian Röhl, Grundpositionen des neuen Eisenbahnverfassungsrechts<br />

(Art. 87e GG), DÖV 1994, S. 577 (581); ähnlich Günter Fromm, Die Reorganisation der<br />

Deutschen Bahnen, DVBl. 1994, S. 187 (191 und passim); Hubertus Gersdorf, in: von Mangoldt/Klein/Starck,<br />

Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 3, 6. Aufl. 2010, Art. 87e Rdnr. 45 ff.


sierte Unternehmen sollte davon entbunden werden 7. Unter dem Schlagwort von der<br />

„Regionalisierung“, definiert als „Zusammenführung von Aufgaben- und Finanzverant-<br />

wortung für den gesamten öffentlichen Personennahverkehr – nach Maßgabe des Lan-<br />

desrechts – auf regionaler Ebene“ 8 , wurde diese Verantwortung den Ländern übertra-<br />

gen. Ökonomisierung und Regionalisierung waren daher zwei Seiten einer Medaille.<br />

2. Legislationsgeschichte des Art. 106a GG und des Regionalisierungsgesetzes<br />

7<br />

Der heutige Art. 106a GG war nicht von Anfang an Teil des Gesetzentwurfs zur Änderung<br />

des Grundgesetzes anlässlich der Bahnreform im Jahr 1993. In der Stellungnahme des<br />

Bundesrats vom 7. Mai 1993 auf den Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 26. März<br />

1993 hin begrüßte die Länderkammer die beabsichtigte Bahnreform grundsätzlich, for-<br />

derte neben anderem jedoch im Hinblick auf die geplante Regionalisierung folgendes:<br />

„Eine Regionalisierung muß sich auf den gesamten öffentlichen Personennahverkehr<br />

– nicht nur auf den Schienenpersonennahverkehr – erstrecken. Sie soll<br />

durch ein umfassendes Regionalisierungsgesetz des Bundes erfolgen. Für die mit<br />

der Regionalisierung verbundenen Lasten ist den Ländern durch gesetzliche Absicherung<br />

der volle Finanzausgleich zu gewähren. Dieser Ausgleich muß für jedes<br />

Land dauerhaft sein, die entstehenden Defizite voll abdecken, der künftigen Kostenentwicklung<br />

angepaßt werden und darüber hinaus bislang unterlassene notwendige<br />

Investitionen umfassen. Der Bundesrat hält hierfür einen dynamisierten<br />

Betrag von rd. 14 Mrd. DM jährlich (Basisjahr 1993) für erforderlich. ... Zur dauerhaften<br />

Sicherung des Kostenausgleichs fordert der Bundesrat die Beteiligung<br />

der Länder am Aufkommen der Mineralölsteuer, die als Gemeinschaftsteuer im<br />

Sinne von Artikel 106 Abs. 3 des Grundgesetzes umgestaltet wird. Diese Einnahmen<br />

der Länder dürfen nicht in den finanzkraftorientierten Länderfinanzausgleich<br />

einbezogen werden. Die Verteilung der Mittel auf die Länder ist sach- und<br />

aufgabengerecht durch ein zustimmungsbedürftiges Bundesgesetz zu regeln.“ 9<br />

Dies war durch die beteiligten Bundesratsausschüsse vorbereitet worden 10. Diese Ände-<br />

rung der Regelungen über die Gemeinschaftsteuern in Art. 106 Abs. 3 GG wurde später<br />

wieder verworfen. In der Beschlussempfehlung und dem Bericht des Rechtsausschusses<br />

des Deutschen Bundestages vom 30. November 1993 taucht ein neu einzuführender Art.<br />

7 Vgl. auch Folkert Kiepe, Nahverkehrsregionalisierung für den Bund nicht zum Nulltarif, der städtetag<br />

1992, S. 423.<br />

8 Gesetzentwurf der Bundesregierung, BRat-DrS 139/93, Begründung, S. 4.<br />

9 Stellungnahme des Bundesrates vom 07.05.1993, DrS 130/93 (Beschluß), S. 2 f.<br />

10 Bundesrat, Empfehlungen der Ausschüsse, DrS 130/1/93 vom 27.04.1993, S. 13 f.


106a GG auf, der bereits vom Finanzausschuss des Bundestags am 24. November 1993<br />

vorgeschlagen worden war 11: „Der neu eingefügte Artikel 106a GG bestimmt, daß die<br />

Länder auf die die Aufgaben- und Finanzverantwortung ab dem 1. Januar 1995 für den<br />

8<br />

Schienenpersonennahverkehr übergeht, ab dem 1. Januar 1995 für den öffentlichen Per-<br />

sonennahverkehr einen Betrag aus dem Steueraufkommen des Bundes erhalten.“ 12 Bei<br />

der konkreten Erläuterung wird dann der (parallele) Entwurf des Regionalisierungsge-<br />

setzes in Bezug genommen: „Der Entwurf des Regionalisierungsgesetzes enthält die in-<br />

soweit maßgeblichen Regelungen. ... Die Mittel werden insbesondere aufgabenbezogen<br />

zur Abdeckung der zusätzlichen Lasten aus dem Schienenpersonennahverkehr in den<br />

einzelnen Ländern geleistet. Im übrigen sind die Mittel für andere Aufgaben im öffentli-<br />

chen Personennahverkehr zu verwenden. Die Nichteinbeziehung in den Finanzkraftaus-<br />

gleich dient dazu, eine Verteilung der Mittel unter den Ländern sicherzustellen, die den<br />

spezifischen Bedarf der einzelnen Länder aus der Übernahme des Schienenpersonen-<br />

nahverkehrs gerecht wird.“ 13 Durch fraktionsübergreifenden Änderungsantrag vom 1.<br />

Dezember 1993 erhielt Art. 106a GG seine jetzige Fassung 14 . Am 2. bzw. 17. Dezember<br />

1993 stimmten Bundestag und Bundesrat jeweils mit verfassungsändernder Mehrheit<br />

dem Entwurf zu.<br />

III. Zwischenergebnis: Kongruenz zwischen Grundzielen der Bahnreform und der<br />

Auslegung des Art. 106a GG als Verfassungsgebot<br />

1. Interpretatorischer Zusammenhang – methodische Vorüberlegung<br />

Für die Fragestellung vorliegenden Gutachtens entscheidend ist vor dem geschilderten<br />

Hintergrund, dass Art. 106a GG nur im Kontext seiner Entstehungsgeschichte interpre-<br />

tiert werden kann. D.h. bei seiner Auslegung ist stets Kongruenz zwischen den Grundzie-<br />

len der Bahnreform und dem Aussagegehalt von Art. 106a GG zu beachten bzw. herzu-<br />

stellen. Stärker als bei allgemeiner gefassten Normen des Verfassungsrechts ist – anders<br />

ausgedrückt – die Interpretation und Anwendung der Norm kontextgebunden. Ein un-<br />

mittelbarer Zusammenhang besteht insoweit mit Art. 87e Abs. 4 und Art. 143a Abs. 3<br />

11 BTag-DrS 12/6280 vom 30.11.1993, S. 5, 7.<br />

12 BTag-DrS 12/6280 vom 30.11.1993, S. 8.<br />

13 Ebd., S. 9.<br />

14 BTag-DrS 12/6311.


9<br />

GG, ein Gesamtzusammenhang darüber hinaus mit der ganzen Bahnreform 15. Dies wird<br />

die nachfolgende Entfaltung des Sinngehalts der Vorschrift steuern.<br />

2. Auch der Personennahverkehr folgt dem Grundmodell der Bahnreform<br />

Auch wenn Art. 87e Abs. 4 Satz 1 GG hinsichtlich des Verkehrsangebots auf dem grund-<br />

sätzlich in die Gewährleistungsverantwortung des Bundes fallenden Schienennetz für<br />

den Schienenpersonennahverkehr eine Ausnahme macht, ist dieser insgesamt nicht aus<br />

der Neukonzeption der Bahnreform ausgenommen. Dies hat mit aller Deutlichkeit Mar-<br />

kus Möstl im führenden Grundgesetz-Kommentar herausgearbeitet: „Im Ausgangspunkt<br />

ist nach hier vertretener Ansicht kein Anhaltspunkt ersichtlich, dass für den Schienen-<br />

personennahverkehr irgendeine Ausnahme von der Grundentscheidung des Art. 87e<br />

zugunsten einer wettbewerblichen Marktöffnung gelten sollte, wie sie ... insbesondere<br />

darin besteht, dass Anbietern, die aus eigener Kraft auf den Markt drängen wollen, die-<br />

ser Marktzutritt nicht verwehrt oder unnötig erschwert werden darf ...“ 16 Auch die<br />

Grundposition der Regionalisierung des Nahverkehrs, dass derjenige bezahlen soll, der<br />

die Dienstleistung „bestellt“, fügt sich – trotz der einfachgesetzlichen Qualifizierung als<br />

„Daseinsvorsorge“ in § 1 RegG – nahtlos in dieses Konzept ein. Im Folgenden wird die<br />

damit herausgestellte Kongruenz zwischen Grundanliegen der Bahnreform einerseits,<br />

der Entfaltung von Pflichten und Maßstäben aus Art. 106a GG andererseits, über die in<br />

der Literatur bisher nur rudimentär entwickelten Ansätze hinaus weiter entfaltet wer-<br />

den.<br />

B. Gesetzgebungsauftrag des Bundes aus Art. 106a Satz 2 GG<br />

15 Vgl. auch Gunnar Folke Schuppert, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), Grundgesetz. Mitarbeiterkommentar<br />

und Handbuch, Bd. 2, 2002, Art. 106a Rdnr. 9; Peter Michael Huber, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar<br />

zum Grundgesetz, Bd. 3, 6. Aufl. 2010, Art. 106a Rdnr. 1; auch Folkert Kiepe, Die Regionalisierung<br />

des Schienenpersonennahverkehrs und ihre finanziellen Auswirkungen auf die Städte, ZKF 1994, S. 218<br />

(219) zu entsprechenden Interpretationsproblemen „andersherum“, d.h. von Art. 87e GG ausgehend ähnlich<br />

Markus Möstl, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz. Kommentar, Art. 87e Rdnr. 15, 17, 136 (Kommentierung<br />

von November 2006).<br />

16 In: Maunz/Dürig, Grundgesetz. Kommentar, Art. 87e Rdnr. 137.


10<br />

Art. 106a GG ist – jenseits der wiederum knappen Kommentierungen – nur sehr wenig<br />

im rechtswissenschaftlichen Schrifttum behandelt worden. Jenseits allgemeiner Darstel-<br />

lungen der seinerzeitigen Bahnreform 17 können im Wesentlichen nur die Beiträge von<br />

Jürgen W. Hidien erwähnt werden 18 . Dort erfahren wir, dass die Norm unbestimmte<br />

Rechtsbegriffe zur Konkretisierung durch den einfachen Gesetzgeber enthalte. „Die Fra-<br />

ge nach den verfassungszulässigen oder -gebotenen Verteilungsmaßstäben kann ledig-<br />

lich zu allgemeinen Verteilungsrichtlinien führen. ... Der dahinterstehende, auch hier<br />

wirksame föderative Grundsatz der Finanzgleichheit bindet den Bund bei seiner Vertei-<br />

lungsaufgabe und verpflichtet ihn, alle Länder formal gleich zu behandeln und nicht aus<br />

politischen oder sachfremden Erwägungen zu diskriminieren. ... Für die anteilsmäßige<br />

Bemessung einer festzusetzenden bestimmten Finanzierung eines Verkehrsleistungsni-<br />

veaus im SPNV und generell im ÖPNV muß der Gesetzgeber im übrigen zuverlässige und<br />

verläßliche objektive Indikatoren zugrunde legen; ...“ 19 Ein Auftrag zur Maßstabsbildung<br />

wird dann wenig später im sachlichen Zusammenhang mit dem Gesetzesvorbehalt in<br />

Art. 106a GG erneut postuliert: „Im Hinblick auf die sensible Verteilungsproblematik und<br />

ihre justizielle Kontrolle sowie zur Sicherung des gliedstaatlichen Zuweisungsanspruchs<br />

wird man allerdings fordern können, daß der Gesetzgeber, auch wenn insoweit kein<br />

‚Ermessen’ ausgeübt wird, die Verteilungs- und Berechnungsmodi im Gesetzgebungsver-<br />

fahren benennt und gegebenenfalls begründet.“ 20 Diese Bemerkungen sind zutreffend,<br />

lösen freilich noch nicht das gestellte Problem. Nicht unwidersprochen bleiben kann<br />

demgegenüber die Vermutung desselben Autors, verfahrensrechtliche Sicherungen<br />

führten dazu, dass die Ausfüllung des Geseztesvorbehalts unproblematisch sei: „Gegen<br />

sachwidrige Bundesingerenzen oder Absprachen sind die Länder in ausreichendem Ma-<br />

ße durch ihre verfahrensrechtliche Beteiligung geschützt.“ 21 Das erscheint zu optimis-<br />

tisch, denn der Bund kann sich entweder mit einem Teil der Länder „verbünden“ oder er<br />

überlässt die Legislation faktisch den Ländern und inthronisiert damit wiederum eine<br />

Ländermehrheit auf Kosten der Interessen einer Minderheit. Derartige Problemkonstel-<br />

lationen sind aus der Konkretisierung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs durch das<br />

17 Die Norm kommt hier nur völlig randständig vor, vgl. Eberhard Schmidt-Aßmann/Hans Christian Röhl,<br />

Grundpositionen des neuen Eisenbahnverfassungrechts (Art. 87e GG); DÖV 1994, S. 577; Jürgen Fromm,<br />

Die Reorganisation der Deutschen Bahn, DVBl. 1994, S. 187; vgl. insgesamt den Band Willi Blümel (Hrsg.),<br />

Verkehrswegerecht im Wandel, 1994.<br />

18 Der spezielle Finanzierungsausgleich gem. Art. 106a GG, DVBl. 1997, S. 595; ferner ders., Der föderative<br />

Finanzierungsausgleich im öffentlichen Personennahverkehr, VR 1997, S. 309 ff.<br />

19 Jürgen W. Hidien, Der spezielle Finanzierungsausgleich gem. Art. 106a GG, DVBl. 1997, S. 595 (600).<br />

20 Ebd., S. 602.<br />

21 Ebd., S. 602.


Finanzausgleichsgesetz – ebenfalls ein zustimmungspflichtiges Bundesgesetz – be-<br />

kannt 22.<br />

11<br />

Auch die Kommentarliteratur, die Art. 106a GG ausnahmslos kommentiert, bringt zu der<br />

im Mittelpunkt des Gutachtens stehenden Frage nur Ansätze einer Lösung. Gunner Folke<br />

Schuppert führt aus, dass das Gesetz in Ausfüllung von Art. 106a S. 2 GG „sowohl die Hö-<br />

he des Ausgleichsbetrages als auch die horizontale Verteilung auf die Länder bestim-<br />

men“ müsse 23 . Helmut Siekmann sieht ausdrücklich eine rechtliche Verpflichtung des<br />

Bundes: „Der Bund ist verpflichtet, nähere Einzelheiten durch zustimmungspflichtiges<br />

Gesetz zu regeln. Vor allem muss die Höhe des Ausgleichsbetrages und seine Verteilung<br />

auf die Länder festgelegt werden.“ 24<br />

I. Der organisationsrechtliche Gesetzesvorbehalt mit Zustimmungsvorbehalt<br />

Verfassungsrechtsdogmatisch handelt es sich bei Art. 106a Satz 2 GG („Das Nähere re-<br />

gelt ein Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf.“) organkompetenti-<br />

ell um einen organisationsrechtlichen Gesetzesvorbehalt mit Zustimmungspflicht. Orga-<br />

nisationsrechtlich ist der Gesetzesvorbehalt, da er nicht das Staat-Bürger-Verhältnis be-<br />

trifft, sondern den staatlichen Binnenbereich. Die Gesetzesform ist hier unhintergehbar<br />

angeordnet, damit aus der Vergangenheit bekannte, von überzeugenden Stimmen ent-<br />

gegen der nicht konsistenten Ansicht des Bundesverwaltungsgericht 25 für verfassungs-<br />

widrig gehaltenen 26 Praktiken, Verteilungsentscheidungen im Wege von Verwaltungs-<br />

vereinbarungen o.ä. zu treffen, ein für alle Mal ausgeschaltet werden sollten 27 . Die Rati-<br />

22 Allgemein und grundsätzlich zur Konfliktlösungsmechanismen im deutschen Finanzverfassungsrecht<br />

Dirk Hanschel, Konfliktlösung im Bundesstaat, 2012, S. 218 ff.<br />

23 In: Umbach/Clemens (Hrsg.), Grundgesetz. Mitarbeiterkommentar und Handbuch, Bd. 2, 2002, Art.<br />

106a Rdnr. 11; vgl. demgegenüber Markus Heintzen, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar,<br />

Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 106a Rdnr. 5: „Es (das Regionalisierungsgesetz; C.W.) regelt die Höhe des<br />

Betrages, der trotz der Zweckbindung verfassungsrechtlich nicht vorgegeben ist, den der Bund aber nicht<br />

ohne Zustimmung des Bundesrates von seinem im Zeitpunkt der Einfügung des Art. 106a in das GG bereits<br />

ausgehandelten Niveau herabsetzen kann, und weiter seine Verteilung auf die einzelnen Länder, die<br />

sich im verfassungsrechtlichen Rahmen des föderalen Gleichheitssatzes halten muss.“, der mehr vom<br />

RegG berichtet, als eine verfassungsrechtliche Pflicht sieht.<br />

24 In: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 6. Aufl. 2011, Art. 106a Rdnr. 10.<br />

25 BVerwGE 81, 312.<br />

26 Vgl. etwa Helmut Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 6. Aufl. 2011, Art. 106a Rdnr. 1.<br />

27 Vgl. insofern ganz parallel für den bundesstaatlichen Finanzausgleich BVerfGE 101, 158 (218 f.).


12<br />

onalität und die Publizität, die nur das förmliche Gesetzgebungsverfahren schaffen kann,<br />

sollen damit für die Verteilungsentscheidung fruchtbar gemacht werden.<br />

Zugleich handelt es sich verbandskompetentiell 28 um die Anordnung einer ausschließli-<br />

chen Gesetzgebungskompetenz des Bundes, wie sich aus der Verwendung des Wortes<br />

„Bundesgesetz“ in Art. 106a Satz 2 GG ergibt 29. Diese Verbandszuständigkeit war schon<br />

wegen der Regelvermutung der Art. 30 und 70 Abs. 1 GG hier außerhalb der Zuständig-<br />

keitskataloge der Art. 73 und 74 GG im Grundgesetz selbst zu positivieren, damit der<br />

Bund überhaupt tätig werden kann.<br />

II. Gesetzgebungskompetenzen als Möglichkeit zur Gesetzgebung – Art. 106a GG<br />

als Gesetzgebungsauftrag<br />

„Die Kompetenznorm als solche enthält nur die Ermächtigung zum Handeln, nicht die<br />

Verpflichtung. Sie hat lediglich hypothetischen Charakter.“ 30 Die Einräumung von Ge-<br />

setzgebungskompetenzen in einer Verfassung eröffnen die Möglichkeit der begünstigten<br />

staatlichen Ebene, legiferierend tätig zu werden 31 . Normalerweise ist damit keine Pflicht<br />

zum Erlass eines Gesetzes verbunden, sondern die Frage dem politischen Ermessen des<br />

Ermächtigten anheimgegeben 32, auch wenn die Erfahrung zeigt und herrschaftssoziolo-<br />

gische Kenntnisse es nahelegen, dass derjenige, dem eine solche Kompetenz eingeräumt<br />

ist, davon regelmäßig auch Gebrauch machen wird, denn es geht letztlich immer um<br />

Machtausübung i.w.S. Die volle und teilweise übermäßige Ausschöpfung der konkurrie-<br />

28 Zu der grundsätzlichen Unterscheidung zwischen Verbands- und Organkompetenz Josef Isensee, Die<br />

bundesstaatliche Kompetenz, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik<br />

Deutschland, Bd. 6, 3. Aufl. 2008, § 133 Rdnr. 22 f.<br />

29 Ausdrücklich Arnd Uhle, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz. Kommentar, Art. 70 Rdnr. 58 (Kommentierung<br />

von Oktober 2008). Nur durch einen solchen Zusatz erstarkt ein grundgesetzlicher Gesetzesvorbehalt zur<br />

Zuständigkeitszuweisung, vgl. Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 6. Aufl.<br />

2011, Art. 70 Rdnr. 12.<br />

30 Josef Isensee, Die bundesstaatliche Kompetenz, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts<br />

der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 6, 3. Aufl. 2008, § 133 Rdnr. 35.<br />

31 Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 6. Aufl. 2011, Art. 70 Rdnr. 63; Rüdiger<br />

Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Grundgesetz. Kommentar, 12. Aufl. 2011, Vorb. v. Art.<br />

70 Rdnr. 10a.<br />

32 Hans-Werner Rengeling, Gesetzgebungszuständigkeit, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des<br />

Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 6, 3. Aufl. 2008, § 135 Rdnr. 12.


13<br />

renden Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach den Art. 72, 74 GG bilden den besten<br />

Beleg, für diese Tatsache 33.<br />

Auf der Ebene der Verfassungsrechtsdogmatik steigert sich die Einräumung der Mög-<br />

lichkeit zur Gesetzgebung zur Verpflichtung, wenn ein echter Gesetzgebungsauftrag dem<br />

Grundgesetz entnommen werden kann. Solche Gesetzgebungsaufträge sind freilich sehr<br />

selten; der Auftrag der Gleichstellung der „unehelichen“ Kinder in Art. 6 Abs. 5 GG stellt<br />

ein bekanntes Beispiel dar 34.<br />

Unterhalb derart expliziter Gesetzgebungsaufträge wird man freilich eine Gruppe von<br />

staatsorganisationsrechtlichen Gesetzen anerkennen müssen, die notwendig sind, um<br />

im Grundgesetz vorgesehene Funktionen auszuüben. Sprachlich kommt das insbesonde-<br />

re durch eine Formulierung wie „das Nähere regelt ein Bundesgesetz“ zum Ausdruck 35.<br />

Das Finanzausgleichsgesetz (FAG), das in Art. 106 Abs. 3 und 4 sowie Art. 107 Abs. 1 und<br />

2 GG angesprochen ist, zählt etwa dazu, denn ohne ein derartiges Gesetz könnte der Ver-<br />

fassungsauftrag zum bundesstaatlichen Finanzausgleich nicht durchgeführt werden 36 .<br />

Auch die Existenz eines Umsatzsteuergesetzes ist – jenseits der unionsrechtlichen Vor-<br />

gaben – zwingend, denn sonst könnte das bewegliche Element in der Steuerertragsauf-<br />

teilung zwischen Bund und Ländern gem. Art. 106 Abs. 3 und 4 GG nicht funktionieren 37 .<br />

Oben wurde herausgearbeitet, dass Art. 106a GG nur im Zusammenhang mit der Bahn-<br />

reform insgesamt interpretiert werden kann. Schon daraus kann eine entsprechende<br />

Pflicht zum Erlass eines Regionalisierungsgesetzes hergeleitet werden. Die Länder hät-<br />

ten, wie die Gesetzgebungsgeschichte zeigt, dem Gesamtkompromiss ohne die Über-<br />

nahme der Regionalisierungszuschüsse durch den Bund niemals zugestimmt. Sprachlich<br />

wird dies durch die Formulierung „Das Nähere regelt ein Bundesgesetz“ zum Ausdruck<br />

gebracht, wobei das Wort „regelt“ hier tatsächlich als Gesetzgebungsbefehl mit Verfas-<br />

sungskraft anzusehen ist. Das wird in der Kommentarliteratur, soweit ersichtlich, nir-<br />

33 Vgl. nur Rüdiger Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Grundgesetz. Kommentar, 12. Aufl.<br />

2011, Vorb. v. Art. 70 Rdnr. 2.<br />

34 BVerfGE 84, 168 (185); 118, 45 (62); insgesamt Josef Isensee, Die bundesstaatliche Kompetenz, in:<br />

ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 6, 3. Aufl. 2008, §<br />

133 Rdnr. 56.<br />

35 Rüdiger Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Grundgesetz. Kommentar, 12. Aufl. 2011,<br />

Vorb. v. Art. 70 Rdnr. 10b.<br />

36 BVerfGE 101, 158 (215): Regelungsauftrag an den Gesetzgeber.<br />

37 Indirekt so wohl auch BVerfGE 101, 158 (215).


gendwo explizit ausgesprochen 38, erfolgt aber zwingend aus der Interpretation der<br />

Norm.<br />

14<br />

III. Die Rolle des Bundes als „Schiedsrichter“<br />

Die Interpretation des Gesetzesvorbehalts in Art. 106a Satz 2 GG als Verfassungsauftrag<br />

zur Gesetzgebung im Sinne der Norm zieht für den Bund Folgerungen nach sich. „Der<br />

Bund“ hat das Gesetzesinitiativrecht im Rahmen, den Art. 76 GG zur Verfügung stellt, zu<br />

ergreifen; faktisch wird dies wegen der Komplexität auf ein Tätigwerden der Bundesre-<br />

gierung hinauslaufen müssen. Allein daraus folgt die Pflicht, mit einem ausgearbeiteten<br />

und begründeten Gesetzesvorschlag seitens des Bundes voranzuschreiten.<br />

Im Folgenden geht es um weiterreichende Folgerungen. Der Logik eines zustimmungs-<br />

pflichtigen Bundesgesetzes entspricht es, dass der Bund von Anfang an die Möglichkei-<br />

ten einer Mehrheit im Bundesrat in seine Überlegungen und in sein Tätigwerden einbe-<br />

zieht. Dies geht angesichts der Tatsache, dass es sich um einen Gesetzgebungsauftrag<br />

handelt, über rein formale Anforderungen hinaus. Daraus sind – wie gleich zu zeigen<br />

sein wird – Verhandlungsaufträge, substantielle Bemühenslasten u.ä. herzuleiten 39 .<br />

1. Das Gebot der Bundestreue / des bundesfreundlichen Verhaltens und die föderale<br />

Gleichheit<br />

Die angedeutete Pflicht des Bundes folgt aus dem Gebot der Bundestreue, auch Gebot<br />

bundesfreundlichen Verhaltens genannt 40 . Die Bundestreue bindet Bund und Länder<br />

gleichermaßen, in sämtliche Richtungen: Bund-Länder; Länder-Bund; Länder unterei-<br />

nander. Ihr liegt der Gedanke zugrunde, dass die Bundesglieder in ihrem Verhältnis zu-<br />

einander zusammenwirken sollen, um ihrer gesamtstaatlichen Verantwortung gerecht<br />

38 Vgl. allgemein jedoch Rüdiger Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Grundgesetz. Kommentar,<br />

12. Aufl. 2011, Vorb. z. Art. 70 Rdnr. 10b.<br />

39 Weitgehend unergiebig in Bezug auf die Lösung finanzverfassungsrechtlicher Konflikte durch Verhandlungen<br />

leider Dirk Hanschel, Konfliktlösung im Bundesstaat, 2012, S. 289 ff.<br />

40 Grundlegend und umfassend Hartmut Bauer, Die Bundestreue, 1992.


15<br />

zu werden 41. Die Bundestreue als ungeschriebener Rechtssatz des Bundesstaatsrechts<br />

modelliert dabei anderweitig bestehende bundesstaatliche Verpflichtungen; anders ge-<br />

wendet: der Grundsatz ist akzessorisch, schafft nicht selbst Rechte und Pflichten, son-<br />

dern steuert die Ausübung solcher. Schon in einer sehr frühen Entscheidung wurde die<br />

bereits im Bismarckreich, v.a. durch Rudolf Smend entwickelte Kategorie, auch auf das<br />

Grundgesetz angewendet, wenn das Gericht ausführte, dass alle „an dem verfassungs-<br />

rechtlichen ‚Bündnis’ Beteiligten“ gehalten seien, „dem Wesen dieses Bündnisses ent-<br />

sprechend zusammenzuwirken und zu seiner Festigung und Wahrung seiner und der<br />

wohlverstandenen Belange seiner Glieder beizutragen“ 42. Schon Smend hatte die Bun-<br />

destreue als Vehikel entwickelt, gegen eine rein formale Einhaltung von bundesstaatli-<br />

chen Pflichten vorgehen zu können 43. Auf der anderen Seite kann die Bundestreue nicht<br />

zu einer vollständigen Verrechtlichung des Bund-Länder-Verhältnisses führen, müssen<br />

auch politische Gestaltungsspielräume offen gehalten werden 44 .<br />

Einer dieser nach dem Ausgeführten notwendigen Ansatzpunkte für vorliegend zu be-<br />

gutachtende Fragestellung ist das ebenfalls aus dem Bundesstaatsprinzip in Verbindung<br />

mit dem grundrechtlichen bzw. rechtsstaatlichen Willkürverbot hergeleitete 45 Postulat<br />

föderaler Gleichheit 46 . Dieses besitzt einerseits eine inhaltliche Dimension; darauf wird<br />

unten zurückzukommen sein 47 . Es besitzt jedoch auch eine verfahrensrechtliche Dimen-<br />

sion 48. Jenseits von – seltenen – Einstimmigkeitssituationen hat Josef Isensee dies mit<br />

Hilfe der Verfassungsgerichtsjudikatur in Anforderungen an Verhandlungen und Verfah-<br />

ren entfaltet:<br />

„Das Bundesverfassungsgericht sieht ... als Entsprechung zum bundesstaatlichen<br />

Prinzip ‚die verfassungsrechtliche Pflicht, daß die Glieder des Bundes sowohl einander<br />

als auch dem größeren Ganzen und der Bund den Gliedern die Treue halten und<br />

sich verständigen’. Diese Pflicht zur Verständigung wirkt zwar nicht so automatisch<br />

wie das demokratische Mehrheitsprinzip. Sie ist jedoch ‚stark genug, um die not-<br />

41 Peter Badura, Staatsrecht, 5. Aufl. 2012, Rdnr. D 86.<br />

42 BVerfGE 1, 299 (315).<br />

43 Vgl. etwa Josef Isensee, Idee und Gestalt des Föderalismus unter dem Grundgesetz, in: ders./Kirchhof<br />

(Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 6, 3. Aufl. 2008, § 126 Rdnr. 161.<br />

44 Zu Recht Stefan Oeter, Integration und Subsidiarität im deutschen Bundesstaat, 1998, S. 484 f.<br />

45 BVerfGE 72, 330 (404): „Aus dem Bundesstaatsprinzip und dem allgemeinen Gleichheitssatz folgt ... ein<br />

föderatives Gleichbehandlungsgebot für den Bund im Verhältnis zu den Ländern.“ Auführlich zur Herleitung<br />

Markus C.F. Pleyer, Föderative Gleichheit, 2005, S. 238 ff. m.w.N.<br />

46 Zum Zusammenhang zwischen Bundestreue und föderaler Gleichheit Sigrid Boysen, Gleichheit im Bundesstaat,<br />

2005, S. 215 ff.; Markus C.F. Pleyer, Föderative Gleichheit, 2005, S. 246 unter öfter.<br />

47 Vgl. unten unter C I 2.<br />

48 Bereits in Verbindung mit der Bundestreue BVerfGE 12, 205 (255 f.) – erstes Fernsehurteil.


16<br />

wendigen gemeinsamen Entscheidungen sachgerecht herbeizuführen’. Die Erwartung,<br />

daß auch über die föderale Einstimmigkeit die notwendige Entscheidungseinheit<br />

erreicht werden kann, wird rechtlich abgesichert durch konkrete Direktiven, die<br />

sich aus der bundesstaatlichen Gleichheit ergeben. Dazu gehören<br />

- Verhandlungsbereitschaft jedes bundesstaatlichen Gliedes gegenüber jedem<br />

anderen, das gleichermaßen betroffen ist,<br />

- Fairneß und Sachlichkeit des Procedere,<br />

- Verbot willkürlicher Obstruktion,<br />

- Verbot der mißbräuchlichen Inanspruchnahme von Kompetenzen und Befugnissen,<br />

- Verbot sachwidriger Diskriminierung,<br />

- Vertragstreue,<br />

- Wahrung von Treu und Glauben, insbesondere Vertrauensschutz.“ 49<br />

Diese verfahrensrechtlichen Anforderungen aus dem Grundsatz bundesstaatlicher<br />

Gleichheit in Verbindung mit der Bundestreue wird gerade in Situationen wie der vor-<br />

liegenden aktuell, in dem der Bund – hier sogar kraft Verfassung – in die Rolle des ent-<br />

scheidenden Schiedsrichters gedrängt ist, also sich nicht auf einer Ebene mit den Län-<br />

dern wiederfindet, sondern kraft seines Gesetzgebungsrechts „in Vorleistung“ treten<br />

muss. In der Standarddissertation zum föderalen Gleichbehandlungsgrundsatz wird dies<br />

abstrakt unter der Überschrift „Der Bund als Verpflichteter des Gleichheitssatzes in der<br />

Kooperation mit den Ländern“ zusammengefasst:<br />

„Wenn der Bund mit den Ländern kooperiert, treffen ihn die Verpflichtungen des<br />

föderativen Gleichheitssatzes ohne Einschränkung. ... Reduziert sich seine Rolle in<br />

der Kooperation nicht auf Beobachtung oder Moderation, sondern berührt ihr Inhalt<br />

seinen verfassungsrechtlichen Kompetenzkreis, genießt er zwar die gleichen<br />

Koordinationsrechte wie die Länder; doch er trifft auf die Länder nicht als verfassungsrechtlich<br />

Gleicher. Sein Machtbereich ist von dem der Länder verschieden;<br />

die föderative Gleichheit, die zwischen den Gliedstaaten die Verpflichtungen des<br />

Gleichheitssatzes grundsätzlich zu verdrängen vermag, besteht zwischen Bund<br />

und Ländern nicht. Es fehlt nicht etwa nur an einer prinzipiellen Machtparität;<br />

vielmehr tritt der Bund den Ländern als einziger bundesstaatlicher Akteur seiner<br />

Art und mit einer monopolistischen Machtbefugnis gegenüber. ... Die ... Gesetzlichkeit<br />

des Gleichheitssatzes verlangt daher seine Bindung an die Gleichheitspostulate.<br />

In der Konsequenz muß der Bund nicht nur im direktiven Bund-<br />

Länder-Verhältnis, sondern auch auf der Kooperationsebene die Gliedstaaten, die<br />

er dort als verfassungsrechtlich im wesentlichen Gleichberechtigte antrifft,<br />

grundsätzlich gleich bzw. bei zu regelnden Verteilungen proportional nach einem<br />

sachgerechten Kriterium behandeln.“ 50<br />

49 Idee und Gestalt des Föderalismus unter dem Grundgesetz, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des<br />

Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 6, 3. Aufl. 2008, § 126 Rdnr. 150 f.; zu Folgerungen hinsichtlich<br />

des Verfahrens / des Procederes aus dem Prinzip auch Markus C.F. Pleyer, Föderative Gleichheit,<br />

2005, S. 246.<br />

50 Markus C.F. Pleyer, Föderative Gleichheit, 2005, S. 329 f., Hervorhebung nur hier.


17<br />

Es erscheint nun freilich nicht unproblematisch, aus einer derart allgemeinen Vorgabe<br />

konkrete Schlussfolgerungen für vorliegendes Problem zu ziehen. Vergleichsfälle, die als<br />

Konkretisierungen in einem ähnlichen Zusammenhang bereits vom Bundesverfassungs-<br />

gericht entschieden wurden, bieten Anschauungsmaterial für weitergehende Schlussfol-<br />

gerungen für hiesige Situation. Dafür wendet sich der Blick in die allgemeine Finanzaus-<br />

gleichsproblematik im Bundesstaat.<br />

2. Als finanzverfassungsrechtliche Besonderheit: Das Konzept des sog. Maßstäbegesetzes<br />

Trotz der im nächsten Teil C des Gutachtens herauszuarbeitenden Unterschiede zwi-<br />

schen dem normalen bundesstaatlichen Finanzausgleich der Art. 106 und 107 GG und<br />

der hier interessierenden Verteilungsproblematik des Art. 106a GG hinsichtlich der an-<br />

zuwendenden Maßstäbe bestehen v.a. in verfahrensrechtlicher Hinsicht erstaunliche<br />

Parallelen zwischen der Stellung und Funktion des Bundes in der Konkretisierung der<br />

grundgesetzlichen Verfassungsaufträge (einerseits ein Finanzausgleichsgesetz zu schaf-<br />

fen, andererseits ein Regionalisierungsgesetz zu verabschieden). In beiden Fällen geht<br />

es um die Lösung von im Grundgesetz nur rudimentär geregelten Verteilungskonflikten<br />

durch zustimmungspflichtiges Bundesgesetz. Diese Problematik hat das Bundesverfas-<br />

sungsgericht in seinem (letzten großen) Finanzausgleichsurteil vom 11. November 1999<br />

klar erkannt und Vorgaben zu ihrer Bewältigung gegeben 51 . Im ersten Leitsatz des Ur-<br />

teils wird eine Pflicht zur „Maßstabsbildung“ durch Bundesgesetz postuliert: „Die Fi-<br />

nanzverfassung verpflichtet den Gesetzgeber, das verfassungsrechtlich nur in unbe-<br />

stimmten Begriffen festgelegte Steuerverteilungs- und Ausgleichssystem durch an-<br />

wendbare, allgemeine, ihn selbst bindende Maßstäbe gesetzlich zu konkretisieren und<br />

zu ergänzen.“ 52 In den Entscheidungsgründen lesen wir von einer Beauftragung des Ge-<br />

setzgebers 53 , von einem dahingehenden „Regelungsauftrag“ 54 :<br />

„Mit der auf langfristige Geltung angelegten, fortschreibungsfähigen Maßstabbildung<br />

stellt der Gesetzgeber ... sicher, daß Bund und Länder die verfassungsrecht-<br />

51 BVerfGE 101, 158 (214 ff.).<br />

52 BVerfGE 101, 158, Leitsatz 1.<br />

53 BVerfGE 101, 158 (214).<br />

54 BVerfGE 101, 158 (215).


18<br />

lich vorgegebenen Ausgangstatbestände in gleicher Weise interpretieren, ihnen<br />

gemeinsam dieselben Indikatoren zugrunde legen und damit einen Vergleich der<br />

Deckungsbedürfnisse ermöglichen ... In dem Erfordernis eines auf Planung aufbauenden<br />

Gesetzes ... ist die Bildung langfristiger Maßstäbe angelegt, die dem Gesetz<br />

wieder seine herkömmliche Funktion zuweisen: Das Gesetz gestaltet in seiner<br />

formellen Allgemeinheit rational-planmäßig die Zukunft, setzt eine gewisse<br />

Dauerhaftigkeit als Regel voraus, erstreckt ihre Anwendung auf eine unbestimmte<br />

Vielzahl zukünftiger Fälle, wahrt damit Distanz zu den Betroffenen, wendet die<br />

Aufmerksamkeit des regelnden Organs dem auch für die Zukunft verpflichtetenden<br />

Maßstab zu und verwirklicht die Erstzuständigkeit des Gesetzgebers bei der<br />

Verfassungsinterpretation.“ 55<br />

Diese Pflicht zur Maßstabsbildung wird zugleich eingesetzt, um die Gesetzgebung der<br />

„Mehrheitsfalle“ zu entziehen, d.h. dem Problem, dass eine Mehrheit von Ländern – im<br />

Finanzausgleich typischerweise die Empfängerländer – Bund und Geberländer erpres-<br />

sen können, indem sie ihre im Bundesrat notwendige Zustimmung verweigern:<br />

„Andererseits rechtfertigt auch die bloße parlamentarische Mehrheit noch nicht<br />

den beschlossenen Finanzausgleich. Der Gesetzgeber hat gegenläufige Interessen<br />

festzustellen, zu bewerten und auszugleichen. Er darf aber nicht allein in der Rechtfertigung<br />

eines Mehrheitswillens zu Lasten einer Minderheit auf fremde Haushalte<br />

zugreifen oder Ausgleichsansprüche vereiteln. Damit begegnet eine Gesetzgebungspraxis,<br />

die das Finanzausgleichsgesetz faktisch in die Verantwortlichkeit des Bundesrates<br />

verschiebt, verfassungsrechtlichen Einwänden.“ 56<br />

Das ist exakt die diesem Gutachten zugrundeliegende Situation. Der Bund darf sich nicht<br />

zurückziehen und die Aushandlungsprozesse allein den Ländern überlassen. Der Bund<br />

hat als „gerechter Schiedsrichter“ sicherzustellen, dass nicht eine Ländermehrheit das<br />

Gesetzgebungsverfahren dominiert. Die „Lösung“ des Zweiten Senats des Bundesverfas-<br />

sungsgerichts besteht darin, durch die Entwicklung von Verteilungsmaßstäben auch<br />

prozedural auf das Gesetzgebungsverfahren einzuwirken: „Rationalisierung durch Pro-<br />

zeduralisierung“ 57 . Hier müsste der Bund auch konkrete Vorschläge im Sinne dieser<br />

Rechtsprechung machen, wenn die Kommunikation zwischen den Ländern in ein reines<br />

„Zahlengeschachere“ ausartete. Mit anderen Worten: Die finanzausgleichsrechtliche<br />

Rechtsprechung aus Karlsruhe gibt dem Bund von Verfassungs wegen die Pflicht zur<br />

aktiven Betreibung des Gesetzgebungsverfahrens in Ausfüllung des Verfassungsauftrags<br />

aus Art. 106a GG auf. In der Sache kann dies nur bedeuten, dass dem Bund auch die<br />

55 BVerfGE 101, 158 (217 f.).<br />

56 BVerfGE 101, 158 (219) – Hervorhebung nur hier.<br />

57 Gunnar Folke Schuppert, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), Grundgesetz. Mitarbeiterkommentar und Handbuch,<br />

Bd. 2, 2002, Art. 107 Rdnr. 46.


19<br />

Pflicht obliegt, konkrete Maßstäbe im Gesetzgebungsverfahren bzw. seiner Vorphase zu<br />

präsentieren.<br />

Es soll nicht verschwiegen werden, dass das Urteil vom November 1999 mit dem daraus<br />

hervorgehenden Maßstäbegesetz im Schrifttum überwiegend kritisch gesehen wurde<br />

und dass das Maßstäbegesetz von vielen als letztlich gescheitert eingestuft wird 58. Diese<br />

Kritik trifft freilich zwei Aspekte des Urteils, die bisher hier nicht referiert wurden und<br />

die für hiesige Konstellation auch mehr oder weniger irrelevant sind. Das Gericht stellt<br />

sich das Maßstäbegesetz als neue normhierarchische Kategorie vor, denn das FAG soll<br />

durch dieses Gesetz gebunden werden. Das ist ein Eingriff in die Rechtsquellenlehre und<br />

es erscheint in der Tat mehr als fraglich, ob dies ein Verfassungsgericht leisten kann o-<br />

der darf. In vorliegender Situation einer Revision bzw. Fortschreibung des Regionalisie-<br />

rungsgesetzes, wo ein thematisch im Vergleich zum gesamten bundesstaatlichen Fi-<br />

nanzausgleich sehr enger Verteilungskonflikt zu lösen ist, würde es genügen, dass im<br />

Regionalisierungsgesetz selbst die Maßstabsbildung erfolgt und die konkrete Verteilung<br />

dann exekutiv aufgrund der gesetzlich festgelegten Maßstäbe erfolgte. Die rechtsquel-<br />

lentheoretische „Zwischenform“ eines bindenden Maßstäbegesetzes wäre weder sinn-<br />

voll noch erforderlich. Damit erledigt sich auch der zweite wesentliche Kritikpunkt an<br />

dem Urteil aus dem 101. Band der Entscheidungssammlung des Gerichts: Der Zweite<br />

Senat hatte, in Anlehnung an Gedanken John Rawls, gefordert, dass die Maßstäbe in Un-<br />

kenntnis der konkreten Verteilungsergebnisse zu bilden seien, gewissermaßen hinter<br />

einem „Schleier des Nichtwissens“. Erst in zeitlichem und gedanklichem Abstand wären<br />

dann die eigentlichen Verteilungsentscheidungen zu treffen gewesen. Das mag in der Tat<br />

eine naive Vorstellung sein, die zudem auch noch demokratietheoretischen Einwänden<br />

ausgesetzt ist (darf ein Ministerpräsident einer Regelung überhaupt zustimmen, deren<br />

Folgen er für sein Land nicht überblickt bzw. überblicken darf?). Dieses Postulat entfällt<br />

hier mit der Maßstabsbildung im Regionalisierungsgesetz selbst.<br />

3. Keine Disposition über Kompetenznormen: Der Bund als „ehrlicher Makler“<br />

58 Vgl. nur Bodo Pieroth, Die Mißachtung gesetzlicher Maßstäbe durch das Maßstäbegesetz, NJW 2000, S.<br />

1088; Christoph Degenhart, Maßstabsbildung und Selbstbindung des Gesetzgebers als Postulat der Finanzverfassung<br />

des Grundgesetzes, ZG 2000, S. 79; Hans-Peter Bull, Der rationale Finanzausgleich – ein<br />

Gesetzgebungsauftrag ohnegleichen, DÖV 2000, S. 305.


20<br />

Die verfassungsrechtlich erwartete Maklerrolle des Bundes resultiert noch aus einem<br />

anderen Begründungsstrang. Bundesstaatliche Kompetenzen stehen nicht zur Dispositi-<br />

on derjenigen, die durch sie ermächtigt bzw. gebunden werden. Das ist allgemein aner-<br />

kannt 59 . Zöge sich der Bund aus seinem Gesetzgebungsauftrag nach Art. 106a Satz 2 GG<br />

zurück und überließe die Aushandlung den Ländern qua ihrer Bundesratsmitwirkung,<br />

setzte sich stets eine Ländermehrheit durch. Dies geriete zumindest nahe in die Gefahr,<br />

dass die Länder über eine Ländermehrheit im Bundesrat über die Kompetenz „disponie-<br />

ren“ könnten. Um dies zu verhindern ist stets die aktive Mitwirkung des Bundes an „sei-<br />

nem“, einem Bundesgesetzgebungsverfahren zwingend erforderlich. In dem oben refe-<br />

rierten Zusammenhang mit dem bundesstaatlichen Finanzausgleich hat der Zweite Se-<br />

nat des Bundesverfassungsgerichts das mit der gebotenen Klarheit erkannt und bekräf-<br />

tigt: „Andererseits rechtfertigt auch die bloße parlamentarische Mehrheit noch nicht den<br />

beschlossenen Finanzausgleich. Der Gesetzgeber hat gegenläufige Interessen festzustel-<br />

len, zu bewerten und auszugleichen. Er darf aber nicht allein in der Rechtfertigung eines<br />

Mehrheitswillens zu Lasten einer Minderheit auf fremde Haushalte zugreifen oder Aus-<br />

gleichsansprüche vereiteln. Damit begegnet eine Gesetzgebungspraxis, die das Finanzaus-<br />

gleichsgesetz faktisch in die Verantwortlichkeit des Bundesrates verschiebt, verfassungs-<br />

rechtlichen Einwänden.“ 60<br />

V. Zwischenergebnis: Pflicht des Bundes zur Maßstabsbildung im Sinne der<br />

Grundintention der Reform sowie als Mittler zwischen divergierenden Länderin-<br />

teressen<br />

Art. 106a GG erweist sich als Verfassungsauftrag zur Gesetzgebung, nicht lediglich als<br />

Kompetenznorm, die ausgefüllt werden kann oder auch nicht. Da Bundesgesetzge-<br />

bungskompetenz angeordnet ist, ist der Bund aufgerufen, von seinem Gesetzesinitiativ-<br />

recht Gebrauch zu machen; über den Bundesrat könnte lediglich eine Ländermehrheit<br />

aktiv werden und das würde bereits das Gleichgewicht zwischen den betroffenen Län-<br />

dern stören. Aus dem Zusammenwirken der Postulate der Bundestreue und der födera-<br />

tiven Gleichbehandlung treffen den Bund hier darüber hinausgehend besondere Pflich-<br />

59 Vgl. nur Hans-Werner Rengeling, Gesetzgebungszuständigkeit, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des<br />

Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 6, 3. Aufl. 2008, § 135 Rdnr. 16.<br />

60 BVerfGE 101, 158 (219) – Hervorhebung nur hier.


21<br />

ten. Die Gleichbehandlung der Länder mit unterschiedlichen Interessen kann nur über<br />

eine Maßstabsbildung hinsichtlich der zu treffenden Verteilungsentscheidung gelingen.<br />

In Anlehnung an das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum sog. Maßstäbegesetz im<br />

bundesstaatlichen Finanzausgleich gewährleistet vorliegend nur eine solche, vom Bund<br />

initiierte Maßstabsbildung die Durchführung des Gesetzgebungsauftrags bei Wahrung<br />

des Postulats föderaler Gleichheit. In der abstrakten Maßstabsbildung zeigen sich ver-<br />

allgemeinerungsfähige Kriterien, die Sachgerechtigkeit und damit das Fehlen von Will-<br />

kür bei der Verteilung verdeutlichen. „Gegriffene“ Betragszuteilungen würden diesen<br />

verfassungsrechtlichen Maßstäben nicht gerecht.<br />

C. Verfassungsrechtliche Vorgaben für Verteilungsmaßstäbe im<br />

Rahmen des Art. 106a GG<br />

„Grundsätzlich besteht für den Gesetzgeber nicht nur Entschließungsfreiheit zu ent-<br />

scheiden, ob er tätig werden will, sondern auch Gestaltungsfreiheit hinsichtlich des<br />

‚Wie’. Er kann von der ihm zugeteilten Befugnis freien Gebrauch machen, allerdings nur<br />

im Rahmen der Verfassung.“ Mit der oben herausgearbeiteten Pflicht zur Gesetzgebung<br />

aufgrund von Art. 106a Satz 2 GG korrespondiert auch eine Pflicht zur Maßstabsbildung,<br />

denn sonst würde die Pflicht letztlich leerlaufen. Die Verfassung gibt in Art. 106a GG<br />

freilich keine Verteilungsmaßstäbe vor. Durch Auslegung ist zu ermitteln, welcher Maß-<br />

stab bzw. welche Maßstäbe in Betracht kommen. Auch hier zeigt ein Blick in das – weni-<br />

ge – einschlägige Schrifttum, dass die Frage bisher wissenschaftlich kaum behandelt<br />

wurde. Zunächst zur Kommentarliteratur: Helmut Siekmann sieht Bedarfsgesichtspunk-<br />

te im Vordergrund: „Es soll eine Verteilung der Mittel unter den Ländern sichergestellt<br />

werden, die dem spezifischen örtlichen Bedarf an Mitteln für den Nahverkehr ent-<br />

spricht.“ 61 Gerade durch das Adjektiv „spezifisch“ bleibt freilich offen und unklar, was<br />

genau gemeint ist. Konkreter wird Werner Heun, wenn er ausführt: „Das Gesetz muß<br />

sowohl die Höhe des verfassungsrechtlich nicht vorgegebenen Ausgleichsbetrags als<br />

auch die horizontale Verteilung auf die Länder bestimmen. Der Verteilungsschlüssel<br />

muß sach- und aufgabengerecht sein, wofür der Gesetzgeber einen Konkretisierungs-<br />

61 In: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 6. Aufl. 2011, Art. 106a Rdnr. 11.


22<br />

spielraum besitzt.“ 62 Wenig später wird dann noch von einer „bedarfsorientierten Mit-<br />

telverteilung“ gesprochen 63. Am ausführlichsten hat sich wiederum Jürgen W. Hidien in<br />

seinen beiden einschlägigen Aufsätzen mit dem Problem befasst. Seine Gedanken seien<br />

daher hier wörtlich wiedergegeben:<br />

„Daß beide zentralen Kriterien [die Höhe und die Verteilung; C.W.] nicht schon<br />

grundgesetzlich fixiert sind, trägt zur Entlastung des ohnehin überperfektionierten<br />

grundgesetzlichen Finanzrechts bei, kann freilich neue Verteilungskonflikte<br />

provozieren. Der karge Verfassungstext darf andererseits nicht zu dem Schluß<br />

verleiten, den Gesetzgeber von jeglichen rahmenschonenden Vorgaben freizustellen.<br />

Der Betragsbegriff und der immanente Verteilungsbegriff sind unbestimmte<br />

Verfassungsbegriffe, deren Konkretisierung (‚Bestimmung’) regelmäßig an den<br />

einfachen Gesetzgeber delegiert ist. ... Die Frage nach den verfassungszulässigen<br />

oder -gebotenen Verteilungsmaßstäben kann lediglich zu allgemeinen Verteilungsrichtlinien<br />

führen. Gelegentlich ist bezweifelt worden, ob überhaupt eine<br />

gerechte, schlüsselmäßige Verteilung einer Finanzierung des Personennahverkehrs<br />

möglich sei. Der Einwand verfolgt eher rechtspolitische Intentionen und<br />

betrifft zudem die inhomogenen infrastrukturellen Bedingungen, welche primär<br />

gezielte Einzelmaßnahmen notwendig machen, um materielle Vergleichbarkeit<br />

erst herzustellen. Andererseits besitzt die Empfehlung der gesetzgebenden Körperschaften,<br />

wonach die Finanzmittel sach- und aufgabengerecht auf die Länder<br />

zu verteilen sind, eher Floskelcharakter. Die Sachgerechtigkeit appelliert an die<br />

differenzierungsfähige gleichmäßige Verteilung, die Aufgabengerechtigkeit verweist<br />

auf die individuelle Mittelzuwendung und -zweckbindung. Beide Kriterien<br />

sind notwendig, wenn auch wegen ihrer Konkretisierungsbedürftigkeit nicht hinreichend.<br />

Der dahinterstehende, auch hier wirksame föderative Grundsatz der<br />

Finanzgleichheit bindet den Bund bei seiner Verteilungsaufgabe und verpflichtet<br />

ihn, alle Länder formal gleich zu behandeln und nicht aus politischen oder sachfremden<br />

Erwägungen zu diskriminieren. Angesichts des verfassungskräftigen<br />

Zuweisungsanspruchs werden sich – vorerst – keine Sachgründe finden lassen,<br />

einzelne Länder aus der Betragsverteilung auszunehmen. Materielle Differenzierungen<br />

sind schon deshalb möglich und teilweise nötig, weil Qualität und Quantität<br />

der fortzuführenden ‚erforderlichen’ Verkehrsleistung regional variieren; die<br />

Stichtagsregelung des Aufgabenübergangs macht es außerdem erforderlich, jedenfalls<br />

möglich, an Verteilungsmodi bestehender, tradierter Kosten- und Ertragsstrukturen<br />

anzuknüpfen. Diese dürften allerdings nicht auf ewig versteinert<br />

werden. Die Verteilung und die Verteilungsmaßstäbe, die auf verkehrswirtschaftlichen<br />

Daten basieren, sind ohnehin von Zeit zu Zeit zu überprüfen. Der Gleichheitssatz<br />

gestattet auch die Herstellung gleicher Startbedingungen und die Befriedigung<br />

eines einigungsbedingten Nachholbedarfs während der fortbestehenden<br />

Anpassungsphase. Für die anteilsmäßige Bemessung einer festzusetzenden<br />

bestimmten Finanzierung eines Verkehrsleistungsniveaus im SPNV und generell<br />

im ÖPNV muß der Gesetzgeber im übrigen zuverlässige und verläßliche objektive<br />

Indikatoren zugrunde legen; diese Anforderungen teilte das gesamte Finanzrecht.<br />

Abstrakte Verteilungsschlüssel sind jedenfalls insofern statthaft als eine Vertei-<br />

62 In: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Bd. 3, 2. Aufl. 2008, Art. 106a Rdnr. 6.<br />

63 Ebd., Rdnr. 7.


23<br />

lungskorrelation zwischen dem Indikator und dem Zuweisungszweck besteht.<br />

Näher liegen betriebswirtschaftliche konkrete Schlüssel, die an die Kosten- und<br />

Ertragslage des Verkehrsträgers anknüpfen. Daneben bestehen eine Reihe verkehrswirtschaftlicher<br />

Anknüpfungspunkte und Indikatoren (Verkehrsdichte,<br />

Verkehrsaufkommen, Verkehrsstörungen, Verkehrsschwierigkeiten, Flächen).<br />

Kombinationen und Gewichtungen können die Verteilung treffsicher ausgestalten.<br />

Andererseits darf der Gesetzgeber Betrag und Betragsverteilung pauschalieren<br />

und die Indikatoren typisieren. ...“ 64<br />

Zusammengefasst bedeutet dies, dass in Konkretisierung des verfassungsrechtlichen<br />

Rahmens eine mit Typisierungsspielräumen versehene Pflicht des Bundesgesetzgebers<br />

zur Maßstabsbildung besteht, der den Grundsatz der föderativen (Finanz-)Gleichheit zu<br />

beachten und sich letztlich an Bedarfsmaßstäben zu orientieren hat, d.h. nicht eine Fort-<br />

setzung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs darstellt. Das gilt es im Folgenden nä-<br />

her zu entfalten.<br />

I. Keine expliziten Verteilungsmaßstäbe in der Norm – kein zwingendes Vertei-<br />

lungssystem zur regionalen Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs<br />

Wie bereits ausgeführt enthält Art. 106a GG keine ausdrücklichen Verteilungsmaßstäbe.<br />

Hier stellt sich ein aus dem Verfassungsrecht allgemein bekanntes Problem: Einerseits<br />

sind aus dem Text des Grundgesetzes Maßstäbe zu konkretisieren; andererseits wird<br />

man nicht ein zwingendes Verteilungsschema aus der Norm destillieren können. Mit<br />

anderen Worten: Die Norm gibt (gleichsam „von oben“) bestimmte Leitlinien vor; kon-<br />

krete Vorschläge sind jedoch auch hier politische Setzungen („von unten“), die den Leit-<br />

linien freilich nicht widersprechen dürfen 65 . Für die Ausfüllung der „in der Mitte“ beste-<br />

hen bleibenden Lücke steht regelmäßig nicht ein einziger Indikator oder ein einziges<br />

Bündel von Indikatoren zur Verfügung, sondern regelmäßig sind verschiedene Alterna-<br />

tiven denkbar. Diese gilt es zunächst kurz darzustellen.<br />

1. Denkbare Systeme / Indikatoren<br />

64 Der spezielle Finanzierungsausgleich gem. Art. 106a GG, DVBl. 1997, S. 595 (600).<br />

65 Allgemein zu dieser Problematik der „Verfassungskonkretisierung“ Konrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts<br />

der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl. 1995, Rdnr. 45 f., 60 ff.


24<br />

Aus dem unter B ausgeführten ergibt sich zunächst, dass es Aufgabe des Bundes ist, ent-<br />

sprechende Verteilungsmaßstäbe als Grundlage eines Gesetzgebungsverfahrens zu prä-<br />

sentieren. Auch wenn gem. Art. 76 Abs. 1 und 3 GG auch der Bundesrat das grundsätzli-<br />

che Gesetzesinitiativrecht im Hinblick auf Bundesgesetze innehat, ist der Bund aus den<br />

oben dargelegten verfassungsrechtlichen Gründen zur Maßstabsbildung verpflichtet, um<br />

die strukturell vorgezeichnete Blockade aufgrund der gegenläufigen Länderinteressen<br />

durchbrechen zu können.<br />

Auf der anderen Seite wäre eine unveränderte Fortschreibung der bei Entstehung des<br />

Regionalisierungsgesetzes festgeschriebenen Verteilungsregeln nicht mit den Erwar-<br />

tungen des Art. 106a GG vereinbar, denn sie stellen sich gerade nicht als rationale De-<br />

duktionen aus der Norm dar; sie perpetuierten vielmehr im Wesentlichen das damals<br />

prästierte Verkehrsaufkommen in dem relevanten Bereich. Dieses beruhte jedoch viel-<br />

fach auf politischem Wollen und enthielt bereits politische Kompromisse; zudem beruh-<br />

te es auf Erwartungen, die sich – etwa im Hinblick auf die neuen Länder bzgl. Der Ent-<br />

wicklung von Bevölkerung und Wirtschaft – teilweise gerade nicht erfüllt haben. Eine<br />

unveränderte Fortschreibung des damaligen Verteilungsmaßstabs in die Zukunft würde<br />

nicht die sach- und systemgerechte Maßstabsbildung darstellen, die vom Grundgesetz<br />

erwartet wird. Stellte man stattdessen auf die aktuell bestehenden Verträge ab, mit de-<br />

nen Nahverkehrsleistungen „eingekauft“ werden, würde die sachgerechte Maßstabsbil-<br />

dung ebenfalls verfehlt; die noch näher zu entwickelnde Bedarfsbezogenheit der Schlüs-<br />

selung der Mittel nach Art. 106a GG ist nicht so zu verstehen, dass sich bei der Vertei-<br />

lung als Bedarf all dasjenige darstellt, das aufgrund politischen Wollens „bestellt“ wird,<br />

denn andernfalls büßte die Bedarfsbezogenheit jegliche Steuerungswirkung ein.<br />

Kommt es zu keiner Einigung auf sachgerechte Maßstäbe steht mit der ungewichteten<br />

Einwohnerzahl der einzelnen Länder in jedem Fall ein geeigneter Maßstab zur Verfü-<br />

gung, der auch die Anforderungen von Art. 106a GG noch erfüllte. Die Einwohnerzahl<br />

stellt etwa auch die erste Stufe der primär horizontalen Umsatzsteuerverteilung auf die<br />

Länder dar (vgl. Art. 107 Abs. 1 Satz 4 Hs. 1 GG), ist also – bei allen Unterschieden – der<br />

Finanzverfassung des Grundgesetzes nicht unbekannt. Das Bundesverfassungsgericht<br />

hat in seiner Rechtsprechung zum Länderfinanzausgleich zwar das sog. Stadtstaatenpri-<br />

vileg, die sog. Einwohnerveredelung bisher noch gebilligt, in der letzten großen Ent-<br />

scheidung von 1999 jedoch bereits ernsthafte Zweifel an der Sinnhaftigkeit dieser Modi-


25<br />

fikation angemeldet 66. Für dünnbesiedelte Länder werden ähnliche Maßstäbe diskutiert.<br />

Ein Land wie Nordrhein-Westfalen ist ohnehin dadurch gekennzeichnet, dass Räume<br />

großer bevölkerungsmäßiger Verdichtung (Großraum Düsseldorf-Köln-Bonn; Ruhrge-<br />

biet) ländlichen und damit dünn besiedelten Räumen (Münsterland; Sauerland; Ost-<br />

westfalen) gegenüberstehen. Der hier als Notbehelf vorgeschlagene Bevölkerungsmaß-<br />

stab könnte mit naheliegenden verkehrswirtschaftlichen Indikatoren, die objektive Be-<br />

darfe benennen und nicht alte Kompromisse fortschreiben bzw. das politisch Gewollte<br />

zum Maßstab erklären, kombiniert werden. Sollten solche Maßstäbe jedoch nicht er-<br />

sichtlich sein oder sollte über sie keine Einigung erzielt werden, bliebe der ungewichtete<br />

Einwohnermaßstab als mögliche Rückfalloption in jedem Fall erhalten.<br />

2. Die Bedeutung föderaler Gleichheit im vorliegenden Zusammenhang<br />

Die föderale Gleichheit der Länder im deutschen Bundesstaat spielt nicht nur – wie oben<br />

angerissen – verfahrensrechtlich eine Rolle. Auch bei der Auswahl der Verteilungsindi-<br />

katoren ist sie zu berücksichtigen. Die föderale Gleichheit der Glieder des Bundes folgert<br />

das Bundesverfassungsgericht nach anfänglichem Schwanken inzwischen aus einer<br />

Kombination des Gleichheitssatzes in seiner Ausprägung als Willkürverbot, d.h. als ob-<br />

jektivrechtliches Postulat mit einer Herleitung aus dem Bundesstaatsprinzip selbst 67.<br />

Für vorliegende Fragestellung folgt daraus ein Gebot sachgerechter Differenzierung für<br />

den Bund, die jeweils sachbereichsspezifisch zu konkretisieren ist 68 . Damit ist in Bezug<br />

auf die Verteilungsmaßstäbe jegliche Willkür verboten. Eine rein zahlenmäßige Festle-<br />

gung der Verteilung der Mittel wäre nun freilich „willkürlich“, auch wenn es sich um das<br />

Ergebnis eines politischen Kompromisses aus „Geben“ und „Nehmen“ handelt. Der – in<br />

der parlamentarischen Demokratie – stets notwendige politische Kompromiss ist auf<br />

Ebene der Festlegung der Maßstäbe, nicht der konkret zu verteilenden Summen festzu-<br />

legen. Andernfalls würde der Verfassungsauftrag zur Maßstabsbildung unterlaufen.<br />

66 BVerfGE 101, 158 (230 f.) mit dem Auftrag, die angeblichen Mehrbelastungen der Stadtstaaten mit denjenigen<br />

besonders dünn besiedelter Länder zu vergleichen.<br />

67 BVerfGE 72, 330 (404) sowie oben unter B IV 1.<br />

68 Markus C.F. Pleyer, Föderative Gleichheit, 2005, S. 330; Josef Isensee, Idee und Gestalt des Föderalismus<br />

im Grundgesetz, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland,<br />

Bd. 6, 3. Aufl. 2008, § 126 Rdnr. 143; oben unter B IV 1.


26<br />

3. Systemgerechtigkeit als Verfassungspostulat?<br />

Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und anderer Gerichte hat zuneh-<br />

mend Rationalitätsanforderungen an die Rechtsetzung gestellt 69 . Dabei spielen Gedan-<br />

ken der Systemgerechtigkeit bzw. Folgerichtigkeit eine wesentliche Rolle. Im Zuge der<br />

sog. kommunalen Gebietsreform der 1970er Jahre war es zu derartigen Kontrollmaß-<br />

stäben, etwa der Landesverfassungsgerichte gekommen. Neuerdings wird die Systemge-<br />

rechtigkeit / Folgerichtigkeit als Maßstab im Steuerverfassungsrecht verstärkt bemüht.<br />

Infolge der weitgehend leer laufenden freiheitsrechtlichen Kontrolle von Steuergeset-<br />

zen, stellt der Grundsatz der Systemgerechtigkeit – oftmals als auch Folgerichtigkeitsge-<br />

bot bezeichnet 70 – ein wichtiges Instrument für den verfassungsrechtlichen Zugriff auf<br />

steuerrechtliche Regelungen dar 71. Sowohl das Bundesverfassungsgericht als auch der<br />

überwiegende Teil der Literatur 72 erblicken im Topos der Systemgerechtigkeit einen die<br />

Prüfung des Gleichheitssatzes effektuierenden und operationalisierenden Grundsatz 73:<br />

Der Gesetzgeber sei aus Art. 3 Abs. 1 GG verpflichtet, die einmal getroffene „Belastungs-<br />

grundentscheidung“, das System, folgerichtig weiter zu entwickeln. Dabei kommt dem<br />

Grundsatz der Systemgerechtigkeit auf verschiedenen Ebenen des Gleichheitssatzes Be-<br />

deutung zu: Zum einen wird bereits im Rahmen der Feststellung einer (Un-<br />

)Gleichbehandlung mit der Vergleichsgruppenbildung durch das System argumentiert 74 ,<br />

zum anderen wird die Relevanz von Systemgerechtigkeit insbesondere für die Stufe der<br />

Rechtfertigung diskutiert 75 . Dabei besteht hinsichtlich letzterer Funktion innerhalb der<br />

69 Vgl. etwa Bernd Grzeszick, Rationalitätsanforderungen an die parlamentarische Rechtsetzung im demokratischen<br />

Rechtsstaat, VVDStRL 71 (2012), S. 49 ff.<br />

70 Vgl. BVerfGE 84, 239 (271); 99, 246 (264f.); 120, 152 (155); 121, 317 (362); 122, 210 (231); 123, 111<br />

(120).<br />

71 Allgemein zu Systemgerechtigkeit Christoph Degenhart, Systemgerechtigkeit und Selbstbindung des<br />

Gesetzgebers als Verfassungspostulat, 1976; Franz-Josef Peine, Systemgerechtigkeit, 1985; Ulrich Battis,<br />

Systemgerechtigkeit, FS für Hans-Peter Ipsen 1977, S. 11ff.<br />

72 Etwa BVerfGE 60, 16 (40); 116, 164 (200); vgl. die jüngeren Stellungnahmen von Kyrill-Alexander<br />

Schwarz, „Folgerichtigkeit“ im Steuerecht, FS für Josef Isensee, 2007, S. 949 (957ff.); Klaus-Dieter Drüen,<br />

Systembildung und Systembindung im Steuerrecht, FS für Wolfgang Spindler, 2011, S. 29; Rolf Eckhoff,<br />

Steuerrecht ohne System, FS für Udo Steiner, 2009, S. 119 (120 ff.); Joachim Englisch, Folgerichtiges Steuerrecht<br />

als Verfassungsgebot, FS für Joachim Lang, 2011, S. 167 (172 ff.).<br />

73 Kritisch hierzu Ulrich Battis, Systemgerechtigkeit, in: FS für Hans Peter Ipsen, 1977, S. 11 (29 f.). Daneben<br />

wird Systemgerechtigkeit teilweise auch in anderen Verfassungsgeboten lokalisiert, so etwa im<br />

Rechtstaatsprinzip (BVerfGE 7, 129 (152f.)) oder innerhalb der Verhältnismäßigkeitsprüfung (BVerfGE<br />

121, 317 (363ff.)).<br />

74 BVerfGE 9, 20 (28); eher skeptisch BVerfGE 34, 103 (115ff.); 36, 383 (393f.); vgl. auch Franz-Josef Peine,<br />

Systemgerechtigkeit, 1985, S. 54, 302; Christoph Degenhart, Systemgerechtigkeit und Selbstbindung des<br />

Gesetzgebers als Verfassungspostulat, 1976, S. 52.<br />

75 Insgesamt zu den Rechtfertigungsanforderungen an eine Durchbrechung der Folgerichtigkeit Joachim<br />

Englisch, Folgerichtiges Steuerrecht als Verfassungsgebot, FS für Joachim Lang, 2011, S. 167, (195 ff.).


Rechtsprechung kein einheitliches Bild darüber, ob Systemgerechtigkeit letztlich gar<br />

27<br />

keine verschärften Rechtfertigungsanforderungen auslöst 76, eine Indizwirkung für den<br />

Gleichheitsverstoß besitzt 77 oder tatsächlich einen strengeren Rechtfertigungsstandard<br />

begründet 78 .<br />

Der relativ sorglose Einsatz des Topos der Systemgerechtigkeit gerade im Steuerrecht<br />

begegnet aber auch zunehmenden Bedenken 79 . Dabei wird zunächst die „Vorausset-<br />

zungslosigkeit“ in der Annahme bindungsauslösender Systeme kritisiert, liegt in der<br />

Identifizierung (des Inhalts) der relevanten „Grundkonzepte“ doch eine entscheidende<br />

Weichenstellung für die Anwendung des Grundsatzes 80 . Daneben wird eine Öffnung der<br />

dogmatischen Strukturen des Gleichheitssatzes für eine systemspezifische Konkretisie-<br />

rung teilweise abgelehnt 81. Schließlich werden Zweifel an den Forderungen nach Sys-<br />

temgerechtigkeit infolge der kritischen Auswirkungen des Postulats auf die Normstufen-<br />

lehre, das Demokratieprinzip und die Gewaltenteilung laut 82 .<br />

Diese Einwände gegen übermäßiges Konsequenzdenken spiegeln sich zuletzt auch in<br />

der wechselhaften Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Beachtlichkeit<br />

von Systemen im Steuerrecht wieder: In der Entscheidung zur steuerlichen Abzugsfä-<br />

higkeit der Wegekosten (Pendlerpauschale) wurde am Beispiel des objektiven Net-<br />

toprinzips streng mit Systemgerechtigkeit argumentiert und das Vorliegen besonderer<br />

sachlicher Gründe zur Durchbrechung der legislativen Grundentscheidung verlangt 83 .<br />

Im Urteil zur steuerlichen Anerkennung von gewinnmindernden Jubiläumsrückstellun-<br />

gen agiert das Gericht dagegen sehr zurückhaltend in der Ableitung systemkonstituie-<br />

render Grundwertungen aus den handelsrechtlichen Bilanzvorgaben für das Steuer-<br />

76 In diese Richtung BVerfGE 76, 130 (139f.); ähnlich 59, 36 (49); 75, 382 (395f.); 116, 164 (186).<br />

77 BVerfGE 34, 103 (115); 45, 363 (375); 61, 138 (149); 66, 214 (224); 68, 237 (253); 81, 156 (207).<br />

78 BVerfGE 99, 280 (290, 294); 101, 132 (138); 117, 1 (30); 120, 125 (155); 122, 210 (231); 123, 111<br />

(121).<br />

79 Kritisch insbesondere Uwe Kischel, Systembindung des Gesetzgebers und Gleichheitssatz, AöR 124<br />

(1999), S. 174 ff.; derselbe, Gleichheitssatz und Steuerrecht, Symposium Paul Kirchhof, 2009, S. 175 ff.;<br />

Alexander Hanebeck, Die Einheit der Rechtsordnung als Anforderung an den Gesetzgeber, Der Staat 41<br />

(2002), S. 429 ff.<br />

80 Vgl. zur Notwendigkeit einer Auseinandersetzung mit den Tatbestandsvoraussetzungen eines Systemgebots,<br />

insbesondere mit dem Systembegriff Joachim Englisch, Wettbewerbsgleichheit im grenzüberschreitenden<br />

Handel, 2008, S. 145; Rolf Eckhoff, Rechtsanwendungsgleichheit im Steuerrecht, 1999, S.<br />

169ff.; Bernhard Kempen, Gebühren im Dienst des Sozialstaats?, NVwZ 1995, S. 1163 (1166); Rainer Prokisch,<br />

Von der Sach- und Systemgerechtigkeit zum Gebot der Folgerichtigkeit, in: FS für Klaus Vogel, 2000,<br />

S. 293 (295); auch Lerke Osterloh, in: Sachs (Hrsg.), Grungesetz. Kommentar, 6. Auflage 2011, Art. 3 Rdnr.<br />

98.<br />

81 Uwe Kischel, Systembindung des Gesetzgebers und Gleichheitssatz, AöR 124 (1999), S. 174 (175); derselbe,<br />

Gleichheitssatz und Steuerrecht, Symposium Paul Kirchhof, 2009, S. 175 (183 ff.).<br />

82 Uwe Kischel, Systembindung des Gesetzgebers und Gleichheitssatz, AöR 124 (1999), S. 174 (203 ff.).<br />

83 BVerfGE 122, 210 (230 ff.).


echt 84. Die Rolle des Grundsatzes der Systemgerechtigkeit in der zukünftigen Recht-<br />

28<br />

sprechung des Gerichts bleibt damit abzuwarten.<br />

Auf hiesige Fragestellung übertragen lässt sich – bei allen Vorbehalten – folgende Ge-<br />

meinsamkeit der Situation des Steuerverfassungsrechts und der hier zu beurteilenden<br />

Verteilungsentscheidung festhalten: Sowohl die Besteuerung, als auch die Verteilung der<br />

Regionalisierungsmittel für den ÖPNV leiden unter einer strukturellen Maßstabsarmut.<br />

In einer solchen Situation erscheint das verfassungrechtliche Postulat einer in sich sys-<br />

temgerechten Regelung naheliegend, ja zwingend. Maßstabsbildung ist in diesem Kon-<br />

text Systemgerechtigkeit bzw. verwirklicht diese.<br />

4. Grenze: Lediglich allgemeine Verteilungskriterien können verlangt werden<br />

Als Zwischenergebnis kann festgehalten werden: Der verfassungsrechtliche Auftrag zur<br />

Maßstabsbildung an den Bundesgesetzgeber findet seine Grenze in Bezug auf die Kon-<br />

kretisierung dieser Maßstäbe in der Tatsache, dass die Verteilungskriterien – wie bei<br />

einem Gesetz üblich – generell-abstrakt zu formulieren sind. Reine Verteilungsentschei-<br />

dungen in Zahlen, die keinen dahinter stehenden Maßstab offenbaren, wären unzulässig.<br />

Die im Gesetz zugrundegelegten Maßstäbe sind dann dort oder in Rechtsanwendungsak-<br />

ten zu konkretisieren, d.h. auf konkrete Zahlen für die einzelnen Länder herunterzubre-<br />

chen.<br />

84 BVerfGE 123, 111 (124); mit deutlicher Kritik Rainer Hüttemann, Das Passivierungsverbot für Jubiläumsrückstellungen<br />

zwischen Folgerichtigkeitsgrundsatz und Willkürverbot, in: FS für Wolfgang Spindler,<br />

2011, S. 627.


II. Art. 106a GG im System des bundesstaatlichen Finanzausgleichs<br />

29<br />

1. Der vierfach gestufte Finanzausgleich der Art. 106, 107 GG<br />

Die zentrale Aufgabe jeder bundesstaatlichen Finanzverfassung ist die Verteilung der<br />

Einnahmen auf den Bund und die Bundesglieder. Für sie hat sich die Bezeichnung „Fi-<br />

nanzausgleich“ eingebürgert. Allerdings ist der Sprachgebrauch nicht einheitlich. Da die<br />

Verteilung der Einnahmen nur in Zusammenhang mit der Verteilung der Aufgaben und<br />

finanziellen Lasten beurteilt und geregelt werden kann, werden vielfach erweiternd<br />

auch Aufgaben- und Lastenverteilung in den Begriff des Finanzausgleichs einbezogen 85.<br />

Teilweise wird auch ein besonders enger Begriff des Finanzausgleichs verwendet, der<br />

sich lediglich auf eine korrigierende Umverteilung (im folgenden „sekundärer Finanz-<br />

ausgleich“ genannt) bezieht. Das Bundesverfassungsgericht und das Bundesgesetz über<br />

den Finanzausgleich verwenden den Begriff aus systematischen wie pragmatischen<br />

Gründen für die Einnahmenverteilung insgesamt, beziehen den „Aufgabenausgleich“<br />

jedoch nicht ein 86 .<br />

Unter dieser begrifflichen Prämisse lassen sich vier Ebenen oder Grundformen des Fi-<br />

nanzausgleichs differenzieren 87 : Die Aufgabe, Einnahmen sachgerecht zu verteilen,<br />

ergibt sich einerseits zwischen einander über- und untergeordneten Hoheitsträgern<br />

(Bund und Ländern, auf landesverfassungsrechtlicher Ebene Ländern und Gemeinden),<br />

andererseits zwischen gleichgeordneten (den Ländern untereinander). Im ersten Fall<br />

spricht man vom vertikalen, im zweiten vom horizontalen Finanzausgleich 88. Zu unter-<br />

scheiden sind ferner die Regeln über Ertragszuständigkeiten, die abstrakt bestimmen,<br />

welchem Hoheitsträger unter welchen Voraussetzungen Einnahmen welcher Art zuflie-<br />

ßen, und die Regeln über eine anschließende Korrektur des so erzielten Ergebnisses<br />

unter Bedarfsgesichtspunkten.<br />

85 So etwa Johannes Popitz, Der künftige Finanzausgleich zwischen Reich, Ländern und Gemeinden, 1932,<br />

S. 1 ff.; Ulrich Häde, Finanzausgleich, 1996, S. 4 ff.; vgl. ferner zu diesen terminologischen Problemen: Hans<br />

Pagenkopf, Der Finanzausgleich im Bundesstaat, 1977, S. 31 ff.<br />

86 BVerfGE 1, 117 (119); 72, 330 (383); Gesetz über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern<br />

vom 20. Dezember 2001 (BGBl I, 3955), zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom 29.6.2006 (BGBl I<br />

1402).<br />

87 Vgl. den Katalog bei Hans-Günter Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000,<br />

Rdnr. 688.<br />

88 Vgl. auch Stefan Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, 1997, S. 22 f.


Es empfiehlt sich, einerseits vom ertragszuweisenden oder „primären“, andererseits<br />

vom umverteilenden oder „sekundären“ Finanzausgleich zu sprechen 89. In ihrer Zu-<br />

30<br />

sammenschau errichten diese vier Formen des Finanzausgleichs in den Art. 106 und 107<br />

GG ein vierstufiges, in sich geschlossenes Finanzausgleichssystem 90 : Auf einer ersten<br />

Stufe regelt Art. 106 GG die Aufteilung des Steuerertrags als primären vertikalen Fi-<br />

nanzausgleich. Art. 106 Abs. 3 S. 3 ff. GG verleiht bereits diesem einen partiell ausgaben-<br />

und bedarfsorientierten Charakter 91. Als zweite Stufe regelt sodann Art. 107 Abs. 1 GG<br />

den primären horizontalen Finanzausgleich, d.h. die Verteilung des Anteils der Länder-<br />

gesamtheit am Steuerertrag auf die je einzelnen Länder. Zum maßgeblichen Kriterium<br />

bestimmt Art. 107 Abs. 1 S. 1 GG die örtliche Vereinnahmung, als Korrekturmechanis-<br />

mus wirkt das Zerlegungsgebot nach Art. 107 Abs. 1 S. 2 GG. Von diesen allgemeinen<br />

Grundsätzen abweichend bestimmt sich der Anteil an der Umsatzsteuer gem. Art. 107<br />

Abs. 1 S. 4 GG nach dem Pro-Kopf-Prinzip, mit fakultativer Korrektur nach Art. 107 Abs.<br />

1 S. 4 Hs. 2 GG. Die so gefundene Verteilung des Steueraufkommens wird auf einer drit-<br />

ten Stufe durch den sekundären horizontalen Finanzausgleich nach Art. 107 Abs. 2 GG<br />

korrigiert.<br />

In diesem manifestiert sich das „bündische Prinzip“, des „Einstehens“ und „Eintretens“<br />

füreinander 92 , als gegenüber der Finanzautonomie komplementärem Grundprinzip der<br />

bundesstaatlichen Finanzverfassung. Im Sinne praktischer Konkordanz 93 findet diese<br />

„Abgabe der leistungsstärkeren Länder aus Eigenem“ 94 ihre Grenze in dem, in seiner<br />

Konkretisierung äußerst unklaren und demgemäß umstrittenen, Nivellierungsverbot 95 .<br />

Der vertikale sekundäre Finanzausgleich bildet schließlich die vierte und letzte Stufe in<br />

Gestalt von Zuweisungen des Bundes an leistungsschwache Länder auf der Grundlage<br />

des Art. 107 Abs. 3 S. 3 GG, als „Sammelbecken verbliebener Ausgleichsbedürfnisse“ 96. In<br />

89 Vgl. auch Stefan Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, 1997, S. 23.<br />

90 BVerfGE 72, 330 (383 ff.); Stefan Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, 1997, S.<br />

419 ff.; Hans-Günter Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnr. 689 ff.<br />

91 Hans-Günter Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnr. 690.<br />

92 BVerfGE 72, 330 (386 f., 404).<br />

93 Vgl. Paul Kirchhof , Der Verfassungsauftrag zum Länderfinanzausgleich als Ergänzung fehlender und als<br />

Garant vorhandener Finanzautonomie, 1982, S. 8 f.; Klaus Vogel/Christian Waldhoff, Grundlagen des Finanzverfassungsrechts,<br />

1999, Rdnr. 88; zum Begriff allgemein Konrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts<br />

der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl. 1995, Rdnr. 72, 317 f.<br />

94 Hans-Günter Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnr. 694.<br />

95 BVerfGE 1, 117 (131 f.); 72, 330 (398); Klaus Vogel/Christian Waldhoff, Grundlagen des Finanzverfassungsrechts,<br />

1999, Rdnr. 78 ff.; Stefan Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, 1997, S.<br />

612 f.; vgl. Hans Pagenkopf , Der Finanzausgleich im Bundesstaat, 1977, S. 159 ff.<br />

96 Stefan Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, 1997, S. 643.


31<br />

diesem Zusammenhang hat sich ein breitgefächertes Tableau verschiedener Typen der<br />

Bundesergänzungszuweisung entwickelt 97.<br />

Die hier nachgezeichnete Abfolge der Stufen des bundesstaatlichen Finanzausgleichs ist<br />

zwingend, die Stufen können „nicht beliebig funktional ausgewechselt oder übersprun-<br />

gen werden“ 98. Dem Konzept der Finanzverfassung als Rahmenordnung folgend wurde<br />

im vierten Urteil zum Finanzausgleich 99 dem Gesetzgeber aufgegeben, das verfassungs-<br />

rechtlich nur in unbestimmten Rechtsbegriffen festgelegte vierstufige System des Fi-<br />

nanzausgleichs zu konkretisieren und zu ergänzen. Dies ist durch das Maßstäbegesetz 100<br />

im Jahre 2001 erfolgt.<br />

2. Die Verteilung der (allgemeinen) Finanzierungslast<br />

Art. 104a Abs. 1 bis 4 GG mit Ausnahmen in Art. 104b GG regelt die Finanzierungslast<br />

oder Ausgabenlast, d.h. die Frage, welche bundesstaatliche Ebene die Staatstätigkeit je-<br />

weils zu finanzieren hat. Nach dem nach h.M. dort fixierten sog. Konnexitätsprinzip folgt<br />

die Ausgabenlast der Verwaltungszuständigkeit, also grundsätzlich den Art. 83 ff. GG 101 .<br />

Die Finanzierungslast weist nicht nur einer bundesstaatlichen Ebene die Tragung der<br />

Kosten der Staatstätigkeit zu, sie verbietet umgekehrt der nicht kompetentiell ermäch-<br />

tigten Ebene, diese Last ganz oder teilweise zu übernehmen, denn entstehungsge-<br />

schichtlicher Hintergrund von Art. 104a GG in seiner ursprünglichen Fassung von 1969<br />

war es, Einflussnahmen durch Hingabe von Geld als Konterkarierung der bundesstaatli-<br />

chen Kompetenzverteilung zu unterbinden bzw. nur verfassungsrechtlich genehmigt<br />

zuzulassen (sog. Fondswirtschaft; Problem der „goldenen Zügel“ des Bundes, an dem<br />

97 Vgl. etwa die Zusammenstellung bei Klaus Vogel/Christian Waldhoff, Grundlagen des Finanzverfassungsrechts,<br />

1999, Rdnr. 249.<br />

98 BVerfGE 72, 330 (383); vgl. Stefan Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, 1997, S.<br />

420; Ulrich Häde, Finanzausgleich, 1996, S. 223; Karl Heinrich Friauf, Der bundesstaatliche Finanzausgleich,<br />

JA 1984, S. 618 (622); Kyrill-A. Schwarz, Finanzverfassung und kommunale Selbstverwaltung, 1996,<br />

S. 111.<br />

99 BVerfGE 101, 158 (161 ff.).<br />

100 Gesetz über verfassungskonkretisierende allgemeine Maßstäbe für die Verteilung des Umsatzsteueraufkommens,<br />

für den Finanzausgleich unter den Ländern sowie für die Gewährung von Bundesergänzungszuweisungen<br />

vom 9. September 2001 (BGBl I S. 2302).<br />

101 Vgl. statt vieler nur Rainer Prokisch, in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum<br />

Grundgesetz, Art. 104a Rdnr. 48 ff. (Stand der Kommentierung: Mai 2003).


32<br />

dieser die Länder „führt“) 102. Einzelheiten spielen in vorliegendem Zusammenhang kei-<br />

ne Rolle.<br />

3. Stellung des Art. 106a GG im Stufensystem des Finanzausgleichs und der Finanzierungs-<br />

last<br />

Die Stellung des Art. 106a GG in diesem Tableau erscheint alles andere als klar und wird<br />

auch in der Literatur nicht stets einheitlich beurteilt 103. Die systematische Stellung der<br />

Norm hinter der Steuerertragsverteilung durch Art. 106 GG spricht für eine Vorschrift<br />

des primären, d.h. ertragszuteilenden Finanzausgleichs. Dies bedeutete, dass die Ausle-<br />

gung an der Logik des (allgemeinen) bundesstaatlichen Finanzausgleichs Teil hätte, mit-<br />

hin dessen Grundprinzipien unterworfen wäre. Die überzeugenderen Argumente spre-<br />

chen freilich für eine andere Deutung: Es handelt sich um eine besondere Regelung der<br />

Finanzierungslast, d.h. um eine Ausnahme der allgemeinen Regel des Art. 104a GG.<br />

Durch die Norm werden nämlich zweckgebundene Zahlungen des Bundes an die Länder<br />

ermöglicht, die ohne diese Vorschrift wegen Art. 104a GG unzulässig wären 104. Das<br />

Missverständnis, es gehe um eine Korrektur der primären horizontalen Ertragsvertei-<br />

lung von Steuern nach Art. 106 GG ist neben der verfehlten systematischen Stellung in-<br />

nerhalb des zehnten Abschnitts des Grundgesetzes auch dadurch bedingt, dass – wie<br />

oben im Rahmen der Entstehungsgeschichte gezeigt werden konnte – ursprünglich aus-<br />

drücklich diese Finanzzuweisungen des Bundes aus seinem Mineralölsteueraufkommen<br />

geleistet werden sollten (sog. Mineralölsteuerverbund, d.h. Umformung der Mineralöl-<br />

102 Näher Rainer Prokisch, in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, At.<br />

104a Rdnr. 9 ff., 34 ff.<br />

103 Vgl. insgesamt auch Irene Kesper, Bundesstaatliche Finanzordnung, 1998, S. 107 f., 245, die freilich von<br />

einer Uneinordbarkeit der Norm in die Finanzverfassung, von einem „Fremdkörper“ im zehnten Abschnitt<br />

des Grundgesetzes ausgeht.<br />

104 Ulrich Häde, Finanzausgleich, 1996, S. 80, 254 (Zitat): „Die Vorschrift befaßt sich deshalb überhaupt<br />

nicht mit der Verteilung des Steueraufkommens, sondern ermöglicht zweckbestimmte Bundeszuweisungen<br />

an die Ländern, die ansonsten – im Hinblick auf Art. 104a Abs. 1 GG – unzulässig wären.“ S. 255: „Der<br />

beabsichtigte Ausgleich für die Länder im Zusammenhang mit der Übernahme eines Teils der bisherigen<br />

Bundesbahn stellt eine Ausnahme vom Konnexitätsprinzip des Art. 104a Abs. 1 GG dar.“ Ebenso Jürgen W.<br />

Hidien, Der spezielle Finanzierungsausgleich gem. Art. 106a GG, DVBl. 1997, S. 595 (596); Peter Michael<br />

Huber, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 3, 6. Aufl. 2010, Art. 106a Rdnr.<br />

3: „Er ermöglicht damit zweckbestimmte Sonderzahlungen an die Länder, die jenseits von Art. 104b Abs. 1<br />

und Art. 106 Abs. 4 S. 2 unzulässig wären, und für die auch Art. 107 Abs. 2 S. 3 keinen Raum lässt.“ Ferner<br />

Markus Heintzen, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 106a<br />

Rdnr. 1; Helmut Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 6. Aufl. 2011, Art. 106a Rdnr. 3, 8.


33<br />

steuer zu einer Gemeinschaftsteuer i.S.v. Art. 106 Abs. 3 und 4 GG) 105. Die verfehlte For-<br />

mulierung, dass der Betrag „aus dem Steueraufkommen des Bundes“ fließen soll, deutet<br />

ebenfalls noch auf diesen Aspekt der Entstehungsgeschichte hin 106. Das ursprüngliche<br />

Anliegen war wohl nicht mehr und nicht weniger als ein hilfloser Plausibilisierungsver-<br />

such, da die Mineralölsteuer eine der wenigen Zweckbindungen von Steueraufkommen<br />

kennt und auch irgendwie etwas mit „Verkehr“ zu tun hat; finanzverfassungsrechtlich<br />

waren solche Pläne freilich von vornherein verfehlt, da nach dem haushaltsrechtlichen<br />

Gesamtdeckungsprinzip (Nonaffektationsprinzip) ohnehin alle Einnahmen alle Ausga-<br />

ben decken und damit der Bundeszuschuss an die Länder nicht auf eine konkrete Steu-<br />

erquelle bezogen werden kann 107.<br />

Die systematisch verfehlte Stellung und den „systemfremde“ Ausnahmecharakter 108 mag<br />

man bedauern 109 – es ist dem verfassungsändernden Gesetzgeber freilich unbenommen,<br />

derartige Regelungen im Zuge der Kompromissfindung 110 zu schaffen; an der Gültigkeit<br />

bestehen keine Zweifel.<br />

Man kann die Vorschrift auch gleichsam als nachträgliche Legalisierung einer vor der<br />

Bahnreform gängigen Praxis für die neue Zukunftskonstellation sehen, die zwar als<br />

Durchbrechung des Konnexitätsprinzips vom Bundesverwaltungsgericht gebilligt wor-<br />

den war 111 , von den überzeugenderen Stimmen im Schrifttum gleichwohl seit je als Ver-<br />

fassungsbruch gekennzeichnet wurde 112 .<br />

105 Vgl. auch Jürgen W. Hidien, Der spezielle Finanzierungsausgleich gem. Art. 106a GG, DVBl. 1997, S. 595<br />

(596).<br />

106 Werner Heun, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Bd. 3, 2. Aufl. 2008, Art. 106a Rdnr. 4.<br />

107 Ulrich Häde, Finanzausgleich, 1996, S. 254: „Man wird davon ausgehen können, daß Art. 106a GG nicht<br />

einmal die Verknüpfung mit einer konkret bezeichneten Steuerart verlangt; denn der Betrag ist allgemein<br />

aus dem Steueraufkommen des Bundes zu zahlen.“<br />

108 Peter Michael Huber, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 3, 6. Aufl. 2010,<br />

Art. 106a Rdnr. 3.<br />

109 Nach der Systematik der Finanzverfassung wäre eine Veränderung der Verteilung des Umsatzsteueraufkommens<br />

nach Art. 106 Abs. 3 und 4 GG der richtige Weg gewesen (sog. Deckungsquotenverfahren).<br />

110 Die beiden grundsätzlichen Möglichkeiten, auf Verfassungsebene Kompromisse zu verankern, sind der<br />

„dilatorische Formelkompromiss“ i.S. Carl Schmitts oder die „neue Technizität“ des Verfassungsrecht in<br />

den letzten Grundgesetzreformen.<br />

111 BVerwGE 81, 312; gutachtliche Rechtfertigung etwa bei Hans-Wolfgang Arndt, Rechtsprobleme der<br />

gemeinschaftlichen Koordinierung und Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs durch Bund,<br />

Länder und Gemeinden, 1990.<br />

112 Günter Fromm, Die Entwicklung des öffentlichen Verkehrsrechts, NVwZ 1992, S. 536 (538); ders., Die<br />

Reorganisation der Deutschen Bahn, DVBl. 1994, S. 187 (193); Helmut Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz.<br />

Kommentar, 6. Aufl. 2011, Art. 106a Rdnr. 1.


III. Die Unterscheidung zwischen dem aufkommensbezogenen allgemeinen Fi-<br />

nanzausgleich und dem bedarfsbezogenen Sonderfall des Art. 106a GG<br />

Die oben vorgenommene finanzverfassungsrechtliche Verortung des Art. 106a GG ist<br />

34<br />

nun entscheidend für seine Interpretation. Handelte es sich um eine Vorschrift aus dem<br />

allgemeinen Bund-Länder-Finanzausgleich, müssten sich die Verteilungsmaßstäbe an<br />

dem Konzept dieses Ausgleichs orientieren. Dieses ist die Finanzkraft der am Ausgleich<br />

Beteiligten. Handelt es sich jedoch – wie herausgearbeitet – um eine Durchbrechung der<br />

allgemeinen Finanzierungsverantwortung mit der Anordnung einer Finanzzuweisung<br />

des Bundes, kann – im Zusammengreifen mit der Entstehungsgeschichte – nachgewie-<br />

sen werden, dass nicht die unterschiedliche Finanzkraft der Ausgleichsberechtigten ni-<br />

velliert werden soll, es sich also nicht um eine „Fortsetzung des Finanzausgleichs mit<br />

anderen Mitteln“ handeln darf, sondern das die konkreten Bedarfe in dem zu bezu-<br />

schussenden Bereich maßstabgebend sein müssen. Anders ausgedrückt: Art. 106a GG<br />

dient nicht dem Ausgleich von Leistungsunterschieden zwischen den Ländern, die Fi-<br />

nanzkraft der beteiligten Zuweisungsempfänger ist grundsätzlich irrelevant 113 .<br />

1. Finanzkraft als zentrale und bedarfsunabhängige Größe des Finanzausgleichs und ihre<br />

Ausnahmen und Durchbrechungen<br />

Der allgemeine bundesstaatliche Finanzausgleich der Art. 106, 107 GG, v.a. des Art. 107<br />

Abs. 2 GG (sekundärer umverteilender Ausgleich) ist ein Finanzkraftausgleich 114. Mit der<br />

Finanzkraft eines Landes werden primär die Steuereinnahmen, darüber hinaus auch<br />

sonstige finanzausgleichsrelevante Einnahmen erfasst und auf Prokopf-Werte umge-<br />

rechnet 115 . Bedarfe sind damit grundsätzlich irrelevant. Das wird freilich teilweise<br />

durchbrochen, wobei jede Ausnahme – Einwohnerveredelung; Hafenlasten – mehr als<br />

strittig und teilweise rational auch nicht haltbar ist 116 . Lediglich auf der Ebene der Bun-<br />

desergänzungszuweisungen nach Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG (sog. sekundä-<br />

113 Zur grundsätzlichen Trennung zwischen der Bahnreform einschließlich der REgionalisierung des Nahverkehrs<br />

einerseits, dem Föderalen Konsolidierungsprogramm andererseits auch Folkert Kiepe, Städte<br />

zum Solidarpakt, der städtetag 1993, S. 259.<br />

114 Gunnar Folke Schuppert, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), Grundgesetz. Mitarbeiterkommentar und Handbuch,<br />

Bd. 2, 2002, Art. 107 Rdnr. 37; ausführlich Stefan Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und<br />

Ländern, 1997, S. 548 ff.<br />

115 Werner Heun, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Bd. 3, 2. Aufl. 2008, Art. 107 Rdnr. 25 ff.<br />

116 Ausführlich Stefan Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, 1997, S. 578 ff.


35<br />

rer/umverteilender vertikaler Ausgleich) werden von vornherein auch Sonderbedarfe<br />

berücksichtigt. Der grundsätzliche Ausschluss bei der Verteilungsentscheidung v.a. im<br />

horizontalen Verhältnis zwischen den Ländern findet seinen Grund darin, dass andern-<br />

falls weiterhin verfehlte Anreize für eine großzügige Ausgabenpolitik gesetzt würden,<br />

denn die Frage, welche Finanzmittel ein Land benötigt, ist zunächst v.a. eine politische<br />

Entscheidung. Die Ausgabenseite der staatlichen Finanzwirtschaft bleibt daher grund-<br />

sätzlich unberücksichtigt. Daher kann auf dieser Ebene mit den zugelassenen Ausnah-<br />

men nur der Einwohnermaßstab herangezogen werden. Dem liegt die Prämisse zugrun-<br />

de, dass der Finanzbedarf pro Einwohner grundsätzlich gleich ist 117. Einnahmen und<br />

Einwohnerzahl zueinander in Relation gesetzt ergeben damit die Finanzkraft als die<br />

zentrale, den Finanzausgleich bestimmende Größe, es geht m.a.W. um die Abgrenzung<br />

von leistungsstarken und leistungsschwachen Ländern.<br />

2. Art. 106a GG als grundsätzlich bedarfsbezogene Verteilungsnorm<br />

Da Art. 106a GG – wie herausgestellt – keine Norm des allgemeinen, finanzkraftorien-<br />

tierten Finanzausgleichs im Bundesstaat ist, sondern zweckgebundene Bundeszuwei-<br />

sungen legalisiert, die Entstehungsgeschichte vielmehr die Abdeckung eines konkreten<br />

Finanzierungsbedarfs als Hintergrund verdeutlicht, dürfen Aspekte der Finanzkraft der<br />

empfangsberechtigten Länder grundsätzlich keine Rolle spielen. Anders ausgedrückt: Es<br />

handelt sich um eine an Bedarfen ausgerichtete Verteilungsnorm 118 . Das erklärt auch<br />

Satz 3 des Artikels: Um zu verhindern, dass diese bedarfsbezogenen Bundeszuweisun-<br />

gen die Finanzkraft des empfangsberechtigten Landes verändert (erhöht), mussten die<br />

Zuweisungen auf der Grundlage von Art. 106a GG aus der Finanzkraftbestimmung für<br />

den Ausgleich nach Art. 107 Abs. 2 GG herausgenommen werden 119 . Nichts könnte deut-<br />

licher die völlig anders ausgerichtete Zielrichtung der Verteilungsentscheidung – Be-<br />

darfsorientierung hier, Finanzkraftorientierung dort – in beiden Systemen verdeutli-<br />

117 Markus Heintzen, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 107<br />

Rdnr. 26.<br />

118 Helmut Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 6. Aufl. 2011, Art. 106a Rdnr. 11; Werner<br />

Heun, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Bd. 3, 2. Aufl. 2008, Art. 106a Rdnr. 7.<br />

119 Ulrich Häde, Finanzausgleich, 1996, S. 254; Werner Heun, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar,<br />

Bd. 3, 2. Aufl. 2008, Art. 106a Rdnr. 7; Markus Heintzen, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar,<br />

Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 106a Rdnr. 6; Helmut Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar,<br />

6. Aufl. 2011, Art. 106a Rdnr. 11; Peter Michael Huber, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar<br />

zum Grundgesetz, Bd. 3, 6. Aufl. 2010, Art. 106a Rdnr. 13.


chen! In den Worten Ulrich Hädes: „Im Länderfinanzausgleich nach Art. 107 Abs. 2 GG<br />

36<br />

bleibt der aufgrund der Ermächtigung des Art. 106a GG gezahlte Betrag unberücksich-<br />

tigt. Auf diese Weise stellt das Grundgesetz sicher, daß die Zuweisungen den jeweiligen<br />

Bedarf der Länder ausgleichen und nicht nach den allgemeinen Bedarfsgesichtspunkten<br />

des Länderfinanzausgleichs weiterverteilt werden.“ 120<br />

IV. Anforderungen an eine systemgerechte Ausgestaltung der Verteilungsregel<br />

Was bedeutet das für die konkreten Verteilungsregeln? Diese müssen (erstens) system-<br />

gerecht sein, da sie nur so maßstabbildende Funktion übernehmen; dies wurde oben<br />

unter C I bereits entwickelt. Die Höhe der Gesamtmittel, die der Bund zur Verfügung<br />

stellt, ist (zweitens) zwar nicht frei von Rechtsbindungen, jedoch keineswegs in gleicher<br />

Weise vorgezeichnet, wie die eigentliche horizontale Verteilungsentscheidung zwischen<br />

den Ländern. Bei der Verteilungsentscheidung müssen (drittens) auch für den<br />

ÖPNV/SPNV die Ziele der Bahnreform grundsätzlich Berücksichtigung finden, diese dür-<br />

fen – die Besonderheiten durch Art. 87e Abs. 4 GG berücksichtigt – nicht konterkariert<br />

werden; durch die Auswahl etwaiger verkehrswissenschaftlicher Indikatoren dürfen<br />

(viertens) keine falschen Anreize gesetzt werden, so dass ein überproportionaler Aus-<br />

bau des Nahverkehrs „von anderen bezahlt“ werden würde, denn auch dies würde die<br />

durch die Bahnreform geforderte Transparenz verhindern. Aspekte wie die „Einheitlich-<br />

keit“ oder „Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet“ oder die Qualifi-<br />

kation als „Daseinsvorsorge“ spielen (fünftens) bei diesen speziellen Finanzzuweisun-<br />

gen grundsätzlich keine Rolle, insbesondere bezieht sich dies auf wirkliche oder ver-<br />

meintliche Nachholbedarfe im Gefolge der Wiedervereinigung.<br />

1. Unterscheidung zwischen der Höhe der Gesamtmittel und dem Verteilungsmodus<br />

Die Höhe der nach Art. 106a GG zu verteilenden Mittel ist in der Verfassung selbst nicht<br />

festgelegt. Sie kann auch aus verfassungsrechtsdogmatischen Gründen nicht in gleicher<br />

Weise verfassungsrechtlich vorgezeichnet sein, wie der Verteilungsmodus als solcher.<br />

120 Finanzausgleich, 1996, S. 255; ebenso Hanno Kube, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar,<br />

2009, Art. 106a Rdnr. 7.


37<br />

Das stellt eine (weitere) Parallele zum Steuerverfassungsrecht als einem anderen Teil<br />

des öffentlichen Finanzrechts dar: Auch die Höhe der Steuerbelastung ist in erster Linie<br />

eine politische Frage, die allenfalls in äußersten Grenzen bzw. Grenzsituationen verfas-<br />

sungsrechtlich eingefangen werden kann. Demgegenüber ist die gleichheitsgerechte<br />

Verteilung der Steuerlast eine verfassungsrechtliche Zentralfrage 121 . Gleichwohl gibt es<br />

auch bei den von Seiten des Bundes zur Verfügung gestellten Mittel Untergrenzen. Diese<br />

ergeben sich zum einen wiederum aus der Entstehungsgeschichte von Norm und Regio-<br />

nalisierungsgesetz. Die Länder haben der Bahnreform nur zugestimmt, wenn die Kosten,<br />

die durch die Regionalisierung für sie entstehen, im Wesentlichen vom Bund getragen<br />

werden. Dies wurde oben im Rahmen der Darstellung der Entstehungsgeschichte des<br />

Art. 106a GG dargelegt (unter A II 2). Die ursprüngliche Fassung des Regionalisierungs-<br />

gesetzes wurde dabei parallel zu den Verfassungsänderungen im Rahmen der Bahnre-<br />

form mitbeschlossen. Bei aller Vorsicht der Konkretisierung von Verfassungsrecht durch<br />

einfaches Gesetzesrecht (Stichwort: Gefahr „Von der Verfassungsmäßigkeit der Gesetze<br />

zur Gesetzmäßigkeit der Verfassung“ 122 ) kann damit auch auf die dort verankerten<br />

Summen zurückgegriffen werden 123 . Durch die Bezeichnung eines gewissen Grundver-<br />

sorgungsauftrags in § 1 RegG als „Daseinsvorsorge“ folgt rechtlich freilich zunächst we-<br />

nig, denn der Begriff der Daseinsvorsorge ist kein präziser, subsumtionsfähiger Rechts-<br />

begriff, aus dem übergreifend konkrete Rechtsfolgen hergeleitet werden könnten 124 .<br />

Entscheidend ist die Gewährleistungsverantwortung, die dem Bund durch Art. 87e Abs.<br />

4 GG auferlegt wurde 125 . Danach ist der Bund für das Schienennetz insgesamt verant-<br />

wortlich, für die Prästierung der Verkehrsdienstleistungen allerdings nicht für den Per-<br />

sonennahverkehr 126. Unmittelbar aus dieser Norm folgt also keine direkte Vorgabe für<br />

121 Zu dieser Unterscheidung m.w.N. Christian Waldhoff, Grundzüge des Finanzrechts des Grundgesetzes,<br />

in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 5, 3. Aufl.<br />

2007, § 116 Rdnr. 98 ff., 116, 120.<br />

122 Vgl. die gleichnamige Schrift von Walter Leisner, 1964.<br />

123 Vgl. hinsichtlich einer anderen Frage ähnlich Peter Michael Huber, in: von Mangoldt/Klein/Starck,<br />

Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 3, 6. Aufl. 2010, Art. 106a Rdnr. 4; allgemein und ausführlich zu diesem<br />

Auslegungsproblem im Rahmen der Bahnreform Markus Möstl, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz. Kommentar,<br />

Art. 87e Rdnr. 61 f. (Kommentierung von November 2006).<br />

124 Dazu näher sogleich ausführlich unter C IV 2 c. Zur kontextabhängigen Konkretisierung der Kategorie<br />

der Daseinsvorsorge jetzt Martin Franzen/Gregor Thüsing/Christian Waldhoff, Arbeitskampf in der Daseinsvorsorge,<br />

erscheint 2013 im Verlag Mohr-Siebeck, Tübingen.<br />

125 Allgemein zur Gewährleistungsverantwortung im Bahnbereich Michael Fehling, Das Recht der Eisenbahnregulierung,<br />

in: Lüdemann (Hrsg.), Telekommunikation, Energie, Eisenbahn, 2008, S. 118 (122 f.).<br />

126 Hubertus Gersdorf, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 3, 6. Aufl. 2010,<br />

Art. 87e Rdnr. 67; Kay Windthorst, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 6. Aufl. 2011, Art. 87e Rdnr.<br />

60; zurückhaltend gegenüber dem daraus resultierenden Gewährleistungsauftrag wegen der Gefahr einer<br />

Konterkarierung der Ziele der Bahnreform etwa auch Eberhard Schmidt-Aßmann/Hans Christian Röhl,<br />

Grundpositionen des neuen Eisenbahnverfassungsrechts, DÖV 1994, S. 577 (584).


38<br />

die Höhe der Bundesmittel. Eine indirekte Gewährleistungsverantwortung ergibt sich<br />

dann jedoch aus Art. 106a GG 127. Inwieweit diese Verpflichtung damit in der Finanzie-<br />

rungsverpflichtung aufgegangen ist, bedürfte noch näherer Prüfung. Als Untergrenze<br />

wird man aus den dargelegten Gründen in jedem Fall die seinerzeit vereinbarte Summe,<br />

einschließlich ihrer Dynamisierungen ansehen können.<br />

2. Zulässige bzw. unzulässige Kriterien<br />

a) Keine Konterkarierung des Grundanliegens der Gesamtreform der Verhinderung von<br />

Fehlanreizen zwischen Kosten und Nutzen im ÖPNV – Spannungsverhältnis zwischen dem<br />

Erfordernis „objektiver verkehrswissenschaftlicher Indikatoren“ und einem die Anreizin-<br />

tention verfehlenden überproportionalen Ausbau der ÖPNV-Struktur<br />

Auch der Schienenpersonennahverkehr nimmt grundsätzlich an den Zielen der Bahnre-<br />

form teil 128 . Privatisierung und die Herausstellung von Verantwortungszusammenhän-<br />

gen, v.a. auch finanzwirtschaftlicher Art, sind auch hier zentrale Größen, die freilich mit<br />

einem Versorgungsauftrag ausbalanciert werden müssen. Das entbindet aber nicht von<br />

dem Transparenzerfordernis, wonach derjenige, der entsprechende Verkehrsleistungen<br />

„bestellt“ auch dafür zahlen soll. Diese Finanzverantwortung, d.h. der Zusammenhang<br />

zwischen dem Wunsch nach Aufgabenerfüllung und ihrer Finanzierung, kann nicht<br />

dadurch ausgehebelt werden, dass der Aufgabenträger beim ÖPNV/SPNV vom Bund auf<br />

die Länder verschoben wurde. Das hat unmittelbare Konsequenzen in denjenigen Berei-<br />

chen des ÖPNV/SPNV, in denen ein größeres Angebot bereitgestellt wird, als erforder-<br />

lich ist. Insbesondere im Zuge der Euphorie nach der deutschen Wiedervereinigung<br />

wurden – auch hier – Kapazitäten aufgebaut, die sich als überdimensioniert erwiesen.<br />

Entstehungsgeschichtlich kam dies etwa dadurch zum Tragen, dass als (Teil-)Indikator<br />

der ursprünglichen Regelung der Fahrplan 1993/94 zugrunde gelegt wurde – dieser<br />

muss jedoch nicht notwendig objektivierten Bedarfen entsprechen, zumindest nicht<br />

mehr in der Gegenwart. Selbst unabhängig von einer etwaigen ursprünglichen Überdi-<br />

127 Auf den Zusammenhang weist auch Michael Fehling, Das Recht der Eisenbahnregulierung, in: Lüdemann<br />

(Hrsg.), Telekommunikation, Energie, Eisenbahn, 2008, S. 118 (123) hin.<br />

128 Ausdrücklich und mit Betonung Markus Möstl, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz. Kommentar, Art. 87e<br />

Rdnr. 137 (Kommentierung von November 2006). Allgemein auf Art. 87e Abs. 4 bezogen so explizit Eberhard<br />

Schmidt-Aßmann/Hans Christian Röhl, Grundpositionen des neuen Eisenbahnverfassungsrechts, DÖV<br />

1994, S. 577 (584).


mensionierung wären die ursprünglichen Bedarfe durch den z.T. deutlichen Bevölke-<br />

39<br />

rungsrückgang in den neuen Bundesländern nicht mehr einschränkungslos gegeben. Es<br />

würde den hier entfalteten Zielen der Bahnreform und der Regionalisierung des SPNV<br />

widersprechen, wenn überdimensionierte, letztlich auf politischem Wünschen beruhen-<br />

de Verkehrsangebote bei der Verteilungsentscheidung nach Art. 106a GG privilegiert<br />

würden. Dies stellte zudem den oben als unzulässig entwickelten Übergriff in den allge-<br />

meinen, unterschiedliche Finanzkraft ausgleichenden Finanzausgleich dar und entfernte<br />

sich von der hier relevanten bedarfsgesteuerten Verteilungsentscheidung. Als Zwi-<br />

schenergebnis kann mithin festgehalten werden, dass eine bloße Übernahme der sei-<br />

nerzeitigen Verteilungsschlüssel nicht den Anforderungen des Art. 106a GG, so wie sie<br />

hier entwickelt wurden, entspräche.<br />

Auf der anderen Seite wäre auch die Zugrundelegung der aktuell im Bereich des ÖPNV<br />

bestehenden Verträge, mit denen entsprechende Leistungen „bestellt“ werden, nicht<br />

geeignet. Diese bilden nämlich nicht notwendig einen objektivierten Bedarf ab, sondern<br />

sie entsprechen zumindest zu einem Teil den politischen Wünschen im Hinblick auf<br />

Verkehrsdienstleistungen. Bedarfsbezogenheit als Grunddeterminante von Art. 106a GG<br />

ist jedoch nur dann sinnvoll und operationabel, wenn es sich um objektivierte Bedarfe<br />

handelt. Legte man demgegenüber die aktuelle Vertragsstruktur als Verteilungsindika-<br />

tor zwischen den Ländern zugrunde, hätte dasjenige Land den größten Vorteil, da am<br />

meisten „bestellt“ hat – das entspricht, wie dargelegt werden konnte, nicht der Intention<br />

des Grundgesetzes im hiesigen Bereich.<br />

Bei der Auswahl verkehrswissenschaftlicher Indikatoren ist danach zu berücksichtigen,<br />

dass diese die – etwa an der schlichten Einwohnerzahl, ggf. in Kombination mit sachge-<br />

rechten verkehrswissenschaftlichen Indikatoren festgemachten – Bedarfsindikatoren<br />

nicht entgegen der ökonomischen Transparenz verwässern. Jegliche allgemeine Umver-<br />

teilung zwischen den Ländern aufgrund unterschiedlicher Finanzkraft über Art. 106a GG<br />

wäre verfassungswidrig. Verkehrswissenschaftliche Indikatoren zur Ergänzung des<br />

Einwohnerkriteriums dürfen demnach nicht eine versteckte „Aufbauhilfe Ost“ umfassen<br />

oder begünstigen. Auch überproportionale Dimensionierungen von Nahverkehrsange-<br />

boten, die in die ursprüngliche Fassung des Regionalisierungsgesetzes und seiner Ver-<br />

teilungsentscheidung noch eingingen, können bei einer Revision keine Bedeutung mehr<br />

besitzen. Solche Anreizfehlsteuerungen sollten durch die Reform gerade abgestellt wer-<br />

den und dürfen daher jetzt nicht – mehr oder minder in bestimmten Kriterien versteckt<br />

– gleichsam „durch die Hintertür“ erneut eingeführt werden.


40<br />

b) Begrenzte Relevanz der „Einheitlichkeit“ oder „Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse<br />

im Bundesgebiet für die Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs<br />

aa) Herkunft, Hintergrund und verfassungsrechtsdogmatische Bedeutung<br />

Die Forderung nach „einheitlichen“ oder „gleichwertigen Lebensverhältnissen im Bun-<br />

desgebiet“ wird als Argument in der finanzverfassungsrechtliche Diskussion regelmäßig<br />

herangezogen. Wie an anderer Stelle nachgewiesen wurde, handelt es sich dabei jedoch<br />

nicht um eine Staatszielbestimmung, d.h. um einen verbindlichen übergreifenden Satz<br />

des Verfassungsrechts, sondern lediglich um eine an verschiedenen Stellen des Grund-<br />

gesetzes aufscheinende, aus ihrem jeweiligen Kontext zu interpretierende Einzelfallre-<br />

gelung 129. Für eine Verfassungsreformdiskussion darf dieses Postulat alternative Sicht-<br />

weisen nicht verstellen, die Auslegung geltenden (Finanz-)Verfassungsrechts darf es<br />

nicht dominieren 130. Das gilt erst Recht für die Auslegung von Art. 106a GG.<br />

Auch die Anführung von eher tatsächlichen Bestimmungsgründen (vereinheitlichende<br />

Wirkung der Bundesgrundrechte und des Sozialstaatsprinzips; bundesweit agierende<br />

politische Parteien; Erwartungshaltungen der Bürger) nehmen – mit einem Wort Peter<br />

Lerches – den „Trend … als Faktum …, dem sich die Rechtswelt zu fügen habe“ 131 , unter-<br />

liegen also der Gefahr des Sein-Sollen-Fehlschlusses 132. Der Argumentationstopos von<br />

den einheitlichen oder gleichwertigen Lebensverhältnissen im Bundesgebiet erweist<br />

sich als historische Schlacke aus Perioden der Entwicklung der deutschen Bundesstaat-<br />

lichkeit, als die politische Einheit gefährdet war. Heute hat sie ihre Bedeutung weitge-<br />

hend verloren 133 .<br />

129 Christian Waldhoff, Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Steuergesetzgebung im Vergleich Deutschland-Schweiz,<br />

1997, S. 84-94; Klaus Vogel/Christian Waldhoff, Grundlagen des Finanzverfassungsrechts,<br />

1999, Rdnr. 81-87; ähnlich auch Stefan Oeter, Integration und Subsidiarität im deutschen Bundesstaat,<br />

1998, S. 13, 532 ff.; Sigrid Boysen, Gleichheit im Bundesstaat, 2005, S. 53 ff., 119 ff.; insoweit übereinstimmend<br />

auch Lerke Osterloh, Die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse als offene Frage der Finanzverfassung,<br />

in: GS für Christoph Trzaskalik, 2005, S. 181.<br />

130 Zu Recht weißt etwa Markus Möstl, Neuordnung der Gesetzgebungskompetenzen von Bund und Ländern,<br />

ZG 2003, S. 297 (299), auf einen Widerspruch hin, wenn in der Öffentlichkeit zwar „Entflechtung“<br />

des bundesstaatlichen Kompetenzgefüges gefordert werde, die notwendige Konsequenz größerer Disparitäten<br />

zwischen den Ländern jedoch nach wie vor kritisch gesehen werde.<br />

131 Finanzausgleich und Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse, in: FS für Friedrich Berber, 1973, S. 299.<br />

132 In diese Richtung etwa Hans Peter Bull, Finanzausgleich im „Wettbewerbsstaat“, DÖV 1999, S. 269<br />

(279).<br />

133 Ausführlicher Christian Waldhoff, Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Steuergesetzgebung im Vergleich<br />

Deutschland-Schweiz, 1997, S. 102 ff.


Dieser Diskurs hängt mit Faktoren zusammen, die 1867/71 zur Gründung des Bis-<br />

41<br />

marckreiches führten und seine weitere Entwicklung begleiteten. Die Schaffung eines<br />

einheitlichen Wirtschaftsgebiets, der endgültige Wegfall der innerstaatlichen Zoll-<br />

schranken und der durch rechtliche Regelungen nicht mehr gehinderte Binnenverkehr<br />

gehörten zu den (wirtschafts-)politischen Hauptforderungen des liberalen Bürgertums<br />

im 19. Jh. Hinzu kam eine ständig voranschreitende, auch räumliche Mobilisierung der<br />

Bevölkerung im Gefolge der Industrialisierung. Eine gewisse Vorherrschaft alles Wirt-<br />

schaftlichen resultierte in der zweiten Hälfte des 19. Jh. aus der politischen Marginalisie-<br />

rung des Bürgertums im Kaiserreich. Den meisten politischen Einigungsbemühungen<br />

gingen zunächst Versuche ökonomischer Einigungen voraus 134. Hinzu traten zahlreiche<br />

Abspaltungsbewegungen zu Beginn der Weimarer Epoche und die von außen kommen-<br />

den – mittelbar zentralisierend und unitarisierend wirkenden – Bedrohungen und Re-<br />

pressionen. Schließlich wurden 1948/49 betont föderalistische Ansichten der alliierten<br />

Siegermächte über die staatliche Rekonstruktion Deutschlands, soweit es möglich war,<br />

zurückgedrängt. Die ursprüngliche Fassung von Art. 72 Abs. 2 GG bildet das Schulbei-<br />

spiel 135 . Die Interessen bei den Beratungen des Grundgesetzes waren in diesen Fragen –<br />

mit Ausnahme Bayerns – eher einheitsstaatlich geprägt: Hermann Höpker-Aschoff als die<br />

prägende Gestalt der Beratungen zur Finanzverfassung besaß als ehemaliger hoher<br />

preußischer Beamter und Finanzminister eine ausgesprochen technokratisch-<br />

zentralistische Grundprägung. Seine Parteien – die DDP und die FDP – waren ohnehin<br />

stets zentralistisch orientiert 136 . Die SPD plädierte traditionell für eine zentralisierte<br />

Finanzpolitik als Bedingung der von ihr angestrebten Sozialpolitik 137 . Teile der Finanz-<br />

verfassung waren also in ihrem Entstehungsumfeld geprägt durch einen besonderen<br />

Willen nach Einheitlichkeit. Viele dieser Bestimmungsgründe sind heute entfallen oder<br />

besitzen ein geringeres Gewicht und sollten die Reformdiskussion daher nicht unnötig<br />

belasten 138 . Das Leitbild von den einheitlichen oder gleichwertigen Lebensverhältnissen<br />

134 Heidrun Abromeit, Der verkappte Einheitsstaat, 1992, S. 121.<br />

135 Michael Gruson, Die Bedürfniskompetenz, 1967, S. 18 ff.; Christian Waldhoff, Verfassungsrechtliche<br />

Vorgaben für die Steuergesetzgebung im Vergleich Deutschland-Schweiz, 1997, S. 58 ff.<br />

136 Differenziert Karl Heinz Lamberty, Die Stellung der Liberalen zum föderativen Staatsaufbau in der<br />

Entstehungsphase der Bundesrepublik Deutschland 1945-1949, Diss. phil. Bonn 1983, S. 116 ff.<br />

137 Vgl. insgesamt die Materialaufbereitung bei Hans Peter Schneider (Hrsg.), Das Grundgesetz. Dokumentation<br />

seiner Entstehung, Bd. XXV, 1997<br />

138 Vgl. auch Klaus Rennert, Der deutsche Föderalismus in der gegenwärtigen Debatte um eine Verfassungsreform,<br />

Der Staat 31 (1992), S. 269 (274).


42<br />

sollte als außerrechtlicher Faktor im Sinne eines bestimmten Vorverständnisses behan-<br />

delt werden 139.<br />

bb) Zwischenergebnis: Bedeutungslosigkeit für vorliegende Fragestellung<br />

Angesichts der Bedarfsorientierung, angesichts der allgemein verfehlten und begrenzten<br />

Direktivkraft des Postulats einheitlicher oder gleichwertiger Lebensverhältnisse im<br />

Bundesgebiet als übergreifende Staatszielbestimmung über die konkreten grundgesetz-<br />

lichen Regelungsbereiche hinaus und angesichts der ausgelaufenen Bedeutung der An-<br />

gleichung zwischen Ost und West im Gefolge der Wiedervereinigung besitzt der Topos<br />

der einheitlichen oder gleichwertigen Lebensverhältnissen im Bundesgebiet für die Lö-<br />

sung der vorliegenden Verteilungsproblematik keinerlei verfassungsrechtliche Bedeu-<br />

tung 140.<br />

c) Begrenzte Relevanz der Qualifikation als „Daseinsvorsorge“<br />

aa) Das Konzept Daseinsvorsorge – Entstehung und Entwicklung<br />

Der Begriff der Daseinsvorsorge geht auf den Staats- und Verwaltungsrechtler Ernst<br />

Forsthoff zurück und erfasste – zumindest ursprünglich – einen Teilbereich der Leis-<br />

tungsverwaltung 141. Forsthoff entwickelte den Begriff in seiner Schrift „Die Verwaltung<br />

als Leistungsträger“ 1938 142 . Danach war unter Daseinsvorsorge „die Darbringung von<br />

Leistungen, auf welche der in die modernen massentümlichen Lebensformen verwiese-<br />

ne Mensch lebensnotwendig angewiesen ist“ zu verstehen 143 . Die Entwicklung des Be-<br />

139 Stefan Oeter, Integration und Subsidiarität im deutschen Bundesstaat, 1998, S. 13 f.<br />

140 Großzügiger, aber wohl auf den Finanzausgleich i.e.S. bezogen, Dirk Hanschel, Konfliktlösung im Bundesstaat,<br />

2012, S. 228 ff.<br />

141 Ernst Forsthoff, Die Verwaltung als Leistungsträger, 1938, teilweise abgedruckt in ders., Rechtsfragen<br />

der leistenden Verwaltung, 1959, S. 22 ff. (27); Hartmut Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 18. Aufl.<br />

2011, § 1 Rdnr. 16a.<br />

142 Michael Ronellenfitsch, Daseinsvorsorge als Rechtsbegriff, in: Blümel (Hrsg.), Ernst Forsthoff, 2003, S.<br />

52 (59); umfassend jetzt Florian Meinel, Der Jurist in der industriellen Gesellschaft. Ernst Forsthoff und<br />

seine Zeit, 2011, S. 153 ff.<br />

143 Ernst Forsthoff, Rechtsfragen der leistenden Verwaltung, 1959, S. 27; später erstreckte Forsthoff den<br />

Begriff über das Lebensnotwendige hinaus auch auf weitere, für ein sinnvolles menschliches Dasein not-


43<br />

griffs der Daseinsvorsorge wurde allerdings auch dem Philosophen Karl Jaspers zuge-<br />

schrieben, der in seiner Schrift „Die geistige Situation der Zeit“ von 1931, „die Massen-<br />

ordnung in Daseinsfürsorge“ thematisierte 144. Dass Forsthoff den Begriff von Jaspers ein-<br />

fach übernommen haben könnte, wird freilich bezweifelt 145 . Schon die Urheberschaft<br />

zweier so völlig verschiedener Protagonisten wie Jaspers und Forsthoff zeigt, dass mit<br />

dem Begriff trotz des zeitlichen Umfelds nicht etwa nationalsozialistisches Gedankengut<br />

transportiert wurde. Das Modell der Daseinsvorsorge in den 1930er Jahren fußte so-<br />

wohl bei Forsthoff als auch bei Jaspers auf dem Gedanken, dass für den Menschen zur<br />

damaligen Zeit, in der „die Folgen der industriellen Revolution für die Autonomie des<br />

Individuums“ 146 besonders spürbar waren, der beherrschbare Raum (Hof, Acker, Haus)<br />

geschwunden, der zugängliche Raum jedoch – insbesondere infolge des Ausbaus des<br />

Verkehrswesens – gewachsen war; dies hatte eine zunehmende Unsicherheit des<br />

menschlichen Daseins zur Folge 147 . Mit der Verringerung des beherrschbaren Raumes<br />

hatte der Einzelne die Vorsorge für die Befriedigung der Lebensbedürfnisse aus der<br />

Hand gegeben, die Macht der modernen Verwaltung wurde dadurch erhöht. Hierdurch<br />

war eine Lage entstanden, in welcher die „Lebensgüter nicht durch die Nutzung einer<br />

eigenen Sache, sondern im Wege der Appropriation“ zugänglich gemacht werden muss-<br />

ten 148 . Diejenigen Veranstaltungen zur Befriedigung dieser Appropriation bezeichnete<br />

Forsthoff als Daseinsvorsorge 149 .<br />

wendige Leistungen und Güter im wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Bereich, vgl. Hartmut Maurer,<br />

Allgemeines Verwaltungsrecht, 18. Aufl. 2011, § 1, Rdnr. 16a.<br />

144 Vgl. Michael Ronellenfitsch, Daseinsvorsorge als Rechtsbegriff, in: Blümel (Hrsg.), Ernst Forsthoff, 2003,<br />

S. 61, Fn. 38; Matthias Knauff, Der Gewährleistungsstaat: Reform der Daseinsvorsorge, 2004, S. 25 f.<br />

145 Michael Ronellenfitsch, Daseinsvorsorge als Rechtsbegriff, in: Blümel (Hrsg.), Ernst Forsthoff, 2003, S.<br />

61; vielmehr dürften ihn die philosophischen Vorarbeiten dieser Zeit „bei der analytischen Verarbeitung<br />

und Erklärung des empirischen Befundes“ gestützt haben, die dann in die Entwicklung des Konzepts der<br />

Daseinsvorsorge mündete, vgl. Georg Hermes, Staatliche Infrastrukturverantwortung, 1998, S. 96; eingehend<br />

zu den theoretischen Vorarbeiten Matthias Knauff, Der Gewährleistungsstaat: Reform der Daseinsvorsorge,<br />

2004, S. 22 ff.<br />

146 Jens Kersten, Die Entwicklung des Konzepts der Daseinsvorsorge im Werk von Ernst Forsthoff, Der<br />

Staat 44 (2005), 543, 544.<br />

147 Ernst Forsthoff, Rechtsfragen der leistenden Verwaltung, 1959, S. 25 f.; vgl. auch Michael Ronellenfitsch,<br />

Daseinsvorsorge als Rechtsbegriff, in: Blümel (Hrsg.), Ernst Forsthoff, 2003, S. 58; Jens Kersten, Die Entwicklung<br />

des Konzepts der Daseinsvorsorge im Werk von Ernst Forsthoff, Der Staat 44 (2005), 543 (552).<br />

148 Ernst Forsthoff, Rechtsfragen der leistenden Verwaltung, 1959, S. 26; vgl. a. Michael Ronellenfitsch, Daseinsvorsorge<br />

als Rechtsbegriff, in: Blümel (Hrsg.), Ernst Forsthoff, 2003, S. 59.<br />

149 Ernst Forsthoff, Rechtsfragen der leistenden Verwaltung, 1959, S. 26; dieses Konzept mit seiner Idee<br />

der öffentlich-rechtlichen Bindung der leistenden Verwaltung, die vom Führerprinzip und vom Machtanspruch<br />

der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei getrennt bleiben sollte, passte nicht ins damalige<br />

nationalsozialistische Weltbild, was Forsthoff auch den Gegenwind der Partei einbrachte und dafür<br />

sorgte, dass der Ausdruck „Daseinsvorsorge“ nur mit Verzögerung Eingang in den juristischen Sprachgebrauch<br />

fand, vgl. Michael Ronellenfitsch , Daseinsvorsorge als Rechtsbegriff, in: Blümel (Hrsg.), Ernst<br />

Forsthoff, 2003, S. 62 f.; die Lehre an der Universität Wien wurde ihm 1942 z.B. von den Nationalsozialisten<br />

untersagt, s. Jens Kersten, Die Entwicklung des Konzepts der Daseinsvorsorge im Werk von Ernst


) Daseinsvorsorge als Rechtsbegriff?<br />

Der Begriff der Daseinsvorsorge ist „zum Allgemeingut geworden, zugleich aber auch<br />

44<br />

sowohl hinsichtlich seines inhaltlichen Umfangs als auch hinsichtlich seiner juristischen<br />

Relevanz umstritten“ 150. Er wird oftmals eher als soziologischer denn als rechtlicher<br />

Terminus aufgefasst 151 . Die Lehrbuchliteratur behandelt den Begriff entweder stiefmüt-<br />

terlich oder glaubt, er sei verzichtbar 152. Auch hierin liegt ein Grund für eine bis heute<br />

fehlende stimmige Dogmatik zur Daseinsvorsorge 153. Selbst Forsthoff musste 1959 ein-<br />

räumen, dass der Begriff zu einem „Allerweltsbegriff“ zu werden drohe, „mit dem man<br />

alles und deshalb nichts beweisen“ könne 154.<br />

(1) Definitionsansätze und Abgrenzungen<br />

Der Daseinsvorsorgebegriff umfasst soziologische Analyse, juristische Dogmatik sowie<br />

politische Zielvorstellungen 155 und könnte demnach als Verbundbegriff bezeichnet wer-<br />

den. In der damit verbundenen Reichweite spiegelt sich die Definitionsvielfalt wider: Die<br />

Ansätze reichen von „Leistungen und Vorteile allein zum Zwecke der Befriedigung eines<br />

durch die Hilfsquellen des Begünstigten oder die Arbeitsweise des Marktes nicht ge-<br />

deckten Bedürfnisses“ 156 über „für ein sinnvolles menschliches Dasein notwendige Leis-<br />

tungen und Güter im wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Bereich“ 157 bis hin zur<br />

Forsthoff, Der Staat 44 (2005), 543 (555); anzumerken ist jedoch, dass Forsthoff sich erst Ende der Dreißiger<br />

Jahre sukzessive vom Nationalsozialismus distanziert hatte, vgl. Jens Kersten, a.a.O., S. 551 ff.<br />

150 Hartmut Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 18. Aufl. 2011, § 1 Rdnr. 16a; s. a. Matthias Knauff, Der<br />

Gewährleistungsstaat: Reform der Daseinsvorsorge, 2004, S. 47: „Die Daseinsvorsorge ist heute ein nicht<br />

mehr wegzudenkender Bestandteil von Recht und Wirklichkeit […]“.<br />

151 S. etwa Fritz Ossenbühl, Daseinsvorsorge und Verwaltungsprivatrecht, DÖV 1971, 513 (515 ff.); Thorsten<br />

Franz, Gewinnerzielung durch kommunale Daseinsvorsorge, 2005, S. 12; Reiner Schmidt, Die Liberalisierung<br />

der Daseinsvorsorge, Der Staat 42 (2003), 225 (229).<br />

152 S. die Übersicht bei Michael Ronellenfitsch, Daseinsvorsorge als Rechtsbegriff, in: Blümel (Hrsg.), Ernst<br />

Forsthoff, 2003, S. 69 f.<br />

153 Vgl. Matthias Knauff, Der Gewährleistungsstaat: Reform der Daseinsvorsorge, 2004, S. 47.<br />

154 Ernst Forsthoff, Rechtsfragen der leistenden Verwaltung, 1959, Vorwort.<br />

155 Peter Badura, Die Daseinsvorsorge als Verwaltungszweck der Leistungsverwaltung und der soziale<br />

Rechtsstaat, DÖV 1966, 624 (626); Matthias Knauff, Der Gewährleistungsstaat: Reform der Daseinsvorsorge,<br />

2004, S. 45.<br />

156 Peter Michael Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, in: Schmidt-Aßmann/Schoch (Hrsg.), Besonderes<br />

Verwaltungsrecht, 14. Aufl. 2008, § 3 Rdnr. 77.<br />

157 Vgl. Hartmut Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 18. Aufl. 2011, § 1, Rdnr. 16a.


45<br />

Daseinsvorsorge als „Vorsorge zur optimalen Freiheitsverwirklichung“ 158. Letztlich kann<br />

man unter Daseinsvorsorge „die durch das Gemeinwesen sicherzustellende Versorgung<br />

mit wesentlichen Gütern und Dienstleistungen (einschließlich der Infrastruktur)“ 159<br />

verstehen. Ein wesentliches Begriffsmerkmal ist stets die Gemeinwohlorientiertheit 160 .<br />

Die Frage, welche Aufgaben im Einzelnen der Daseinsvorsorge zuzurechnen sind, steht<br />

nicht ein für alle Mal statisch fest, sondern ist grundsätzlich zeitbezogen zu beantwor-<br />

ten. Begriff und Konzept besitzen insofern ein dynamisches Element. Abzustellen ist auf<br />

den fiktiven Normalbürger 161 . Weitere Merkmale sind die Zweiseitigkeit und die Ent-<br />

geltlichkeit der zu erbringenden Güter und Dienstleistungen, um eine Abgrenzung etwa<br />

zu reinen Fürsorgeleistungen zu ermöglichen 162. Zudem sind öffentlich-rechtliche Bin-<br />

dungen zur Wahrung des Gemeinwohls bestimmendes Wesensmerkmal der Daseinsvor-<br />

sorge 163. Als Schulbeispiel für Daseinsvorsorge mag die Versorgung der Bevölkerung mit<br />

leitungsgebundener Energie dienen 164 ebenso wie die Versorgung mit Trinkwasser und<br />

die Entsorgung von Abwasser.<br />

Der Begriff Daseinsvorsorge als Teil der Leistungsverwaltung 165 ist von anderen verwal-<br />

tungsrechtsdogmatischen Begriffen abzugrenzen. Allerdings ist eine klare Grenzziehung<br />

zwischen den einzelnen Aufgabenfeldern der Verwaltung aufgrund sich teilweise über-<br />

schneidender Kriterien bisweilen schwierig. 166 Zu klären ist das Verhältnis zur staatli-<br />

chen Gewährleistungsverantwortung. Gewährleistungsverwaltung bezeichnet die staat-<br />

liche Sicherstellung der Leistungserbringung für den Bürger durch Dritte, insbesondere<br />

Privatunternehmen 167 . Insoweit erweist sie sich als Privatisierungsfolgerecht. Sie soll<br />

158 Ulrich Hösch, Die kommunale Wirtschaftstätigkeit: Teilnahme am wirtschaftlichen Wettbewerb oder<br />

Daseinsvorsorge, 2000, S. 41, 166; diese Definition als verfehlt ansehend Thorsten Franz, Gewinnerzielung<br />

durch kommunale Daseinsvorsorge, 2005, S. 13, Fn. 14; einen Überblick über die verschiedenen Ansätze<br />

nach heutigem Verständnis gibt Matthias Knauff, Der Gewährleistungsstaat: Reform der Daseinsvorsorge,<br />

2004, S. 47 ff.<br />

159 Reiner Schmidt, Die Liberalisierung der Daseinsvorsorge, Der Staat 42 (2003), 225.<br />

160 Matthias Knauff, Der Gewährleistungsstaat: Reform der Daseinsvorsorge, 2004, S. 48.<br />

161 Matthias Knauff, Der Gewährleistungsstaat: Reform der Daseinsvorsorge, 2004, S. 49.<br />

162 Ebd.<br />

163 Matthias Knauff, Der Gewährleistungsstaat: Reform der Daseinsvorsorge, 2004, S. 52.<br />

164 Georg Hermes, Staatliche Infrastrukturverantwortung, 1998, S. 95.<br />

165 Peter Badura, Die Daseinsvorsorge als Verwaltungszweck der Leistungsverwaltung und der soziale<br />

Rechtsstaat, DÖV 1966, 624 (628); Hartmut Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 18. Aufl. 2011, § 1<br />

Rdnr. 16a; Helmuth Schulze-Fielitz, Grundmodi der Aufgabenwahrnehmung, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-<br />

Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. 1, 2. Aufl. 2012, § 12 Rdnr. 39.<br />

166 Hartmut Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 18. Aufl. 2011, § 1 Rdnr. 13.<br />

167 Hartmut Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 18. Aufl. 2011, § 1 Rdnr. 16b; grundlegend Andreas<br />

Voßkuhle, Beteiligung Privater an der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben und staatliche Verantwortung,<br />

VVDStRL 62 (2003), S. 268 (307 ff.).


46<br />

einerseits multipolare Interessengeflechte zwischen Privaten und dem Staat zum Aus-<br />

gleich bringen und andererseits die Rahmenbedingungen von Märkten durch staatliche<br />

Regulierung schaffen, die einem gemeinwohlschädigenden Marktversagen vorbeugen<br />

sollen 168 . Insofern zielt der Begriff der Gewährleistungsverwaltung in eine andere Rich-<br />

tung als die in ihrer verwaltungsrechtsdogmatischen Auslegung der Leistungsverwal-<br />

tung unterfallende Daseinsvorsorge 169. Allerdings waren die vom Staat an Private über-<br />

tragenen Tätigkeiten größtenteils ursprünglich der Daseinsvorsorge als Teil der Leis-<br />

tungsverwaltung zuzuordnen 170 . Daseinsvorsorge verstanden als reine Versorgungsleis-<br />

tung kann somit zwar Gegenstand der Gewährleistungsverwaltung sein, ist jedoch nicht<br />

mit ihr gleichzusetzen.<br />

(2) Diskussion um das Konzept der Daseinsvorsorge<br />

Seit jeher sah sich der Begriff „Daseinsvorsorge“ heftiger Kritik im Schrifttum ausge-<br />

setzt, die jedenfalls entscheidenden Anteil daran gehabt haben dürfte, dass sich die von<br />

Forsthoff im Jahr 1959 171 konstatierte Durchsetzung des Begriffs bis heute nicht endgül-<br />

tig vollzogen hat. Die Kritik richtet sich vor allem auf die Konturlosigkeit und fehlende<br />

Bestimmtheit der Daseinsvorsorge 172 . Diese sei auf die große Reichweite des Begriffs<br />

zurückzuführen, die einen Bezug zu Einzelaufgaben oder eindeutigen Kriterien zur Er-<br />

mittlung derselben unmöglich mache 173 . Eine Eignung der Daseinsvorsorge als Rechts-<br />

begriff erscheine vor diesem Hintergrund fraglich. Denn ein solcher müsse als klar er-<br />

kennbarer Anknüpfungspunkt für bestimmte Rechtsfolgen dienen können 174. Zudem<br />

wird angemerkt, zur Begründung von Teilhabeansprüchen sei Daseinsvorsorge ange-<br />

sichts von Grundrechten als subjektiv-öffentlichen Rechten ungeeignet bzw. überflüs-<br />

168 Helmuth Schulze-Fielitz, Grundmodi der Aufgabenwahrnehmung, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-<br />

Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. 1, 2. Aufl. 2012, § 12 Rdnr. 51.<br />

169 Ebd.<br />

170 Vgl. Johann-Christian Pielow, Grundstrukturen öffentlicher Versorgung, 2001, S. 19, der den Begriff<br />

„öffentliche Versorgung“ aufgrund seiner „Trägerneutralität“ von dem der Daseinsvorsorge abgrenzt.<br />

171 Ernst Forsthoff, Rechtsfragen der leistenden Verwaltung, 1959, S. 9.<br />

172 Johann-Christian Pielow, Grundstrukturen öffentlicher Versorgung, 2001, S. 353: „Pauschalisierende<br />

Grobformel“; vgl. zur Kritik Michael Ronellenfitsch, Daseinsvorsorge als Rechtsbegriff, in: Blümel (Hrsg.),<br />

Ernst Forsthoff, 2003, S. 72; ders., Daseinsvorsorge und Wirtschaftlichkeit des Eisenbahnwesens, DVBl.<br />

2008, 201 (203); Matthias Knauff, Der Gewährleistungsstaat: Reform der Daseinsvorsorge, 2004, S. 46.<br />

173 Matthias Knauff, Der Gewährleistungsstaat: Reform der Daseinsvorsorge, 2004, S. 45 f.<br />

174 Matthias Knauff, Der Gewährleistungsstaat: Reform der Daseinsvorsorge, 2004, S. 46.


sig 175. Auch bedürfe es keines Rückgriffs auf den Begriff der Daseinsvorsorge bei der<br />

47<br />

Betrachtung eines konkreten Problems, da er ohnehin keine unmittelbaren Rechtsfolgen<br />

zeitige 176. Aus der Daseinsvorsorge als Staatsaufgabe 177 folgten ferner keine Rechts-<br />

pflichten des Staates bzw. hiermit korrespondierende subjektive Rechte des Einzel-<br />

nen 178 . Schließlich sei das Konzept der Daseinsvorsorge eingebettet in die Vorstellung<br />

eines autoritären Verwaltungsstaates, was jede weitere Verwendung des Begriffs er-<br />

schwere 179.<br />

Die Konsequenz des Konzepts der Daseinsvorsorge wird auch in der Möglichkeit eines<br />

„totalen Wohlfahrtsstaates“ gesehen, der die vollständige Versorgung mit wichtigen Gü-<br />

tern und Leistungen und somit das gesamte private Wirtschaftsleben ausschalten kön-<br />

ne 180. Die Deduktion aus dem Begriff Daseinsvorsorge lasse „beinahe beliebige Aufga-<br />

benverstaatlichungen zu, da die Daseinsvoraussetzungen (von den Nahrungsmitteln<br />

angefangen) individuell-eigenverantwortlich nicht mehr zu leisten“ seien 181 . Ferner sei<br />

auch eine Herleitung unmittelbarer Handlungsanweisungen aus dem Sozialstaatsprin-<br />

zip, aus dem Daseinsvorsorge gemeinhin abgeleitet werde, anerkanntermaßen nicht<br />

möglich 182 .<br />

Befürworter geben freilich zu bedenken, es sei notwendige Folge der Entwicklungsof-<br />

fenheit eines Rechtsbegriffs, dass eine scharfe Abgrenzung zu anderen Bereichen nicht<br />

möglich sei 183. Daseinsvorsorge begründe zumindest eine Verpflichtung des Staates zur<br />

Schaffung eines rechtlichen Rahmens für die Versorgung der Bevölkerung, was für die<br />

Qualifizierung als Rechtsbegriff ausreiche 184 .<br />

175 Reiner Schmidt, Die Liberalisierung der Daseinsvorsorge, Der Staat 42 (2003), 225 (229).<br />

176 Wolfgang Rüfner, Daseinsvorsorge und soziale Sicherheit, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des<br />

Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 4, 3. Aufl. 2006, § 96 Rdnr. 10; Matthias Knauff, Der<br />

Gewährleistungsstaat: Reform der Daseinsvorsorge, 2004, S. 52 m.w.N.<br />

177 Vgl. Wolfgang Rüfner, Daseinsvorsorge und soziale Sicherheit, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch<br />

des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 4, 3. Aufl. 2006, § 96 Rdnr. 16.<br />

178 Reiner Schmidt, Die Liberalisierung der Daseinsvorsorge, Der Staat 42 (2003), 225 (229 f.).<br />

179 Wolfgang Löwer, Energieversorgung zwischen Staat, Gemeinde und Wirtschaft, 1989, S. 111.<br />

180 Vgl. etwa Heinz Grossekettler, Diskussionsbeitrag, in: Hans-Uwe Erichsen, Kommunalverfassung heute<br />

und morgen – Bilanz und Ausblick –, 1989, S. 131; zusammenfassende Darstellung der Kritik bei Georg<br />

Hermes, Staatliche Infrastrukturverantwortung, 1998, S. 116 ff.<br />

181 Wolfgang Löwer, Energieversorgung zwischen Staat, Gemeinde und Wirtschaft, DVBl. 1991, 132 (137).<br />

182 Wolfgang Löwer, Energieversorgung zwischen Staat, Gemeinde und Wirtschaft, DVBl. 1991, 132 (138).<br />

183 Vgl. Matthias Knauff, Der Gewährleistungsstaat: Reform der Daseinsvorsorge, 2004, S. 46.<br />

184 Roland Maaß, Der Wettbewerb im örtlichen Personenbeförderungswesen: Möglichkeiten und Notwendigkeiten<br />

im Bereich straßengebundener Beförderung, 1998, S. 56 f.


48<br />

Daseinsvorsorge wird teilweise aus dem Rechts- und dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20;<br />

28 Abs. 1 GG) hergeleitet, um ihr rechtliche Verbindlichkeit zu verleihen 185. Die Selbst-<br />

qualifizierung der Bundesrepublik Deutschland als sozialer Rechtsstaat zwinge dazu,<br />

hieraus die gebotenen rechtlichen Konsequenzen zu ziehen 186 . Im Sozialstaat sei der<br />

Staat zur Gewährleistung sozialer Mindeststandards und adäquater Infrastruktur ver-<br />

pflichtet 187. Festzuhalten bleibt, dass der Begriff „Daseinsvorsorge“ Eingang in verschie-<br />

dene rechtliche Regelungen gefunden hat 188. Schon aus diesem Grund könne man ihm<br />

zumindest formal nicht jede rechtliche Relevanz absprechen 189 . Auch in der Rechtspre-<br />

chung tauche der Begriff nicht nur vereinzelt und nicht nur als bloße Direktive, sondern<br />

als rechtlich relevanter Ausdruck auf 190. Jedenfalls könne er als „deskriptiver Sammel-<br />

begriff für von der öffentlichen Hand durchgeführte oder veranlasste Tätigkeiten heran-<br />

gezogen werden, die der Befriedigung von Bedürfnissen breiter Bevölkerungsmassen<br />

hinsichtlich ihrer sozialen Einbindung in die Gesamtgesellschaft und ihrer Versorgung<br />

mit bestimmten, für eine zeitgemäße Lebensführung unerlässlichen Gütern und Leis-<br />

tungen dienen und auf die diese mangels eigener Erschaffungsmöglichkeit angewiesen<br />

sind“ 191 .<br />

(3) Daseinsvorsorge in der Rechtsprechung<br />

Der Begriff der Daseinsvorsorge hat in der Vergangenheit auch verschiedentlich Ver-<br />

wendung in der Rechtsprechung gefunden 192 . Daraus kann freilich keine einheitliche<br />

185 Ronellenfitsch, Daseinsvorsorge als Rechtsbegriff, in: Blümel (Hrsg.), Ernst Forsthoff, 2003, S. 74 f.<br />

186 Michael Ronellenfitsch, Daseinsvorsorge und Wirtschaftlichkeit des Eisenbahnwesens, DVBl. 2008, 201.<br />

187 Ronellenfitsch, Daseinsvorsorge als Rechtsbegriff, in: Blümel (Hrsg.), Ernst Forsthoff, 2003, S. 75 f.<br />

188 Vgl. Michael Ronellenfitsch, Daseinsvorsorge als Rechtsbegriff, in: Blümel (Hrsg.), Ernst Forsthoff, 2003,<br />

S. 73; einige Gemeindeordnungen etwa verwenden den Begriff: In Baden-Württemberg (§ 102 Abs. 1 Nr. 3<br />

GemO), Bayern (Art. 87 Abs. 1 Nr. 4 BayGO) und Thüringen (§ 71 Abs. 1 Nr. 4 KO) gilt die kommunalwirtschaftliche<br />

Subsidiaritätsklausel nur „außerhalb der kommunalen Daseinsvorsorge“; Georg Hermes, Staatliche<br />

Infrastrukturverantwortung, 1998, S. 95 verweist auf die Übernahme des Begriffs in die Gesetzessprache<br />

im Zuge der Post- und Bahnreform; s.a. § 1 Abs. 1 Regionalisierungsgesetz, in dem es heißt: „Die<br />

Sicherstellung einer ausreichenden Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im öffentlichen<br />

Personennahverkehr ist eine Aufgabe der Daseinsvorsorge“.<br />

189 Michael Ronellenfitsch, Daseinsvorsorge als Rechtsbegriff, in: Blümel (Hrsg.), Ernst Forsthoff, 2003, S.<br />

73.<br />

190 Michael Ronellenfitsch, Daseinsvorsorge und Wirtschaftlichkeit des Eisenbahnwesens, DVBl. 2008, 201.<br />

191 Matthias Knauff, Der Gewährleistungsstaat: Reform der Daseinsvorsorge, 2004, S. 47 m.w.N.<br />

192 BVerfGE 66, 248 – energiewirtschaftliche Enteignung zugunsten Privater; BVerfGE 75, 192 – Qualifikation<br />

einer Sparkasse als Daseinsvorsorge um ihre Grundrechtsfähigkeit zu verneinen; BGHZ 154, 146 –<br />

Qualifikation einer Sparkasse als Daseinsvorsorge um ihre Grundrechtsverpflichtung zu bejahen und sie<br />

damit zu zwingen, auch für die NPD ein Girokonto zu eröffnen; BVerwGE 97, 240 – von einer Gemeinde<br />

betriebene Gaststätte ist keine Daseinsvorsorge. Eine ausführliche Übersicht findet sich bei Michael Ronel-


49<br />

Linie, insbesondere hinsichtlich der (verfassungs-)rechtlichen Qualifikation der Katego-<br />

rie hergeleitet werden.<br />

cc) Zwischenfazit<br />

Hieraus lässt sich – in Verbindung mit der auch legislativen Präsenz – als Zwischener-<br />

gebnis festhalten, dass der Begriff Daseinsvorsorge einerseits rechtliche Relevanz, ande-<br />

rerseits aber auch eine charakteristische Unschärfe besitzt 193. Derartige Begriffe werden<br />

neuerdings als „Brücken-“ oder „Verbundbegriffe“ gekennzeichnet 194. Ihnen kommt vor-<br />

rangig Problemanzeigefunktion zu. In Teilbereichen entwickeln sie sich zu echten<br />

Rechtsbegriffen. Für vorliegende Fragestellung bedeutet dies: Aus der Qualifizierung als<br />

Daseinsvorsorge allein können keine (verfassungs-)rechtlichen Folgen, insbesondere<br />

keine Ansprüche oder Verpflichtungen hergeleitet werden. Dafür bräuchte es einer ex-<br />

pliziten verfassungsrechtlichen Grundlage, wie wir sie für Teilbereiche in Art. 87e Abs. 4<br />

GG finden. Für vorliegende Fragestellung ist daher deutlich zwischen der Funktion des<br />

Begriffs „Daseinsvorsorge“ als (politischer) „Argumentationstopos“ 195 einerseits, der<br />

Frage nach daraus herzuleitenden verfassungsrechtlichen Ansprüchen andererseits zu<br />

unterscheiden. Aus der Verwendung in § 1 Regionalisierungsgesetz kann, da es sich um<br />

eine einfachrechtliche Festschreibung handelt, zumindest verfassungsrechtlich nichts<br />

hergeleitet werden. Zusammengefasst: Die hier skizzierten Verteilungsmaßstäbe, insbe-<br />

sondere das Bemühen, jeglichen „Nebenfinanzausgleich“ zu unterbinden, kann durch die<br />

Berufung auf den Argumentationstopos „Daseinsvorsorge“ nicht erschüttert werden.<br />

lenfitsch, Daseinsvorsorge als Rechtsbegriff, in: Blümel (Hrsg.), Ernst Forsthoff, 2003, S. 81 f., hier Fn. 123<br />

und 124; nach Wolfgang Löwer, Energieversorgung zwischen Staat, Gemeinde und Wirtschaft, DVBl. 1991,<br />

132 (136 f.) habe die Rechtsprechung (bis 1991 jedenfalls) den Begriff der Daseinsvorsorge in zwei Argumentationszusammenhängen<br />

verwendet. Einen Argumentationsstrang stelle insoweit das Verwaltungsprivatrecht<br />

dar. Erwerbswirtschaftliche Tätigkeit des Staates bzw. der Kommunen seien nach dem<br />

Subsidiaritätsgebot nur in Bereichen der Daseinsvorsorge möglich. Andererseits qualifiziere „Daseinsvorsorge“<br />

das staatliche Leistungsangebot als öffentlich-rechtlich, vgl. hierzu auch BGHZ 52, 325, 328.<br />

193 Klare Einordnung als Rechtsbegriff etwa bei Michael Ronellenfitsch, Daseinsvorsorge als Rechtsbegriff,<br />

in: Blümel (Hrsg.), Ernst Forsthoff, 2003, S. 73 ff.<br />

194 Vgl. für den Begriff der Nachhaltigkeit Wolfgang Kahl, Nachhaltigkeit als Verbundbegriff, 2008.<br />

195 Georg Hermes, Staatliche Infrastrukturverantwortung, 1998, S. 129.


IV. Rechtsschutzfragen<br />

50<br />

Als Klagemöglichkeit kommt zunächst ein Bund-Länder-Streit nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 3<br />

GG i.V.m. §§ 13 Nr. 7; 68 ff. BVerfGG in Betracht. Den Bund trifft die oben im materiell-<br />

rechtlichen Teil des Gutachtens herausgearbeitete Pflicht zur Gesetzgebung und zur<br />

Maßstabskonkretisierung. Wie ebenfalls gezeigt wurde, bedeutet dies jedoch nicht die<br />

Festlegung des Grundgesetzes auf einen konkreten Verteilungsmaßstab. Das Dilemma<br />

besteht darin, dass einerseits bestimmte maßstäbliche Kriterien verlangt, andere jedoch<br />

ausgeschlossen sind, dass aber insgesamt die Konkretisierung letztlich nur „von unten“<br />

erfolgen kann, d.h. durch einen konkreten Gesetzesvorschlag. Diesen müsste der Bund,<br />

falls er nicht über den Bundesrat kommt, erstellen und dabei seine oben entwickelte<br />

Position als „ehrlicher Makler“ zwischen den Ländern ausfüllen.<br />

Bei einer etwaigen verfassungsgerichtlichen Überprüfung des revidierten Gesetzes im<br />

Wege einer Normenkontrolle, Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG i.V.m. §§ 13 Nr. 6; 76 ff. BVerfGG<br />

oder Art. 100 Abs. 1 GG i.V.m. §§ 13 Nr. 11; 80 ff. BVerfGG, könnte der Gesetzesinhalt,<br />

d.h. vorrangig die tatsächlich gewählten Maßstäbe verfassungsgerichtlich überprüft<br />

werden. Antragsberechtigt wäre bei der abstrakten Normenkontrolle in jedem Fall auch<br />

die nordrhein-westfälische Landesregierung. Bei einem Bund-Länder-Streit ist zudem<br />

die sechsmonatige Antragsfrist gem. § 69 i.V.m. § 64 Abs. 3 BVerfGG zu beachten, die mit<br />

Bekanntwerden der angegriffenen Maßnahme des Bundes zu laufen beginnt, etwa auch<br />

seines Unterlassens. Diese Frist dürfte freilich im Vorfeld eines Gesetzgebungsverfah-<br />

rens – hier: Revision des Regionalisierungsgesetzes – noch nicht laufen.<br />

VI. Ergebnisse zum Regionalisierungsgesetz und seiner Revision<br />

1. Art. 106a GG erweist sich als Verfassungsauftrag zur Gesetzgebung, nicht ledig-<br />

lich als Kompetenznorm, die ausgefüllt werden kann oder auch nicht. Da Bundes-<br />

gesetzgebungskompetenz angeordnet ist, ist der Bund aufgerufen von seinem<br />

Gesetzesinitiativrecht Gebrauch zu machen; über den Bundesrat könnte lediglich<br />

eine Ländermehrheit aktiv werden und das würde bereits das Gleichgewicht zwi-<br />

schen den betroffenen Ländern stören.


51<br />

2. Aus dem Zusammenwirken der Postulate der Bundestreue und der föderativen<br />

Gleichbehandlung treffen den Bund darüber hinausgehend besondere Pflichten.<br />

Die Gleichbehandlung der Länder mit unterschiedlichen Interessen kann nur<br />

über eine Maßstabsbildung hinsichtlich der zu treffenden Verteilungsentschei-<br />

dung gelingen. In Anlehnung an das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum<br />

sog. Maßstäbegesetz im bundesstaatlichen Finanzausgleich gewährleistet vorlie-<br />

gend nur eine solche, vom Bund initiierte Maßstabsbildung die Durchführung des<br />

Gesetzgebungsauftrags bei Wahrung des Postulats föderaler Gleichheit. In der<br />

abstrakten Maßstabsbildung zeigen sich verallgemeinerungsfähige Kriterien, die<br />

Sachgerechtigkeit und damit das Fehlen von Willkür bei der Verteilung verdeutli-<br />

chen. „Gegriffene“ Betragszuteilungen würden diesen verfassungsrechtlichen<br />

Maßstäben nicht gerecht.<br />

3. Art. 106a GG enthält selbst keine Verteilungsmaßstäbe. Es sind grundsätzlich<br />

verschiedene Indikatoren denkbar. Ausgeschlossen, weil nicht bedarfsgerecht,<br />

wäre eine unveränderte Fortführung des bestehenden Verteilungsschlüssels;<br />

ebensowenig bedarfsgerecht wäre das Zugrundelegen der gerade bestehenden<br />

Verträge, mit denen die Länder Verkehrsdienstleistungen bestellen. Der Nor-<br />

merwartung des Art. 106a GG entspricht eine Anreicherung der Einwohnerzahl<br />

des jeweiligen Landes mit objektivierten verkehrswissenschaftlichen Indikato-<br />

ren, welche die Bedarfe konkretisieren. Kommt es zu keiner Einigung auf einen<br />

Verteilungsmaßstab stünde in jedem Fall als Rückfallposition noch die ungewich-<br />

tete Einwohnerzahl des jeweiligen Landes zur Verfügung. Diese besitzt nicht nur<br />

ein hohes Maß an Plausibilität und wird auch an anderen Stellen in der Finanz-<br />

verfassung als Verteilungsmaßstab herangezogen, sie wäre als Verteilungs-<br />

schlüssel auch mit Art. 106a GG vereinbar.<br />

4. Art. 106a GG gehört nicht zum Finanzausgleich i.e.S., wie er sich in den Art. 106<br />

und 107 GG niederschlägt. Damit nimmt er auch nicht an der auf Finanzkraftaus-<br />

gleich ausgerichteten Finalität dieses allgemeinen Finanzausgleichs teil.<br />

5. Die auf der Grundlage von Art. 106a GG zu treffende Verteilungsentscheidung hat<br />

sich an (objektivierten) Bedarfskriterien zu orientieren. Die unterschiedliche Fi-<br />

nanzkraft der beteiligten Länder ist ein von Verfassungs wegen unzulässiges Ar-


52<br />

gument in diesem Zusammenhang, da die Norm gerade nicht unterschiedliche fi-<br />

nanzielle Leistungsfähigkeit ausgleichen soll. Alles andere wäre eine Umgehung<br />

der Vorgaben des Finanzausgleichs.<br />

6. Die Höhe der zu verteilenden Mittel unterliegt nicht der gleichen verfassungs-<br />

rechtlichen Bindung wie die Verteilungsmaßstäbe. Gleichwohl darf ein bestimm-<br />

tes, schwer zu konkretisierendes Niveau, das etwa in der Gesamthöhe der seiner-<br />

zeit ausgehandelten Beträge eischließlich eines Dynamisierungsfaktors liegt,<br />

nicht unterschritten werden.<br />

7. Die Grundanliegen der Bahnreform gelten auch für den Nahverkehr. Das Anlie-<br />

gen, mehr Rationalität und Verantwortlichkeit der Aufgabenträger zu erreichen,<br />

darf nicht durch die Regionalisierung konterkariert werden. Anliegen in Bezug<br />

auf den Nahverkehr und seine Finanzierung war es gerade, Transparenz dahin-<br />

gehend zu schaffen, dass im Grundsatz derjenige zahlt, der die Leistung bestellt.<br />

Dies darf durch zusätzliche Überlegungen in Richtung eines speziellen Finanz-<br />

ausgleichs nicht ausgehebelt werden. Eine solche Gefahr besteht insbesondere<br />

durch die gezielte Auswahl verkehrswissenschaftlicher Indikatoren zur Ergän-<br />

zung der Einwohnerzahl als Indikator. Jeglicher falsche Anreiz ist durch die Her-<br />

anziehung der Indikatoren zu vermeiden.<br />

8. Aus den Postulaten „gleichwertiger“ oder gar „einheitlicher Lebensverhältnisse“<br />

ist verfassungsrechtlich hier nichts zu gewinnen. Auch die Qualifikation des Nah-<br />

verkehrs als „Daseinsvorsorge“ im (einfachrechtlichen) Regionalisierungsgesetz<br />

führt nicht zu abweichenden verfassungsrechtlichen Beurteilungen. Daseinsvor-<br />

sorge ist eher ein politisches Schlagwort, als eine operationable verfassungs-<br />

rechtliche Kategorie.<br />

9. Auch die Qualifikation des Personennahverkehrs als „Daseinsvorsorge“ ändert an<br />

den hier vorkonturierten verfassungsrechtlichen Verteilungsmaßstäben nichts,<br />

da der Begriff in der dem Gutachten zugrundeliegenden Diskussion als politi-<br />

sches Schlagwort und nicht als präziser verfassungsrechtlicher Rechtsbegriff<br />

Verwendung findet. Die Qualifikation in § 1 Regionalisierungsgesetz kann als ein-<br />

fachrechtliche Setzung die verfassungsrechtliche Beurteilung nicht verändern.


53<br />

10. Als Verfassungsrechtsbehelfe kommen ein Bund-Länder-Streit hinsichtlich der<br />

Pfichten des Bundes sowie die Normenkontrollverfahren hinsichtlich des Geset-<br />

zesinhalts in Betracht.<br />

D. Verteilungsmaßstäbe zur Fortführung der Kompensationsleistun-<br />

gen des Bundes gem. Art. 143c GG<br />

I. Entstehungsgeschichtlicher Hintergrund von Art. 143c GG<br />

Art. 143 c GG ist eine Norm, die im Zusammenhang mit der Entflechtung von Mischfi-<br />

nanzierungen durch die Föderalismusreform I im Jahr 2006 in das Grundgesetz gelangt<br />

ist. Daher soll zunächst der finanzverfassungsrechtliche Tatbestand der Mischfinanzie-<br />

rung im Bundesstaat rekapituliert werden (unter 1.) bevor die durch die Föderalismus-<br />

reform I initiierten Neuregelungen in das Blickfeld geraten (unter 2.). Schließlich ist Art.<br />

143c GG in diesem Feld zu verorten und auszulegen (unter 3.).<br />

Mischfinanzierung bedeutet, dass eine Aufgabe durch Bund und Länder gemeinsam fi-<br />

nanziert wird 196 . Auch die – grundsätzlich als Teil der Länder anzusehenden 197 – Ge-<br />

meinden können beteiligt sein. Mischfinanzierungen treten vor allem – wenn auch nicht<br />

nur 198 – in solchen bundesstaatlichen Ordnungen auf, in denen – wie im Grundgesetz –<br />

die Kompetenzverteilung zwischen Zentral- und Gliedstaaten funktionenorientiert er-<br />

folgt, d.h. dass nicht einer Gebietskörperschaft sämtliche Staatsfunktionen (Rechtset-<br />

zung, Vollziehung, Rechtsprechung und Finanzierung) in Bezug auf eine Sachaufgabe<br />

einheitlich zugewiesen werden 199 . Mischfinanzierungen stellen sich ferner als Ausprä-<br />

gung eines bestimmten Föderalismusverständnisses dar, bei dem nicht die klare Aufga-<br />

196 Rolf Borell, Mischfinanzierungen, 1981, S. 9.<br />

197 BVerfGE 86, 148 (215); Hans-Günter Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl.<br />

2000, Rdnr. 826; Helmut Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 6. Aufl. 2011, vor Art. 104a<br />

Rdnr. 9 f.<br />

198 Hauptbeispiel für ein ähnliches Problem bei andersartiger Struktur der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung<br />

bilden die USA mit den zahlreichen Bundeshilfen an die Gliedstaaten.<br />

199 Zu dieser Unterscheidung etwa Christian Waldhoff, Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Steuergesetzgebung<br />

im Vergleich Deutschland-Schweiz, 1997, S. 80 ff.; Stefan Korioth, Neuordnung der Bund-<br />

Länder-Finanzbeziehungen? ZG 2007, S. 1 (3 f.).


54<br />

bentrennung, sondern die Kooperation der verschiedenen Ebenen des Bundesstaats im<br />

Vordergrund steht. Solche kooperativen, die Ebenentrennung durchbrechenden Ele-<br />

mente in der Kompetenzstruktur waren und sind nicht auf die Finanzverfassung be-<br />

schränkt. Die durch die Föderalismusreform 2006 200 abgeschaffte Rahmengesetzge-<br />

bungskompetenz des Art. 75 GG verlangte oder ermöglichte eine gemeinschaftliche ge-<br />

setzliche Regelung in bestimmten Sachbereichen; die Gemeinschaftsaufgaben der Art.<br />

91a f. GG regelten und regeln noch vor Fragen einer Mischfinanzierung eine von der Ver-<br />

fassung geforderte oder zumindest ermöglichte Form der Mischverwaltung 201 ; im Be-<br />

reich der dritten Gewalt besteht im Instanzenzug mit den fünf obersten Bundesgerich-<br />

ten als Revisionsgerichten ohnehin eine eigengeartete Verschränkung der Rechtspre-<br />

chung von Ländern und Bund.<br />

Art. 104a Abs. 1 GG stellt nach allgemeiner Ansicht ein grundsätzliches Verbot der<br />

Mischfinanzierung unter dem GG dar; Ausnahmen müssen in der Verfassung selbst zu-<br />

gelassen sein 202 . Bis zur ersten Stufe der Föderalismusreform waren dies v.a. Art. 91a<br />

Abs. 4; 91b Satz 2 sowie Art. 104a Abs. 3 und 4 GG. Diese Bestimmungen waren Ände-<br />

rungen durch die Föderalismusreform 2006 ausgesetzt.<br />

Die weiteren in diesem Zusammenhang relevanten Normen des Art. 106 Abs. 8 (Aus-<br />

gleich bundesrechtlich veranlasster besonderer Aufgaben); 106a (Finanzierungszu-<br />

schüsse zum öffentlichen Personennahverkehr) und des Art. 120 GG (Bundesfinanzie-<br />

rungslasten bei Kriegsfolgelasten und im Bereich der Sozialversicherung) bleiben im<br />

Folgenden außer Betracht.<br />

Im Folgenden sollen zunächst Entstehung und Entwicklung der Mischfinanzierungstat-<br />

bestände unter dem Grundgesetz nachgezeichnet werden (unter a), bevor die Änderun-<br />

gen des Jahres 2006 zu analysieren sind (unter b).<br />

200 Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28. August 2006, BGBl. I, 2034; Föderalismusreform-<br />

Begleitgesetz vom 5. September 2006, BGBl. I, 2098.<br />

201 Uwe Volkmann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 3, 6. Aufl. 2010, Art.<br />

91a Rdnr. 32 sieht in der Verknüpfung ein „Wesen der Gemeinschaftsaufgaben“.<br />

202 BVerfGE 26, 338 (390 f.); BVerwGE 44, 351 (364); 81, 312 (314); BGH, NJW 1987, 1625 (1627); Klaus<br />

Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, 1980, S. 1141; Rainer Prokisch, in:<br />

Kahl/Waldhoff/Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 104a Rdnr. 116; Werner Heun,<br />

in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Bd. 3, 2. Aufl. 2008, Art. 104a Rdnr. 17.


55<br />

1. Entwicklung der Mischfinanzierungstatbestände<br />

Der 1969 eingefügte Art. 104a GG stellt die erste ausdrückliche Regelung einer föderalen<br />

Finanzierungskompetenz in der deutschen Verfassungsgeschichte dar 203 . Finanzie-<br />

rungskompetenz wird hier als Oberbegriff für Finanzierungslast und Finanzierungsbe-<br />

fugnis verwendet: Finanzierungslast (Ausgabenlast; Finanzaufgabe) meint die Pflicht,<br />

bestimmte Ausgaben zu tragen; Finanzierungsbefugnis thematisiert das Problem, ob eine<br />

Ebene Mittel für eine bestimmte Aufgabe bereitstellen darf 204 . Zumeist fallen beide Ka-<br />

tegorien zusammen, müssen dies jedoch nicht.<br />

Die Reichsverfassung von 1871, die WRV, wie auch das Grundgesetz bis zur Finanzver-<br />

fassungsreform 1955, gingen implizit vom „Grundsatz der synchronisierten Aufgaben-<br />

und Finanzverteilung“ 205 aus. Das Finanzverfassungsgesetz 1955 206 sprach in dem neu<br />

gestalteten und bis 1969 geltenden Art. 106 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 davon, dass „Bund und<br />

Länder … gesondert die Ausgaben, die sich aus der Wahrnehmung ihrer Aufgaben erge-<br />

ben“ „tragen“. Diese ohnehin in anderem Zusammenhang (der Revision der Verteilung<br />

des Aufkommens von Einkommen- und Körperschaftsteuer zwischen Bund und Län-<br />

dern) getroffene Regel wurde zwar als verallgemeinerungsfähig anerkannt 207, konnte<br />

die Ausbreitung der um sich greifenden sog. Fondsverwaltung 208 , d.h. der Dotation be-<br />

stimmter Aufgaben und Projekte der Länder durch Bundesmittel, nicht steuern 209 . Die<br />

Landeskompetenzen waren dadurch im Kern berührt. Die Hingabe von Finanzmitteln<br />

impliziert – gemäß der Volksweisheit „wer zahlt, schafft an“ – als „Angebotsdiktatur“<br />

stets auch wesentliche inhaltliche Einflussnahme auf die Politik des Empfängers. Zudem<br />

wurden durch mischfinanzierte Projekte zusätzliche Haushaltsmittel der Länder gebun-<br />

den, die für autonome Landespolitik nicht mehr zur Verfügung standen: „Die Unterfi-<br />

nanzierung der finanzschwachen Länder führte zu wachsenden Abhängigkeiten vom<br />

Bund, und in der Folge zu einem auch für Experten kaum mehr überschaubaren Kom-<br />

203 Irene Kesper, Bundesstaatliche Finanzordnung, 1998, S. 74.<br />

204 Hans Herbert von Arnim, Finanzzuständigkeit, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR IV, 2. Aufl. 1999, § 103<br />

Rdnr. 10; Werner Heun, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Bd. 3, 2. Aufl. 2008, Art. 104a Rdnr.<br />

17.<br />

205 Friedrich Klein, Von der föderativen zur stärker unitarischen Gestaltung des Finanzwesens in der Bundesrepublik<br />

Deutschland, in: FS Giese, 1953, S. 61 (90).<br />

206 Vom 23. Dezember 1955, BGBl. I, 817.<br />

207 BVerfGE 26, 338 (389 f.): „Der Vorschrift kommt … die Bedeutung einer allgemeinen, das<br />

Bund/Länder-Verhältnis im ganzen bestimmenden Lastenverteilungsregel zu. … Der am 1. Januar 1970 in<br />

Kraft tretende Art. 104a Abs. 1 GG … enthält insofern nur eine Klarstellung …“<br />

208 Vgl. Gunther Kisker, Kooperation im Bundesstaat, 1971, S. 34 ff.<br />

209 Werner Heun, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Bd. 3, 2. Aufl. 2008, Art. 91a Rdnr. 2.


56<br />

plex von Mischfinanzierungen, durch die der Bund in die Aufgabenbereiche der Länder<br />

eindrang. Faktisch entwickelte sich damit abseits der Zuständigkeitsregelung des<br />

Grundgesetzes eine ‚Grauzone’, die von nahezu allen Beteiligten als kritikwürdig emp-<br />

funden wurde.“ 210 Die in zwei Stufen durchgeführte sog. Große Finanzreform 1967/69<br />

stellte die Antwort auf die geschilderte Situation durch den Versuch einer Verrechtli-<br />

chung des parakonstitutionellen Zustands dar 211. Ausgehend von einem klaren Konzept<br />

– dem sog. kooperativen Föderalismus – sollte unter Zugrundelegung des Leitbilds des<br />

„unitarischen Bundesstaats“ 212 und vor dem Hintergrund eines sozialtechnokratischen<br />

Politikverständnisses der Plan- und Machbarkeit, verbunden mit einem keynesianischen<br />

ökonomischen Ansatz die bundesstaatliche Ordnung und vor allem die bundesstaatliche<br />

Finanzverfassung den Anforderungen des international verflochtenen modernen Sozial-<br />

staats, d.h. den „Anforderungen der Zeit“, angepasst werden 213. Stefan Oeter hat den Hin-<br />

tergrund des Gutachtens und der Reform treffend charakterisiert: „Die theoretischen<br />

Prämissen dieses Konzeptes aber waren nicht weniger Produkte der Zeit als die Interes-<br />

senlagen der letztlich den Kompromiss bestimmenden politischen Akteure. Das von<br />

Tradition aus unitarische Denken der intellektuellen und administrativen Eliten<br />

Deutschlands ging hier ein Bündnis ein mit den intellektuellen Moden der Zeit, der Pla-<br />

nungs- und Verflechtungseuphorie der späten Sechziger Jahre, unter dem Einfluss auch<br />

bestimmter Vorbilder des verbündeten Auslands, wie ‚planification’ und ‚cooperative<br />

federalism’.“ 214 Die Krönung der möglichst flexibel zu gestaltenden, neuen Zusammen-<br />

arbeitsformen von Bund und Ländern sollten die Gemeinschaftsaufgaben sein. Wurde<br />

von der Troeger-Kommission noch eine durch Bundesgesetz auszufüllende Generalklau-<br />

sel vorgeschlagen, setzte sich in den Gesetzesberatungen in deutlicher Abschwächung<br />

dieses Entwurfs ein abschließender Katalog für die einer gemeinsamen Wahrnehmung<br />

geeigneten Sachmaterien in Form der bis September 2006 geltenden Art. 91a, b GG a.F.<br />

210 Stefan Oeter, Integration und Subsidiarität im deutschen Bundesstaat, 1998, S. 275.<br />

211 Vgl. die Darstellung bei Ingo von Münch, Gemeinschaftsaufgaben im Bundesstaat, VVDStRL 31 (1973),<br />

S. 51 (52 ff.).<br />

212 Konrad Hesse, Der unitarische Bundesstaat, 1962, mit der einseitigen Betonung der Funktion der vertikalen<br />

Gewaltenteilung.<br />

213 Die Reform wurde durch das sog. Troeger-Gutachten vorbereitet: Kommission für die Finanzreform,<br />

Gutachten über die Finanzreform in der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 1966; gute Darstellung und<br />

Charakterisierung bei Stefan Oeter, Integration und Subsidiarität im deutschen Bundesstaat, 1998, S. 274<br />

ff.<br />

214 Ebd., S. 290; zur traditionell zentralistischen Grundprägung vieler Akteure und Diskussion der Finanzverfassung<br />

und ihren Hintergründen in je unterschiedlichen Zusammenhängen Christian Waldhoff, Verfassungsrechtliche<br />

Vorgaben für die Steuergesetzgebung im Vergleich Deutschland-Schweiz, 1997, S. 81 ff.;<br />

ders., Reformperspektiven im Finanzrecht, Die Verwaltung 39 (2006), S. 155 (167 ff.); ders., Grundzüge<br />

des Finanzrechts des Grundgesetzes, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik<br />

Deutschland, Bd. 5, 3. Aufl. 2007, § 116 Rdnr. 79 .


57<br />

durch. Die Fondsverwaltung wurde durch Art. 104a Abs. 1 GG verfassungsrechtlich ein-<br />

gebunden. Zugleich wurden jedoch – neben den Gemeinschaftsaufgaben – in den Absät-<br />

zen 3 und 4 explizite Durchbrechungen normiert. Bei den Gemeinschaftsaufgaben muss<br />

das Element der Mischfinanzierung – notwendig verbunden mit der gemeinsamen Rah-<br />

menplanung als Form zulässiger Mischverwaltung – als das Hauptmotiv angesehen<br />

werden 215. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hatte schon bald Gele-<br />

genheit die ärgsten Übertreibungen im Zusammenhang mit den Neuregelungen am Bei-<br />

spiel der Investitionshilfekompetenz des Art. 104 Abs. 4 GG a.F. einzuschränken. In den<br />

Urteilen zum Städtebauförderungsgesetz 216 und zur Strukturförderung 217 war das Ge-<br />

richt der nahe liegenden Tendenz entgegengetreten, Art. 104a Abs. 4 GG a.F. als Legiti-<br />

mation einer pauschalen Fortführung der überkommenen Dotationspraxis des Bundes<br />

zu sehen und hatte den Ausnahmecharakter der Vorschrift betont. Trotz dieser Ansätze<br />

und trotz des Haushaltsvorbehalts in Art. 91a Abs. 4 Satz 4 GG a.F. konnte die „Ange-<br />

botsdiktatur“ des Bundes –seine berühmten „goldenen Zügel“, an denen er die Länder<br />

führte mit den Folgen einer weitgehenden Entmachtung der Landesparlamente auf-<br />

grund der exekutiv ausgehandelten, zu weitreichenden faktischen Bindungen führenden<br />

Projekte – kaum aufgehalten werden. In den Worten Fritz Ossenbühls: „Kooperativer<br />

Föderalismus ist Exekutivföderalismus, weil die Entscheidungsergebnisse durch admi-<br />

nistrative Gremien ausgehandelt und faktisch festgelegt werden. … Damit ist das parla-<br />

mentarische Entscheidungssystem als Ganzes berührt. Der kooperative Föderalismus<br />

führt als Exekutivföderalismus zum ‚oligarchischen Bundesstaat’ (Gunter Kisker).“ 218 . In<br />

der Tendenz erwiesen und erweisen sich Mischfinanzierungen als ausgabensteigernd,<br />

nicht als ausgabenbegrenzend 219. Die in den Gemeinschaftsaufgaben und in den sonsti-<br />

gen Mischfinanzierungstatbeständen angestrebte Politikverflechtung hat in die „Politik-<br />

verflechtungsfalle“ (Fritz W. Scharpf), d.h. letztlich in eine moderne Form obrigkeits-<br />

staatlicher Exekutivherrschaft ohne für den Bürger sichtbar zurechenbare oder durch-<br />

schaubare Verantwortlichkeiten mit entsprechenden Auswirkungen auf die demokrati-<br />

sche Sanktion des Wählers geführt.<br />

215 Werner Heun, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Bd. 3, 2. Aufl. 2008, Art. 91a Rdnr. 32.<br />

216 BVerfGE 39, 96 (107 ff.).<br />

217 BVerfGE 41, 291 (304 ff.).<br />

218 ####, S. 1235; treffende Gefahrendiagnose auch in BVerfGE 39, 96 (107).<br />

219 Rolf Borell, Mischfinanzierungen, 1981, S. 42 ff.


58<br />

2. Änderungen durch die Föderalismusreform I<br />

Es gehörte zur ausdrücklichen Agenda der Föderalismuskommission, „die Finanzbezie-<br />

hungen (insbesondere Gemeinschaftsaufgaben und Mischfinanzierung) zwischen Bund<br />

und Ländern [zu] überprüfen“ 220 , galten Gemeinschaftsaufgaben und Mischfinanzierung<br />

doch als Hort bundesstaatlicher Verflechtung, als „geradezu prototypisch für das Kon-<br />

zept eines kooperativen Föderalismus“ und standen damit unter dem Generalverdacht,<br />

„der Verantwortungsvermischung und Ineffizienz Vorschub zu leisten“ 221 . Gleichwohl<br />

wurden Gemeinschaftsaufgaben beibehalten. Sie wurden allerdings „modernisiert“ und<br />

„entbürokratisiert“ 222: In Art. 91a Abs. 1 GG n.F. wurde die alte Ziffer 1, den Hochschul-<br />

bau betreffend, gestrichen und verändert in Art. 91b GG n.F. aufgenommen, aus den ech-<br />

ten Gemeinschaftsaufgaben somit entfernt. Die Regelung der Ausgabentragung ist von<br />

Abs. 4 in Abs. 3 des Art. 91a vorgezogen, in der Sache jedoch unverändert geblieben. Das<br />

Zurückdrängen des Hochschulbaus erklärt sich aus der Beendigung der Expansion der<br />

Hochschulen. Die Finanzierungsprobleme liegen z.Z. eher in der Unterhaltung der ge-<br />

bauten Hochschulen und ihrer Gebäude, als in der Notwendigkeit von Neubauten. Grö-<br />

ßere Änderungen haben sich im Rahmen der unechten Gemeinschaftsaufgaben bei Art.<br />

91b GG ergeben: „Bildungsplanung“ sowie „Förderung von Einrichtungen und Vorhaben<br />

der wissenschaftlichen Forschung von überregionaler Bedeutung“ in der alten Fassung<br />

sind ersetzt worden durch einen dreiziffrigen Katalog der betroffenen Materien: „1. Ein-<br />

richtungen und Vorhaben der wissenschaftlichen Forschung außerhalb von Hochschu-<br />

len; 2. Vorhaben der Wissenschaft und Forschung an Hochschulen; 3. Forschungsbauten<br />

an Hochschulen einschließlich Großgeräten“ in der neuen Fassung. Im Bereich der nun-<br />

mehr in Abs. 3 geregelten Regelung zur „Kostentragung“ tritt dieser Begriff an den ur-<br />

sprünglich verwendeten Passus „Aufteilung der Kosten“, der nach überwiegender Mei-<br />

nung die jetzt ermöglichte Alleinfinanzierung durch den Bund versperrte. Die finanzielle<br />

Entlastung der Länder wird hier mit einer Steigerung des Einflusses des Bundes er-<br />

kauft 223 . Weiter ungeklärt bleibt die Streitfrage, ob im Rahmen der Förderziele des Art.<br />

91b GG über die Zweckausgaben auch Verwaltungsausgaben erfasst werden können.<br />

220 BT-Drs. 15/1685.<br />

221 Edzard Schmidt-Jortzig, Die fehlgeschlagene Verfassungsreform, ZG 2005, S. 16 (26): Art. 91a GG a.F. als<br />

„Hort an Intransparenz, bürokratischem Aufwand, ökonomischer Unwirksamkeit und rechnungsprüferischer<br />

Resistenz“.<br />

222 Johannes Hellermann, in: Starck, Föderalismusreform, München 2007, Rdnr. 279, 285.<br />

223 Vgl. Irene Kesper, Reform des Föderalismus in der Bundesrepublik Deutschland, NdsVBl. 2006, S. 145<br />

(152).


59<br />

Auch im Hinblick auf Art. 104a GG wurde die Grundkonzeption nicht verändert. Der die<br />

verfassungspolitische Diskussion bisher stark bestimmende Bundesdurchgriff auf die<br />

Kommunen ist auch und gerade hinsichtlich der Finanzierungslast durch Art. 84 Abs. 1<br />

Satz 7; 85 Abs. 1 Satz 2 GG n.F. entschärft worden. Entsprechendes gilt für die – dem<br />

Postulat der Entflechtung allerdings zuwiderlaufende – neugeschaffene Zustimmungs-<br />

pflicht des Bundesrats bei Geldleistungsgesetzen, an deren Kosten die Länder beteiligt<br />

sind (Art. 104a Abs. 4 GG n.F.). Damit war auch der Druck zum Übergang auf von der<br />

Verwaltungsanknüpfung zur Gesetzeskausalität im Rahmen des Konnexitätsprinzips<br />

zumindest vermindert. Die offene Flanke der Finanzhilfen des Bundes wurde durch den<br />

neueingefügten Art. 104b, der an die Stelle des alten Art. 104a Abs. 4 GG tritt, vermin-<br />

dert: Diese dürfen nur noch befristet und degressiv gestaffelt und nur in Bereichen, in<br />

denen dem Bund eine Gesetzgebungskompetenz zusteht 224, geleistet werden. Durch den<br />

Bund initiierte Schulversuche oder sein „Ganztagsschulprogramm“ wären mangels Bun-<br />

deszuständigkeit im Schulbereich damit nicht mehr zulässig 225.<br />

Das Kompromisshafte der Veränderungen bei den Mischfinanzierungen wird besonders<br />

in den langfristigen, nicht unproblematischen Übergangsregelungen (Art. 143c GG) 226<br />

sowie im ausführenden sog. Entflechtungsgesetz deutlich 227 .<br />

Die finanzverfassungsrechtlichen Neuregelungen und darin die Veränderung der Misch-<br />

finanzierungstatbestände durch die Föderalismusreform I sind in der Literatur auf Kri-<br />

tik gestoßen: Die Reform habe stets durch das Fehlen einer Grundsatzdiskussion her-<br />

vorgerufener Konzeptionslosigkeit gelitten, sie sei von Anfang an – neben „Verlegens-<br />

heitsformeln“ wie „Modernisierung“ oder „Anpassung an geänderte Rahmenbedingun-<br />

gen“ – durch teilweise widersprüchliche Vorgaben geprägt gewesen, die sich in ambiva-<br />

lenten Signalen von Entflechtung und erneuter Verflechtung geäußert hätten 228 . Im Hin-<br />

blick auf die Mischfinanzierung wird das Ergebnis angesichts des ursprünglichen Vor-<br />

224 Ausgeschlossen ist nach Art. 104b Abs. 1 GG die Förderung im Bereich ausschließlicher Gesetzgebungszuständigkeit<br />

der Länder; unklar ist, ob im Bereich der konkurrierenden Zuständigkeit die Erforderlichkeitsklausel<br />

des Art. 72 Abs. 2 GG greift; dies dürfte zu bejahen sein, wie die Formulierung „soweit<br />

dieses Grundgesetz ihm Gesetzgebungsbefugnisse verleiht“ nahelegt; a.A. Irene Kesper, Reform des Föderalismus<br />

in der Bundesrepublik Deutschland, NdsVBl. 2006, S. 145 (152 f. mit Fn. 60).<br />

225 Irene Kesper, Reform des Föderalismus in der Bundesrepublik Deutschland, NdsVBl. 2006, S. 145 (152).<br />

226 Vgl. nur Irene Kesper, Reform des Föderalismus in der Bundesrepublik Deutschland, NdsVBl. 2006, S.<br />

145 (153).<br />

227 Art. 13 des Föderalismusreformbegleitgesetzes, s.o. Fn. 6.<br />

228 Betont kritisch Stefan Korioth, Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen? ZG 2007, S. 1.


60<br />

habens einer Abschaffung der Gemeinschaftsaufgaben als „ernüchternd“ eingestuft 229,<br />

die begrenzte, bloß modifizierende Neuordnung habe sich „weder zu einem klaren Ja<br />

oder Nein der Mischfinanzierungen … durchringen können“: „So bleibt es bei den seit<br />

langem kritisierten Wirkungen der Mischfinanzierungen, ausgabensteigernden Effekten<br />

durch hohen Koordinierungs- und Verwaltungsaufwand sowie Mitnahmeeffekten infol-<br />

ge angebotener Bundesmittel, die eine ländereigene Präferenzbildung verzerren.“ 230 Die<br />

Abschaffung der Gemeinschaftsaufgaben wäre die bessere Lösung gewesen 231.<br />

Angemerkt werden muss in diesem Zusammenhang freilich, dass die neuesten Entwick-<br />

lung in die gegenteilige Richtung weisen: Die Teilentflechtung im Hochschulbereich wird<br />

zur Zeit wieder rückgängig gemacht.<br />

3. Art. 143c GG in diesem Kontext<br />

Art. 143c GG ist nur in dem Zusammenhang mit der Rückführung des Bundes aus Ge-<br />

meinschaftsaufgaben bzw. Gemeinschaftsfinanzierungen verständlich 232 ; die Länder<br />

haben der Föderalismusreform I nur zugestimmt, da sie entsprechende Ausgleichs- und<br />

Übergangshilfen erhalten 233 . Die Vorschrift ist daher treffend als „Kompensationsnorm“<br />

bezeichnet worden 234 . Das gleichzeitig erlassene, einen politischen Kompromiss fixie-<br />

rende Entflechtungsgesetz 235 wird so – die Normenhierarchie quasi umkehrend – ver-<br />

fassungsrechtlich abgesichert 236 . Verfassungsrechtlich problematisch ist vor diesem<br />

Hintergrund – wie es das Bundesfinanzministerium freilich tut – ohne überzeugende<br />

Bezugnahme auf die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 143c GG eine degressive<br />

229 Irene Kesper, Reform des Föderalismus in der Bundesrepublik Deutschland, NdsVBl. 2006, S. 145 (153).<br />

230 Stefan Korioth, Neuordnung er Bund-Länder-Finanzbeziehungen? ZG 2007 S. 1 (5).<br />

231 Peter Michael Huber, Das Bund-Länder-Verhältnis de constitutione ferenda, in: Blanke/Schwanengel<br />

(Hrsg.), Zustand und Perspektiven des deutschen Bundesstaates, 2005, S. 21 (39 f.).<br />

232 Johannes Hellermann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 3, 6. Aufl.<br />

2010, Art. 143c Rdnr. 1.<br />

233 Vgl. auch die Begründung in BT-DrS 16/813, S. 22.<br />

234 Andreas Kienemund, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Kommentar zum Grundgesetz, 12. Aufl.<br />

2011, Art. 143c Rdnr. 1, mit dem Hinweis, dass sich die ungewöhnliche Detaillierung ebenfalls aus dem<br />

Kompromisscharakter erkläre.<br />

235 Gesetz zur Entflechtung von Gemeinschaftsaufgaben und Finanzhilfen (Entflechtungsgesetz – EntflechtG)<br />

vom 5. September 2006, BGBl. I S. 2098.<br />

236 Markus Heintzen, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 143c<br />

Rdnr. 2; Werner Heun, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Bd. 3, 2. Aufl. 2008, Art. 143c Rdnr. 3.


61<br />

Rückführung der Beträge zwischen 2014 und 2019 unter Anwendung des horizontalen<br />

Verteilungsschlüssels aus § 4 EntflechtG vorzuschlagen 237.<br />

a) Auslegung der Norm in der Literatur<br />

Art. 143c Abs. 3 Satz 1 GG wird im Schrifttum unterschiedlich ausgelegt. Eine wohl auf<br />

Hans Meyer zurückreichende Auslegung sieht durch die Kriterien der Angemessenheit<br />

und der Erforderlichkeit vor dem Hintergrund des Ziels der Föderalismusreform I zu<br />

einer Entflechtung von Mischfinanzierungstatbeständen zu gelangen, das neben der Hö-<br />

he auch das „Ob“ der Finanzhilfen des Bundes zu überprüfen und auch eine Absenkung<br />

auf Null daher zulässig sei 238. Demgegenüber hat eine unbefangenere, gleichwohl die<br />

Entstehungszusammenhänge berücksichtigende Auslegung die Tatbestandsmerkmale<br />

„erforderlich“ und „angemessen“ ernst genommen 239. Es könne durchaus auf einen ver-<br />

fassungsrechtlich üblichen Sprachgebrauch zurückgegriffen werden, wie er aus der Ver-<br />

hältnismäßigkeitsprüfung bekannt sei. Auf die vorliegende Fragestellung übertragen<br />

bedeute „erforderlich“ dann die Untergrenze, um das Notwendige finanzieren zu kön-<br />

nen, während „angemessen“ eine Abwägung verlange.<br />

b) Auslegung der Tatbestandsmerkmale des Art. 143c Abs. 3 Satz 1 GG<br />

Das BMF argumentiert in seinen Eckpunkten vom 26. September 2011 hinsichtlich der<br />

Auslegung der Tatbestandsmerkmale „angemessen“ und „erforderlich“ wie folgt: Die<br />

Begriffe seien, mangels Vergleichsfällen, nach dem allgemeinen Wortsinn zu interpretie-<br />

ren; da beide Tatbestandsmerkmale kumulativ vorliegen müssten sei es „logisch ausge-<br />

schlossen“, „erforderlich“ als Mindestmaß und „angemessen“ „im Sinne eines Höchst-<br />

maßes“ zu interpretieren, da die Verwendung von „angemessen“ dann „redundant“<br />

237 Bundesministerium der Finanzen, Eckpunkte zur Neufassung der Kompensationsbeträge nach Artikel<br />

143c Grundgesetz für die Jahre 2014 bis 2019, 26. September 2011, S. 1 f.; die ebd., S. 13 ff. angestellten<br />

Überlegungen vermögen, wie zu zeigen sein wird, verfassungsrechtlich nicht zu überzeugen.<br />

238 Hans Meyer, Die Föderalismusreform 2006, 2008, S. 245; ebenso Johannes Hellermann, in: von Mangoldt/Klein/Starck,<br />

Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 3, 6. Aufl. 2010, Art. 143c Rdnr. 13; a.A. etwa Markus<br />

Heintzen, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 143c Rdnr.<br />

12.<br />

239 Thomas Hilpert, Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Zahlungen nach dem EntflechtG ab 2014, IR<br />

2011, S. 202 ff.


sei 240. „Angemessen“ könne freilich auch nicht im Sinne eines über das Erforderliche<br />

62<br />

hinausreichende ausgelegt werden, da sonst die ratio legis von Art. 143c GG ausgehebelt<br />

werden würde. Es liege in der „Natur“ einer Übergangsnorm, dass die Zahlungen auslau-<br />

fen und nicht abrupt beendet würden. Diese Auslegung ist weder zwingend noch nahe-<br />

liegend:<br />

Erforderlichkeit meint sowohl im allgemeinen Sprachgebrauch wie auch in verfassungs-<br />

rechtlichem Kontext stets ein Mindestmast, während mit Angemessenheit im Verfas-<br />

sungsrecht eine Abwägung zwischen Zielen und Mitteln anzeigt (und nicht eine Ober-<br />

grenze, wie das BMF schreibt). Das gilt sowohl beim Grundsatz der Verhältnismäßigkeit<br />

– dort freilich auf Eingriffe und ihre Rechtfertigung bezogen – als auch allgemein bei der<br />

Herstellung praktischer Konkordanz bei der Zuordnung konfligierender verfassungs-<br />

rechtlicher Werte oder Ziele – auch im Staatsorganisationsrecht 241 . Die vom BMF be-<br />

hauptete Perplexität mit der Folge des logischen Ausschlusses der dort kritisierten In-<br />

terpretation entsteht mit anderen Worten in der Tat nur, sofern man das eine Tatbe-<br />

standsmerkmal als Unter-, das andere jedoch als Obergrenze auslegt um dann festzustel-<br />

len, dass bei dem Erfordernis kumulativen Vorliegens ein Widerspruch auftrete. Ver-<br />

steht man, was nahelegend, ja quasi zwingend ist, „erforderlich“ als Untergrenze und<br />

„angemessen“ als Aufforderung zum Abwägen konfligierender Ziele, treten derartige<br />

logische Brüche nicht auf 242. Das BMF lehnt eine Auslegung des Tatbestandsmerkmals<br />

„angemessen“ dahingehend, dass sich daraus auch über das Erforderliche hinausrei-<br />

chende Zahlungen ergeben könnten, mit dem Argument ab, dass andernfalls Sinn und<br />

Zweck des Art. 143c GG verfehlt würden. Ratio legis dieser Norm ist zwar in der Tat, wie<br />

oben dargelegt, als Übergangsvorschrift die Entflechtung von Mischfinanzierungstatbe-<br />

ständen voranzutreiben; dieses abstrakte Ziel darf jedoch keinesfalls dazu dienen, expli-<br />

zite tatbestandliche Anforderungen der Norm zu überspielen. Mit diesem Argument al-<br />

lein kommt man nicht über den Wortlaut des Tatbestandsmerkmals „angemessen“ hin-<br />

weg.<br />

240 Werner Heun, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Bd. 3, 2. Aufl. 2008, Art. 143 Rdnr. 8, attestiert<br />

den beiden Tatbestandsmerkmalen insgesamt eine geringe Steuerungskraft. Er folgert dann – weniger<br />

rechtsdogmatisch, als vielmehr herrschaftssoziologisch – weiter: „Daß die Überprüfung tatsächlich zu<br />

einer Reduzierung führen wird, ist nicht ernsthaft anzunehmen, da die Länder kaum auf Mittel verzichten<br />

werden.“<br />

241 Allgemein dazu Konrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20.<br />

Aufl. 1995, Rdnr. 72, 317 ff.<br />

242 Vgl. auch Thomas Hilpert, Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Zahlungen nach dem EntflechtG ab<br />

2014, IR 2011, S. 202 (203 f.).


63<br />

Daraus ergibt sich folgende Auslegung von Art. 143 Abs. 3 Satz 1 GG: „Erforderlich“ für<br />

die Mittelbemessung 2014 bis 2019 meint eine bedarfsbezogene Prognose, die sich – um<br />

eine politisch mögliche, dem Sinn und Zweck der Regelung freilich in der Tat widerspre-<br />

chende beliebige Ausweitung des Leistungsangebots zu verhindern – zunächst an den<br />

Werten der Vergangenheit orientiert, diese jedoch mittels verkehrswissenschaftlicher<br />

Indikatoren in die Zukunft fortschreiben darf; die so ermittelten Zahlungen müssen zu-<br />

gleich „angemessen“ sein, d.h. nach Ermittlung des Erforderlichen darf und muss auf<br />

einer zweiten Stufe im Wege einer Abwägung dieses Ergebnis noch einmal überprüft<br />

werden. Dabei wäre – wenn dies aufgrund verkehrswissenschaftlicher Indikatoren<br />

nachgewiesen werden könnte – grundsätzlich auch eine Erhöhung der Mittel möglich,<br />

z.B. aufgrund höchstwahrscheinlich eintretender Steigerungen von Lohn- oder Energie-<br />

kosten o.ä. 243 Die in der Literatur teilweise vertretene Auffassung, dass die Mittel auch<br />

ganz entfallen könnten 244, ist damit ausgeschlossen. Das Wort „noch“ in Art. 143c Abs. 3<br />

Satz 1 deutet auf die Zeitspanne 2014 bis 2019 hin, hat jedoch keine eigenständige ma-<br />

terielle Bedeutung neben den Vorgaben der Angemessenheit und Erforderlichkeit 245 .<br />

Die vom Bund vorgeschlagene schlicht-lineare Rückführung verfehlt die in Art. 143c<br />

Abs. 3 Satz 1 GG verfassungskräftig aufgestellten tatbestandlichen Voraussetzungen für<br />

die Überprüfung, da damit abstrakt aus einem vermeintlichen Ziel der Norm, nicht je-<br />

doch aus den in der Vorschrift angesprochenen Indikatoren heraus argumentiert wird.<br />

Auch die Interpretation, dass es zur Natur einer Übergangsregelung gehöre, dass zuvor<br />

festgesetzte Zahlungen auslaufen müssten, ist alles andere als zwingend. Art. 143c GG ist<br />

so zu interpretieren, dass bis zur grundlegenden Neuverhandlung der Finanzbeziehun-<br />

gen im Bundesstaat, wie sie mit dem Auslaufen des Solidarpakts II 2019 246 erfolgen<br />

muss, eine Übergangsregelung getroffen werden sollte. Das impliziert keine Rückfüh-<br />

rung und kein Auslaufen, zumal wenn man bedenkt, dass – etwa im Hochschulbereich –<br />

Mischfinanzierungstatbestände eine gewisse Renaissance erleben und angesichts der<br />

243 Vgl. auch Thomas Hilpert, Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Zahlungen nach dem EntflechtG ab<br />

2014, IR 2011, S: 202 (203); a.A. v.a. Hans Meyer, Die Föderalismusreform 2006, 2008, S. 248 f.<br />

244 Vgl. die Nachweise oben in Fn. 237.<br />

245 Vgl. auch Thomas Hilpert, Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Zahlungen nach dem EntflechtG ab<br />

214, IR 2011, S. 202 (203).<br />

246 Zur Intention dieser Befristung auch Werner Heun, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Bd. 3,<br />

2. Aufl. 2008, Art. 143c Rdnr. 3.


64<br />

„Einschnürung“ der Länder durch die neue Schuldenbremse es wahrscheinlich ist, dass<br />

auch ab 2020 Mischfinanzierungstatbestände bestehen werden.<br />

II. Abgrenzung zur degressiven Gestaltung in Art. 104b Abs. 2 GG<br />

Das durch autonome Auslegung von Art. 143c Abs. 3 Satz 1 GG gefundene Ergebnis wird<br />

durch einen Vergleich mit dem ebenfalls Mischfinanzierungen betreffenden Art. 104b<br />

Abs. 2 GG bestätigen. Die Kompensationsregelung ist nach dem eindeutigen Wortlaut<br />

des Abs. 1 von Art. 143c GG bis 2019 befristet – ein Datum, dass die Ausgleichsleistun-<br />

gen an die Neuverhandlung des durch den sog. Solidarpakt II geprägten Finanzaus-<br />

gleichs koppelt. Bis Ende 2019 besteht damit eine grundsätzliche Garantie auf entspre-<br />

chende Leistungen des Bundes 247 . Insofern handelt es sich um eine unmittelbar aus dem<br />

Grundgesetz folgende Rechtspflicht des Bundes, um einen verfassungsrechtlichen An-<br />

spruch der Länder 248 . Bis Ende 2013 sind die Beträge durch die Norm selbst sowie<br />

durch paralleles Gesetzgebungsverfahren zur seinerzeitigen Verfassungsänderung, fest-<br />

gezurrt. Für die Zeit von 2014 bis Ende 2019 besteht im Jahr 2013 ein Überprüfungsauf-<br />

trag, „in welcher Höhe die den Ländern nach Absatz 1 zugewiesenen Finanzierungsmit-<br />

tel zur Aufgabenerfüllung der Länder noch angemessen und erforderlich sind“.<br />

Ob im Vergleich zu einer ähnlichen Regelung ein Analogieschluss – also die Übertragung<br />

der ähnlichen Regelung in hiesigen Kontext – oder ein Umkehrschluss – also die gegen-<br />

teilige Regelung als in dem vergleichbaren Fall – die methodisch richtige Lösung dar-<br />

stellt, ist eine Wertungsfrage. Regelungslücken können zumeist sowohl durch Analogie-,<br />

wie auch durch Umkehrschluss geschlossen werden 249. Für vorliegende Fragestellung<br />

ergibt sich daraus: Da die zeitgleich in die Finanzverfassung eingeführte Vorschrift des<br />

Art. 104b Abs. 2 Satz 3 GG gebietet, Finanzhilfen des Bundes für bestimmte Aufgaben<br />

den Ländern nur zeitlich befristet und degressiv zu gewähren, Art. 143c GG das in ganz<br />

247 Johannes Hellermann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 3, 6. Aufl.<br />

2010, Art. 143c Rdnr. 7; Helmut Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 6. Aufl. 2011, Art.<br />

143c Rdnr. 2.<br />

248 Helmut Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 6. Aufl. 2011, Art. 143c Rdnr. 4; Markus<br />

Heintzen, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 143c Rdnr. 4, 5.<br />

249 Überzeugend Klaus F. Röhl/Hans Christian Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3. Aufl. 2008, S. 634: „Dabei<br />

handelt es sich aber um formale Verfahren, die nur Formulierungshilfe geben. Entscheidend sind die vorausgehenden<br />

Wertungen.“ Ähnlich Karl Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991, S.<br />

390.


ähnlichem Zusammenhang jedoch nicht verlangt, ist hier der Umkehrschluss zwin-<br />

65<br />

gend 250. Warum der Verfassungsgesetzgeber beide Vorschriften, die jeweils durch die<br />

Föderalismusreform I in das Grundgesetz eingeführt wurden, unterschiedlich gestaltet<br />

hat, findet seine sachliche Begründung in der Verfassung selbst: Art. 143c GG ist eine<br />

Regelung, die – vorbehaltlich weiterer Grundgesetzänderungen nach Ende des Solidar-<br />

pakts II – 2019 ausläuft. Es handelt sich, seiner Stellung in der Verfassung korrespondie-<br />

rend, um eine echte Übergangsbestimmung. Art. 104b GG regelt demgegenüber die Ein-<br />

führung neuer Durchbrechungen der Konnexitätsklausel des Art. 104a Abs. 1 GG. Bei<br />

letzteren erscheint es angemessen, auch in die Zukunft hinein eine zeitliche Befristung,<br />

gekoppelt mit degressiver Gestaltung der Bundesmittel zu verlangen, um einem Grund-<br />

anliegen der Föderalismusreform I, der Stärkung der Finanzverantwortung durch Auflö-<br />

sung von Finanzverflechtungen, zu dienen. Bei einer ohnehin in ihrem Endzeitpunkt<br />

begrenzten Übergangsregelung ist dies nicht notwendig. In Art. 143c GG verkörpert sich<br />

in viel stärkerem Maße als in Art. 104b Abs. 2 GG ein konkreter, verfassungsrechtlich<br />

fixierter Kompromiss hinsichtlich konkreter Tatbestände. Ergänzende Interpretationen,<br />

gar im Wege von Analogieschlüssen, sind damit unzulässig.<br />

Von der Überprüfung der Zahlungen ab 2014 ist der Verteilungsschlüssel auf die einzel-<br />

nen Länder, also die horizontale Verteilung, nach einhelliger Meinung ohnehin ausge-<br />

schlossen; es geht nur um die Gesamtsumme, die der Bund für die Übergangszeit zur<br />

Verfügung stellt 251 .<br />

III. Zusammenfassung hinsichtlich der Entflechtungsmittel<br />

Die Länder haben einen verfassungskräftigen Rechtsanspruch auf jährliche Finanzie-<br />

runganteile des Bundes „zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden“<br />

(sog. Entflechtungsmittel) auch für die Periode zwischen 2014 und 2019. Eine Absen-<br />

kung dieser Mittel auf Null wäre verfassungrechtlich unzulässig. Die Tatbestandsmerk-<br />

male „erforderlich“ und „angemessen“ in Art. 143c Abs. 3 Satz 1 GG markieren eine (dy-<br />

250 Im Ergebnis so auch Markus Heintzen, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Bd. 2, 6.<br />

Aufl. 2012, Art. 143c Rdnr. 12.<br />

251 Markus Heintzen, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 143c<br />

Rdnr. 8; Helmut Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 6. Aufl. 2011, Art. 143c Rdnr. 25;<br />

Johannes Hellermann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 3, 6. Aufl. 2010,<br />

art. 143c Rdnr. 13.


66<br />

namische, d.h. an die Preis-, Lohn- usw. –entwicklungen angepasste, bedarfsorientierte)<br />

Mindestausstattung, die mit der sich entwickelnde Bedarfslage und sonstigen Faktoren<br />

„angemessen“ abzuwägen ist. Eine lineare Kürzung, wie sie vom Bund ohne Berücksich-<br />

tigung der in der Norm vorgegebenen Tatbestandsvoraussetzungen vorgeschlagen wor-<br />

den ist, ist mit diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht vereinbar. Dies folgt zum<br />

einen aus der Auslegung der in Abs. 3 Satz 1 verwendeten – zwar konkretisierungsbe-<br />

dürftigen, aber doch verbindlichen – tatbestandlichen Voraussetzungen, zum anderen<br />

aus einem Umkehrschluss aus Art. 104b Abs. 2 Satz 3 GG. Aus dem Charakter des Art.<br />

143c GG als Übergangsnorm ergibt sich nichts anderes.<br />

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