Rechtsgutachten - MBWSV NRW
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zu werden 41. Die Bundestreue als ungeschriebener Rechtssatz des Bundesstaatsrechts<br />
modelliert dabei anderweitig bestehende bundesstaatliche Verpflichtungen; anders ge-<br />
wendet: der Grundsatz ist akzessorisch, schafft nicht selbst Rechte und Pflichten, son-<br />
dern steuert die Ausübung solcher. Schon in einer sehr frühen Entscheidung wurde die<br />
bereits im Bismarckreich, v.a. durch Rudolf Smend entwickelte Kategorie, auch auf das<br />
Grundgesetz angewendet, wenn das Gericht ausführte, dass alle „an dem verfassungs-<br />
rechtlichen ‚Bündnis’ Beteiligten“ gehalten seien, „dem Wesen dieses Bündnisses ent-<br />
sprechend zusammenzuwirken und zu seiner Festigung und Wahrung seiner und der<br />
wohlverstandenen Belange seiner Glieder beizutragen“ 42. Schon Smend hatte die Bun-<br />
destreue als Vehikel entwickelt, gegen eine rein formale Einhaltung von bundesstaatli-<br />
chen Pflichten vorgehen zu können 43. Auf der anderen Seite kann die Bundestreue nicht<br />
zu einer vollständigen Verrechtlichung des Bund-Länder-Verhältnisses führen, müssen<br />
auch politische Gestaltungsspielräume offen gehalten werden 44 .<br />
Einer dieser nach dem Ausgeführten notwendigen Ansatzpunkte für vorliegend zu be-<br />
gutachtende Fragestellung ist das ebenfalls aus dem Bundesstaatsprinzip in Verbindung<br />
mit dem grundrechtlichen bzw. rechtsstaatlichen Willkürverbot hergeleitete 45 Postulat<br />
föderaler Gleichheit 46 . Dieses besitzt einerseits eine inhaltliche Dimension; darauf wird<br />
unten zurückzukommen sein 47 . Es besitzt jedoch auch eine verfahrensrechtliche Dimen-<br />
sion 48. Jenseits von – seltenen – Einstimmigkeitssituationen hat Josef Isensee dies mit<br />
Hilfe der Verfassungsgerichtsjudikatur in Anforderungen an Verhandlungen und Verfah-<br />
ren entfaltet:<br />
„Das Bundesverfassungsgericht sieht ... als Entsprechung zum bundesstaatlichen<br />
Prinzip ‚die verfassungsrechtliche Pflicht, daß die Glieder des Bundes sowohl einander<br />
als auch dem größeren Ganzen und der Bund den Gliedern die Treue halten und<br />
sich verständigen’. Diese Pflicht zur Verständigung wirkt zwar nicht so automatisch<br />
wie das demokratische Mehrheitsprinzip. Sie ist jedoch ‚stark genug, um die not-<br />
41 Peter Badura, Staatsrecht, 5. Aufl. 2012, Rdnr. D 86.<br />
42 BVerfGE 1, 299 (315).<br />
43 Vgl. etwa Josef Isensee, Idee und Gestalt des Föderalismus unter dem Grundgesetz, in: ders./Kirchhof<br />
(Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 6, 3. Aufl. 2008, § 126 Rdnr. 161.<br />
44 Zu Recht Stefan Oeter, Integration und Subsidiarität im deutschen Bundesstaat, 1998, S. 484 f.<br />
45 BVerfGE 72, 330 (404): „Aus dem Bundesstaatsprinzip und dem allgemeinen Gleichheitssatz folgt ... ein<br />
föderatives Gleichbehandlungsgebot für den Bund im Verhältnis zu den Ländern.“ Auführlich zur Herleitung<br />
Markus C.F. Pleyer, Föderative Gleichheit, 2005, S. 238 ff. m.w.N.<br />
46 Zum Zusammenhang zwischen Bundestreue und föderaler Gleichheit Sigrid Boysen, Gleichheit im Bundesstaat,<br />
2005, S. 215 ff.; Markus C.F. Pleyer, Föderative Gleichheit, 2005, S. 246 unter öfter.<br />
47 Vgl. unten unter C I 2.<br />
48 Bereits in Verbindung mit der Bundestreue BVerfGE 12, 205 (255 f.) – erstes Fernsehurteil.