Rechtsgutachten - MBWSV NRW
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Dieser Diskurs hängt mit Faktoren zusammen, die 1867/71 zur Gründung des Bis-<br />
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marckreiches führten und seine weitere Entwicklung begleiteten. Die Schaffung eines<br />
einheitlichen Wirtschaftsgebiets, der endgültige Wegfall der innerstaatlichen Zoll-<br />
schranken und der durch rechtliche Regelungen nicht mehr gehinderte Binnenverkehr<br />
gehörten zu den (wirtschafts-)politischen Hauptforderungen des liberalen Bürgertums<br />
im 19. Jh. Hinzu kam eine ständig voranschreitende, auch räumliche Mobilisierung der<br />
Bevölkerung im Gefolge der Industrialisierung. Eine gewisse Vorherrschaft alles Wirt-<br />
schaftlichen resultierte in der zweiten Hälfte des 19. Jh. aus der politischen Marginalisie-<br />
rung des Bürgertums im Kaiserreich. Den meisten politischen Einigungsbemühungen<br />
gingen zunächst Versuche ökonomischer Einigungen voraus 134. Hinzu traten zahlreiche<br />
Abspaltungsbewegungen zu Beginn der Weimarer Epoche und die von außen kommen-<br />
den – mittelbar zentralisierend und unitarisierend wirkenden – Bedrohungen und Re-<br />
pressionen. Schließlich wurden 1948/49 betont föderalistische Ansichten der alliierten<br />
Siegermächte über die staatliche Rekonstruktion Deutschlands, soweit es möglich war,<br />
zurückgedrängt. Die ursprüngliche Fassung von Art. 72 Abs. 2 GG bildet das Schulbei-<br />
spiel 135 . Die Interessen bei den Beratungen des Grundgesetzes waren in diesen Fragen –<br />
mit Ausnahme Bayerns – eher einheitsstaatlich geprägt: Hermann Höpker-Aschoff als die<br />
prägende Gestalt der Beratungen zur Finanzverfassung besaß als ehemaliger hoher<br />
preußischer Beamter und Finanzminister eine ausgesprochen technokratisch-<br />
zentralistische Grundprägung. Seine Parteien – die DDP und die FDP – waren ohnehin<br />
stets zentralistisch orientiert 136 . Die SPD plädierte traditionell für eine zentralisierte<br />
Finanzpolitik als Bedingung der von ihr angestrebten Sozialpolitik 137 . Teile der Finanz-<br />
verfassung waren also in ihrem Entstehungsumfeld geprägt durch einen besonderen<br />
Willen nach Einheitlichkeit. Viele dieser Bestimmungsgründe sind heute entfallen oder<br />
besitzen ein geringeres Gewicht und sollten die Reformdiskussion daher nicht unnötig<br />
belasten 138 . Das Leitbild von den einheitlichen oder gleichwertigen Lebensverhältnissen<br />
134 Heidrun Abromeit, Der verkappte Einheitsstaat, 1992, S. 121.<br />
135 Michael Gruson, Die Bedürfniskompetenz, 1967, S. 18 ff.; Christian Waldhoff, Verfassungsrechtliche<br />
Vorgaben für die Steuergesetzgebung im Vergleich Deutschland-Schweiz, 1997, S. 58 ff.<br />
136 Differenziert Karl Heinz Lamberty, Die Stellung der Liberalen zum föderativen Staatsaufbau in der<br />
Entstehungsphase der Bundesrepublik Deutschland 1945-1949, Diss. phil. Bonn 1983, S. 116 ff.<br />
137 Vgl. insgesamt die Materialaufbereitung bei Hans Peter Schneider (Hrsg.), Das Grundgesetz. Dokumentation<br />
seiner Entstehung, Bd. XXV, 1997<br />
138 Vgl. auch Klaus Rennert, Der deutsche Föderalismus in der gegenwärtigen Debatte um eine Verfassungsreform,<br />
Der Staat 31 (1992), S. 269 (274).