Rechtsgutachten - MBWSV NRW
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Daseinsvorsorge wird teilweise aus dem Rechts- und dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20;<br />
28 Abs. 1 GG) hergeleitet, um ihr rechtliche Verbindlichkeit zu verleihen 185. Die Selbst-<br />
qualifizierung der Bundesrepublik Deutschland als sozialer Rechtsstaat zwinge dazu,<br />
hieraus die gebotenen rechtlichen Konsequenzen zu ziehen 186 . Im Sozialstaat sei der<br />
Staat zur Gewährleistung sozialer Mindeststandards und adäquater Infrastruktur ver-<br />
pflichtet 187. Festzuhalten bleibt, dass der Begriff „Daseinsvorsorge“ Eingang in verschie-<br />
dene rechtliche Regelungen gefunden hat 188. Schon aus diesem Grund könne man ihm<br />
zumindest formal nicht jede rechtliche Relevanz absprechen 189 . Auch in der Rechtspre-<br />
chung tauche der Begriff nicht nur vereinzelt und nicht nur als bloße Direktive, sondern<br />
als rechtlich relevanter Ausdruck auf 190. Jedenfalls könne er als „deskriptiver Sammel-<br />
begriff für von der öffentlichen Hand durchgeführte oder veranlasste Tätigkeiten heran-<br />
gezogen werden, die der Befriedigung von Bedürfnissen breiter Bevölkerungsmassen<br />
hinsichtlich ihrer sozialen Einbindung in die Gesamtgesellschaft und ihrer Versorgung<br />
mit bestimmten, für eine zeitgemäße Lebensführung unerlässlichen Gütern und Leis-<br />
tungen dienen und auf die diese mangels eigener Erschaffungsmöglichkeit angewiesen<br />
sind“ 191 .<br />
(3) Daseinsvorsorge in der Rechtsprechung<br />
Der Begriff der Daseinsvorsorge hat in der Vergangenheit auch verschiedentlich Ver-<br />
wendung in der Rechtsprechung gefunden 192 . Daraus kann freilich keine einheitliche<br />
185 Ronellenfitsch, Daseinsvorsorge als Rechtsbegriff, in: Blümel (Hrsg.), Ernst Forsthoff, 2003, S. 74 f.<br />
186 Michael Ronellenfitsch, Daseinsvorsorge und Wirtschaftlichkeit des Eisenbahnwesens, DVBl. 2008, 201.<br />
187 Ronellenfitsch, Daseinsvorsorge als Rechtsbegriff, in: Blümel (Hrsg.), Ernst Forsthoff, 2003, S. 75 f.<br />
188 Vgl. Michael Ronellenfitsch, Daseinsvorsorge als Rechtsbegriff, in: Blümel (Hrsg.), Ernst Forsthoff, 2003,<br />
S. 73; einige Gemeindeordnungen etwa verwenden den Begriff: In Baden-Württemberg (§ 102 Abs. 1 Nr. 3<br />
GemO), Bayern (Art. 87 Abs. 1 Nr. 4 BayGO) und Thüringen (§ 71 Abs. 1 Nr. 4 KO) gilt die kommunalwirtschaftliche<br />
Subsidiaritätsklausel nur „außerhalb der kommunalen Daseinsvorsorge“; Georg Hermes, Staatliche<br />
Infrastrukturverantwortung, 1998, S. 95 verweist auf die Übernahme des Begriffs in die Gesetzessprache<br />
im Zuge der Post- und Bahnreform; s.a. § 1 Abs. 1 Regionalisierungsgesetz, in dem es heißt: „Die<br />
Sicherstellung einer ausreichenden Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im öffentlichen<br />
Personennahverkehr ist eine Aufgabe der Daseinsvorsorge“.<br />
189 Michael Ronellenfitsch, Daseinsvorsorge als Rechtsbegriff, in: Blümel (Hrsg.), Ernst Forsthoff, 2003, S.<br />
73.<br />
190 Michael Ronellenfitsch, Daseinsvorsorge und Wirtschaftlichkeit des Eisenbahnwesens, DVBl. 2008, 201.<br />
191 Matthias Knauff, Der Gewährleistungsstaat: Reform der Daseinsvorsorge, 2004, S. 47 m.w.N.<br />
192 BVerfGE 66, 248 – energiewirtschaftliche Enteignung zugunsten Privater; BVerfGE 75, 192 – Qualifikation<br />
einer Sparkasse als Daseinsvorsorge um ihre Grundrechtsfähigkeit zu verneinen; BGHZ 154, 146 –<br />
Qualifikation einer Sparkasse als Daseinsvorsorge um ihre Grundrechtsverpflichtung zu bejahen und sie<br />
damit zu zwingen, auch für die NPD ein Girokonto zu eröffnen; BVerwGE 97, 240 – von einer Gemeinde<br />
betriebene Gaststätte ist keine Daseinsvorsorge. Eine ausführliche Übersicht findet sich bei Michael Ronel-