Rechtsgutachten - MBWSV NRW
Rechtsgutachten - MBWSV NRW
Rechtsgutachten - MBWSV NRW
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
40<br />
b) Begrenzte Relevanz der „Einheitlichkeit“ oder „Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse<br />
im Bundesgebiet für die Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs<br />
aa) Herkunft, Hintergrund und verfassungsrechtsdogmatische Bedeutung<br />
Die Forderung nach „einheitlichen“ oder „gleichwertigen Lebensverhältnissen im Bun-<br />
desgebiet“ wird als Argument in der finanzverfassungsrechtliche Diskussion regelmäßig<br />
herangezogen. Wie an anderer Stelle nachgewiesen wurde, handelt es sich dabei jedoch<br />
nicht um eine Staatszielbestimmung, d.h. um einen verbindlichen übergreifenden Satz<br />
des Verfassungsrechts, sondern lediglich um eine an verschiedenen Stellen des Grund-<br />
gesetzes aufscheinende, aus ihrem jeweiligen Kontext zu interpretierende Einzelfallre-<br />
gelung 129. Für eine Verfassungsreformdiskussion darf dieses Postulat alternative Sicht-<br />
weisen nicht verstellen, die Auslegung geltenden (Finanz-)Verfassungsrechts darf es<br />
nicht dominieren 130. Das gilt erst Recht für die Auslegung von Art. 106a GG.<br />
Auch die Anführung von eher tatsächlichen Bestimmungsgründen (vereinheitlichende<br />
Wirkung der Bundesgrundrechte und des Sozialstaatsprinzips; bundesweit agierende<br />
politische Parteien; Erwartungshaltungen der Bürger) nehmen – mit einem Wort Peter<br />
Lerches – den „Trend … als Faktum …, dem sich die Rechtswelt zu fügen habe“ 131 , unter-<br />
liegen also der Gefahr des Sein-Sollen-Fehlschlusses 132. Der Argumentationstopos von<br />
den einheitlichen oder gleichwertigen Lebensverhältnissen im Bundesgebiet erweist<br />
sich als historische Schlacke aus Perioden der Entwicklung der deutschen Bundesstaat-<br />
lichkeit, als die politische Einheit gefährdet war. Heute hat sie ihre Bedeutung weitge-<br />
hend verloren 133 .<br />
129 Christian Waldhoff, Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Steuergesetzgebung im Vergleich Deutschland-Schweiz,<br />
1997, S. 84-94; Klaus Vogel/Christian Waldhoff, Grundlagen des Finanzverfassungsrechts,<br />
1999, Rdnr. 81-87; ähnlich auch Stefan Oeter, Integration und Subsidiarität im deutschen Bundesstaat,<br />
1998, S. 13, 532 ff.; Sigrid Boysen, Gleichheit im Bundesstaat, 2005, S. 53 ff., 119 ff.; insoweit übereinstimmend<br />
auch Lerke Osterloh, Die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse als offene Frage der Finanzverfassung,<br />
in: GS für Christoph Trzaskalik, 2005, S. 181.<br />
130 Zu Recht weißt etwa Markus Möstl, Neuordnung der Gesetzgebungskompetenzen von Bund und Ländern,<br />
ZG 2003, S. 297 (299), auf einen Widerspruch hin, wenn in der Öffentlichkeit zwar „Entflechtung“<br />
des bundesstaatlichen Kompetenzgefüges gefordert werde, die notwendige Konsequenz größerer Disparitäten<br />
zwischen den Ländern jedoch nach wie vor kritisch gesehen werde.<br />
131 Finanzausgleich und Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse, in: FS für Friedrich Berber, 1973, S. 299.<br />
132 In diese Richtung etwa Hans Peter Bull, Finanzausgleich im „Wettbewerbsstaat“, DÖV 1999, S. 269<br />
(279).<br />
133 Ausführlicher Christian Waldhoff, Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Steuergesetzgebung im Vergleich<br />
Deutschland-Schweiz, 1997, S. 102 ff.