Magazin 01/2010 - bei den Doxs
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Depression:<br />
Häufigste Ursache für Suizid<br />
Insgesamt gehört der Suizid laut Weltgesundheitsorganisation<br />
WHO weltweit zu <strong>den</strong> drei Haupttodesursachen<br />
in der Altersgruppe zwischen 15 und<br />
34 Jahren. In Deutschland starben im Jahr 2007<br />
laut Leibniz-Institut für Länderkunde (IfL) 9.400<br />
Menschen durch eigene Hand. Auf je<strong>den</strong> Suizid<br />
kommen schätzungsweise zehn bis 15 Selbstmordversuche.<br />
In rund 90 Prozent der Fälle liegt eine psychische<br />
Erkrankung – in etwa 70 Prozent eine Depression<br />
– zugrunde. Etwa zehn bis 15 Prozent der depressiven<br />
Patienten nehmen sich das Leben. Zwei von<br />
drei Selbsttötungen wer<strong>den</strong> von Männern begangen.<br />
Frauen unternehmen häufiger Selbstmordversuche<br />
(1:3), ebenso junge Menschen. Während<br />
Frauen häufig zu Medikamenten greifen, wählen<br />
Männer oft gewaltvolle Metho<strong>den</strong>.<br />
Ärzten und Therapeuten kommt laut der Analyse<br />
von 93 Studien zur Suizidprävention, veröffentlicht<br />
im Journal of the American Medical Association<br />
(2006), eine besondere Rolle <strong>bei</strong> der Verhinderung<br />
von Selbsttötungen zu. Etwa ein Drittel der<br />
Menschen, die Suizid begehen oder es versuchen,<br />
haben in <strong>den</strong> vier Wochen zuvor noch Kontakt zu<br />
ihren Ärzten gehabt. In Regionen, in <strong>den</strong>en Ärzte<br />
in Präventionsprogrammen über Symptome und<br />
Therapie von Depressionen fortgebildet wur<strong>den</strong>,<br />
sank die Selbstmordrate um 20 bis 70 Prozent. Die<br />
Autoren der Analyse schließen daraus, dass die geschulten<br />
Mediziner häufiger Depressionen und<br />
Suizidgedanken erkannten und behandelten.<br />
Ähnliche Erkenntnisse und Ergebnisse erbrachte<br />
das 20<strong>01</strong> gestartete Nürnberger Bündnis gegen<br />
Depression. Zum Konzept gehörten Fortbildungsprogramme<br />
für Ärzte, Lehrer, Pfarrer oder Apotheker<br />
genauso wie die allgemeine Öffentlichkeit und<br />
Selbsthilfeinitiativen für Betroffene und Angehörige.<br />
Nach einer wissenschaftlichen Auswertung ergab<br />
sich: Die Suizidversuche in der Modellregion<br />
Nürnberg haben während der Aktivitäten (20<strong>01</strong>–<br />
2002) um über 25 Prozent abgenommen. Heute<br />
besteht das Bündnis gegen Depression bundesweit<br />
(siehe Interview S.13-15). ig<br />
Journal of the American Medical Association,<br />
JAMA 294, 2005, 2064: www.jama.ama-assn.org<br />
Leibniz-Institut für Länderkunde (IfL):<br />
http://aktuell.nationalatlas.de<br />
10 <strong>Magazin</strong> Winter 2009<br />
10<br />
Wer<strong>den</strong> depressive Patienten entsprechend ihrer individuell verschie<strong>den</strong> ausgeprägten<br />
Erkrankung ausreichend behandelt? „Nein, sie wer<strong>den</strong> nicht adäquat<br />
aufgefangen“, sagt Kramuschke entschie<strong>den</strong>. Bis Anfang 2005 habe er seinen<br />
Patienten ausreichend Zeit widmen können. Mit der Honorarreform (einheitlicher<br />
Bewertungsmaßstab: EBM 2000 plus) seit 1. April 2005 hätten er und seine<br />
vier Praxiskollegen ausgerechnet, dass sie pro Stunde drei Patienten behandeln<br />
müssten, um wirtschaftlich ar<strong>bei</strong>ten zu können. Nachdem seit Juli 2009 die Gesprächsziffern<br />
im EBM für die psychiatrischen Fächer wieder <strong>den</strong> freien Leistungen<br />
zugeordnet wur<strong>den</strong>, könnten sie nun – „bedarfsgerechter“ – pro Stunde<br />
zwei Patienten ins Arztzimmer bitten.<br />
„Die Zeit, die ein Hausarzt braucht, um ein eingehendes Gespräch zu führen,<br />
findet in der Honorierung keinen Widerhall“, beklagt Pollmächer. Es liege nicht<br />
an der Ausbildung und Sensibilität der Hausärzte, dass Depressionen <strong>bei</strong> Patienten<br />
nicht erkannt oder adäquat behandelt wür<strong>den</strong>, sondern an <strong>den</strong> wirtschaftlichen<br />
Zwängen. „40 Euro pro Patient im Quartal. Da ist keine Luft drin“, moniert<br />
er. Und ebenso wie Kramuschke sieht er die Gefahr der Chronifizierung von Depression<br />
<strong>bei</strong> unzureichend versorgten Patienten. Neben dem unnötigen Lei<strong>den</strong><br />
der Patienten, das mit individuell abgestimmter, zeitintensiver Behandlung zu<br />
vermei<strong>den</strong> wäre, warnt er: „Die Versorgung chronifizierter Betroffener und ihr<br />
Ausfall am Ar<strong>bei</strong>tsplatz wer<strong>den</strong> für die Gesellschaft teuerer als die zeitnahe optimale<br />
Behandlung“.<br />
Von der Gesundheitspolitik erwarten die drei DOXS-Mitglieder, „dass die ärztliche<br />
Expertise im Vergleich zu technischen Untersuchungen besser honoriert<br />
wird“, wie es Pollmächer formuliert. Es brauche Zeit und Mühe, die depressiven<br />
Patienten zu behandeln und für sie die entsprechende Unterstützung zu organisieren.<br />
Kramuschke zählt verschie<strong>den</strong>e „Instrumente unseres Handwerkszeuges“<br />
auf: Von <strong>den</strong> unterschiedlichen Psychotherapieformen über die Medikation bis<br />
hin zu Familienhilfe, Integrationsfachdienst für die Eingliederung am Ar<strong>bei</strong>tsplatz<br />
und anderen sozialen Maßnahmen reiche das Spektrum (siehe „Leitlinie und Integrierte<br />
Versorgung“, S. 11-12). Aber: „Nur wenn das Gesundheitsministerium<br />
die Rahmenbedingungen ändert, kann die Behandlung für depressive Patienten<br />
besser wer<strong>den</strong>. Zurzeit wird diese Gruppe an <strong>den</strong> Rand gedrängt.“<br />
Foto: DAK / Wigger