Magazin 01/2010 - bei den Doxs
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Dr. Peter Kramuschke (52),<br />
niedergelassener Facharzt für Psychiatrie<br />
und Psychotherapie in Kassel,<br />
DOXS-Gründungsmitglied.<br />
Dr. Ulrich Müller (52),<br />
niedergelassener Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut<br />
in Fulda,<br />
DOXS-Gründungsmitglied und<br />
Sprecher der DOXS-Fachgruppe<br />
Psychotherapie, Psychiatrie und Psychosomatik.<br />
Dr. Stefan Pollmächer (50),<br />
niedergelassener Facharzt für Allgemeinmedizin<br />
und Psychotherapie in<br />
Kassel, DOXS-Vorstands- und Gründungsmitglied.<br />
8 <strong>Magazin</strong> Winter 2009<br />
8<br />
„Unterversorgung Depressiver<br />
wird teuer für die Gesellschaft“<br />
In ihren Praxen steigen die Fallzahlen mit der Diagnose Depression: Das beobachten<br />
Dr. Peter Kramuschke (Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie),<br />
Dr. Ulrich Müller (Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut) und Dr.<br />
Stefan Pollmächer (Facharzt für Allgemeinmedizin und Psychotherapie). Woran<br />
das liegt, ob depressive Menschen in unserem Land gut versorgt wer<strong>den</strong>,<br />
wo sie Forderungen an die Politik stellen und wie die Diagnose Depression<br />
aus der Tabuzone geholt wer<strong>den</strong> kann, erläuterten die drei DOXS-Mitglieder<br />
in verschie<strong>den</strong>en Gesprächen mit Autorin Irene Graefe.<br />
„Alle Bemühungen von Ärzten und Verbän<strong>den</strong> haben in der Aufklärung über Depression weniger<br />
gebracht als die Öffentlichkeit um Robert Enkes Suizid.“ Stefan Pollmächer misst der<br />
Berichterstattung und Anteilnahme nach dem Freitod des Fußballnationaltorwarts im November<br />
2009 deutlich mehr Wirksamkeit für die Bewusstseinsbildung in der Bevölkerung und in<br />
der Politik zu als konzipierten Kampagnen. „Nein, das ist keine Eintagsfliege. Meines Erachtens<br />
bleibt das sitzen“, ist er überzeugt. Etwas vorsichtiger bewerten seine Kollegen das Phänomen.<br />
„Das war eine kurze Welle“, meint Peter Kramuschke. „Es sollte einfacher wer<strong>den</strong>,<br />
über Depression zu sprechen, sich dazu zu bekennen“, wünscht er sich und sieht insofern einen<br />
positiven Effekt: „Robert Enke wurde als Mensch sichtbar. Mit ihm konnten sich die Leute<br />
i<strong>den</strong>tifizieren.“<br />
Für Ulrich Müller war „die Diskussion doch schnell vor<strong>bei</strong>“. Enkes Vorgeschichte habe gezeigt,<br />
dass Menschen, die ihre Schwäche eingestehen, eventuell Angst haben müssten, sich angreifbar<br />
zu machen. Es sei schwierig, so ein komplexes Thema an einer einzelnen Person festzumachen.<br />
Eher sieht er sogar die Gefahr der Nachahmung. Dass einem Vorzeigemenschen wie<br />
Bundestrainer Joachim Löw auf der Pressekonferenz zu Enkes Tod Tränen in die Augen stiegen,<br />
sei bemerkenswert: „Wenn wir auf dem Weg zu einer Gesellschaft sind, die es zulässt, darüber<br />
nachzu<strong>den</strong>ken, dass man so was haben kann; dass es zum menschlichen Leben dazugehört,<br />
dass es solche Phasen geben kann“, würde das die Gesellschaft in Müllers Augen humaner<br />
machen.<br />
Möglicherweise wer<strong>den</strong> depressive Erkrankungen auch deswegen immer stärker ins öffentliche<br />
Blickfeld geraten, weil sie auf dem Vormarsch sind. Entsprechend der Einschätzung der<br />
Weltgesundheitsorganisation (siehe „Depression: auf dem Weg zur Volkskrankheit, S. 6-7.)<br />
sagt der Facharzt für Allgemeinmedizin und Psychotherapie Pollmächer aus seiner Erfahrung<br />
heraus: „Ja, Depression ist eine Volkskrankheit. Sie hat die Rückenbeschwer<strong>den</strong> bereits überholt<br />
– auch in Sachen Fehltage im Job und Ar<strong>bei</strong>tsunfähigkeit.“ Er verzeichnet in seiner Praxis<br />
eine „deutliche Steigerung der Fälle“. Oft stellten sich nicht nur Probleme im psychischen,<br />
sondern auch im körperlichen Bereich als Depression heraus. Da komme <strong>bei</strong>spielsweise ein<br />
Patient mit körperlichen Beschwer<strong>den</strong> oder Schmerzen und es zeige sich nach eingehender<br />
Untersuchung, dass eine somatisierte Depression dahinterstecke.<br />
Der Zulauf in psychiatrische Praxen und Institutsambulanzen steige kontinuierlich, bestätigt<br />
auch Peter Kramuschke. Wur<strong>den</strong> im ersten Quartal 2008 in Hessen 493 Fälle gezählt, waren<br />
es ein Jahr später schon 608. Er vermutet verschie<strong>den</strong>e Gründe dafür – Hausärzte überwiesen<br />
mehr Patienten zur Abklärung; die Hemmschwelle, einen psychotherapeutisch orientierten<br />
Psychiater aufzusuchen, sei gesunken; der Leistungsdruck als abhängig Beschäftigter oder<br />
Auszubil<strong>den</strong>der steige <strong>bei</strong> gleichzeitigem Erleben unzureichender Möglichkeiten, auf die Ar<strong>bei</strong>tsbedingungen<br />
Einfluss zu nehmen: Typisch ist für Kramuschke der 55-Jährige, der seine<br />
Berufserfahrung plötzlich infrage gestellt sieht. Der neue, jüngere Chef macht alles anders,<br />
Umstellungen aufs neue Computerprogramm, Ar<strong>bei</strong>tsverdichtung, gleichzeitiges Nachlassen