Jahresbericht 2010/2011 - EMW
Jahresbericht 2010/2011 - EMW
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<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong><br />
Populär und prosperierend<br />
Zur pfingstkirchlich-charismatischen Dynamik in Afrika<br />
<strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong> | 59
InhAlt<br />
thEMAtIschEr tEIl: populär und prosperierend<br />
Zur pfingstkirchlich-charismatischen Dynamik in Afrika<br />
Einführung .............................................. 3<br />
Fallbeispiele: charismatisierung in afrikanischen Kirchen ..... 7<br />
Ghana: Das Erbe der Mission ............................... 7<br />
Ghana: Heilung unter dem Kreuz ............................ 8<br />
Togo: Die Chance nicht erkannt? ............................ 9<br />
Malawi: Die Attraktivität einfacher Antworten ................. 9<br />
Kamerun: Erstaunlich tolerant ............................. 10<br />
Äthiopien: Eine charismatische lutherische Kirche<br />
mit einer Mission ........................................ 11<br />
Die Evangelische Brüder-Unität und die Charismatisierung .... 13<br />
Interview: „Jeder von uns hat nur einen Teil der Wahrheit“ ..... 14<br />
Kreuzzug gegen die Dämonen ............................. 16<br />
Deutschland: Charismatisches Christentum bei uns ........... 20<br />
Deutschland: Zwei Welten ................................ 22<br />
Lateinamerika: „Wir sind viele und wer seid Ihr?“ ............. 24<br />
Wohlstand als Geschenk des Geistes? ..................... 26<br />
Südafrika: Auf in die Welt ................................. 31<br />
Einordnungen, Vergleiche und Ausblicke ................... 34<br />
Aus DEr ArbEIt DEr GEschäFtsstEllE<br />
Direktorat .............................................. 43<br />
Geschäftsführung ....................................... 45<br />
Öffentlichkeitsarbeit ..................................... 46<br />
Grundsatzarbeit ......................................... 48<br />
Theologische Ausbildung ................................. 49<br />
Afrika ................................................. 51<br />
Mittlerer Osten .......................................... 52<br />
Asien .................................................. 53<br />
Pazifik ................................................. 53<br />
Lateinamerika .......................................... 54<br />
Finanzen ............................................... 55<br />
Projektförderung ........................................ 56<br />
Missionsakademie ....................................... 57<br />
Wirtschaftsstelle Evangelischer Missionsgesellschaften ....... 58<br />
IMprEssuM<br />
populär und prosperierend. pfingstlich-charismatische Kirchen in Afrika<br />
<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong><br />
des Evangelischen Missionswerks in Deutschland e.V.<br />
Hamburg, September <strong>2011</strong><br />
Redaktion und Layout: Martin Keiper<br />
Titelbild: Werbung für eine Großevangelisation in Lagos/Nigeria<br />
(getty images/Jacob Silberberg)<br />
Druck: MHD Druck und Service, Hermannsburg<br />
Bestellung weiterer Exemplare (kostenlos): <strong>EMW</strong>, Normannenweg 17-21<br />
20537 Hamburg. Tel. (040) 254 56-148, Fax -448, service@emw-d.de<br />
Als PDF-Datei zum Download: www.emw-d.de<br />
2 | <strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong><br />
Christoph Anders<br />
Direktor des <strong>EMW</strong><br />
die bunte Straßenszene des Titelbildes zeigt die Blickrichtung des diesjährigen<br />
thematischen Teils unseres <strong>Jahresbericht</strong>s an. Es geht um farbenfrohe<br />
Kirchen in Afrika, wo die Zuwachsraten der Kirchenmitglieder das<br />
natürliche Wachstum der Bevölkerung deutlich übersteigen. Ein Trend, der<br />
sich auch in den kommenden Jahren fortsetzen dürfte. Inmitten aller sonst<br />
eher düsteren Bestandsaufnahmen, die unser Bild von diesem Kontinent<br />
bestimmen, soll auch dies gesagt werden: Der christliche Glaube ist dort<br />
bleibend dynamisch und „populär“, ein lebendiges kirchliches Leben<br />
bei den Menschen unterschiedlicher Länder und Schichten fest verankert.<br />
Doch nicht alle Kirchen sind in gleicher Weise betroffen: Vor allem<br />
pentekostal-charismatische Gruppen und Kirchen – die den erfahrbaren<br />
Auswirkungen des Heiligen Geistes im Leben der Gläubigen zentrale<br />
Bedeutung beimessen – breiten sich weiterhin rasant aus, entwickeln<br />
sich vielerorts zu umfassend „prosperierenden“, international organisierten<br />
Kirchen-Gemeinschaften. Viele historische Missionskirchen sind in<br />
Theologie und Glaubensleben dagegen anders geprägt. Ihre Mitgliederentwicklungen<br />
sind weniger spektakulär. Und doch haben die veränderten<br />
Konstellationen erhebliche Auswirkungen auf ihr eigenes Kirchesein und<br />
damit auch auf die Beziehungen zu hiesigen Missionswerken und Kirchen<br />
als ihre langjährigen Partnern. Diesen weitreichenden Transformationsprozessen<br />
haben wir nachgespürt und dabei vor allem festgestellt, dass<br />
wirklich viel im Dialog-Fluss ist.<br />
Interessant ist dabei der Vergleich mit Einsichten, die im Zusammenhang<br />
einer <strong>EMW</strong>-Mitgliederversammlung 1995 zu einer ähnlichen Themenstellung<br />
gewonnen wurden. Eine Veränderung ist jedenfalls auffällig: Die<br />
Bedeutung von Migration. Durch das Entstehen von tausenden Migrationsgemeinden,<br />
die sich aus Geschwistern anderen Herkunft und Sprache<br />
– nicht zuletzt aus Afrika – zusammensetzen, sind in größeren Städten<br />
hierzulande Formen pentekostal-charismatischen Christentums in einer<br />
weiteren und überaus dynamischen Ausprägung anzutreffen. Es macht<br />
Mut für anstehende Dialoge, dass die damit verbundenen Anfragen immer<br />
präziser wahrgenommen werden.<br />
Der vorliegende Bericht ist nur möglich geworden, weil in einer Situation<br />
personeller Engpässe in der Geschäftsstelle Repräsentanten/innen unsere<br />
Mitglieder mit aufschlussreichen Bestandsaufnahmen einzelner Ländern<br />
sich umfassend haben einbinden lassen. Dafür möchte ich ihnen herzlich<br />
danken und zugleich ausdrücklich dazu einladen, uns weitere Beiträge<br />
und Einschätzungen zukommen zu lassen. Denn es ist absehbar, dass die<br />
Beschäftigung mit diesem Thema intensiv bleiben und vertieft werden<br />
wird. Mein Dank gilt ebenfalls den Kollegen/innen hier in Hamburg für ihre<br />
außergewöhnlichen Anstrengungen bei der Entstehung dieses Berichtes.<br />
In gewisser Weise ist dieser Bericht eine inhaltliche Anknüpfung an<br />
die Thematik des vergangenen Jahres, „Partnerschaft in Bewährung“.<br />
Aufgrund der positiven Resonanzen und hohen Nachfrage haben wir uns<br />
entschlossen, die Form der Darstellung beizubehalten. So hoffen wir auch<br />
in diesem Jahr, Ihr Interesse an der – wie der zweite Teil des Jahresbe-<br />
richtes zeigen soll – vielfältigen, über den Themenschwerpunkt weit<br />
hinausgehenden Arbeit des <strong>EMW</strong> wecken zu können. Die Zahlen über die<br />
Finanzentwicklung des Werkes zeigen eine beruhigende Kontinuität. Auch<br />
dafür möchte ich mich im Namen des <strong>EMW</strong> herzlich bedanken, wie für vielfältige<br />
Unterstützung und Fürbitte von Einzelnen, Partnerschaftskreisen,<br />
Missionswerken, Gemeinden und Kirchen.<br />
Ihr
Populär und prosperierend<br />
Zur pfingstkirchlich-charismatischen Dynamik in Afrika<br />
Weltweit wächst im Christentum der Einfluss charismatischer und pentekostaler<br />
Strömungen. Einigen Auswirkungen, die diese Entwicklungen auf afrikanische Kirchen<br />
und die mit ihnen verbundenen Missionswerke und Kirchen in Deutschland haben,<br />
geht dieser <strong>Jahresbericht</strong> nach. In dieser Einführung versuchen wir, die hier thematisierten<br />
Phänomene für eine erste Orientierung einzuordnen. Im zweiten Teil beleuchten Berichte<br />
aus mehreren Ländern und Kirchen Afrikas Ausmaß und Ausprägung dieser Entwicklungen,<br />
auch in Bezug auf das so genannte Wohlstandsevangelium. Abschließend bieten wir einige<br />
Konsequenzen aus dem Dargelegten für weitere Debatten an. Doch zunächst drei Schlaglichter,<br />
die das Thema illustrieren.<br />
Eine Kirche für jeden Geschmack<br />
Erstes Schlaglicht: Pastor Joshua von der Redeemed Christian<br />
Church of God (RCCG) beschreibt die Transformation<br />
einer kleinen, armen Kirche in Nigeria (Yorubakirche) zu<br />
einer Kirchengemeinschaft mit weltweiten Beziehungen<br />
als Konsequenz einer Fokussierung auf die „Kundschaft“:<br />
„Wenn du irgendwo hingehst, mache die Kirche relevant<br />
für die Menschen. Wenn du Fachleute erreichen möchtest,<br />
verändere die Kirche so, dass die Fachleute kommen. Wenn<br />
du aber Verkäufer auf einem Markt erreichen willst, mache<br />
die Kirche geeignet für Verkäufer. Diese Idee verwirklichte<br />
die RCCG. Sie war nicht länger nur eine lokale, kleine Yorubakirche,<br />
sie wurde eine Kirche für Jedermann. Aufgabe<br />
der Pastoren war es, die Kirche an die Menschen anzupassen,<br />
die kamen. Das verhalf der Kirche zu Wachstum. Die<br />
Situation ist der in einem Einkaufszentrum ähnlich: Es<br />
gibt Restaurants mit verschiedenen Angeboten – McDonalds,<br />
Burger King oder Kentucky Fried Chicken – und die<br />
Menschen entscheiden sich: Ich gehe zu KFC, ich gehe zu<br />
McDonalds. Jedes Geschäft könnte auch eine Kirche sein.<br />
Dann gäbe es RCCG-McDonalds, RCCG-Burger King oder<br />
RCCG-KFC.“ 1<br />
Wer nicht erweckt ist, fährt in die Hölle<br />
Zweites Schlaglicht: Besuch einer Delegation von mission<br />
21 bei einer Herrnhuter Gemeinde in Südtansania.<br />
Zeitgleich findet im Besuchsort Isoko, einer alten Missionsstation<br />
mit Krankenhaus, eine „Rallye“ mit einer regionalen<br />
Erweckungsgruppe statt. Am Sonntag hat die<br />
lokale Herrnhuter Gemeinde zum Gottesdienst geladen.<br />
Mit afrikanisch-diplomatischem Geschick werden die<br />
Einführung<br />
Gottesdienstbesucher, einerseits Vertreter des schweizerischen<br />
Missionswerkes, andererseits Teilnehmer der Erweckungskonferenz,<br />
in den festlichen Freiluftgottesdienst<br />
eingeflochten. Alles verläuft „normal“, bis ein „Erweckungschor“<br />
auftritt. Ein HIV-Aids-Berater, der im Dienst<br />
von Missionswerken Kirchen in Tansania berät, übersetzt<br />
das Lied. „Wir wissen schon, manche von euch spotten<br />
über die Erweckten, aber uns als Erweckte stört das nicht.<br />
Denn ihr geht doch in die Hölle, und wir fahren gen Himmel!“<br />
Die Gemeinde ist beunruhigt und auch das gemeinsame<br />
Gebet entspannt die Lage nicht. Die Veranstalter der<br />
Rallye, ein Ehepaar aus Dar es Salaam, das nicht innerhalb<br />
der Moravian Church theologisch ausgebildet ist, betet in<br />
einer sich steigernden Hektik – gerade so, als sei in Isoko<br />
noch nie gebetet worden.<br />
Abgesagte Dämonenaustreibung in der Pfalz<br />
Drittes Schlaglicht: Am Ende wurde der Gottesdienst doch<br />
abgesagt. Eingeladen nach Landau in der Pfalz, durfte der<br />
Moderator der Presbyterian Church of Ghana (PCG), Emmanuel<br />
Martey, dann doch keinen Gottesdienst mit exorzistischen<br />
Elementen, als Teil eines „Krieges gegen Dämonen“<br />
(spiritual warfare) abhalten (siehe S. 14 ff). Auf das Weltbild<br />
des afrikanischen Gastes wollte sich die überwiegende<br />
Mehrheit der Teilnehmenden der Veranstaltung nicht<br />
einlassen. Ihnen war die „Realität“ von bösen Geistern, die<br />
Menschen innewohnen und sie krank machen, nicht geläufig.<br />
„Hinter die Aufklärung können wir nicht mehr zurück“,<br />
erklärte einer der Anwesenden. Die These von Martey, es<br />
gäbe verschiedene Realitäten – die biblische und die wissenschaftliche<br />
– leuchtete den meisten nicht ein.<br />
<strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong> | 3
Einführung<br />
Diese drei Schlaglichter illustrieren das Thema, dem sich<br />
traditionelle Kirchen und kirchliche Institutionen gegenüber<br />
sehen: Überall in der Welt wächst der Einfluss charismatischer<br />
und pentekostaler christlicher Strömungen.<br />
Damit ist in verschiedenen Ländern eine besondere Konstellation<br />
entstanden: Die aus der protestantischen Mission<br />
erwachsenen Partnerkirchen sehen sich in ihren eigenen<br />
Kontexten von Wachstumsdynamiken umgeben, an denen<br />
sie prinzipiell nur geringen Anteil haben. Denn diese Aufbrüche<br />
betreffen Kirchen, Gemeinden und Gruppierungen,<br />
die sich in ihrer großen Mehrheit im pentekostal-charismatischen<br />
Bereich verorten lassen.<br />
Da gerade Jugendliche die Anziehungskraft dieses Kirchentyps<br />
spüren, müssen die traditionellen Kirchen versuchen,<br />
dem dadurch entstehenden Konkurrenzdruck etwas entgegenzusetzen.<br />
Die dafür gewählten Strategien variieren:<br />
Auf der Ebene der charismatischen Spiritualität, etwa in<br />
der Gottesdienstgestaltung, liegen die Positionen zwischen<br />
Ablehnung und partieller bzw. weitgehender Übernahme.<br />
Im Bereich der Individual-Ethik scheinen sich allgemein<br />
verstärkt konservative Positionen durchzusetzen (etwa in<br />
der Ablehnung von Homosexualität). Dies verbindet sich mit<br />
einer sich ausbreitenden kritischen Sicht von christlichem<br />
Leben und akademischer Theologie im Globalen Norden. Bis<br />
dahin, dass Vorstellungen von „Mission to the North“ propagiert<br />
und umgesetzt werden. Speziell dieser Aspekt bringt<br />
für die historisch gewachsenen Beziehungen zu den Partnerkirchen<br />
Probleme mit sich.<br />
Pentekostalismus und Charismatisierung –<br />
Versuch einer Definition<br />
Pentekostal<br />
In den letzten 30 Jahren soll die Anhängerschaft des Pentekostalismus<br />
2 auf 500 Millionen Menschen gestiegen sein.<br />
Die meisten Anhänger leben im Globalen Süden. Weltweit<br />
ist es dem Pentekostalismus offenbar gelungen, sich an<br />
lokale Gegebenheiten anzupassen und dennoch deutliche<br />
Profile auszubilden.<br />
Die Literatur verbindet die Anfänge des Pentekostalismus<br />
mit der Erweckung in Los Angeles von 1906, dem „Azusa-<br />
Street Mission Revival“, wo die „Gaben des Heiligen Geistes“,<br />
Zungenrede, Heilung und Prophetie, neu entdeckt und<br />
gefeiert wurden. Aber schon vorher und zeitgleich hatten<br />
ähnliche Erweckungen an anderen Orten stattgefunden,<br />
wie in der Erweckung in Wales (1905), des Mukti-Revivals<br />
in Indien (1905-07) und im Koreanischen Pfingsten (1907).<br />
Was in kleinen Gruppen begann, ist heute eine weltweite<br />
4 | <strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong><br />
Tim A. Hetherington/Panos<br />
Jesus im Boxkampf mit Satan: Ein Wandbild im „Pentecostal Solution<br />
Temple“ in Monrovia/Liberia. Bethel Onyeneke, Bischof der Kirche,<br />
behauptet, dass durch seine Gebete auch Aids geheilt werden könne.<br />
Bewegung, die sehr unterschiedliche Organisationsformen<br />
kennt. Es gibt pentekostale Kleinkirchen mit wenigen Mitgliedern<br />
bis hin zu Megakirchen mit Millionen Anhängern,<br />
die wie Unternehmen geführt werden und teilweise „Niederlassungen“<br />
in anderen Ländern und Regionen gründen.<br />
Sie haben Menschen neue Lebensperspektiven gezeigt und<br />
das Streben nach „Heiligung“ zum Lebensstil erhoben. Eine<br />
strenge Individualethik und biblischer Fundamentalismus<br />
gehören neben den erwähnten Geistesgaben zu den Charakteristika<br />
des Pentekostalismus. Mittlerweile sind die<br />
meisten pentekostalen Kirchen auch gesellschaftspolitisch<br />
engagiert.<br />
Charismatisch<br />
Der Pentekostalismus hat nicht nur neue Kirchen gestiftet,<br />
sondern auch viele Mainline-Kirchen sind von ihm<br />
beeinflusst und durchdrungen, sowohl im evangelischen<br />
und evangelikalen als auch im römisch-katholischen Bereich.<br />
Anhänger und Anhängerinnen von pentekostalen<br />
Ideen werden seit den 1960er Jahren üblicherweise als<br />
„Charismatiker“ bezeichnet. Ihre Auffassungen sind mit
den klassisch pentekostalen oft, aber nicht immer, identisch.<br />
Manche Autoren fassen beide Gruppen mit dem englischen<br />
Oberbegriff „Renewalists“ oder „Erneuerer“ 3 zusammen.<br />
Neben Organisationen, die wie klassische Kirchen verfasst<br />
sind, entstanden kreative neue Gemeinschaftsformen.<br />
Gläubige erleben Kirche im Drive-in, wie im<br />
Autokino auf dem Kirchplatz, in ihrer Wohnung vor dem<br />
Fernseher, oder irgendwo vor dem Computer im Internet<br />
und empfinden sich als Gemeindeglieder einer vollwertigen<br />
Kirche.<br />
„Unabhängige Geistkirchen“<br />
Neben den pentekostalen Kirchen haben sich seit den<br />
1920er Jahren so genannte „Unabhängige Geistkirchen“<br />
geformt. Dazu zählen unter anderem 4 die Kimbanguisten<br />
im Kongo, die Aladura-Kirchen in West-Afrika und die<br />
Zionskirchen im südlichen Afrika, die unter dem Begriff<br />
Afrikanisch Initiierte Kirchen (AIC) zusammengefasst werden.<br />
Neo-pentekostale selbstständige Kirchen<br />
Seit den 1970er Jahren wurden neue Impulse und Bewegungen<br />
aufgenommen, vor allem – aber nicht ausschließlich –<br />
in den USA. Der Pentekostalismus-Experte Allan Anderson<br />
schlägt folgende Unterscheidung vor:<br />
■ Die „Word-of-Faith-Kirchen“ aus den USA, oft zurückgeführt<br />
auf die Pastoren Oral Roberts und Kenneth Hagin<br />
(Tulsa, Ok); sie betonen Gesundheit und materiellen<br />
Wohlstand als Zeichen der Gottes-Kindschaft,<br />
■ die Kirchen der „Dritten Charismatischen Welle“, wie<br />
die Vineyard Bewegung und Calvary Chapel, die darauf<br />
hinweisen, dass die Geistesgaben allen Mitgliedern zustehen.<br />
Hier fällt Bekehrung zusammen mit dem Empfang<br />
des Geistes,<br />
■ die Neu-Apostolischen Kirchen, die sich u. a. durch Leitungsstrukturen<br />
unterscheiden und<br />
■ „andere“, schwierig einzuordnende Kirchen wie die brasilianische<br />
„Igreja Universal do Reino de Deus“ oder die<br />
„Redeemed Christian Church of God“ aus Nigeria, die<br />
beide weltweit aktiv sind.<br />
Anderson weist darauf hin, dass sich diese Impulse mit<br />
klassischen Pentekostalen, Unabhängigen und mit Charismatischen<br />
innerhalb der Mainline-Kirchen in Verbindung<br />
gesetzt haben, und heute lokal, überregional und<br />
inhaltlich miteinander verflochten sind. So ist die weltweite<br />
Lage extrem komplex geworden. Die Gruppen nehmen<br />
sich zunächst als „Bewegung“ im Gegensatz zu „Kirche“<br />
wahr, organisieren „Kreuzzüge“ und Erweckungsveranstaltungen<br />
nur in loser Verbindung mit den Ortskirchen.<br />
Tele-Kirchen, zu Beginn der 1950er Jahre noch Teil einer<br />
Ortskirche, später als eigenständige virtuelle Kirchen in<br />
den USA entstanden – werden nun auch in Lateinamerika<br />
und Asien gegründet. In den letzten Jahren vernetzen sich<br />
Christen und Christinnen online. Diese Gemeinschaften<br />
verstehen sich als virtuelle und trotzdem „echte“ Kirchen.<br />
Die Pentekostalismus-Forschung hat sich inzwischen<br />
fast zu einer wissenschaftlichen Sub-Disziplin entwickelt.<br />
Wir folgen der typologischen Definition von Anderson,<br />
der in der Spur von Walter Hollenweger wie folgt<br />
unterscheidet:<br />
■ Die klassischen Pfingstkirchen, verbunden mit Erweckungen<br />
und Missionsarbeit aus dem frühen 20. Jahrhundert,<br />
■ Charismatiker innerhalb historischer Kirchen seit den<br />
1960er Jahren,<br />
■ unabhängige, indigene Geistkirchen seit den 1920er<br />
Jahren in Afrika,<br />
■ neo-pentekostale sowie neo-charismatische selbstständige<br />
Kirchen, inklusive so genannter Megakirchen.<br />
<strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong> | 5
Einführung<br />
<strong>EMW</strong>-Beschäftigung mit dem Thema<br />
Schon 1995 befasste sich die <strong>EMW</strong>-Mitgliederversammlung<br />
unter dem Thema „Missionarische Kirche zwischen Fundamentalismus<br />
und Pluralismus“ mit den „neuen religiösen<br />
Aufbrüchen im Umfeld der Partnerkirchen in Übersee“ 5 ,<br />
wobei als besonders beunruhigend die Anfälligkeit der<br />
pfingstlerisch-charismatischen Gruppen gegenüber fundamentalistischem<br />
Gedankengut beklagt wurde.<br />
Paul Gifford sagte damals voraus, dass Formen des Wohlstandsevangeliums<br />
immer mehr Anhänger finden werden.<br />
Er machte auch auf das Wachstum der Erlösungsbewegung<br />
in Ghana aufmerksam, die sich mit Dämonenbekämpfung<br />
(spiritual warfare) befasste. Klaus Schäfer warnte davor, die<br />
Pfingstbewegung nur auf neo-imperialistische Missionstätigkeit<br />
zurückzuführen. Sie sei die Reaktion auf eine ernste<br />
und außerordentlich komplexe Krisensituation und nehme<br />
das Bedürfnis von Menschen auf, „Sinn in der Welt der<br />
Sinnlosigkeit“ zu finden. 6 Es sei die Aufgabe von Missionskirchen,<br />
auf die Fragen und Nöte der Menschen einzugehen<br />
„und vom Evangelium her kraftvoll (zu) antworten“. Theodor<br />
Ahrens konstatierte eine Verunsicherung der Missionskirchen<br />
und der mit ihnen verbundenen Missionswerke<br />
angesichts dieser neuen religiösen Bewegungen und regte<br />
eine neue Diskussion über Mission und Evangelisation an.<br />
In den vergangenen anderthalb Jahrzehnten sind die sich<br />
damals abzeichnenden Entwicklungen eingetreten. Das<br />
Wachstum der pfingstlerisch-charismatischen Bewegungen<br />
ist nicht nur ungebrochen, sondern ihre Mitgliederzahl<br />
übersteigt weltweit die aller historischen protestantischen<br />
Kirchen. Wurde 1995 von Entwicklungen „im Umfeld<br />
der Partner“ geredet, so ist die Charismatisierung mittlerweile<br />
bei den Partnern und durch Migration bei uns in<br />
Deutschland angekommen. Der Umgang mit Dämonen ist<br />
nicht mehr beschränkt auf „Häretiker“ in Westafrika, die<br />
Debatten um „spiritual warfare“ werden weltweit geführt.<br />
Nun stellt sich die Frage, wie Partner mit divergierenden<br />
Weltbildern ihre Beziehungen organisieren. Damit schließt<br />
dieser <strong>Jahresbericht</strong> inhaltlich an die Thematik des <strong>Jahresbericht</strong>s<br />
<strong>2010</strong> – „Partnerschaft in Bewährung“ – an.<br />
Wir wollen untersuchen, welche Auswirkungen die Charismatisierung<br />
für die Kirchen unserer Partner in Afrika und<br />
für uns in Deutschland haben. Kann denn, und unter welchen<br />
Umständen, die Charismatisierung als geistgewirkte<br />
„Reformation“ begrüßt werden? Und welche Veränderungen<br />
in der Struktur und Organisation von Kirchen wären<br />
die Folge? Die von <strong>EMW</strong>-Mitgliedswerken berichteten Fallbeispiele<br />
aus der Zusammenarbeit mit afrikanischen Partnerkirchen<br />
sollen dazu beitragen, der schwer überblick-<br />
6 | <strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong><br />
baren Unterschiedlichkeit der Phänomene Rechnung zu<br />
tragen. Dieser regionalen Begrenzung widerspricht nicht<br />
die Aufnahme eines Kapitels über Migrationsgemeinden<br />
in Deutschland, denn afrikanisch geprägtes Christentum<br />
ist längst auch in Deutschland präsent.<br />
Bei der Bearbeitung des Themas waren wir uns der Gefahren<br />
einer verallgemeinernden Betrachtung bewusst, denn<br />
„Entwicklungen auf Religionsmärkten“ haben „immer sehr<br />
viel mit lokalen und regionalen Gegebenheiten zu tun“. 7<br />
Deshalb beschränkt sich die folgende Betrachtung auf Afrika,<br />
auch wenn Entwicklungen in anderen Ländern (Brasilien<br />
8 , Südkorea, Sri Lanka etc.) einer genaueren Betrachtung<br />
wert sind. Unberücksichtigt bleiben mussten Entwicklungen<br />
in der römisch-katholischen Kirche 9 , obwohl dort<br />
weltweit massive charismatische Aufbrüche zu verzeichnen<br />
sind. Nicht thematisieren konnten wir den bedeutenden<br />
Bereich pfingstlich-charismatisch geprägter Kirchlichkeit<br />
in Deutschland 10 und die in einigen Landeskirchen intensive<br />
Beschäftigung mit charismatischen Entwicklungen 11 .<br />
Ungeachtet dieser Einschränkungen sind wir überzeugt,<br />
dass sich eine Diskussion der im Folgenden ausgebreiteten<br />
Thematik lohnt, denn die Dynamik der Veränderungsprozesse<br />
wird anhalten und vermehrt Fragen an Missionswerke<br />
und Kirchen stellen.<br />
| Christoph Anders/Owe Boersma/Freddy Dutz/Martin Keiper<br />
1 Anna Quaas: Transnationale Pfingstkirchen, 336, eigene Übersetzung aus<br />
dem Englischen<br />
2 Allan Anderson, Michael Bergunder, André Droogers, Cornelis van der Laan<br />
(eds.): Studying Global Pentecostalism. Theories and Methods, Introduction<br />
(S. 1-12). Allan Anderson: „Varieties, Taxonomies, and Definitions“, S. 13-29<br />
3 So in Atlas of Global Christianity, 2009, im Artikel über „Pentecostalism“,<br />
S. 100-103<br />
4 Ein beträchtlicher Teil dieser Kirchen in Afrika hat sich unter dem Dach der<br />
Organisation Afrikanisch Initiierter Kirchen (OAIC) mit Sitz in Nairobi<br />
zusammengeschlossen. Diese ist Förder- und Dialogpartner des <strong>EMW</strong>.<br />
5 Geistbewegt und bibeltreu. Pfingstkirchen und fundamentalistische Bewegungen<br />
– Herausforderung für die traditionellen Kirchen. Weltmission heute,<br />
<strong>EMW</strong> Studienheft Nr. 19, Hamburg 1995<br />
6 Ebd., 103<br />
7 „Blinde Flecken und Betriebsblindheit“. Interview mit Friedrich Wilhelm<br />
Graf, in: der überblick, Heft 1/2005, S. 12 ff<br />
8 Siehe hierzu u. a. das Jahrbuch Mission <strong>2010</strong>, Hamburg <strong>2010</strong>, bes. S. 143 ff<br />
9 So stellte das neu gegründete „Institut für Weltkirche und Mission“ seine<br />
erste Jahrestagung unter das Thema „Pentekostalismus – Anfragen an Theologie<br />
und Kirche“. Vgl. dessen <strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong>, Frankfurt/M. <strong>2011</strong><br />
10 Stellvertretend hinzuweisen ist hier auf den Mülheimer Verband Freikirchlich-evangelischer<br />
Gemeinden (MV), den Bund Freikirchlicher Pfingstgemeinden<br />
(BFP) und die Geistliche Gemeindeerneuerung (GEE).<br />
11 Exemplarisch das theologische Votum der Kammer für Mission und Ökumene,<br />
Herausforderungen der charismatischen Bewegung an die Evangelische<br />
Kirche von Kurhessen-Waldeck, Kassel 2009
Charismatisierung<br />
in afrikanischen Kirchen<br />
Das Erbe der Mission<br />
Der Rektor des Trinity Theological College in<br />
Accra, Prof. Dr. Cyril Fayose, ist Pfarrer der<br />
Evangelical Presbyterian Church (EPC) Ghana,<br />
die Partner der Norddeutschen Mission ist.<br />
Er hat in einer Dissertation die Erneuerungsbewegungen<br />
in der Kirche analysiert.<br />
Die Art des Christentums, die von der norddeutschen<br />
pietistischen protestantischen Missionsbewegung ab November<br />
1847 an die Bevölkerung des damaligen Trans-<br />
Volta-Togolandes weitergegeben wurde, versagte bei dem<br />
Versuch, die tagtägliche<br />
existenzielle Wirklichkeit<br />
der Afrikaner und<br />
ihre Fragen zu erreichen.<br />
Die Furcht der Afrikaner<br />
vor bösen Geistern<br />
und ihre Sehnsucht<br />
nach Schutz, Heilung<br />
und Erlösung wurden<br />
von den Missionaren<br />
weitgehend ignoriert<br />
oder beiseite geschoben,<br />
da sie es so eilig hatten,<br />
die Afrikaner vom Götzendienst zu kurieren. Die liturgischen<br />
Formen, Gesänge und Verhaltensregeln, die von den<br />
Missionaren eingeführt wurden, waren im besten Falle<br />
ausländische, routinehafte, düstere Prozeduren, und der<br />
Akt des Gottesdienstes ließ den Elan, den Schwung und<br />
die Lebhaftigkeit vermissen, mit denen die Afrikaner vertraut<br />
waren.<br />
Die Unzufriedenheit und Abgeneigtheit vieler Afrikaner<br />
gegenüber dieser westlich orientierten Form des Christentums<br />
ließ eine Reihe von pfingstgemeindlichen/charismatischen<br />
Erneuerungsbewegungen, afrikanisch christlichen<br />
Theologien und mehrere Spaltungen entstehen. Bereits im<br />
Archiv der Basler Mission/QD-30.035.0017<br />
Charismatisierung in afrikanischen Kirchen<br />
Ordination einheimischer Pastoren der Norddeutschen Mission<br />
in Keta 1910. Cyril Fayose, Autor dieses Textes, lobt zwar den missionarischen<br />
Einsatz der Bremer Missionare, kritisiert aber die von<br />
diesen eingeführten Gottesdienstformen, die wenig Rücksicht auf<br />
afrikanische Lebensgefühle nahmen.<br />
Jahre 1939 traten in der Evangelisch-Presbyterianischen<br />
Kirche Ghanas (EPC) einige Kirchenmitglieder hervor und<br />
unterstützten Bemühungen, die Kirche zu afrikanisieren<br />
und sie einerseits von der pietistischen Ethik der Missionare<br />
und andererseits von der allgemeinen moralischen und<br />
spirituellen Laxheit zu befreien.<br />
Diese Anführer der Erneuerung hatten nur die Absicht,<br />
ihre Kirche von innen her zu erneuern. Als sie seitens<br />
der traditionellen Kirchenführung und einiger Mitglieder<br />
eine starke Opposition verspürten, begannen diese Erneuerungsbewegungen,<br />
sich von der Hauptkirche zu lösen<br />
oder ihre Anführer wurden exkommuniziert. Die Erneuerer<br />
waren pfingstgemeindlich bzw. charismatisch orien-<br />
<strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong> | 7
Charismatisierung in afrikanischen Kirchen<br />
tiert. Sie betrieben Camps zum Beten und Heilen, deren<br />
Ausschweifungen von der etablierten Kirchenleitung bemerkt<br />
wurden, woraufhin dann die Exkommunizierung<br />
oder die Ablösung von der Kirche erfolgte. Die Erneuerer<br />
versuchten, einheimische Überzeugungen und traditionelle<br />
kulturelle Normen in die Kirche zu integrieren, wobei sie<br />
sich stark an gewisse jüdische Praktiken anlehnten, die im<br />
Alten Testament bezeugt sind. Sie praktizierten Vielweiberei<br />
und Blutopfer und führten Verbote ein, die die Ernährungs-<br />
und Sexualgewohnheiten ihrer Anhänger betrafen.<br />
Aus der Hierarchie der offiziellen Kirche wurde dies scharf<br />
kritisiert. Diesen neuen Bewegungen wurde auch die Einführung<br />
von Trommeln und Tanz, von Musikinstrumenten<br />
und bestimmten Kleidungsstücken zugeschrieben.<br />
Eine zweite Quelle der Erneuerung sind afrikanische Theologen,<br />
die verstanden hatten, dass Theologie auf ihr Umfeld<br />
bezogen werden muss. Sie begannen, Mission und Verkündigung<br />
des Evangeliums zu afrikanisieren, landessprachlich<br />
aufzubereiten und zu entkolonialisieren. Das führte<br />
stellenweise zu scharfen Zerwürfnissen mit der westlichen<br />
Theologie und zu Konflikten mit den historischen Missionskirchen.<br />
Aus der langen Reihe der Vertreter 1 dieser Richtung<br />
soll hier nur Prof. Noah Dzobo genannt werden, von<br />
1981-1992 Moderator der EPC. Seine „Melagbe-Theologie“<br />
beschreibt er als „eine Suche nach einer Interpretation und<br />
einem Verständnis der menschlichen Existenz, in wahrem<br />
Ghana<br />
Heilung unter dem Kreuz<br />
Ein Beispiel für einen eigenen praktischen und<br />
theologischen Zugang zum Thema Heilung ist<br />
das „Spiritual Healing and Ressource Centre“<br />
der Evangelical Presbyterian Church in Ho.<br />
„Für uns ist es eine ungeheure Bereicherung, dass wir diese<br />
Arbeit tun dürfen“, sagt Pastor Atimpo. Der ehemalige<br />
Synodalsekretär der EPC deutet auf seine drei Kollegen.<br />
„Wir sind ehrenamtlich oder als Ruheständler mit dieser<br />
Aufgabe betraut, und wir nehmen sie sehr ernst.“ Seit<br />
September 2004 gibt es das Spirituelle Heilungszentrum in<br />
Ho, der Hauptstadt der ghanaischen Volta-Region und Sitz<br />
der Kirchenleitung. Es liegt direkt neben Ho-Farms, einem<br />
landwirtschaftlichen Beratungszentrum unserer Kirche.<br />
Hier, unter den Bäumen, haben die Pastoren ein Kreuz aufgestellt,<br />
und man spürt eine ganz besondere Atmosphäre.<br />
Zwei Mal in der Woche bieten Gabriel Akorli und<br />
seine Kollegen ihre Dienste an. Etwa 250 Menschen<br />
kommen zu jedem Treffen, überwiegend Frauen.<br />
8 | <strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong><br />
Glauben, so wie die Afrikaner es gelernt haben, und eine<br />
Suche nach einer gültigen und brauchbaren Lösung ihrer<br />
Probleme, wie sie in unserer Art von Welt erfahren werden“. 2<br />
Nach Dzobo sollte eine solche afrikanische Theologie so beschaffen<br />
sein, dass sie uns selbst und unsere Werte als Afrikaner<br />
akzeptiert, unser afrikanisches Selbst entwickelt,<br />
sich frei fühlt, Gott in unseren afrikanischen Kategorien<br />
zu verehren und eine angemessene Antwort auf unsere afrikanischen<br />
existenziellen Herausforderungen zu finden.<br />
Er widerspricht aber jenen, die die Notlage Afrikas bösen<br />
geistigen Kräften zuschreiben.<br />
Eine sorgfältige Untersuchung der beiden Gruppen lässt<br />
erkennen, dass sie aus mehreren Gründen doch einander<br />
ähnlich sind, wobei sie allerdings unterschiedliche Ansätze<br />
zur Erreichung ihres gemeinsamen Ziels verfolgen. Erstens<br />
sind beide „Wiedererwecker“, für die die Kirche und der<br />
Glaube von lebenswichtiger Bedeutung sind, die gleichzeitig<br />
aber auch Defekte aufweisen, die sie korrigieren wollen.<br />
Zweitens sind sie im Herzen Traditionalisten, die afrikanischen<br />
Ethos und afrikanische Konzepte verwenden wollten,<br />
um die existenziellen Probleme der Kirche anzugehen. Drittens<br />
begünstigen sie eine einzigartige Form des Christentums,<br />
die man als afrikanisches Christentum bezeichnen<br />
kann und die einen bedeutenden Beitrag zur christlichen<br />
Tradition geleistet haben.<br />
| Zusammenfassung: Owe Boersma<br />
Sie nehmen auf den bereit gestellten Stühlen Platz und<br />
erzählen, was sie bedrückt. Die Pastoren bilden dann<br />
verschiedene Gruppen, je nach Problemlage. Manche sind<br />
in psychischer Not, einige fühlen sich „besessen“, wieder<br />
andere sind alkoholkrank. Die Pastoren bitten jeweils eine<br />
Gruppe nach vorn. Sie sprechen mit den Menschen, beten<br />
mit ihnen, salben sie mit Öl und erteilen den Segen. Einige<br />
erleben das Ritual eher still, andere rufen laut, sie singen<br />
und tanzen oder schlagen die Trommel. „Für uns ist die<br />
Bibel, Psalm 51, die Richtschnur“, erläutern Akorli und<br />
Atimpo. „Es ist für die Menschen eine ungeheure Erleichterung,<br />
wenn sie die Erfahrung machen, dass Gott sie in<br />
jeder Lebenslage annimmt. Und die Leute sind geheilt!<br />
Es ist rational nicht nachvollziehbar, aber sie lassen den<br />
Alkohol, sie fühlen sich nicht mehr von bösen Geistern<br />
verfolgt.“ Um ihre Arbeit ausweiten zu können, bitten die<br />
Pastoren um Unterstützung bei der Anschaffung eines<br />
Fahrzeugs: „Nur dann können wir auch die abgelegenen<br />
Gemeinden besuchen und den Menschen in spiritueller Not<br />
helfen.“ | Hannes Menke ist Direktor der Norddeutschen Mission
Die Chance nicht<br />
erkannt?<br />
Die charismatisch-pentekostalen Bewegungen<br />
haben neue Dimensionen in das afrikanische<br />
Christentum in Afrika eingeführt, schreibt der<br />
Stipendiat der Missionsakademie, Bertile Pialo<br />
Maditoma, in seiner Dissertation, in der er die<br />
Entwicklungen in der Eglise Evangelique Presbytérienne<br />
du Togo (EEPT) analysiert.<br />
Maditoma stuft die Bewegungen<br />
als Beispiel von Volkschristentum<br />
ein, weil sie den<br />
emotionalen Bedürfnissen<br />
der Massen entsprächen und<br />
ihnen eine Befreiung von Abhängigkeit<br />
und Knechtschaft<br />
versprechen. Sie eröffneten<br />
einen Raum der Freiheit, in<br />
welchem die Gläubigen ihre<br />
Emotionen ausdrücken und<br />
die Macht des Heiligen Geistes<br />
in Zeichen und Wundern<br />
erfahren können.<br />
Diese Bewegungen haben in der EEPT eine Krise bewirkt,<br />
teils wegen massiver Mitgliederverluste vor allem in den<br />
1990er Jahren, anderseits durch die Bestrebungen erweckter<br />
Laienbewegungen, ihre Einsichten und Erwartungen<br />
in der Kirche durchzusetzen. Die EEPT-Leitung bleibt aber<br />
kompromisslos ihrer klassisch reformierten Identität verschrieben<br />
und lehnt charismatische Einflüsse entschieden<br />
ab. Maditoma hält dies für einen Fehler, weil die Kirche damit<br />
eine „Afrikanisierung“ abwehrt. „Diese bewusste oder<br />
unbewusste Vernachlässigung der transzendenten Domäne<br />
ist Frucht des Erbes der ersten Missionare.“ 3 Die Theologie<br />
der EEPT sei allzu intellektuell und habe versäumt, Elemente<br />
der afrikanischen Philosophie aufzunehmen. Zwar seien<br />
lobenswerte Versuche unternommen worden im Bereich der<br />
Witwen- und Initationsriten, aber in Bezug auf Krankheit,<br />
Zauberei und Armut bleibe die Kirche Antworten auf Fragen<br />
schuldig, die Gläubige tagtäglich beschäftigten.<br />
Maditoma kritisiert den Umgang mit den Ergebnissen einer<br />
Konsultation der Partner der Norddeutschen Mission. Die<br />
Empfehlungen aus dem Jahr 1999 hätten der EEPT Möglichkeiten<br />
für einen Dialog und einer kritischen Revision<br />
ihrer Theologie geboten, sie seien aber nicht aufgenommen<br />
worden. | Zusammenfassung: Owe Boersma<br />
Malawi<br />
Die Attraktivität<br />
einfacher Antworten<br />
Auch die Baptistenkirchen von Malawi werden von<br />
der charismatischen Bewegung herausgefordert,<br />
wie Pfarrer Vincent Chirwa, Generalsekretär<br />
der Baptist Convention Malawi erklärt.<br />
Pentekostale und charismatische Bewegungen<br />
haben, teils unbeabsichtigt, eine Art Zweistufenchristentum<br />
erzeugt. Wer nicht vom Geist ergriffen<br />
wurde, gilt als minderwertiger Christ. Gottesdienste<br />
mit Zungenrede, gemeinsames lautes Beten, vom<br />
Geist „geschlagen werden“, lautes Schreien und<br />
heiliges Lachen gelten als „spirituell“, alles andere<br />
als „kalt oder trocken“. Die dominierende Verkündigung<br />
in den charismatischen Kirchen beinhaltet<br />
das Versprechen von Heilung und Wohlstand.<br />
Es bilden sich unabhängige, interdenominationelle<br />
Gruppen mit charismatischer Theologie und Liturgie,<br />
die besonders Jugendliche und junge Erwachsene<br />
ansprechen. Ohne kirchliche oder anderweitige Aufsicht<br />
kommt es manchmal zu gefährlichen Vorgängen: So kamen<br />
im Dezember <strong>2010</strong> drei baptistische Jugendlichen<br />
bei einer „Feuer-Reinigung“ zur Dämonenvertreibung<br />
ums Leben, zu der<br />
sie ein Gruppenleiter<br />
überredet hatte. Auch<br />
das absolute Vertrauen<br />
auf Heilung durch Gebet<br />
kann in die Irre führen.<br />
Manche Charismatiker<br />
halten Beerdigungen<br />
an, um den Toten<br />
zu erwecken, oder<br />
überzeugen Kranke,<br />
von einem Spitalbesuch<br />
oder der Einnahme<br />
von Medikamenten<br />
abzusehen. Ein neuer<br />
Vorstoß aus diesen Kreisen zielt darauf ab, Malawi<br />
zu einer „christlichen Nation“ zu erklären.<br />
Man verbindet damit die Erwartung, es käme<br />
dadurch zu einem Aufschwung des Landes.<br />
Positiv sieht Vincent Chirwa, dass charismatische<br />
Einflüsse eine belebende und erfrischende Auswirkung<br />
auf Gottesdienste haben, und zum Beispiel<br />
zur Erneuerung der Musik beitrugen. Eine biblische<br />
Auseinandersetzung mit charismatischer Theologie<br />
stehe allerdings noch aus. Es genüge nicht, diese von<br />
vornherein zu disqualifizieren, sondern die Kirche<br />
müsse Antworten geben auf Fragen, die die Menschen<br />
bewegen. | Zusammenfassung: Owe Boersma<br />
<strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong> | 9
Charismatisierung in afrikanischen Kirchen<br />
Gottesdienst in einer Pfingstkirche in Duala/Kamerun. In Untersuchungen zeigte sich, dass die Zahl der neuen Kirchen im Gefolge<br />
der Wirtschaftskrise des Landes ab Ende der 1980er Jahre deutlich anstieg.<br />
Erstaunlich tolerant<br />
Anders als in Togo reagiert die Presbyteria-<br />
nische Kirche in Kamerun (PCC) offener auf<br />
charismatische Bewegungen, wie Armin<br />
Zimmermann von mission 21 berichtet. Eine<br />
systematische theologische Auseinandersetzung<br />
stehe aber noch aus.<br />
Bemerkenswert sind die charismatischen Aufbrüche<br />
der letzten Jahre in zahlreichen einzelnen Gemeinden der<br />
PCC. In der Regel waren sie abhängig von einzelnen Pfarrerinnen<br />
und Pfarrern. Gottesdienste wurden um charismatische<br />
Elemente erweitert und besonders Heilungsgottesdienste<br />
fanden und finden einen regen Zulauf. Bezeichnenderweise<br />
handelt es sich dabei um junge Mitarbeitende<br />
der Kirche, zum Teil frisch vom Seminar Graduierte.<br />
Die Kirchenleitung beäugt diese neue Entwicklung durchaus<br />
kritisch, zeigt insgesamt aber eine erstaunliche Toleranz.<br />
Es ist eine in dieser Form neue Erscheinung, dass sich<br />
10 | <strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong><br />
ganze Gemeinden charismatisch<br />
ausrichten und<br />
lokal eine deutlich spürbare<br />
entsprechende evangelistische<br />
Aktivität und<br />
Wirksamkeit entwickeln.<br />
Meines Wissens ist noch<br />
kein/e charismatisch<br />
orientierte/r Pfarrer/in<br />
diszipliniert worden. Es<br />
gibt aber auch noch keine<br />
wirkliche Auseinandersetzung<br />
mit den charismatischen<br />
Aufbrüchen in den entsprechenden Gemeinden,<br />
von einem fundierten theologischen Diskurs ganz zu<br />
schweigen. Die Kirchenleitung zeigt noch keine eindeutige<br />
Haltung zu dem neuen Phänomen, doch die Bereitschaft<br />
zur Akzeptanz charismatischer Elemente ist innerhalb der<br />
Kirche und ihrer Leitung stark gestiegen.<br />
Insgesamt scheint das Klima sowohl innerhalb der Gesellschaft<br />
als auch innerhalb der kirchlichen Landschaft und<br />
<strong>EMW</strong>/Heiner Heine
speziell der PCC günstig zu sein für die Verbreitung charismatischer<br />
Elemente. Die Blockade der politischen Entwicklung<br />
und die fortgesetzten ökonomischen Probleme haben<br />
eine spirituelle Krise hervorgerufen, auf die die neueren<br />
Pfingstkirchen reagieren und die die Menschen für Charismatisches<br />
empfänglich machen.<br />
Die PCC muss sich dem stellen und sich weiterhin der charismatischen<br />
Bewegung öffnen. Es wäre jedoch an dieser<br />
Stelle mindestens hilfreich, wenn begleitend dazu, nicht<br />
zuletzt am Theologischen Seminar, ein gründlicher theologischer<br />
Diskurs darüber geführt würde, was charismatisch<br />
ist und sein sollte, was die Identität der PCC als presbyterianische<br />
Kirche eigentlich ausmacht, welche spirituellen<br />
Bedürfnisse die Menschen Kameruns haben und wie man<br />
all dies in einer attraktiven kirchlichen Praxis zusammenführt.<br />
Auf die Entwicklungen der nächsten Jahre darf man<br />
gespannt sein. | Armin Zimmermann<br />
In jüngster Zeit geht die Kirchenleitung gegen<br />
die Nebengeschäfte charismatischer Pfarrer<br />
vor, wie Dr. Christoph Stebler, Dozent und<br />
Director Academic Affairs des Theologischen<br />
Seminars in Kumba berichtet.<br />
Nach den Jahren der Toleranz zeichne sich neuerdings<br />
eine stärkere Kritik und Auseinandersetzung mit<br />
den innerkirchlichen charismatischen Bewegungen ab.<br />
Gewisse „charismatische“ Pfarrer/innen hätten finanziell<br />
davon profitiert, dass sie Menschen zu Spenden animieren<br />
konnten. Mit dem Verkauf von geweihtem Wasser und<br />
Olivenöl (Salböl) sowie anderen so genannten „faith extenders“<br />
hätten sie sich einen einträglichen Nebenerwerb verschafft<br />
– bis hin zum Eigengebrauch des „Zehnten“. Nach<br />
Steblers Einschätzung müsse man diese ökonomische Dimension<br />
in die Untersuchung der Ursachen charismatischer<br />
Aufbrüche einbeziehen. | Christoph Stebler<br />
Äthiopien: Eine charismatische lutherische<br />
Kirche mit einer Mission<br />
Die Äthiopische Evangelische Mekane-Yesus-<br />
Kirche (EECMY) bezeichnet sich offiziell als<br />
lutherisch und charismatisch. Ursachen und<br />
Folgen beschreiben Christoph Schneider-<br />
Yattara und Stefan Ritter vom<br />
ELM Hermannsburg.<br />
„Einer der wichtigsten Gründe für das explosive<br />
Wachstum der Mekane-Yesus-Kirche in den letzten fünfzig<br />
Jahren“, so erklärte der Generalsekretär der Kirche, Rev. Dr.<br />
Berhanu Ofga‘a, bei einem Partnertreffen im Jahr <strong>2010</strong>, „ist<br />
die charismatische Bewegung, denn sie trägt enorm dazu<br />
bei, dass die Laien sich an der Evangelisation beteiligen.“<br />
Das Wachstum der Mekane-Yesus-Kirche ist beachtlich;<br />
mittlerweile ist sie mit über 5,5 Millionen Mitgliedern zahlenmäßig<br />
die drittgrößte Kirche im Lutherischen Weltbund.<br />
Da die Mehrheit der äthiopischen Bevölkerung jünger als<br />
18 Jahre ist, kann sich die Kirche der Spiritualität dieser<br />
jungen Menschen kaum entziehen. Die Jugendlichen stellen<br />
nicht nur die Zukunft der Kirche dar, sondern melden<br />
sich schon heute deutlich zu Wort, in der EECMY wie auch<br />
in anderen Denominationen. Berhanu Ofga‘a berichtet: „In<br />
allen evangelischen Kirchen Äthiopiens geschehen Zei-<br />
chen, Wunder und göttliche<br />
Heilungen. Sie finden<br />
hauptsächlich unter der<br />
Jugend großen Anklang.<br />
Demzufolge sind die Gottesdienste<br />
oftmals mit<br />
jungen Leuten überfüllt.“<br />
Ob die charismatischen<br />
Bewegungen der Hauptgrund<br />
dafür ist, dass die<br />
Frage der Mission bei<br />
der EECMY in den Vordergrund<br />
kirchlichen Denken und Handelns gerückt ist,<br />
wäre noch zu untersuchen. Deutlich ist jedenfalls, dass<br />
die EECMY ganz im Trend anderer afrikanischen Kirchen<br />
liegt, die den klassischen Missionsauftrag in Mt. 28 als<br />
konkrete Anweisung für das eigene Handeln verstehen. So<br />
ist es nicht verwunderlich, dass die EECMY anlässlich ihres<br />
50-jährigen Jubiläums im Jahr 2009 eine Internationale<br />
Missionsgesellschaft (International Mission Society, IMS)<br />
gegründet hat. Als Einsatzgebiete für die eigenen Missionare<br />
sind neben afrikanischen Staaten wie dem Sudan und<br />
der Zentralafrikanischen Republik auch (vorder-)asiatische<br />
<strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong> | 11
Charismatisierung in afrikanischen Kirchen<br />
Gottesdienst in einer Gemeinde der Mekane-Yesus-Kirche. Sie versteht sich als charismatisch und lutherisch.<br />
Länder wie der Jemen, Israel/Palästina und Pakistan vorgesehen.<br />
Im Blick sind in diesen Gebieten jeweils Regionen<br />
mit überwiegend islamischer Bevölkerung. Die Missionsgesellschaft<br />
der Mekane-Yesus-Kirche orientiert sich für<br />
die angestrebte Mission unter Muslimen an evangelikalen<br />
Organisationen und Einrichtungen, die in der Mission unter<br />
Muslimen mit der Existenz von Dämonen und anderen<br />
Geistwesen rechnen. Hier ist nach ihrer Meinung „Power<br />
Encounter“ notwendig, die Überwindung des Bösen durch<br />
Exorzismus, Heilung, etc.<br />
Die Mekane-Yesus-Kirche versteht die eigenen Bemühungen,<br />
nichtchristliche Volksgruppen außerhalb Äthiopiens<br />
mit dem Evangelium zu erreichen, als eine Weiterführung<br />
der Mission, die man von den europäischen und nordamerikanischen<br />
Partnern empfangen hat. Nicht wenige Mitglieder<br />
der EECMY haben das Empfinden, dass die lutherischen<br />
Kirchen in der nördlichen Hemisphäre ihre beste<br />
Zeit bereits hinter sich haben. Die Globalisierung führt den<br />
afrikanischen Kirchen zudem Alternativen zum nordatlantischen<br />
Weg vor Augen, dies geht jedoch nicht einher mit<br />
geringer werdenden finanziellen Anfragen an ihre Partner<br />
in Nordamerika und Europa. Die IMS schreibt auf ihrer<br />
Webseite, dass sie mit den Missionsorganisationen der Partnerkirchen<br />
zusammenarbeiten möchte. Die Norwegian Lutheran<br />
Mission unterstützt bereits die neue missiologische<br />
Abteilung am EECMY-Seminar in der Großstadt Hawassa<br />
personell und finanziell.<br />
12 | <strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong><br />
| Christoph Schneider-Yattara/Stefan Ritter<br />
Zitiert<br />
„Wir können den<br />
Partnern viel bieten“<br />
„Welche Auswirkungen hat die charismatische Spiritualität<br />
der Mekane-Yesus-Kirche auf ihre westlichen<br />
Partner? Partnerschaft schließt das Teilen von Gaben<br />
und Ressourcen mit ein. Partnerschaft in der Mission<br />
heißt, sich gegenseitig zu helfen und sich durch das<br />
Teilen der Gottesgaben und der Erfahrungen mit ihnen<br />
zu unterstützen. In diesem Sinne ist die Spiritualität<br />
unserer Kirche ihr größtes Vermögen und ihr wichtigster<br />
Beitrag. Es gibt viel, was die Mekane-Yesus-Kirche,<br />
als lutherische und charismatische Kirche, den<br />
überseeischen Partnern anbieten kann, die im globalen<br />
Westen mit den Auswirkungen der Postmoderne<br />
konfrontiert sind und ums Überleben kämpfen, weil<br />
sie ihre damalige geistliche Lebendigkeit verloren<br />
haben. Wie Petrus zu dem Gelähmten an den Toren des<br />
Tempels sagt: „Gold und Silber habe ich nicht, was ich<br />
aber habe, das gebe ich Dir.“ (Apg. 3,6). Obwohl unsere<br />
Kirche kein Gold und kein Silber hat, kann sie etwas<br />
anbieten, was mehr wert ist als Gold und Silber. Dazu<br />
brauchen wir eine Strategie, wie wir die charismatische<br />
Spiritualität mit unseren Brüdern und Schwestern im<br />
globalen Westen teilen können, um das zurückzugeben,<br />
was ihre Vorväter einst für uns getan haben.“<br />
Aus einem Vortrag von Dr. Berhanu Ofga‘a, Generalsekretär<br />
der EECMY, gehalten beim Partnertreffen in<br />
Addis Abeba, Januar <strong>2010</strong> (Übersetzung von Dr. Reinhard<br />
Kees, Afrika-Referent des Berliner Missionswerks).<br />
Reinhard Kees/BMW
Die Evangelische Brüder-Unität<br />
und die Charismatisierung<br />
In Tansania wächst die Herrnhuter Brüdergemeine<br />
(Moravian Church) rapide. Die derzeit<br />
vier Kirchenprovinzen haben in Tansania selbst<br />
und in seinen Nachbarländern eine ganze Reihe<br />
von Missionsprovinzen gegründet. Sowohl<br />
die bestehenden Kirchenprovinzen als auch<br />
die neuen Missionsprovinzen sind mehr oder<br />
weniger stark charismatisiert. Die Missionsprovinzen<br />
wollen nun so schnell wie möglich<br />
Kirchenprovinzen mit allen Rechten werden.<br />
Das könnte für die weltweite Brüder-Unität<br />
insofern zum Problem werden, da dies auch<br />
das Stimmrecht in den internationalen Gremien<br />
beinhaltet und sie künftig alle Abstimmungen<br />
dominieren könnten. Wo das Problem ihrer auf<br />
Erweckung und Erneuerung ausgerichteten<br />
Frömmigkeit liege, fragen die tansanischen<br />
Herrnhuter. Ist die Brüdergemeine nicht aus<br />
einer Erweckung entstanden? Pfarrer Frieder<br />
Vollprecht, Mitglied der Direktion der Europäisch-Festländischen<br />
Provinz der Brüder-Unität,<br />
begründet, warum seine Kirche vom Ursprung<br />
her nicht charismatisch ist.<br />
Einer geistlichen Erweckung verdankt die Evangelische<br />
Brüder-Unität (Herrnhuter Brüdergemeine) ihre Entstehung<br />
in entscheidendem Maße. In dem 1722 neu gegründeten<br />
Ort Herrnhut hatten sich nicht nur Glaubensflüchtlinge<br />
aus Mähren niedergelassen, sondern auch andere Menschen<br />
mit sehr unterschiedlichen Glaubensausprägungen.<br />
Dies musste zwangsläufig zu inneren Spannungen führen.<br />
Sie wurden durch intensive seelsorgerliche Bemühungen<br />
des Grafen Zinzendorf, durch gezielte Maßnahmen für einen<br />
geordneten Gemeindeaufbau, letzten Endes dann aber<br />
durch die Gemeinschaftserfahrung bei einer Abendmahlsfeier<br />
am 13. August 1727 im benachbarten Berthelsdorf<br />
überwunden. Dieses Datum gilt bis heute als die Geburtsstunde<br />
der Erneuerung der Brüder-Unität nach dem Abbruch<br />
ihrer 200-jährigen Geschichte im heutigen Tschechien<br />
infolge des 30-jährigen Krieges.<br />
Die Erfahrung des 13. August 1727 wird in der Literatur<br />
häufig so dargestellt, als würde sie auf einer Linie liegen<br />
mit fundamentalen Erfahrungen des Wirkens des Heiligen<br />
Geistes, die später zur Herausbildung der modernen charismatischen<br />
Bewegung geführt haben. Doch ist dies nur<br />
sehr bedingt der Fall. Zinzendorf und seine Mitarbeiter<br />
haben das Ereignis relativ zurückhaltend und nüchtern<br />
interpretiert. Themen, die für die Theologie der heutigen<br />
charismatischen und neo-pentekostalen Bewegung zentral<br />
sind (Geistestaufe, Sprachengebet, Glaubensheilung, Prophetie),<br />
spielen in der Brüdergemeine der Zinzendorfzeit so<br />
gut wie keine Rolle. In Zinzendorfs Theologie liegt ein sehr<br />
viel stärkerer Nachdruck auf der persönlichen Verbundenheit<br />
der einzelnen Gläubigen mit dem Heiland und auf der<br />
dadurch entstehenden Gemeinschaft als auf Manifestationen<br />
des Heiligen Geistes.<br />
Wenn es im 18. Jahrhundert überhaupt eine Bewegung gibt,<br />
die mit der späteren charismatischen Bewegung vergleichbar<br />
ist, dann sind es nicht die Herrnhuter, sondern die<br />
so genannten „Inspirierten“. Gerade mit ihnen aber hatte<br />
Zinzendorf selbst auch größte theologische Schwierigkeiten<br />
und Differenzen. Die Auseinandersetzung mit ihren<br />
Positionen (Johann Friedrich Rock, Johann Konrad Dippel)<br />
führt ihn zu einer umso stärkeren Konzentration auf Luthers<br />
Kreuzestheologie.<br />
So bleibt an dieser Stelle festzuhalten: Die Herrnhuter Brüdergemeine<br />
ist von ihrem Ursprung und Wesen her keine<br />
charismatische Kirche im heute gebräuchlichen Sinne des<br />
Wortes, auch wenn in der Gegenwart in vielen ihrer 25<br />
Kirchenprovinzen weltweit mehr oder weniger starke Einflüsse<br />
durch die charismatische Bewegung zu verzeichnen<br />
sind. | Frieder Vollprecht<br />
<strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong> | 13
Charismatisierung in afrikanischen Kirchen<br />
Der ruandische Theologe André Karamaga im Gespräch mit <strong>EMW</strong>-<br />
Afrikareferent Owe Boersma.<br />
Was macht das Thema „traditionelle Kirchen“ und<br />
„charismatische Kirchen“ wichtig?<br />
Es ist, unter anderem, eine Frage nach „Bewegung“ und<br />
„Struktur“. Traditionelle Kirchen haben eine feste, bewährte<br />
Struktur. Charismatische Gruppen kommen ohne<br />
Struktur aus, sie sind in Bewegung. „Bewegung“ sei vom<br />
Heiligen Geist inspiriert, „Struktur“ sei es nicht, sagen die<br />
einen, die anderen sehen es umgekehrt. Wir sehen, dass<br />
manchmal die „Struktur“ in etablierten Kirchen zum Gefängnis<br />
wird, oft die „Bewegung“ in die Beliebigkeit und<br />
Schlimmeres führt, denn „Bewegung“ ist nicht selbstverständlich<br />
vom Heiligen Geist inspiriert. Also muss beides,<br />
Struktur und Bewegung, im positiven Sinne die Balance<br />
halten.<br />
Wie kann das erreicht werden?<br />
Indem die Menschen ganzheitlich angesprochen werden.<br />
Wir bestehen aus Gefühl und Verstand. Also muss beides in<br />
einem Gottesdienst angesprochen werden. Und zwar in dieser<br />
Reihenfolge: Nur wenn mein Herz erreicht wird, wird<br />
der Verstand gestartet. Musik und Gesang, im besten Fall<br />
die ganze Liturgie, spricht das Gefühl an. Und dann muss<br />
es eine Predigt geben, die das Hirn anspricht, also Futter<br />
für den Verstand.<br />
Wie unterscheiden sich charismatisch-pfingstliche<br />
von traditionellen Kirchen?<br />
Zunächst: Es gibt zwischen den Kirchen einen fließenden<br />
Übergang. Keine ist per se besser oder schlechter als die<br />
14 | <strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong><br />
<strong>EMW</strong>/Freddy Dutz<br />
„Jeder von uns<br />
hat nur einen Teil<br />
der Wahrheit“<br />
Ein Gespräch mit André Karamaga,<br />
Generalsekretär der Allafrikanischen<br />
Kirchenkonferenz (AACC).<br />
andere. Mir scheint, dass charismatische Kirchen partizipatorischer<br />
sind als traditionelle Kirchen, die den ordinierten<br />
Amtsträgern die wichtigste Rolle, z. B. im Gottesdienst<br />
geben. Das macht charismatische Kirchen für junge Menschen<br />
und Frauen attraktiv.<br />
Welche Aspekte sprechen gegen charismatische<br />
Gruppen?<br />
Zum einen ist Enthusiasmus nicht alles. Es ist wenig hilfreich,<br />
wenn Christen glauben, simple Antworten auf Fragen<br />
geben zu können, die nicht einfach sind. Die wörtliche Interpretation<br />
der Bibel ist abzulehnen, egal, welcher theologischen<br />
Richtung man angehört. Ebenso ein Evangelium der<br />
Angst. Das ist dort zu hören, wo Menschen ungebildet sind.<br />
Gibt es einen Ausweg?<br />
Theologische Ausbildung ist das A und O für alle. Zuerst<br />
natürlich für die Gemeindeleiterinnen und –leiter, aber<br />
„Theologische Ausbildung ist<br />
das A und O für alle.“<br />
auch für die Laien. Zuerst muss die Bibel sprachlich und<br />
dann in den jeweiligen kulturellen Zusammenhang übersetzt<br />
und interpretiert werden. Dafür braucht man eine<br />
Anleitung. Wenn die biblische Botschaft verstanden ist,<br />
dann verändert sie Individuen, Gemeinden, Völker, ja, die<br />
ganze Welt.
Jacob Silberberg/Getty Images<br />
Werbung für eine „Miracle Night“ in Lagos/Nigeria. Als Redner wird der „Prophet“ Femi Agboola angekündigt. In Westafrika liefern<br />
sich pentekostale Prediger regelrechte Plakatschlachten für ihre Veranstaltungen.<br />
Kirchen unterschiedlicher Ausrichtung sprechen sich<br />
unter Umständen gegenseitig das Kirchesein ab. Was<br />
macht denn eine Kirche zur Kirche?<br />
Eine Kirche, die den Heiligen Geist nicht einlädt und mit<br />
ihm nicht rechnet, ist tot. Eine Kirche, die aufgehört hat<br />
„Eine Kirche, die den Heiligen Geist<br />
nicht einlädt und mit ihm<br />
nicht rechnet, ist tot.“<br />
lernbereit zu sein, sich als „fertig“ betrachtet, ist schon<br />
ziemlich krank. Der Geist ist nicht verfügbar, aber wir müssen<br />
immer mit ihm rechnen.<br />
Zwischen den Kirchen im Norden und im Süden gibt<br />
es Schwierigkeiten. Wie sind die zu bewältigen?<br />
Reden, diskutieren, sich vertrauensvoll einander öffnen.<br />
Jeder von uns hat nur einen Teil der Wahrheit. Wir sind<br />
Teil EINER Kirche und deshalb darauf angewiesen von einander<br />
zu lernen. Damit es ein bisschen einfacher ist, sollte<br />
man nicht mit den ganz „schweren“ Themen beginnen,<br />
sondern bei den Dingen, über die es schnell zu einer Einigung<br />
kommen kann.<br />
Was kann denn als Grundvoraussetzung für einen<br />
Dialog gelten?<br />
Bei allem gilt Jesu’ Goldene Regel aus Matthäus 7,12: Was<br />
du nicht möchtest, was man dir antut, tue keinem anderen<br />
an. Damit verbietet sich die „Besserwisserei“ von selber.<br />
Von der unaufgebbaren Forderung nach einem liebevollen<br />
Umgang ganz zu schweigen! Um das Gegenüber zu verstehen,<br />
muss man ernsthaft versuchen, sich in seine Lage zu<br />
versetzen. Und schon sind bestimmte „sichere“ Wahrheiten<br />
gar nicht mehr sicher!<br />
Was hemmt die Aussöhnung zwischen Kirchen, Gruppen<br />
und Individuen?<br />
Wer über den anderen urteilt, hat die Möglichkeit des Lernens<br />
aufgegeben. Wer sich und seine Gruppe mit anderen<br />
vergleicht, überlegt, wer „richtiger“, „frommer“, „gläubiger“<br />
ist, der hört nicht mehr zu. Wer lehrt, lernt nicht, wer<br />
predigt, hört nicht.<br />
Gibt es eine nördliche und eine südliche Theologie?<br />
Bestimmte Ausprägungen des Denkens und Fühlens scheinen<br />
mir kulturabhängig zu sein. Das macht sie aber weder<br />
richtig noch falsch, sondern diskussionswürdig. Wenn es<br />
Einstellungen gibt, die so sehr mit der jeweiligen Kultur<br />
verbunden sind, dass sie für Menschen einer Region unaufgebbar<br />
sind, dann könnte man sich doch darauf einigen,<br />
dass das akzeptabel ist. Wir einigen uns dann darauf, dass<br />
wir uns nicht einigen können. Im Augenblick jedenfalls.<br />
Ansonsten bleiben wir in der Liebe Jesu Christi verbunden.<br />
Das Gespräch führten Owe Boersma und Freddy Dutz<br />
am 30. August <strong>2011</strong> in der <strong>EMW</strong>-Geschäftsstelle in Hamburg<br />
<strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong> | 15
Charismatisierung in afrikanischen Kirchen<br />
Kreuzzug gegen<br />
Für den neuen Moderator der Presbyterian Church of Ghana,<br />
Dr. Emmanuel Martey, ist der Kampf mit Dämonen<br />
(spiritual warfare) eine Selbstverständlichkeit. Für deutsche<br />
Gläubige eher nicht. Das wurde bei einem Antrittsbesuch zu<br />
einem Problem, wie Riley-Edwards Raudonat berichtet und<br />
kommentiert.<br />
„Wir haben uns entschieden, den Gottesdienst am<br />
Nachmittag abzusetzen.“ So die knappe Mitteilung nach der<br />
Mittagspause beim Ghana-Partnerschaftsseminar, das das<br />
Evangelische Missionswerk in Südwestdeutschland (EMS)<br />
am 16. April <strong>2011</strong> in Landau durchführte. Die Entscheidung,<br />
den nach Tagungsprogramm vorgesehenen „Gottesdienst<br />
mit Heilungs- und Befreiungselementen“ durch Arbeitsgruppen<br />
zu ersetzen, war für Rt. Rev. Prof. Emmanuel<br />
Martey, Referent des Tages und Präsident der Presbyterianischen<br />
Kirche von Ghana, eine Enttäuschung. Schließlich<br />
hatte er am Vormittag in einem ausführlichen Vortrag die<br />
biblische und theologische Basis der charismatischen Bewegung<br />
erläutert und somit den Boden für den Gottesdienst<br />
am Nachmittag bereitet.<br />
Durch den Gottesdienst sollte den vorwiegend deutschen<br />
Seminarteilnehmenden ein Erfahrungszugang zum charismatischen<br />
Ansatz geboten werden. Auch Christen in<br />
Landau und nicht nur im fernen Afrika sollten die heilende<br />
Kraft des Heiligen Geistes am eigenen Leib spüren. Die Diskussion<br />
zum Vortrag hatte aber gezeigt, dass die Mehrheit<br />
der Anwesenden Marteys Ansätze nicht mittragen konnten.<br />
Insofern war die Entscheidung, den Gottesdienst fallen<br />
zu lassen, richtig. Sie wurde sogar mit spontanem Beifall<br />
quittiert. Dennoch kann man mit diesem Ergebnis nicht zufrieden<br />
sein. Vielmehr stellt es einen Widerspruch dar, der<br />
den Ansporn zur Weiterarbeit in sich birgt. Ein abgesetzter<br />
Gottesdienst entspricht der vielgelobten „Partnerschaft auf<br />
Augenhöhe“ eben nicht.<br />
16 | <strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong><br />
die Dämonen<br />
Günther Menn<br />
In einer pfingstkirchlichen<br />
Gemeinde in Sambia will Pastor<br />
Mwanza eine Frau vom Satan<br />
befreien. Elemente solcher<br />
Zeremonien wollte der<br />
Moderatur der ghananischen<br />
Partnerkirche in einen Gottesdienst<br />
in der Pfalz praktizieren.<br />
Partnerschaft auf Augenhöhe bedeutet zunächst einmal<br />
so viel: Das Lehren und das Lernen, das Geben und das<br />
Nehmen sind auf beiden Seiten gleichermaßen verteilt. Die<br />
jeweiligen Partner bringen ihre Stärken in die Arbeit ein.<br />
Wer da gerade lehrt und wer lernt, wer gibt und wer empfängt,<br />
das befindet sich grundsätzlich im Fluss und richtet<br />
sich danach, wer welche Gaben hat und wer sie braucht.
In Blick auf Gottesdienst und Theologie heißt das, dass wir<br />
auf europäischer Seite die Chance haben, aus dem „Süden“<br />
zu lernen. Gelehrt haben wir bereits reichlich, denn<br />
die ehemaligen Missionskirchen bekamen ihre ursprüngliche<br />
theologische Prägung und ihre Gottesdienstformen<br />
nicht zuletzt durch den unermüdlichen Einsatz europä-<br />
ischer Missionarinnen und Missionare vor allem des<br />
19. Jahrhunderts. Zwar wird dieser Einsatz in den heutigen<br />
Partnerkirchen des Südens nach wie vor hoch geehrt.<br />
Gleichwohl sind diese Kirchen längst selbstständig und<br />
haben in der Zwischenzeit eine eigenständige theologische<br />
Entwicklung vollzogen. Wie der ghanaische Theologe<br />
Kwabena Asamoah-Gyadu bei der Konferenz „Encounter<br />
beyond routine“ anmerkte: Sie haben den in ihren Augen<br />
<strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong> | 17
Charismatisierung in afrikanischen Kirchen<br />
„übertrieben rationalen, gesetzten, liturgisch-geordneten,<br />
pfarrerzentrierten und amtskirchlichen Charakter des historischen<br />
Missionschristentums“ reformiert. Das Ergebnis<br />
ist das, was gemeinhin als „charismatische Bewegung“ bezeichnet<br />
wird. Natürlich liegt es nahe, dass die Kirchen des<br />
Südens das Ergebnis dieses Prozesses in Europa bekannt<br />
machen wollen. Denn sie sehen, dass Gottesdienste in Europa<br />
– jedenfalls in Vergleich zu den eigenen – nur mäßig<br />
besucht werden, dass die Mitgliederzahlen der hiesigen<br />
Kirchen rückläufig sind, dass Verwaltungs- und Gremienarbeit<br />
den kirchlichen Alltag bestimmen. Was könnte<br />
da näher liegen, als dass die südlichen Partner den eigenen<br />
Lernprozess und ihre neuen Formen dem Norden<br />
zugänglich machen? Wie sonst soll die „Partnerschaft auf<br />
Augenhöhe“ aussehen?<br />
Ausgangspunkt von Marteys Ausführungen in Landau war<br />
die Annahme, dass biblische und wissenschaftliche Realität<br />
verschiedene Größen sind. Sie existieren nebeneinander,<br />
greifen auch ineinander. Es sei aber grundsätzlich nicht so,<br />
dass moderne Wissenschaft das biblische Weltbild überholt<br />
oder außer Kraft gesetzt hätte. Die biblische Realität<br />
gelte, gerade auch im Blick auf moderne wissenschaftliche<br />
Erkenntnisse. Er verwies auf Markus 16,17: „In meinem<br />
Namen werden [die Gläubigen] böse Geister austreiben“.<br />
Die Macht der bösen Geister sei eine reale Macht, deren<br />
Austreibung klarer Auftrag des Evangeliums. Mit Hilfe der<br />
afrikanischen Spruchweisheit wies er auf die Härte des<br />
Kampfes zwischen den Dämonen einerseits und dem Heiligen<br />
Geist andererseits: „Wenn zwei Elefanten kämpfen,<br />
ist es das Gras, das darunter leidet.“ Er brachte das Sprichwort<br />
ins Spiel, um deutlich zu machen, dass sich solches<br />
Kräftemessen im Seelenleben eines Menschen durchaus<br />
bemerkbar macht: „Deshalb werden manche ohnmächtig,<br />
wenn man ihnen die Dämonen austreibt.“<br />
Im Weiteren wies er auf die konkrete, selbst erlebte charismatische<br />
Erfahrung hin. Er sei ursprünglich Befreiungstheologe<br />
im Sinne etwa von James Cone (USA) oder Gustavo<br />
Gutiérrez (Peru) gewesen. Aber als junger Pfarrer in Accra<br />
habe er erlebt, wie seine Gemeindeglieder bei Heilungsgottesdiensten<br />
regelrecht in Ekstase geraten seien. Vom<br />
Zweikampf ergriffen, seien manche sogar auf dem Boden<br />
gelegen und hätten am Mund geschäumt. Er habe erkennen<br />
müssen, dass diese Erfahrungen echt seien, nicht vorgetäuscht.<br />
Diese Gemeinde setze sich aus seriösen Menschen<br />
zusammen, die ein geregeltes Leben führten und ihre Verpflichtungen<br />
ernst nähmen. Niemals hätten sie ihm etwas<br />
18 | <strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong><br />
Getty Images/Malcolm Linton/Liaison<br />
Eine „Dämonenaustreibung“ in Lagos/Nigeria. Der sich als Prophet bezeichnende<br />
pentekostale Prediger T.B. Joshua steht der „Synagogue Church Of All Nations“<br />
vor und behauptet, er könne auch Aids heilen. Für seine Heilungsgottesdienste<br />
hat er auch Interessierte unter den in Lagos lebenden Weißen gefunden.<br />
vorgemacht. Diese Ernsthaftigkeit habe ihn schließlich<br />
dazu bewogen, sich dem Charismatischen zuzuwenden.<br />
Ganz in diesem Sinne äußert sich Asamoah-Gyadu: „Erfahrung<br />
ist der Herzschlag pfingstlerischer Geistlichkeit.“<br />
Nicht die Form eines Gottesdienstes ist also entscheidend,<br />
sondern die erfahrene Kraft des Heiligen Geistes. Gerade<br />
diese Erfahrung wollte Martey den Teilnehmenden des<br />
Partnerschaftsseminars in Landau zugänglich machen,<br />
doch davor sind diese so sehr zurückgeschreckt, dass das<br />
Angebot fallen gelassen werden musste.
Der springende Punkt war das Weltbild: Auf die Realität<br />
von bösen Geistern, die einem Menschen innewohnen und<br />
ihn krank machen, wollte sich die überwiegende Mehrheit<br />
der Teilnehmenden nicht einlassen. „Hinter die Aufklärung<br />
können wir nicht mehr zurück“, erklärte einer der Anwesenden.<br />
Die These von Martey, es gäbe verschiedene Realitäten<br />
– die biblische und die wissenschaftliche – leuchtete<br />
den meisten doch nicht ein. Vielmehr überwog die Sorge,<br />
in Heilungsgottesdiensten könnte man kranken Menschen<br />
Hoffnungen machen, die sich nicht einlösen ließen. Auch<br />
der Sündenbegriff sorgte für Missverständnisse. Während<br />
Martey hier von Verfehlungen des Einzelnen ausgegangen<br />
ist, die durch böse Geister ausgelöst werden, verstanden<br />
viele der anwesenden Europäer die Sünde eher als ungreifbare<br />
Macht, die nicht überwunden werden kann. Das lutherische<br />
Erbe – gerecht und sündhaft zugleich – wirkte<br />
auf deutscher Seite stark nach.<br />
Andreas Henkel, Pfarrer im Missionarischen Ökumenischen<br />
Dienst der pfälzischen Landeskirche und Mitglied<br />
der Vorbereitungsgruppe des Landauer Partnerschaftsseminars,<br />
merkte im Nachhinein Folgendes dazu an: „Ich<br />
glaube, dass wir Europäer auch auf dem Hintergrund unseres<br />
Weltbilds ‚charismatisch‘ sein können – nur mit einer<br />
anderen Theologie als die meisten Charismatiker. Ich<br />
habe es gerade wieder erlebt auf einer Pilgerwanderung,<br />
wie biblische Worte ins Herz sprechen können, wie ‚rationale‘<br />
Westeuropäer sich öffnen für die Kraft Gottes, oder<br />
nennen wir es die Kraft des Heiligen Geistes. Mir ist es<br />
um unsere Kirchen nicht bange, wenn wir darauf vertrauen<br />
und manche finanziellen und organisatorischen Ängste<br />
hinter uns lassen.“<br />
Henkels Einsichten helfen weiter. Die charismatische Bewegung<br />
in Afrika verdankt ihren Erfolg dort nicht zuletzt<br />
der Tatsache, dass sie am kulturellen und religiösen Hintergrund<br />
Afrikas anknüpft. Die Überzeugung etwa, dass<br />
die geistliche und materielle Welt stark miteinander verwoben<br />
sind, ist ein Kernelement afrikanischer traditioneller<br />
Religion. Europäer bringen eine andere geistige Prägung<br />
mit und teilen diese Überzeugung oft nicht. Darum ist es<br />
kaum denkbar, dass sie Ansätze der afrikanischen charismatischen<br />
Bewegung eins zu eins übernehmen.<br />
Wichtig ist, dass man miteinander im Gespräch bleibt. Wir<br />
auf europäischer Seite können uns ruhig der afrikanischen<br />
Beobachtung stellen, dass unsere gottesdienstliche Praxis<br />
und die damit verbundenen theologischen Ansätze viele<br />
Menschen nicht erreichen. Wir können prüfen, ob nicht<br />
auch bei uns ein Bedürfnis nach gelebten Erfahrungen<br />
mit Gott besteht. Und wir können schauen, wie sich dieses<br />
Bedürfnis angemessen befriedigen lässt. Das wäre eine<br />
angemessene Frucht der „Partnerschaft auf Augenhöhe“<br />
und eine würdige Schlussfolgerung aus dem abgesetzten<br />
Gottesdienst am 16. April in Landau.<br />
| Riley Edwards-Raudonat ist Afrika-Verbindungsreferent<br />
des Evangelischen Missionswerks in Südwestdeutschland<br />
<strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong> | 19
Charismatisierung in Deutschland<br />
Charismatisches<br />
Christentum bei uns<br />
Wie in der Einführung schon angedeutet, gibt<br />
es bei uns charismatisches Christentum schon<br />
seit etwa hundert Jahren. Neue Dynamik hat es<br />
in den Migrationsgemeinden gewonnen. Werner<br />
Kahl zeigt die Grenzen und Möglichkeiten des<br />
Ökumenischen Lernens angesichts des Migra-<br />
tionschristentums auf.<br />
Deutschland ist zu einem Einwanderungsland<br />
geworden. Kirchlicherseits verschiebt sich die konfessionelle<br />
Gemengelage, und die Präsenz des Christlichen<br />
fragmentiert sich. So nehmen in Deutschland Hunderte<br />
von Christen afrikanischer Herkunft an pfingstlichen, neopentekostalen,<br />
methodistischen, presbyterianischen oder<br />
katholischen Gottesdiensten teil, die meist nach europäischen<br />
Kolonialsprachen bzw. Lokalsprachen getrennt sind.<br />
In Hamburg dürften sonntags mehr Christen aus Afrika<br />
und Asien Gottesdienste besuchen als lutherische Christen<br />
deutscher Herkunft.<br />
Die christlichen Migranten und Migrantinnen bringen ihren<br />
jeweiligen Glauben, ihre Kultur und ihr Weltwissen<br />
mit. Erhebliche Unterschiede von westlichen Traditionen<br />
ergeben sich u.a. bezüglich<br />
des Wissens<br />
um die Bezogenheit<br />
auf eine Sphäre mit<br />
spirituellen Wirkmächten,<br />
das für viele<br />
Menschen in und aus<br />
Westafrika – gleich<br />
welcher religiösen<br />
oder sozialen Zugehörigkeit<br />
– von wesentlicher<br />
Bedeutung ist.<br />
So hängt zum Beispiel<br />
eine gelingende Gestaltung des Lebens von der Verfolgung<br />
bestimmter spiritueller Praktiken ab. Dem trägt das<br />
charismatische Christentum Rechnung, das in Westafrika<br />
zur Normalversion des Christlichen geworden ist und<br />
sich in den rund tausend westafrikanischen Gemeinden in<br />
Deutschland manifestiert.<br />
Die meisten Migrationskirchen sind unabhängige, oftmals<br />
spontan gegründete Gemeinden vor allem charismatischer<br />
bzw. neo-pentekostaler Prägung. Dies bedeutet eine Her-<br />
20 | <strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong><br />
epd-Bild/Berthold Fernkorn<br />
ausforderung für die etablierte Ortskirche, deren transkontinentales<br />
Engagement sich vor allem auf die Felder diakonische<br />
Hilfeleistung und Entwicklungspolitik konzentriert.<br />
Missionierung im klassischen Sinne gilt als passé. Die nach<br />
Deutschland immigrierten afrikanischen Christen fühlen<br />
sich einem evangelikalen und oft genug einem charismatisch-pfingstlerischen<br />
Ethos verbunden, vertreten keine Befreiungstheologie<br />
und sind nicht an einer bewussten Inkulturation<br />
des Christentums nach westlich-theologischer<br />
Vorbild interessiert. Pfingstlerische Theologie und Frömmigkeit<br />
in und aus Westafrika ist z. T. aggressiv missionarisch<br />
und Ahnengeister, Lokalgottheiten sowie bestimmte<br />
kultische Handlungen werden dämonisiert. Christen aus<br />
dem globalen Süden bzw. die Leiter ihrer Gemeinden treten<br />
selbstbewusst auf, nicht als Objekte diakonischer Hilfeleistungen,<br />
sondern als Subjekte mit einer Mission. Wechselseitige<br />
Irritationen verwundern deshalb nicht. So schien<br />
es in den 1990er Jahren in einigen Landeskirchen nicht<br />
abwegig, die jeweiligen Sektenbeauftragten mit dem Phänomen<br />
afrikanischer Migrationsgemeinden zu betrauen.<br />
Vor dem Hintergrund der Entkirchlichung in Deutschland<br />
stellt sich beinahe von selbst die Frage, ob von Missionserfolgen<br />
im globalen Süden nicht einiges zu lernen wäre.<br />
Ein Studium der mit der Kolonialzeit verwobenen Missionsgeschichte<br />
zeigt, dass Strategien theologischer Einbahnstraßen<br />
angesichts kultureller Variabilität und der notwendigen<br />
Kontextualität des Evangeliums zum Scheitern<br />
verurteilt sind.<br />
Das oft gepriesene Projekt eines nachhaltigen Lernens voneinander<br />
ist illusorisch, auch weil die afrikanische Community<br />
hier getrennt von der hiesigen Gesellschaft lebt. Ein
Hochzeitsgottesdienst in<br />
der afrikanischen „New Life<br />
Fellowship“-Gemeinde<br />
in Düsseldorf. Nachdem die<br />
Migrationsgemeinden lange<br />
meist unter sich blieben,<br />
besuchen inzwischen<br />
auch Gäste aus deutschen<br />
Gemeinden die Gottesdienste,<br />
denn sie sind in ihrer<br />
Lebendigkeit attraktiv.<br />
heimische Kirchengemeinden existieren neben Migrationsgemeinden,<br />
selbst wenn die Migranten Gaststatus in einer<br />
anderen Gemeinde haben. Zu einem Miteinander kann es<br />
auch gar nicht kommen, da viele dieser Gemeinden von der<br />
ersten Migrationsgeneration getragen werden und sich in<br />
der Phase der Isolierung befinden – sie dienen der Selbstversicherung<br />
und der Lebensorganisation in der Fremde.<br />
Warum soll sich Kirche aber auf das Projekt eines transkulturellen<br />
ökumenischen Lernens einlassen? Will man<br />
nicht die Evangeliumsbezogenheit der Kirche aufs Spiel<br />
setzen, ist dies alternativlos. Deshalb bemühen sich die<br />
verschiedenen Konfessionen um Rahmenbedingungen,<br />
die qualifizierte Begegnungen mit Migrantengemeinden<br />
fördern.<br />
In Deutschland gibt es seit zehn Jahren interkonfessionelle<br />
und interkulturelle Fortbildungskurse in Zusammenarbeit<br />
mit Migrationspastoren. Wenn die Anwesenden einander<br />
erleben als um eine lebensrelevante Bedeutung des Evangeliums<br />
Ringende, die durch unterschiedliche Traditionen<br />
geprägt und in ihrem Sosein einzigartig sind, dann lässt<br />
das die anderen nicht unbeeindruckt. Das kann ein Rechnen<br />
mit der erfahrbaren Gegenwart des Geistes Gottes in<br />
meinem Leben zur Folge haben und daraus mag eine vertiefte<br />
Spiritualität resultieren, die neue Kraft, Trost und<br />
Hoffnung zu geben vermag. Es kann Menschen ermutigen,<br />
ihre Gaben in Gottesdienste einzubringen und gerade junge<br />
Menschen zum Mittun anregen. Charismatisch-pfingstlerische<br />
Christen aus Afrika könnten von uns lernen, dass<br />
christlicher Glaube und Theologie auch eine gesellschaftsrelevante<br />
und -gestaltende Dimension haben. Wir hören von<br />
afrikanischen Christen, dass Gott als vollmächtig handelnd<br />
bzw. verändernd erfahrbar sein kann. Allerdings ist eine<br />
ungebrochene Übertragung von Glaubensinhalten, Gottesdienstelementen<br />
und Missionsstrategien in evangelische<br />
Gottesdienste in Deutschland zum Scheitern verurteilt.<br />
Das Lernen setzt die Bereitschaft und Fähigkeit voraus,<br />
Ausdrucksformen von dem zu unterscheiden, was durch<br />
sie zum Ausdruck kommt (Funktion). Ausdrucksformen<br />
sind kulturell gebunden und kaum direkt zu übertragen<br />
(vgl. etwa afrikanischer Tanz, Trommel, Lautstärke versus<br />
Orgelmusik, andächtige Stille). Wenn aber z.B. durch<br />
afrikanische Ausdrucksformen Aspekte des Evangeliums<br />
zum Ausdruck kommen, die im NT benannt werden bzw.<br />
durchscheinen – das zugesagte Heil betrifft den Menschen<br />
lebensbejahend und transformierend in all seinen bzw. ihren<br />
Bezügen, d.h. den Körper, die Gemeinschaft usw. – und<br />
die in unserer Tradition vernachlässigt werden, dann können<br />
wir Impulse empfangen, die auch dazu beitragen, das<br />
Bild von Kirche in der Öffentlichkeit zu verändern.<br />
Viele christliche Migranten und Migrantinnen verharren<br />
in der ersten Generation in ihrer Heimatenzyklopädie.<br />
Sie bleiben an die Familie in der Heimat gebunden, auch<br />
weil sie Ahnenflüche befürchten. Das Erlernen der hiesigen<br />
Sprache ist conditio sine qua non für eine gelingende<br />
Kommunikation des Evangeliums. Dies und die Aufnahme<br />
in die hiesige Gesellschaft nimmt Zeit in Anspruch.<br />
Hier und da wächst eine lebendige Ökumene vor Ort, Lokales<br />
und Globales überlappt sich und bringt neues Leben<br />
hervor. Menschen mit Migrationshintergrund werden in<br />
Deutschland geboren und wachsen heran. In Migrationskirchen<br />
beginnen junge Menschen, die eine hohe Kompetenz<br />
im „floaten“ in verschiedenen Kulturen erworben<br />
haben und etwas Neues verkörpern, das zur Norm wird,<br />
Leitungsaufgaben zu übernehmen. Für viele behält praktizierte<br />
Religiosität eine große Bedeutung. Die verfasste<br />
Kirche hier sollte Foren kreieren, um den Prozess des Zusammen-Wachsens<br />
zu fördern. Solches kirchliches Engagement<br />
dürfte eine Signalwirkung auf die weitere Gesellschaft<br />
haben.<br />
In der interkulturellen Begegnung von Christen fungieren<br />
die jeweils anderen sowohl als Spiegel als auch als Fenster:<br />
Ich lerne, mich besser zu verstehen und gleichzeitig sehe<br />
ich Veränderungsmöglichkeiten. Einheimische Kirchen<br />
und Migrationsgemeinden können durch ökumenisches<br />
Kennenlernen christlich angemessene Verhaltensweisen<br />
angesichts der veränderten Situation von Kirche und Gesellschaft<br />
lernen.<br />
| Prof. Dr. Werner Kahl ist Studienleiter in der Missionsakademie<br />
an der Universität Hamburg.<br />
<strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong> | 21
Charismatisierung in afrikanischen Kirchen<br />
Zwei Welten<br />
Nigeria ist Großexporteur von Pfingstchristentum,<br />
und zwar nicht nur in die Nachbarländer,<br />
sondern auch nach Europa. Anna Quaas hat<br />
zwei dieser Kirchen in ihrer Dissertation<br />
untersucht 4 und fragt, welche Ergebnisse eine<br />
Begegnung mit ihnen haben könnte.<br />
Die einen beschreiben die anderen als voraufklärerisch.<br />
Der in Pfingstkirchen insbesondere afrikanischer<br />
Herkunft gepflegte Glaube an Dämonen und böse<br />
Geister trifft bei Mitgliedern der evangelischen und katholischen<br />
Kirche in Deutschland in aller Regel auf Argwohn.<br />
Wenn dann in diesen Kirchen noch der Zehnte eingetrieben<br />
und gepredigt wird, dass Gott Wohlstand für alle wolle,<br />
sind die Grenzen der ökumenischen Toleranz häufig<br />
erreicht. Der vor Jahren den afrikanischen Brüdern und<br />
Schwestern wohlwollend zur Verfügung gestellte Gemeinderaum<br />
wird im nächsten Jahr anderweitig gebraucht. Seit<br />
langem schon schien diese internationale Pfingstgemeinde<br />
obskur, deren Pastoren ständig wechselten und in der es<br />
sogar eine Spaltung gegeben hatte.<br />
Von Mitgliedern der internationalen Pfingstgemeinde<br />
hört man dagegen, der Heilige Geist habe die Kirchen in<br />
Deutschland längst verlassen. „Viele Menschen verspüren<br />
einen Hunger nach Gott“, erklärte beispielsweise der Pastor<br />
einer internationalen Pfingstkirche in Berlin. „Aber sie<br />
wissen es nicht. Und deswegen versuchen sie ihren Hunger<br />
mit Drogen, mit Alkohol, mit Sex und Tabak zu stillen –<br />
all das ist Hunger nach Gott. Aber weil sie Gott nicht kennen,<br />
versuchen sie ihren Hunger nach Gott mit etwas zu<br />
stillen, was nicht befriedigt.“ Pastorinnen und Pastoren in<br />
Deutschland seien keine wirklichen Vorbilder. Es gebe sogar<br />
einige unter ihnen, die öffentlich Zigaretten rauchten<br />
und Homosexualität in ihren Gemeinden duldeten. Auch<br />
den interreligiösen Dialog betrieben die „mainline churches“<br />
bis zur Selbstaufgabe.<br />
Christentum in zwei Welten? Gibt es eine Schnittmenge<br />
zwischen den deutschen Kirchen und den internationalen<br />
Pfingstkirchen? Und was könnte der positive Effekt sein,<br />
wenn sie aufeinander treffen? In internationalen Pfingstkirchen<br />
wird häufig klar unterschieden zwischen dem positiven<br />
Wirken Gottes und dem negativen Eingreifen des<br />
Satans. Während ihre Gläubigen Gott und Jesus mit Attributen<br />
wie Schutz, Hilfe und Wohlstand verbinden, erken-<br />
22 | <strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong><br />
In einem Gottesdienst der „Redeemed Church of Christ“ in Lagos/Nigeria werden<br />
neu hinzugekommene Gemeindeglieder begrüßt. Die einst arme Kirche<br />
expandiert weltweit und hat inzwischen zahlreiche Ableger in Europa.<br />
nen sie hinter Krankheit, moralischem Verfall und Missgeschick<br />
das Wirken dämonischer Mächte. Wer sein Leben<br />
Christus übergibt, sich moralisch einwandfrei verhält und<br />
sich in Gebet, Fasten und Bibelstudium übt, wird früher<br />
oder später die – auch materiellen – Früchte seines Tuns<br />
ernten. Wer dagegen ein kritischer Geist ist, krank und beschwert,<br />
der sollte sich gegen die Angriffe Satans wehren<br />
und sich wahrhaft zum Christentum bekehren.<br />
In der dualistischen Weltsicht, die positives Handeln Gott<br />
und negatives Handeln den Dämonen zuschreibt, liegt ein<br />
zentraler Unterschied zwischen der Theologie von Pfingst-<br />
kirchen etwa nigerianischer Herkunft und der Tradition<br />
des europäischen Protestantismus. Das Nachdenken<br />
über die verborgene Seite Gottes im Anschluss an Martin
Luther oder die Betonung der Schwachheit und des Mitleidens<br />
Christi werden in diesen Pfingstkirchen nach meinen<br />
Beobachtungen theologisch ausgeblendet. Hier könnte ein<br />
fruchtbares theologisches Gespräch ansetzen, denn die Erfahrung,<br />
dass nicht jede Krise durch den Glauben an Gott<br />
überwunden wird und Armut nicht immer in Wohlstand<br />
mündet, machen auch nigerianische Christen. Auch moralische<br />
Fragen wie Homosexualität erscheinen in einem<br />
anderen Licht, wenn sie nicht notwendigerweise dem Handeln<br />
Satans zugeschrieben werden. Ein Aufbrechen des<br />
dualistischen Paradigmas scheint mir geboten.<br />
Andererseits fragen Pastorinnen und Pastoren nigerianischer<br />
Pfingstkirchen meiner Ansicht nach zu Recht, wie<br />
deutsche Großkirchen dem Auftrag Jesu, in seinem Namen<br />
Jacob Silberberg/Getty Images<br />
böse Geister auszutreiben (Mk. 16,17), nachkommen. Bei<br />
vielen Migrantinnen und Migranten insbesondere aus Afrika<br />
ist das Bewusstsein, von Dämonen und bösen Geistern<br />
besessen zu sein, stark ausgeprägt. In Deutschland wird<br />
dieses Thema völlig übergangen, obwohl wichtige Vertreter<br />
und Strömungen der Seelsorgebewegung des 20. und 21.<br />
Jahrhunderts (Thurneysen, Scharfenberg und Josuttis) sich<br />
mit dämonischer Besessenheit beschäftigt haben. Migrantinnen<br />
und Migranten zeigen hier auf einen blinden Fleck<br />
in der theologischen Reflexion der „mainline churches“,<br />
die aufgrund ihrer volkskirchlichen Ausrichtung selbstverständlich<br />
auch die theologischen Fragen von Menschen,<br />
die nach Deutschland zugewandert sind, ernst nehmen und<br />
bearbeiten sollten.<br />
Ein weiteres Thema, in dem unterschiedliche Welten aufeinander<br />
treffen, ist das Thema „Struktur“. Ein Pastor<br />
der Redeemed Christian Church of God, einer der größten<br />
Pfingstkirchen Nigerias, beklagte etwa, dass Deutsche<br />
mit dem Wort Kirche die althergebrachten Institutionen in<br />
Verbindung brächten. Ähnliches habe er auch in der anglikanischen<br />
Kirche in Nigeria beobachtet, die in den letzten<br />
Jahren zahlreiche Mitglieder verloren habe. Junge und gebildete<br />
Menschen hier wie dort könnten sich mit den traditionellen<br />
Kirchen nicht mehr identifizieren, weil sie diese als<br />
fremdartige und langweilige Einrichtungen betrachteten.<br />
Vor dem Hintergrund dieser Negativfolie der institutionalisierten<br />
Kirchen, denen der Pastor neben der römisch-katholischen<br />
und der evangelischen Kirche in Deutschland<br />
auch einige Pfingstkirchen zurechnete, entwickelte er ein<br />
neues Konzept eines Seminars oder Treffpunktes, in denen<br />
auf die Bedürfnisse der Menschen eingegangen werden<br />
könne. Weniger Struktur, so seine Quintessenz, fördere<br />
das Wirken des Heiligen Geistes.<br />
Diese Meinung teilen die meisten seiner Kollegen. Es gibt<br />
aber auch Ausnahmen: Gerade die fehlende Struktur sah<br />
der Pastor einer anderen internationalen Pfingstkirche als<br />
besonderes Problem an. Es sei zu einfach zu sagen, Bürokratie<br />
sei nutzlos und entbehrlich, weil der Heilige Geist<br />
jenseits von Bürokratie wirke. Heutzutage gebe es auch<br />
viele, die sich auf das Wirken des Heiligen Geistes beriefen,<br />
um sich aus eigener Initiative als Präsident oder Gründer<br />
einer Kirche zu deklarieren. Dadurch entwickele sich eine<br />
unkontrollierbare Menge an Gemeinden und Pastoren, denen<br />
keinerlei Grenzen aufgezeigt würden. Mit ihren Strukturen<br />
hätten die etablierten Großkirchen diesen Gemeinden<br />
eindeutig etwas voraus.<br />
Inwieweit Strukturen das Wirken des Heiligen Geistes<br />
hemmen oder einen nachhaltigen Gemeindeaufbau fördern<br />
<strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong> | 23
Charismatisierung in afrikanischen Kirchen<br />
könnten, wird also unter pfingstlichen Pastoren durchaus<br />
kontrovers diskutiert. Das wäre ein weiterer Anknüpfungspunkt<br />
für den theologischen Austausch zwischen den etablierten<br />
Großkirchen und den Pfingstkirchen. Schließlich ist<br />
das Wohlstandsevangelium ein Reizthema, um das gestritten<br />
werden muss. Vertreter westlicher Großkirchen werfen<br />
neo-pentekostalen Kirchenführern vor, sich durch die<br />
Spenden von armen Menschen in Afrika zu bereichern und<br />
halten diese Praxis für einen Skandal. Mit dem Spenden, so<br />
dagegen Anhänger des Wohlstandsevangeliums, verhalte<br />
es sich wie in der Landwirtschaft: Wer großzügig spende,<br />
werde reichen Erntesegen einfahren.<br />
Auf den Vorwurf der unrechtmäßigen Bereicherung nahm<br />
Enoch Adeboye, Spitzenpastor der Redeemed Christian<br />
Church of God, Bezug: Ein amerikanischer Journalist<br />
habe ihn gefragt, wie er es verantworten könne, von den<br />
Hunderttausenden Besuchern, die an seinen monatlichen<br />
Event-Gottesdiensten teilnehmen, mehrere Kollekten einzufordern.<br />
Daraufhin habe er geantwortet: „Ich lächelte<br />
und sagte: Danke der Nachfrage. Jahrelang hat Afrika seine<br />
Hand ausgestreckt, um Hilfe von anderen Nationen zu<br />
erhalten. Die Leute dort haben gegeben und sind wohlhabender<br />
geworden. Aber wir, mit all unseren Ressourcen,<br />
sind ärmer geworden, weil wir Hilfsempfänger waren. Deswegen<br />
habe ich mit meinem Gott einen Pakt geschlossen:<br />
Noch zu meinen Lebzeiten wird Nigeria den Ländern der<br />
Welt Kredite geben. Denn nur durch Geben kommst du aus<br />
der Armut. Deswegen lehre ich meine Leute, dass sie spenden<br />
sollen und bete weiter für sie zu Gott.“<br />
Dass gerade die Verbreitung des Wohlstandsevangeliums<br />
von Adeboye als Mittel zur Emanzipation von der finanziellen<br />
Herrschaft des Nordens über den Süden angesehen<br />
wird, ist ungewöhnlich, aber zumindest nachdenkenswert.<br />
Adeboye widerspricht damit sämtlichen befreiungstheologischen<br />
Maximen.<br />
Die Begegnung mit Angehörigen internationaler Pfingstkirchen<br />
stellt alte Gewissheiten in Frage und wirft neue Fragen<br />
auf: Es bleibt zu hoffen, dass Fragen des Gottesbildes,<br />
der Struktur und der Ethik in Zukunft intensiver zwischen<br />
Angehörigen von „mainline churches“ und internationalen<br />
Pfingstkirchen erörtert werden. Manche Stereotypen<br />
könnten dadurch überwunden und neue Erkenntnisse gewonnen<br />
werden.<br />
24 | <strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong><br />
| Dr. Anna Quaas ist Theologin und hat sich in einem<br />
Forschungsprojekt mit nigerianischen Pfingstkirchen und<br />
deren Verbreitung in Europa befasst.<br />
„Wir sind viele<br />
und wer seid Ihr?“<br />
Kennzeichnend für das pfingstliche Christentum<br />
ist ein gut entwickeltes Selbstbewusstsein.<br />
Bei einer Begegnung zwischen Vertretern der<br />
EKD und lateinamerikanischen Pfingstkirchen<br />
führte dies zu ungewöhnlichen Gesprächssituationen,<br />
wie Uta Andrée berichtet.<br />
„Wir sind viele und wer seid Ihr?“ Mit dieser Frage<br />
kommen ein Selbstbild und eine Neugier zum Ausdruck,<br />
die das Gespräch zwischen Lutheranern und Pfingstlern<br />
aus Lateinamerika in Wittenberg im Mai <strong>2011</strong> bestimmt<br />
haben. Vertreter von Pfingstkirchen aus Argentinien, Chile<br />
und Brasilien, die auf Einladung der EKD an einer Studien-<br />
und Begegnungsreise teilnahmen, stellten in immer<br />
wieder neuen Varianten diese Frage an Lutheraner und<br />
Unierte – an ihre Landsleute, die ebenfalls an der Reise<br />
teilnahmen. Dabei bestimmte nicht Überheblichkeit die<br />
Tonlage, sondern manchmal ein Staunen, manchmal ein<br />
Ärger darüber, dass es da Kirchen gibt, denen es nicht in<br />
erster Linie um das konstante Wachsen der Mitgliederzahlen<br />
geht, nicht um die starke und laute Präsenz auf den Plätzen<br />
der Städte und nicht um ständig neue und spektakuläre<br />
Bekehrungsgeschichten. Worum geht es euch dann? Und<br />
worauf beruft ihr euch, wenn das Evangelium euch nicht<br />
zu solchen Zeugen macht, wie wir es sind – mit unserer<br />
uneingeschränkten Hingabe, mit unserem neuen Lebenswandel<br />
und mit den Zeichen von Wundern und Gottesnähe<br />
in unseren Zelten und auf unseren Bühnen? In Wittenberg<br />
wandelten sich Vorurteile und Kampagnen in echte Fragen<br />
an leibhaftige Gesprächspartner.<br />
In Lateinamerika sind nicht nur die Pfingstkirchen und<br />
ihre Mitglieder in großer und wachsender Zahl präsent,<br />
auch die historischen Kirchen (Protestanten und Katholiken)<br />
müssen sich charismatischen Bewegungen innerhalb<br />
ihrer Gemeinden stellen und eine adäquate Antwort darauf<br />
finden. Die römisch-katholische Kirche hat sich offensiv für<br />
eine Beheimatung dieser Gruppen intra muros entschieden.<br />
Ein Beispiel dafür ist die Unterstützung der Megachurch-<br />
Bewegung des brasilianischen Priesters Marcelo Rossi in<br />
São Paulo. Auch durch alle Kirchen der Reformation zieht<br />
sich die zum Teil scharfe Auseinandersetzung um den angemessenen<br />
Umgang mit fundamentalistischen, moralistischen<br />
und charismatisierenden Strömungen – wobei diese<br />
drei Merkmale bei manchen neuen Bewegungen ineinan-
<strong>EMW</strong>/Heiner Heine<br />
der fallen und bei anderen wiederum sehr unterschiedlich<br />
stark ausgeprägt sind.<br />
Für alle charismatischen Gruppen intra und extra muros<br />
gilt: Die Anbetung und der Lobpreis Jesu stehen im Zentrum<br />
der Spiritualität, unmittelbare Gottesbegegnung und<br />
Geisterfahrung prägen das Glaubensleben, das spontane<br />
und freie Gebet füreinander stiftet intensive Gemeinschaft,<br />
Heilungswunder gehören konstitutiv zum Erweis<br />
des rechten Glaubens in der jeweiligen Kirche. Mission ist<br />
der stärkste Impuls, der von diesen Gruppen nach außen<br />
geht. Ob diese Mission sich dann in sozialdiakonischer, in<br />
prophetischer oder in staatstragender Weise gestaltet, ist<br />
sehr unterschiedlich.<br />
Um dem Phänomen der Pfingstbewegung in Lateinamerika<br />
gerecht zu werden, muss man vielleicht anders als in anderen<br />
Kontexten die Unterscheidung zwischen klassischen<br />
Pfingstlern und Neopentekostalen festhalten. Dies ist den<br />
historischen Pfingstkirchen sehr wichtig. Sie wollen nicht<br />
mit Gruppen verwechselt werden, die mit dem Wort Gottes<br />
Geld machen, die Menschen mit Exorzismen in den Wahnsinn<br />
treiben und die mit dem Evangelium Menschen psychisch<br />
unter Druck setzen und abhängig machen.<br />
Charismatisierung in Lateinamerika<br />
Einen imponierenden Chor hat die pfingstkirchliche Kathedrale in Santiago de Chile aufzuweisen. Die vor über einhundert Jahren gegründete<br />
Pfingstkirche Chiles ist stolz auf ihr Erbe und will mit Neopentekostalen nicht verwechselt werden.<br />
Wir sind viele und wer seid ihr? Diese Frage markiert ein<br />
Erwachen, eine neue Bereitschaft zum Dialog, ein neues<br />
Interesse an den anderen, die historisch zunächst die Übermacht<br />
institutionalisierter Amtskirche darstellten, die nun<br />
aber immer mehr als die bemitleidenswerten, kranken, alten<br />
Kirchen in den Blick kommen. Die ökumenische Herausforderung<br />
besteht darin, eine gegenseitige Wahrnehmung<br />
als Partner und als unterschiedliche, aber gleichberechtigte<br />
Arbeiter im Weinberg Gottes zu ermöglichen.<br />
Wir sind viele und wer seid ihr? Diese Charakterisierung<br />
der ersten Annäherung der Pfingstler an historisch protestantische<br />
Kirchen aus dem lateinamerikanischen Kontext<br />
kommt etwas spöttisch daher. Spott ist vielleicht typisch<br />
für den, der sich durch den Zulauf der Menschen bestätigt<br />
fühlt und meint, die Mitgliederzahlen sprächen für seine<br />
Art, Kirche zu sein und den Glauben zu verkündigen. Bei<br />
uns geschieht die Begegnung vielleicht manchmal genau<br />
unter umgekehrten Vorzeichen. Und es könnte sein, dass<br />
dann und wann auch bei uns bei der Begegnung mit den<br />
freien und pfingstlichen Gemeinden die Frage durchklingt:<br />
Wir sind viele und wer seid ihr?<br />
| Dr. Uta Andrée ist Oberkirchenrätin im Kirchenamt der EKD<br />
und zuständig für Mittel- und Südamerika<br />
<strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong> | 25
Wohlstandsevangelium<br />
Wohlstand als<br />
Geschenk des Geistes?<br />
In den vorausgegangenen Texten ist in ver-<br />
schiedenen Zusammenhängen auch der Begriff<br />
„Wohlstandsevangelium“ oder „Prosperity<br />
Gospel“ aufgetaucht. Das mag zunächst überraschen,<br />
denn beim Thema „Charismatisierung“<br />
dominieren Assoziationen eines<br />
enthusiastischen Christentums. Tatsächlich<br />
gehören aber Hoffnungen auf irdisches Wohlergehen<br />
und Strategien zur Verbesserung der<br />
Lebensumstände in diesen Themenzusammenhang,<br />
wie Christoph Anders beschreibt.<br />
Vorstellungen vom Wohlstandsevangelium haben<br />
sich weltweit ausgebreitet und prägen mittlerweile historische<br />
protestantische Kirchen ebenso wie die römischkatholische<br />
Kirche. Insbesondere sind sie im Bereich von<br />
(neo-)pfingstlichen Kirchen und Gemeinden in den letzten<br />
drei Jahrzehnten verstärkt wahrgenommen worden. Und<br />
obwohl es an Extrempositionen deutliche Kritik innerhalb<br />
und außerhalb der Pfingstbewegung gab und gibt, behalten<br />
solche Vorstellungen eine große Anziehungskraft. Prosperity<br />
Gospel wird in der Forschung mit gutem Grund<br />
als Kennzeichnung für „eine der wichtigsten theologischen<br />
Strömungen der gegenwärtigen charismatischen Frömmigkeit“<br />
bezeichnet. 5 Ein etwas genauerer Blick ist also sinnvoll.<br />
6<br />
Dazu drei kurze Schlaglichter: Ein junger Mann aus Nigeria<br />
hatte als Reaktion auf Predigtaufrufe des Pfarrers<br />
seinen Volkswagen der Gemeinde gespendet in der festen<br />
Erwartung, er würde stattdessen durch Gottes Hilfe einen<br />
Mercedes-Benz erhalten. Als dieser nach einiger Zeit immer<br />
noch nicht eintraf, sah er Gott bei dem mit ihm abgeschlossenen<br />
„Vertrag“ als wortbrüchig an und ging nicht<br />
mehr zur Kirche. 7<br />
Eine Jugendmusikgruppe aus Accra/Ghana mit dem Namen<br />
„Calvary Road“ (Straße nach Golgatha) entwickelte<br />
sich in den späten 1980er Jahren zu einer Gemeinde. Diese<br />
veränderte im Laufe der Jahre ihren Namen in „Harvesters<br />
International“ (Internationale Erntearbeiter), da Golgatha<br />
als Begriff zu negativ mit Verzweiflung, Leiden und Agonie<br />
26 | <strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong><br />
An der Schnellstraße von Lagos<br />
nach Ibadan werben die neuen<br />
Kirchen mit großen Plakatwänden.<br />
Ihre Namen und Slogans sind<br />
Programm: „Victory Christian<br />
Church“ oder „The Communion<br />
Church – Relationship is everything“<br />
besetzt sei. Weil Namen nach traditionell afrikanischem<br />
Verständnis Einflüsse auf Lebensumstände ihrer Träger<br />
zugeschrieben werden, wurde gegen ein mühselig-kampfbetontes<br />
Leben eine Selbstbeschreibung gesetzt, die an das<br />
Einbringen der Gaben erinnert, die von Gott seinen Gläubigen<br />
versprochen sind. 8<br />
Sonntags-Gottesdienst in einer Pfingstgemeinde in Kapstadt.<br />
Der Gast-Pfarrer predigt über Möglichkeiten, Krankheiten<br />
durch Heilungen zu überwinden. Am Ende zerschneidet<br />
er demonstrativ seine Krawatte in mehrere Teile<br />
und händigt diese mit dem Hinweis auf ihre heilende<br />
Kraft an Gemeindeglieder aus, die selbst krank sind bzw.<br />
Kranke zu pflegen haben. 9<br />
Jacob Silberberg/Getty Images
Diese Beispiele mögen befremden, können aber als exemplarisch<br />
gelten für die Weltsicht des Wohlstandsevange-<br />
liums. Wie ließe sich sein Kern benennen? „Predigen, interpretieren<br />
und lehren des Wortes Gottes und der Frohen<br />
Botschaft von Jesus Christus unserem Herrn in einer<br />
selbst-bedienenden Weise, die ihre Betonung auf prestigeträchtigen<br />
Konsumismus setzt, um damit zu suggerieren,<br />
dass der Besitz der materiellen Dinge dieser Welt notwendige<br />
Indikatoren einer genuinen Christlichkeit und Gottes<br />
Anerkennung sind.“ 10 Hier wären wegen unterschiedlicher<br />
Akzente in den USA, Afrika, Asien und Lateinamerika 11<br />
manche Differenzierungen angebracht, vereinfachend<br />
kann jedoch Folgendes festgehalten werden 12 :<br />
Es geht um Formen christlicher Verkündigung und entsprechendem<br />
Leben, bei denen Reichtum, Gesundheit, Erfolg,<br />
Glück und andere Ausprägungen irdischen Wohlergehens<br />
im Mittelpunkt stehen. Gläubige sollen Anteil bekommen<br />
am Sieg Jesu Christi über Sünde und Krankheit 13 , an der<br />
Erlösung vom Fluch des Gesetzes und eben auch vom Fluch<br />
der Armut. Sie haben Anspruch auf Gottes erfahrbaren Segen,<br />
denn ein „Leben in seiner ganzen Fülle“ (Joh.10,10) 14<br />
ist seit der Schöpfung sein bleibend gültiger Wille. Krankheiten<br />
und andere Ausprägungen von Leid haben ihren<br />
Ursprung im Teufel als Gottes Widersacher und sind eigentlich<br />
bereits mit dem Kreuz Christi überwunden. Durch<br />
die Wiedergeburt im Heiligen Geist, die Erschaffung des<br />
<strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong> | 27
Wohlstandsevangelium<br />
neuen, inneren Menschen bekommen Christen/innen Zugang<br />
in die „geistige, übernatürliche Dimension“, die die<br />
materielle Welt, einschließlich den Körper beeinflusst. 15 Die<br />
Brücke zu dieser anderen Wirklichkeit ist der Glaube. Dieser<br />
hat sein Zentrum in der Gewissheit der Erhörung von<br />
klar formulierten Gebetsanliegen 16 und entwickelt umwälzende,<br />
schöpferische Kraft. Christen „müssen lediglich das,<br />
was schon existiert, durch die Macht des Glaubens in der<br />
physikalischen Welt ins Leben rufen“. 17<br />
Ein solcher Glaube muss auch öffentlich zu Gott stehen,<br />
„positive Bekenntnisse“ vor den Mitmenschen werden erwartet.<br />
In ihnen wird Gott für Gebetserhörungen bereits<br />
gedankt, die sich in der irdischen Realität noch materialisieren<br />
müssen. 18 Auch andere Aspekte gehören zu den gegenseitig<br />
verpflichtenden „Bündnissen“ und „Pakten“, die<br />
zwischen den Gläubigen und Gott geschlossen werden sollen.<br />
Von Gott her wird Wohlstand, Leben in Fülle zugesagt,<br />
von den Gläubigen die Selbstverpflichtung zu umfassenden<br />
Spenden, besonders des Zehnten. Solche Gaben gehen an<br />
Pfarrer, Gemeinde oder Kirche als Akteure im geistlichen<br />
Kampf für die Ausbreitung der weltumspannenden Mission<br />
Gottes zur Errichtung seines Reiches. 19 In diesen Kampf<br />
gehören auch symbolische und reale „Landnahmen“ durch<br />
die Kinder Gottes. Denn wie die Israeliten seinerzeit beim<br />
Auszug auch Eigentum der Ägypter „mitgehen“ 20 ließen, so<br />
ist es heute an den Christen, den „illegalen“ Besitz anderer<br />
zu durchbrechen und selbst „Einzug zu halten“ 21 . Konstellationen<br />
erkennbaren Wohlstands etwa bei Pfarrern und<br />
Gemeindeleitern werden als deutliche Spuren des „Segens<br />
Abrahams“ gewertet 22 , als Erfüllungserweise wahrer Glaubenstreue<br />
und göttlichen Wohlgefallens. Von einem „geheiligten<br />
Konsumismus“ oder „heiligen Materialismus“ 23<br />
kann gesprochen werden. Also: „Warum auf den Himmel<br />
warten, um deine Villa zu bekommen“? 24<br />
Entstehung und Protagonisten<br />
Nur einige kurze Hinweise auf Entstehung und einige<br />
herausragende Vertreter solcher Positionen und ihre Kirchen:<br />
Es herrscht Übereinstimmung, dass die Wurzeln<br />
des Wohlstandsevangeliums in der „Glaubensbewegung“<br />
(„Faith-Movement“), der „Christlichen Wissenschaft“ und<br />
dem „Neuen Denken“ in der zweiten Hälfte des vergangenen<br />
Jahrhunderts liegen. 25 In die Pfingstbewegung hielt<br />
es Einzug u. a. durch Kenneth E. Hagin 26 , Kenneth und<br />
Gloria Copeland sowie Oral Roberts. Dabei lässt sich eine<br />
aufschlussreiche Transformation verschiedener Strömungen<br />
pentekostalen Denkens feststellen: Von einem lange<br />
ausgeprägten Verständnis von Heilung über ein ganzheitliches<br />
Verständnis von Gesundheit zu einem Denken in<br />
28 | <strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong><br />
Jacob Silberberg/Getty Images<br />
Gottesdienst der „Redeemed Church of Christ“ in Nigeria: Die Kirche ist ein<br />
Beweis für wirtschaftlichen Erfolg, denn sie hat sich aus kleinsten Anfängen im<br />
Westen Nigerias zu einer Kirche entwickelt, die Gemeindegründungen weltweit<br />
vorantreibt.<br />
Kategorien des Wohlstands 27 in den letzten Jahrzehnten<br />
des vergangenen Jahrhunderts.<br />
Für unseren Zusammenhang sind Ausprägungen dieses<br />
Denkens in der afroamerikanischen „Black Christianity“-<br />
Szene in den USA wichtig. Denn dort trafen Motive des<br />
Wohlstandsevangeliums auf eine lange verwurzelte Suche<br />
nach geistlichem und materiellem Wohlstand, die ihre Ursprünge<br />
hatte in Erfahrungen der Sklaverei und rassischer<br />
Unterdrückung. Aus dieser Geschichte waren Hoffnungen<br />
auf gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft<br />
gewachsen, wie sie besonders in der Bürgerrechtsbewegung<br />
vertreten wurden. 28 Im Zusammenkommen dieser<br />
Linien wurde in verschiedenen schwarzen, pentekostalen<br />
Kirchen „empowerment“ zum Schlüsselbegriff, der zu-
gleich individuelle und kollektive Prozesse bezeichnete.<br />
Diese Entwicklung wird heute personifiziert etwa durch<br />
den berühmten Mega-Church-Prediger Thomas Dexter<br />
Jakes in Dallas. 29<br />
Diese gesellschaftspolitische Dimension des Wohlstandsevangeliums<br />
im Kontext der Black Christianity ist für die<br />
Ausbreitung entsprechender Vorstellungen in Afrika von<br />
Bedeutung. Denn die angedeuteten afro-amerikanischen<br />
Vorstellungen ließen sich verbinden mit pan-afrikanischen<br />
postkolonialen Diskursen, die zu neuen, kontextualisierten<br />
Vorstellungen von black power, black pride and black prosperity<br />
führten. 30 Auch Mensa Otabil, Gründer der International<br />
Central Gospel Church (ICGC) in Accra, Ghana, gehört<br />
seit vielen Jahren zu den afrikaweit einflussreichen Theologen<br />
und Akteuren im öffentlichen Raum. Auch er verbindet<br />
persönlichen „Durchbruch“ mit gesellschaftlichem<br />
„Aufbruch“. 31 Überregionalen Einfluss erlangten Erzbischof<br />
Benson Idahosa (Nigeria) und Erzbischof Duncan Williams<br />
(Ghana). 32 In Brasilien hatte 1977 Bischof Edir Macedo Bezerra<br />
die „Universalkirche vom Reich Gottes“ (IURD) gegründet.<br />
Sie zählt heute mit weltweit ca. zwei Millionen<br />
Mitgliedern, 2.000 Gemeinden in 70 Ländern zu den weltweit<br />
aktiven neo-pfingstlichen Global Playern. 33 Starken<br />
Einfluss hatte auch Pfarrer D. Yonggi Cho und die Yoido<br />
Full Gospel Church in Seoul/Korea, der mit über 200.000<br />
Mitgliedern weltweit größten Einzelgemeinde. 34<br />
Instrumente der Verbreitung<br />
Wie werden Vorstellungen des Prosperity Gospel ausgedrückt<br />
und unter den Menschen verbreitet? 35 Moderne Medien<br />
spielen erklärtermaßen eine ebenso große Rolle wie<br />
Bücher und Traktate, die weltweit elektronisch unter „das<br />
Volk“ gebracht werden. Die Namen von neueren Kirchen<br />
und Gemeinden sind bezeichnend: Victory Bible Church;<br />
Conquerors Chapel International; Overcomers Ministries<br />
International; Winners’ Chapel; Holy Gost Power Ministries<br />
International. Nicht zufällig sind – neben der Taube für den<br />
heiligen Geist – Weltkugel und Adler häufige Symbole in<br />
Kirchenlogos.<br />
Veranstaltungsthemen lauten: „Six days powerful Revival“,<br />
„Komm und bete für deinen Durchbruch“ oder „Anspruch<br />
erheben auf Gottes Versprechen“. Ein 21-tägiges Gebetsfasten<br />
wird als „War Cry“ mit dem Thema „Naturgesetze<br />
aufheben“ angekündigt; „Hebe deine Augen auf und<br />
vergrößere dein Zelt“, so der Titel für Wohlstands- oder<br />
„Empowerment“-Gipfel. „Aufstiegs-Seminare“ rufen Teilnehmende<br />
dazu auf, „die finanzielle Schlacht (zu) gewinnen“.<br />
Dafür ist es nötig, der Aufforderung zu folgen: „Komm<br />
Jacob Silberberg/Getty Images<br />
auf den Highway in das gelobte Land“ oder „bereite dich<br />
vor zu übernehmen“. Die Selbstvorstellungsplakette an der<br />
Außenwand einer neo-pentekostalen Kirche lautet: „Friede<br />
in meinen Grenzen, Wohlstand in meinen Palästen“.<br />
Programmatische Auto-Aufkleber sind ebenfalls beliebt:<br />
„Mit Jesus werde ich immer gewinnen“, oder: „Ich rieche<br />
Erfolg“. Solche generellen Ansagen werden gern auch auf<br />
Jahresziele konkretisiert: „<strong>2010</strong>: Mein Jahr des Ruhmes“;<br />
„<strong>2011</strong>: Mein Jahr der doppelten Menge.“ Mit Recht lassen<br />
sich Einstellungen, die sich in diesen Beispielen finden,<br />
mit dem neopentekostalen Schlüsselsatz zusammenfassen:<br />
„Your life shall never be the same“ 36 .<br />
Einen Scheck über 10.000 nigerianische Naira (etwa 50 Euro) schreibt<br />
die Besucherin eines Gottesdienstes der „City of David Church“ aus.<br />
In nicht wenigen neopentekostalen und charismatischen Kirchen<br />
Afrikas werden so Millionenbeträge eingesammelt.<br />
Kritik<br />
Wo setzt nun die zum Teil massive Kritik an Prosperity<br />
Gospel-Vorstellungen an? 37 Immer wieder wird ein irreführendes<br />
Bibelverständnis moniert, das einzelne Verse aus<br />
ihrem Zusammenhang löst und uminterpretiert, ganze Passagen<br />
zur nachträglichen Legitimation bereits bestehender<br />
Vorstellungen funktionalisiert. So wird zum Beispiel der<br />
breite Strom biblischer Warnungen vor Reichtum, Mammon<br />
und Gier ausgeblendet 38 . Dabei wird durchaus anerkannt,<br />
dass Abschnitte der Bibel ein umfassendes, die verschiedenen<br />
Dimensionen des Lebens umgreifendes Verständnis<br />
von Segen und Schalom entfalten.<br />
Ein formelhaftes, reduziertes Glaubensverständnis mit<br />
automatisch funktionierenden Gesetzmäßigkeiten wird<br />
<strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong> | 29
Wohlstandsevangelium<br />
zurückgewiesen. Im Kontext des Wohlstandsevangeliums<br />
wird „Gott zu einem ‚Geist in der Flasche‘, dessen Hauptaufgabe<br />
darin besteht, auf menschliche Manipulationen zu<br />
antworten.“ 39 Gegenüber solchen menschlichen Versuchen,<br />
Gott durch geistliche Formeln – auch „positive Bekenntnisse“<br />
– letztlich domestizieren zu wollen, wird die Souveränität<br />
des göttlichen Gnadenwillens für die Menschen<br />
unterstrichen. 40<br />
Weil Krankheit angeblich dem Willen Gottes widerspricht,<br />
soll und kann jede/r geheilt werden, wenn er/sie nur richtig<br />
glaubt. Fortdauernde oder nach menschlichem Wissen<br />
„unheilbare“ Krankheiten werden folglich mit sündhaftem<br />
Leben in Beziehung gebracht, was biblisch-theologischen<br />
Zentralvorstellungen – und etwa auch dem Lebensbeispiel<br />
des Paulus – keineswegs entspricht. „Mit der Leugnung von<br />
Krankheiten verwirft das Wohlstandsevangelium die wichtige<br />
eschatologische Dimension der Heilung“. 41 Verworfen<br />
wird eine um sich greifende „Theologie der Herrlichkeit“,<br />
in der letztlich kein Platz ist für das Kreuz Christi. Dessen<br />
Heilsbedeutung wird massiv relativiert. Menschliche<br />
Leiderfahrungen können nur als zu überwindende, weil<br />
gegen Gottes Willen stehende „Lügen des Teufels“ gesehen<br />
werden. 42 „Ebenfalls verneinen wir, dass Armut, Krankheit<br />
oder ein früher Tod immer Zeichen eines Fluches Gottes<br />
sind oder der Beweis mangelnden Glaubens oder das Resultat<br />
menschlicher Flüche, denn die Bibel weist solche<br />
simplen Erklärungen zurück“. 43<br />
Damit sind auch gravierende seelsorgerliche Vorbehalte gegeben.<br />
Denn wenn die gewünschten Glaubens-Ergebnisse<br />
auch nach längerem Warten nicht eintreten, bleiben letzlich<br />
nur Verdrängung, Umdeutung oder Nicht-Akzeptanz<br />
von Erfahrungen, welche die Glaubensgewissheit erschüttern<br />
können. Oder aber die „Schuld“ am Ausbleiben der<br />
Glaubenserfolge wird mit Vorwürfen an die eigene oder<br />
an fremde Adressen 44 verwiesen. Schließlich ist auch das<br />
Verlassen des Glaubensweges eine von den Ausgangsvoraussetzungen<br />
her folgerichtige Konsequenz, weil es im<br />
Kern weniger um ein Vertrauen auf Gott, sondern um einen<br />
„Glauben an den eigenen Glauben“ geht. Wenn es zu<br />
einem „Teufelskreis von Versagen, Frustration und Resignation“<br />
45 kommt, sind für die Betroffenen letztlich kaum<br />
allgemein akzeptierte, theologisch begründete Auswege<br />
vorhanden.<br />
Das Wohlstandsevangelium ist – so die Kritik – dennoch<br />
keine Gute Nachricht für die Armen: Sie werden zusätzlich<br />
ihrer Würde beraubt, weil der Umstand, unter unmenschlichen<br />
Bedingungen leben zu müssen, als gottfern<br />
gedeutet wird. Im Wohlstandsevangelium geht es letztlich<br />
30 | <strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong><br />
Per-Anders Pettersson/Getty Images<br />
Man muss sich nicht einmal am Wohlstand im Globalen Norden orientieren – er<br />
ist greifbar nahe: Die schwarze Mittelklasse in Südafrika präsentiert gerne ihren<br />
Reichtum, wenn sie am Wochenende zu ihren Verwandten nach Soweto fährt.<br />
um das Geld, das zum Götzen, zum Mammon wird. Dem<br />
dient die wachsende Bedeutung von Spenden-Sammlungen<br />
und Kollekten 46 in Gottesdiensten und eine stark auf<br />
sie bezogene, reduzierte Wortverkündigung. Geben ist dabei<br />
weniger ein gottesdienstlicher Akt des Teilens, sondern<br />
wird mit expliziten Erwartungen an sichtbare, vielfache<br />
Rückerstattungen durch Gott verbunden. Es ist quasi<br />
eine Investition in die irdische Zukunft, beschrieben als<br />
„Aussaat eines Samens“. Manche der dabei vorgetragenen<br />
Vorstellungen erinnern in fataler Weise an vorreformatorische,<br />
Tetzel’sche Ansichten. 47 Mit der Verführung zum<br />
Wahn eines raschen materiellen Erfolges werden in aller<br />
Regel keine tragfähigen Lösungen für die Probleme des<br />
Alltags angeboten.<br />
Meist sind es nur Pfarrer und Leitende in Gemeinden und<br />
Kirchen, die tatsächlich durch Spenden reich werden. Faktisch<br />
wird eine „Kultur der Gier“ unterstützt, wird das Streben<br />
nach Einfluss und Reichtum häufig zum entscheidenden<br />
Antrieb auch des pastoralen Handelns. Es entstehen<br />
„andere Opfer des Wohlstandes“, denn sie verlieren die Nöte
Südafrika<br />
Auf in die Welt!<br />
Helga Dickow und Valerie Møller haben Mitglieder der<br />
charismatisch-pentekostalen Grace Bible Church in<br />
Soweto/Südafrika befragt und deren Einstellungen<br />
mit denen anderer Denominationen verglichen.<br />
Die pentekostal-charismatische Grace Bible Church<br />
in Soweto wurde 1983 gegründet und hat derzeit etwa<br />
11.000 Mitglieder. Frauen und Mitglieder mit höherer<br />
Ausbildung und Einkommen sind leicht überrepräsentiert,<br />
das Durchschnittsalter liegt bei 35 Jahren. Fast<br />
alle Mitglieder kamen von anderen Kirchen, wobei<br />
die Methodisten stark, und die Reformierten schwach<br />
vertreten sind. Nur sechs Prozent waren vorher<br />
Mitglied einer anderen neo-pentekostalen Kirche.<br />
Überzeugt hat die Kirche durch ihre Spiritualität.<br />
Eine hohe Anzahl von Mitgliedern erwähnt seit Eintritt<br />
in die Kirche Fortschritte in Gesundheit, Einkommen,<br />
sozialen Beziehungen und Selbstsicherheit. Die<br />
Mitglieder der Grace Bible Church beten häufiger als<br />
andere schwarze Gläubige in Gauteng. Fast alle hatten<br />
der bleibend Armen ebenso aus den Augen, wie eine angemessene<br />
Haushalterschaft für die ihnen anvertrauten<br />
Gaben. Die einen wie die anderen brauchen pastorale Begleitung.<br />
Gerade Pfarrer und Bischöfe leben vielfach nicht<br />
entsprechend der biblischen Aufforderung, vorbildhaft einen<br />
einfachen Lebensstil zu praktizieren. 48<br />
Die Lehren des Wohlstandsevangeliums werden summarisch<br />
als „Verirrung“, „falsches“ bzw. „anderes Evangelium“<br />
klassifiziert. Weil „Wundersuche“ anstelle echter Evangelisation<br />
platziert, der Aufruf zur Buße durch das Einsammeln<br />
von Spenden ersetzt und statt des ewigen Heils<br />
Lebensbewältigung angeboten wird. Im Blick auf die unsachgemäßen<br />
Betonungen der irdischen Lebensumstände<br />
wie Heilung, Überwindung von Armut und Leiden gelten<br />
Prosperity-Ansätze als nicht nachhaltig, weil sie ein unrealistisches<br />
Bild des Lebens entwerfen. Sie bergen insofern<br />
ausdrücklich die Gefahr, dass sie von einer Konzentration<br />
auf die Bedeutung des eigentlichen Zieles der Sendung<br />
Jesu, nämlich der am Kreuz geschehenen Rettung der Menschen<br />
aus ihren Sünden ablenken können. 49<br />
Gründe für den Erfolg<br />
Angesichts solch massiver Bedenken muss noch einmal<br />
gefragt werden, warum das Wohlstandsevangelium dennoch<br />
und anhaltend erfolgreich ist Auch hierzu nur wenige<br />
ausgewählte Aspekte:<br />
charismatische Erfahrungen: Zwei Drittel haben selbst<br />
in Zungen geredet, 85 Prozent geben an, vom Heiligen<br />
Geist geheilt worden zu sein. Fast alle Befragten glauben<br />
an die buchstäbliche Wahrheit der Bibel, zeigen sich<br />
aber in Sachen Frauenemanzipation liberaler als andere<br />
Christen in Gauteng – nur sechs Prozent fanden, dass<br />
Frauen zu Hause bleiben sollten. Andererseits haben<br />
zwei Drittel kein Verständnis für eine Regierung, die<br />
Abtreibung, Homosexualität und gleichgeschlechtliche<br />
Ehen erlaubt und die Todesstrafe abschafft.<br />
Die Mitglieder der Grace Bible Church zeigen mehr<br />
Mitgefühl für Arme und Bedürftige und würden Arme<br />
auch finanziell unterstützen. Im Vergleich zu anderen<br />
Christen fühlen sie sich weniger machtlos, haben geringere<br />
Zukunftsängste und sind offener für Veränderungen.<br />
Fleiß und eine gute Ausbildung sehen die Kirchenmitglieder<br />
als entscheidend für den Erfolg im Beruf<br />
an. Mehr als andere Menschen sehen sie sich bereits<br />
als Angehörige der „Middle Class“ und erwarten<br />
weiteren gesellschaftlichen Aufstieg.<br />
| Zusammenfassung: Drea Fröchtling/Owe Boersma<br />
<strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong> | 31
Wohlstandsevangelium<br />
Die florierende „Nollywood“-Filmindustrie Nigerias transportiert in ihren Filmen Bilder afrikanischen Reichtums und Erfolgs. An dieser<br />
Lebenswelt orientieren sich die Träume vieler Menschen. Hier wird in Abidjan/Elfenbeinküste für eine DVD „The Last Supper“ geworben.<br />
Prosperity Gospel muss zunächst verstanden werden vor<br />
dem gesamtafrikanischen Hintergrund von verbreiteter Armut<br />
und partiellem Reichtum. Warum werden Wege aus der<br />
Armut verstärkt in den Kirchen gesucht? Die Ressourcen<br />
sind bleibend ungleich verteilt, der Graben zwischen Reich<br />
und Arm hat sich auch bei zunehmender Einbindung in<br />
globale Märkte vertieft, und Regierungen bzw. Akteure der<br />
Entwicklungszusammenarbeit gelten aufgrund unerfüllt<br />
bleibender Versprechungen und erfolgloser Projekte weithin<br />
als delegitimiert. In einem Klima umfassender gesellschaftlicher<br />
Instabilität gehören Kirchen zu Garanten von<br />
Stabilität und Zukunftsperspektiven. Auch deshalb sind<br />
Denkfiguren des Wohlstandsevangeliums mittlerweile<br />
zur Identität vieler pentekostal/charismatischer Kirchen<br />
geworden, weil darin Gottes helfendes Eingreifen verkündet<br />
wird, weil Auswege, Aufstiege, Durchbrüche also<br />
umfassende Lebensverbesserungen offenbar glaubhaft in<br />
Aussicht gestellt werden. Der rasche Verdacht, dass die<br />
Mehrheit der Anhänger nicht weiß, was sie tut, bzw. die<br />
Verführten nicht erkennen, wozu sie missbraucht werden,<br />
32 | <strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong><br />
kommt solidarisch daher, entbehrt aber nicht eines gewissen<br />
paternalistischen Zungenschlages.<br />
Auch Kritiker räumen ein: Das Wohlstandsevangelium und<br />
ähnliche, „motivierende“ Verkündigungsformen haben Potential<br />
für Empowerment. Als widrig erlebte Verhältnisse<br />
gelten aufgrund eigenen Tuns und Lassens als veränderbar.<br />
In einem Kontext von Ohnmacht werden durch neues<br />
Selbstbewusstsein Stärkungserfahrungen, Aufbrüche und<br />
neue Hoffnungen für das „alltägliche Leben in einer ungerechten<br />
sozialen Ordnung“ möglich. 50 Ein zusammenfassender<br />
Satz der oben vorgestellten Prosperity Gospel-Instrumente<br />
könnte lauten: „You can do it!“ 51 Wenn Rettung<br />
von der Sünde, Heilung von Krankheit und Hilfe bei der<br />
Überwindung von Armut zusammengehören, dann könnte<br />
ein Grund für den Erfolg des Wohlstandsevangeliums<br />
schlicht darin bestehen: „Dieses Versprechen hat eine gute<br />
Chance, erfüllt zu werden.“ 52 In ähnliche Richtungen weisen<br />
auch neuere Tendenzen, in denen Versprechen von<br />
Aufstieg und Durchbruch stärker eingebunden werden in<br />
Kambou Sia/AFP/Getty Images
Sozial- und Entwicklungsprojekte, die von den Kirchen in<br />
Eigenregie aufgebaut und vor Ort durchgeführt werden. 53<br />
Yong unterstreicht den starken Erfahrungsbezug von Vorstellungen<br />
des Wohlstandsevangeliums. Neue Christen/<br />
innen sind nicht nur in Afrika mehrheitlich durch eigene<br />
oder fremde Erfahrungen von Heilung und ganzheitlichen<br />
Segnungen – Reichtum eingeschlossen – in direkten Kontakt<br />
mit dem christlichen Glauben gekommen. Die Zentren<br />
der Christenheit haben sich in den Globalen Süden<br />
verlagert, weil die Menschen Gott dort als Retter nicht nur<br />
von Körper und Seele erfahren haben, sondern auch als<br />
Transformator ihrer Lebensumstände hin zum Besseren.<br />
Christliche Erlösung äußert sich konkret im erkennbaren<br />
Wohlergehen derer, die Christus und dem Heiligen Geist<br />
nachfolgen. So kann Prosperity Gospel verstanden werden<br />
als die „neueste Form der Kontextualisierung des christlichen<br />
Glaubens in der nicht-christlichen Welt (…) Aber<br />
was meint es, die Gute Nachricht zu indigenisieren oder<br />
inkulturieren in Kontexten, die von Armut, Krankheit und<br />
Unter-Entwicklung gekennzeichnet sind? In diesen Situationen<br />
muss ein Evangelium, das einen Unterschied macht,<br />
Körper heilen, sozioökonomischen Aufstieg ermöglichen<br />
und Wohlstand mit sich bringen“. 54<br />
In vielen Vorstellungen des Wohlstandsevangeliums werden<br />
Adaptionen traditionellen afrikanischen Denkens an<br />
christliche Denkfiguren ausgemacht. Religion ist danach<br />
vorrangig eine Überlebensstrategie, in der eine angemessene<br />
Praxis mit irdischem Wohlergehen vergolten wird.<br />
Gleichzeitig wird deutlich, dass traditionelle afrikanische<br />
Geister-, Dämonen- und Hexen-Vorstellungen seit geraumer<br />
Zeit an Einfluss gewinnen. Gute und böse Kräfte aus der<br />
übernatürlichen Welt beeinflussen das alltäglich irdische<br />
Leben. Deshalb sind „Bündnisse“ mit ihnen nötig, wozu<br />
auch Opfergaben zählen. 55 Es zeigt sich hier jedenfalls das<br />
Phänomen, dass in (neo-)pentekostalen Gemeinschaften<br />
und Kirchen eine Rhetorik des Bruches mit afrikanischen<br />
Glaubenstraditionen einhergehen kann mit einer Adaption<br />
und Modifikation für eigene Vorstellungen, zum Beispiel<br />
im Kontext von „spiritual warfare“. Solche Kompatibilitäten<br />
wären im Blick auf dessen Erfolge noch weiter zu untersuchen.<br />
56<br />
Mit Recht weist Schmidt darauf hin, dass es für bestimmte<br />
Formen des Wohlstandsevangeliums sowohl biblische Begründungen<br />
als auch weit verbreitete kirchengeschichtliche<br />
Parallelen gibt. Am spezifischen, machtvollen Einsatz<br />
Jesu von Nazareth für Arme, Kranke und Ausgeschlossene<br />
lässt sich erkennen, dass weder Krankheit noch Marginalisierung<br />
noch Armut passiv, tatenlos als von Gott schicksal-<br />
haft gegebene Lebensumstände gesehen werden können. 57<br />
Entsprechende Vorstellungen werden weltweit – etwa auch<br />
im Kontext von Basisgemeinden in Lateinamerika – geteilt,<br />
weil sich keine biblischen Linien finden lassen, die aufgezwungene<br />
Armut, Ungerechtigkeit und Elend rechtfertigen.<br />
Solche Vorstellungen mögen in bestimmten Regionen<br />
in Vergessenheit geraten sein, weil „sie nicht mehr in die<br />
aufgeklärte Weltanschauung vieler heutiger Christen passen“<br />
58 – an ihrer Verbreitung und Akzeptanz ändert das<br />
nichts.<br />
Zwischenbilanz<br />
Die Überlegungen haben hoffentlich gezeigt, dass dem Phänomen<br />
des Wohlstandsevangeliums durchaus eine größere<br />
Aufmerksamkeit entgegen gebracht werden sollte. 59 Hier<br />
soll nur auf einen Passus aus dem Fazit der Hamburg-<br />
Konsultation hingewiesen sein: „Zusammen mit Pentekostalen<br />
und Charismatikern glauben wir, dass es Gottes<br />
Wille ist, dass alle Menschen ein Leben in Fülle haben.<br />
Deshalb sind wir herausgefordert, durch die Gesundheits-<br />
und Wohlstands-Botschaft (prosperity Gospel), die in vielen<br />
charismatischen und neo-pfingstlichen Gemeinden gepredigt<br />
wird, eine Theologie des Segens zu entwickeln, die<br />
das Kreuz nicht außer Acht lässt. Prosperity Gospel ist im<br />
Kern korrumpiert, wenn es keine kritische Analyse gibt,<br />
wie Wohlstand erreicht worden ist.“ 60<br />
| Christoph Anders<br />
<strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong> | 33
Einordnungen und Ausblicke<br />
Einordnungen, Vergleiche<br />
und Ausblicke<br />
In diesem abschließenden Abschnitt nehmen<br />
wir Einsichten aus den ersten beiden Kapiteln<br />
auf, um sie in größere Zusammenhänge einzuordnen<br />
und sie mit hiesigen Konstellationen<br />
zu vergleichen. Schließlich stellen wir einige<br />
Thesen auf, die für die Arbeit des <strong>EMW</strong> und<br />
seiner Mitglieder wichtig sein können.<br />
Das Christentum in Afrika befindet sich in weitreichenden<br />
Transformationsprozessen, die Forscher als „Afrikanische<br />
Reformation“ beschreiben. Pentekostale Kirchen,<br />
Afrikanisch Initiierte Kirchen (AIC) und charismatisierte<br />
„Missionskirchen“ bieten einen inzwischen mehrheitsfähigen<br />
Glaubenstypus mit starker Prägung durch Geistesgaben.<br />
61 Während in diesem Umfeld die Charismatisierung<br />
der mit europäischen Kirchen verbundenen Partnerkirchen<br />
gewachsen ist, hat sich davon autonom ein „kirchliches Geschäftsmodell“<br />
neo-pentekostaler Ausprägung verbreitet.<br />
Viele Theologen bewerten die Erfahrung der Ermächtigung,<br />
vor allem gebildeter Afrikaner, zu einem selbstbewussten<br />
und selbstbestimmten Lebensstil als positiv. Afrikanische<br />
Theologen stellen fest: Die Missionskirchen haben „Double-<br />
Standard-Christen“ produziert, die zwischen europäischer<br />
Theologie und afrikanischer Lebenswirklichkeit pendeln.<br />
Dagegen ist die Auseinandersetzung mit dem konkreten<br />
Bösen und mit Krankheit und Heilung in charismatischen<br />
Kontexten eine neue Form der Kontextualisierung, eine an<br />
afrikanische Lebenswelten angepasste Version des Christentums.<br />
Tatsächlich werden in Kreisen der Partnerkirchen Versuche<br />
unternommen, charismatische Elemente zu integrieren. In<br />
Kamerun ist es der PCC über mehr als zwanzig Jahre gelungen,<br />
(weiteren) Abspaltungen vorzubeugen. Liturgische<br />
Flexibilität in Sachen Taufe und die Offenheit für Gebetsheilungen<br />
sind dort wichtige Elemente. Die Herrnhuter Kirche<br />
in Tansania hat eine kirchenmusikalische Erneuerung<br />
vollzogen und in vielen Gemeinden neben herkömmlichen<br />
Gottesdiensten am Sonntagvormittag einen Erweckungsgottesdienst<br />
am Nachmittag eingeführt. Dort werden verschie-<br />
34 | <strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong><br />
dene Elemente pentekostaler Spiritualität aufgenommen.<br />
Dieses Modell ist auch vielerorts in lutherischen Gemeinden<br />
in Tansania zu beobachten. Die Spannung zwischen<br />
etablierter Kirche und „Bewegung“ bleibt in diesen Kirchen<br />
bestehen, eskaliert aber (noch) nicht. Etwa bei der Baptist<br />
Convention of Malawi, wird jedoch das verbreitete Phä-<br />
nomen beobachtet, dass charismatische Christen häufig<br />
den Anspruch erheben, bessere Christen als Nicht-Charis-<br />
matiker zu sein, was zu Konflikten zwischen den Gruppen<br />
führt.<br />
Umgang mit Konflikten<br />
Mit den Konflikten wurde und wird unterschiedlich umgegangen.<br />
Manche Kirchen und Gemeindeleitungen schlossen<br />
die „Erweckten“ oder „Erneuerer“ aus. Anderenorts<br />
verließen diese ihre Kirche und gründeten die charismatische<br />
Version der Heimatkirche oder schlossen sich anderen<br />
Kirchen an.<br />
Die Integration von charismatischen Elementen hat in einigen<br />
Partnerkirchen die Leitungsebene erreicht. Ende <strong>2010</strong><br />
wurde in der Presbyterianischen Kirche Ghanas mit mehr<br />
als 70 Prozent der Stimmen der Synode ein dezidiert charismatischer<br />
Moderator gewählt. Die äthiopische Mekane<br />
Yesus-Kirche hat in den höchsten Ämtern profilierte Charismatiker<br />
und bezeichnet sich schon seit längerer Zeit als<br />
„charismatische und lutherische Kirche“. Vergleichbare<br />
Entwicklungen sind auch bei anderen Kirchen im Gang.<br />
Einige deutsche Missionswerke haben die Problematik der<br />
Charismatisierung in gemeinsamen Konsultationen angesprochen.<br />
Schon 1999 machte die Norddeutsche Mission mit<br />
ihren Partnern den Versuch, charismatische Phänomene zu<br />
benennen und eine Gewichtung für den Gebrauch in den<br />
Gemeinden vorzuschlagen. Diese Differenzierung brachte<br />
spürbare Entspannung bei den beteiligten Akteuren. Die<br />
Vereinte Evangelische Mission hat sich 2003, ebenfalls in<br />
Ghana, zu einer größeren multiregionalen Feldforschung<br />
getroffen. Im Fokus stand das Charisma der Heilung. Eine<br />
direkte Folge dieser Konsultation war die institutionel-
<strong>EMW</strong>/Heiner Heine<br />
Das Schild vor einer Pfingstkirche in Jaunde/Kamerun verspricht unter anderem Heilung von Kranken, Besessenen, Verhexten und<br />
Verwünschten im Namen Jesu Christi. Ähnliche Informationstafeln, die das Programm hervorheben, findet man vor pentekostalen<br />
Versammlungsgebäuden.<br />
le Anbindung des Themas Charismatisierung im Referat<br />
Evangelisation. 62 Aus diesem Referat sind dann auch später<br />
wichtige Impulse in Bezug auf Charismatisierung und<br />
Migrationsgemeinden gekommen.<br />
Dynamik: Wohlstandsevangelium<br />
Im Kontext der „Dritten Welle“ von (neo-)pentekostalen Erweckungen<br />
gelangten Ausprägungen eines Wohlstandsevangeliums<br />
nach Afrika, das auch für Mitglieder von<br />
historischen Kirchen attraktiv wurde. Auch wenn man<br />
Extrempositionen der dort vertretenen Theologie häufig<br />
ablehnt, so belegen doch Untersuchungen die ermächtigende,<br />
emanzipierende Seite dieser Bewegung. Diese<br />
Spannung durchzieht auch die weltweite evangelikale<br />
Bewegung, was sich exemplarisch an den Diskussionen<br />
<strong>2010</strong> in Kapstadt zeigen lässt. Gerade weil theologische<br />
Gemeinsamkeiten bestehen, müssen Verzerrungen be-<br />
nannt, und nötige Klärungen angeboten werden. 63 Zugleich<br />
werden einige der kritisierten Phänomene auch in<br />
eigenen Kontexten ausgemacht. 64 Unklar ist nicht nur für<br />
den afrikanischen Kontext, in welchem Umfang evangelikal<br />
geprägte Gemeinden, Kirchen und Organisationen<br />
von Prosperity-Phänomenen tatsächlich betroffen sind<br />
und auch Mitglieder verlieren, wenn dieses Denken vor<br />
Ort zurückgewiesen wird.<br />
Während der ökumenisch-interkonfessionellen Jubiläumskonferenz<br />
in Edinburgh <strong>2010</strong> wurde die Wohlstandsevangeliums-Thematik<br />
nicht explizit aufgerufen, sondern in<br />
anderen Zusammenhängen implizit verhandelt. 65 Dieses<br />
Schweigen ist angesichts ihrer weltweiten Anziehungskraft<br />
überraschend. Dennoch lassen sich an der Frage der Bearbeitung<br />
des Themas Armut und Reichtum auf internationaler<br />
Ebene interessante Parallelen ausmachen.<br />
<strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong> | 35
Einordnungen und Ausblicke<br />
Doch zunächst ein Blick nach Deutschland: Wir leben in<br />
einem reichen Land, unsere Kirchen gehören weltweit zu<br />
den Wohlhabenden. Dies ist u. a. ein Motiv für Migrationsbewegungen<br />
vom Süden in den Norden, auch nach Deutschland.<br />
Der Umstand, dass in diesem Land allein über tausend<br />
christliche Gemeinden aus westafrikanischen Kontexten<br />
entstanden sind, erfährt wachsende Beachtung, auch<br />
vom <strong>EMW</strong> und seinen Mitgliedern. 66<br />
Konvivenz und Dialog mit hiesigen Gemeinden anderer<br />
Sprache und Herkunft werden Gesprächsbedarf und Nachfragen<br />
über Wohlstands-Konstellation beinhalten. Ist es<br />
dann überzeugend, wenn wir als Vertreterinnen und Vertreter<br />
hiesiger Kirchen am Wohlstand unserer Gesellschaften<br />
zwar sichtbar und anhaltend partizipieren, diesen Umstand<br />
aber kaum geistlich einordnen mögen? Können wir<br />
ernsthaft Menschen aus armen Regionen der Erde, die eine<br />
glühende Hoffnung auf Überwindung elender Lebensbedingungen<br />
ins Zentrum ihres christlichen Glaubens stellen,<br />
biblisch-theologische Einseitigkeiten vorwerfen, wenn doch<br />
mit den ersten Missionaren neue Ansichten über Wohlstand<br />
nach Afrika gekommen sind? Folgerichtig haben die Missionierten<br />
von Anfang an christliche Mission mit Wohlstand<br />
in Verbindung gebracht, an dem man teilhaben möchte.<br />
Bei der Diskussion während der <strong>EMW</strong>-Mitgliederversammlung<br />
1995 wurde die Frage aufgeworfen, ob ein Dialog mit<br />
charismatischen Christen und Gemeinden, die „Deliverance“<br />
und „spiritual warfare“ treiben, überhaupt möglich<br />
ist. Die Schwierigkeit liege darin, dass das diesem Denken<br />
zugrundeliegende voraufklärerische Weltbild im Westen<br />
angeblich keine Rolle mehr spielt.<br />
Doch auch wenn sich hierzulande Christinnen und Christen<br />
als „aufgeklärt“ verstehen, so ergeben sich bei näherem<br />
Hinsehen Diskrepanzen: Engel sind bei uns „sichtbar“<br />
geworden außerhalb sakraler Räume und Zauberer,<br />
Vampire oder Feen sind für nicht wenige Menschen Teil<br />
ihres Alltags. Auch Christen suchen ihr Heil in mystischen<br />
Erfahrungen und geben einem magischen Weltbild durch<br />
entsprechende Handlungen Ausdruck. 67 Nicht selten wird<br />
bei Schicksalsschlägen danach gefragt, ob sie als „Strafe<br />
Gottes“ interpretiert werden müssen. Gleichzeitig ist die<br />
Suche nach Erfahrungen an den Grenzen des christlich<br />
bestimmten spirituellen Feldes in bestimmten Kreisen<br />
anziehend. In Deutschland wagen wir es nur selten, etwa<br />
öffentlich um eine Arbeitsstelle oder eine höhere Entlohnung<br />
zu beten. Aber die Angst vor Arbeitslosigkeit und der<br />
Verlust des erreichten Lebensstandards ist ein verbreitetes<br />
Gebetsanliegen bei den Fürbitten. Der „beweisbaren“ Schulmedizin<br />
wird in manchen Kreisen weniger geglaubt, als<br />
36 | <strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong>
<strong>EMW</strong>/Heiner Heine<br />
wenig erforschter Alternativ-Medizin, während gleichzeitig<br />
Krankensalbungen in christlichen Gottesdiensten angeboten<br />
werden. All diese Bewegungen lassen sich kaum<br />
mit einem „Vor“ oder „Nach“ in Beziehung zur Aufklärung<br />
abschließend beantworten.<br />
Die Verheißung eines „Lebens in seiner ganzen Fülle“ (Joh.<br />
10,10) ist weltweit ein Zentralvers der Bibel. Er wird auch<br />
in befreiungstheologischen Kontexten auf konkrete Transformation<br />
von ungerechten Lebenszusammenhängen hin<br />
zum Besseren bezogen. Werden aber bei uns selbst Änderungen<br />
erwartet? Wie wird bei uns das Verhältnis von<br />
eigenen Anstrengungen „im Leben voranzukommen“ und<br />
Gottes wirkmächtigem Willen jedenfalls auf Gemeindeebene<br />
verstanden? Viel spricht dafür, dass wir – angeleitet von<br />
den weltweiten Debatten um das Wohlstandsevangelium –<br />
unseren eigenen Kontext einmal auf entsprechende Spuren<br />
untersuchen sollten.<br />
Stärkung von Dialogforen<br />
Die bisherigen Ergebnisse und Beobachtungen legen es<br />
nahe, verstärkt nach Dialogforen zu suchen.<br />
Eine gute kontinentale Plattform für einen Dialog könnte<br />
die Allafrikanische Kirchenkonferenz (AACC) sein, mit der<br />
das <strong>EMW</strong> seit Jahrzehnten zusammenarbeitet. So wird in<br />
Kreisen der AACC darüber nachgedacht, bald eine große<br />
Missionskonferenz zu organisieren, in der der Dialog zwischen<br />
den Mainline- und den charismatischen bzw. neopentekostalen<br />
Kirchen im Zentrum stehen soll.<br />
Der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) hat sich in mehrfacher<br />
Hinsicht Verdienste im Versuch erworben, den Dialog<br />
mit Charismatikern und Pentekostalen zu fördern. Dazu<br />
zählt als wichtiges Instrument die Gemeinsame Beratungsgruppe<br />
zwischen ÖRK und Pfingstkirchen, die seit der Vollversammlung<br />
in Harare arbeitet. Ende der 1990er Jahre<br />
entstand das Global Christian Forum (GCF), ein erweitertes<br />
ökumenischer Netz außerhalb der verfassten ÖRK-Strukturen.<br />
Dadurch wurde es möglich, Unabhängige Kirchen,<br />
Evangelikale und Pentekostale, miteinander ins Gespräch<br />
zu bringen. Dieses Forum hat gegenseitiges Vertrauen geschaffen,<br />
manches Vorurteil abgebaut und wird auch künftig<br />
wichtige Debatten anstoßen.<br />
Ein weiterer Akteur ist die Kommission für Weltmission<br />
und Evangelisation des ÖRK (CWME). Auf der Weltmissi-<br />
Aufruf zur Kollekte in einem pfingstkirchlichen Gottesdienst in<br />
Kamerun. Den Zehnten zu geben, ist selbstverständlich – und die<br />
Kirchen sind imstande, sich selbst zu finanzieren.<br />
<strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong> | 37
Einordnungen und Ausblicke<br />
onskonferenz in Athen 2005 war der Dialog mit charismatischen<br />
und pentekostalen Vertretern fest verankert. 68 Für<br />
die Zukunft nötig wäre es, dem begonnenen Dialog eine genauere<br />
Zielrichtung zu geben. In der derzeit entstehenden<br />
Erklärung zu Mission und Evangelisation des ÖRK werden<br />
entsprechende Aspekte absehbar aufgenommen.<br />
Die großen ökumenischen Konferenzen des Jahres <strong>2010</strong> haben<br />
– bezogen auf unsere Thematik – gemeinsame Perspektiven<br />
zwischen ökumenischen und evangelikalen Akteuren<br />
ergeben. Seit der letzten Vollversammlung in Porto Alegre<br />
(2006) ist ein Projekt unter dem Titel „Armut, Reichtum<br />
und Umwelt“ entwickelt worden. 69 Dabei spielen Fragen<br />
des Konsums und besonders der Gier eine wichtige Rolle. 70<br />
Als eine verbindende theologische Aufgabe im Horizont der<br />
Thematik des Wohlstandsevangeliums könnte sich etwa<br />
die Weiterarbeit an einer „Theologie des Segens“ erweisen.<br />
71 Denn auch mit einer Betonung der Kreuzestheologie<br />
Luthers kann nicht behauptet werden, dass Gott sich<br />
ausschließlich im Leiden manifestiert. Christliches Leben<br />
kann nicht als ein auf Scheitern ausgelegtes verstanden<br />
werden. Reichtum sollte als Gnade und Segen Gottes und<br />
nicht als Beweis für eigene Glaubensstärke gewertet werden.<br />
Damit wären auch Vorstellungen überwunden, jeder<br />
Reichtum sei irgendwie Unrecht. Dies könnte entlastend<br />
wirken sowohl für Reiche als auch für Arme, weil deren Armut,<br />
Erfolglosigkeit im Wirtschaftsleben oder anhaltende<br />
Krankheiten eben nicht auf mangelnden Glauben zurückgeführt<br />
werden. Ein vertieftes Verständnis von Segen bietet<br />
auch Korrekturen gegenüber schwierigen „Naherwartungen“<br />
eines göttlichen Eingreifens an, die an wirtschaftlichen<br />
und sozialen Realitäten letztlich scheitern müssen.<br />
Terminologie, Herangehensweisen und bisherige Ergebnisse<br />
mögen zwischen ÖRK, Lausanner Bewegung und Weltallianz<br />
variieren, aber vertiefte themenbezogene Kooperationen<br />
liegen auf der Hand.<br />
Schwierigkeiten für den Dialog<br />
Theodor Ahrens hat seit 1995 wiederholt für eine narrative<br />
Herangehensweise an den Dialog plädiert. Diese Einschätzung<br />
bestätigte auch die Konsultation „Encounter Beyond<br />
Routine“. Dort wurden die Elemente der spirituellen Begegnung,<br />
wie die gemeinsamen Bibelarbeiten am Morgen<br />
und die Abendgebete von afrikanischen wie deutschen<br />
Teilnehmern als sehr gelungen empfunden. Der äthiopische<br />
Direktor des theologischen Seminars der EECMY, mit<br />
DTheol- und MBA-Titel aus den Vereinigten Staaten, und<br />
Verfechter der Charismatisierung, sagte am Ende der Veranstaltung,<br />
dass sich seine Einschätzung des deutschen<br />
38 | <strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong><br />
epd-bild/Norbert Neetz<br />
Gottesdienst einer Pfingstgemeinde am Stadtrand von Harare/Simbabwe.<br />
Christentums aufgrund der Begegnung zum Positiven geändert<br />
habe. Allerdings zeigt sich immer wieder, aufgrund<br />
wechselseitiger Zuschreibungen von Eigenschaften, dass<br />
beide Seite glauben, zur Lösung ihrer Probleme die Partner<br />
nicht zu brauchen.<br />
Derzeit kaum denkbar scheint ein organisierter Dialog mit<br />
selbstständigen, internationalen Kirchen wie der Redeemed<br />
Christian Church of God (RCCG). 72 Sie ist stolz darauf, sich<br />
in dreißig Jahren von einer armen Yorubakirche zu einem<br />
weltweiten Netz von wohlhabenden Kirchen entwickelt zu<br />
haben 73 und ihre Repräsentanten zeigen wenig Bereitschaft<br />
für Kooperation. Während es in Großbritannien Kooperationen<br />
mit Pfingstkirchen geben soll, hätten in anderen Ländern<br />
(Ghana, Italien) nicht nur die historischen Kirchen,
sondern auch und gerade Pfingstkirchen Angst vor dem<br />
Erfolgsmodell der RCCG. 74 Rücksichten auf andere Kirchen<br />
bei der Evangelisation oder eine Zusammenarbeit mit Kirchen,<br />
die nicht an Zungenrede oder in Dimensionen von<br />
Himmel und Hölle glauben, schließt die RCCG aus. Wie<br />
Pastor Brown Oyitsu formuliert: „Europe is becoming permissive<br />
and this is why God has asked a church like the<br />
Redeemed (RCCG) to go back to Europe“. 75<br />
Bei aller Bedeutung des Dialogs zwischen verschiedenen<br />
Akteuren müssen wir feststellen, dass in den letzten Jahren<br />
seine Grenzen deutlicher sichtbar geworden sind. Nicht<br />
nur internationalisierte Mega-Churches zeigen Schwierigkeiten,<br />
bestimmte Formen des Kircheseins in Ländern des<br />
Globalen Nordens als gültige Versuche der Nachfolge Jesu<br />
Christi zu akzeptieren. Folglich haben sie einstweilen wenig<br />
Interesse an Kooperationen. Um eine Vertiefung von<br />
christlichen Parallelgesellschaften – in Deutschland etwa<br />
landeskirchliche und Migrationsgemeinden – zu vermeiden,<br />
müssen dennoch Gesprächsebenen gefunden werden.<br />
Theologische Ausbildung<br />
Eine gemeinsame Bibellektüre scheint eine gute Grundlage<br />
für den Dialog zu sein, wie sich auch im Rahmen des<br />
„African Theological Training in Germany“ (ATTiG) an der<br />
Missionsakademie oder in vergleichbaren Kursen anderer<br />
Missionswerke und Kirchen zeigt. Wenn auf afrikanischer<br />
Seite die Unmittelbarkeit der Bibellektüre als Vorteil gelten<br />
darf, so ist auf deutscher Seite die sprachliche, historische<br />
und theologische Tiefe des Bibelverständnisses wert, in der<br />
Diskussion gehört zu werden.<br />
Es gibt Anzeichen dafür, dass zumindest in einem Teil der<br />
charismatischen und pentekostalen Kirchen die Notwendigkeit<br />
einer Qualifizierung der theologischen Ausbildung<br />
erkannt wird, wobei man anscheinend bereit ist, mehr Gemeinsamkeit<br />
zu suchen. So trafen sich zum ersten Mal<br />
im Juli <strong>2011</strong> afrikanische Vertreter der Weltkonferenz der<br />
Vereinigung Theologischer Institute (WOCATI) zu einer Tagung.<br />
Die Teilnehmenden aus protestantischen, römischkatholischen,<br />
orthodoxen, evangelikalen, unabhängigen<br />
und pentekostalen Ausbildungsstätten waren sich darin<br />
einig, dass die Qualität der theologischen Ausbildung in<br />
Afrika erhöht werden müsse. Besonders die Bildung der<br />
jetzt jungen Generation steht dabei im Vordergrund: „Wir<br />
müssen jetzt viel in die Jugend investieren, um diese besonderen<br />
Erfahrungen mit gesunder Lehre zu unterfüttern.<br />
Durch Ausbildung, Workshops und Konferenzen müssen<br />
wir dazu beitragen, dass die Jugendlichen vom Missbrauch<br />
der guten Gaben und von vorgetäuschten Erfahrungen ferngehalten<br />
werden“, sagte Berhanu Ofga'a, Generalsekretär<br />
der EECMY. Auch andere Partner, wie die Organisation von<br />
Unabhängigen Afrikanischen Kirchen in Africa OAIC, das<br />
Projekt für Christlich-Muslimische Beziehungen in Afrika<br />
PROCMURA, das Projekt für Theologische Fernausbildung<br />
(TEE) und auch das (evangelikale orientierte) Oxford Center<br />
of Mission Studies unterstützen diese Forderung.<br />
Nach alldem kann zusammenfassend festgestellt werden,<br />
dass das Wachstum vieler Kirchen in Afrika einen Zuwachs<br />
des Selbstbewusstseins bei allen Kirchen bewirkt hat. Ihnen<br />
ist sehr wohl bekannt, dass die nordatlantischen Partner<br />
zahlenmäßig abnehmen. In vielen Partnerschaften sind<br />
die in den Süden überwiesenen Geldmittel zurückgegangen.<br />
Die neo-pentekostalen Kirchen sind – von „Anschubfinanzierungen“<br />
abgesehen – in der Regel selbst-finanziert<br />
und im Vergleich zu den Missionskirchen, bei vergleichbarer<br />
Größe, oft sehr viel reicher. Diese und andere Faktoren<br />
verändern das Machtgefälle zwischen Nord und Süd. Das<br />
<strong>EMW</strong> und die Missionswerke können auch zukünftig hier<br />
die Stärke ihrer langjährigen Verbindungen mit den Partnerkirchen<br />
und Institutionen der theologischen Ausbildung<br />
in einen vertieften Dialog einbringen. Das gewachsene Vertrauen<br />
kann helfen.<br />
Thesen<br />
Mit dem Begriff „Charismatisierung“ werden seit etwa drei<br />
Jahrzehnten Prozesse bezeichnet, die Gruppen, Gemeinden<br />
und Kirchen in mittlerweile nahezu allen Konfessionsfamilien<br />
prägen. Die vorliegenden Berichte aus afrikanischen<br />
Ländern zeugen von einer anhaltenden Dynamik, die die<br />
kirchliche Landschaft in den jeweiligen Kontexten oft nachhaltig<br />
transformiert. Die pfingstkirchlich-charismatische<br />
Bewegung gilt als das – auch künftig – am stärksten wachsende<br />
Segment der weltweiten Christenheit.<br />
In vielen Kirchen Afrikas lässt sich ein wachsendes Selbstbewusstsein<br />
ausmachen, das sich auf Tragfähigkeit und<br />
Anziehungskraft der eigenen Ausprägung des Kircheseins<br />
bezieht. Dies führt vor Ort häufig zu einer verstärkten Wettbewerbssituation<br />
und der raschen Ausdifferenzierung von<br />
Kirchenstrukturen. Auch im Nord-Süd-Kontext verändern<br />
sich die traditionellen Einflusssphären und Machtverhältnisse.<br />
Die Weltchristenheit ist polyzentral geworden, und<br />
es gibt vermehrt konkurrierende Ansprüche auf Deutungshoheit<br />
der gegenwärtigen Entwicklungen.<br />
Eine neue Dimension besteht darin, dass Charismatisierungsprozesse<br />
auch im Leben von Gemeinschaften und<br />
Kirchen eine wachsende Rolle spielen, die aus der missionarischen<br />
Präsenz westlicher Missionsgesellschaften und<br />
Kirchen entstanden sind. Die bei diesen Partnerkirchen<br />
<strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong> | 39
Einordnungen und Ausblicke<br />
Bekenntnis per Werbe-Aufkleber auf dem Armaturenbrett eines Taxis in Lagos/Nigeria: „Weil ich ein Auserwählter bin, müssen<br />
sich meine Feinde fügen.“<br />
anzutreffenden Reaktionsmuster reichen – jedenfalls auf<br />
Leitungsebenen – von einer strikten Abweisung charismatischer<br />
Einflüsse über partielle Öffnungen bis hin zu<br />
weitreichender Übernahme entsprechender Vorstellungen.<br />
Bei Kirchen des letztgenannten Typs ist häufig ein ausgeprägtes<br />
missionarisches Bewusstsein zu beobachten, das<br />
auch in historischen Partnerbeziehungen zur Geltung gebracht<br />
wird.<br />
Dieser Befund nötigt zu möglichst differenzierten Wahrnehmungen,<br />
die sich um den Abbau von Verzerrungen und<br />
stereotypisierenden Zuschreibungen bemühen sollten. Sie<br />
sollten Vorurteile ausräumen und Anfragen im Blick auf<br />
das eigene Spiritualitätsprofil zulassen. Gelänge dies, so<br />
könnten daraus verschiedene Dialogformen wachsen, die<br />
im Kern versuchen, mit Verschiedenheiten respektvoll umzugehen<br />
und so Grundlagen für ein gemeinsames, in der<br />
Bibel gegründetes Zeugnis im ökumenischen Miteinander<br />
zu legen. Solche Bemühungen sind prinzipiell für alle Seiten<br />
unaufgebbar, denn sie gehören zum Auftrag, die Einheit<br />
der Christen zu fördern.<br />
40 | <strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong><br />
Die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte haben jedoch die<br />
Probleme solcher Dialogbemühungen sowohl in Süd-Süd-<br />
Beziehungen, als auch in Süd-Nord-Kontexten offen gelegt.<br />
Die Gleichzeitigkeit von Stagnation und rasanten Aufbrüchen,<br />
von heftigen Konkurrenzsituationen und bedrohten<br />
Identitäten, von umfassenden innerkirchlichen Transformationen<br />
und gesellschaftlichen Problemen hat gezeigt:<br />
Mit massiven Schwierigkeiten muss gerechnet werden,<br />
wenn man auf dem Dialog zwischen Verschiedenen nicht<br />
nur theologisch begründet beharrt, sondern ihn auch in<br />
die Praxis umzusetzen versucht.<br />
Angesichts unterschiedlicher Machtkonstellationen –<br />
„wir sind viele und wer seid ihr?“ – und des verbreiteten<br />
Verdachts der Konkurrenz um Mitglieder erweist es sich<br />
beharrlich als ein schwieriges Unterfangen, (vermutete)<br />
Stärken und Schwächen in geplante Dialog-Verhältnisse zu<br />
setzen. So werden oft organisatorische Beweglichkeit, gottesdienstliche<br />
Spontaneität, Gemeinschaftserfahrungen,<br />
enthusiastische Offenheit für die Gegenwart des Geistes<br />
und umfassende Befähigung von Gläubigen als „Pros“ bei<br />
Jacob Silberberg/Panos
charismatischen Akteuren ausgemacht. Auf Seiten traditioneller<br />
Kirchen – vor allem des Nordens – werden etwa<br />
organisatorische Verlässlichkeit, bewährte Formen von<br />
Spiritualität, die Bereitschaft zur Integration unterschiedlicher<br />
Vorstellungen von Nachfolgepraxis, einen theologisch<br />
begründeten Umgang mit biblischen Texten und die<br />
Auskunftsfähigkeit über den eigenen Glauben betont. Oft<br />
überwiegen kulturell-religiöse Differenzerfahrungen und<br />
Ergebnisse ökumenischer Lernprozesse haben es schwer,<br />
in die je eigene kirchliche Situation einzuwandern. Mit dem<br />
vermehrten Entstehen von Migrationsgemeinden in städtischen<br />
Ballungszentren beginnen sich die Dialoggrundlagen<br />
jedenfalls bei uns deutlich zu verändern.<br />
Verschiedentlich wurde in den vorangegangenen Abschnitten<br />
eine praxisbezogene theologische Ausbildung als das<br />
Handlungsfeld identifiziert, in dem solche Dialoge trotz<br />
der benannten Schwierigkeiten mit einiger Aussicht auf<br />
Erfolg vermehrt etabliert werden sollten. Hier könnte das<br />
<strong>EMW</strong> mit seinen fest verankerten weltweiten Beziehungen<br />
zu inhaltlich starken Verbündeten an Stätten theologischer<br />
Ausbildung eine verknüpfende Rolle spielen.<br />
Während sich hierzulande charismatische Entwicklungen<br />
bislang nicht in vergleichbarer Intensität ausmachen lassen,<br />
sind Landes- und Freikirchen dennoch vor Anfragen<br />
gestellt, die sich aus den skizzierten weltweiten Konstellationen<br />
ergeben: Wenn Sehnsüchte nach direktem spirituellem<br />
Erleben und die Verankerung von begeisternden<br />
Glaubenserfahrungen in den Vollzügen des Alltäglichen<br />
ein Grund für die anhaltende Attraktivität darstellen, dann<br />
muss nachdrücklich danach gefragt werden, inwieweit unsere<br />
Verkündigungsformen und Frömmigkeitspraxis aus-<br />
1 Zu nennen sind hier Christian Baëta, Alexander Akinyele, John Mbiti, Bolaji<br />
Idowu, Kwasi Dickson, John Pobee, Akwasi Sarpong, Mercy Oduyoye und<br />
Kwame Bediako.<br />
2 Noah K. Dzobo, The Memoirs of a Progressive Intellectual: Melagbe (Ho: The<br />
Institute for the Study of African Christianity (TISAC), 2004) 36.<br />
3 S. 168: „Cette négligence consciente ou inconsciente du domaine de la transcendance<br />
est le fruit de l´héritage des premiers missionnaires. Pour ces derniers<br />
ce domaine relevait de la superstition et par conséquent n´avait aucune<br />
place dans le christianisme.“<br />
4 Anna Quaas: „Transnationale Pfingstkirchen. Christ Apostolic Church und<br />
Redeemed Christian Church of God. Frankfurt am Main <strong>2011</strong>. Die Frage der<br />
Dämonenaustreibung behandelt ihr Artikel „Befreiungsdienst und interkulturelle<br />
Seelsorge“, der in der Ökumenischen Rundschau 3/<strong>2011</strong> erscheint.<br />
5 J.C. Schmidt: Prosperity Gospel: eine Einführung; Vortrag zum Studientag<br />
„Der Segen der Ahnen und des Wohlstands“, Neuendettelsau, Oktober <strong>2010</strong>;<br />
Vortragsmanuskript; vgl. ders.: Wohlstand, Gesundheit und Glück im Reich<br />
Gottes, Berlin 2007; mit umfangreichen Literaturangaben<br />
6 Besonders wird zurückgegriffen auf Debatten während des dritten Kongresses<br />
der Lausanner Bewegung für Weltevangelisation, Oktober <strong>2010</strong>,<br />
Kapstadt/Südafrika; Zum gesamten Kongress vgl.<br />
http://www.lausanne.org/en/gatherings/cape-town-<strong>2010</strong>.html<br />
reichend Raum dafür bieten. Dies betrifft Formen gemeinschaftlich<br />
gelebten Glaubens, Stärkung der Sprachfähigkeit<br />
durch Elementarisierung von Glaubensinhalten, musikalische<br />
Gestaltung von und Beteiligungsmöglichkeiten in Gottesdiensten,<br />
Aufspüren von Charismen in den Gemeinden<br />
und vieles mehr.<br />
Aber: Hier wird in Frei- und Landeskirchen bereits viel unternommen.<br />
Selbst wenn die Möglichkeiten eines numerischen<br />
„Wachsens gegen den Trend“ eher gering erscheinen,<br />
so lösen die oben beschriebenen Entwicklungen doch vermehrt<br />
ein intensives Fragen nach den Grundlagen und Perspektiven<br />
des eigenen Glaubens- und Gemeindelebens aus.<br />
Die Geschichte des Christentums ist voller Erfahrungen<br />
sich weltweit verlagernder Gravitationszentren. Vielleicht<br />
gehört das ehrlich-dankbare Staunen über die kirchlichen<br />
Aufbrüche in Afrika eng zusammen mit dem Vertrauen auf<br />
die Erfüllung der ermutigenden Verheißung der Gegenwart<br />
Jesu Christi. Sie steht als Spruch über dem Monat September<br />
<strong>2011</strong>: „Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem<br />
Namen, da bin ich mitten unter ihnen“ (Mt. 18,20)<br />
| Christoph Anders/Owe Boersma/Freddy Dutz/Martin Keiper<br />
7 So F. Adeleye zum Auftakt seines Plenumsbeitrages während der Konferenz;<br />
Vgl. Konferenz-Video aaO.<br />
8 So J. Kwabena Asamoah-Gyadu, Theologe aus Ghana; „From ‚Calvary Road’ to<br />
,Harvesters International‘: An African Perspective on the Cross and Gospel<br />
of prosperity“; vgl. http://conversation.lausanne.org/en/conversation/detail/10537<br />
(vom 14.7.<strong>2010</strong>)<br />
9 Berichtet von Dr. Rolf Hille und G. Spieß am Rande der Kapstadt-Konferenz<br />
10 Definition von J. Kwabena Asamoah-Gyadu auf dem Kapstadt-Kongress; vgl.<br />
Powerpoint-Präsentation des Vortrags, (eig. Übers.)<br />
11 Vgl. den Gang durch verschiedene Weltregionen von A. Yong, In the Days of<br />
Caesar, Michigan <strong>2010</strong>, S. 15 ff, wo er u. a. instruktive Beispiele aus Brasilien,<br />
Zimbabwe, Ghana, Philippinen und Süd-Korea aufführt.<br />
12 Zur vertiefenden Lektüre u. a.: A. Yong, In the Days of Caesar, Michigan<br />
u. a. <strong>2010</strong>; W. Kahl, Prosperity-Preaching in West-Africa: An Evaluation<br />
of a Contemporary Ideology from a New Testament Perspective. in: Ghana<br />
Bulletin of Theology, New Series, Vol. 2, July 2007, S. 21-42; P. Zimmerling,<br />
Charismatische Bewegungen, Göttingen 2009, Währisch-Oblau, C., Spiritual<br />
warfare – the royal road to liberation and development in Africa and Europe?,<br />
in: <strong>EMW</strong>/EED (Hrsg.) Encounter beyond routine, Hamburg <strong>2011</strong>, S. 12-24;<br />
jeweils mit umfangreichen Literaturhinweisen; P.L. Berger, „You can do It!“<br />
in: www.christianitytoday.com/global/printer.html?/bc/2008/sepoct/10.14.<br />
<strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong> | 41
Einordnungen und Ausblicke<br />
html;(17.8.<strong>2011</strong>); P. Gifford: Afrikanische Kirchen, Theologie und Fundamentalismus.<br />
in: <strong>EMW</strong> (Hrsg.), Geistbewegt und bibeltreu, Hamburg 1995; vgl. auch<br />
das aufschlussreiche „Akropong-Statement“ der Lausanner Theologischen<br />
Arbeitsgruppe: http://www.lausanne.org/documents/a-statement-on-theprosperity-gospel.html<br />
(vom 17.8.<strong>2010</strong>); dort werden in zehn differenzierten,<br />
bekenntnisartigen Affirmationen und Verwerfungen Phänomene des Wohlstandsevangeliums<br />
theologisch bewertet.<br />
13 Vgl. Jesaja 53, 4-5 und 3. Joh. 2 als biblische Referenzen<br />
14 In engl. Fassungen häufig: abundantly bzw. abundance<br />
15 „Das Gute und das Böse im Leben haben daher seinen Ursprung im geistigen<br />
Bereich“; Schmidt Prosperity, a.a.O., S. 3<br />
16 Im Anschluss an Hebr. 11,1 ist Glaube „die Gewissheit, dass das, woran man<br />
glaubt bzw. das, was man braucht oder sich wünscht, erreicht werden kann<br />
und geschehen wird“; Schmidt, ebd<br />
17 ebd<br />
18 „Die Erhörung des Gebetsanliegens ist in der Dimension des Übernatürlichen<br />
bereits geschehen. Dass sie auch in der physischen Dimension Realität wird,<br />
ist nur eine Frage der Zeit.“; a.a.O., S. 4<br />
19 Zentraler biblischer Referenzpunkt: Maleachi 3, S. 10-11<br />
20 vgl. Ex. 12,35f u. ö.<br />
21 „Die Schrift häuft Evidenz auf Evidenz, dass es der Wille Gottes für diejenigen<br />
ist, die an den Hernn Jesus Christus glauben, das Land zu besitzen, wo auch<br />
immer sie sind. Alles was du auf der Erde siehst, ist dazu bestimmt, zur Verherrlichung<br />
Gottes genutzt zu werden. Weil aber ein guter Teil dieser Dinge in<br />
den Händen von Ungläubigen ist, wird die Agenda Satans vorangebracht. (…)<br />
Gläubige müssen schnell Einzug halten, um Besitz zu ergreifen“; vgl Anaba,<br />
Breaking Illegal Possessions; zit. bei: J. Kwabena Asamoah-Gyadu: „African<br />
Reformation: Mission, Development and Contemporary Pentecostalism in<br />
Sub-Saharan Africa“, Powerpoint-Präsentation eines Vortrags während einer<br />
Tagung in Hamburg, Januar <strong>2011</strong><br />
22 Gen. 12 und Gal. 3,13f mit der „Verheißung des Geistes“<br />
23 So die Terminologie von A. Yong, a.a.O., S. 19<br />
24 So der treffende Untertitel des Vortrags von J.K. Asamoah-Gyadu in Kapstadt<br />
25 Als Schlüsselfigur gilt E.W. Kenyon (1867-1948), der als Grenzgänger am Rande<br />
der Pfingstbewegung seiner Zeit verortet wird. Vgl. Yong, a.a.O., S. 262-264<br />
26 Vgl. Zimmerling, Charismatische Bewegungen, Göttingen 2009, S. 174ff;<br />
27 Vgl. Yong, a.a.O. (Anm. 9), S. 257ff<br />
28 a.a.O., S. 263ff<br />
29 a.a.O., S. 265<br />
30 Yong beschreibt als Beispiel die Entwicklung des Kirchengründers Ezequiel<br />
Guti aus Zimbabwe in den 1980er und 1990er Jahren; a.a.O., S. 15ff<br />
31 Vgl. Gifford 1995, S. 46ff; Asamaoh-Gyadu: African Reformation, in: <strong>EMW</strong>,<br />
EED a.a.O., S. 25ff; Yong, .a.a.O., S. 272-275<br />
32 Vgl. dazu Asamoah-Gyadu, Powerpoint-Präsentation des Vortrags in Kapstadt<br />
33 Vgl. J.C. Schmidt: Wohlstand, Gesundheit und Glück im Reich Gottes, Berlin<br />
2007<br />
34 Vgl. die Analyse seines Denkens bei Yong, aaO., (Anm. 9) S. 216ff; und<br />
Schmidt, Einführung a.a.O. (Anm. 2): „Ich glaube, dass es Gottes Wille ist,<br />
dass wir geistlich, leiblich und finanziell im Wohlstand leben“, ebd.<br />
35 Die folgenden Beispiele sind verschiedenen Powerpoint-Präsentationen und<br />
Vorträgen von Asamoah-Gyadu entnommen und beziehen sich vorrangig auf<br />
westafrikanische Kontexte<br />
36 Asamoah-Gyadu, in: African Reformation a.a.O. (Anm. 9), S. 25<br />
37 Der folgende Abschnitt ist eine Synthese verschiedenster Beiträge im Kontext<br />
der Kapstadt-Konferenz. Diese Kritikfiguren werden – so mein Eindruck –<br />
in ihren Grundzügen auch im ökumenischen Spektrum vorgebracht, jedoch<br />
ohne sich gegenwärtig nennenswert um differenzierte Wahrnehmungen zu<br />
mühen.<br />
38 Vgl. die detaillierte Auseinandersetzung von Kahl, a.a.O.<br />
39 a.a.O., S. 6<br />
40 „Für die Bewegung des Wohlstandsevangeliums ist Glaube Optimismus<br />
und Idealismus. Glaube reduziert sich auf positives Denken. Und das heißt<br />
zu allererst, dass man an sich selbst glaubt.“; D. Bourdanné, Theologe aus<br />
dem Tschad, in Kapstadt http://conversation.lausanne.org/en/conversation/<br />
deatil/10832#article_page_1 f., S. 5<br />
41 Adeleye, a.a.O., S. 8<br />
42 „Besonders bedenklich ist dabei, dass Menschen, „die durch Schmerzen und<br />
Leiden gehen, sich fühlen, als ob sie außerhalb von Gottes Gnade, Schutz und<br />
Sorge stehen, oder sogar unter einer Art von Gericht für die Nicht-Erfüllung<br />
christlicher Verpflichtungen, besonders das Geben des Zehnten und anderer<br />
Spenden“; Asamoah-Gyadu in seinem Vortrag in Kapstadt, a.a.O., S. 4<br />
43 So in der Kapstadt-Verpflichtung;<br />
44 Hier wird das Thema der wieder erstarkenden Hexerei-Vorstellungen, von<br />
Fluchzaubern etc. bedeutungsvoll; vgl.dazu Währisch-Oblau a.a.O, passim<br />
45 Schmidt, a.a.O., S. 6<br />
46 Bisweilen in einem Gottesdienst bis zu sechs verschiedene Sammlungen. Vgl.<br />
Feme Adelaya in Kapstadt<br />
42 | <strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong><br />
47 Vgl. Berger a.a.O.<br />
48 Feme Adelaya, a.a.O, Kapstadt<br />
49 Ebd<br />
50 vgl. auch in diesem Zusammenhang die Überlegungen von Schmidt, a.a.O.,<br />
S. 6)<br />
51 vgl. Berger, a.a.O., S. 5<br />
52 Berger, ebd.<br />
53 Vgl. dazu die Ergebnisse von <strong>EMW</strong>/EED „Encounter… S. 125ff<br />
54 Vgl. Yong, The Contextual Argument, vgl. http://conversation.lausanne.org/<br />
en/conversations/details/10817 vom 30.8.<strong>2010</strong><br />
55 Umfassend dargerstellt ist der hier nur angedeutete Punkt bei Währisch-Oblau<br />
a.a.O., S. 12 ff, S. 56<br />
56 Vgl. zu diesem Punkt auch Kahl, a.a.O., passim<br />
57 darauf weist Berger im Prosperity Gospel-Kontext hin<br />
58 Schmidt, a.a.O., S. 5<br />
59 Vgl. dazu den Schlussteil dieses <strong>Jahresbericht</strong>es<br />
60 <strong>EMW</strong>/EED Encounter, S. 126<br />
61 Julie und Wonsuk Ma nehmen eine Zahl von 523.767.000 pentekostalen/charismatischen<br />
Christen an, was in Beziehung zu setzen wäre mit 346.650.000<br />
Protestanten und 1.070.457.000 römisch-katholischen Christen. Julie C. Ma<br />
and Wonsuk Ma: Mission in the Spirit. Towards a Pentecostal/Charismatic<br />
Missiology. Oxford <strong>2010</strong>, S. 53<br />
62 Zunächst geleitet von Dr. Fidon Mwombeki, derzeit unter der Leitung von Dr.<br />
Claudia Währisch-Oblau.<br />
63 Z.B. alltagsrelevante Auslegung der Heiligen Schrift, Festhalten an Gottes<br />
Macht und seinem Eingreifen in die Geschichte, Widerstand gegen glaubensfeindliche<br />
Mächte; erfahrbare Spuren des Segens Gottes im Leben der Gläubigen;<br />
Heilsbedeutung des Kreuzes Christi; Nachfolge und einfacher Lebensstil,<br />
Bedeutung von Spenden für die Arbeit von Gemeinde/Kirche, Dankbarkeit für<br />
umfassendes Wachstum von Gemeinden;<br />
64 Etwa der unglaubwürdige Lebenswandel von Gemeindeleitern und Kirchenführern,<br />
ein anstößig wohlhabender Lebensstil, der sich von dem der Gemeinden<br />
eklatant unterscheidet; die Verführungen zu ungehemmter Machtausübung<br />
65 In den vorbereitenden Studiendokumenten taucht das Thema nur am Rande<br />
auf<br />
66 Stellungnahme Theologische Kommission des <strong>EMW</strong>, <strong>2011</strong>, in: Zusammen<br />
wachsen, <strong>EMW</strong>, Hamburg <strong>2011</strong>, S. 15ff<br />
67 Im Kanon der von Eltern ausgewählten Taufsprüche finden sich verstärkt<br />
Verse mit Engeln. In Gesprächen wird häufig deutlich, wie sehr sich mit dem<br />
Taufbegehren spezifische Hoffnungen für das Gelingen konkreter Lebensvollzüge<br />
verbinden. Familien bitten darum, vom Taufwasser für ein krankes<br />
Kind etwas mit nach Hause nehmen zu können, Kreuze sollen mit Taufwasser<br />
gesegnet werden. Untersuchungen legen nahe, dass die Taufe häufig als<br />
„geistliche Lebensversicherung fürs irdische Leben“ verstanden wird. Sind<br />
dies voraufklärerische, magische Vorstellungen?<br />
68 Come Holy Spirit, Heal and Reconcile!, Berichtsband der Weltmissionskonferenz<br />
Athen 2005, Genf 2008<br />
69 „Es bringt Kirchen und ihre Partner zusammen, um über den Zusammenhang<br />
zwischen Armut, Reichtum und Umwelt nachzudenken, wirtschaftliche Ungerechtigkeit<br />
zu bekämpfen, Initiativen zu gerechtem Handel, ökologischer Verschuldung<br />
und menschenwürdiger Arbeit durchzuführen und die Arbeit an<br />
dem Projekt ‚Alternative Globalisierung im Dienst von Menschen und Erde’<br />
(AGAPE) fortzusetzen.“ Vgl.: http://www.oikoumene.org/de/programme/<br />
gerechtigkeit-diakonie-und-die-verantwortung-fuer-die-schoepfung/<br />
oekologische-gerechtigkeit.html (18.8. <strong>2011</strong>)<br />
70 „Es gibt zahlreiche Studien über in Armut lebende Menschen, doch kaum Angaben<br />
zu den Reichen. Die Kirchen sind eingeladen, analog zur „Armutsgrenze“<br />
eine „Konsum- und Habgiergrenze“ auszuarbeiten, die als Leitlinie für<br />
Christen dienen kann. vgl. ebd. – Gier steht erst seit Kurzem, ungefähr seit<br />
2008, bei uns auf der Tagesordnung. Das Thema bleibt aber unabgeschlossen.<br />
Auch innerkirchlich gehört der Umgang zwischen „armen“ und „reichen“ Gemeinden<br />
und Kirchen nicht zur Tagesordnung.<br />
71 Fidon Mwombeki: „The Theology of Blessing in Missionary Preaching“ in Mission<br />
Continues. Global Impulses for the 21st Century, S. 51ff<br />
72 Quaas: Transnationale Pfingstkirchen, S. 59-66<br />
73 Adeboye wurde Januar 2009 als Nr. 49 in die Newsweek-Liste der 50 mächtigsten<br />
Menschen auf der Welt genannt. Mit angeblich 14.000 Zweiggemeinden<br />
und 5 Millionen Mitgliedern in Nigeria, etwa 360 Gemeinden jeweils in<br />
den USA und in Großbritannien, und „Aussenposten“ in 110 Ländern, seien<br />
seine Aspirationen maßlos (Quaas, ib., S. 343).<br />
74 Quaas, S. 351<br />
75 Quaas, S. 336-339
Aus der Arbeit<br />
der Geschäftsstelle<br />
Der zweite Teil dieses <strong>Jahresbericht</strong>s gibt einen Einblick in die Arbeit der <strong>EMW</strong>-Geschäftsstelle.<br />
Die Autorinnen und Autoren konzentrieren sich dabei auf einige Beispiele, die für die<br />
Tätigkeit in ihren Arbeitsbereichen exemplarisch sind.<br />
Direktorat<br />
Personalia<br />
Im Berichtszeitraum hat Bischof J. Janssen (Oldenburg)<br />
den Vorstandsvorsitz in Nachfolge von Bischöfin M. Jepsen<br />
(NEK) übernommen. Zu seinen Stellvertretern wurden<br />
Pfarrerin M. Helmer-Pham Xuan (ELM) und Pfarrer<br />
Frieder Vollprecht (Brüder-Unität) gewählt. Zwei Mitglieder<br />
sind ausgeschieden: Pastor Michael Hanfstängl (LMW)<br />
und Pfarrerin Jutta Beldermann (VEM) haben beide neue<br />
berufliche Tätigkeiten übernommen. Ihre Nachfolger/innen<br />
werden auf der kommenden Mitgliederversammlung<br />
gewählt. Der Referent für Asien/Pazifik, Dr. Anton Knuth,<br />
hat seinen Dienst im <strong>EMW</strong> Anfang <strong>2011</strong> beendet, um als<br />
Dozent in Suva/Fidschi zu arbeiten. Sein Nachfolger, Pastor<br />
Martin Krieg, wird Anfang 2012 seinen Dienst beginnen.<br />
Aus Altersgründen sind Herr Martin Blöcher und Frau Roswitha<br />
Blaschke aus dem Dienst ausgeschieden.<br />
Lausanne-Kongress/Kapstadt<br />
Weitreichende Veränderungen in der Weltchristenheit –<br />
darum ging es auch beim 3. Lausanne-Kongress für Weltevangelisation,<br />
der Ende Oktober <strong>2010</strong> in Kapstadt/Südafrika<br />
stattfand. Etwa 4000<br />
Delegierte aus ca. 200 Ländern<br />
sammelten sich um ein<br />
Oberthema („Gott in Christus,<br />
der die Welt mit sich<br />
selbst versöhnte“), mussten<br />
aber vielfältige Ausdifferenzierungen<br />
bewältigen. Die verschiedenen Regionen der<br />
Weltchristenheit waren vertreten, Übersetzungen in acht<br />
Konferenzsprachen wurden ermöglicht – und dennoch war<br />
eine nordamerikanische Prägung deutlich spürbar. Mitt-<br />
Direktorat<br />
lerweile ist ein umfangreiches Abschlussdokument (Kapstadt-Verpflichtung)<br />
erschienen, dessen weltweite Rezeption<br />
noch in den Anfängen steckt. Auf dem Treffen hat sich<br />
die Lausanner Bewegung kraftvoll präsentiert – und doch<br />
ist offen, ob die Ergebnisse dazu beitragen, dass sie ihre<br />
wichtige Rolle im weltweiten evangelikalen Kontext weiterhin<br />
spielen können wird. Denn ein qualifizierter Bezug zu<br />
anderen Teilen der Weltchristenheit (Ökumenische Bewegung,<br />
Röm.-kath. Kirche) war nicht erkennbar und es überwog<br />
die Bestätigung bekannter Positionen gegenüber dem<br />
Wagnis, neue Wege zu beschreiten. Die Auswertungsprozesse<br />
im deutschen Bereich dauern an. Dank einer offenen<br />
Zusammensetzung der Delegation haben sich erfreuliche<br />
Kooperationsvorhaben entwickelt, über deren Fortgang zu<br />
berichten sein wird.<br />
Internationale ökumenische Friedenskonvokation<br />
Die Serie ökumenischer Großkonferenzen wurde im Mai<br />
<strong>2011</strong> in Kingston/Jamaika fortgesetzt. Dort fand die vom<br />
ÖRK veranstaltete Konvokation unter dem Titel „Ehre sei<br />
Gott und Friede auf Erden“ als Abschluss der Dekade zur<br />
Überwindung der Gewalt (DOV) statt. Anhand der vorab<br />
definierten vier zentralen Themenbereiche (Gemeinschaft,<br />
Erde, Wirtschaft und Völker) wurden in einer wenig innovativen<br />
Konferenzmethodik die friedensrelevanten Impulse<br />
aus diversen weltweiten Kontexten mehr dargestellt als diskutiert.<br />
Die beiden zentralen Dokumente – „Ein ökumeni-<br />
<strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong> | 43
Direktorat<br />
Kleingruppendiskussion während der Friedenskonvokation in<br />
Jamaika. Leider fand diese Abschlussveranstaltung der Dekade<br />
zur Überwindung von Gewalt in den deutschen Medien kaum<br />
Beachtung – auch ein Resultat von Einsparungen in der Öffentlichkeitsarbeit<br />
des ÖRK.<br />
scher Aufruf zum gerechten Frieden“ und die Botschaft der<br />
Konferenz – unterstreichen das Konzept eines „gerechten<br />
Friedens“. Die im Vergleich starke hiesige Befassung mit<br />
DOV-Themen wurde augenfällig dadurch, dass fast zehn<br />
Prozent der Delegierten aus Deutschland und nur relativ<br />
wenige Vertreter/innen aus dem Globalen Süden kamen.<br />
Der schon andernorts formulierte Eindruck, dass es derzeit<br />
in größeren ökumenischen Veranstaltungen schwierig ist,<br />
über kontroverse Positionen konstruktiv miteinander zu<br />
ringen, hat sich erneut bestätigt. Erstaunlich war, dass der<br />
Kontext Kingstons nur eine geringe Rolle spielte, obwohl<br />
das dort vorhandene hohe Gewaltpotential ausdrücklich<br />
ein entscheidender Grund für die Wahl des Veranstaltungsortes<br />
gewesen war. Der gemeinsam mit Dr. Biehl (Missionsakademie)<br />
im Auftrag von CWME/ÖRK durchgeführte<br />
Workshop zu „Mission, power and peace“ knüpfte an Kooperationen<br />
der Weltmissionskonferenz in Athen 2005 an.<br />
Sowohl das EMS als auch die VEM waren aufgrund ihrer<br />
Internationalität und langjährigen Arbeit zum Thema Frieden<br />
mit ihren Partnerkirchen mit Veranstaltungen präsent<br />
und berichteten von erfreulichen Resonanzen. Dies ist für<br />
die künftige Arbeit des <strong>EMW</strong> auf internationalen ökumenischen<br />
Bühnen eine signifikante Entwicklung.<br />
„Partnerschaft“ beim EEMC-Treffen<br />
Das diesjährige Treffen der Ecumenical European Mission<br />
Councils (EEMC) fand im Februar <strong>2011</strong> in Uppsala/Schwe-<br />
44 | <strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong><br />
WCC/Peter Williams<br />
den statt und stand unter dem Thema „Veränderungen in<br />
weltweiten Partnerschaften“. Der Zugang über die Erfahrungen<br />
innerhalb der Kirche von Schweden erwies sich<br />
als wichtig, weil hier die Auseinandersetzungen mit Partnerkirchen<br />
über Entscheidungen in Synode und Bischofskonferenz<br />
fundamentale Fragen über die Gestaltung von<br />
Partnerschaften aufgeworfen haben. Die Reaktionen unter<br />
den Vertretern anderer Missionsräte zeigte die Brisanz der<br />
Thematik auch im weiteren Zusammenhang von Machtfragen<br />
in Kirchenbeziehungen. Es gab verschiedene Anknüpfungen<br />
zum Zugang, den das <strong>EMW</strong> <strong>2010</strong> zum <strong>Jahresbericht</strong><br />
<strong>2010</strong> („Partnerschaft in Bewährung“) gewählt hatte.<br />
Ähnlich engagierte Debatten gab es im Kontext des Arbeitskreises<br />
für Zusammenarbeit in Mission und Dienst<br />
(AKZMD) über die Partnerschaftsthematik im Nord-Süd-<br />
Kontext. Dabei wurden verschiedene Initiativen von Landeskirchen<br />
skizziert, die von der Dodoma-Erklärung der<br />
Evangelisch-Lutherischen Kirche in Tansania (ELCT) u. a.<br />
gegen gleichgeschlechtliche Beziehungen direkt betroffen<br />
sind (siehe <strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>, S. 39 ff). Unklar ist, wie der<br />
Lutherische Weltbund nach 2013 mit dem Themenkomplex<br />
Ehe, Familie und Sexualität umgehen wird.<br />
Als Ergebnis der Beratungen auf der letzten<br />
Mitgliederversammlung ist vom <strong>EMW</strong> im<br />
Mai <strong>2011</strong> eine Arbeitshilfe für Gemeinden<br />
erarbeitet worden. Es zeigt sich: Das Thema<br />
wird uns auch in <strong>EMW</strong>-Zusammenhängen<br />
weiter beschäftigen.<br />
EKD-Ratsreise nach Genf<br />
Im April fand eine Reise des Rates der EKD<br />
nach Genf zu den dort ansässigen ökumenischen Institutionen<br />
statt. Der <strong>EMW</strong>-Direktor war als Ressource-Person eingeladen<br />
worden. Es kam zu Begegnungen mit Vertretern/<br />
innen vom Ökumenischen Rat der Kirchen, Lutherischen<br />
Weltbund, der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen,<br />
der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) und Action by<br />
Churches Together (ACT-Alliance). Außerdem wurden während<br />
eines Besuches beim Theologischen Institut von Bossey<br />
Fragen theologischer Ausbildung verhandelt.<br />
Der Grad der Zusammenarbeit der Weltbünde in bestimmten<br />
Themenbereichen erwies sich – entgegen anders lautenden<br />
Wahrnehmungen – als überraschend hoch. Insbesondere<br />
die hohen Erwartungen an eine ökumenische Profilierung<br />
der Reformations-Feierlichkeiten des Jahres 2017<br />
waren markant. In verschiedenen Gesprächsgängen konnten<br />
auch die etablierten Verbindungen des <strong>EMW</strong> zu diesen<br />
weltweiten Akteuren deutlich gemacht werden.
In diesen Zusammenhang gehört auch die Intensivierung<br />
der Beziehungen zur Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen<br />
(WGRK). Ihr Generalsekretär, Dr. Setri Nyomi, besuchte<br />
deshalb im März das <strong>EMW</strong>. Zwischenzeitlich liegt<br />
ein mehrfach überarbeiteter Entwurf eines Kooperationsvertrages<br />
vor.<br />
Kammer für weltweite Ökumene des Rates der EKD<br />
Im Dezember <strong>2010</strong> fand die konstituierende Sitzung der<br />
vom Rat der EKD eingesetzten Kammer für Weltweite Ökumene<br />
statt, in die der <strong>EMW</strong>-Direktor berufen wurde. Dabei<br />
wurde das Thema „Mission und Entwicklung“ schwerpunktmäßig<br />
behandelt. Für die nun begonnene Legislaturperiode<br />
stehen neben dieser Fragestellung Perspektiven<br />
für die Ökumene im 21. Jahrhundert und Auswirkungen<br />
weltweiter Charismatisierungsprozesse auf der Tagesordnung.<br />
Die Einrichtung dieses neuen Forums ökumenischer<br />
Beratungen stimmt ebenso hoffnungsfroh wie seine weit<br />
gefächerte Zusammensetzung.<br />
<strong>EMW</strong> und EWDE-Perspektiven<br />
Als Gründungsmitglied des EED hat das <strong>EMW</strong> die Entwicklungen<br />
zur Gründung des Evangelischen Werkes für<br />
Diakonie und Entwicklung (EWDE) auf unterschiedlichen<br />
Ebenen begleitet. Im Berichtszeitraum sind auf verschiedenen<br />
Ebenen Diskussionen darüber weiter gegangen, inwieweit<br />
die Arbeitsperspektiven des EWDE auch das <strong>EMW</strong><br />
und seine Mitglieder betreffen. Das <strong>EMW</strong> wird – laut beschlossener<br />
Satzung und diverser Ordnungen – institutionell<br />
in das neue Werk eingebunden sein. Gegenwärtig wird<br />
an Papieren gearbeitet, aus denen theologische Leitlinien<br />
und Profilierungen des EWDE erkennbar werden sollen.<br />
Die Konzeption von theologischen Programmen sowie die<br />
Zuordnung theologischer Kompetenzen im Sinne eines konstruktiven<br />
Gegenübers zwischen Berlin und Hamburg stehen<br />
darüber hinaus zur Klärung an.<br />
Gegenwärtig sind Missionswerke einbezogen in die Beratungen<br />
von institutionellen Zuordnungen auf landeskirchlicher<br />
Ebene. Das Klima der gegenseitigen Beratungsprozesse<br />
wird allgemein als konstruktiv und offen erlebt. Bleibt<br />
zu hoffen, dass das neue Werk Ende des kommenden Jahres<br />
seine Arbeit dynamisch aufnehmen kann und sich neue<br />
Formen fruchtbarer Zusammenarbeit ergeben.<br />
| Christoph Anders<br />
Geschäftsführung<br />
Geschäftsführung<br />
Transparenz und Korruptionsvermeidung<br />
Weltweite Partnerschaften stehen ebenso wie die jeweils<br />
eigene Arbeit und der Umgang mit anvertrauten Mitteln<br />
vor der Herausforderung, sich kritischen Anfragen an Förderung<br />
von Transparenz und Vermeidung von Korruption<br />
aktiv zu stellen. Hierüber war bereits anlässlich des letztjährigen<br />
Jahresthemas des <strong>EMW</strong> zu berichten. Von den<br />
Leitenden und Geschäftsführern der Missionswerke wurde<br />
die Geschäftsstelle beauftragt, eine Rahmenrichtlinie zu<br />
entwerfen, die sowohl Hinweise und Ratschläge zur Formulierung<br />
eigener Verhaltenskodizes enthält als auch gut<br />
gegenüber den weltweiten Partnern kommunizierbar und<br />
mit ihnen diskutierbar sein sollte.<br />
Vor allem aber sollten den Überlegungen erstmalig grundsätzliche<br />
theologische Aspekte im Umgang mit der Problematik<br />
vorangestellt werden.<br />
Letzteres gewann im Laufe des<br />
Verfahrens eine solche Attraktivität,<br />
dass sich sowohl der Evangelische<br />
Entwicklungsdienst als<br />
auch die Aktion Brot für die Welt<br />
des Diakonischen Werks der EKD<br />
der im <strong>EMW</strong> gebildeten Arbeitsgruppe<br />
anschlossen, um an einem<br />
gemeinsamen theologischen Verständnis<br />
zu arbeiten. Das Ergebnis<br />
hat Eingang in die aktuelle Publikation des <strong>EMW</strong> mit<br />
dem Titel „Korruption und Transparenz“ gefunden und bildet<br />
das erste Kapitel der Rahmenrichtlinien, die bei der<br />
Mitgliederversammlung des <strong>EMW</strong> im Oktober <strong>2011</strong> vom<br />
Vorstand des <strong>EMW</strong> verabschiedet werden sollen.<br />
Gewissermaßen ein Etappenziel, denn nach Übersetzung<br />
des Textes steht eine Diskussion mit den weltweiten Partnern<br />
ebenso an wie die Implementierung jeweils eigener<br />
Verhaltenskodizes. Diese Aufgabe betrifft das <strong>EMW</strong> ebenso<br />
wie seine Mitglieder und Vereinbarungspartner – sowohl<br />
für das eigene Verhalten als auch hinsichtlich der<br />
Forderungen, die an die weltweiten Projektförderpartner<br />
der Liste des Bedarfs zu richten sind. Und: Wer einen Ver-<br />
<strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong> | 45
Geschäftsführung<br />
haltenskodex unterzeichnet, muss ihn ständig mit Leben<br />
füllen. Eine Herausforderung, der sich alle Beteiligten immer<br />
neu vertrauensvoll und transparent zu stellen haben.<br />
Fundraising<br />
Noch vor gut zehn Jahren, als das <strong>EMW</strong> erstmals eine Gruppe<br />
von Fundraising-Verantwortlichen zu einem Fachgespräch<br />
mit qualifiziertem externen Input einlud, wurde<br />
deutlich, dass dieses Thema von stetig steigender Bedeutung<br />
für die Mitglieder und Vereinbarungspartner des<br />
<strong>EMW</strong> werden würde – nicht zuletzt angesichts des zum<br />
Teil erheblichen Sinkens traditioneller, oft kirchensteuergebundener<br />
Finanzierungsmöglichkeiten. Heute ist die Fundraising-Runde<br />
ein fester Bestandteil des Serviceangebots<br />
des <strong>EMW</strong> und bringt turnusmäßig die in den Werken und<br />
Einrichtungen für das Fundraising Verantwortlichen zu<br />
fachlichem Input wie etwa über Online-Fundraising und<br />
Gebe-Logiken im Beziehungsaufbau zu Spender/innen sowie<br />
gemeinsamem Austausch zusammen.<br />
Nicht immer einfach, dafür aber sehr facettenreich, gestalten<br />
sich diese Termine, weil die Entwicklungen des Aufbaus<br />
professionellen Fundraisings sich sehr unterschiedlich<br />
vollzogen haben. Eine Botschaft allerdings eint alle<br />
Teilnehmerinnen und Teilnehmer jenseits unterschiedlicher<br />
struktureller Einbindung und beruflicher Herkunft:<br />
Fundraising muss als Aufgabe aller verstanden werden, unterstützt<br />
von denjenigen, die dafür ausgebildet und zuständig<br />
sind. Deshalb ist die Frage der Einbindung der Fundraising-Verantwortlichen<br />
in die Strukturen eines Werks<br />
von wesentlicher Bedeutung, wenn Erfolge keine Zufallsprodukte<br />
sein sollen und das professionelle Fundraising<br />
den daran gestellten Ansprüchen genügen soll. Ein stetes<br />
Ringen, in dem das <strong>EMW</strong> durchaus vermittelnd tätig werden<br />
kann. | Olaf Rehren<br />
46 | <strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong><br />
Öffentlichkeitsarbeit<br />
mission.de<br />
„Wie schade! Das könnt ihr doch nicht machen!“ Eine von<br />
vielen Reaktionen am gemeinsamen mission.de-Stand auf<br />
dem Kirchentag <strong>2011</strong> in Dresden war typisch. Dass die auf<br />
drei Jahre angelegte gemeinsame Kampagne mission.de im<br />
Herbst <strong>2011</strong> abgeschlossen werden soll, haben viele Besucherinnen<br />
und Besucher bedauert. Noch steht eine fachli-<br />
che Evaluierung bevor, aber solche und andere Reaktionen<br />
lassen schon jetzt vermuten, dass die Initiative der Mission<br />
einige neue Freunde gebracht hat.<br />
Dass die 26 Missionswerke, Verbände und Kirchen beim<br />
Start die Laufzeit der Kampagne begrenzt haben, lag natürlich<br />
auch daran, dass dieses Vorhaben in der Geschichte<br />
missionarischer Öffentlichkeitsarbeit ein Novum war: Noch<br />
nie seit Beginn evangelischer Missionsarbeit haben sich so<br />
viele Organisationen zu einer gemeinsamen Initiative zusammengeschlossen<br />
– und da empfiehlt sich zunächst eine<br />
.de<br />
um Gottes willen – der Welt zuliebe<br />
Anja Cours
Jugendliches Publikum am gemeinsamen Stand der Missionswerke auf dem<br />
Kirchentag. Die spielerischen Aktionen fanden ein so großes Interesse, dass sich<br />
häufig lange Warteschlangen vor den einzelnen Stationen bildeten. Während<br />
der drei letzten Kirchentage war der Stand unter dem Thema der Kampagne<br />
mission.de stets so umlagert – ein Zeichen dafür, dass man Jugendliche durchaus<br />
für das Thema Mission begeistern kann.<br />
zeitliche Begrenzung mit anschließender Auswertung der<br />
Erfahrungen. Die vom Vorstand eingesetzte Projektgruppe<br />
wird im Frühjahr 2012 die Evaluierung vorlegen und der<br />
<strong>EMW</strong>-Vorstand muss entscheiden, welche Schlüsse daraus<br />
gezogen werden sollen. Die Website mission.de wird auf<br />
jeden Fall bis Ende 2012 in Betrieb sein. Das gewährleis-<br />
Helhe Neuschwander-Lutz (2)<br />
Öffentlichkeitsarbeit<br />
tet, dass die Materialien weiterhin heruntergeladen werden<br />
können – und, soweit die Bestände reichen, auch die<br />
Printversionen der Hefte ausgeliefert werden. Die Website<br />
verzeichnet monatlich konstant über 4.000 Zugriffe, wobei<br />
die Benutzer überraschend ausgiebig von dem Download-<br />
Angebot Gebrauch machen. Allein in den letzten zwölf Monaten<br />
sind die Materialhefte über 25.000 Mal heruntergeladen<br />
werden.<br />
Ein weiterer Effekt von mission.de war, dass inzwischen<br />
die Wort-Bild-Marke zu einem Erkennungszeichen evangelischer<br />
Missionswerke geworden ist. Fast jede Veröffentlichung,<br />
fast alle Websites der Werke tragen das mission.<br />
de-Logo, zahlreiche Veranstaltungen wurden unter den<br />
Claim „um Gottes willen – der Welt zuliebe“ gestellt, und<br />
die Kernbegriffe der Kampagne (begeistern – begegnen –<br />
stärken – engagieren) haben es samt den dazu gehörigen<br />
Statements sogar in die Selbstdarstellungen einiger Werke<br />
geschafft.<br />
Aus Sicht des Projektbüros belegen die Erfahrungen der<br />
vergangenen Jahre das große Potential, das gemeinsamen<br />
Öffentlichkeitskampagnen innewohnt. Kein einzelner Träger<br />
(auch nicht ein Zusammenschluss von mehreren), wäre<br />
in der Lage gewesen, auch nur annähernd so viel Material<br />
in der Qualität herauszubringen und zu verbreiten, wie es<br />
bei mission.de gelungen ist. Gerade angesichts der schwindenden<br />
Ressourcen der Öffentlichkeitsarbeit der Missionswerke<br />
bieten solche Kooperationen enorme Möglichkeiten:<br />
So konnten auch kleine Träger der Kampagne vom gemeinsam<br />
erstellten Material für die eigene Arbeit profitieren.<br />
Andererseits verfügen auch kleinere Werke und Kirchen<br />
über besondere Kompetenzen, die sie der Gemeinschaft zur<br />
Verfügung stellen können, wie dies durch die Arbeitsgemeinschaft<br />
Mennonitischer Gemeinden (AMG) beim Materialheft<br />
6 (Frieden und Mission) geschehen ist. In einigen<br />
Missionswerken wiederum existieren Ressourcen, die in<br />
anderen nicht (mehr) vorhanden sind, zum Beispiel im Feld<br />
der Gemeindepädagogik. Das machte es möglich, das im<br />
ELM erarbeitete Material für den Konfirmandenunterricht<br />
(Heft 5) im Rahmen von mission.de herauszubringen – wovon<br />
außer den Nutzern (es war eine zweite Auflage notwendig)<br />
auch das ELM und alle anderen Träger profitierten.<br />
Auch wenn eine Fortführung der Kampagne in der bisherigen<br />
Form nicht möglich sein wird, sollten solche Potentiale<br />
auch in Zukunft genutzt werden. Hier könnte die Evaluierung<br />
der Kampagne interessante Perspektiven für eine Verstetigung<br />
ähnlicher Formen der Zusammenarbeit ergeben.<br />
<strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong> | 47
Grundsatzarbeit<br />
Fünf Zeitschriftentitel, ein gemeinsamer Mantel: Die Kooperation<br />
Missionspresse ist ein gutes Beispiel für die gemeinsame Nutzung<br />
von fachlichen und personellen Ressourcen. Kosten sparen können<br />
alle sechs Missionswerke obendrein. Die österreichische EAWM<br />
erscheint mit eigener Beilage unter dem Titel EineWelt.<br />
Kooperation Missionspresse<br />
Qualität erhöhen und Kosten sparen – unter dieser Überschrift<br />
arbeiten seit 2003 sechs Missionswerke aus<br />
Deutschland, Österreich und der Schweiz unter Federführung<br />
des <strong>EMW</strong> zusammen. Seit Jahresbeginn <strong>2011</strong> erscheinen<br />
die Zeitschriften der Kooperation Missionspresse alle<br />
drei Monate statt wie bisher alle zwei Monate. Ausgangsmotiv<br />
für diese Reduzierung waren zwar Kostengesichtspunkte<br />
(diese konnten um 20 Prozent reduziert werden),<br />
genutzt wurde die Zwangslage aber für eine Qualitätsoffensive.<br />
Mit einem überarbeiteten Konzept und erweitertem<br />
Umfang pro Heft bieten die Zeitschriften nun mehr Information<br />
pro Ausgabe – was bei den Leserinnen und Lesern<br />
offenbar gut ankommt, wie zahlreiche Rückmeldungen gezeigt<br />
haben.<br />
Publikationen mit hoher Nachfrage<br />
Neben den in der Geschäftsstelle produzierten Publikationen<br />
für mission.de wurden weiterhin eine Vielzahl eigener<br />
Veröffentlichungen erarbeitet (siehe die Übersicht auf der<br />
vorletzten Umschlagseite). Über 4.000 Personen haben sich<br />
mit ihren spezifischen Interessen im Verteiler registrieren<br />
lassen – sie erhalten die neuen Publikationen automatisch.<br />
Diese, wie auch die zahlreichen Einzelbesteller früherer<br />
Publikationen, beteiligen sich an den Herstellungskosten<br />
mit Spenden, die an die „Liste des Bedarfs“ zurückfließen.<br />
48 | <strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong><br />
| Martin Keiper, Freddy Dutz<br />
Grundsatzarbeit<br />
Weltforum für Befreiungstheologie/<br />
Weltsozialforum in Dakar/Senegal<br />
Die Referentin hat am Treffen des Weltforums für Befreiungstheologie<br />
im Februar <strong>2011</strong> in Dakar u. a. mit einem<br />
Workshop zum christlich-muslimischen Dialog mitgewirkt.<br />
Das Weltforum folgte <strong>2011</strong> einem neuen Konzept: Statt eines<br />
Vorkongresses wie noch in Belém 2009 gab es begleitende<br />
Workshops während des Weltsozialforums sowie drei<br />
theologische Studientage an einem eigenen Tagungsort.<br />
Musik und Mission<br />
Nach der Fachtagung zum Thema „Musik und Mission“,<br />
die das <strong>EMW</strong> im Juni <strong>2010</strong> gemeinsam mit dem Evangelischen<br />
Zentrum für Gottesdienst und Kirchenmusik in Hildesheim<br />
durchgeführt hatte, ist mit der Publikation des<br />
Buches „Klangwandel“ über Musik in der Mission Mitte November<br />
<strong>2010</strong> ein weiterer Schritt erfolgt. Als Ergebnis einer<br />
Kooperation zwischen <strong>EMW</strong> und Deutscher Gesellschaft<br />
für Missionswissenschaft werden darin Grundsatzfragen<br />
zur Kirchenmusik sowie konkrete Erfahrungen zu ihrer<br />
sich wandelnden Rolle in Afrika, Asien und Lateinamerika<br />
behandelt. Auch Erfahrungen im Umgang mit ökumenischer<br />
Kirchenmusik in Europa werden ausgewertet. Für<br />
2012 ist eine weitere Tagung in Hildesheim in Planung.<br />
Theologische Kommission<br />
Die Theologische Kommission, die sich im Herbst <strong>2010</strong> neu<br />
konstituiert hat, befasste sich auf zwei Sitzungen schwerpunktmäßig<br />
mit dem Thema des christlichen Zeugnisses<br />
im religiös pluralen Kontext und mit der Selbst- und Fremdwahrnehmung<br />
von Religionsgemeinschaften. Besonders<br />
das Verhältnis von Christen und Muslimen ist hier von<br />
Interesse. Ein weiteres Thema der Frühjahrssitzung der<br />
Kommission waren Migrationsgemeinden in Deutschland,<br />
wozu Frau Severin-Kaiser von der ACK-Hamburg für ein<br />
Impulsreferat eingeladen wurde. Außerdem ist zu dieser<br />
Thematik eine Stellungnahme der Kommission für den Vorbereitungsprozess<br />
der EKD-Synode <strong>2011</strong> (Thema Mission)<br />
erarbeitet worden. Ein künftiger Arbeitsschwerpunkt ist<br />
das gemeinsame Dokument von ÖRK, Weltweiter Evangelikaler<br />
Allianz und römisch-katholischer Kirche, das Empfehlungen<br />
für einen Verhaltenskodex unter dem Titel „Das<br />
christliche Zeugnis in einer multireligiösen Welt“ zu vertiefenden<br />
Debatten vorlegt.<br />
Friedensprozesse und Feministische Theologien<br />
Auf Antrag der Universität San Diego/USA wurde vom<br />
<strong>EMW</strong> ein internationales, interdisziplinäres Symposium<br />
über den Beitrag feministischer Theologien zu gesellschaft-
lichen Friedensprozessen unterstützt. Das Treffen mit insgesamt<br />
dreißig internationalen Wissenschaftlern/innen<br />
wurde im Juni <strong>2011</strong> in Kooperation u. a. mit dem Missionswissenschaftlichen<br />
Institut Aachen in Santo Domingo/<br />
Dominikanische Republik durchgeführt. Das dreitägige<br />
Symposium hat versucht, Forschungsfragen und Studien<br />
über den Einfluss von Frauen in der Interaktion von sozialen<br />
und religiösen Dynamiken ebenso nachzugehen wie<br />
deren Streben nach friedlichen Konfliktlösungen, die von<br />
Ansätzen der feministischen Theologie getragen sind. Im<br />
Zuge eines interkulturellen und interreligiösen Austauschs<br />
spielten Analysen des Einflusses von Religionen in Konflikten,<br />
von Strategien von Frauen, Konflikte aus religiöser<br />
Überzeugung zu schlichten sowie von religiösen Traditionen,<br />
in denen Frauen als Konfliktschlichterinnen auftreten<br />
eine wichtige Rolle. Befragt wurden Lösungswege, die<br />
feministische Theologien aufzeigen für eine Gesellschaft<br />
des Friedens und der sozialen Gerechtigkeit und des gelingenden<br />
interkulturellen Zusammenlebens.<br />
Bei der Konstellation dieses Symposiums handelte es sich<br />
im Blick auf den Beitrag der feministischen Theologie für<br />
eine Gesellschaft des Friedens um ein Pilotprojekt. Die Veranstaltung<br />
hatte auch auf politischer Ebene – etwa beim<br />
Frauenministerium der Dominikanischen Republik - großen<br />
Erfolg, weshalb gemeinsame Veranstaltungen zu ähnlichen<br />
Themen in Aussicht genommen worden sind. Anfang<br />
2012 soll eine Publikation mit den Beiträgen der Teilnehmenden<br />
des Symposiums erscheinen, die Debatten laufen<br />
derzeit auf elektronischen Kanälen weiter.<br />
Jahrbuch Mission <strong>2010</strong> und <strong>2011</strong><br />
Die Tagung zum Jahrbuch <strong>2010</strong> fand unter dem Thema „Spiritualität<br />
im Kampf um Gerechtigkeit in Lateinamerika“ im<br />
November <strong>2010</strong> mit rund fünfzig Teilnehmenden und Mitwirkenden<br />
in der Evangelischen Akademie Bad Boll statt.<br />
Thematisch war der Bogen von neueren Entwicklungen verschiedener<br />
befreiungstheologischer Ansätze bis zum konkreten<br />
Engagement für Menschenrechte durch kirchliche<br />
und entwicklungspolitische Gruppen gespannt.<br />
Das Jahrbuch Mission erschien im Mai <strong>2011</strong> zum Thema<br />
Gerechtigkeit. Damit wurde thematisch der Bogen zum<br />
Abschluss der Dekade zur Überwindung von Gewalt und<br />
zur Friedenskonvokation geschlagen. Zum Schlüsselbegriff<br />
„Gerechtigkeit“ erscheinen dort Grundsatzartikel („Visionen<br />
vom Reich Gottes“) und Untersuchungen zu einzelnen<br />
gesellschaftlichen Handlungsfeldern (Wirtschaft, Ökologie<br />
und Klimawandel u.a.) | Brigitta Kainz/ i.V. Christoph Anders<br />
ÖRK/Juan Michel<br />
Theologische Ausbildung<br />
Theologische Ausbildung<br />
Das OCMS – Partner in Theologischer Ausbildung<br />
Woodstock Road, Oxford, England: Es gibt kaum eine beeindruckendere<br />
Kulisse für eine theologische Ausbildungsstätte<br />
als die ehemalige St. Philips and St. James Church,<br />
ein Paradebeispiel viktorianischer Sakralarchitektur.<br />
Die 1862 geweihte anglikanische Kirche beherbergt seit<br />
Der koreanische<br />
Theologe Wonsuk<br />
Mo leitet derzeit<br />
das OCMS.<br />
1983 das Oxford Centre for Mission Studies (OCMS). Der<br />
Kirchenraum wurde behutsam umgestaltet und dient als<br />
Vorlesungssaal, Versammlungsraum und Bibliothek, in<br />
den schmalen Seitenschiffen sind Computerarbeitsplätze<br />
für die Studierenden eingerichtet. Das OCMS wird als<br />
Forschungsinstitut von INFEMIT geführt, der International<br />
Fellowship of Evangelical Mission Theologians. Hier<br />
Im Verlag Regnum des OCMS erschienen bis jetzt sechs Bände zur<br />
Vor- und Nachbereitung der Weltmissionskonferenz „Witnessing to<br />
Christ today“ – eine umfassende Bestandsaufnahme zur heutigen<br />
Missionsarbeit.<br />
vergibt die Kommission für Theologische Ausbildung des<br />
<strong>EMW</strong> seit längerem Stipendienhilfen an Studierende aus<br />
der Zwei-Drittel-Welt, die in Oxford promovieren möchten.<br />
Außerdem wird die Publikationsarbeit des OCMS über den<br />
Verlag Regnum Books gefördert.<br />
Die Studierenden werden von ihrer Heimatkirche oder von<br />
der Institution, für die sie bisher gearbeitet haben, für eine<br />
Fortbildung beim OCMS empfohlen, das vor der Aufnahme<br />
<strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong> | 49
Theologische Ausbildung<br />
die Relevanz ihres Forschungsprojektes prüft. 85 Prozent<br />
der Studierenden tun dies in Teilzeit und bleiben in ihren<br />
Arbeitsfeldern zu Hause tätig. Sie absolvieren zu Beginn in<br />
Oxford eine Einführung in alle Aspekte der Forschungsarbeit,<br />
müssen im ersten Studienjahr mindestens drei Monate<br />
und in jedem weiteren Studienjahr mindestens sechs Wochen<br />
in Oxford verbringen. Die übrige Zeit werden sie zu<br />
Hause online von ihren „academic supervisors“ aus Großbritannien<br />
begleitet. Derzeit betreut OCMS circa 120 Studierende<br />
im Forschungsprogramm, darunter 20 Frauen. Sie<br />
sind an verschiedenen britischen Universitäten, vor allem<br />
der University of Wales, für einen „Doctor of Philosophy“<br />
(PhD) eingeschrieben. Die meisten von ihnen werden nach<br />
Studienabschluss an ihren früheren Arbeitsplatz zurückkehren,<br />
mehrheitlich im Bereich Bildung und Forschung.<br />
Strategien für die theologische Ausbildung<br />
Im April <strong>2011</strong> wurde vom ÖRK und der Queen’s Foundation<br />
for Ecumenical Theological Education in Birmingham eine<br />
internationale Konferenz für Partner in der Theologischen<br />
Ausbildung organisiert. Ihr Thema war „International Partnership<br />
and Funding Strategies for Theological Education<br />
in the Global South and in Eastern Europe“. Die Queen’s<br />
Foundation hat einen Teil der Arbeit des Selly Oak Centre<br />
for Mission Studies nach dessen Auflösung übernommen,<br />
bietet Studiengänge für Menschen aus aller Welt in „Theology,<br />
Ministry and Mission“ an und baut Partnerschaften<br />
mit theologischen Ausbildungsstätten auf. Diese Konferenz<br />
war seit langem die erste Zusammenkunft von Partnern<br />
der ökumenisch-theologischen Ausbildung und diente dem<br />
Austausch über den heutigen Bedarf an Aus- und Weiterbildung<br />
christlicher Führungspersönlichkeiten in verschiedenen<br />
Teilen der Welt sowie über die Arbeit der vertretenen<br />
Organisationen. Anwesend waren 26 Vertreter/innen von<br />
Organisationen und Kirchen aus Europa und Nordamerika,<br />
die theologische Ausbildung weltweit unterstützen.<br />
Positiv wurde die Einbeziehung von Vertretern evangelikaler<br />
theologischer Ausbildung gewertet und die Möglichkeiten<br />
einer künftigen engeren Zusammenarbeit allseits<br />
begrüßt. Dies gilt auch für den ÖRK, dessen Leitung dem<br />
50 | <strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong><br />
ETE-Programm (Ecumenical Theological Education) hohe<br />
Bedeutung beimisst und sich eine Verpflichtung zur Zusammenarbeit<br />
auch in der Finanzierung von Aufgaben der<br />
ökumenisch-theologischen Ausbildung wünscht. Die Ergebnisse<br />
sind in einer „Agenda 21 for Common Collaboration<br />
in Theological Education – Findings of the Birmingham<br />
Process“ festgehalten.<br />
Kommission für Theologische Ausbildung<br />
Die Kommission für Theologische Ausbildung des <strong>EMW</strong><br />
traf sich in weitgehend neuer Zusammensetzung unter<br />
dem Vorsitz von Bischöfin i.R. Bärbel Wartenberg-Potter<br />
im November <strong>2010</strong> und im April <strong>2011</strong>. Die Vorsitzende unterstrich<br />
die Aufgabe, sowohl zur Ermöglichung theologischer<br />
Ausbildung an anderen Orten der Welt beizutragen,<br />
als auch Erfahrungen aus anderen Teilen der Welt in den<br />
deutschen Kontext zu vermitteln. Die Kommission wird<br />
sich demnächst mit den Förderkriterien genauer befassen<br />
und dabei u. a. Formen der Kooperation mit Langzeitpartnern<br />
und Organisationen aus dem evangelikalen Bereich<br />
ebenso prüfen wie Möglichkeiten der Eigeninitiative bei<br />
zentralen Themen.<br />
Unter den bewilligten Anträgen war eine Weiterförderung<br />
für das Sierra Leone Theological College and Church Training<br />
Centre. An dieser von einer Theologin geleiteten Ausbildungsstätte<br />
ergänzen neue Studiengänge in Bereichen<br />
wie Business Administration, Community Development<br />
und „Entwicklung der Zivilgesellschaft“ das Angebot an<br />
theologischer Ausbildung. Dr. Grüter konnte das College<br />
bei einer Reise nach Sierra Leone im Februar <strong>2011</strong> besuchen.<br />
Als Herausforderung wurde die Abwanderung von<br />
Absolventen/innen des Colleges genannt, die andernorts<br />
besser verdienen können. Dies ist ambivalent, da die theologischen<br />
Ausbildungsstätten öffentliches Vertrauen genießen<br />
und ihre Absolventen/innen gern angestellt werden.<br />
Andererseits gehen der Kirche dadurch kompetente Ressourcepersonen<br />
verloren.<br />
Außerdem wurden Zuschüsse zu Stipendien, zur Bibliothek<br />
und zu einem Neubau bei der Ethiopian Graduate School of<br />
Theology in Addis Abeba bewilligt. Afrika/Mittelost-Referent<br />
Dr. Boersma hat nach seinem Besuch Ende <strong>2010</strong> positiv<br />
über die EGST berichtet. Mit Postgraduierten-Studiengängen<br />
u. a. zu HIV/Aids, einem geplanten Studiengang in<br />
Islamstudien, der Förderung des christlich-muslimischen<br />
Dialogs sowie ihrer Verbindung zu evangelikalen Kirchen,<br />
der Mekane-Yesus-Kirche und der äthiopisch-orthodoxen<br />
Kirche leistet diese relativ neue, evangelikal geprägte Institution<br />
einen wichtigen Beitrag zur ökumenischen Zusammenarbeit<br />
in Äthiopien. | Maureen Trott/ i.V. Christoph Anders
Afrika<br />
Zeichen, Wunder und Probleme<br />
Der Jubel war unbeschreiblich, als die Unabhängige<br />
Wahlkommission das Ergebnis des<br />
Referendums über die Unabhängigkeit des<br />
Südsudans bekannt gab. Unglaubliche 99,57<br />
Prozent der Bevölkerung hatten für die Loslösung<br />
des Südens gestimmt – ein Ergebnis<br />
„besser als im Sozialismus“, wie die TAZ titelte.<br />
Der Unterschied war nur, dass das Resultat<br />
dem Willen des Volkes tatsächlich entsprach.<br />
Kaum bekannt wurde die Rolle des <strong>EMW</strong>-<br />
Partners Allafrikanische Kirchenkonferenz<br />
(AACC) bei der Lösung der immer wieder<br />
auftretenden Probleme im Vorfeld dieser historischen<br />
Entscheidung. Die AACC hatte den<br />
ehemaligen Generalsekretär des ÖRK, Pfarrer Sam Kobia,<br />
zum Sonderbeauftragten ernannt, für den sich viele Türen<br />
öffneten, die sonst geschlossen geblieben wären. Dass alle<br />
Seiten die AACC als unabhängigen Vermittler akzeptierten,<br />
wurde vor der Öffentlichkeit bewusst nicht ausgebreitet<br />
– diskrete Diplomatie ermöglichte vieles, was auf dem<br />
offenen Markt nicht erreichbar gewesen wäre.<br />
Für die Kirchen des Sudan war und ist – bei aller Freude<br />
über die Lösung des über Jahrzehnte dauernden Konflikts<br />
– die Trennung der beiden Landesteile mit Problemen verbunden.<br />
Die im Sudan Council of Churches (SCC) zusammengeschlossenen<br />
Kirchen wollen weiter zusammenbleiben.<br />
Schon vor dem Referendum wurde erkennbar, dass<br />
die im Norden verbliebenen Christen unter verstärkten<br />
Druck geraten würden. Die Ankündigung von Präsident<br />
al-Bashir, nun im Norden die Scharia auf alle Bürger anzuwenden<br />
und die Beschlagnahmung von kirchlichen Gebäuden<br />
durch die Regierung beunruhigen die Kirchen.<br />
Vor diesem Hintergrund plante der SCC eine Konsultation<br />
vom 5.-7. Januar <strong>2011</strong> in Khartum, bei der die Auswirkungen<br />
der Trennung der beiden Staaten auf die Gemeinschaft<br />
der sudanesischen Kirchen beraten werden sollten. Es ging<br />
unter anderem um die Frage, ob und wie die Kirchen dazu<br />
beitragen könnten, durch einen verstärkten christlich-muslimischen<br />
Dialog den sozialen Frieden im Land zu sichern.<br />
Dazu sollte die Konsultation eine gemeinsame Strategie<br />
entwickeln. Zur Stärkung der Kirchen in beiden Landesteilen<br />
sollten darüber hinaus Vereinbarungen über die Zusammenarbeit<br />
zwischen dem Norden und dem Süden und<br />
über die künftige Einbindung in die regionalen und internationalen<br />
ökumenischen Strukturen getroffen werden.<br />
Afrika<br />
An den Feierlichkeiten am 9. Juli <strong>2011</strong> in Juba, der neuen Hauptstadt<br />
des Südsudans, nahmen Hunderttausende teil – auch mit nicht-offiziellen<br />
Transparenten wie diesem, das den Stolz auf die erkämpfte<br />
Unabhängigkeit und die neue Identität ausdrückte.<br />
Das <strong>EMW</strong> konnte aus der Liste des Bedarfs kurzfristig Mittel<br />
bewilligen, um dieses strategisch bedeutsame Treffen<br />
zu ermöglichen. Diese Förderung ist ein gutes Beispiel für<br />
die komplementäre Zusammenarbeit kirchlicher Träger mit<br />
unterschiedlichen Mandaten, denn der Antrag des SCC fiel<br />
nicht in das entwicklungsbezogene Mandat der Regionalstelle<br />
Horn von Afrika des EED, sondern hatte einen theologischen<br />
(und kirchenpolitischen) Hintergrund, der in den<br />
Aufgabenbereich des <strong>EMW</strong> fällt.<br />
Tagung zur Pfingstbewegung in Afrika<br />
Zu einer internationalen Konsultation über Transformationen<br />
in der Pfingstbewegung in Afrika, hatten <strong>EMW</strong> und<br />
EED im Januar <strong>2011</strong> etwa fünfzig Teilnehmende in die Missionsakademie<br />
nach Hamburg eingeladen. Die Debatten bezogen<br />
sich auf kulturelle Wurzeln von Glaubensverständnissen<br />
und deren Veränderungen als Ausgangspunkt für<br />
gemeinsame Strategien künftiger Kooperationen, zum Beispiel<br />
in der Entwicklungszusammenarbeit. Die Vorträge<br />
wurden im Juni in einer von <strong>EMW</strong> und EED gemeinsam<br />
erstellten Online-Dokumentation mit dem Titel „Encounter<br />
beyond routine“ veröffentlicht. | Dr. Owe Boersma<br />
<strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong> | 51<br />
Roberto Schmidt/AFP/Getty Images
Mittlerer Osten<br />
Mittlerer Osten<br />
In der Zeitenwende: Kleine Kirchen stärken<br />
Der Mittlere Osten steht mitten in einer politischen Zeitenwende.<br />
Die noch nicht abgeschlossenen revolutionären Prozesse<br />
von Tunesien bis Syrien werden nicht nur die (geo)<br />
politischen Rahmenbedingungen verändern, sondern stellen<br />
auch die Christen vor große Herausforderungen. In den<br />
vergangenen Jahrzehnten haben ihnen die diktatorischen<br />
Regimes zumindest eine fragile Sicherheit geboten – nun<br />
fürchten sich die Christen und ihre Kirchen vor den Unge-<br />
Radikale Islamisten versuchen, Spannungen zwischen Christen und<br />
Muslimen zu schüren. So steckten sie am 7. Mai <strong>2011</strong> eine koptische<br />
Kirche in Kairo in Brand. Auch wenn es nach solchen Gewaltakten<br />
immer wieder zu gemeinsamen christlich-muslimischen Demonstrationen<br />
gegen Gewalt kommt, so sind die ägyptischen Christen<br />
dennoch besorgt, was ihnen die Zukunft der Revolution bringt.<br />
wissheiten, die der Umbruch mit sich bringt. Das Beispiel<br />
Irak, wo erst seit dem Ende der Herrschaft Saddam Husseins<br />
Christen vielerorts als Freiwild gelten, beunruhigt<br />
alle Kirchen.<br />
Gerade in solchen Zeiten des Umbruchs sind funktionierende<br />
ökumenische Strukturen wichtig. Der Mittelöstliche<br />
Kirchenrat (MECC) befindet sich derzeit in einer organisa-<br />
52 | <strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong><br />
STR/AFP/Getty Images<br />
torischen und finanziellen Krise und war bis jetzt nicht in<br />
der Lage, eine Position der Kirchen zu den aktuellen Umwälzungen<br />
zu finden. Deshalb ist es umso wichtiger, dass<br />
die Gemeinschaft der Evangelischen Kirchen im Mittleren<br />
Osten (Fellowship of the Middle East Evangelical Churches<br />
– FMEEC) die langfristige Stärkung der christlichen Minderheiten<br />
anstrebt.<br />
1974 gegründet, sind in ihr 15 Kirchen unterschiedlicher<br />
konfessioneller Herkunft zusammengeschlossen, jedoch<br />
gehören ihr, anders als beim MECC, die orthodoxen und<br />
die katholische Kirche nicht an. Die Mitgliedschaft umfasst<br />
evangelisch-reformierte, lutherische und episkopale<br />
Kirchen vom Persischen Golf im Osten bis nach Algerien<br />
im Westen und dem Sudan im Süden. Die meisten dieser<br />
Kirchen sind auch Mitglieder im MECC.<br />
Der FMEEC, langjähriger Partner des <strong>EMW</strong>, geht es darum,<br />
die Einheit innerhalb der evangelischen Kirchen der Region<br />
zu fördern. Dies sehen die Kirchen als Voraussetzung für<br />
die umfassende Mitwirkung in der weiteren ökumenischen<br />
Struktur des MECC. 2006 einigten sich die FMEEC-Kirchen<br />
auf die gegenseitige Anerkennung von Taufe, Abendmahl,<br />
Amt und Ordination. <strong>2010</strong> wurde die Frauenordination<br />
offiziell anerkannt, da der Ausschluss von Frauen aus<br />
der gesellschaftlichen und kirchlichen Verantwortung als<br />
Problem mit gemeinschaftsschädigenden Folgen erkannt<br />
worden war.<br />
Die FMEEC bietet den Kirchen in der Region Seminare für<br />
Laien in theologischer und praktischer Ausbildung an, die<br />
in Kooperation mit den beiden bestehenden protestantischen<br />
Seminaren der Region (Near East School of Theology,<br />
Beirut und Evangelical Theological Seminary, Kairo)<br />
durchgeführt werden. Mit diesen auch vom <strong>EMW</strong> geförderten<br />
Seminaren soll eine neue Generation von ökumenisch<br />
engagierten Führungskräften in den Kirchen aufgebaut<br />
werden, deren Zahl durch Kriege und Emigration stark<br />
dezimiert worden ist.<br />
Auch bei seinen Bildungsprogrammen in den Bereichen<br />
Frauen, Jugend und Kinder geht es der Gemeinschaft vor<br />
allem um die Stärkung von Laien in den kleinen protestantischen<br />
Kirchen. Damit setzt die Gemeinschaft einen deutlichen<br />
Kontrapunkt zu anderen Kirchen in einer Region,<br />
die traditionell patriarchalisch, hierarchisch und klerikal<br />
ausgerichtet sind. | Dr. Owe Boersma
Asien<br />
Beziehungen zum China Christian Council<br />
Auf Einladung des <strong>EMW</strong> und der EKD kam Anfang Dezember<br />
<strong>2010</strong> eine siebenköpfige Delegation des neuen Führungsgremiums<br />
des China Christian Council (CCC) unter<br />
der Leitung des Präsidenten des CCC, Rev. Gao Feng, zu<br />
einem Antrittsbesuch nach Deutschland. Erste Station ihres<br />
Besuches war Düsseldorf, wo es ein Zusammentreffen<br />
mit dem stellvertretenden Vorsitzenden des Rates der EKD,<br />
dem sächsischen Landesbischof Jochen Bohl, gab sowie mit<br />
Vertreter/innen kirchlicher Werke und Mitgliedern des<br />
Ökumenischen Chinaarbeitskreises (ÖCAK). Da der CCC<br />
nun auch eine eigene Diakonieabteilung aufgebaut hat, war<br />
das Schwerpunktthema in Düsseldorf Diakonie. Dies wurde<br />
durch einen Besuch der Kaiserswerther Diakonieanstalten<br />
veranschaulicht. Der Diakoniebeauftragte des CCC, Paul<br />
Wang, beschrieb vor allem die Situation der Wanderarbeiter,<br />
die ihre Familien auf dem Land zurückließen, um in<br />
den Städten zu arbeiten, als eine große Herausforderung<br />
für die Kirchen in den Städten und auf dem Land. Wegen<br />
der Ein-Kind-Politik sei China außerdem eine schnell alternde<br />
Gesellschaft, die die Kirche in Punkto Altenpflege<br />
herausfordert. Hauptproblem der Kirche sei „ihre eigenen<br />
Kapazitäten an ausgebildeten Kräften zu erhöhen“. Pfr. Kan<br />
Baoping betonte, dass die Freiräume der Kirchen für diakonische<br />
Arbeit noch nie so groß waren. Vom Besuch in<br />
Deutschland erhofft sich der CCC Anregungen für innovative<br />
Wege in der Diakonie und Unterstützung bei der Ausbildung<br />
professioneller Pflegekräfte.<br />
Beim Besuch in Hamburg ging es in erster Linie um Theologische<br />
Ausbildung in China. Hier waren das <strong>EMW</strong> sowie<br />
die Missionsakademie die Gastgeber, in der auch ein<br />
Workshop zum Thema Theologische Ausbildung stattfand.<br />
Begrüßt wurde die Delegation vom neuen Vorstandsvorsitzenden<br />
des <strong>EMW</strong>, Bischof Jan Janssen, und vom Direktor<br />
des <strong>EMW</strong>, Christoph Anders. Beim Workshop kristallisierte<br />
sich heraus, dass es im Bereich Theologische Ausbildung<br />
eine Reihe von Herausforderungen in China gibt. Vor allem<br />
zu nennen wären Lehrkräftemangel, Lehrkräftefortbildung,<br />
Fehlen von Lehrbüchern, Aufbau von Bibliotheken,<br />
Verbesserung der Unterrichtsqualität, Integration gesellschaftlicher<br />
Fragen und Zukunftstüchtigkeit.<br />
Die Stimmung des Besuchs war von Interesse und Wertschätzung,<br />
allerdings auch einer gewissen diplomatischen<br />
Zurückhaltung geprägt. Es kommt nun darauf an, den Besuch<br />
auszuwerten, vor allem im Blick auf Kooperationen im<br />
Bereich Theologische Ausbildung und Diakonieabteilung<br />
des CCC. | Constanze Ennen<br />
Gerd Ennen<br />
Pazifik<br />
Asien | Pazifik<br />
Fünfzig Jahre Ökumene im Pazifik<br />
Vom 30. August bis 4. September <strong>2011</strong> fand in Apia/Samoa<br />
am Malua Theological College das 50-jährige Jubiläum<br />
der Pacific Conference of Churches (PCC) statt. Mit<br />
der PCC mit Sitz in Suva, Fidschi, verbindet das <strong>EMW</strong> eine<br />
langjährige Partnerschaft. Die PCC ist ein ökumenischer<br />
Zusammenschluss von 26 Mitgliedskirchen und acht nationalen<br />
Kirchenräten. Sie wurde 1961 an eben diesem Malua<br />
Theological College als „Secretariat for the Pacific Churches“<br />
gegründet und erlebte seitdem erhebliche Umstrukturierungen.<br />
Generalsekretär ist seit der Vollversammlung<br />
2007 Fe´iloakitau Tevi, unter dessen Führung die PCC an<br />
Einfluss und Ansehen deutlich gewinnen konnte. In seiner<br />
eindrucksvollen Art hat er in den letzten Jahren bei seinen<br />
Partnerbesuchen, aber auch auf zahlreichen Veranstaltungen<br />
und Konferenzen (u. a. auf dem Klimagipfel in Oslo)<br />
immer wieder auf die Herausforderungen des globalen Klimawandels<br />
hingewiesen, denen sich die Länder im Pazifik<br />
und die Kirchen als größte zivilgesellschaftliche Kraft in<br />
einer Region gegenüber sehen, in der sich ca. 90 Prozent<br />
der Bevölkerung zum Christentum bekennen.<br />
Dass sie Kirchen in einem Gebiet zusammenhält, das 20 Prozent der<br />
Erdoberfläche einnimmt und sie miteinander ins Gespräch bringt, ist<br />
eine große Leistung der Pazifischen Kirchenkonferenz – und darauf<br />
war man beim Jubiläum stolz. Die kleinen Kirchen sind dabei allerdings<br />
auf finanzielle Unterstützung aus der Ökumene angewiesen.<br />
<strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong> | 53
Pazifik | Lateinamerika<br />
Auf der anderen Seite ist die PCC als Dachverband durch<br />
die zunehmende Charismatisierung von Gemeinden theologisch<br />
herausgefordert. Eine Antwort versucht ein neues<br />
Konzept der PCC zu geben, das unter dem Titel „Rethinking<br />
Oceania“ gemeinsam mit den Mitgliedskirchen das Rahmenkonzept<br />
für Mission und theologische Reflektion im<br />
Hinblick auf die oben genannten kontextuellen Realitäten<br />
überdenken soll. Mit diesem Programm soll die Effektivität<br />
der Missionsarbeit und der theologischen Studienarbeit<br />
in den Kirchen gestärkt und die Zusammenarbeit und<br />
der Austausch durch gemeinsame Projekte und Initiativen<br />
gefördert und damit die Zukunftsfähigkeit der PCC gesichert<br />
werden. Auch die nötige gestiegene administrative<br />
Professionalität des vergrößerten Haushalts und der ausgeweiteten<br />
Programme stellen eine große Herausforderung<br />
für die PCC dar.<br />
Das Programm des Jubiläums war in drei große Themenblöcke<br />
aufgeteilt und unter den Überschriften „Celebrating<br />
– Contextualising – Challenges“ präsentierten sich fünf<br />
Tage lang in zahlreichen Veranstaltungen die PCC und ihre<br />
Mitgliedskirchen im „true pacific style“. Als Hauptredner<br />
waren der Generalsekretär des Weltkirchenrats, Olav Fykse<br />
Tveit, der Moderator der PCC, Bischof Apimeleki Qiliho<br />
sowie der Rektor des Pacific Theological College, Fele<br />
Nokise, eingeladen. Höhepunkte waren unter vielen anderen<br />
die „Talanoa Sessions“, eine typisch pazifische Art von<br />
„Geschichten erzählen“, in denen frühere Generalsekretäre<br />
und Moderatoren der PCC aus ihren Amtsjahren berichteten<br />
– eine wertvolle Erfahrung für das jüngere Leitungspersonal<br />
der Kirchen, denn eine geregelte Überlieferungsgeschichte<br />
der ökumenischen Zusammenarbeit im „siebten<br />
Kontinent“ fehlt noch.<br />
Einen Tag nach dem Jubiläum kam es zu einem vorläufigen<br />
Ende der Amtszeit des Generalsekretärs Fei Tevi. Nach<br />
einer Sitzung des PCC-Exekutivkomitees wurde er ebenso<br />
wie der Finanzmanager für vier Wochen suspendiert und es<br />
wurde eine Untersuchung (auch von staatlicher Seite) aufgrund<br />
des Verdachtes von Unregelmäßigkeiten in der Verwendung<br />
von zweckbestimmten Mitteln eingeleitet. Zum<br />
geschäftsführenden Generalsekretär wurde Pastor Francois<br />
Pihaatae ernannt, der bisherige Programmbeauftragte<br />
für verantwortliche Führung. Bei aller Erschütterung<br />
aufgrund dieses Ereignisses muss positiv konstatiert werden,<br />
dass die Kontrollmechanismen in Bezug auf Korruptionsvermeidung<br />
gegriffen haben und selbst vor so einer<br />
verdienten Persönlichkeit wie Fei Tevi nicht halt machen.<br />
Man wird nun abwarten müssen, in wieweit die PCC diese<br />
Krise jetzt auch als Chance zu einem Innehalten und Neubeginn<br />
nutzt. | Constanze Ennen<br />
54 | <strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong><br />
Lateinamerika<br />
Eindrücke aus Kuba<br />
Im Nachgang zur Friedenskonvokation in Kingston/Jamaika<br />
kam es im Mai gemeinsam mit einer ÖRK-Delegation zur<br />
Teilnahme an den 70-Jahr-Feierlichkeiten des Kubanischen<br />
Kirchenrates (CIC) in Havanna und zu einem Kurzbesuch<br />
beim langjährigen Kooperationspartner Seminario Evangélico<br />
de Teologiá (SET) in Matanzas.<br />
Die protestantischen Kirchen Kubas befinden sich in einer<br />
komplizierten Situation. Die Wachstumsdynamik der<br />
letzten zwei Jahrzehnte hat sich abgeschwächt, denn die<br />
Anziehungskraft der Kirchen für Jugendliche, die auf der<br />
Suche sind nach alternativen gesellschaftlichen Gruppen<br />
mit tragfähigen Zukunftsperspektiven, hat offenbar abgenommen.<br />
Auch aufgrund der finanziellen Probleme vieler<br />
Partnerkirchen in den USA und Kanada sind die Kirchen<br />
von der sich verschärfenden ökonomischen Situation (Ressourcenknappheit<br />
und Teuerung) mitbetroffen. Der Reformkurs<br />
mit angezogener Handbremse, wie ihn die Partei- und<br />
Staatsführung verfolgt, birgt für den Großteil der Bevölkerung<br />
offenbar wenig Hoffnungen. In den Diskussionsforen<br />
spielen die evangelischen Kirchen kaum eine erkennbare<br />
Rolle.<br />
Die römisch-katholische Kirche hat sich zuletzt aufgrund<br />
verschiedener politischer Initiativen (v. a. bei der Freilassung<br />
von Dissidenten) als zentrales Gegenüber von Partei-<br />
und Staatsführung etabliert. Sie erhält im Gegenzug<br />
mancherlei Zugeständnisse zur Verbesserung der eigenen<br />
Arbeit – und zeigt bleibend kaum ökumenische Offenheit.<br />
Klagen über vom Ausland gesteuerte, (neo-)pentekostale<br />
missionarische Initiativen nehmen zu. Sie laufen an den<br />
bestehenden Kirchen vorbei und werben Mitglieder anderer<br />
Kirchen durch verunsichernde materielle Versprechen<br />
ab – so der Vorwurf. Dadurch nimmt die Fragmentierung<br />
des Protestantismus weiter zu und wird begleitet von einer<br />
anhaltend geringen Bereitschaft, über die kirchenpolitischen<br />
Lager hinaus miteinander das Gespräch zu suchen.<br />
Die Gemeinschaft der ökumenisch offenen Kirchen, traditionell<br />
konservative historische Missionskirchen, die großen<br />
Pfingstkirchen und neue, kaum identifizierbare christliche<br />
Gruppierungen – alle agieren nebeneinander her. In den offiziellen<br />
Feierlichkeiten dominierte die ältere Revolutions-<br />
Generation mit ihren Fragestellungen das Geschehen, jüngeren<br />
Jahrgängen gelingt es kaum, in Leitungspositionen<br />
zu gelangen – hier spielen wohl auch errungene und verteidigte<br />
Privilegien eine Rolle. Für die Zukunft der Kirchen
hängt viel davon ab, was sie in der Krise beitragen können<br />
zu einer Verbesserung der bedrückenden Lebensumstände.<br />
Von dieser Situation ist auch das SET betroffen, das seit<br />
vielen Jahren vom <strong>EMW</strong> unterstützt wird. In den Gesprächen<br />
mit der Leitung des Seminars wurden konzeptionelle<br />
Weiterentwicklungen der Lehrangebote ebenso angesprochen,<br />
wie die wenig erfreulichen finanziellen Perspektiven.<br />
Letztere beziehen sich auf die umfassende Teuerung<br />
und darauf, dass nennenswerte finanzielle Rücklagen auf<br />
Konten bei US-Banken eingefroren sind, da sich die Embargo-Bedingungen<br />
der USA im Kern nicht verändert haben.<br />
Als besonders bedrückend wird die Tendenz eingestuft,<br />
nach der sich ein deutlicher Mangel an Pfarrern/innen<br />
in verschiedenen Kirchen abzeichnet. Demgegenüber ist<br />
das Interesse an berufsbegleitenden Fortbildungen vor Ort<br />
bleibend hoch. Flexible Ausbildungsangebote sind gefragt,<br />
aber unter den gegebenen Bedingungen schwer umzusetzen.<br />
Der Ausstieg der methodistischen Kirche aus der Mitträgerschaft<br />
des SET – nach massiv profilverändernden<br />
Prozessen von Charismatisierung und antiökumenischen<br />
Rückzügen – wirkt sich, so die Einschätzung der Seminarleitung,<br />
kaum mehr aus.<br />
Die Gesamtbilanz des Kurzbesuches ist ernüchternd. Sie<br />
verbindet sich mit der Hoffnung, dass die Kirchen Kubas<br />
die Kraft finden, Hilfreiches beizutragen bei der Suche danach,<br />
was den Menschen zum Leben dient. Wichtig ist dabei<br />
die Entscheidung, dass die nächste Vollversammlung<br />
des Lateinamerikanischen Kirchenrates CLAI 2013 auf<br />
Kuba stattfinden soll.<br />
Beim Besuch von Dr. Daniel Chiquete (Mexico), früherer<br />
Studienleiter der Missionsakademie, stand die Frage nach<br />
Charismatisierungsprozessen in Kirchen Lateinamerikas<br />
im Zentrum. Er unterstrich, wie sehr auch „klassische<br />
Pfingstkirchen“ mit ihrer z. T. hundertjährigen Geschichte<br />
in Konkurrenz zu neo-pentekostalen Gruppierungen stehen.<br />
War früher eine Jenseitsorientierung mit asketischem<br />
Lebensstil angezeigt, so sind unter Jüngeren nun klare Tendenzen<br />
zur Individualisierung und materialistischen Einstellungen<br />
zu beobachten. Um diese Entwicklungen mitverfolgen<br />
zu können ist die Fortsetzung der <strong>EMW</strong>-Kooperation<br />
mit dem Netz von Pfingsttheologen (RELEP) wichtig.<br />
| Christoph Anders<br />
Finanzen<br />
Finanzen<br />
Erfreuliche Stabilität<br />
Nach einem leicht defizitären Jahr zeigt sich schon die Jahresrechnung<br />
des <strong>EMW</strong> <strong>2010</strong> wieder erfreulich stabil. Bei<br />
gegenüber dem Vorjahr um etwa 4 % reduzierten Mitgliedsbeiträgen<br />
konnte die Eigenerwirtschaftungsquote mit gut<br />
27 % noch leicht gegenüber dem starken Vorjahresniveau<br />
gesteigert werden. Infolge weiteren Sparkurses im Bereich<br />
der Sachkosten und stabiler Personalkosten war es so im<br />
Ergebnis möglich, den Rücklagen einen geringen Überschuss<br />
in Höhe von knapp 18.000 € zuzuführen.<br />
Die momentane finanzielle Stabilität ermöglicht es dem<br />
<strong>EMW</strong>, seinen Aufgaben als Dachverband nachzukommen<br />
und die mittelfristige Finanzplanung auf solider Grundlage<br />
vorzunehmen. Das ist für den Haushalt des <strong>EMW</strong> von<br />
hoher Bedeutung, denn die allgemeine Entwicklung der<br />
Finanzen im kirchlichen Bereich wird sich nach einer spür-<br />
und auch messbaren zwischenzeitlichen Beruhigung wieder<br />
eher degressiv darstellen. Hierauf gilt es vorbereitet zu<br />
sein – umso mehr für einen eingetragenen Verein, dessen<br />
überwiegende Einnahmen, die Mitgliedsbeiträge, an die<br />
finanzielle Stärke seiner Mitglieder gekoppelt sind.<br />
| Olaf Rehren<br />
<strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong> | 55
Projektförderung<br />
Projektförderung<br />
Vor der Neustrukturierung<br />
Mit dem Instrument der „Liste des Bedarfs“ fördert das<br />
<strong>EMW</strong> seit fast 50 Jahren weltweite ökumenisch-missionarische<br />
Aktivitäten von Kirchen, kirchlichen Verbänden und<br />
Organisationen in Afrika, Asien und Lateinamerika. Für<br />
diesen besonderen, in der Förderlandschaft des deutschen<br />
Protestantismus in seiner Art einzigartigen Zweck stellen<br />
die Gliedkirchen der EKD und die im <strong>EMW</strong> vertretenen<br />
Freikirchen Mittel zur Verfügung. Mit einem Volumen von<br />
rund 4,73 Mio. € bewegte sich der für die unterschiedlichsten<br />
Programme und Projekte bestehende Rahmen nur unwesentlich<br />
unter dem Vorjahresergebnis. Ein erfreulicher<br />
Wert und ein Zeichen der beständigen Wertschätzung dieses<br />
vom <strong>EMW</strong> gemanagten Instruments.<br />
Auch nach einer Neustrukturierung und -positionierung<br />
der einzelnen Schwerpunkte der Förderung bilden die ökumenisch-missionarischen<br />
Bereiche der Weltbünde (LWB,<br />
ÖRK, WGRK und Weltbibelhilfe) sowie die Theologische<br />
Ausbildung weiter den finanziellen Fokus. Im Schwerpunkt<br />
der kontintentalen Partner und Themen wird in der Förderung<br />
vermehrt auf Orientierung an mittelfristigen Themen<br />
und Herausforderungen geachtet. Die Förderung von<br />
Einzelmaßnahmen, die durch die Geschäftsstelle entschieden<br />
werden, legt besonderen Wert auf die Beachtung des<br />
ökumenischen Zugangs und der entsprechenden „Weite“<br />
der Projekte.<br />
Für den Herbst <strong>2011</strong> ist eine Publikation zur Liste des Bedarfs<br />
geplant, die auch Nicht-Insidern einen schnellen und<br />
attraktiven Zugang zu diesem unvermindert wichtigen För-<br />
deraspekt vermitteln soll.<br />
56 | <strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong><br />
Beispiel Weltbibelhilfe<br />
Eine der großen Positionen der Liste des Bedarfs ist die<br />
Aktion Weltbibelhilfe der Deutschen Bibelgesellschaft. Die<br />
Förderung ermöglicht in Zusammenarbeit mit der United<br />
Bible Society (UBS) die Übersetzung und Verbreitung der<br />
Bibel in weitere Sprachen. Auch wenn die Vollbibel in immerhin<br />
459 Sprachen verfügbar ist, liegen doch für zahlreiche<br />
Sprachen nur Übersetzungen von einzelnen Büchern<br />
des AT oder NT vor, zudem bedürfen eine Reihe von älteren<br />
Übersetzungen dringend einer Revision.<br />
Doch mit der Übersetzung ist es nicht getan. In zahlreichen<br />
Projekten erfolgt die kostenlose Verteilung von Bibeln im<br />
kleinen (32.000 Exemplare in der mehrheitlich muslimischen<br />
Sahelzone in <strong>2010</strong>) wie im großen Rahmen (in Ghana<br />
soll mit der kostenlosen Verteilung von 200.000 Bibeln in<br />
diesem Jahr die Millionengrenze erreicht werden).<br />
Beispiel Theologische Ausbildung<br />
Nicht nur vom Volumen her ist die Förderung theologischer<br />
Ausbildung der umfangreichste Schwerpunkt der Liste des<br />
Bedarfs. Zu den rund 1,2 Millionen Euro aus den Landes-<br />
und Freikirchen kommen noch einmal rund 950.000 Euro<br />
aus Mitteln des EED, so dass das <strong>EMW</strong> weltweit einer der<br />
wichtigsten Player in der Förderung theologischer Ausbildung<br />
ist.<br />
Das Sabah<br />
Theological<br />
Seminary (STS) auf<br />
Borneo wird von<br />
zwölf Kirchen der<br />
Region getragen.<br />
Aus Mitteln der<br />
Liste des Bedarfs<br />
wurde der Neubau<br />
eines Bibliotheksgebäudes<br />
unterstützt.<br />
Beraten und entschieden werden die Anträge durch die<br />
Kommission Theologische Ausbildung des <strong>EMW</strong>. Ihr Augenmerk<br />
richtet die Kommission dabei vor allem auf das<br />
Verhindern des Rückfalls in den Denominationalismus,<br />
weil die Erfahrungen zeigen, dass der Mehrwert des gemeinsamen<br />
Studiums von Theologie in ökumenischer Weite<br />
sich gerade in der Ausbildungsphase positiv auswirkt. Offenheit<br />
der die Ausbildungsstätten tragenden Kirchen ist<br />
dafür eine wesentliche Voraussetzung.<br />
| Olaf Rehren<br />
<strong>EMW</strong>/Heiner Heine
Missionsakademie<br />
Missionsakademie<br />
Zehn Jahre Fortbildung für Migrantengemeinden<br />
Das Stipendienprogramm für Doktoranden und ein Kursprogramm<br />
für kirchliche Gruppen sind seit jeher fester Bestandteil<br />
der Arbeit der Missionsakademie an der Universität<br />
Hamburg, die vom <strong>EMW</strong> und der EKD getragen wird.<br />
Zum Abschluss des Kurses erhielten die Absolventen ein Zertfikat<br />
der Missionsakademie. Damit können sie auch in den Gemeinden<br />
belegen, dass sie den Kurs erfolgreich abgeschlossen haben.<br />
Im Juli <strong>2011</strong> wurde ein Jubiläum in einem weiteren Arbeitszweig<br />
gefeiert: Mit einem Gottesdienst, in dem Bischöfin<br />
a. D. Maria Jepsen predigte, wurde der zehnte Kurs des<br />
ATTiG (African Theological Training in Germany) abgeschlossen.<br />
Mit dem Fortbildungsprogramm ATTiG für afrikanische<br />
Gemeindeleiter/innen hatte die Missionsakademie vor<br />
zehn Jahren Neuland betreten. Dem schlossen sich weitere<br />
Programme mit und für Migrationsgemeinden wie das<br />
„Practical Ministry Training“ an. Die dabei gewonnenen<br />
Erfahrungen waren eine wertvolle Ressource für Repräsentanten<br />
und Repräsentantinnen theologischer Ausbildungsstätten<br />
von Südafrika bis Norwegen, die im November<br />
<strong>2010</strong> zu einer Konsultation in der Missionsakademie<br />
zusammenkamen. Gemeinsam mit dem Koordinator des<br />
Missionsakademie<br />
ÖRK-Programms für Ökumenische Theologische Ausbildung<br />
(ETE), Dr. Dietrich Werner, tauschten die Teilnehmenden<br />
Erfahrungen aus, analysierten kritisch verschiedene<br />
Ausbildungsgänge für und mit Angehörigen von Gemeinden<br />
und Kirchen in der Migration und stellten erste Überlegungen<br />
für künftige Projekte an.<br />
Nacharbeit zu den Konferenzen<br />
von Edinburgh und Kapstadt<br />
Nachdem die Studienleitung schon an dem vorbereitenden<br />
Studienprozess zum Jubiläum der Weltmissionskonferenz<br />
und der Konferenz „Witnessing to Christ today“ (2.-6.<br />
Juni <strong>2010</strong>) selbst beteiligt war, fand auch die Nacharbeit in<br />
Deutschland in der Missionsakademie statt – dies in Zusammenarbeit<br />
mit der Koalition für Evangelisation, deren<br />
Lausanne-Konferenz in Kapstadt im Oktober <strong>2010</strong> ebenfalls<br />
zu den Konferenz-Highlights des Jahres gehörte.<br />
Eine Frucht der Stipendienarbeit konnte die Missionsakademie<br />
im Januar <strong>2011</strong> ernten, als einer ihrer ehemaligen<br />
Stipendiaten, Dr. Brighton Katabaro aus Tansania, bei der<br />
Konferenz „Encounter beyond routine“ von <strong>EMW</strong> und EED<br />
einen der Vorträge hielt. Thema der internationalen Konsultation<br />
war die Beziehung zu charismatisierten Kirchen und<br />
Pfingstkirchen in Afrika. Dass diese auch in Europa immer<br />
stärker durch ihre Migrationskirchen vertreten sind, machte<br />
Studienleiter Prof. Dr. Kahl in seinem Referat über die<br />
Herausforderung durch nicht denominational gebundene<br />
Migrationskirchen deutlich.<br />
Ein weiterer Schwerpunkt der Studienarbeit war China. Im<br />
Dezember <strong>2010</strong> war eine Delegation des China Christian<br />
Councis der Einladung des <strong>EMW</strong> gefolgt, und man arbeitete<br />
gemeinsam zu Fragen der Unterstützung theologischer<br />
Ausbildung in China. Bemerkenswert war, dass an einem<br />
Abendempfang ein Vertreter des chinesischen Generalkonsulats<br />
teilnahm, der die kirchlichen Beziehungen zwischen<br />
China und Deutschland positiv würdigte. Im Juli <strong>2011</strong> besuchte<br />
eine zweite Delegation aus Shanghai, diesmal überwiegend<br />
mit Vertretern von staatlichen Universitäten unter<br />
der Leitung des Direktors des dortigen Büros für Ethnien<br />
und Minderheiten, die Missionsakademie zu einem Austausch<br />
über Theologische und Religionsforschung. Beide<br />
Seiten hoffen, den Austausch fortsetzen zu können.<br />
<strong>2010</strong> war das erste volle Betriebsjahr für die „runderneuerte“<br />
Tagungsstätte Missionsakademie. Nach Umbau und<br />
Sanierung kann die Missionsakademie auch als attraktive<br />
Tagungsstätte funktionieren und die darin gesetzten Erwartungen<br />
beginnen sich zu erfüllen. | Dr. Michael Biehl<br />
<strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong> | 57
Wirtschaftsstelle Evangelischer Missionsgesellschaften<br />
Wirtschaftsstelle Evangelischer Missionsgesellschaften<br />
Ein schmerzlicher Abschied<br />
Mit Dank, aber natürlich auch mit Trauer blickt das <strong>EMW</strong><br />
auf das fast 60 Jahre währende Wirken seiner Wirtschaftsstelle<br />
zurück, die es in dieser Form und unter der Regie<br />
des <strong>EMW</strong> nicht mehr geben wird. Erhebliche Einbrüche in<br />
einem Geschäftszweig mit einem Großkunden, der durch<br />
das Kerngeschäft nicht mehr aufgefangen werden konnte,<br />
sowie die Unmöglichkeit, die regelmäßigen Kosten kurz-<br />
und mittelfristig an die veränderten Bedingungen anzupassen,<br />
machten im Frühjahr <strong>2011</strong> drastisch deutlich,<br />
dass die WEM die nötige Substanz nicht mehr aufbringen<br />
würde, einen sog. Turnaround zu bewältigen und in einen<br />
wirtschaftlich akzeptablen Bereich zurückzukehren. Bis<br />
zum Schluss arbeiteten alle Beteiligten auch unter Zuhilfenahme<br />
externer Beratung an Konzepten, wie eine bessere<br />
Ertragssituation sich würde wiederherstellen lassen. Mit<br />
nicht nachlassender Energie hat sich hier der letzte Geschäftsführer<br />
der WEM, Claus-Rüdiger Ullrich, engagiert,<br />
der dennoch nicht verhindern konnte, dass kurz vor seinem<br />
Ruhestand das Unvermeidliche eintrat: Der Gang zum Insolvenzgericht<br />
war nicht mehr abzuwenden.<br />
Was dann geschah, dem gebührt indes der Dank des <strong>EMW</strong>:<br />
Unter der Regie des Insolvenzverwalters konnte das Geschäft<br />
bis Ende August <strong>2011</strong> fortgesetzt werden, sodass<br />
Kunden nicht frustriert und die Gläubiger mit einer Rückzahlungsquote<br />
von rund 75 Prozent ihrer Forderungen<br />
rechnen dürfen – ein hervorragender Wert, der bei anderen<br />
Insolvenzen die 10-Prozent-Marke kaum übersteigt.<br />
Ferner gelang es, das Kerngeschäft auf eine Neugründung<br />
unter Regie von drei bisherigen Mitarbeitenden der WEM<br />
zu übertragen. Dieser neuen hoffnungsvollen Gesellschaft<br />
sollten alle guten Wünsche des <strong>EMW</strong>, seiner Mitglieder<br />
sowie der bisherigen Kunden gelten, denn sie bieten ihre<br />
Dienstleistungen in gleicher professioneller Weise an wie<br />
bisher.<br />
58 | <strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong><br />
Doch auch die Schattenseiten der Beendigung des über viele<br />
Jahrzehnte erfolgreichen Kapitels WEM sollen nicht verschwiegen<br />
bleiben: Zwei Mitarbeitenden musste im Zuge<br />
der Insolvenz gekündigt werden. Und das <strong>EMW</strong> und die<br />
Stillen Gesellschafter, ausnahmslos Mitglieder und Vereinbarungspartner<br />
des <strong>EMW</strong>, verlieren ihre Anteile bzw. Einlagen,<br />
weil diese durch die entstandenen Defizite aufgezehrt<br />
waren. Dennoch ist resümierend Dankbarkeit auszudrücken:<br />
Für fast sechs Jahrzehnte im Dienste von Mission,<br />
Entwicklungszusammenarbeit und Nothilfe, für zahlreiche<br />
gute und langjährige Beziehungen und für eine Situation,<br />
in der Projektpartner, Kunden und auch die WEM selbst<br />
zum gemeinsamen Wohl weltweit beigetragen haben. Nahezu<br />
eine Milliarde Euro Umsatz in dieser Zeit sprechen<br />
eine deutliche Sprache. | Olaf Rehren
Christoph Olaf Martin Freddy Verena Owe<br />
Anders Rehren Keiper Dutz Grüter Boersma<br />
MItArbEItEnDE In DEr GEschäFtsstEllE<br />
pfarrer christoph Anders | Direktor, Referat Lateinamerika<br />
Elisabeth Müssig-heban<br />
Sachbearbeitung Direktorat<br />
Olaf rehren | Geschäftsführer<br />
roswitha blaschke | Buchhaltung<br />
petra Deumeland | Sachbearbeitung EDV<br />
christiane Engel | Sachbearbeitung Projektabwicklung<br />
Dagmar helbig | Interne Dienste, Devisentransfer<br />
christiane hinz | Sachbearb. Projektabwicklung, Devisentransfer<br />
silke Kunert | Sachbearbeitung Personal, Reisen<br />
Max schomann | Sachbearbeitung Haushalt, Finanzen, EDV<br />
Martin Keiper | Referat Printmedien, Chefredakteur EineWelt<br />
Anke bielenberg | Sachbearbeitung Missionshilfe Verlag,<br />
Redaktionsassistenz EineWelt<br />
petra Jaekel | Sachbearbeitung Öffentlichkeitsarbeit,<br />
Projektbüro mission.de<br />
Viviana stockem | Bibliothek<br />
publIKAtIOnEn <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong><br />
Klangwandel Chile Korruption und Transparenz<br />
Über Musik Gelobtes Land der Rechenschaft in ökumeniin<br />
der Mission Gegensätze schen Beziehungen<br />
Zusammen wachsen Encounter beyound routine Krankengebete<br />
Weltweite Ökumene in Tagungsdokumentation <strong>2011</strong><br />
Deutschland gestalten (PDF auf www.emw-d.de)<br />
Jung und Alt<br />
Gemeinsamer Kalender<br />
von 15 evangelischen<br />
Missionswerken aus<br />
Deutschland, Österreich<br />
und der Schweiz<br />
Freddy Dutz | Referat Presse, Internet<br />
birgit regge | Sekretariat Presse/Layout<br />
pfarrerin Dr. Verena Grüter<br />
Referat Grundsatzarbeit/Theologische Ausbildung<br />
Maureen trott | Sachbearbeitung Theologische Ausbildung<br />
constanze Ennen | Sachbearbeitung Theologische Ausbildung<br />
brigitta Kainz | Sekretariate Grundsatzarbeit/Theologische<br />
Ausbildung, Lateinamerika<br />
pfarrer Dr. Owe boersma | Referat Afrika/Mittelost<br />
lilli von der Ohe | Sekretariat Afrika/Mittelost<br />
n.n. | Referat Asien/Pazifik<br />
constanze Ennen | Sachbearbeitung Asien<br />
christa riedel | Sekretariat Asien/Projektabwicklung<br />
.de<br />
um Gottes willen – der Welt zuliebe<br />
(Referatsleitungen in rot; Stand 30.06.<strong>2011</strong>)<br />
Material für den Frieden und Mission<br />
Konfirmandenunterricht Materialheft 6<br />
Materialheft 5<br />
Lebensgeschichten – Mission und Partnerschaft<br />
Glaubenswege Arbeitshilfe für Gemeinden<br />
Materialheft 7<br />
Gerechtigkeit<br />
Jahrbuch<br />
Mission <strong>2011</strong><br />
(Missionshilfe<br />
Verlag/<strong>EMW</strong>/<br />
VEMK)<br />
EineWelt<br />
Kooperation<br />
Missionspresse<br />
(Missionshilfe<br />
Verlag mit <strong>EMW</strong>/<br />
ELM/MEW/ems/<br />
EAWM/mission 21)<br />
6 x jährlich (<strong>2010</strong>)<br />
4 x jährlich (<strong>2011</strong>)<br />
<strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong> | 59
Der Vorstand des <strong>EMW</strong><br />
Jan Janssen (Vorsitzender)<br />
Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Oldenburg<br />
Martina helmer-pham Xuan (Stellvertr. Vorsitzende)<br />
Direktorin des Evang.-luth. Missionswerks in Niedersachsen<br />
Frieder Vollprecht (Stellvertr. Vorsitzender)<br />
Unitätsdirektor der Evangelischen Brüder-Unität -<br />
Herrnhuter Brüdergemeine<br />
Wolfgang bay, D.Min.<br />
Missionssekretär, Evangelisch-methodistische Kirche<br />
prof. Dr. Dieter becker<br />
Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Missionswissenschaft<br />
Jutta beldermann<br />
Leiterin Abteilung Deutschland, Vereinte Evangelische Mission<br />
Dr. Erhard berneburg<br />
Generalsekretär der Arbeitsgemeinschaft Missionarische Dienste<br />
bernhard Dinkelaker<br />
Generalsekretär des Evangelischen Missionswerkes<br />
in Südwestdeutschland<br />
roland herpich<br />
Direktor des Berliner Missionswerkes<br />
uwe Michelsen<br />
Journalist, Rat der EKD<br />
Martin schindehütte<br />
Auslandsbischof der Evangelischen Kirche in Deutschland<br />
Dr. Gisela schneider<br />
Direktorin des Deutschen Instituts für Ärztliche Mission<br />
Dr. ulrich schöntube<br />
Direktor der Gossner Mission<br />
christoph stiba<br />
Pastor, Bund Evang.-Freikirchlicher Gemeinden in Deutschland K.d.ö.R.<br />
Berater des Vorstands:<br />
prof. Dr. ulrich Dehn<br />
Universität Hamburg, FB Evangelische Theologie<br />
(Stand: 30.06.<strong>2011</strong>)<br />
Evangelisches Missionswerk<br />
in Deutschland e.V.<br />
Normannenweg 17-21 | 20537 Hamburg<br />
Tel. (040) 254 56-0 | Fax (040) 254 29 87<br />
E-Mail info@emw-d.de | Web www.emw-d.de<br />
Bank EDG Kiel (BLZ 210 602 37) Konto 304 95 81<br />
Vereinsregister AG Hamburg Nr. 8367<br />
Evangelisches Missionswerk<br />
in Deutschland<br />
Die Mitglieder des <strong>EMW</strong><br />
Zwölf Missionswerke<br />
n Berliner Missionswerk<br />
n Evangelisch-lutherisches Missionswerk<br />
in Niedersachsen<br />
n Evangelisch-Lutherisches Missionswerk<br />
Leipzig<br />
n Evangelisches Missionswerk in<br />
Südwestdeutschland<br />
n Mission EineWelt<br />
n Norddeutsche Mission<br />
n Nordelbisches Zentrum für Weltmission und<br />
Kirchlichen Weltdienst<br />
n Deutsches Institut für Ärztliche Mission<br />
n Gossner Mission<br />
n MBK Evang. Jugend- und Missionswerk<br />
n Morgenländische Frauenmission<br />
im Berliner Missionswerk<br />
n Vereinte Evangelische Mission<br />
n Evangelische Kirche in Deutschland<br />
Fünf Freikirchen<br />
n Arbeitsgemeinschaft Mennonitischer<br />
Gemeinden<br />
n Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden<br />
in Deutschland<br />
n Evangelisch-altreformierte Kirche<br />
in Niedersachsen<br />
n Evangelische Brüder-Unität - Herrnhuter<br />
Brüdergemeine<br />
n Evangelisch-methodistische Kirche<br />
Fünf Verbände<br />
n Arbeitsgemeinschaft Missionarische Dienste<br />
n CVJM-Gesamtverband in Deutschland<br />
n Deutsche Bibelgesellschaft<br />
n Deutsche Evangelische Missionshilfe<br />
n Deutsche Gesellschaft für<br />
Missionswissenschaft<br />
sieben Vereinbarungspartner<br />
n Christoffel-Blindenmission<br />
n Christlicher Hilfsbund im Orient<br />
n Deutsche Arbeitsgemeinschaft<br />
für Evangelische Gehörlosenseelsorge<br />
n Deutsche Seemannsmission<br />
n Hildesheimer Blindenmission<br />
n Lutherische Kirchenmission<br />
(Bleckmarer Mission)<br />
n Verband Evangelischer Missionskonferenzen