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Jahresbericht 2010/2011 - EMW

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<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong><br />

Populär und prosperierend<br />

Zur pfingstkirchlich-charismatischen Dynamik in Afrika<br />

<strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong> | 59


InhAlt<br />

thEMAtIschEr tEIl: populär und prosperierend<br />

Zur pfingstkirchlich-charismatischen Dynamik in Afrika<br />

Einführung .............................................. 3<br />

Fallbeispiele: charismatisierung in afrikanischen Kirchen ..... 7<br />

Ghana: Das Erbe der Mission ............................... 7<br />

Ghana: Heilung unter dem Kreuz ............................ 8<br />

Togo: Die Chance nicht erkannt? ............................ 9<br />

Malawi: Die Attraktivität einfacher Antworten ................. 9<br />

Kamerun: Erstaunlich tolerant ............................. 10<br />

Äthiopien: Eine charismatische lutherische Kirche<br />

mit einer Mission ........................................ 11<br />

Die Evangelische Brüder-Unität und die Charismatisierung .... 13<br />

Interview: „Jeder von uns hat nur einen Teil der Wahrheit“ ..... 14<br />

Kreuzzug gegen die Dämonen ............................. 16<br />

Deutschland: Charismatisches Christentum bei uns ........... 20<br />

Deutschland: Zwei Welten ................................ 22<br />

Lateinamerika: „Wir sind viele und wer seid Ihr?“ ............. 24<br />

Wohlstand als Geschenk des Geistes? ..................... 26<br />

Südafrika: Auf in die Welt ................................. 31<br />

Einordnungen, Vergleiche und Ausblicke ................... 34<br />

Aus DEr ArbEIt DEr GEschäFtsstEllE<br />

Direktorat .............................................. 43<br />

Geschäftsführung ....................................... 45<br />

Öffentlichkeitsarbeit ..................................... 46<br />

Grundsatzarbeit ......................................... 48<br />

Theologische Ausbildung ................................. 49<br />

Afrika ................................................. 51<br />

Mittlerer Osten .......................................... 52<br />

Asien .................................................. 53<br />

Pazifik ................................................. 53<br />

Lateinamerika .......................................... 54<br />

Finanzen ............................................... 55<br />

Projektförderung ........................................ 56<br />

Missionsakademie ....................................... 57<br />

Wirtschaftsstelle Evangelischer Missionsgesellschaften ....... 58<br />

IMprEssuM<br />

populär und prosperierend. pfingstlich-charismatische Kirchen in Afrika<br />

<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong><br />

des Evangelischen Missionswerks in Deutschland e.V.<br />

Hamburg, September <strong>2011</strong><br />

Redaktion und Layout: Martin Keiper<br />

Titelbild: Werbung für eine Großevangelisation in Lagos/Nigeria<br />

(getty images/Jacob Silberberg)<br />

Druck: MHD Druck und Service, Hermannsburg<br />

Bestellung weiterer Exemplare (kostenlos): <strong>EMW</strong>, Normannenweg 17-21<br />

20537 Hamburg. Tel. (040) 254 56-148, Fax -448, service@emw-d.de<br />

Als PDF-Datei zum Download: www.emw-d.de<br />

2 | <strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong><br />

Christoph Anders<br />

Direktor des <strong>EMW</strong><br />

die bunte Straßenszene des Titelbildes zeigt die Blickrichtung des diesjährigen<br />

thematischen Teils unseres <strong>Jahresbericht</strong>s an. Es geht um farbenfrohe<br />

Kirchen in Afrika, wo die Zuwachsraten der Kirchenmitglieder das<br />

natürliche Wachstum der Bevölkerung deutlich übersteigen. Ein Trend, der<br />

sich auch in den kommenden Jahren fortsetzen dürfte. Inmitten aller sonst<br />

eher düsteren Bestandsaufnahmen, die unser Bild von diesem Kontinent<br />

bestimmen, soll auch dies gesagt werden: Der christliche Glaube ist dort<br />

bleibend dynamisch und „populär“, ein lebendiges kirchliches Leben<br />

bei den Menschen unterschiedlicher Länder und Schichten fest verankert.<br />

Doch nicht alle Kirchen sind in gleicher Weise betroffen: Vor allem<br />

pentekostal-charismatische Gruppen und Kirchen – die den erfahrbaren<br />

Auswirkungen des Heiligen Geistes im Leben der Gläubigen zentrale<br />

Bedeutung beimessen – breiten sich weiterhin rasant aus, entwickeln<br />

sich vielerorts zu umfassend „prosperierenden“, international organisierten<br />

Kirchen-Gemeinschaften. Viele historische Missionskirchen sind in<br />

Theologie und Glaubensleben dagegen anders geprägt. Ihre Mitgliederentwicklungen<br />

sind weniger spektakulär. Und doch haben die veränderten<br />

Konstellationen erhebliche Auswirkungen auf ihr eigenes Kirchesein und<br />

damit auch auf die Beziehungen zu hiesigen Missionswerken und Kirchen<br />

als ihre langjährigen Partnern. Diesen weitreichenden Transformationsprozessen<br />

haben wir nachgespürt und dabei vor allem festgestellt, dass<br />

wirklich viel im Dialog-Fluss ist.<br />

Interessant ist dabei der Vergleich mit Einsichten, die im Zusammenhang<br />

einer <strong>EMW</strong>-Mitgliederversammlung 1995 zu einer ähnlichen Themenstellung<br />

gewonnen wurden. Eine Veränderung ist jedenfalls auffällig: Die<br />

Bedeutung von Migration. Durch das Entstehen von tausenden Migrationsgemeinden,<br />

die sich aus Geschwistern anderen Herkunft und Sprache<br />

– nicht zuletzt aus Afrika – zusammensetzen, sind in größeren Städten<br />

hierzulande Formen pentekostal-charismatischen Christentums in einer<br />

weiteren und überaus dynamischen Ausprägung anzutreffen. Es macht<br />

Mut für anstehende Dialoge, dass die damit verbundenen Anfragen immer<br />

präziser wahrgenommen werden.<br />

Der vorliegende Bericht ist nur möglich geworden, weil in einer Situation<br />

personeller Engpässe in der Geschäftsstelle Repräsentanten/innen unsere<br />

Mitglieder mit aufschlussreichen Bestandsaufnahmen einzelner Ländern<br />

sich umfassend haben einbinden lassen. Dafür möchte ich ihnen herzlich<br />

danken und zugleich ausdrücklich dazu einladen, uns weitere Beiträge<br />

und Einschätzungen zukommen zu lassen. Denn es ist absehbar, dass die<br />

Beschäftigung mit diesem Thema intensiv bleiben und vertieft werden<br />

wird. Mein Dank gilt ebenfalls den Kollegen/innen hier in Hamburg für ihre<br />

außergewöhnlichen Anstrengungen bei der Entstehung dieses Berichtes.<br />

In gewisser Weise ist dieser Bericht eine inhaltliche Anknüpfung an<br />

die Thematik des vergangenen Jahres, „Partnerschaft in Bewährung“.<br />

Aufgrund der positiven Resonanzen und hohen Nachfrage haben wir uns<br />

entschlossen, die Form der Darstellung beizubehalten. So hoffen wir auch<br />

in diesem Jahr, Ihr Interesse an der – wie der zweite Teil des Jahresbe-<br />

richtes zeigen soll – vielfältigen, über den Themenschwerpunkt weit<br />

hinausgehenden Arbeit des <strong>EMW</strong> wecken zu können. Die Zahlen über die<br />

Finanzentwicklung des Werkes zeigen eine beruhigende Kontinuität. Auch<br />

dafür möchte ich mich im Namen des <strong>EMW</strong> herzlich bedanken, wie für vielfältige<br />

Unterstützung und Fürbitte von Einzelnen, Partnerschaftskreisen,<br />

Missionswerken, Gemeinden und Kirchen.<br />

Ihr


Populär und prosperierend<br />

Zur pfingstkirchlich-charismatischen Dynamik in Afrika<br />

Weltweit wächst im Christentum der Einfluss charismatischer und pentekostaler<br />

Strömungen. Einigen Auswirkungen, die diese Entwicklungen auf afrikanische Kirchen<br />

und die mit ihnen verbundenen Missionswerke und Kirchen in Deutschland haben,<br />

geht dieser <strong>Jahresbericht</strong> nach. In dieser Einführung versuchen wir, die hier thematisierten<br />

Phänomene für eine erste Orientierung einzuordnen. Im zweiten Teil beleuchten Berichte<br />

aus mehreren Ländern und Kirchen Afrikas Ausmaß und Ausprägung dieser Entwicklungen,<br />

auch in Bezug auf das so genannte Wohlstandsevangelium. Abschließend bieten wir einige<br />

Konsequenzen aus dem Dargelegten für weitere Debatten an. Doch zunächst drei Schlaglichter,<br />

die das Thema illustrieren.<br />

Eine Kirche für jeden Geschmack<br />

Erstes Schlaglicht: Pastor Joshua von der Redeemed Christian<br />

Church of God (RCCG) beschreibt die Transformation<br />

einer kleinen, armen Kirche in Nigeria (Yorubakirche) zu<br />

einer Kirchengemeinschaft mit weltweiten Beziehungen<br />

als Konsequenz einer Fokussierung auf die „Kundschaft“:<br />

„Wenn du irgendwo hingehst, mache die Kirche relevant<br />

für die Menschen. Wenn du Fachleute erreichen möchtest,<br />

verändere die Kirche so, dass die Fachleute kommen. Wenn<br />

du aber Verkäufer auf einem Markt erreichen willst, mache<br />

die Kirche geeignet für Verkäufer. Diese Idee verwirklichte<br />

die RCCG. Sie war nicht länger nur eine lokale, kleine Yorubakirche,<br />

sie wurde eine Kirche für Jedermann. Aufgabe<br />

der Pastoren war es, die Kirche an die Menschen anzupassen,<br />

die kamen. Das verhalf der Kirche zu Wachstum. Die<br />

Situation ist der in einem Einkaufszentrum ähnlich: Es<br />

gibt Restaurants mit verschiedenen Angeboten – McDonalds,<br />

Burger King oder Kentucky Fried Chicken – und die<br />

Menschen entscheiden sich: Ich gehe zu KFC, ich gehe zu<br />

McDonalds. Jedes Geschäft könnte auch eine Kirche sein.<br />

Dann gäbe es RCCG-McDonalds, RCCG-Burger King oder<br />

RCCG-KFC.“ 1<br />

Wer nicht erweckt ist, fährt in die Hölle<br />

Zweites Schlaglicht: Besuch einer Delegation von mission<br />

21 bei einer Herrnhuter Gemeinde in Südtansania.<br />

Zeitgleich findet im Besuchsort Isoko, einer alten Missionsstation<br />

mit Krankenhaus, eine „Rallye“ mit einer regionalen<br />

Erweckungsgruppe statt. Am Sonntag hat die<br />

lokale Herrnhuter Gemeinde zum Gottesdienst geladen.<br />

Mit afrikanisch-diplomatischem Geschick werden die<br />

Einführung<br />

Gottesdienstbesucher, einerseits Vertreter des schweizerischen<br />

Missionswerkes, andererseits Teilnehmer der Erweckungskonferenz,<br />

in den festlichen Freiluftgottesdienst<br />

eingeflochten. Alles verläuft „normal“, bis ein „Erweckungschor“<br />

auftritt. Ein HIV-Aids-Berater, der im Dienst<br />

von Missionswerken Kirchen in Tansania berät, übersetzt<br />

das Lied. „Wir wissen schon, manche von euch spotten<br />

über die Erweckten, aber uns als Erweckte stört das nicht.<br />

Denn ihr geht doch in die Hölle, und wir fahren gen Himmel!“<br />

Die Gemeinde ist beunruhigt und auch das gemeinsame<br />

Gebet entspannt die Lage nicht. Die Veranstalter der<br />

Rallye, ein Ehepaar aus Dar es Salaam, das nicht innerhalb<br />

der Moravian Church theologisch ausgebildet ist, betet in<br />

einer sich steigernden Hektik – gerade so, als sei in Isoko<br />

noch nie gebetet worden.<br />

Abgesagte Dämonenaustreibung in der Pfalz<br />

Drittes Schlaglicht: Am Ende wurde der Gottesdienst doch<br />

abgesagt. Eingeladen nach Landau in der Pfalz, durfte der<br />

Moderator der Presbyterian Church of Ghana (PCG), Emmanuel<br />

Martey, dann doch keinen Gottesdienst mit exorzistischen<br />

Elementen, als Teil eines „Krieges gegen Dämonen“<br />

(spiritual warfare) abhalten (siehe S. 14 ff). Auf das Weltbild<br />

des afrikanischen Gastes wollte sich die überwiegende<br />

Mehrheit der Teilnehmenden der Veranstaltung nicht<br />

einlassen. Ihnen war die „Realität“ von bösen Geistern, die<br />

Menschen innewohnen und sie krank machen, nicht geläufig.<br />

„Hinter die Aufklärung können wir nicht mehr zurück“,<br />

erklärte einer der Anwesenden. Die These von Martey, es<br />

gäbe verschiedene Realitäten – die biblische und die wissenschaftliche<br />

– leuchtete den meisten nicht ein.<br />

<strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong> | 3


Einführung<br />

Diese drei Schlaglichter illustrieren das Thema, dem sich<br />

traditionelle Kirchen und kirchliche Institutionen gegenüber<br />

sehen: Überall in der Welt wächst der Einfluss charismatischer<br />

und pentekostaler christlicher Strömungen.<br />

Damit ist in verschiedenen Ländern eine besondere Konstellation<br />

entstanden: Die aus der protestantischen Mission<br />

erwachsenen Partnerkirchen sehen sich in ihren eigenen<br />

Kontexten von Wachstumsdynamiken umgeben, an denen<br />

sie prinzipiell nur geringen Anteil haben. Denn diese Aufbrüche<br />

betreffen Kirchen, Gemeinden und Gruppierungen,<br />

die sich in ihrer großen Mehrheit im pentekostal-charismatischen<br />

Bereich verorten lassen.<br />

Da gerade Jugendliche die Anziehungskraft dieses Kirchentyps<br />

spüren, müssen die traditionellen Kirchen versuchen,<br />

dem dadurch entstehenden Konkurrenzdruck etwas entgegenzusetzen.<br />

Die dafür gewählten Strategien variieren:<br />

Auf der Ebene der charismatischen Spiritualität, etwa in<br />

der Gottesdienstgestaltung, liegen die Positionen zwischen<br />

Ablehnung und partieller bzw. weitgehender Übernahme.<br />

Im Bereich der Individual-Ethik scheinen sich allgemein<br />

verstärkt konservative Positionen durchzusetzen (etwa in<br />

der Ablehnung von Homosexualität). Dies verbindet sich mit<br />

einer sich ausbreitenden kritischen Sicht von christlichem<br />

Leben und akademischer Theologie im Globalen Norden. Bis<br />

dahin, dass Vorstellungen von „Mission to the North“ propagiert<br />

und umgesetzt werden. Speziell dieser Aspekt bringt<br />

für die historisch gewachsenen Beziehungen zu den Partnerkirchen<br />

Probleme mit sich.<br />

Pentekostalismus und Charismatisierung –<br />

Versuch einer Definition<br />

Pentekostal<br />

In den letzten 30 Jahren soll die Anhängerschaft des Pentekostalismus<br />

2 auf 500 Millionen Menschen gestiegen sein.<br />

Die meisten Anhänger leben im Globalen Süden. Weltweit<br />

ist es dem Pentekostalismus offenbar gelungen, sich an<br />

lokale Gegebenheiten anzupassen und dennoch deutliche<br />

Profile auszubilden.<br />

Die Literatur verbindet die Anfänge des Pentekostalismus<br />

mit der Erweckung in Los Angeles von 1906, dem „Azusa-<br />

Street Mission Revival“, wo die „Gaben des Heiligen Geistes“,<br />

Zungenrede, Heilung und Prophetie, neu entdeckt und<br />

gefeiert wurden. Aber schon vorher und zeitgleich hatten<br />

ähnliche Erweckungen an anderen Orten stattgefunden,<br />

wie in der Erweckung in Wales (1905), des Mukti-Revivals<br />

in Indien (1905-07) und im Koreanischen Pfingsten (1907).<br />

Was in kleinen Gruppen begann, ist heute eine weltweite<br />

4 | <strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong><br />

Tim A. Hetherington/Panos<br />

Jesus im Boxkampf mit Satan: Ein Wandbild im „Pentecostal Solution<br />

Temple“ in Monrovia/Liberia. Bethel Onyeneke, Bischof der Kirche,<br />

behauptet, dass durch seine Gebete auch Aids geheilt werden könne.<br />

Bewegung, die sehr unterschiedliche Organisationsformen<br />

kennt. Es gibt pentekostale Kleinkirchen mit wenigen Mitgliedern<br />

bis hin zu Megakirchen mit Millionen Anhängern,<br />

die wie Unternehmen geführt werden und teilweise „Niederlassungen“<br />

in anderen Ländern und Regionen gründen.<br />

Sie haben Menschen neue Lebensperspektiven gezeigt und<br />

das Streben nach „Heiligung“ zum Lebensstil erhoben. Eine<br />

strenge Individualethik und biblischer Fundamentalismus<br />

gehören neben den erwähnten Geistesgaben zu den Charakteristika<br />

des Pentekostalismus. Mittlerweile sind die<br />

meisten pentekostalen Kirchen auch gesellschaftspolitisch<br />

engagiert.<br />

Charismatisch<br />

Der Pentekostalismus hat nicht nur neue Kirchen gestiftet,<br />

sondern auch viele Mainline-Kirchen sind von ihm<br />

beeinflusst und durchdrungen, sowohl im evangelischen<br />

und evangelikalen als auch im römisch-katholischen Bereich.<br />

Anhänger und Anhängerinnen von pentekostalen<br />

Ideen werden seit den 1960er Jahren üblicherweise als<br />

„Charismatiker“ bezeichnet. Ihre Auffassungen sind mit


den klassisch pentekostalen oft, aber nicht immer, identisch.<br />

Manche Autoren fassen beide Gruppen mit dem englischen<br />

Oberbegriff „Renewalists“ oder „Erneuerer“ 3 zusammen.<br />

Neben Organisationen, die wie klassische Kirchen verfasst<br />

sind, entstanden kreative neue Gemeinschaftsformen.<br />

Gläubige erleben Kirche im Drive-in, wie im<br />

Autokino auf dem Kirchplatz, in ihrer Wohnung vor dem<br />

Fernseher, oder irgendwo vor dem Computer im Internet<br />

und empfinden sich als Gemeindeglieder einer vollwertigen<br />

Kirche.<br />

„Unabhängige Geistkirchen“<br />

Neben den pentekostalen Kirchen haben sich seit den<br />

1920er Jahren so genannte „Unabhängige Geistkirchen“<br />

geformt. Dazu zählen unter anderem 4 die Kimbanguisten<br />

im Kongo, die Aladura-Kirchen in West-Afrika und die<br />

Zionskirchen im südlichen Afrika, die unter dem Begriff<br />

Afrikanisch Initiierte Kirchen (AIC) zusammengefasst werden.<br />

Neo-pentekostale selbstständige Kirchen<br />

Seit den 1970er Jahren wurden neue Impulse und Bewegungen<br />

aufgenommen, vor allem – aber nicht ausschließlich –<br />

in den USA. Der Pentekostalismus-Experte Allan Anderson<br />

schlägt folgende Unterscheidung vor:<br />

■ Die „Word-of-Faith-Kirchen“ aus den USA, oft zurückgeführt<br />

auf die Pastoren Oral Roberts und Kenneth Hagin<br />

(Tulsa, Ok); sie betonen Gesundheit und materiellen<br />

Wohlstand als Zeichen der Gottes-Kindschaft,<br />

■ die Kirchen der „Dritten Charismatischen Welle“, wie<br />

die Vineyard Bewegung und Calvary Chapel, die darauf<br />

hinweisen, dass die Geistesgaben allen Mitgliedern zustehen.<br />

Hier fällt Bekehrung zusammen mit dem Empfang<br />

des Geistes,<br />

■ die Neu-Apostolischen Kirchen, die sich u. a. durch Leitungsstrukturen<br />

unterscheiden und<br />

■ „andere“, schwierig einzuordnende Kirchen wie die brasilianische<br />

„Igreja Universal do Reino de Deus“ oder die<br />

„Redeemed Christian Church of God“ aus Nigeria, die<br />

beide weltweit aktiv sind.<br />

Anderson weist darauf hin, dass sich diese Impulse mit<br />

klassischen Pentekostalen, Unabhängigen und mit Charismatischen<br />

innerhalb der Mainline-Kirchen in Verbindung<br />

gesetzt haben, und heute lokal, überregional und<br />

inhaltlich miteinander verflochten sind. So ist die weltweite<br />

Lage extrem komplex geworden. Die Gruppen nehmen<br />

sich zunächst als „Bewegung“ im Gegensatz zu „Kirche“<br />

wahr, organisieren „Kreuzzüge“ und Erweckungsveranstaltungen<br />

nur in loser Verbindung mit den Ortskirchen.<br />

Tele-Kirchen, zu Beginn der 1950er Jahre noch Teil einer<br />

Ortskirche, später als eigenständige virtuelle Kirchen in<br />

den USA entstanden – werden nun auch in Lateinamerika<br />

und Asien gegründet. In den letzten Jahren vernetzen sich<br />

Christen und Christinnen online. Diese Gemeinschaften<br />

verstehen sich als virtuelle und trotzdem „echte“ Kirchen.<br />

Die Pentekostalismus-Forschung hat sich inzwischen<br />

fast zu einer wissenschaftlichen Sub-Disziplin entwickelt.<br />

Wir folgen der typologischen Definition von Anderson,<br />

der in der Spur von Walter Hollenweger wie folgt<br />

unterscheidet:<br />

■ Die klassischen Pfingstkirchen, verbunden mit Erweckungen<br />

und Missionsarbeit aus dem frühen 20. Jahrhundert,<br />

■ Charismatiker innerhalb historischer Kirchen seit den<br />

1960er Jahren,<br />

■ unabhängige, indigene Geistkirchen seit den 1920er<br />

Jahren in Afrika,<br />

■ neo-pentekostale sowie neo-charismatische selbstständige<br />

Kirchen, inklusive so genannter Megakirchen.<br />

<strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong> | 5


Einführung<br />

<strong>EMW</strong>-Beschäftigung mit dem Thema<br />

Schon 1995 befasste sich die <strong>EMW</strong>-Mitgliederversammlung<br />

unter dem Thema „Missionarische Kirche zwischen Fundamentalismus<br />

und Pluralismus“ mit den „neuen religiösen<br />

Aufbrüchen im Umfeld der Partnerkirchen in Übersee“ 5 ,<br />

wobei als besonders beunruhigend die Anfälligkeit der<br />

pfingstlerisch-charismatischen Gruppen gegenüber fundamentalistischem<br />

Gedankengut beklagt wurde.<br />

Paul Gifford sagte damals voraus, dass Formen des Wohlstandsevangeliums<br />

immer mehr Anhänger finden werden.<br />

Er machte auch auf das Wachstum der Erlösungsbewegung<br />

in Ghana aufmerksam, die sich mit Dämonenbekämpfung<br />

(spiritual warfare) befasste. Klaus Schäfer warnte davor, die<br />

Pfingstbewegung nur auf neo-imperialistische Missionstätigkeit<br />

zurückzuführen. Sie sei die Reaktion auf eine ernste<br />

und außerordentlich komplexe Krisensituation und nehme<br />

das Bedürfnis von Menschen auf, „Sinn in der Welt der<br />

Sinnlosigkeit“ zu finden. 6 Es sei die Aufgabe von Missionskirchen,<br />

auf die Fragen und Nöte der Menschen einzugehen<br />

„und vom Evangelium her kraftvoll (zu) antworten“. Theodor<br />

Ahrens konstatierte eine Verunsicherung der Missionskirchen<br />

und der mit ihnen verbundenen Missionswerke<br />

angesichts dieser neuen religiösen Bewegungen und regte<br />

eine neue Diskussion über Mission und Evangelisation an.<br />

In den vergangenen anderthalb Jahrzehnten sind die sich<br />

damals abzeichnenden Entwicklungen eingetreten. Das<br />

Wachstum der pfingstlerisch-charismatischen Bewegungen<br />

ist nicht nur ungebrochen, sondern ihre Mitgliederzahl<br />

übersteigt weltweit die aller historischen protestantischen<br />

Kirchen. Wurde 1995 von Entwicklungen „im Umfeld<br />

der Partner“ geredet, so ist die Charismatisierung mittlerweile<br />

bei den Partnern und durch Migration bei uns in<br />

Deutschland angekommen. Der Umgang mit Dämonen ist<br />

nicht mehr beschränkt auf „Häretiker“ in Westafrika, die<br />

Debatten um „spiritual warfare“ werden weltweit geführt.<br />

Nun stellt sich die Frage, wie Partner mit divergierenden<br />

Weltbildern ihre Beziehungen organisieren. Damit schließt<br />

dieser <strong>Jahresbericht</strong> inhaltlich an die Thematik des <strong>Jahresbericht</strong>s<br />

<strong>2010</strong> – „Partnerschaft in Bewährung“ – an.<br />

Wir wollen untersuchen, welche Auswirkungen die Charismatisierung<br />

für die Kirchen unserer Partner in Afrika und<br />

für uns in Deutschland haben. Kann denn, und unter welchen<br />

Umständen, die Charismatisierung als geistgewirkte<br />

„Reformation“ begrüßt werden? Und welche Veränderungen<br />

in der Struktur und Organisation von Kirchen wären<br />

die Folge? Die von <strong>EMW</strong>-Mitgliedswerken berichteten Fallbeispiele<br />

aus der Zusammenarbeit mit afrikanischen Partnerkirchen<br />

sollen dazu beitragen, der schwer überblick-<br />

6 | <strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong><br />

baren Unterschiedlichkeit der Phänomene Rechnung zu<br />

tragen. Dieser regionalen Begrenzung widerspricht nicht<br />

die Aufnahme eines Kapitels über Migrationsgemeinden<br />

in Deutschland, denn afrikanisch geprägtes Christentum<br />

ist längst auch in Deutschland präsent.<br />

Bei der Bearbeitung des Themas waren wir uns der Gefahren<br />

einer verallgemeinernden Betrachtung bewusst, denn<br />

„Entwicklungen auf Religionsmärkten“ haben „immer sehr<br />

viel mit lokalen und regionalen Gegebenheiten zu tun“. 7<br />

Deshalb beschränkt sich die folgende Betrachtung auf Afrika,<br />

auch wenn Entwicklungen in anderen Ländern (Brasilien<br />

8 , Südkorea, Sri Lanka etc.) einer genaueren Betrachtung<br />

wert sind. Unberücksichtigt bleiben mussten Entwicklungen<br />

in der römisch-katholischen Kirche 9 , obwohl dort<br />

weltweit massive charismatische Aufbrüche zu verzeichnen<br />

sind. Nicht thematisieren konnten wir den bedeutenden<br />

Bereich pfingstlich-charismatisch geprägter Kirchlichkeit<br />

in Deutschland 10 und die in einigen Landeskirchen intensive<br />

Beschäftigung mit charismatischen Entwicklungen 11 .<br />

Ungeachtet dieser Einschränkungen sind wir überzeugt,<br />

dass sich eine Diskussion der im Folgenden ausgebreiteten<br />

Thematik lohnt, denn die Dynamik der Veränderungsprozesse<br />

wird anhalten und vermehrt Fragen an Missionswerke<br />

und Kirchen stellen.<br />

| Christoph Anders/Owe Boersma/Freddy Dutz/Martin Keiper<br />

1 Anna Quaas: Transnationale Pfingstkirchen, 336, eigene Übersetzung aus<br />

dem Englischen<br />

2 Allan Anderson, Michael Bergunder, André Droogers, Cornelis van der Laan<br />

(eds.): Studying Global Pentecostalism. Theories and Methods, Introduction<br />

(S. 1-12). Allan Anderson: „Varieties, Taxonomies, and Definitions“, S. 13-29<br />

3 So in Atlas of Global Christianity, 2009, im Artikel über „Pentecostalism“,<br />

S. 100-103<br />

4 Ein beträchtlicher Teil dieser Kirchen in Afrika hat sich unter dem Dach der<br />

Organisation Afrikanisch Initiierter Kirchen (OAIC) mit Sitz in Nairobi<br />

zusammengeschlossen. Diese ist Förder- und Dialogpartner des <strong>EMW</strong>.<br />

5 Geistbewegt und bibeltreu. Pfingstkirchen und fundamentalistische Bewegungen<br />

– Herausforderung für die traditionellen Kirchen. Weltmission heute,<br />

<strong>EMW</strong> Studienheft Nr. 19, Hamburg 1995<br />

6 Ebd., 103<br />

7 „Blinde Flecken und Betriebsblindheit“. Interview mit Friedrich Wilhelm<br />

Graf, in: der überblick, Heft 1/2005, S. 12 ff<br />

8 Siehe hierzu u. a. das Jahrbuch Mission <strong>2010</strong>, Hamburg <strong>2010</strong>, bes. S. 143 ff<br />

9 So stellte das neu gegründete „Institut für Weltkirche und Mission“ seine<br />

erste Jahrestagung unter das Thema „Pentekostalismus – Anfragen an Theologie<br />

und Kirche“. Vgl. dessen <strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong>, Frankfurt/M. <strong>2011</strong><br />

10 Stellvertretend hinzuweisen ist hier auf den Mülheimer Verband Freikirchlich-evangelischer<br />

Gemeinden (MV), den Bund Freikirchlicher Pfingstgemeinden<br />

(BFP) und die Geistliche Gemeindeerneuerung (GEE).<br />

11 Exemplarisch das theologische Votum der Kammer für Mission und Ökumene,<br />

Herausforderungen der charismatischen Bewegung an die Evangelische<br />

Kirche von Kurhessen-Waldeck, Kassel 2009


Charismatisierung<br />

in afrikanischen Kirchen<br />

Das Erbe der Mission<br />

Der Rektor des Trinity Theological College in<br />

Accra, Prof. Dr. Cyril Fayose, ist Pfarrer der<br />

Evangelical Presbyterian Church (EPC) Ghana,<br />

die Partner der Norddeutschen Mission ist.<br />

Er hat in einer Dissertation die Erneuerungsbewegungen<br />

in der Kirche analysiert.<br />

Die Art des Christentums, die von der norddeutschen<br />

pietistischen protestantischen Missionsbewegung ab November<br />

1847 an die Bevölkerung des damaligen Trans-<br />

Volta-Togolandes weitergegeben wurde, versagte bei dem<br />

Versuch, die tagtägliche<br />

existenzielle Wirklichkeit<br />

der Afrikaner und<br />

ihre Fragen zu erreichen.<br />

Die Furcht der Afrikaner<br />

vor bösen Geistern<br />

und ihre Sehnsucht<br />

nach Schutz, Heilung<br />

und Erlösung wurden<br />

von den Missionaren<br />

weitgehend ignoriert<br />

oder beiseite geschoben,<br />

da sie es so eilig hatten,<br />

die Afrikaner vom Götzendienst zu kurieren. Die liturgischen<br />

Formen, Gesänge und Verhaltensregeln, die von den<br />

Missionaren eingeführt wurden, waren im besten Falle<br />

ausländische, routinehafte, düstere Prozeduren, und der<br />

Akt des Gottesdienstes ließ den Elan, den Schwung und<br />

die Lebhaftigkeit vermissen, mit denen die Afrikaner vertraut<br />

waren.<br />

Die Unzufriedenheit und Abgeneigtheit vieler Afrikaner<br />

gegenüber dieser westlich orientierten Form des Christentums<br />

ließ eine Reihe von pfingstgemeindlichen/charismatischen<br />

Erneuerungsbewegungen, afrikanisch christlichen<br />

Theologien und mehrere Spaltungen entstehen. Bereits im<br />

Archiv der Basler Mission/QD-30.035.0017<br />

Charismatisierung in afrikanischen Kirchen<br />

Ordination einheimischer Pastoren der Norddeutschen Mission<br />

in Keta 1910. Cyril Fayose, Autor dieses Textes, lobt zwar den missionarischen<br />

Einsatz der Bremer Missionare, kritisiert aber die von<br />

diesen eingeführten Gottesdienstformen, die wenig Rücksicht auf<br />

afrikanische Lebensgefühle nahmen.<br />

Jahre 1939 traten in der Evangelisch-Presbyterianischen<br />

Kirche Ghanas (EPC) einige Kirchenmitglieder hervor und<br />

unterstützten Bemühungen, die Kirche zu afrikanisieren<br />

und sie einerseits von der pietistischen Ethik der Missionare<br />

und andererseits von der allgemeinen moralischen und<br />

spirituellen Laxheit zu befreien.<br />

Diese Anführer der Erneuerung hatten nur die Absicht,<br />

ihre Kirche von innen her zu erneuern. Als sie seitens<br />

der traditionellen Kirchenführung und einiger Mitglieder<br />

eine starke Opposition verspürten, begannen diese Erneuerungsbewegungen,<br />

sich von der Hauptkirche zu lösen<br />

oder ihre Anführer wurden exkommuniziert. Die Erneuerer<br />

waren pfingstgemeindlich bzw. charismatisch orien-<br />

<strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong> | 7


Charismatisierung in afrikanischen Kirchen<br />

tiert. Sie betrieben Camps zum Beten und Heilen, deren<br />

Ausschweifungen von der etablierten Kirchenleitung bemerkt<br />

wurden, woraufhin dann die Exkommunizierung<br />

oder die Ablösung von der Kirche erfolgte. Die Erneuerer<br />

versuchten, einheimische Überzeugungen und traditionelle<br />

kulturelle Normen in die Kirche zu integrieren, wobei sie<br />

sich stark an gewisse jüdische Praktiken anlehnten, die im<br />

Alten Testament bezeugt sind. Sie praktizierten Vielweiberei<br />

und Blutopfer und führten Verbote ein, die die Ernährungs-<br />

und Sexualgewohnheiten ihrer Anhänger betrafen.<br />

Aus der Hierarchie der offiziellen Kirche wurde dies scharf<br />

kritisiert. Diesen neuen Bewegungen wurde auch die Einführung<br />

von Trommeln und Tanz, von Musikinstrumenten<br />

und bestimmten Kleidungsstücken zugeschrieben.<br />

Eine zweite Quelle der Erneuerung sind afrikanische Theologen,<br />

die verstanden hatten, dass Theologie auf ihr Umfeld<br />

bezogen werden muss. Sie begannen, Mission und Verkündigung<br />

des Evangeliums zu afrikanisieren, landessprachlich<br />

aufzubereiten und zu entkolonialisieren. Das führte<br />

stellenweise zu scharfen Zerwürfnissen mit der westlichen<br />

Theologie und zu Konflikten mit den historischen Missionskirchen.<br />

Aus der langen Reihe der Vertreter 1 dieser Richtung<br />

soll hier nur Prof. Noah Dzobo genannt werden, von<br />

1981-1992 Moderator der EPC. Seine „Melagbe-Theologie“<br />

beschreibt er als „eine Suche nach einer Interpretation und<br />

einem Verständnis der menschlichen Existenz, in wahrem<br />

Ghana<br />

Heilung unter dem Kreuz<br />

Ein Beispiel für einen eigenen praktischen und<br />

theologischen Zugang zum Thema Heilung ist<br />

das „Spiritual Healing and Ressource Centre“<br />

der Evangelical Presbyterian Church in Ho.<br />

„Für uns ist es eine ungeheure Bereicherung, dass wir diese<br />

Arbeit tun dürfen“, sagt Pastor Atimpo. Der ehemalige<br />

Synodalsekretär der EPC deutet auf seine drei Kollegen.<br />

„Wir sind ehrenamtlich oder als Ruheständler mit dieser<br />

Aufgabe betraut, und wir nehmen sie sehr ernst.“ Seit<br />

September 2004 gibt es das Spirituelle Heilungszentrum in<br />

Ho, der Hauptstadt der ghanaischen Volta-Region und Sitz<br />

der Kirchenleitung. Es liegt direkt neben Ho-Farms, einem<br />

landwirtschaftlichen Beratungszentrum unserer Kirche.<br />

Hier, unter den Bäumen, haben die Pastoren ein Kreuz aufgestellt,<br />

und man spürt eine ganz besondere Atmosphäre.<br />

Zwei Mal in der Woche bieten Gabriel Akorli und<br />

seine Kollegen ihre Dienste an. Etwa 250 Menschen<br />

kommen zu jedem Treffen, überwiegend Frauen.<br />

8 | <strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong><br />

Glauben, so wie die Afrikaner es gelernt haben, und eine<br />

Suche nach einer gültigen und brauchbaren Lösung ihrer<br />

Probleme, wie sie in unserer Art von Welt erfahren werden“. 2<br />

Nach Dzobo sollte eine solche afrikanische Theologie so beschaffen<br />

sein, dass sie uns selbst und unsere Werte als Afrikaner<br />

akzeptiert, unser afrikanisches Selbst entwickelt,<br />

sich frei fühlt, Gott in unseren afrikanischen Kategorien<br />

zu verehren und eine angemessene Antwort auf unsere afrikanischen<br />

existenziellen Herausforderungen zu finden.<br />

Er widerspricht aber jenen, die die Notlage Afrikas bösen<br />

geistigen Kräften zuschreiben.<br />

Eine sorgfältige Untersuchung der beiden Gruppen lässt<br />

erkennen, dass sie aus mehreren Gründen doch einander<br />

ähnlich sind, wobei sie allerdings unterschiedliche Ansätze<br />

zur Erreichung ihres gemeinsamen Ziels verfolgen. Erstens<br />

sind beide „Wiedererwecker“, für die die Kirche und der<br />

Glaube von lebenswichtiger Bedeutung sind, die gleichzeitig<br />

aber auch Defekte aufweisen, die sie korrigieren wollen.<br />

Zweitens sind sie im Herzen Traditionalisten, die afrikanischen<br />

Ethos und afrikanische Konzepte verwenden wollten,<br />

um die existenziellen Probleme der Kirche anzugehen. Drittens<br />

begünstigen sie eine einzigartige Form des Christentums,<br />

die man als afrikanisches Christentum bezeichnen<br />

kann und die einen bedeutenden Beitrag zur christlichen<br />

Tradition geleistet haben.<br />

| Zusammenfassung: Owe Boersma<br />

Sie nehmen auf den bereit gestellten Stühlen Platz und<br />

erzählen, was sie bedrückt. Die Pastoren bilden dann<br />

verschiedene Gruppen, je nach Problemlage. Manche sind<br />

in psychischer Not, einige fühlen sich „besessen“, wieder<br />

andere sind alkoholkrank. Die Pastoren bitten jeweils eine<br />

Gruppe nach vorn. Sie sprechen mit den Menschen, beten<br />

mit ihnen, salben sie mit Öl und erteilen den Segen. Einige<br />

erleben das Ritual eher still, andere rufen laut, sie singen<br />

und tanzen oder schlagen die Trommel. „Für uns ist die<br />

Bibel, Psalm 51, die Richtschnur“, erläutern Akorli und<br />

Atimpo. „Es ist für die Menschen eine ungeheure Erleichterung,<br />

wenn sie die Erfahrung machen, dass Gott sie in<br />

jeder Lebenslage annimmt. Und die Leute sind geheilt!<br />

Es ist rational nicht nachvollziehbar, aber sie lassen den<br />

Alkohol, sie fühlen sich nicht mehr von bösen Geistern<br />

verfolgt.“ Um ihre Arbeit ausweiten zu können, bitten die<br />

Pastoren um Unterstützung bei der Anschaffung eines<br />

Fahrzeugs: „Nur dann können wir auch die abgelegenen<br />

Gemeinden besuchen und den Menschen in spiritueller Not<br />

helfen.“ | Hannes Menke ist Direktor der Norddeutschen Mission


Die Chance nicht<br />

erkannt?<br />

Die charismatisch-pentekostalen Bewegungen<br />

haben neue Dimensionen in das afrikanische<br />

Christentum in Afrika eingeführt, schreibt der<br />

Stipendiat der Missionsakademie, Bertile Pialo<br />

Maditoma, in seiner Dissertation, in der er die<br />

Entwicklungen in der Eglise Evangelique Presbytérienne<br />

du Togo (EEPT) analysiert.<br />

Maditoma stuft die Bewegungen<br />

als Beispiel von Volkschristentum<br />

ein, weil sie den<br />

emotionalen Bedürfnissen<br />

der Massen entsprächen und<br />

ihnen eine Befreiung von Abhängigkeit<br />

und Knechtschaft<br />

versprechen. Sie eröffneten<br />

einen Raum der Freiheit, in<br />

welchem die Gläubigen ihre<br />

Emotionen ausdrücken und<br />

die Macht des Heiligen Geistes<br />

in Zeichen und Wundern<br />

erfahren können.<br />

Diese Bewegungen haben in der EEPT eine Krise bewirkt,<br />

teils wegen massiver Mitgliederverluste vor allem in den<br />

1990er Jahren, anderseits durch die Bestrebungen erweckter<br />

Laienbewegungen, ihre Einsichten und Erwartungen<br />

in der Kirche durchzusetzen. Die EEPT-Leitung bleibt aber<br />

kompromisslos ihrer klassisch reformierten Identität verschrieben<br />

und lehnt charismatische Einflüsse entschieden<br />

ab. Maditoma hält dies für einen Fehler, weil die Kirche damit<br />

eine „Afrikanisierung“ abwehrt. „Diese bewusste oder<br />

unbewusste Vernachlässigung der transzendenten Domäne<br />

ist Frucht des Erbes der ersten Missionare.“ 3 Die Theologie<br />

der EEPT sei allzu intellektuell und habe versäumt, Elemente<br />

der afrikanischen Philosophie aufzunehmen. Zwar seien<br />

lobenswerte Versuche unternommen worden im Bereich der<br />

Witwen- und Initationsriten, aber in Bezug auf Krankheit,<br />

Zauberei und Armut bleibe die Kirche Antworten auf Fragen<br />

schuldig, die Gläubige tagtäglich beschäftigten.<br />

Maditoma kritisiert den Umgang mit den Ergebnissen einer<br />

Konsultation der Partner der Norddeutschen Mission. Die<br />

Empfehlungen aus dem Jahr 1999 hätten der EEPT Möglichkeiten<br />

für einen Dialog und einer kritischen Revision<br />

ihrer Theologie geboten, sie seien aber nicht aufgenommen<br />

worden. | Zusammenfassung: Owe Boersma<br />

Malawi<br />

Die Attraktivität<br />

einfacher Antworten<br />

Auch die Baptistenkirchen von Malawi werden von<br />

der charismatischen Bewegung herausgefordert,<br />

wie Pfarrer Vincent Chirwa, Generalsekretär<br />

der Baptist Convention Malawi erklärt.<br />

Pentekostale und charismatische Bewegungen<br />

haben, teils unbeabsichtigt, eine Art Zweistufenchristentum<br />

erzeugt. Wer nicht vom Geist ergriffen<br />

wurde, gilt als minderwertiger Christ. Gottesdienste<br />

mit Zungenrede, gemeinsames lautes Beten, vom<br />

Geist „geschlagen werden“, lautes Schreien und<br />

heiliges Lachen gelten als „spirituell“, alles andere<br />

als „kalt oder trocken“. Die dominierende Verkündigung<br />

in den charismatischen Kirchen beinhaltet<br />

das Versprechen von Heilung und Wohlstand.<br />

Es bilden sich unabhängige, interdenominationelle<br />

Gruppen mit charismatischer Theologie und Liturgie,<br />

die besonders Jugendliche und junge Erwachsene<br />

ansprechen. Ohne kirchliche oder anderweitige Aufsicht<br />

kommt es manchmal zu gefährlichen Vorgängen: So kamen<br />

im Dezember <strong>2010</strong> drei baptistische Jugendlichen<br />

bei einer „Feuer-Reinigung“ zur Dämonenvertreibung<br />

ums Leben, zu der<br />

sie ein Gruppenleiter<br />

überredet hatte. Auch<br />

das absolute Vertrauen<br />

auf Heilung durch Gebet<br />

kann in die Irre führen.<br />

Manche Charismatiker<br />

halten Beerdigungen<br />

an, um den Toten<br />

zu erwecken, oder<br />

überzeugen Kranke,<br />

von einem Spitalbesuch<br />

oder der Einnahme<br />

von Medikamenten<br />

abzusehen. Ein neuer<br />

Vorstoß aus diesen Kreisen zielt darauf ab, Malawi<br />

zu einer „christlichen Nation“ zu erklären.<br />

Man verbindet damit die Erwartung, es käme<br />

dadurch zu einem Aufschwung des Landes.<br />

Positiv sieht Vincent Chirwa, dass charismatische<br />

Einflüsse eine belebende und erfrischende Auswirkung<br />

auf Gottesdienste haben, und zum Beispiel<br />

zur Erneuerung der Musik beitrugen. Eine biblische<br />

Auseinandersetzung mit charismatischer Theologie<br />

stehe allerdings noch aus. Es genüge nicht, diese von<br />

vornherein zu disqualifizieren, sondern die Kirche<br />

müsse Antworten geben auf Fragen, die die Menschen<br />

bewegen. | Zusammenfassung: Owe Boersma<br />

<strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong> | 9


Charismatisierung in afrikanischen Kirchen<br />

Gottesdienst in einer Pfingstkirche in Duala/Kamerun. In Untersuchungen zeigte sich, dass die Zahl der neuen Kirchen im Gefolge<br />

der Wirtschaftskrise des Landes ab Ende der 1980er Jahre deutlich anstieg.<br />

Erstaunlich tolerant<br />

Anders als in Togo reagiert die Presbyteria-<br />

nische Kirche in Kamerun (PCC) offener auf<br />

charismatische Bewegungen, wie Armin<br />

Zimmermann von mission 21 berichtet. Eine<br />

systematische theologische Auseinandersetzung<br />

stehe aber noch aus.<br />

Bemerkenswert sind die charismatischen Aufbrüche<br />

der letzten Jahre in zahlreichen einzelnen Gemeinden der<br />

PCC. In der Regel waren sie abhängig von einzelnen Pfarrerinnen<br />

und Pfarrern. Gottesdienste wurden um charismatische<br />

Elemente erweitert und besonders Heilungsgottesdienste<br />

fanden und finden einen regen Zulauf. Bezeichnenderweise<br />

handelt es sich dabei um junge Mitarbeitende<br />

der Kirche, zum Teil frisch vom Seminar Graduierte.<br />

Die Kirchenleitung beäugt diese neue Entwicklung durchaus<br />

kritisch, zeigt insgesamt aber eine erstaunliche Toleranz.<br />

Es ist eine in dieser Form neue Erscheinung, dass sich<br />

10 | <strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong><br />

ganze Gemeinden charismatisch<br />

ausrichten und<br />

lokal eine deutlich spürbare<br />

entsprechende evangelistische<br />

Aktivität und<br />

Wirksamkeit entwickeln.<br />

Meines Wissens ist noch<br />

kein/e charismatisch<br />

orientierte/r Pfarrer/in<br />

diszipliniert worden. Es<br />

gibt aber auch noch keine<br />

wirkliche Auseinandersetzung<br />

mit den charismatischen<br />

Aufbrüchen in den entsprechenden Gemeinden,<br />

von einem fundierten theologischen Diskurs ganz zu<br />

schweigen. Die Kirchenleitung zeigt noch keine eindeutige<br />

Haltung zu dem neuen Phänomen, doch die Bereitschaft<br />

zur Akzeptanz charismatischer Elemente ist innerhalb der<br />

Kirche und ihrer Leitung stark gestiegen.<br />

Insgesamt scheint das Klima sowohl innerhalb der Gesellschaft<br />

als auch innerhalb der kirchlichen Landschaft und<br />

<strong>EMW</strong>/Heiner Heine


speziell der PCC günstig zu sein für die Verbreitung charismatischer<br />

Elemente. Die Blockade der politischen Entwicklung<br />

und die fortgesetzten ökonomischen Probleme haben<br />

eine spirituelle Krise hervorgerufen, auf die die neueren<br />

Pfingstkirchen reagieren und die die Menschen für Charismatisches<br />

empfänglich machen.<br />

Die PCC muss sich dem stellen und sich weiterhin der charismatischen<br />

Bewegung öffnen. Es wäre jedoch an dieser<br />

Stelle mindestens hilfreich, wenn begleitend dazu, nicht<br />

zuletzt am Theologischen Seminar, ein gründlicher theologischer<br />

Diskurs darüber geführt würde, was charismatisch<br />

ist und sein sollte, was die Identität der PCC als presbyterianische<br />

Kirche eigentlich ausmacht, welche spirituellen<br />

Bedürfnisse die Menschen Kameruns haben und wie man<br />

all dies in einer attraktiven kirchlichen Praxis zusammenführt.<br />

Auf die Entwicklungen der nächsten Jahre darf man<br />

gespannt sein. | Armin Zimmermann<br />

In jüngster Zeit geht die Kirchenleitung gegen<br />

die Nebengeschäfte charismatischer Pfarrer<br />

vor, wie Dr. Christoph Stebler, Dozent und<br />

Director Academic Affairs des Theologischen<br />

Seminars in Kumba berichtet.<br />

Nach den Jahren der Toleranz zeichne sich neuerdings<br />

eine stärkere Kritik und Auseinandersetzung mit<br />

den innerkirchlichen charismatischen Bewegungen ab.<br />

Gewisse „charismatische“ Pfarrer/innen hätten finanziell<br />

davon profitiert, dass sie Menschen zu Spenden animieren<br />

konnten. Mit dem Verkauf von geweihtem Wasser und<br />

Olivenöl (Salböl) sowie anderen so genannten „faith extenders“<br />

hätten sie sich einen einträglichen Nebenerwerb verschafft<br />

– bis hin zum Eigengebrauch des „Zehnten“. Nach<br />

Steblers Einschätzung müsse man diese ökonomische Dimension<br />

in die Untersuchung der Ursachen charismatischer<br />

Aufbrüche einbeziehen. | Christoph Stebler<br />

Äthiopien: Eine charismatische lutherische<br />

Kirche mit einer Mission<br />

Die Äthiopische Evangelische Mekane-Yesus-<br />

Kirche (EECMY) bezeichnet sich offiziell als<br />

lutherisch und charismatisch. Ursachen und<br />

Folgen beschreiben Christoph Schneider-<br />

Yattara und Stefan Ritter vom<br />

ELM Hermannsburg.<br />

„Einer der wichtigsten Gründe für das explosive<br />

Wachstum der Mekane-Yesus-Kirche in den letzten fünfzig<br />

Jahren“, so erklärte der Generalsekretär der Kirche, Rev. Dr.<br />

Berhanu Ofga‘a, bei einem Partnertreffen im Jahr <strong>2010</strong>, „ist<br />

die charismatische Bewegung, denn sie trägt enorm dazu<br />

bei, dass die Laien sich an der Evangelisation beteiligen.“<br />

Das Wachstum der Mekane-Yesus-Kirche ist beachtlich;<br />

mittlerweile ist sie mit über 5,5 Millionen Mitgliedern zahlenmäßig<br />

die drittgrößte Kirche im Lutherischen Weltbund.<br />

Da die Mehrheit der äthiopischen Bevölkerung jünger als<br />

18 Jahre ist, kann sich die Kirche der Spiritualität dieser<br />

jungen Menschen kaum entziehen. Die Jugendlichen stellen<br />

nicht nur die Zukunft der Kirche dar, sondern melden<br />

sich schon heute deutlich zu Wort, in der EECMY wie auch<br />

in anderen Denominationen. Berhanu Ofga‘a berichtet: „In<br />

allen evangelischen Kirchen Äthiopiens geschehen Zei-<br />

chen, Wunder und göttliche<br />

Heilungen. Sie finden<br />

hauptsächlich unter der<br />

Jugend großen Anklang.<br />

Demzufolge sind die Gottesdienste<br />

oftmals mit<br />

jungen Leuten überfüllt.“<br />

Ob die charismatischen<br />

Bewegungen der Hauptgrund<br />

dafür ist, dass die<br />

Frage der Mission bei<br />

der EECMY in den Vordergrund<br />

kirchlichen Denken und Handelns gerückt ist,<br />

wäre noch zu untersuchen. Deutlich ist jedenfalls, dass<br />

die EECMY ganz im Trend anderer afrikanischen Kirchen<br />

liegt, die den klassischen Missionsauftrag in Mt. 28 als<br />

konkrete Anweisung für das eigene Handeln verstehen. So<br />

ist es nicht verwunderlich, dass die EECMY anlässlich ihres<br />

50-jährigen Jubiläums im Jahr 2009 eine Internationale<br />

Missionsgesellschaft (International Mission Society, IMS)<br />

gegründet hat. Als Einsatzgebiete für die eigenen Missionare<br />

sind neben afrikanischen Staaten wie dem Sudan und<br />

der Zentralafrikanischen Republik auch (vorder-)asiatische<br />

<strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong> | 11


Charismatisierung in afrikanischen Kirchen<br />

Gottesdienst in einer Gemeinde der Mekane-Yesus-Kirche. Sie versteht sich als charismatisch und lutherisch.<br />

Länder wie der Jemen, Israel/Palästina und Pakistan vorgesehen.<br />

Im Blick sind in diesen Gebieten jeweils Regionen<br />

mit überwiegend islamischer Bevölkerung. Die Missionsgesellschaft<br />

der Mekane-Yesus-Kirche orientiert sich für<br />

die angestrebte Mission unter Muslimen an evangelikalen<br />

Organisationen und Einrichtungen, die in der Mission unter<br />

Muslimen mit der Existenz von Dämonen und anderen<br />

Geistwesen rechnen. Hier ist nach ihrer Meinung „Power<br />

Encounter“ notwendig, die Überwindung des Bösen durch<br />

Exorzismus, Heilung, etc.<br />

Die Mekane-Yesus-Kirche versteht die eigenen Bemühungen,<br />

nichtchristliche Volksgruppen außerhalb Äthiopiens<br />

mit dem Evangelium zu erreichen, als eine Weiterführung<br />

der Mission, die man von den europäischen und nordamerikanischen<br />

Partnern empfangen hat. Nicht wenige Mitglieder<br />

der EECMY haben das Empfinden, dass die lutherischen<br />

Kirchen in der nördlichen Hemisphäre ihre beste<br />

Zeit bereits hinter sich haben. Die Globalisierung führt den<br />

afrikanischen Kirchen zudem Alternativen zum nordatlantischen<br />

Weg vor Augen, dies geht jedoch nicht einher mit<br />

geringer werdenden finanziellen Anfragen an ihre Partner<br />

in Nordamerika und Europa. Die IMS schreibt auf ihrer<br />

Webseite, dass sie mit den Missionsorganisationen der Partnerkirchen<br />

zusammenarbeiten möchte. Die Norwegian Lutheran<br />

Mission unterstützt bereits die neue missiologische<br />

Abteilung am EECMY-Seminar in der Großstadt Hawassa<br />

personell und finanziell.<br />

12 | <strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong><br />

| Christoph Schneider-Yattara/Stefan Ritter<br />

Zitiert<br />

„Wir können den<br />

Partnern viel bieten“<br />

„Welche Auswirkungen hat die charismatische Spiritualität<br />

der Mekane-Yesus-Kirche auf ihre westlichen<br />

Partner? Partnerschaft schließt das Teilen von Gaben<br />

und Ressourcen mit ein. Partnerschaft in der Mission<br />

heißt, sich gegenseitig zu helfen und sich durch das<br />

Teilen der Gottesgaben und der Erfahrungen mit ihnen<br />

zu unterstützen. In diesem Sinne ist die Spiritualität<br />

unserer Kirche ihr größtes Vermögen und ihr wichtigster<br />

Beitrag. Es gibt viel, was die Mekane-Yesus-Kirche,<br />

als lutherische und charismatische Kirche, den<br />

überseeischen Partnern anbieten kann, die im globalen<br />

Westen mit den Auswirkungen der Postmoderne<br />

konfrontiert sind und ums Überleben kämpfen, weil<br />

sie ihre damalige geistliche Lebendigkeit verloren<br />

haben. Wie Petrus zu dem Gelähmten an den Toren des<br />

Tempels sagt: „Gold und Silber habe ich nicht, was ich<br />

aber habe, das gebe ich Dir.“ (Apg. 3,6). Obwohl unsere<br />

Kirche kein Gold und kein Silber hat, kann sie etwas<br />

anbieten, was mehr wert ist als Gold und Silber. Dazu<br />

brauchen wir eine Strategie, wie wir die charismatische<br />

Spiritualität mit unseren Brüdern und Schwestern im<br />

globalen Westen teilen können, um das zurückzugeben,<br />

was ihre Vorväter einst für uns getan haben.“<br />

Aus einem Vortrag von Dr. Berhanu Ofga‘a, Generalsekretär<br />

der EECMY, gehalten beim Partnertreffen in<br />

Addis Abeba, Januar <strong>2010</strong> (Übersetzung von Dr. Reinhard<br />

Kees, Afrika-Referent des Berliner Missionswerks).<br />

Reinhard Kees/BMW


Die Evangelische Brüder-Unität<br />

und die Charismatisierung<br />

In Tansania wächst die Herrnhuter Brüdergemeine<br />

(Moravian Church) rapide. Die derzeit<br />

vier Kirchenprovinzen haben in Tansania selbst<br />

und in seinen Nachbarländern eine ganze Reihe<br />

von Missionsprovinzen gegründet. Sowohl<br />

die bestehenden Kirchenprovinzen als auch<br />

die neuen Missionsprovinzen sind mehr oder<br />

weniger stark charismatisiert. Die Missionsprovinzen<br />

wollen nun so schnell wie möglich<br />

Kirchenprovinzen mit allen Rechten werden.<br />

Das könnte für die weltweite Brüder-Unität<br />

insofern zum Problem werden, da dies auch<br />

das Stimmrecht in den internationalen Gremien<br />

beinhaltet und sie künftig alle Abstimmungen<br />

dominieren könnten. Wo das Problem ihrer auf<br />

Erweckung und Erneuerung ausgerichteten<br />

Frömmigkeit liege, fragen die tansanischen<br />

Herrnhuter. Ist die Brüdergemeine nicht aus<br />

einer Erweckung entstanden? Pfarrer Frieder<br />

Vollprecht, Mitglied der Direktion der Europäisch-Festländischen<br />

Provinz der Brüder-Unität,<br />

begründet, warum seine Kirche vom Ursprung<br />

her nicht charismatisch ist.<br />

Einer geistlichen Erweckung verdankt die Evangelische<br />

Brüder-Unität (Herrnhuter Brüdergemeine) ihre Entstehung<br />

in entscheidendem Maße. In dem 1722 neu gegründeten<br />

Ort Herrnhut hatten sich nicht nur Glaubensflüchtlinge<br />

aus Mähren niedergelassen, sondern auch andere Menschen<br />

mit sehr unterschiedlichen Glaubensausprägungen.<br />

Dies musste zwangsläufig zu inneren Spannungen führen.<br />

Sie wurden durch intensive seelsorgerliche Bemühungen<br />

des Grafen Zinzendorf, durch gezielte Maßnahmen für einen<br />

geordneten Gemeindeaufbau, letzten Endes dann aber<br />

durch die Gemeinschaftserfahrung bei einer Abendmahlsfeier<br />

am 13. August 1727 im benachbarten Berthelsdorf<br />

überwunden. Dieses Datum gilt bis heute als die Geburtsstunde<br />

der Erneuerung der Brüder-Unität nach dem Abbruch<br />

ihrer 200-jährigen Geschichte im heutigen Tschechien<br />

infolge des 30-jährigen Krieges.<br />

Die Erfahrung des 13. August 1727 wird in der Literatur<br />

häufig so dargestellt, als würde sie auf einer Linie liegen<br />

mit fundamentalen Erfahrungen des Wirkens des Heiligen<br />

Geistes, die später zur Herausbildung der modernen charismatischen<br />

Bewegung geführt haben. Doch ist dies nur<br />

sehr bedingt der Fall. Zinzendorf und seine Mitarbeiter<br />

haben das Ereignis relativ zurückhaltend und nüchtern<br />

interpretiert. Themen, die für die Theologie der heutigen<br />

charismatischen und neo-pentekostalen Bewegung zentral<br />

sind (Geistestaufe, Sprachengebet, Glaubensheilung, Prophetie),<br />

spielen in der Brüdergemeine der Zinzendorfzeit so<br />

gut wie keine Rolle. In Zinzendorfs Theologie liegt ein sehr<br />

viel stärkerer Nachdruck auf der persönlichen Verbundenheit<br />

der einzelnen Gläubigen mit dem Heiland und auf der<br />

dadurch entstehenden Gemeinschaft als auf Manifestationen<br />

des Heiligen Geistes.<br />

Wenn es im 18. Jahrhundert überhaupt eine Bewegung gibt,<br />

die mit der späteren charismatischen Bewegung vergleichbar<br />

ist, dann sind es nicht die Herrnhuter, sondern die<br />

so genannten „Inspirierten“. Gerade mit ihnen aber hatte<br />

Zinzendorf selbst auch größte theologische Schwierigkeiten<br />

und Differenzen. Die Auseinandersetzung mit ihren<br />

Positionen (Johann Friedrich Rock, Johann Konrad Dippel)<br />

führt ihn zu einer umso stärkeren Konzentration auf Luthers<br />

Kreuzestheologie.<br />

So bleibt an dieser Stelle festzuhalten: Die Herrnhuter Brüdergemeine<br />

ist von ihrem Ursprung und Wesen her keine<br />

charismatische Kirche im heute gebräuchlichen Sinne des<br />

Wortes, auch wenn in der Gegenwart in vielen ihrer 25<br />

Kirchenprovinzen weltweit mehr oder weniger starke Einflüsse<br />

durch die charismatische Bewegung zu verzeichnen<br />

sind. | Frieder Vollprecht<br />

<strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong> | 13


Charismatisierung in afrikanischen Kirchen<br />

Der ruandische Theologe André Karamaga im Gespräch mit <strong>EMW</strong>-<br />

Afrikareferent Owe Boersma.<br />

Was macht das Thema „traditionelle Kirchen“ und<br />

„charismatische Kirchen“ wichtig?<br />

Es ist, unter anderem, eine Frage nach „Bewegung“ und<br />

„Struktur“. Traditionelle Kirchen haben eine feste, bewährte<br />

Struktur. Charismatische Gruppen kommen ohne<br />

Struktur aus, sie sind in Bewegung. „Bewegung“ sei vom<br />

Heiligen Geist inspiriert, „Struktur“ sei es nicht, sagen die<br />

einen, die anderen sehen es umgekehrt. Wir sehen, dass<br />

manchmal die „Struktur“ in etablierten Kirchen zum Gefängnis<br />

wird, oft die „Bewegung“ in die Beliebigkeit und<br />

Schlimmeres führt, denn „Bewegung“ ist nicht selbstverständlich<br />

vom Heiligen Geist inspiriert. Also muss beides,<br />

Struktur und Bewegung, im positiven Sinne die Balance<br />

halten.<br />

Wie kann das erreicht werden?<br />

Indem die Menschen ganzheitlich angesprochen werden.<br />

Wir bestehen aus Gefühl und Verstand. Also muss beides in<br />

einem Gottesdienst angesprochen werden. Und zwar in dieser<br />

Reihenfolge: Nur wenn mein Herz erreicht wird, wird<br />

der Verstand gestartet. Musik und Gesang, im besten Fall<br />

die ganze Liturgie, spricht das Gefühl an. Und dann muss<br />

es eine Predigt geben, die das Hirn anspricht, also Futter<br />

für den Verstand.<br />

Wie unterscheiden sich charismatisch-pfingstliche<br />

von traditionellen Kirchen?<br />

Zunächst: Es gibt zwischen den Kirchen einen fließenden<br />

Übergang. Keine ist per se besser oder schlechter als die<br />

14 | <strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong><br />

<strong>EMW</strong>/Freddy Dutz<br />

„Jeder von uns<br />

hat nur einen Teil<br />

der Wahrheit“<br />

Ein Gespräch mit André Karamaga,<br />

Generalsekretär der Allafrikanischen<br />

Kirchenkonferenz (AACC).<br />

andere. Mir scheint, dass charismatische Kirchen partizipatorischer<br />

sind als traditionelle Kirchen, die den ordinierten<br />

Amtsträgern die wichtigste Rolle, z. B. im Gottesdienst<br />

geben. Das macht charismatische Kirchen für junge Menschen<br />

und Frauen attraktiv.<br />

Welche Aspekte sprechen gegen charismatische<br />

Gruppen?<br />

Zum einen ist Enthusiasmus nicht alles. Es ist wenig hilfreich,<br />

wenn Christen glauben, simple Antworten auf Fragen<br />

geben zu können, die nicht einfach sind. Die wörtliche Interpretation<br />

der Bibel ist abzulehnen, egal, welcher theologischen<br />

Richtung man angehört. Ebenso ein Evangelium der<br />

Angst. Das ist dort zu hören, wo Menschen ungebildet sind.<br />

Gibt es einen Ausweg?<br />

Theologische Ausbildung ist das A und O für alle. Zuerst<br />

natürlich für die Gemeindeleiterinnen und –leiter, aber<br />

„Theologische Ausbildung ist<br />

das A und O für alle.“<br />

auch für die Laien. Zuerst muss die Bibel sprachlich und<br />

dann in den jeweiligen kulturellen Zusammenhang übersetzt<br />

und interpretiert werden. Dafür braucht man eine<br />

Anleitung. Wenn die biblische Botschaft verstanden ist,<br />

dann verändert sie Individuen, Gemeinden, Völker, ja, die<br />

ganze Welt.


Jacob Silberberg/Getty Images<br />

Werbung für eine „Miracle Night“ in Lagos/Nigeria. Als Redner wird der „Prophet“ Femi Agboola angekündigt. In Westafrika liefern<br />

sich pentekostale Prediger regelrechte Plakatschlachten für ihre Veranstaltungen.<br />

Kirchen unterschiedlicher Ausrichtung sprechen sich<br />

unter Umständen gegenseitig das Kirchesein ab. Was<br />

macht denn eine Kirche zur Kirche?<br />

Eine Kirche, die den Heiligen Geist nicht einlädt und mit<br />

ihm nicht rechnet, ist tot. Eine Kirche, die aufgehört hat<br />

„Eine Kirche, die den Heiligen Geist<br />

nicht einlädt und mit ihm<br />

nicht rechnet, ist tot.“<br />

lernbereit zu sein, sich als „fertig“ betrachtet, ist schon<br />

ziemlich krank. Der Geist ist nicht verfügbar, aber wir müssen<br />

immer mit ihm rechnen.<br />

Zwischen den Kirchen im Norden und im Süden gibt<br />

es Schwierigkeiten. Wie sind die zu bewältigen?<br />

Reden, diskutieren, sich vertrauensvoll einander öffnen.<br />

Jeder von uns hat nur einen Teil der Wahrheit. Wir sind<br />

Teil EINER Kirche und deshalb darauf angewiesen von einander<br />

zu lernen. Damit es ein bisschen einfacher ist, sollte<br />

man nicht mit den ganz „schweren“ Themen beginnen,<br />

sondern bei den Dingen, über die es schnell zu einer Einigung<br />

kommen kann.<br />

Was kann denn als Grundvoraussetzung für einen<br />

Dialog gelten?<br />

Bei allem gilt Jesu’ Goldene Regel aus Matthäus 7,12: Was<br />

du nicht möchtest, was man dir antut, tue keinem anderen<br />

an. Damit verbietet sich die „Besserwisserei“ von selber.<br />

Von der unaufgebbaren Forderung nach einem liebevollen<br />

Umgang ganz zu schweigen! Um das Gegenüber zu verstehen,<br />

muss man ernsthaft versuchen, sich in seine Lage zu<br />

versetzen. Und schon sind bestimmte „sichere“ Wahrheiten<br />

gar nicht mehr sicher!<br />

Was hemmt die Aussöhnung zwischen Kirchen, Gruppen<br />

und Individuen?<br />

Wer über den anderen urteilt, hat die Möglichkeit des Lernens<br />

aufgegeben. Wer sich und seine Gruppe mit anderen<br />

vergleicht, überlegt, wer „richtiger“, „frommer“, „gläubiger“<br />

ist, der hört nicht mehr zu. Wer lehrt, lernt nicht, wer<br />

predigt, hört nicht.<br />

Gibt es eine nördliche und eine südliche Theologie?<br />

Bestimmte Ausprägungen des Denkens und Fühlens scheinen<br />

mir kulturabhängig zu sein. Das macht sie aber weder<br />

richtig noch falsch, sondern diskussionswürdig. Wenn es<br />

Einstellungen gibt, die so sehr mit der jeweiligen Kultur<br />

verbunden sind, dass sie für Menschen einer Region unaufgebbar<br />

sind, dann könnte man sich doch darauf einigen,<br />

dass das akzeptabel ist. Wir einigen uns dann darauf, dass<br />

wir uns nicht einigen können. Im Augenblick jedenfalls.<br />

Ansonsten bleiben wir in der Liebe Jesu Christi verbunden.<br />

Das Gespräch führten Owe Boersma und Freddy Dutz<br />

am 30. August <strong>2011</strong> in der <strong>EMW</strong>-Geschäftsstelle in Hamburg<br />

<strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong> | 15


Charismatisierung in afrikanischen Kirchen<br />

Kreuzzug gegen<br />

Für den neuen Moderator der Presbyterian Church of Ghana,<br />

Dr. Emmanuel Martey, ist der Kampf mit Dämonen<br />

(spiritual warfare) eine Selbstverständlichkeit. Für deutsche<br />

Gläubige eher nicht. Das wurde bei einem Antrittsbesuch zu<br />

einem Problem, wie Riley-Edwards Raudonat berichtet und<br />

kommentiert.<br />

„Wir haben uns entschieden, den Gottesdienst am<br />

Nachmittag abzusetzen.“ So die knappe Mitteilung nach der<br />

Mittagspause beim Ghana-Partnerschaftsseminar, das das<br />

Evangelische Missionswerk in Südwestdeutschland (EMS)<br />

am 16. April <strong>2011</strong> in Landau durchführte. Die Entscheidung,<br />

den nach Tagungsprogramm vorgesehenen „Gottesdienst<br />

mit Heilungs- und Befreiungselementen“ durch Arbeitsgruppen<br />

zu ersetzen, war für Rt. Rev. Prof. Emmanuel<br />

Martey, Referent des Tages und Präsident der Presbyterianischen<br />

Kirche von Ghana, eine Enttäuschung. Schließlich<br />

hatte er am Vormittag in einem ausführlichen Vortrag die<br />

biblische und theologische Basis der charismatischen Bewegung<br />

erläutert und somit den Boden für den Gottesdienst<br />

am Nachmittag bereitet.<br />

Durch den Gottesdienst sollte den vorwiegend deutschen<br />

Seminarteilnehmenden ein Erfahrungszugang zum charismatischen<br />

Ansatz geboten werden. Auch Christen in<br />

Landau und nicht nur im fernen Afrika sollten die heilende<br />

Kraft des Heiligen Geistes am eigenen Leib spüren. Die Diskussion<br />

zum Vortrag hatte aber gezeigt, dass die Mehrheit<br />

der Anwesenden Marteys Ansätze nicht mittragen konnten.<br />

Insofern war die Entscheidung, den Gottesdienst fallen<br />

zu lassen, richtig. Sie wurde sogar mit spontanem Beifall<br />

quittiert. Dennoch kann man mit diesem Ergebnis nicht zufrieden<br />

sein. Vielmehr stellt es einen Widerspruch dar, der<br />

den Ansporn zur Weiterarbeit in sich birgt. Ein abgesetzter<br />

Gottesdienst entspricht der vielgelobten „Partnerschaft auf<br />

Augenhöhe“ eben nicht.<br />

16 | <strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong><br />

die Dämonen<br />

Günther Menn<br />

In einer pfingstkirchlichen<br />

Gemeinde in Sambia will Pastor<br />

Mwanza eine Frau vom Satan<br />

befreien. Elemente solcher<br />

Zeremonien wollte der<br />

Moderatur der ghananischen<br />

Partnerkirche in einen Gottesdienst<br />

in der Pfalz praktizieren.<br />

Partnerschaft auf Augenhöhe bedeutet zunächst einmal<br />

so viel: Das Lehren und das Lernen, das Geben und das<br />

Nehmen sind auf beiden Seiten gleichermaßen verteilt. Die<br />

jeweiligen Partner bringen ihre Stärken in die Arbeit ein.<br />

Wer da gerade lehrt und wer lernt, wer gibt und wer empfängt,<br />

das befindet sich grundsätzlich im Fluss und richtet<br />

sich danach, wer welche Gaben hat und wer sie braucht.


In Blick auf Gottesdienst und Theologie heißt das, dass wir<br />

auf europäischer Seite die Chance haben, aus dem „Süden“<br />

zu lernen. Gelehrt haben wir bereits reichlich, denn<br />

die ehemaligen Missionskirchen bekamen ihre ursprüngliche<br />

theologische Prägung und ihre Gottesdienstformen<br />

nicht zuletzt durch den unermüdlichen Einsatz europä-<br />

ischer Missionarinnen und Missionare vor allem des<br />

19. Jahrhunderts. Zwar wird dieser Einsatz in den heutigen<br />

Partnerkirchen des Südens nach wie vor hoch geehrt.<br />

Gleichwohl sind diese Kirchen längst selbstständig und<br />

haben in der Zwischenzeit eine eigenständige theologische<br />

Entwicklung vollzogen. Wie der ghanaische Theologe<br />

Kwabena Asamoah-Gyadu bei der Konferenz „Encounter<br />

beyond routine“ anmerkte: Sie haben den in ihren Augen<br />

<strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong> | 17


Charismatisierung in afrikanischen Kirchen<br />

„übertrieben rationalen, gesetzten, liturgisch-geordneten,<br />

pfarrerzentrierten und amtskirchlichen Charakter des historischen<br />

Missionschristentums“ reformiert. Das Ergebnis<br />

ist das, was gemeinhin als „charismatische Bewegung“ bezeichnet<br />

wird. Natürlich liegt es nahe, dass die Kirchen des<br />

Südens das Ergebnis dieses Prozesses in Europa bekannt<br />

machen wollen. Denn sie sehen, dass Gottesdienste in Europa<br />

– jedenfalls in Vergleich zu den eigenen – nur mäßig<br />

besucht werden, dass die Mitgliederzahlen der hiesigen<br />

Kirchen rückläufig sind, dass Verwaltungs- und Gremienarbeit<br />

den kirchlichen Alltag bestimmen. Was könnte<br />

da näher liegen, als dass die südlichen Partner den eigenen<br />

Lernprozess und ihre neuen Formen dem Norden<br />

zugänglich machen? Wie sonst soll die „Partnerschaft auf<br />

Augenhöhe“ aussehen?<br />

Ausgangspunkt von Marteys Ausführungen in Landau war<br />

die Annahme, dass biblische und wissenschaftliche Realität<br />

verschiedene Größen sind. Sie existieren nebeneinander,<br />

greifen auch ineinander. Es sei aber grundsätzlich nicht so,<br />

dass moderne Wissenschaft das biblische Weltbild überholt<br />

oder außer Kraft gesetzt hätte. Die biblische Realität<br />

gelte, gerade auch im Blick auf moderne wissenschaftliche<br />

Erkenntnisse. Er verwies auf Markus 16,17: „In meinem<br />

Namen werden [die Gläubigen] böse Geister austreiben“.<br />

Die Macht der bösen Geister sei eine reale Macht, deren<br />

Austreibung klarer Auftrag des Evangeliums. Mit Hilfe der<br />

afrikanischen Spruchweisheit wies er auf die Härte des<br />

Kampfes zwischen den Dämonen einerseits und dem Heiligen<br />

Geist andererseits: „Wenn zwei Elefanten kämpfen,<br />

ist es das Gras, das darunter leidet.“ Er brachte das Sprichwort<br />

ins Spiel, um deutlich zu machen, dass sich solches<br />

Kräftemessen im Seelenleben eines Menschen durchaus<br />

bemerkbar macht: „Deshalb werden manche ohnmächtig,<br />

wenn man ihnen die Dämonen austreibt.“<br />

Im Weiteren wies er auf die konkrete, selbst erlebte charismatische<br />

Erfahrung hin. Er sei ursprünglich Befreiungstheologe<br />

im Sinne etwa von James Cone (USA) oder Gustavo<br />

Gutiérrez (Peru) gewesen. Aber als junger Pfarrer in Accra<br />

habe er erlebt, wie seine Gemeindeglieder bei Heilungsgottesdiensten<br />

regelrecht in Ekstase geraten seien. Vom<br />

Zweikampf ergriffen, seien manche sogar auf dem Boden<br />

gelegen und hätten am Mund geschäumt. Er habe erkennen<br />

müssen, dass diese Erfahrungen echt seien, nicht vorgetäuscht.<br />

Diese Gemeinde setze sich aus seriösen Menschen<br />

zusammen, die ein geregeltes Leben führten und ihre Verpflichtungen<br />

ernst nähmen. Niemals hätten sie ihm etwas<br />

18 | <strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong><br />

Getty Images/Malcolm Linton/Liaison<br />

Eine „Dämonenaustreibung“ in Lagos/Nigeria. Der sich als Prophet bezeichnende<br />

pentekostale Prediger T.B. Joshua steht der „Synagogue Church Of All Nations“<br />

vor und behauptet, er könne auch Aids heilen. Für seine Heilungsgottesdienste<br />

hat er auch Interessierte unter den in Lagos lebenden Weißen gefunden.<br />

vorgemacht. Diese Ernsthaftigkeit habe ihn schließlich<br />

dazu bewogen, sich dem Charismatischen zuzuwenden.<br />

Ganz in diesem Sinne äußert sich Asamoah-Gyadu: „Erfahrung<br />

ist der Herzschlag pfingstlerischer Geistlichkeit.“<br />

Nicht die Form eines Gottesdienstes ist also entscheidend,<br />

sondern die erfahrene Kraft des Heiligen Geistes. Gerade<br />

diese Erfahrung wollte Martey den Teilnehmenden des<br />

Partnerschaftsseminars in Landau zugänglich machen,<br />

doch davor sind diese so sehr zurückgeschreckt, dass das<br />

Angebot fallen gelassen werden musste.


Der springende Punkt war das Weltbild: Auf die Realität<br />

von bösen Geistern, die einem Menschen innewohnen und<br />

ihn krank machen, wollte sich die überwiegende Mehrheit<br />

der Teilnehmenden nicht einlassen. „Hinter die Aufklärung<br />

können wir nicht mehr zurück“, erklärte einer der Anwesenden.<br />

Die These von Martey, es gäbe verschiedene Realitäten<br />

– die biblische und die wissenschaftliche – leuchtete<br />

den meisten doch nicht ein. Vielmehr überwog die Sorge,<br />

in Heilungsgottesdiensten könnte man kranken Menschen<br />

Hoffnungen machen, die sich nicht einlösen ließen. Auch<br />

der Sündenbegriff sorgte für Missverständnisse. Während<br />

Martey hier von Verfehlungen des Einzelnen ausgegangen<br />

ist, die durch böse Geister ausgelöst werden, verstanden<br />

viele der anwesenden Europäer die Sünde eher als ungreifbare<br />

Macht, die nicht überwunden werden kann. Das lutherische<br />

Erbe – gerecht und sündhaft zugleich – wirkte<br />

auf deutscher Seite stark nach.<br />

Andreas Henkel, Pfarrer im Missionarischen Ökumenischen<br />

Dienst der pfälzischen Landeskirche und Mitglied<br />

der Vorbereitungsgruppe des Landauer Partnerschaftsseminars,<br />

merkte im Nachhinein Folgendes dazu an: „Ich<br />

glaube, dass wir Europäer auch auf dem Hintergrund unseres<br />

Weltbilds ‚charismatisch‘ sein können – nur mit einer<br />

anderen Theologie als die meisten Charismatiker. Ich<br />

habe es gerade wieder erlebt auf einer Pilgerwanderung,<br />

wie biblische Worte ins Herz sprechen können, wie ‚rationale‘<br />

Westeuropäer sich öffnen für die Kraft Gottes, oder<br />

nennen wir es die Kraft des Heiligen Geistes. Mir ist es<br />

um unsere Kirchen nicht bange, wenn wir darauf vertrauen<br />

und manche finanziellen und organisatorischen Ängste<br />

hinter uns lassen.“<br />

Henkels Einsichten helfen weiter. Die charismatische Bewegung<br />

in Afrika verdankt ihren Erfolg dort nicht zuletzt<br />

der Tatsache, dass sie am kulturellen und religiösen Hintergrund<br />

Afrikas anknüpft. Die Überzeugung etwa, dass<br />

die geistliche und materielle Welt stark miteinander verwoben<br />

sind, ist ein Kernelement afrikanischer traditioneller<br />

Religion. Europäer bringen eine andere geistige Prägung<br />

mit und teilen diese Überzeugung oft nicht. Darum ist es<br />

kaum denkbar, dass sie Ansätze der afrikanischen charismatischen<br />

Bewegung eins zu eins übernehmen.<br />

Wichtig ist, dass man miteinander im Gespräch bleibt. Wir<br />

auf europäischer Seite können uns ruhig der afrikanischen<br />

Beobachtung stellen, dass unsere gottesdienstliche Praxis<br />

und die damit verbundenen theologischen Ansätze viele<br />

Menschen nicht erreichen. Wir können prüfen, ob nicht<br />

auch bei uns ein Bedürfnis nach gelebten Erfahrungen<br />

mit Gott besteht. Und wir können schauen, wie sich dieses<br />

Bedürfnis angemessen befriedigen lässt. Das wäre eine<br />

angemessene Frucht der „Partnerschaft auf Augenhöhe“<br />

und eine würdige Schlussfolgerung aus dem abgesetzten<br />

Gottesdienst am 16. April in Landau.<br />

| Riley Edwards-Raudonat ist Afrika-Verbindungsreferent<br />

des Evangelischen Missionswerks in Südwestdeutschland<br />

<strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong> | 19


Charismatisierung in Deutschland<br />

Charismatisches<br />

Christentum bei uns<br />

Wie in der Einführung schon angedeutet, gibt<br />

es bei uns charismatisches Christentum schon<br />

seit etwa hundert Jahren. Neue Dynamik hat es<br />

in den Migrationsgemeinden gewonnen. Werner<br />

Kahl zeigt die Grenzen und Möglichkeiten des<br />

Ökumenischen Lernens angesichts des Migra-<br />

tionschristentums auf.<br />

Deutschland ist zu einem Einwanderungsland<br />

geworden. Kirchlicherseits verschiebt sich die konfessionelle<br />

Gemengelage, und die Präsenz des Christlichen<br />

fragmentiert sich. So nehmen in Deutschland Hunderte<br />

von Christen afrikanischer Herkunft an pfingstlichen, neopentekostalen,<br />

methodistischen, presbyterianischen oder<br />

katholischen Gottesdiensten teil, die meist nach europäischen<br />

Kolonialsprachen bzw. Lokalsprachen getrennt sind.<br />

In Hamburg dürften sonntags mehr Christen aus Afrika<br />

und Asien Gottesdienste besuchen als lutherische Christen<br />

deutscher Herkunft.<br />

Die christlichen Migranten und Migrantinnen bringen ihren<br />

jeweiligen Glauben, ihre Kultur und ihr Weltwissen<br />

mit. Erhebliche Unterschiede von westlichen Traditionen<br />

ergeben sich u.a. bezüglich<br />

des Wissens<br />

um die Bezogenheit<br />

auf eine Sphäre mit<br />

spirituellen Wirkmächten,<br />

das für viele<br />

Menschen in und aus<br />

Westafrika – gleich<br />

welcher religiösen<br />

oder sozialen Zugehörigkeit<br />

– von wesentlicher<br />

Bedeutung ist.<br />

So hängt zum Beispiel<br />

eine gelingende Gestaltung des Lebens von der Verfolgung<br />

bestimmter spiritueller Praktiken ab. Dem trägt das<br />

charismatische Christentum Rechnung, das in Westafrika<br />

zur Normalversion des Christlichen geworden ist und<br />

sich in den rund tausend westafrikanischen Gemeinden in<br />

Deutschland manifestiert.<br />

Die meisten Migrationskirchen sind unabhängige, oftmals<br />

spontan gegründete Gemeinden vor allem charismatischer<br />

bzw. neo-pentekostaler Prägung. Dies bedeutet eine Her-<br />

20 | <strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong><br />

epd-Bild/Berthold Fernkorn<br />

ausforderung für die etablierte Ortskirche, deren transkontinentales<br />

Engagement sich vor allem auf die Felder diakonische<br />

Hilfeleistung und Entwicklungspolitik konzentriert.<br />

Missionierung im klassischen Sinne gilt als passé. Die nach<br />

Deutschland immigrierten afrikanischen Christen fühlen<br />

sich einem evangelikalen und oft genug einem charismatisch-pfingstlerischen<br />

Ethos verbunden, vertreten keine Befreiungstheologie<br />

und sind nicht an einer bewussten Inkulturation<br />

des Christentums nach westlich-theologischer<br />

Vorbild interessiert. Pfingstlerische Theologie und Frömmigkeit<br />

in und aus Westafrika ist z. T. aggressiv missionarisch<br />

und Ahnengeister, Lokalgottheiten sowie bestimmte<br />

kultische Handlungen werden dämonisiert. Christen aus<br />

dem globalen Süden bzw. die Leiter ihrer Gemeinden treten<br />

selbstbewusst auf, nicht als Objekte diakonischer Hilfeleistungen,<br />

sondern als Subjekte mit einer Mission. Wechselseitige<br />

Irritationen verwundern deshalb nicht. So schien<br />

es in den 1990er Jahren in einigen Landeskirchen nicht<br />

abwegig, die jeweiligen Sektenbeauftragten mit dem Phänomen<br />

afrikanischer Migrationsgemeinden zu betrauen.<br />

Vor dem Hintergrund der Entkirchlichung in Deutschland<br />

stellt sich beinahe von selbst die Frage, ob von Missionserfolgen<br />

im globalen Süden nicht einiges zu lernen wäre.<br />

Ein Studium der mit der Kolonialzeit verwobenen Missionsgeschichte<br />

zeigt, dass Strategien theologischer Einbahnstraßen<br />

angesichts kultureller Variabilität und der notwendigen<br />

Kontextualität des Evangeliums zum Scheitern<br />

verurteilt sind.<br />

Das oft gepriesene Projekt eines nachhaltigen Lernens voneinander<br />

ist illusorisch, auch weil die afrikanische Community<br />

hier getrennt von der hiesigen Gesellschaft lebt. Ein


Hochzeitsgottesdienst in<br />

der afrikanischen „New Life<br />

Fellowship“-Gemeinde<br />

in Düsseldorf. Nachdem die<br />

Migrationsgemeinden lange<br />

meist unter sich blieben,<br />

besuchen inzwischen<br />

auch Gäste aus deutschen<br />

Gemeinden die Gottesdienste,<br />

denn sie sind in ihrer<br />

Lebendigkeit attraktiv.<br />

heimische Kirchengemeinden existieren neben Migrationsgemeinden,<br />

selbst wenn die Migranten Gaststatus in einer<br />

anderen Gemeinde haben. Zu einem Miteinander kann es<br />

auch gar nicht kommen, da viele dieser Gemeinden von der<br />

ersten Migrationsgeneration getragen werden und sich in<br />

der Phase der Isolierung befinden – sie dienen der Selbstversicherung<br />

und der Lebensorganisation in der Fremde.<br />

Warum soll sich Kirche aber auf das Projekt eines transkulturellen<br />

ökumenischen Lernens einlassen? Will man<br />

nicht die Evangeliumsbezogenheit der Kirche aufs Spiel<br />

setzen, ist dies alternativlos. Deshalb bemühen sich die<br />

verschiedenen Konfessionen um Rahmenbedingungen,<br />

die qualifizierte Begegnungen mit Migrantengemeinden<br />

fördern.<br />

In Deutschland gibt es seit zehn Jahren interkonfessionelle<br />

und interkulturelle Fortbildungskurse in Zusammenarbeit<br />

mit Migrationspastoren. Wenn die Anwesenden einander<br />

erleben als um eine lebensrelevante Bedeutung des Evangeliums<br />

Ringende, die durch unterschiedliche Traditionen<br />

geprägt und in ihrem Sosein einzigartig sind, dann lässt<br />

das die anderen nicht unbeeindruckt. Das kann ein Rechnen<br />

mit der erfahrbaren Gegenwart des Geistes Gottes in<br />

meinem Leben zur Folge haben und daraus mag eine vertiefte<br />

Spiritualität resultieren, die neue Kraft, Trost und<br />

Hoffnung zu geben vermag. Es kann Menschen ermutigen,<br />

ihre Gaben in Gottesdienste einzubringen und gerade junge<br />

Menschen zum Mittun anregen. Charismatisch-pfingstlerische<br />

Christen aus Afrika könnten von uns lernen, dass<br />

christlicher Glaube und Theologie auch eine gesellschaftsrelevante<br />

und -gestaltende Dimension haben. Wir hören von<br />

afrikanischen Christen, dass Gott als vollmächtig handelnd<br />

bzw. verändernd erfahrbar sein kann. Allerdings ist eine<br />

ungebrochene Übertragung von Glaubensinhalten, Gottesdienstelementen<br />

und Missionsstrategien in evangelische<br />

Gottesdienste in Deutschland zum Scheitern verurteilt.<br />

Das Lernen setzt die Bereitschaft und Fähigkeit voraus,<br />

Ausdrucksformen von dem zu unterscheiden, was durch<br />

sie zum Ausdruck kommt (Funktion). Ausdrucksformen<br />

sind kulturell gebunden und kaum direkt zu übertragen<br />

(vgl. etwa afrikanischer Tanz, Trommel, Lautstärke versus<br />

Orgelmusik, andächtige Stille). Wenn aber z.B. durch<br />

afrikanische Ausdrucksformen Aspekte des Evangeliums<br />

zum Ausdruck kommen, die im NT benannt werden bzw.<br />

durchscheinen – das zugesagte Heil betrifft den Menschen<br />

lebensbejahend und transformierend in all seinen bzw. ihren<br />

Bezügen, d.h. den Körper, die Gemeinschaft usw. – und<br />

die in unserer Tradition vernachlässigt werden, dann können<br />

wir Impulse empfangen, die auch dazu beitragen, das<br />

Bild von Kirche in der Öffentlichkeit zu verändern.<br />

Viele christliche Migranten und Migrantinnen verharren<br />

in der ersten Generation in ihrer Heimatenzyklopädie.<br />

Sie bleiben an die Familie in der Heimat gebunden, auch<br />

weil sie Ahnenflüche befürchten. Das Erlernen der hiesigen<br />

Sprache ist conditio sine qua non für eine gelingende<br />

Kommunikation des Evangeliums. Dies und die Aufnahme<br />

in die hiesige Gesellschaft nimmt Zeit in Anspruch.<br />

Hier und da wächst eine lebendige Ökumene vor Ort, Lokales<br />

und Globales überlappt sich und bringt neues Leben<br />

hervor. Menschen mit Migrationshintergrund werden in<br />

Deutschland geboren und wachsen heran. In Migrationskirchen<br />

beginnen junge Menschen, die eine hohe Kompetenz<br />

im „floaten“ in verschiedenen Kulturen erworben<br />

haben und etwas Neues verkörpern, das zur Norm wird,<br />

Leitungsaufgaben zu übernehmen. Für viele behält praktizierte<br />

Religiosität eine große Bedeutung. Die verfasste<br />

Kirche hier sollte Foren kreieren, um den Prozess des Zusammen-Wachsens<br />

zu fördern. Solches kirchliches Engagement<br />

dürfte eine Signalwirkung auf die weitere Gesellschaft<br />

haben.<br />

In der interkulturellen Begegnung von Christen fungieren<br />

die jeweils anderen sowohl als Spiegel als auch als Fenster:<br />

Ich lerne, mich besser zu verstehen und gleichzeitig sehe<br />

ich Veränderungsmöglichkeiten. Einheimische Kirchen<br />

und Migrationsgemeinden können durch ökumenisches<br />

Kennenlernen christlich angemessene Verhaltensweisen<br />

angesichts der veränderten Situation von Kirche und Gesellschaft<br />

lernen.<br />

| Prof. Dr. Werner Kahl ist Studienleiter in der Missionsakademie<br />

an der Universität Hamburg.<br />

<strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong> | 21


Charismatisierung in afrikanischen Kirchen<br />

Zwei Welten<br />

Nigeria ist Großexporteur von Pfingstchristentum,<br />

und zwar nicht nur in die Nachbarländer,<br />

sondern auch nach Europa. Anna Quaas hat<br />

zwei dieser Kirchen in ihrer Dissertation<br />

untersucht 4 und fragt, welche Ergebnisse eine<br />

Begegnung mit ihnen haben könnte.<br />

Die einen beschreiben die anderen als voraufklärerisch.<br />

Der in Pfingstkirchen insbesondere afrikanischer<br />

Herkunft gepflegte Glaube an Dämonen und böse<br />

Geister trifft bei Mitgliedern der evangelischen und katholischen<br />

Kirche in Deutschland in aller Regel auf Argwohn.<br />

Wenn dann in diesen Kirchen noch der Zehnte eingetrieben<br />

und gepredigt wird, dass Gott Wohlstand für alle wolle,<br />

sind die Grenzen der ökumenischen Toleranz häufig<br />

erreicht. Der vor Jahren den afrikanischen Brüdern und<br />

Schwestern wohlwollend zur Verfügung gestellte Gemeinderaum<br />

wird im nächsten Jahr anderweitig gebraucht. Seit<br />

langem schon schien diese internationale Pfingstgemeinde<br />

obskur, deren Pastoren ständig wechselten und in der es<br />

sogar eine Spaltung gegeben hatte.<br />

Von Mitgliedern der internationalen Pfingstgemeinde<br />

hört man dagegen, der Heilige Geist habe die Kirchen in<br />

Deutschland längst verlassen. „Viele Menschen verspüren<br />

einen Hunger nach Gott“, erklärte beispielsweise der Pastor<br />

einer internationalen Pfingstkirche in Berlin. „Aber sie<br />

wissen es nicht. Und deswegen versuchen sie ihren Hunger<br />

mit Drogen, mit Alkohol, mit Sex und Tabak zu stillen –<br />

all das ist Hunger nach Gott. Aber weil sie Gott nicht kennen,<br />

versuchen sie ihren Hunger nach Gott mit etwas zu<br />

stillen, was nicht befriedigt.“ Pastorinnen und Pastoren in<br />

Deutschland seien keine wirklichen Vorbilder. Es gebe sogar<br />

einige unter ihnen, die öffentlich Zigaretten rauchten<br />

und Homosexualität in ihren Gemeinden duldeten. Auch<br />

den interreligiösen Dialog betrieben die „mainline churches“<br />

bis zur Selbstaufgabe.<br />

Christentum in zwei Welten? Gibt es eine Schnittmenge<br />

zwischen den deutschen Kirchen und den internationalen<br />

Pfingstkirchen? Und was könnte der positive Effekt sein,<br />

wenn sie aufeinander treffen? In internationalen Pfingstkirchen<br />

wird häufig klar unterschieden zwischen dem positiven<br />

Wirken Gottes und dem negativen Eingreifen des<br />

Satans. Während ihre Gläubigen Gott und Jesus mit Attributen<br />

wie Schutz, Hilfe und Wohlstand verbinden, erken-<br />

22 | <strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong><br />

In einem Gottesdienst der „Redeemed Church of Christ“ in Lagos/Nigeria werden<br />

neu hinzugekommene Gemeindeglieder begrüßt. Die einst arme Kirche<br />

expandiert weltweit und hat inzwischen zahlreiche Ableger in Europa.<br />

nen sie hinter Krankheit, moralischem Verfall und Missgeschick<br />

das Wirken dämonischer Mächte. Wer sein Leben<br />

Christus übergibt, sich moralisch einwandfrei verhält und<br />

sich in Gebet, Fasten und Bibelstudium übt, wird früher<br />

oder später die – auch materiellen – Früchte seines Tuns<br />

ernten. Wer dagegen ein kritischer Geist ist, krank und beschwert,<br />

der sollte sich gegen die Angriffe Satans wehren<br />

und sich wahrhaft zum Christentum bekehren.<br />

In der dualistischen Weltsicht, die positives Handeln Gott<br />

und negatives Handeln den Dämonen zuschreibt, liegt ein<br />

zentraler Unterschied zwischen der Theologie von Pfingst-<br />

kirchen etwa nigerianischer Herkunft und der Tradition<br />

des europäischen Protestantismus. Das Nachdenken<br />

über die verborgene Seite Gottes im Anschluss an Martin


Luther oder die Betonung der Schwachheit und des Mitleidens<br />

Christi werden in diesen Pfingstkirchen nach meinen<br />

Beobachtungen theologisch ausgeblendet. Hier könnte ein<br />

fruchtbares theologisches Gespräch ansetzen, denn die Erfahrung,<br />

dass nicht jede Krise durch den Glauben an Gott<br />

überwunden wird und Armut nicht immer in Wohlstand<br />

mündet, machen auch nigerianische Christen. Auch moralische<br />

Fragen wie Homosexualität erscheinen in einem<br />

anderen Licht, wenn sie nicht notwendigerweise dem Handeln<br />

Satans zugeschrieben werden. Ein Aufbrechen des<br />

dualistischen Paradigmas scheint mir geboten.<br />

Andererseits fragen Pastorinnen und Pastoren nigerianischer<br />

Pfingstkirchen meiner Ansicht nach zu Recht, wie<br />

deutsche Großkirchen dem Auftrag Jesu, in seinem Namen<br />

Jacob Silberberg/Getty Images<br />

böse Geister auszutreiben (Mk. 16,17), nachkommen. Bei<br />

vielen Migrantinnen und Migranten insbesondere aus Afrika<br />

ist das Bewusstsein, von Dämonen und bösen Geistern<br />

besessen zu sein, stark ausgeprägt. In Deutschland wird<br />

dieses Thema völlig übergangen, obwohl wichtige Vertreter<br />

und Strömungen der Seelsorgebewegung des 20. und 21.<br />

Jahrhunderts (Thurneysen, Scharfenberg und Josuttis) sich<br />

mit dämonischer Besessenheit beschäftigt haben. Migrantinnen<br />

und Migranten zeigen hier auf einen blinden Fleck<br />

in der theologischen Reflexion der „mainline churches“,<br />

die aufgrund ihrer volkskirchlichen Ausrichtung selbstverständlich<br />

auch die theologischen Fragen von Menschen,<br />

die nach Deutschland zugewandert sind, ernst nehmen und<br />

bearbeiten sollten.<br />

Ein weiteres Thema, in dem unterschiedliche Welten aufeinander<br />

treffen, ist das Thema „Struktur“. Ein Pastor<br />

der Redeemed Christian Church of God, einer der größten<br />

Pfingstkirchen Nigerias, beklagte etwa, dass Deutsche<br />

mit dem Wort Kirche die althergebrachten Institutionen in<br />

Verbindung brächten. Ähnliches habe er auch in der anglikanischen<br />

Kirche in Nigeria beobachtet, die in den letzten<br />

Jahren zahlreiche Mitglieder verloren habe. Junge und gebildete<br />

Menschen hier wie dort könnten sich mit den traditionellen<br />

Kirchen nicht mehr identifizieren, weil sie diese als<br />

fremdartige und langweilige Einrichtungen betrachteten.<br />

Vor dem Hintergrund dieser Negativfolie der institutionalisierten<br />

Kirchen, denen der Pastor neben der römisch-katholischen<br />

und der evangelischen Kirche in Deutschland<br />

auch einige Pfingstkirchen zurechnete, entwickelte er ein<br />

neues Konzept eines Seminars oder Treffpunktes, in denen<br />

auf die Bedürfnisse der Menschen eingegangen werden<br />

könne. Weniger Struktur, so seine Quintessenz, fördere<br />

das Wirken des Heiligen Geistes.<br />

Diese Meinung teilen die meisten seiner Kollegen. Es gibt<br />

aber auch Ausnahmen: Gerade die fehlende Struktur sah<br />

der Pastor einer anderen internationalen Pfingstkirche als<br />

besonderes Problem an. Es sei zu einfach zu sagen, Bürokratie<br />

sei nutzlos und entbehrlich, weil der Heilige Geist<br />

jenseits von Bürokratie wirke. Heutzutage gebe es auch<br />

viele, die sich auf das Wirken des Heiligen Geistes beriefen,<br />

um sich aus eigener Initiative als Präsident oder Gründer<br />

einer Kirche zu deklarieren. Dadurch entwickele sich eine<br />

unkontrollierbare Menge an Gemeinden und Pastoren, denen<br />

keinerlei Grenzen aufgezeigt würden. Mit ihren Strukturen<br />

hätten die etablierten Großkirchen diesen Gemeinden<br />

eindeutig etwas voraus.<br />

Inwieweit Strukturen das Wirken des Heiligen Geistes<br />

hemmen oder einen nachhaltigen Gemeindeaufbau fördern<br />

<strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong> | 23


Charismatisierung in afrikanischen Kirchen<br />

könnten, wird also unter pfingstlichen Pastoren durchaus<br />

kontrovers diskutiert. Das wäre ein weiterer Anknüpfungspunkt<br />

für den theologischen Austausch zwischen den etablierten<br />

Großkirchen und den Pfingstkirchen. Schließlich ist<br />

das Wohlstandsevangelium ein Reizthema, um das gestritten<br />

werden muss. Vertreter westlicher Großkirchen werfen<br />

neo-pentekostalen Kirchenführern vor, sich durch die<br />

Spenden von armen Menschen in Afrika zu bereichern und<br />

halten diese Praxis für einen Skandal. Mit dem Spenden, so<br />

dagegen Anhänger des Wohlstandsevangeliums, verhalte<br />

es sich wie in der Landwirtschaft: Wer großzügig spende,<br />

werde reichen Erntesegen einfahren.<br />

Auf den Vorwurf der unrechtmäßigen Bereicherung nahm<br />

Enoch Adeboye, Spitzenpastor der Redeemed Christian<br />

Church of God, Bezug: Ein amerikanischer Journalist<br />

habe ihn gefragt, wie er es verantworten könne, von den<br />

Hunderttausenden Besuchern, die an seinen monatlichen<br />

Event-Gottesdiensten teilnehmen, mehrere Kollekten einzufordern.<br />

Daraufhin habe er geantwortet: „Ich lächelte<br />

und sagte: Danke der Nachfrage. Jahrelang hat Afrika seine<br />

Hand ausgestreckt, um Hilfe von anderen Nationen zu<br />

erhalten. Die Leute dort haben gegeben und sind wohlhabender<br />

geworden. Aber wir, mit all unseren Ressourcen,<br />

sind ärmer geworden, weil wir Hilfsempfänger waren. Deswegen<br />

habe ich mit meinem Gott einen Pakt geschlossen:<br />

Noch zu meinen Lebzeiten wird Nigeria den Ländern der<br />

Welt Kredite geben. Denn nur durch Geben kommst du aus<br />

der Armut. Deswegen lehre ich meine Leute, dass sie spenden<br />

sollen und bete weiter für sie zu Gott.“<br />

Dass gerade die Verbreitung des Wohlstandsevangeliums<br />

von Adeboye als Mittel zur Emanzipation von der finanziellen<br />

Herrschaft des Nordens über den Süden angesehen<br />

wird, ist ungewöhnlich, aber zumindest nachdenkenswert.<br />

Adeboye widerspricht damit sämtlichen befreiungstheologischen<br />

Maximen.<br />

Die Begegnung mit Angehörigen internationaler Pfingstkirchen<br />

stellt alte Gewissheiten in Frage und wirft neue Fragen<br />

auf: Es bleibt zu hoffen, dass Fragen des Gottesbildes,<br />

der Struktur und der Ethik in Zukunft intensiver zwischen<br />

Angehörigen von „mainline churches“ und internationalen<br />

Pfingstkirchen erörtert werden. Manche Stereotypen<br />

könnten dadurch überwunden und neue Erkenntnisse gewonnen<br />

werden.<br />

24 | <strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong><br />

| Dr. Anna Quaas ist Theologin und hat sich in einem<br />

Forschungsprojekt mit nigerianischen Pfingstkirchen und<br />

deren Verbreitung in Europa befasst.<br />

„Wir sind viele<br />

und wer seid Ihr?“<br />

Kennzeichnend für das pfingstliche Christentum<br />

ist ein gut entwickeltes Selbstbewusstsein.<br />

Bei einer Begegnung zwischen Vertretern der<br />

EKD und lateinamerikanischen Pfingstkirchen<br />

führte dies zu ungewöhnlichen Gesprächssituationen,<br />

wie Uta Andrée berichtet.<br />

„Wir sind viele und wer seid Ihr?“ Mit dieser Frage<br />

kommen ein Selbstbild und eine Neugier zum Ausdruck,<br />

die das Gespräch zwischen Lutheranern und Pfingstlern<br />

aus Lateinamerika in Wittenberg im Mai <strong>2011</strong> bestimmt<br />

haben. Vertreter von Pfingstkirchen aus Argentinien, Chile<br />

und Brasilien, die auf Einladung der EKD an einer Studien-<br />

und Begegnungsreise teilnahmen, stellten in immer<br />

wieder neuen Varianten diese Frage an Lutheraner und<br />

Unierte – an ihre Landsleute, die ebenfalls an der Reise<br />

teilnahmen. Dabei bestimmte nicht Überheblichkeit die<br />

Tonlage, sondern manchmal ein Staunen, manchmal ein<br />

Ärger darüber, dass es da Kirchen gibt, denen es nicht in<br />

erster Linie um das konstante Wachsen der Mitgliederzahlen<br />

geht, nicht um die starke und laute Präsenz auf den Plätzen<br />

der Städte und nicht um ständig neue und spektakuläre<br />

Bekehrungsgeschichten. Worum geht es euch dann? Und<br />

worauf beruft ihr euch, wenn das Evangelium euch nicht<br />

zu solchen Zeugen macht, wie wir es sind – mit unserer<br />

uneingeschränkten Hingabe, mit unserem neuen Lebenswandel<br />

und mit den Zeichen von Wundern und Gottesnähe<br />

in unseren Zelten und auf unseren Bühnen? In Wittenberg<br />

wandelten sich Vorurteile und Kampagnen in echte Fragen<br />

an leibhaftige Gesprächspartner.<br />

In Lateinamerika sind nicht nur die Pfingstkirchen und<br />

ihre Mitglieder in großer und wachsender Zahl präsent,<br />

auch die historischen Kirchen (Protestanten und Katholiken)<br />

müssen sich charismatischen Bewegungen innerhalb<br />

ihrer Gemeinden stellen und eine adäquate Antwort darauf<br />

finden. Die römisch-katholische Kirche hat sich offensiv für<br />

eine Beheimatung dieser Gruppen intra muros entschieden.<br />

Ein Beispiel dafür ist die Unterstützung der Megachurch-<br />

Bewegung des brasilianischen Priesters Marcelo Rossi in<br />

São Paulo. Auch durch alle Kirchen der Reformation zieht<br />

sich die zum Teil scharfe Auseinandersetzung um den angemessenen<br />

Umgang mit fundamentalistischen, moralistischen<br />

und charismatisierenden Strömungen – wobei diese<br />

drei Merkmale bei manchen neuen Bewegungen ineinan-


<strong>EMW</strong>/Heiner Heine<br />

der fallen und bei anderen wiederum sehr unterschiedlich<br />

stark ausgeprägt sind.<br />

Für alle charismatischen Gruppen intra und extra muros<br />

gilt: Die Anbetung und der Lobpreis Jesu stehen im Zentrum<br />

der Spiritualität, unmittelbare Gottesbegegnung und<br />

Geisterfahrung prägen das Glaubensleben, das spontane<br />

und freie Gebet füreinander stiftet intensive Gemeinschaft,<br />

Heilungswunder gehören konstitutiv zum Erweis<br />

des rechten Glaubens in der jeweiligen Kirche. Mission ist<br />

der stärkste Impuls, der von diesen Gruppen nach außen<br />

geht. Ob diese Mission sich dann in sozialdiakonischer, in<br />

prophetischer oder in staatstragender Weise gestaltet, ist<br />

sehr unterschiedlich.<br />

Um dem Phänomen der Pfingstbewegung in Lateinamerika<br />

gerecht zu werden, muss man vielleicht anders als in anderen<br />

Kontexten die Unterscheidung zwischen klassischen<br />

Pfingstlern und Neopentekostalen festhalten. Dies ist den<br />

historischen Pfingstkirchen sehr wichtig. Sie wollen nicht<br />

mit Gruppen verwechselt werden, die mit dem Wort Gottes<br />

Geld machen, die Menschen mit Exorzismen in den Wahnsinn<br />

treiben und die mit dem Evangelium Menschen psychisch<br />

unter Druck setzen und abhängig machen.<br />

Charismatisierung in Lateinamerika<br />

Einen imponierenden Chor hat die pfingstkirchliche Kathedrale in Santiago de Chile aufzuweisen. Die vor über einhundert Jahren gegründete<br />

Pfingstkirche Chiles ist stolz auf ihr Erbe und will mit Neopentekostalen nicht verwechselt werden.<br />

Wir sind viele und wer seid ihr? Diese Frage markiert ein<br />

Erwachen, eine neue Bereitschaft zum Dialog, ein neues<br />

Interesse an den anderen, die historisch zunächst die Übermacht<br />

institutionalisierter Amtskirche darstellten, die nun<br />

aber immer mehr als die bemitleidenswerten, kranken, alten<br />

Kirchen in den Blick kommen. Die ökumenische Herausforderung<br />

besteht darin, eine gegenseitige Wahrnehmung<br />

als Partner und als unterschiedliche, aber gleichberechtigte<br />

Arbeiter im Weinberg Gottes zu ermöglichen.<br />

Wir sind viele und wer seid ihr? Diese Charakterisierung<br />

der ersten Annäherung der Pfingstler an historisch protestantische<br />

Kirchen aus dem lateinamerikanischen Kontext<br />

kommt etwas spöttisch daher. Spott ist vielleicht typisch<br />

für den, der sich durch den Zulauf der Menschen bestätigt<br />

fühlt und meint, die Mitgliederzahlen sprächen für seine<br />

Art, Kirche zu sein und den Glauben zu verkündigen. Bei<br />

uns geschieht die Begegnung vielleicht manchmal genau<br />

unter umgekehrten Vorzeichen. Und es könnte sein, dass<br />

dann und wann auch bei uns bei der Begegnung mit den<br />

freien und pfingstlichen Gemeinden die Frage durchklingt:<br />

Wir sind viele und wer seid ihr?<br />

| Dr. Uta Andrée ist Oberkirchenrätin im Kirchenamt der EKD<br />

und zuständig für Mittel- und Südamerika<br />

<strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong> | 25


Wohlstandsevangelium<br />

Wohlstand als<br />

Geschenk des Geistes?<br />

In den vorausgegangenen Texten ist in ver-<br />

schiedenen Zusammenhängen auch der Begriff<br />

„Wohlstandsevangelium“ oder „Prosperity<br />

Gospel“ aufgetaucht. Das mag zunächst überraschen,<br />

denn beim Thema „Charismatisierung“<br />

dominieren Assoziationen eines<br />

enthusiastischen Christentums. Tatsächlich<br />

gehören aber Hoffnungen auf irdisches Wohlergehen<br />

und Strategien zur Verbesserung der<br />

Lebensumstände in diesen Themenzusammenhang,<br />

wie Christoph Anders beschreibt.<br />

Vorstellungen vom Wohlstandsevangelium haben<br />

sich weltweit ausgebreitet und prägen mittlerweile historische<br />

protestantische Kirchen ebenso wie die römischkatholische<br />

Kirche. Insbesondere sind sie im Bereich von<br />

(neo-)pfingstlichen Kirchen und Gemeinden in den letzten<br />

drei Jahrzehnten verstärkt wahrgenommen worden. Und<br />

obwohl es an Extrempositionen deutliche Kritik innerhalb<br />

und außerhalb der Pfingstbewegung gab und gibt, behalten<br />

solche Vorstellungen eine große Anziehungskraft. Prosperity<br />

Gospel wird in der Forschung mit gutem Grund<br />

als Kennzeichnung für „eine der wichtigsten theologischen<br />

Strömungen der gegenwärtigen charismatischen Frömmigkeit“<br />

bezeichnet. 5 Ein etwas genauerer Blick ist also sinnvoll.<br />

6<br />

Dazu drei kurze Schlaglichter: Ein junger Mann aus Nigeria<br />

hatte als Reaktion auf Predigtaufrufe des Pfarrers<br />

seinen Volkswagen der Gemeinde gespendet in der festen<br />

Erwartung, er würde stattdessen durch Gottes Hilfe einen<br />

Mercedes-Benz erhalten. Als dieser nach einiger Zeit immer<br />

noch nicht eintraf, sah er Gott bei dem mit ihm abgeschlossenen<br />

„Vertrag“ als wortbrüchig an und ging nicht<br />

mehr zur Kirche. 7<br />

Eine Jugendmusikgruppe aus Accra/Ghana mit dem Namen<br />

„Calvary Road“ (Straße nach Golgatha) entwickelte<br />

sich in den späten 1980er Jahren zu einer Gemeinde. Diese<br />

veränderte im Laufe der Jahre ihren Namen in „Harvesters<br />

International“ (Internationale Erntearbeiter), da Golgatha<br />

als Begriff zu negativ mit Verzweiflung, Leiden und Agonie<br />

26 | <strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong><br />

An der Schnellstraße von Lagos<br />

nach Ibadan werben die neuen<br />

Kirchen mit großen Plakatwänden.<br />

Ihre Namen und Slogans sind<br />

Programm: „Victory Christian<br />

Church“ oder „The Communion<br />

Church – Relationship is everything“<br />

besetzt sei. Weil Namen nach traditionell afrikanischem<br />

Verständnis Einflüsse auf Lebensumstände ihrer Träger<br />

zugeschrieben werden, wurde gegen ein mühselig-kampfbetontes<br />

Leben eine Selbstbeschreibung gesetzt, die an das<br />

Einbringen der Gaben erinnert, die von Gott seinen Gläubigen<br />

versprochen sind. 8<br />

Sonntags-Gottesdienst in einer Pfingstgemeinde in Kapstadt.<br />

Der Gast-Pfarrer predigt über Möglichkeiten, Krankheiten<br />

durch Heilungen zu überwinden. Am Ende zerschneidet<br />

er demonstrativ seine Krawatte in mehrere Teile<br />

und händigt diese mit dem Hinweis auf ihre heilende<br />

Kraft an Gemeindeglieder aus, die selbst krank sind bzw.<br />

Kranke zu pflegen haben. 9<br />

Jacob Silberberg/Getty Images


Diese Beispiele mögen befremden, können aber als exemplarisch<br />

gelten für die Weltsicht des Wohlstandsevange-<br />

liums. Wie ließe sich sein Kern benennen? „Predigen, interpretieren<br />

und lehren des Wortes Gottes und der Frohen<br />

Botschaft von Jesus Christus unserem Herrn in einer<br />

selbst-bedienenden Weise, die ihre Betonung auf prestigeträchtigen<br />

Konsumismus setzt, um damit zu suggerieren,<br />

dass der Besitz der materiellen Dinge dieser Welt notwendige<br />

Indikatoren einer genuinen Christlichkeit und Gottes<br />

Anerkennung sind.“ 10 Hier wären wegen unterschiedlicher<br />

Akzente in den USA, Afrika, Asien und Lateinamerika 11<br />

manche Differenzierungen angebracht, vereinfachend<br />

kann jedoch Folgendes festgehalten werden 12 :<br />

Es geht um Formen christlicher Verkündigung und entsprechendem<br />

Leben, bei denen Reichtum, Gesundheit, Erfolg,<br />

Glück und andere Ausprägungen irdischen Wohlergehens<br />

im Mittelpunkt stehen. Gläubige sollen Anteil bekommen<br />

am Sieg Jesu Christi über Sünde und Krankheit 13 , an der<br />

Erlösung vom Fluch des Gesetzes und eben auch vom Fluch<br />

der Armut. Sie haben Anspruch auf Gottes erfahrbaren Segen,<br />

denn ein „Leben in seiner ganzen Fülle“ (Joh.10,10) 14<br />

ist seit der Schöpfung sein bleibend gültiger Wille. Krankheiten<br />

und andere Ausprägungen von Leid haben ihren<br />

Ursprung im Teufel als Gottes Widersacher und sind eigentlich<br />

bereits mit dem Kreuz Christi überwunden. Durch<br />

die Wiedergeburt im Heiligen Geist, die Erschaffung des<br />

<strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong> | 27


Wohlstandsevangelium<br />

neuen, inneren Menschen bekommen Christen/innen Zugang<br />

in die „geistige, übernatürliche Dimension“, die die<br />

materielle Welt, einschließlich den Körper beeinflusst. 15 Die<br />

Brücke zu dieser anderen Wirklichkeit ist der Glaube. Dieser<br />

hat sein Zentrum in der Gewissheit der Erhörung von<br />

klar formulierten Gebetsanliegen 16 und entwickelt umwälzende,<br />

schöpferische Kraft. Christen „müssen lediglich das,<br />

was schon existiert, durch die Macht des Glaubens in der<br />

physikalischen Welt ins Leben rufen“. 17<br />

Ein solcher Glaube muss auch öffentlich zu Gott stehen,<br />

„positive Bekenntnisse“ vor den Mitmenschen werden erwartet.<br />

In ihnen wird Gott für Gebetserhörungen bereits<br />

gedankt, die sich in der irdischen Realität noch materialisieren<br />

müssen. 18 Auch andere Aspekte gehören zu den gegenseitig<br />

verpflichtenden „Bündnissen“ und „Pakten“, die<br />

zwischen den Gläubigen und Gott geschlossen werden sollen.<br />

Von Gott her wird Wohlstand, Leben in Fülle zugesagt,<br />

von den Gläubigen die Selbstverpflichtung zu umfassenden<br />

Spenden, besonders des Zehnten. Solche Gaben gehen an<br />

Pfarrer, Gemeinde oder Kirche als Akteure im geistlichen<br />

Kampf für die Ausbreitung der weltumspannenden Mission<br />

Gottes zur Errichtung seines Reiches. 19 In diesen Kampf<br />

gehören auch symbolische und reale „Landnahmen“ durch<br />

die Kinder Gottes. Denn wie die Israeliten seinerzeit beim<br />

Auszug auch Eigentum der Ägypter „mitgehen“ 20 ließen, so<br />

ist es heute an den Christen, den „illegalen“ Besitz anderer<br />

zu durchbrechen und selbst „Einzug zu halten“ 21 . Konstellationen<br />

erkennbaren Wohlstands etwa bei Pfarrern und<br />

Gemeindeleitern werden als deutliche Spuren des „Segens<br />

Abrahams“ gewertet 22 , als Erfüllungserweise wahrer Glaubenstreue<br />

und göttlichen Wohlgefallens. Von einem „geheiligten<br />

Konsumismus“ oder „heiligen Materialismus“ 23<br />

kann gesprochen werden. Also: „Warum auf den Himmel<br />

warten, um deine Villa zu bekommen“? 24<br />

Entstehung und Protagonisten<br />

Nur einige kurze Hinweise auf Entstehung und einige<br />

herausragende Vertreter solcher Positionen und ihre Kirchen:<br />

Es herrscht Übereinstimmung, dass die Wurzeln<br />

des Wohlstandsevangeliums in der „Glaubensbewegung“<br />

(„Faith-Movement“), der „Christlichen Wissenschaft“ und<br />

dem „Neuen Denken“ in der zweiten Hälfte des vergangenen<br />

Jahrhunderts liegen. 25 In die Pfingstbewegung hielt<br />

es Einzug u. a. durch Kenneth E. Hagin 26 , Kenneth und<br />

Gloria Copeland sowie Oral Roberts. Dabei lässt sich eine<br />

aufschlussreiche Transformation verschiedener Strömungen<br />

pentekostalen Denkens feststellen: Von einem lange<br />

ausgeprägten Verständnis von Heilung über ein ganzheitliches<br />

Verständnis von Gesundheit zu einem Denken in<br />

28 | <strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong><br />

Jacob Silberberg/Getty Images<br />

Gottesdienst der „Redeemed Church of Christ“ in Nigeria: Die Kirche ist ein<br />

Beweis für wirtschaftlichen Erfolg, denn sie hat sich aus kleinsten Anfängen im<br />

Westen Nigerias zu einer Kirche entwickelt, die Gemeindegründungen weltweit<br />

vorantreibt.<br />

Kategorien des Wohlstands 27 in den letzten Jahrzehnten<br />

des vergangenen Jahrhunderts.<br />

Für unseren Zusammenhang sind Ausprägungen dieses<br />

Denkens in der afroamerikanischen „Black Christianity“-<br />

Szene in den USA wichtig. Denn dort trafen Motive des<br />

Wohlstandsevangeliums auf eine lange verwurzelte Suche<br />

nach geistlichem und materiellem Wohlstand, die ihre Ursprünge<br />

hatte in Erfahrungen der Sklaverei und rassischer<br />

Unterdrückung. Aus dieser Geschichte waren Hoffnungen<br />

auf gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft<br />

gewachsen, wie sie besonders in der Bürgerrechtsbewegung<br />

vertreten wurden. 28 Im Zusammenkommen dieser<br />

Linien wurde in verschiedenen schwarzen, pentekostalen<br />

Kirchen „empowerment“ zum Schlüsselbegriff, der zu-


gleich individuelle und kollektive Prozesse bezeichnete.<br />

Diese Entwicklung wird heute personifiziert etwa durch<br />

den berühmten Mega-Church-Prediger Thomas Dexter<br />

Jakes in Dallas. 29<br />

Diese gesellschaftspolitische Dimension des Wohlstandsevangeliums<br />

im Kontext der Black Christianity ist für die<br />

Ausbreitung entsprechender Vorstellungen in Afrika von<br />

Bedeutung. Denn die angedeuteten afro-amerikanischen<br />

Vorstellungen ließen sich verbinden mit pan-afrikanischen<br />

postkolonialen Diskursen, die zu neuen, kontextualisierten<br />

Vorstellungen von black power, black pride and black prosperity<br />

führten. 30 Auch Mensa Otabil, Gründer der International<br />

Central Gospel Church (ICGC) in Accra, Ghana, gehört<br />

seit vielen Jahren zu den afrikaweit einflussreichen Theologen<br />

und Akteuren im öffentlichen Raum. Auch er verbindet<br />

persönlichen „Durchbruch“ mit gesellschaftlichem<br />

„Aufbruch“. 31 Überregionalen Einfluss erlangten Erzbischof<br />

Benson Idahosa (Nigeria) und Erzbischof Duncan Williams<br />

(Ghana). 32 In Brasilien hatte 1977 Bischof Edir Macedo Bezerra<br />

die „Universalkirche vom Reich Gottes“ (IURD) gegründet.<br />

Sie zählt heute mit weltweit ca. zwei Millionen<br />

Mitgliedern, 2.000 Gemeinden in 70 Ländern zu den weltweit<br />

aktiven neo-pfingstlichen Global Playern. 33 Starken<br />

Einfluss hatte auch Pfarrer D. Yonggi Cho und die Yoido<br />

Full Gospel Church in Seoul/Korea, der mit über 200.000<br />

Mitgliedern weltweit größten Einzelgemeinde. 34<br />

Instrumente der Verbreitung<br />

Wie werden Vorstellungen des Prosperity Gospel ausgedrückt<br />

und unter den Menschen verbreitet? 35 Moderne Medien<br />

spielen erklärtermaßen eine ebenso große Rolle wie<br />

Bücher und Traktate, die weltweit elektronisch unter „das<br />

Volk“ gebracht werden. Die Namen von neueren Kirchen<br />

und Gemeinden sind bezeichnend: Victory Bible Church;<br />

Conquerors Chapel International; Overcomers Ministries<br />

International; Winners’ Chapel; Holy Gost Power Ministries<br />

International. Nicht zufällig sind – neben der Taube für den<br />

heiligen Geist – Weltkugel und Adler häufige Symbole in<br />

Kirchenlogos.<br />

Veranstaltungsthemen lauten: „Six days powerful Revival“,<br />

„Komm und bete für deinen Durchbruch“ oder „Anspruch<br />

erheben auf Gottes Versprechen“. Ein 21-tägiges Gebetsfasten<br />

wird als „War Cry“ mit dem Thema „Naturgesetze<br />

aufheben“ angekündigt; „Hebe deine Augen auf und<br />

vergrößere dein Zelt“, so der Titel für Wohlstands- oder<br />

„Empowerment“-Gipfel. „Aufstiegs-Seminare“ rufen Teilnehmende<br />

dazu auf, „die finanzielle Schlacht (zu) gewinnen“.<br />

Dafür ist es nötig, der Aufforderung zu folgen: „Komm<br />

Jacob Silberberg/Getty Images<br />

auf den Highway in das gelobte Land“ oder „bereite dich<br />

vor zu übernehmen“. Die Selbstvorstellungsplakette an der<br />

Außenwand einer neo-pentekostalen Kirche lautet: „Friede<br />

in meinen Grenzen, Wohlstand in meinen Palästen“.<br />

Programmatische Auto-Aufkleber sind ebenfalls beliebt:<br />

„Mit Jesus werde ich immer gewinnen“, oder: „Ich rieche<br />

Erfolg“. Solche generellen Ansagen werden gern auch auf<br />

Jahresziele konkretisiert: „<strong>2010</strong>: Mein Jahr des Ruhmes“;<br />

„<strong>2011</strong>: Mein Jahr der doppelten Menge.“ Mit Recht lassen<br />

sich Einstellungen, die sich in diesen Beispielen finden,<br />

mit dem neopentekostalen Schlüsselsatz zusammenfassen:<br />

„Your life shall never be the same“ 36 .<br />

Einen Scheck über 10.000 nigerianische Naira (etwa 50 Euro) schreibt<br />

die Besucherin eines Gottesdienstes der „City of David Church“ aus.<br />

In nicht wenigen neopentekostalen und charismatischen Kirchen<br />

Afrikas werden so Millionenbeträge eingesammelt.<br />

Kritik<br />

Wo setzt nun die zum Teil massive Kritik an Prosperity<br />

Gospel-Vorstellungen an? 37 Immer wieder wird ein irreführendes<br />

Bibelverständnis moniert, das einzelne Verse aus<br />

ihrem Zusammenhang löst und uminterpretiert, ganze Passagen<br />

zur nachträglichen Legitimation bereits bestehender<br />

Vorstellungen funktionalisiert. So wird zum Beispiel der<br />

breite Strom biblischer Warnungen vor Reichtum, Mammon<br />

und Gier ausgeblendet 38 . Dabei wird durchaus anerkannt,<br />

dass Abschnitte der Bibel ein umfassendes, die verschiedenen<br />

Dimensionen des Lebens umgreifendes Verständnis<br />

von Segen und Schalom entfalten.<br />

Ein formelhaftes, reduziertes Glaubensverständnis mit<br />

automatisch funktionierenden Gesetzmäßigkeiten wird<br />

<strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong> | 29


Wohlstandsevangelium<br />

zurückgewiesen. Im Kontext des Wohlstandsevangeliums<br />

wird „Gott zu einem ‚Geist in der Flasche‘, dessen Hauptaufgabe<br />

darin besteht, auf menschliche Manipulationen zu<br />

antworten.“ 39 Gegenüber solchen menschlichen Versuchen,<br />

Gott durch geistliche Formeln – auch „positive Bekenntnisse“<br />

– letztlich domestizieren zu wollen, wird die Souveränität<br />

des göttlichen Gnadenwillens für die Menschen<br />

unterstrichen. 40<br />

Weil Krankheit angeblich dem Willen Gottes widerspricht,<br />

soll und kann jede/r geheilt werden, wenn er/sie nur richtig<br />

glaubt. Fortdauernde oder nach menschlichem Wissen<br />

„unheilbare“ Krankheiten werden folglich mit sündhaftem<br />

Leben in Beziehung gebracht, was biblisch-theologischen<br />

Zentralvorstellungen – und etwa auch dem Lebensbeispiel<br />

des Paulus – keineswegs entspricht. „Mit der Leugnung von<br />

Krankheiten verwirft das Wohlstandsevangelium die wichtige<br />

eschatologische Dimension der Heilung“. 41 Verworfen<br />

wird eine um sich greifende „Theologie der Herrlichkeit“,<br />

in der letztlich kein Platz ist für das Kreuz Christi. Dessen<br />

Heilsbedeutung wird massiv relativiert. Menschliche<br />

Leiderfahrungen können nur als zu überwindende, weil<br />

gegen Gottes Willen stehende „Lügen des Teufels“ gesehen<br />

werden. 42 „Ebenfalls verneinen wir, dass Armut, Krankheit<br />

oder ein früher Tod immer Zeichen eines Fluches Gottes<br />

sind oder der Beweis mangelnden Glaubens oder das Resultat<br />

menschlicher Flüche, denn die Bibel weist solche<br />

simplen Erklärungen zurück“. 43<br />

Damit sind auch gravierende seelsorgerliche Vorbehalte gegeben.<br />

Denn wenn die gewünschten Glaubens-Ergebnisse<br />

auch nach längerem Warten nicht eintreten, bleiben letzlich<br />

nur Verdrängung, Umdeutung oder Nicht-Akzeptanz<br />

von Erfahrungen, welche die Glaubensgewissheit erschüttern<br />

können. Oder aber die „Schuld“ am Ausbleiben der<br />

Glaubenserfolge wird mit Vorwürfen an die eigene oder<br />

an fremde Adressen 44 verwiesen. Schließlich ist auch das<br />

Verlassen des Glaubensweges eine von den Ausgangsvoraussetzungen<br />

her folgerichtige Konsequenz, weil es im<br />

Kern weniger um ein Vertrauen auf Gott, sondern um einen<br />

„Glauben an den eigenen Glauben“ geht. Wenn es zu<br />

einem „Teufelskreis von Versagen, Frustration und Resignation“<br />

45 kommt, sind für die Betroffenen letztlich kaum<br />

allgemein akzeptierte, theologisch begründete Auswege<br />

vorhanden.<br />

Das Wohlstandsevangelium ist – so die Kritik – dennoch<br />

keine Gute Nachricht für die Armen: Sie werden zusätzlich<br />

ihrer Würde beraubt, weil der Umstand, unter unmenschlichen<br />

Bedingungen leben zu müssen, als gottfern<br />

gedeutet wird. Im Wohlstandsevangelium geht es letztlich<br />

30 | <strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong><br />

Per-Anders Pettersson/Getty Images<br />

Man muss sich nicht einmal am Wohlstand im Globalen Norden orientieren – er<br />

ist greifbar nahe: Die schwarze Mittelklasse in Südafrika präsentiert gerne ihren<br />

Reichtum, wenn sie am Wochenende zu ihren Verwandten nach Soweto fährt.<br />

um das Geld, das zum Götzen, zum Mammon wird. Dem<br />

dient die wachsende Bedeutung von Spenden-Sammlungen<br />

und Kollekten 46 in Gottesdiensten und eine stark auf<br />

sie bezogene, reduzierte Wortverkündigung. Geben ist dabei<br />

weniger ein gottesdienstlicher Akt des Teilens, sondern<br />

wird mit expliziten Erwartungen an sichtbare, vielfache<br />

Rückerstattungen durch Gott verbunden. Es ist quasi<br />

eine Investition in die irdische Zukunft, beschrieben als<br />

„Aussaat eines Samens“. Manche der dabei vorgetragenen<br />

Vorstellungen erinnern in fataler Weise an vorreformatorische,<br />

Tetzel’sche Ansichten. 47 Mit der Verführung zum<br />

Wahn eines raschen materiellen Erfolges werden in aller<br />

Regel keine tragfähigen Lösungen für die Probleme des<br />

Alltags angeboten.<br />

Meist sind es nur Pfarrer und Leitende in Gemeinden und<br />

Kirchen, die tatsächlich durch Spenden reich werden. Faktisch<br />

wird eine „Kultur der Gier“ unterstützt, wird das Streben<br />

nach Einfluss und Reichtum häufig zum entscheidenden<br />

Antrieb auch des pastoralen Handelns. Es entstehen<br />

„andere Opfer des Wohlstandes“, denn sie verlieren die Nöte


Südafrika<br />

Auf in die Welt!<br />

Helga Dickow und Valerie Møller haben Mitglieder der<br />

charismatisch-pentekostalen Grace Bible Church in<br />

Soweto/Südafrika befragt und deren Einstellungen<br />

mit denen anderer Denominationen verglichen.<br />

Die pentekostal-charismatische Grace Bible Church<br />

in Soweto wurde 1983 gegründet und hat derzeit etwa<br />

11.000 Mitglieder. Frauen und Mitglieder mit höherer<br />

Ausbildung und Einkommen sind leicht überrepräsentiert,<br />

das Durchschnittsalter liegt bei 35 Jahren. Fast<br />

alle Mitglieder kamen von anderen Kirchen, wobei<br />

die Methodisten stark, und die Reformierten schwach<br />

vertreten sind. Nur sechs Prozent waren vorher<br />

Mitglied einer anderen neo-pentekostalen Kirche.<br />

Überzeugt hat die Kirche durch ihre Spiritualität.<br />

Eine hohe Anzahl von Mitgliedern erwähnt seit Eintritt<br />

in die Kirche Fortschritte in Gesundheit, Einkommen,<br />

sozialen Beziehungen und Selbstsicherheit. Die<br />

Mitglieder der Grace Bible Church beten häufiger als<br />

andere schwarze Gläubige in Gauteng. Fast alle hatten<br />

der bleibend Armen ebenso aus den Augen, wie eine angemessene<br />

Haushalterschaft für die ihnen anvertrauten<br />

Gaben. Die einen wie die anderen brauchen pastorale Begleitung.<br />

Gerade Pfarrer und Bischöfe leben vielfach nicht<br />

entsprechend der biblischen Aufforderung, vorbildhaft einen<br />

einfachen Lebensstil zu praktizieren. 48<br />

Die Lehren des Wohlstandsevangeliums werden summarisch<br />

als „Verirrung“, „falsches“ bzw. „anderes Evangelium“<br />

klassifiziert. Weil „Wundersuche“ anstelle echter Evangelisation<br />

platziert, der Aufruf zur Buße durch das Einsammeln<br />

von Spenden ersetzt und statt des ewigen Heils<br />

Lebensbewältigung angeboten wird. Im Blick auf die unsachgemäßen<br />

Betonungen der irdischen Lebensumstände<br />

wie Heilung, Überwindung von Armut und Leiden gelten<br />

Prosperity-Ansätze als nicht nachhaltig, weil sie ein unrealistisches<br />

Bild des Lebens entwerfen. Sie bergen insofern<br />

ausdrücklich die Gefahr, dass sie von einer Konzentration<br />

auf die Bedeutung des eigentlichen Zieles der Sendung<br />

Jesu, nämlich der am Kreuz geschehenen Rettung der Menschen<br />

aus ihren Sünden ablenken können. 49<br />

Gründe für den Erfolg<br />

Angesichts solch massiver Bedenken muss noch einmal<br />

gefragt werden, warum das Wohlstandsevangelium dennoch<br />

und anhaltend erfolgreich ist Auch hierzu nur wenige<br />

ausgewählte Aspekte:<br />

charismatische Erfahrungen: Zwei Drittel haben selbst<br />

in Zungen geredet, 85 Prozent geben an, vom Heiligen<br />

Geist geheilt worden zu sein. Fast alle Befragten glauben<br />

an die buchstäbliche Wahrheit der Bibel, zeigen sich<br />

aber in Sachen Frauenemanzipation liberaler als andere<br />

Christen in Gauteng – nur sechs Prozent fanden, dass<br />

Frauen zu Hause bleiben sollten. Andererseits haben<br />

zwei Drittel kein Verständnis für eine Regierung, die<br />

Abtreibung, Homosexualität und gleichgeschlechtliche<br />

Ehen erlaubt und die Todesstrafe abschafft.<br />

Die Mitglieder der Grace Bible Church zeigen mehr<br />

Mitgefühl für Arme und Bedürftige und würden Arme<br />

auch finanziell unterstützen. Im Vergleich zu anderen<br />

Christen fühlen sie sich weniger machtlos, haben geringere<br />

Zukunftsängste und sind offener für Veränderungen.<br />

Fleiß und eine gute Ausbildung sehen die Kirchenmitglieder<br />

als entscheidend für den Erfolg im Beruf<br />

an. Mehr als andere Menschen sehen sie sich bereits<br />

als Angehörige der „Middle Class“ und erwarten<br />

weiteren gesellschaftlichen Aufstieg.<br />

| Zusammenfassung: Drea Fröchtling/Owe Boersma<br />

<strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong> | 31


Wohlstandsevangelium<br />

Die florierende „Nollywood“-Filmindustrie Nigerias transportiert in ihren Filmen Bilder afrikanischen Reichtums und Erfolgs. An dieser<br />

Lebenswelt orientieren sich die Träume vieler Menschen. Hier wird in Abidjan/Elfenbeinküste für eine DVD „The Last Supper“ geworben.<br />

Prosperity Gospel muss zunächst verstanden werden vor<br />

dem gesamtafrikanischen Hintergrund von verbreiteter Armut<br />

und partiellem Reichtum. Warum werden Wege aus der<br />

Armut verstärkt in den Kirchen gesucht? Die Ressourcen<br />

sind bleibend ungleich verteilt, der Graben zwischen Reich<br />

und Arm hat sich auch bei zunehmender Einbindung in<br />

globale Märkte vertieft, und Regierungen bzw. Akteure der<br />

Entwicklungszusammenarbeit gelten aufgrund unerfüllt<br />

bleibender Versprechungen und erfolgloser Projekte weithin<br />

als delegitimiert. In einem Klima umfassender gesellschaftlicher<br />

Instabilität gehören Kirchen zu Garanten von<br />

Stabilität und Zukunftsperspektiven. Auch deshalb sind<br />

Denkfiguren des Wohlstandsevangeliums mittlerweile<br />

zur Identität vieler pentekostal/charismatischer Kirchen<br />

geworden, weil darin Gottes helfendes Eingreifen verkündet<br />

wird, weil Auswege, Aufstiege, Durchbrüche also<br />

umfassende Lebensverbesserungen offenbar glaubhaft in<br />

Aussicht gestellt werden. Der rasche Verdacht, dass die<br />

Mehrheit der Anhänger nicht weiß, was sie tut, bzw. die<br />

Verführten nicht erkennen, wozu sie missbraucht werden,<br />

32 | <strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong><br />

kommt solidarisch daher, entbehrt aber nicht eines gewissen<br />

paternalistischen Zungenschlages.<br />

Auch Kritiker räumen ein: Das Wohlstandsevangelium und<br />

ähnliche, „motivierende“ Verkündigungsformen haben Potential<br />

für Empowerment. Als widrig erlebte Verhältnisse<br />

gelten aufgrund eigenen Tuns und Lassens als veränderbar.<br />

In einem Kontext von Ohnmacht werden durch neues<br />

Selbstbewusstsein Stärkungserfahrungen, Aufbrüche und<br />

neue Hoffnungen für das „alltägliche Leben in einer ungerechten<br />

sozialen Ordnung“ möglich. 50 Ein zusammenfassender<br />

Satz der oben vorgestellten Prosperity Gospel-Instrumente<br />

könnte lauten: „You can do it!“ 51 Wenn Rettung<br />

von der Sünde, Heilung von Krankheit und Hilfe bei der<br />

Überwindung von Armut zusammengehören, dann könnte<br />

ein Grund für den Erfolg des Wohlstandsevangeliums<br />

schlicht darin bestehen: „Dieses Versprechen hat eine gute<br />

Chance, erfüllt zu werden.“ 52 In ähnliche Richtungen weisen<br />

auch neuere Tendenzen, in denen Versprechen von<br />

Aufstieg und Durchbruch stärker eingebunden werden in<br />

Kambou Sia/AFP/Getty Images


Sozial- und Entwicklungsprojekte, die von den Kirchen in<br />

Eigenregie aufgebaut und vor Ort durchgeführt werden. 53<br />

Yong unterstreicht den starken Erfahrungsbezug von Vorstellungen<br />

des Wohlstandsevangeliums. Neue Christen/<br />

innen sind nicht nur in Afrika mehrheitlich durch eigene<br />

oder fremde Erfahrungen von Heilung und ganzheitlichen<br />

Segnungen – Reichtum eingeschlossen – in direkten Kontakt<br />

mit dem christlichen Glauben gekommen. Die Zentren<br />

der Christenheit haben sich in den Globalen Süden<br />

verlagert, weil die Menschen Gott dort als Retter nicht nur<br />

von Körper und Seele erfahren haben, sondern auch als<br />

Transformator ihrer Lebensumstände hin zum Besseren.<br />

Christliche Erlösung äußert sich konkret im erkennbaren<br />

Wohlergehen derer, die Christus und dem Heiligen Geist<br />

nachfolgen. So kann Prosperity Gospel verstanden werden<br />

als die „neueste Form der Kontextualisierung des christlichen<br />

Glaubens in der nicht-christlichen Welt (…) Aber<br />

was meint es, die Gute Nachricht zu indigenisieren oder<br />

inkulturieren in Kontexten, die von Armut, Krankheit und<br />

Unter-Entwicklung gekennzeichnet sind? In diesen Situationen<br />

muss ein Evangelium, das einen Unterschied macht,<br />

Körper heilen, sozioökonomischen Aufstieg ermöglichen<br />

und Wohlstand mit sich bringen“. 54<br />

In vielen Vorstellungen des Wohlstandsevangeliums werden<br />

Adaptionen traditionellen afrikanischen Denkens an<br />

christliche Denkfiguren ausgemacht. Religion ist danach<br />

vorrangig eine Überlebensstrategie, in der eine angemessene<br />

Praxis mit irdischem Wohlergehen vergolten wird.<br />

Gleichzeitig wird deutlich, dass traditionelle afrikanische<br />

Geister-, Dämonen- und Hexen-Vorstellungen seit geraumer<br />

Zeit an Einfluss gewinnen. Gute und böse Kräfte aus der<br />

übernatürlichen Welt beeinflussen das alltäglich irdische<br />

Leben. Deshalb sind „Bündnisse“ mit ihnen nötig, wozu<br />

auch Opfergaben zählen. 55 Es zeigt sich hier jedenfalls das<br />

Phänomen, dass in (neo-)pentekostalen Gemeinschaften<br />

und Kirchen eine Rhetorik des Bruches mit afrikanischen<br />

Glaubenstraditionen einhergehen kann mit einer Adaption<br />

und Modifikation für eigene Vorstellungen, zum Beispiel<br />

im Kontext von „spiritual warfare“. Solche Kompatibilitäten<br />

wären im Blick auf dessen Erfolge noch weiter zu untersuchen.<br />

56<br />

Mit Recht weist Schmidt darauf hin, dass es für bestimmte<br />

Formen des Wohlstandsevangeliums sowohl biblische Begründungen<br />

als auch weit verbreitete kirchengeschichtliche<br />

Parallelen gibt. Am spezifischen, machtvollen Einsatz<br />

Jesu von Nazareth für Arme, Kranke und Ausgeschlossene<br />

lässt sich erkennen, dass weder Krankheit noch Marginalisierung<br />

noch Armut passiv, tatenlos als von Gott schicksal-<br />

haft gegebene Lebensumstände gesehen werden können. 57<br />

Entsprechende Vorstellungen werden weltweit – etwa auch<br />

im Kontext von Basisgemeinden in Lateinamerika – geteilt,<br />

weil sich keine biblischen Linien finden lassen, die aufgezwungene<br />

Armut, Ungerechtigkeit und Elend rechtfertigen.<br />

Solche Vorstellungen mögen in bestimmten Regionen<br />

in Vergessenheit geraten sein, weil „sie nicht mehr in die<br />

aufgeklärte Weltanschauung vieler heutiger Christen passen“<br />

58 – an ihrer Verbreitung und Akzeptanz ändert das<br />

nichts.<br />

Zwischenbilanz<br />

Die Überlegungen haben hoffentlich gezeigt, dass dem Phänomen<br />

des Wohlstandsevangeliums durchaus eine größere<br />

Aufmerksamkeit entgegen gebracht werden sollte. 59 Hier<br />

soll nur auf einen Passus aus dem Fazit der Hamburg-<br />

Konsultation hingewiesen sein: „Zusammen mit Pentekostalen<br />

und Charismatikern glauben wir, dass es Gottes<br />

Wille ist, dass alle Menschen ein Leben in Fülle haben.<br />

Deshalb sind wir herausgefordert, durch die Gesundheits-<br />

und Wohlstands-Botschaft (prosperity Gospel), die in vielen<br />

charismatischen und neo-pfingstlichen Gemeinden gepredigt<br />

wird, eine Theologie des Segens zu entwickeln, die<br />

das Kreuz nicht außer Acht lässt. Prosperity Gospel ist im<br />

Kern korrumpiert, wenn es keine kritische Analyse gibt,<br />

wie Wohlstand erreicht worden ist.“ 60<br />

| Christoph Anders<br />

<strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong> | 33


Einordnungen und Ausblicke<br />

Einordnungen, Vergleiche<br />

und Ausblicke<br />

In diesem abschließenden Abschnitt nehmen<br />

wir Einsichten aus den ersten beiden Kapiteln<br />

auf, um sie in größere Zusammenhänge einzuordnen<br />

und sie mit hiesigen Konstellationen<br />

zu vergleichen. Schließlich stellen wir einige<br />

Thesen auf, die für die Arbeit des <strong>EMW</strong> und<br />

seiner Mitglieder wichtig sein können.<br />

Das Christentum in Afrika befindet sich in weitreichenden<br />

Transformationsprozessen, die Forscher als „Afrikanische<br />

Reformation“ beschreiben. Pentekostale Kirchen,<br />

Afrikanisch Initiierte Kirchen (AIC) und charismatisierte<br />

„Missionskirchen“ bieten einen inzwischen mehrheitsfähigen<br />

Glaubenstypus mit starker Prägung durch Geistesgaben.<br />

61 Während in diesem Umfeld die Charismatisierung<br />

der mit europäischen Kirchen verbundenen Partnerkirchen<br />

gewachsen ist, hat sich davon autonom ein „kirchliches Geschäftsmodell“<br />

neo-pentekostaler Ausprägung verbreitet.<br />

Viele Theologen bewerten die Erfahrung der Ermächtigung,<br />

vor allem gebildeter Afrikaner, zu einem selbstbewussten<br />

und selbstbestimmten Lebensstil als positiv. Afrikanische<br />

Theologen stellen fest: Die Missionskirchen haben „Double-<br />

Standard-Christen“ produziert, die zwischen europäischer<br />

Theologie und afrikanischer Lebenswirklichkeit pendeln.<br />

Dagegen ist die Auseinandersetzung mit dem konkreten<br />

Bösen und mit Krankheit und Heilung in charismatischen<br />

Kontexten eine neue Form der Kontextualisierung, eine an<br />

afrikanische Lebenswelten angepasste Version des Christentums.<br />

Tatsächlich werden in Kreisen der Partnerkirchen Versuche<br />

unternommen, charismatische Elemente zu integrieren. In<br />

Kamerun ist es der PCC über mehr als zwanzig Jahre gelungen,<br />

(weiteren) Abspaltungen vorzubeugen. Liturgische<br />

Flexibilität in Sachen Taufe und die Offenheit für Gebetsheilungen<br />

sind dort wichtige Elemente. Die Herrnhuter Kirche<br />

in Tansania hat eine kirchenmusikalische Erneuerung<br />

vollzogen und in vielen Gemeinden neben herkömmlichen<br />

Gottesdiensten am Sonntagvormittag einen Erweckungsgottesdienst<br />

am Nachmittag eingeführt. Dort werden verschie-<br />

34 | <strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong><br />

dene Elemente pentekostaler Spiritualität aufgenommen.<br />

Dieses Modell ist auch vielerorts in lutherischen Gemeinden<br />

in Tansania zu beobachten. Die Spannung zwischen<br />

etablierter Kirche und „Bewegung“ bleibt in diesen Kirchen<br />

bestehen, eskaliert aber (noch) nicht. Etwa bei der Baptist<br />

Convention of Malawi, wird jedoch das verbreitete Phä-<br />

nomen beobachtet, dass charismatische Christen häufig<br />

den Anspruch erheben, bessere Christen als Nicht-Charis-<br />

matiker zu sein, was zu Konflikten zwischen den Gruppen<br />

führt.<br />

Umgang mit Konflikten<br />

Mit den Konflikten wurde und wird unterschiedlich umgegangen.<br />

Manche Kirchen und Gemeindeleitungen schlossen<br />

die „Erweckten“ oder „Erneuerer“ aus. Anderenorts<br />

verließen diese ihre Kirche und gründeten die charismatische<br />

Version der Heimatkirche oder schlossen sich anderen<br />

Kirchen an.<br />

Die Integration von charismatischen Elementen hat in einigen<br />

Partnerkirchen die Leitungsebene erreicht. Ende <strong>2010</strong><br />

wurde in der Presbyterianischen Kirche Ghanas mit mehr<br />

als 70 Prozent der Stimmen der Synode ein dezidiert charismatischer<br />

Moderator gewählt. Die äthiopische Mekane<br />

Yesus-Kirche hat in den höchsten Ämtern profilierte Charismatiker<br />

und bezeichnet sich schon seit längerer Zeit als<br />

„charismatische und lutherische Kirche“. Vergleichbare<br />

Entwicklungen sind auch bei anderen Kirchen im Gang.<br />

Einige deutsche Missionswerke haben die Problematik der<br />

Charismatisierung in gemeinsamen Konsultationen angesprochen.<br />

Schon 1999 machte die Norddeutsche Mission mit<br />

ihren Partnern den Versuch, charismatische Phänomene zu<br />

benennen und eine Gewichtung für den Gebrauch in den<br />

Gemeinden vorzuschlagen. Diese Differenzierung brachte<br />

spürbare Entspannung bei den beteiligten Akteuren. Die<br />

Vereinte Evangelische Mission hat sich 2003, ebenfalls in<br />

Ghana, zu einer größeren multiregionalen Feldforschung<br />

getroffen. Im Fokus stand das Charisma der Heilung. Eine<br />

direkte Folge dieser Konsultation war die institutionel-


<strong>EMW</strong>/Heiner Heine<br />

Das Schild vor einer Pfingstkirche in Jaunde/Kamerun verspricht unter anderem Heilung von Kranken, Besessenen, Verhexten und<br />

Verwünschten im Namen Jesu Christi. Ähnliche Informationstafeln, die das Programm hervorheben, findet man vor pentekostalen<br />

Versammlungsgebäuden.<br />

le Anbindung des Themas Charismatisierung im Referat<br />

Evangelisation. 62 Aus diesem Referat sind dann auch später<br />

wichtige Impulse in Bezug auf Charismatisierung und<br />

Migrationsgemeinden gekommen.<br />

Dynamik: Wohlstandsevangelium<br />

Im Kontext der „Dritten Welle“ von (neo-)pentekostalen Erweckungen<br />

gelangten Ausprägungen eines Wohlstandsevangeliums<br />

nach Afrika, das auch für Mitglieder von<br />

historischen Kirchen attraktiv wurde. Auch wenn man<br />

Extrempositionen der dort vertretenen Theologie häufig<br />

ablehnt, so belegen doch Untersuchungen die ermächtigende,<br />

emanzipierende Seite dieser Bewegung. Diese<br />

Spannung durchzieht auch die weltweite evangelikale<br />

Bewegung, was sich exemplarisch an den Diskussionen<br />

<strong>2010</strong> in Kapstadt zeigen lässt. Gerade weil theologische<br />

Gemeinsamkeiten bestehen, müssen Verzerrungen be-<br />

nannt, und nötige Klärungen angeboten werden. 63 Zugleich<br />

werden einige der kritisierten Phänomene auch in<br />

eigenen Kontexten ausgemacht. 64 Unklar ist nicht nur für<br />

den afrikanischen Kontext, in welchem Umfang evangelikal<br />

geprägte Gemeinden, Kirchen und Organisationen<br />

von Prosperity-Phänomenen tatsächlich betroffen sind<br />

und auch Mitglieder verlieren, wenn dieses Denken vor<br />

Ort zurückgewiesen wird.<br />

Während der ökumenisch-interkonfessionellen Jubiläumskonferenz<br />

in Edinburgh <strong>2010</strong> wurde die Wohlstandsevangeliums-Thematik<br />

nicht explizit aufgerufen, sondern in<br />

anderen Zusammenhängen implizit verhandelt. 65 Dieses<br />

Schweigen ist angesichts ihrer weltweiten Anziehungskraft<br />

überraschend. Dennoch lassen sich an der Frage der Bearbeitung<br />

des Themas Armut und Reichtum auf internationaler<br />

Ebene interessante Parallelen ausmachen.<br />

<strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong> | 35


Einordnungen und Ausblicke<br />

Doch zunächst ein Blick nach Deutschland: Wir leben in<br />

einem reichen Land, unsere Kirchen gehören weltweit zu<br />

den Wohlhabenden. Dies ist u. a. ein Motiv für Migrationsbewegungen<br />

vom Süden in den Norden, auch nach Deutschland.<br />

Der Umstand, dass in diesem Land allein über tausend<br />

christliche Gemeinden aus westafrikanischen Kontexten<br />

entstanden sind, erfährt wachsende Beachtung, auch<br />

vom <strong>EMW</strong> und seinen Mitgliedern. 66<br />

Konvivenz und Dialog mit hiesigen Gemeinden anderer<br />

Sprache und Herkunft werden Gesprächsbedarf und Nachfragen<br />

über Wohlstands-Konstellation beinhalten. Ist es<br />

dann überzeugend, wenn wir als Vertreterinnen und Vertreter<br />

hiesiger Kirchen am Wohlstand unserer Gesellschaften<br />

zwar sichtbar und anhaltend partizipieren, diesen Umstand<br />

aber kaum geistlich einordnen mögen? Können wir<br />

ernsthaft Menschen aus armen Regionen der Erde, die eine<br />

glühende Hoffnung auf Überwindung elender Lebensbedingungen<br />

ins Zentrum ihres christlichen Glaubens stellen,<br />

biblisch-theologische Einseitigkeiten vorwerfen, wenn doch<br />

mit den ersten Missionaren neue Ansichten über Wohlstand<br />

nach Afrika gekommen sind? Folgerichtig haben die Missionierten<br />

von Anfang an christliche Mission mit Wohlstand<br />

in Verbindung gebracht, an dem man teilhaben möchte.<br />

Bei der Diskussion während der <strong>EMW</strong>-Mitgliederversammlung<br />

1995 wurde die Frage aufgeworfen, ob ein Dialog mit<br />

charismatischen Christen und Gemeinden, die „Deliverance“<br />

und „spiritual warfare“ treiben, überhaupt möglich<br />

ist. Die Schwierigkeit liege darin, dass das diesem Denken<br />

zugrundeliegende voraufklärerische Weltbild im Westen<br />

angeblich keine Rolle mehr spielt.<br />

Doch auch wenn sich hierzulande Christinnen und Christen<br />

als „aufgeklärt“ verstehen, so ergeben sich bei näherem<br />

Hinsehen Diskrepanzen: Engel sind bei uns „sichtbar“<br />

geworden außerhalb sakraler Räume und Zauberer,<br />

Vampire oder Feen sind für nicht wenige Menschen Teil<br />

ihres Alltags. Auch Christen suchen ihr Heil in mystischen<br />

Erfahrungen und geben einem magischen Weltbild durch<br />

entsprechende Handlungen Ausdruck. 67 Nicht selten wird<br />

bei Schicksalsschlägen danach gefragt, ob sie als „Strafe<br />

Gottes“ interpretiert werden müssen. Gleichzeitig ist die<br />

Suche nach Erfahrungen an den Grenzen des christlich<br />

bestimmten spirituellen Feldes in bestimmten Kreisen<br />

anziehend. In Deutschland wagen wir es nur selten, etwa<br />

öffentlich um eine Arbeitsstelle oder eine höhere Entlohnung<br />

zu beten. Aber die Angst vor Arbeitslosigkeit und der<br />

Verlust des erreichten Lebensstandards ist ein verbreitetes<br />

Gebetsanliegen bei den Fürbitten. Der „beweisbaren“ Schulmedizin<br />

wird in manchen Kreisen weniger geglaubt, als<br />

36 | <strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong>


<strong>EMW</strong>/Heiner Heine<br />

wenig erforschter Alternativ-Medizin, während gleichzeitig<br />

Krankensalbungen in christlichen Gottesdiensten angeboten<br />

werden. All diese Bewegungen lassen sich kaum<br />

mit einem „Vor“ oder „Nach“ in Beziehung zur Aufklärung<br />

abschließend beantworten.<br />

Die Verheißung eines „Lebens in seiner ganzen Fülle“ (Joh.<br />

10,10) ist weltweit ein Zentralvers der Bibel. Er wird auch<br />

in befreiungstheologischen Kontexten auf konkrete Transformation<br />

von ungerechten Lebenszusammenhängen hin<br />

zum Besseren bezogen. Werden aber bei uns selbst Änderungen<br />

erwartet? Wie wird bei uns das Verhältnis von<br />

eigenen Anstrengungen „im Leben voranzukommen“ und<br />

Gottes wirkmächtigem Willen jedenfalls auf Gemeindeebene<br />

verstanden? Viel spricht dafür, dass wir – angeleitet von<br />

den weltweiten Debatten um das Wohlstandsevangelium –<br />

unseren eigenen Kontext einmal auf entsprechende Spuren<br />

untersuchen sollten.<br />

Stärkung von Dialogforen<br />

Die bisherigen Ergebnisse und Beobachtungen legen es<br />

nahe, verstärkt nach Dialogforen zu suchen.<br />

Eine gute kontinentale Plattform für einen Dialog könnte<br />

die Allafrikanische Kirchenkonferenz (AACC) sein, mit der<br />

das <strong>EMW</strong> seit Jahrzehnten zusammenarbeitet. So wird in<br />

Kreisen der AACC darüber nachgedacht, bald eine große<br />

Missionskonferenz zu organisieren, in der der Dialog zwischen<br />

den Mainline- und den charismatischen bzw. neopentekostalen<br />

Kirchen im Zentrum stehen soll.<br />

Der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) hat sich in mehrfacher<br />

Hinsicht Verdienste im Versuch erworben, den Dialog<br />

mit Charismatikern und Pentekostalen zu fördern. Dazu<br />

zählt als wichtiges Instrument die Gemeinsame Beratungsgruppe<br />

zwischen ÖRK und Pfingstkirchen, die seit der Vollversammlung<br />

in Harare arbeitet. Ende der 1990er Jahre<br />

entstand das Global Christian Forum (GCF), ein erweitertes<br />

ökumenischer Netz außerhalb der verfassten ÖRK-Strukturen.<br />

Dadurch wurde es möglich, Unabhängige Kirchen,<br />

Evangelikale und Pentekostale, miteinander ins Gespräch<br />

zu bringen. Dieses Forum hat gegenseitiges Vertrauen geschaffen,<br />

manches Vorurteil abgebaut und wird auch künftig<br />

wichtige Debatten anstoßen.<br />

Ein weiterer Akteur ist die Kommission für Weltmission<br />

und Evangelisation des ÖRK (CWME). Auf der Weltmissi-<br />

Aufruf zur Kollekte in einem pfingstkirchlichen Gottesdienst in<br />

Kamerun. Den Zehnten zu geben, ist selbstverständlich – und die<br />

Kirchen sind imstande, sich selbst zu finanzieren.<br />

<strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong> | 37


Einordnungen und Ausblicke<br />

onskonferenz in Athen 2005 war der Dialog mit charismatischen<br />

und pentekostalen Vertretern fest verankert. 68 Für<br />

die Zukunft nötig wäre es, dem begonnenen Dialog eine genauere<br />

Zielrichtung zu geben. In der derzeit entstehenden<br />

Erklärung zu Mission und Evangelisation des ÖRK werden<br />

entsprechende Aspekte absehbar aufgenommen.<br />

Die großen ökumenischen Konferenzen des Jahres <strong>2010</strong> haben<br />

– bezogen auf unsere Thematik – gemeinsame Perspektiven<br />

zwischen ökumenischen und evangelikalen Akteuren<br />

ergeben. Seit der letzten Vollversammlung in Porto Alegre<br />

(2006) ist ein Projekt unter dem Titel „Armut, Reichtum<br />

und Umwelt“ entwickelt worden. 69 Dabei spielen Fragen<br />

des Konsums und besonders der Gier eine wichtige Rolle. 70<br />

Als eine verbindende theologische Aufgabe im Horizont der<br />

Thematik des Wohlstandsevangeliums könnte sich etwa<br />

die Weiterarbeit an einer „Theologie des Segens“ erweisen.<br />

71 Denn auch mit einer Betonung der Kreuzestheologie<br />

Luthers kann nicht behauptet werden, dass Gott sich<br />

ausschließlich im Leiden manifestiert. Christliches Leben<br />

kann nicht als ein auf Scheitern ausgelegtes verstanden<br />

werden. Reichtum sollte als Gnade und Segen Gottes und<br />

nicht als Beweis für eigene Glaubensstärke gewertet werden.<br />

Damit wären auch Vorstellungen überwunden, jeder<br />

Reichtum sei irgendwie Unrecht. Dies könnte entlastend<br />

wirken sowohl für Reiche als auch für Arme, weil deren Armut,<br />

Erfolglosigkeit im Wirtschaftsleben oder anhaltende<br />

Krankheiten eben nicht auf mangelnden Glauben zurückgeführt<br />

werden. Ein vertieftes Verständnis von Segen bietet<br />

auch Korrekturen gegenüber schwierigen „Naherwartungen“<br />

eines göttlichen Eingreifens an, die an wirtschaftlichen<br />

und sozialen Realitäten letztlich scheitern müssen.<br />

Terminologie, Herangehensweisen und bisherige Ergebnisse<br />

mögen zwischen ÖRK, Lausanner Bewegung und Weltallianz<br />

variieren, aber vertiefte themenbezogene Kooperationen<br />

liegen auf der Hand.<br />

Schwierigkeiten für den Dialog<br />

Theodor Ahrens hat seit 1995 wiederholt für eine narrative<br />

Herangehensweise an den Dialog plädiert. Diese Einschätzung<br />

bestätigte auch die Konsultation „Encounter Beyond<br />

Routine“. Dort wurden die Elemente der spirituellen Begegnung,<br />

wie die gemeinsamen Bibelarbeiten am Morgen<br />

und die Abendgebete von afrikanischen wie deutschen<br />

Teilnehmern als sehr gelungen empfunden. Der äthiopische<br />

Direktor des theologischen Seminars der EECMY, mit<br />

DTheol- und MBA-Titel aus den Vereinigten Staaten, und<br />

Verfechter der Charismatisierung, sagte am Ende der Veranstaltung,<br />

dass sich seine Einschätzung des deutschen<br />

38 | <strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong><br />

epd-bild/Norbert Neetz<br />

Gottesdienst einer Pfingstgemeinde am Stadtrand von Harare/Simbabwe.<br />

Christentums aufgrund der Begegnung zum Positiven geändert<br />

habe. Allerdings zeigt sich immer wieder, aufgrund<br />

wechselseitiger Zuschreibungen von Eigenschaften, dass<br />

beide Seite glauben, zur Lösung ihrer Probleme die Partner<br />

nicht zu brauchen.<br />

Derzeit kaum denkbar scheint ein organisierter Dialog mit<br />

selbstständigen, internationalen Kirchen wie der Redeemed<br />

Christian Church of God (RCCG). 72 Sie ist stolz darauf, sich<br />

in dreißig Jahren von einer armen Yorubakirche zu einem<br />

weltweiten Netz von wohlhabenden Kirchen entwickelt zu<br />

haben 73 und ihre Repräsentanten zeigen wenig Bereitschaft<br />

für Kooperation. Während es in Großbritannien Kooperationen<br />

mit Pfingstkirchen geben soll, hätten in anderen Ländern<br />

(Ghana, Italien) nicht nur die historischen Kirchen,


sondern auch und gerade Pfingstkirchen Angst vor dem<br />

Erfolgsmodell der RCCG. 74 Rücksichten auf andere Kirchen<br />

bei der Evangelisation oder eine Zusammenarbeit mit Kirchen,<br />

die nicht an Zungenrede oder in Dimensionen von<br />

Himmel und Hölle glauben, schließt die RCCG aus. Wie<br />

Pastor Brown Oyitsu formuliert: „Europe is becoming permissive<br />

and this is why God has asked a church like the<br />

Redeemed (RCCG) to go back to Europe“. 75<br />

Bei aller Bedeutung des Dialogs zwischen verschiedenen<br />

Akteuren müssen wir feststellen, dass in den letzten Jahren<br />

seine Grenzen deutlicher sichtbar geworden sind. Nicht<br />

nur internationalisierte Mega-Churches zeigen Schwierigkeiten,<br />

bestimmte Formen des Kircheseins in Ländern des<br />

Globalen Nordens als gültige Versuche der Nachfolge Jesu<br />

Christi zu akzeptieren. Folglich haben sie einstweilen wenig<br />

Interesse an Kooperationen. Um eine Vertiefung von<br />

christlichen Parallelgesellschaften – in Deutschland etwa<br />

landeskirchliche und Migrationsgemeinden – zu vermeiden,<br />

müssen dennoch Gesprächsebenen gefunden werden.<br />

Theologische Ausbildung<br />

Eine gemeinsame Bibellektüre scheint eine gute Grundlage<br />

für den Dialog zu sein, wie sich auch im Rahmen des<br />

„African Theological Training in Germany“ (ATTiG) an der<br />

Missionsakademie oder in vergleichbaren Kursen anderer<br />

Missionswerke und Kirchen zeigt. Wenn auf afrikanischer<br />

Seite die Unmittelbarkeit der Bibellektüre als Vorteil gelten<br />

darf, so ist auf deutscher Seite die sprachliche, historische<br />

und theologische Tiefe des Bibelverständnisses wert, in der<br />

Diskussion gehört zu werden.<br />

Es gibt Anzeichen dafür, dass zumindest in einem Teil der<br />

charismatischen und pentekostalen Kirchen die Notwendigkeit<br />

einer Qualifizierung der theologischen Ausbildung<br />

erkannt wird, wobei man anscheinend bereit ist, mehr Gemeinsamkeit<br />

zu suchen. So trafen sich zum ersten Mal<br />

im Juli <strong>2011</strong> afrikanische Vertreter der Weltkonferenz der<br />

Vereinigung Theologischer Institute (WOCATI) zu einer Tagung.<br />

Die Teilnehmenden aus protestantischen, römischkatholischen,<br />

orthodoxen, evangelikalen, unabhängigen<br />

und pentekostalen Ausbildungsstätten waren sich darin<br />

einig, dass die Qualität der theologischen Ausbildung in<br />

Afrika erhöht werden müsse. Besonders die Bildung der<br />

jetzt jungen Generation steht dabei im Vordergrund: „Wir<br />

müssen jetzt viel in die Jugend investieren, um diese besonderen<br />

Erfahrungen mit gesunder Lehre zu unterfüttern.<br />

Durch Ausbildung, Workshops und Konferenzen müssen<br />

wir dazu beitragen, dass die Jugendlichen vom Missbrauch<br />

der guten Gaben und von vorgetäuschten Erfahrungen ferngehalten<br />

werden“, sagte Berhanu Ofga'a, Generalsekretär<br />

der EECMY. Auch andere Partner, wie die Organisation von<br />

Unabhängigen Afrikanischen Kirchen in Africa OAIC, das<br />

Projekt für Christlich-Muslimische Beziehungen in Afrika<br />

PROCMURA, das Projekt für Theologische Fernausbildung<br />

(TEE) und auch das (evangelikale orientierte) Oxford Center<br />

of Mission Studies unterstützen diese Forderung.<br />

Nach alldem kann zusammenfassend festgestellt werden,<br />

dass das Wachstum vieler Kirchen in Afrika einen Zuwachs<br />

des Selbstbewusstseins bei allen Kirchen bewirkt hat. Ihnen<br />

ist sehr wohl bekannt, dass die nordatlantischen Partner<br />

zahlenmäßig abnehmen. In vielen Partnerschaften sind<br />

die in den Süden überwiesenen Geldmittel zurückgegangen.<br />

Die neo-pentekostalen Kirchen sind – von „Anschubfinanzierungen“<br />

abgesehen – in der Regel selbst-finanziert<br />

und im Vergleich zu den Missionskirchen, bei vergleichbarer<br />

Größe, oft sehr viel reicher. Diese und andere Faktoren<br />

verändern das Machtgefälle zwischen Nord und Süd. Das<br />

<strong>EMW</strong> und die Missionswerke können auch zukünftig hier<br />

die Stärke ihrer langjährigen Verbindungen mit den Partnerkirchen<br />

und Institutionen der theologischen Ausbildung<br />

in einen vertieften Dialog einbringen. Das gewachsene Vertrauen<br />

kann helfen.<br />

Thesen<br />

Mit dem Begriff „Charismatisierung“ werden seit etwa drei<br />

Jahrzehnten Prozesse bezeichnet, die Gruppen, Gemeinden<br />

und Kirchen in mittlerweile nahezu allen Konfessionsfamilien<br />

prägen. Die vorliegenden Berichte aus afrikanischen<br />

Ländern zeugen von einer anhaltenden Dynamik, die die<br />

kirchliche Landschaft in den jeweiligen Kontexten oft nachhaltig<br />

transformiert. Die pfingstkirchlich-charismatische<br />

Bewegung gilt als das – auch künftig – am stärksten wachsende<br />

Segment der weltweiten Christenheit.<br />

In vielen Kirchen Afrikas lässt sich ein wachsendes Selbstbewusstsein<br />

ausmachen, das sich auf Tragfähigkeit und<br />

Anziehungskraft der eigenen Ausprägung des Kircheseins<br />

bezieht. Dies führt vor Ort häufig zu einer verstärkten Wettbewerbssituation<br />

und der raschen Ausdifferenzierung von<br />

Kirchenstrukturen. Auch im Nord-Süd-Kontext verändern<br />

sich die traditionellen Einflusssphären und Machtverhältnisse.<br />

Die Weltchristenheit ist polyzentral geworden, und<br />

es gibt vermehrt konkurrierende Ansprüche auf Deutungshoheit<br />

der gegenwärtigen Entwicklungen.<br />

Eine neue Dimension besteht darin, dass Charismatisierungsprozesse<br />

auch im Leben von Gemeinschaften und<br />

Kirchen eine wachsende Rolle spielen, die aus der missionarischen<br />

Präsenz westlicher Missionsgesellschaften und<br />

Kirchen entstanden sind. Die bei diesen Partnerkirchen<br />

<strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong> | 39


Einordnungen und Ausblicke<br />

Bekenntnis per Werbe-Aufkleber auf dem Armaturenbrett eines Taxis in Lagos/Nigeria: „Weil ich ein Auserwählter bin, müssen<br />

sich meine Feinde fügen.“<br />

anzutreffenden Reaktionsmuster reichen – jedenfalls auf<br />

Leitungsebenen – von einer strikten Abweisung charismatischer<br />

Einflüsse über partielle Öffnungen bis hin zu<br />

weitreichender Übernahme entsprechender Vorstellungen.<br />

Bei Kirchen des letztgenannten Typs ist häufig ein ausgeprägtes<br />

missionarisches Bewusstsein zu beobachten, das<br />

auch in historischen Partnerbeziehungen zur Geltung gebracht<br />

wird.<br />

Dieser Befund nötigt zu möglichst differenzierten Wahrnehmungen,<br />

die sich um den Abbau von Verzerrungen und<br />

stereotypisierenden Zuschreibungen bemühen sollten. Sie<br />

sollten Vorurteile ausräumen und Anfragen im Blick auf<br />

das eigene Spiritualitätsprofil zulassen. Gelänge dies, so<br />

könnten daraus verschiedene Dialogformen wachsen, die<br />

im Kern versuchen, mit Verschiedenheiten respektvoll umzugehen<br />

und so Grundlagen für ein gemeinsames, in der<br />

Bibel gegründetes Zeugnis im ökumenischen Miteinander<br />

zu legen. Solche Bemühungen sind prinzipiell für alle Seiten<br />

unaufgebbar, denn sie gehören zum Auftrag, die Einheit<br />

der Christen zu fördern.<br />

40 | <strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong><br />

Die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte haben jedoch die<br />

Probleme solcher Dialogbemühungen sowohl in Süd-Süd-<br />

Beziehungen, als auch in Süd-Nord-Kontexten offen gelegt.<br />

Die Gleichzeitigkeit von Stagnation und rasanten Aufbrüchen,<br />

von heftigen Konkurrenzsituationen und bedrohten<br />

Identitäten, von umfassenden innerkirchlichen Transformationen<br />

und gesellschaftlichen Problemen hat gezeigt:<br />

Mit massiven Schwierigkeiten muss gerechnet werden,<br />

wenn man auf dem Dialog zwischen Verschiedenen nicht<br />

nur theologisch begründet beharrt, sondern ihn auch in<br />

die Praxis umzusetzen versucht.<br />

Angesichts unterschiedlicher Machtkonstellationen –<br />

„wir sind viele und wer seid ihr?“ – und des verbreiteten<br />

Verdachts der Konkurrenz um Mitglieder erweist es sich<br />

beharrlich als ein schwieriges Unterfangen, (vermutete)<br />

Stärken und Schwächen in geplante Dialog-Verhältnisse zu<br />

setzen. So werden oft organisatorische Beweglichkeit, gottesdienstliche<br />

Spontaneität, Gemeinschaftserfahrungen,<br />

enthusiastische Offenheit für die Gegenwart des Geistes<br />

und umfassende Befähigung von Gläubigen als „Pros“ bei<br />

Jacob Silberberg/Panos


charismatischen Akteuren ausgemacht. Auf Seiten traditioneller<br />

Kirchen – vor allem des Nordens – werden etwa<br />

organisatorische Verlässlichkeit, bewährte Formen von<br />

Spiritualität, die Bereitschaft zur Integration unterschiedlicher<br />

Vorstellungen von Nachfolgepraxis, einen theologisch<br />

begründeten Umgang mit biblischen Texten und die<br />

Auskunftsfähigkeit über den eigenen Glauben betont. Oft<br />

überwiegen kulturell-religiöse Differenzerfahrungen und<br />

Ergebnisse ökumenischer Lernprozesse haben es schwer,<br />

in die je eigene kirchliche Situation einzuwandern. Mit dem<br />

vermehrten Entstehen von Migrationsgemeinden in städtischen<br />

Ballungszentren beginnen sich die Dialoggrundlagen<br />

jedenfalls bei uns deutlich zu verändern.<br />

Verschiedentlich wurde in den vorangegangenen Abschnitten<br />

eine praxisbezogene theologische Ausbildung als das<br />

Handlungsfeld identifiziert, in dem solche Dialoge trotz<br />

der benannten Schwierigkeiten mit einiger Aussicht auf<br />

Erfolg vermehrt etabliert werden sollten. Hier könnte das<br />

<strong>EMW</strong> mit seinen fest verankerten weltweiten Beziehungen<br />

zu inhaltlich starken Verbündeten an Stätten theologischer<br />

Ausbildung eine verknüpfende Rolle spielen.<br />

Während sich hierzulande charismatische Entwicklungen<br />

bislang nicht in vergleichbarer Intensität ausmachen lassen,<br />

sind Landes- und Freikirchen dennoch vor Anfragen<br />

gestellt, die sich aus den skizzierten weltweiten Konstellationen<br />

ergeben: Wenn Sehnsüchte nach direktem spirituellem<br />

Erleben und die Verankerung von begeisternden<br />

Glaubenserfahrungen in den Vollzügen des Alltäglichen<br />

ein Grund für die anhaltende Attraktivität darstellen, dann<br />

muss nachdrücklich danach gefragt werden, inwieweit unsere<br />

Verkündigungsformen und Frömmigkeitspraxis aus-<br />

1 Zu nennen sind hier Christian Baëta, Alexander Akinyele, John Mbiti, Bolaji<br />

Idowu, Kwasi Dickson, John Pobee, Akwasi Sarpong, Mercy Oduyoye und<br />

Kwame Bediako.<br />

2 Noah K. Dzobo, The Memoirs of a Progressive Intellectual: Melagbe (Ho: The<br />

Institute for the Study of African Christianity (TISAC), 2004) 36.<br />

3 S. 168: „Cette négligence consciente ou inconsciente du domaine de la transcendance<br />

est le fruit de l´héritage des premiers missionnaires. Pour ces derniers<br />

ce domaine relevait de la superstition et par conséquent n´avait aucune<br />

place dans le christianisme.“<br />

4 Anna Quaas: „Transnationale Pfingstkirchen. Christ Apostolic Church und<br />

Redeemed Christian Church of God. Frankfurt am Main <strong>2011</strong>. Die Frage der<br />

Dämonenaustreibung behandelt ihr Artikel „Befreiungsdienst und interkulturelle<br />

Seelsorge“, der in der Ökumenischen Rundschau 3/<strong>2011</strong> erscheint.<br />

5 J.C. Schmidt: Prosperity Gospel: eine Einführung; Vortrag zum Studientag<br />

„Der Segen der Ahnen und des Wohlstands“, Neuendettelsau, Oktober <strong>2010</strong>;<br />

Vortragsmanuskript; vgl. ders.: Wohlstand, Gesundheit und Glück im Reich<br />

Gottes, Berlin 2007; mit umfangreichen Literaturangaben<br />

6 Besonders wird zurückgegriffen auf Debatten während des dritten Kongresses<br />

der Lausanner Bewegung für Weltevangelisation, Oktober <strong>2010</strong>,<br />

Kapstadt/Südafrika; Zum gesamten Kongress vgl.<br />

http://www.lausanne.org/en/gatherings/cape-town-<strong>2010</strong>.html<br />

reichend Raum dafür bieten. Dies betrifft Formen gemeinschaftlich<br />

gelebten Glaubens, Stärkung der Sprachfähigkeit<br />

durch Elementarisierung von Glaubensinhalten, musikalische<br />

Gestaltung von und Beteiligungsmöglichkeiten in Gottesdiensten,<br />

Aufspüren von Charismen in den Gemeinden<br />

und vieles mehr.<br />

Aber: Hier wird in Frei- und Landeskirchen bereits viel unternommen.<br />

Selbst wenn die Möglichkeiten eines numerischen<br />

„Wachsens gegen den Trend“ eher gering erscheinen,<br />

so lösen die oben beschriebenen Entwicklungen doch vermehrt<br />

ein intensives Fragen nach den Grundlagen und Perspektiven<br />

des eigenen Glaubens- und Gemeindelebens aus.<br />

Die Geschichte des Christentums ist voller Erfahrungen<br />

sich weltweit verlagernder Gravitationszentren. Vielleicht<br />

gehört das ehrlich-dankbare Staunen über die kirchlichen<br />

Aufbrüche in Afrika eng zusammen mit dem Vertrauen auf<br />

die Erfüllung der ermutigenden Verheißung der Gegenwart<br />

Jesu Christi. Sie steht als Spruch über dem Monat September<br />

<strong>2011</strong>: „Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem<br />

Namen, da bin ich mitten unter ihnen“ (Mt. 18,20)<br />

| Christoph Anders/Owe Boersma/Freddy Dutz/Martin Keiper<br />

7 So F. Adeleye zum Auftakt seines Plenumsbeitrages während der Konferenz;<br />

Vgl. Konferenz-Video aaO.<br />

8 So J. Kwabena Asamoah-Gyadu, Theologe aus Ghana; „From ‚Calvary Road’ to<br />

,Harvesters International‘: An African Perspective on the Cross and Gospel<br />

of prosperity“; vgl. http://conversation.lausanne.org/en/conversation/detail/10537<br />

(vom 14.7.<strong>2010</strong>)<br />

9 Berichtet von Dr. Rolf Hille und G. Spieß am Rande der Kapstadt-Konferenz<br />

10 Definition von J. Kwabena Asamoah-Gyadu auf dem Kapstadt-Kongress; vgl.<br />

Powerpoint-Präsentation des Vortrags, (eig. Übers.)<br />

11 Vgl. den Gang durch verschiedene Weltregionen von A. Yong, In the Days of<br />

Caesar, Michigan <strong>2010</strong>, S. 15 ff, wo er u. a. instruktive Beispiele aus Brasilien,<br />

Zimbabwe, Ghana, Philippinen und Süd-Korea aufführt.<br />

12 Zur vertiefenden Lektüre u. a.: A. Yong, In the Days of Caesar, Michigan<br />

u. a. <strong>2010</strong>; W. Kahl, Prosperity-Preaching in West-Africa: An Evaluation<br />

of a Contemporary Ideology from a New Testament Perspective. in: Ghana<br />

Bulletin of Theology, New Series, Vol. 2, July 2007, S. 21-42; P. Zimmerling,<br />

Charismatische Bewegungen, Göttingen 2009, Währisch-Oblau, C., Spiritual<br />

warfare – the royal road to liberation and development in Africa and Europe?,<br />

in: <strong>EMW</strong>/EED (Hrsg.) Encounter beyond routine, Hamburg <strong>2011</strong>, S. 12-24;<br />

jeweils mit umfangreichen Literaturhinweisen; P.L. Berger, „You can do It!“<br />

in: www.christianitytoday.com/global/printer.html?/bc/2008/sepoct/10.14.<br />

<strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong> | 41


Einordnungen und Ausblicke<br />

html;(17.8.<strong>2011</strong>); P. Gifford: Afrikanische Kirchen, Theologie und Fundamentalismus.<br />

in: <strong>EMW</strong> (Hrsg.), Geistbewegt und bibeltreu, Hamburg 1995; vgl. auch<br />

das aufschlussreiche „Akropong-Statement“ der Lausanner Theologischen<br />

Arbeitsgruppe: http://www.lausanne.org/documents/a-statement-on-theprosperity-gospel.html<br />

(vom 17.8.<strong>2010</strong>); dort werden in zehn differenzierten,<br />

bekenntnisartigen Affirmationen und Verwerfungen Phänomene des Wohlstandsevangeliums<br />

theologisch bewertet.<br />

13 Vgl. Jesaja 53, 4-5 und 3. Joh. 2 als biblische Referenzen<br />

14 In engl. Fassungen häufig: abundantly bzw. abundance<br />

15 „Das Gute und das Böse im Leben haben daher seinen Ursprung im geistigen<br />

Bereich“; Schmidt Prosperity, a.a.O., S. 3<br />

16 Im Anschluss an Hebr. 11,1 ist Glaube „die Gewissheit, dass das, woran man<br />

glaubt bzw. das, was man braucht oder sich wünscht, erreicht werden kann<br />

und geschehen wird“; Schmidt, ebd<br />

17 ebd<br />

18 „Die Erhörung des Gebetsanliegens ist in der Dimension des Übernatürlichen<br />

bereits geschehen. Dass sie auch in der physischen Dimension Realität wird,<br />

ist nur eine Frage der Zeit.“; a.a.O., S. 4<br />

19 Zentraler biblischer Referenzpunkt: Maleachi 3, S. 10-11<br />

20 vgl. Ex. 12,35f u. ö.<br />

21 „Die Schrift häuft Evidenz auf Evidenz, dass es der Wille Gottes für diejenigen<br />

ist, die an den Hernn Jesus Christus glauben, das Land zu besitzen, wo auch<br />

immer sie sind. Alles was du auf der Erde siehst, ist dazu bestimmt, zur Verherrlichung<br />

Gottes genutzt zu werden. Weil aber ein guter Teil dieser Dinge in<br />

den Händen von Ungläubigen ist, wird die Agenda Satans vorangebracht. (…)<br />

Gläubige müssen schnell Einzug halten, um Besitz zu ergreifen“; vgl Anaba,<br />

Breaking Illegal Possessions; zit. bei: J. Kwabena Asamoah-Gyadu: „African<br />

Reformation: Mission, Development and Contemporary Pentecostalism in<br />

Sub-Saharan Africa“, Powerpoint-Präsentation eines Vortrags während einer<br />

Tagung in Hamburg, Januar <strong>2011</strong><br />

22 Gen. 12 und Gal. 3,13f mit der „Verheißung des Geistes“<br />

23 So die Terminologie von A. Yong, a.a.O., S. 19<br />

24 So der treffende Untertitel des Vortrags von J.K. Asamoah-Gyadu in Kapstadt<br />

25 Als Schlüsselfigur gilt E.W. Kenyon (1867-1948), der als Grenzgänger am Rande<br />

der Pfingstbewegung seiner Zeit verortet wird. Vgl. Yong, a.a.O., S. 262-264<br />

26 Vgl. Zimmerling, Charismatische Bewegungen, Göttingen 2009, S. 174ff;<br />

27 Vgl. Yong, a.a.O. (Anm. 9), S. 257ff<br />

28 a.a.O., S. 263ff<br />

29 a.a.O., S. 265<br />

30 Yong beschreibt als Beispiel die Entwicklung des Kirchengründers Ezequiel<br />

Guti aus Zimbabwe in den 1980er und 1990er Jahren; a.a.O., S. 15ff<br />

31 Vgl. Gifford 1995, S. 46ff; Asamaoh-Gyadu: African Reformation, in: <strong>EMW</strong>,<br />

EED a.a.O., S. 25ff; Yong, .a.a.O., S. 272-275<br />

32 Vgl. dazu Asamoah-Gyadu, Powerpoint-Präsentation des Vortrags in Kapstadt<br />

33 Vgl. J.C. Schmidt: Wohlstand, Gesundheit und Glück im Reich Gottes, Berlin<br />

2007<br />

34 Vgl. die Analyse seines Denkens bei Yong, aaO., (Anm. 9) S. 216ff; und<br />

Schmidt, Einführung a.a.O. (Anm. 2): „Ich glaube, dass es Gottes Wille ist,<br />

dass wir geistlich, leiblich und finanziell im Wohlstand leben“, ebd.<br />

35 Die folgenden Beispiele sind verschiedenen Powerpoint-Präsentationen und<br />

Vorträgen von Asamoah-Gyadu entnommen und beziehen sich vorrangig auf<br />

westafrikanische Kontexte<br />

36 Asamoah-Gyadu, in: African Reformation a.a.O. (Anm. 9), S. 25<br />

37 Der folgende Abschnitt ist eine Synthese verschiedenster Beiträge im Kontext<br />

der Kapstadt-Konferenz. Diese Kritikfiguren werden – so mein Eindruck –<br />

in ihren Grundzügen auch im ökumenischen Spektrum vorgebracht, jedoch<br />

ohne sich gegenwärtig nennenswert um differenzierte Wahrnehmungen zu<br />

mühen.<br />

38 Vgl. die detaillierte Auseinandersetzung von Kahl, a.a.O.<br />

39 a.a.O., S. 6<br />

40 „Für die Bewegung des Wohlstandsevangeliums ist Glaube Optimismus<br />

und Idealismus. Glaube reduziert sich auf positives Denken. Und das heißt<br />

zu allererst, dass man an sich selbst glaubt.“; D. Bourdanné, Theologe aus<br />

dem Tschad, in Kapstadt http://conversation.lausanne.org/en/conversation/<br />

deatil/10832#article_page_1 f., S. 5<br />

41 Adeleye, a.a.O., S. 8<br />

42 „Besonders bedenklich ist dabei, dass Menschen, „die durch Schmerzen und<br />

Leiden gehen, sich fühlen, als ob sie außerhalb von Gottes Gnade, Schutz und<br />

Sorge stehen, oder sogar unter einer Art von Gericht für die Nicht-Erfüllung<br />

christlicher Verpflichtungen, besonders das Geben des Zehnten und anderer<br />

Spenden“; Asamoah-Gyadu in seinem Vortrag in Kapstadt, a.a.O., S. 4<br />

43 So in der Kapstadt-Verpflichtung;<br />

44 Hier wird das Thema der wieder erstarkenden Hexerei-Vorstellungen, von<br />

Fluchzaubern etc. bedeutungsvoll; vgl.dazu Währisch-Oblau a.a.O, passim<br />

45 Schmidt, a.a.O., S. 6<br />

46 Bisweilen in einem Gottesdienst bis zu sechs verschiedene Sammlungen. Vgl.<br />

Feme Adelaya in Kapstadt<br />

42 | <strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong><br />

47 Vgl. Berger a.a.O.<br />

48 Feme Adelaya, a.a.O, Kapstadt<br />

49 Ebd<br />

50 vgl. auch in diesem Zusammenhang die Überlegungen von Schmidt, a.a.O.,<br />

S. 6)<br />

51 vgl. Berger, a.a.O., S. 5<br />

52 Berger, ebd.<br />

53 Vgl. dazu die Ergebnisse von <strong>EMW</strong>/EED „Encounter… S. 125ff<br />

54 Vgl. Yong, The Contextual Argument, vgl. http://conversation.lausanne.org/<br />

en/conversations/details/10817 vom 30.8.<strong>2010</strong><br />

55 Umfassend dargerstellt ist der hier nur angedeutete Punkt bei Währisch-Oblau<br />

a.a.O., S. 12 ff, S. 56<br />

56 Vgl. zu diesem Punkt auch Kahl, a.a.O., passim<br />

57 darauf weist Berger im Prosperity Gospel-Kontext hin<br />

58 Schmidt, a.a.O., S. 5<br />

59 Vgl. dazu den Schlussteil dieses <strong>Jahresbericht</strong>es<br />

60 <strong>EMW</strong>/EED Encounter, S. 126<br />

61 Julie und Wonsuk Ma nehmen eine Zahl von 523.767.000 pentekostalen/charismatischen<br />

Christen an, was in Beziehung zu setzen wäre mit 346.650.000<br />

Protestanten und 1.070.457.000 römisch-katholischen Christen. Julie C. Ma<br />

and Wonsuk Ma: Mission in the Spirit. Towards a Pentecostal/Charismatic<br />

Missiology. Oxford <strong>2010</strong>, S. 53<br />

62 Zunächst geleitet von Dr. Fidon Mwombeki, derzeit unter der Leitung von Dr.<br />

Claudia Währisch-Oblau.<br />

63 Z.B. alltagsrelevante Auslegung der Heiligen Schrift, Festhalten an Gottes<br />

Macht und seinem Eingreifen in die Geschichte, Widerstand gegen glaubensfeindliche<br />

Mächte; erfahrbare Spuren des Segens Gottes im Leben der Gläubigen;<br />

Heilsbedeutung des Kreuzes Christi; Nachfolge und einfacher Lebensstil,<br />

Bedeutung von Spenden für die Arbeit von Gemeinde/Kirche, Dankbarkeit für<br />

umfassendes Wachstum von Gemeinden;<br />

64 Etwa der unglaubwürdige Lebenswandel von Gemeindeleitern und Kirchenführern,<br />

ein anstößig wohlhabender Lebensstil, der sich von dem der Gemeinden<br />

eklatant unterscheidet; die Verführungen zu ungehemmter Machtausübung<br />

65 In den vorbereitenden Studiendokumenten taucht das Thema nur am Rande<br />

auf<br />

66 Stellungnahme Theologische Kommission des <strong>EMW</strong>, <strong>2011</strong>, in: Zusammen<br />

wachsen, <strong>EMW</strong>, Hamburg <strong>2011</strong>, S. 15ff<br />

67 Im Kanon der von Eltern ausgewählten Taufsprüche finden sich verstärkt<br />

Verse mit Engeln. In Gesprächen wird häufig deutlich, wie sehr sich mit dem<br />

Taufbegehren spezifische Hoffnungen für das Gelingen konkreter Lebensvollzüge<br />

verbinden. Familien bitten darum, vom Taufwasser für ein krankes<br />

Kind etwas mit nach Hause nehmen zu können, Kreuze sollen mit Taufwasser<br />

gesegnet werden. Untersuchungen legen nahe, dass die Taufe häufig als<br />

„geistliche Lebensversicherung fürs irdische Leben“ verstanden wird. Sind<br />

dies voraufklärerische, magische Vorstellungen?<br />

68 Come Holy Spirit, Heal and Reconcile!, Berichtsband der Weltmissionskonferenz<br />

Athen 2005, Genf 2008<br />

69 „Es bringt Kirchen und ihre Partner zusammen, um über den Zusammenhang<br />

zwischen Armut, Reichtum und Umwelt nachzudenken, wirtschaftliche Ungerechtigkeit<br />

zu bekämpfen, Initiativen zu gerechtem Handel, ökologischer Verschuldung<br />

und menschenwürdiger Arbeit durchzuführen und die Arbeit an<br />

dem Projekt ‚Alternative Globalisierung im Dienst von Menschen und Erde’<br />

(AGAPE) fortzusetzen.“ Vgl.: http://www.oikoumene.org/de/programme/<br />

gerechtigkeit-diakonie-und-die-verantwortung-fuer-die-schoepfung/<br />

oekologische-gerechtigkeit.html (18.8. <strong>2011</strong>)<br />

70 „Es gibt zahlreiche Studien über in Armut lebende Menschen, doch kaum Angaben<br />

zu den Reichen. Die Kirchen sind eingeladen, analog zur „Armutsgrenze“<br />

eine „Konsum- und Habgiergrenze“ auszuarbeiten, die als Leitlinie für<br />

Christen dienen kann. vgl. ebd. – Gier steht erst seit Kurzem, ungefähr seit<br />

2008, bei uns auf der Tagesordnung. Das Thema bleibt aber unabgeschlossen.<br />

Auch innerkirchlich gehört der Umgang zwischen „armen“ und „reichen“ Gemeinden<br />

und Kirchen nicht zur Tagesordnung.<br />

71 Fidon Mwombeki: „The Theology of Blessing in Missionary Preaching“ in Mission<br />

Continues. Global Impulses for the 21st Century, S. 51ff<br />

72 Quaas: Transnationale Pfingstkirchen, S. 59-66<br />

73 Adeboye wurde Januar 2009 als Nr. 49 in die Newsweek-Liste der 50 mächtigsten<br />

Menschen auf der Welt genannt. Mit angeblich 14.000 Zweiggemeinden<br />

und 5 Millionen Mitgliedern in Nigeria, etwa 360 Gemeinden jeweils in<br />

den USA und in Großbritannien, und „Aussenposten“ in 110 Ländern, seien<br />

seine Aspirationen maßlos (Quaas, ib., S. 343).<br />

74 Quaas, S. 351<br />

75 Quaas, S. 336-339


Aus der Arbeit<br />

der Geschäftsstelle<br />

Der zweite Teil dieses <strong>Jahresbericht</strong>s gibt einen Einblick in die Arbeit der <strong>EMW</strong>-Geschäftsstelle.<br />

Die Autorinnen und Autoren konzentrieren sich dabei auf einige Beispiele, die für die<br />

Tätigkeit in ihren Arbeitsbereichen exemplarisch sind.<br />

Direktorat<br />

Personalia<br />

Im Berichtszeitraum hat Bischof J. Janssen (Oldenburg)<br />

den Vorstandsvorsitz in Nachfolge von Bischöfin M. Jepsen<br />

(NEK) übernommen. Zu seinen Stellvertretern wurden<br />

Pfarrerin M. Helmer-Pham Xuan (ELM) und Pfarrer<br />

Frieder Vollprecht (Brüder-Unität) gewählt. Zwei Mitglieder<br />

sind ausgeschieden: Pastor Michael Hanfstängl (LMW)<br />

und Pfarrerin Jutta Beldermann (VEM) haben beide neue<br />

berufliche Tätigkeiten übernommen. Ihre Nachfolger/innen<br />

werden auf der kommenden Mitgliederversammlung<br />

gewählt. Der Referent für Asien/Pazifik, Dr. Anton Knuth,<br />

hat seinen Dienst im <strong>EMW</strong> Anfang <strong>2011</strong> beendet, um als<br />

Dozent in Suva/Fidschi zu arbeiten. Sein Nachfolger, Pastor<br />

Martin Krieg, wird Anfang 2012 seinen Dienst beginnen.<br />

Aus Altersgründen sind Herr Martin Blöcher und Frau Roswitha<br />

Blaschke aus dem Dienst ausgeschieden.<br />

Lausanne-Kongress/Kapstadt<br />

Weitreichende Veränderungen in der Weltchristenheit –<br />

darum ging es auch beim 3. Lausanne-Kongress für Weltevangelisation,<br />

der Ende Oktober <strong>2010</strong> in Kapstadt/Südafrika<br />

stattfand. Etwa 4000<br />

Delegierte aus ca. 200 Ländern<br />

sammelten sich um ein<br />

Oberthema („Gott in Christus,<br />

der die Welt mit sich<br />

selbst versöhnte“), mussten<br />

aber vielfältige Ausdifferenzierungen<br />

bewältigen. Die verschiedenen Regionen der<br />

Weltchristenheit waren vertreten, Übersetzungen in acht<br />

Konferenzsprachen wurden ermöglicht – und dennoch war<br />

eine nordamerikanische Prägung deutlich spürbar. Mitt-<br />

Direktorat<br />

lerweile ist ein umfangreiches Abschlussdokument (Kapstadt-Verpflichtung)<br />

erschienen, dessen weltweite Rezeption<br />

noch in den Anfängen steckt. Auf dem Treffen hat sich<br />

die Lausanner Bewegung kraftvoll präsentiert – und doch<br />

ist offen, ob die Ergebnisse dazu beitragen, dass sie ihre<br />

wichtige Rolle im weltweiten evangelikalen Kontext weiterhin<br />

spielen können wird. Denn ein qualifizierter Bezug zu<br />

anderen Teilen der Weltchristenheit (Ökumenische Bewegung,<br />

Röm.-kath. Kirche) war nicht erkennbar und es überwog<br />

die Bestätigung bekannter Positionen gegenüber dem<br />

Wagnis, neue Wege zu beschreiten. Die Auswertungsprozesse<br />

im deutschen Bereich dauern an. Dank einer offenen<br />

Zusammensetzung der Delegation haben sich erfreuliche<br />

Kooperationsvorhaben entwickelt, über deren Fortgang zu<br />

berichten sein wird.<br />

Internationale ökumenische Friedenskonvokation<br />

Die Serie ökumenischer Großkonferenzen wurde im Mai<br />

<strong>2011</strong> in Kingston/Jamaika fortgesetzt. Dort fand die vom<br />

ÖRK veranstaltete Konvokation unter dem Titel „Ehre sei<br />

Gott und Friede auf Erden“ als Abschluss der Dekade zur<br />

Überwindung der Gewalt (DOV) statt. Anhand der vorab<br />

definierten vier zentralen Themenbereiche (Gemeinschaft,<br />

Erde, Wirtschaft und Völker) wurden in einer wenig innovativen<br />

Konferenzmethodik die friedensrelevanten Impulse<br />

aus diversen weltweiten Kontexten mehr dargestellt als diskutiert.<br />

Die beiden zentralen Dokumente – „Ein ökumeni-<br />

<strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong> | 43


Direktorat<br />

Kleingruppendiskussion während der Friedenskonvokation in<br />

Jamaika. Leider fand diese Abschlussveranstaltung der Dekade<br />

zur Überwindung von Gewalt in den deutschen Medien kaum<br />

Beachtung – auch ein Resultat von Einsparungen in der Öffentlichkeitsarbeit<br />

des ÖRK.<br />

scher Aufruf zum gerechten Frieden“ und die Botschaft der<br />

Konferenz – unterstreichen das Konzept eines „gerechten<br />

Friedens“. Die im Vergleich starke hiesige Befassung mit<br />

DOV-Themen wurde augenfällig dadurch, dass fast zehn<br />

Prozent der Delegierten aus Deutschland und nur relativ<br />

wenige Vertreter/innen aus dem Globalen Süden kamen.<br />

Der schon andernorts formulierte Eindruck, dass es derzeit<br />

in größeren ökumenischen Veranstaltungen schwierig ist,<br />

über kontroverse Positionen konstruktiv miteinander zu<br />

ringen, hat sich erneut bestätigt. Erstaunlich war, dass der<br />

Kontext Kingstons nur eine geringe Rolle spielte, obwohl<br />

das dort vorhandene hohe Gewaltpotential ausdrücklich<br />

ein entscheidender Grund für die Wahl des Veranstaltungsortes<br />

gewesen war. Der gemeinsam mit Dr. Biehl (Missionsakademie)<br />

im Auftrag von CWME/ÖRK durchgeführte<br />

Workshop zu „Mission, power and peace“ knüpfte an Kooperationen<br />

der Weltmissionskonferenz in Athen 2005 an.<br />

Sowohl das EMS als auch die VEM waren aufgrund ihrer<br />

Internationalität und langjährigen Arbeit zum Thema Frieden<br />

mit ihren Partnerkirchen mit Veranstaltungen präsent<br />

und berichteten von erfreulichen Resonanzen. Dies ist für<br />

die künftige Arbeit des <strong>EMW</strong> auf internationalen ökumenischen<br />

Bühnen eine signifikante Entwicklung.<br />

„Partnerschaft“ beim EEMC-Treffen<br />

Das diesjährige Treffen der Ecumenical European Mission<br />

Councils (EEMC) fand im Februar <strong>2011</strong> in Uppsala/Schwe-<br />

44 | <strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong><br />

WCC/Peter Williams<br />

den statt und stand unter dem Thema „Veränderungen in<br />

weltweiten Partnerschaften“. Der Zugang über die Erfahrungen<br />

innerhalb der Kirche von Schweden erwies sich<br />

als wichtig, weil hier die Auseinandersetzungen mit Partnerkirchen<br />

über Entscheidungen in Synode und Bischofskonferenz<br />

fundamentale Fragen über die Gestaltung von<br />

Partnerschaften aufgeworfen haben. Die Reaktionen unter<br />

den Vertretern anderer Missionsräte zeigte die Brisanz der<br />

Thematik auch im weiteren Zusammenhang von Machtfragen<br />

in Kirchenbeziehungen. Es gab verschiedene Anknüpfungen<br />

zum Zugang, den das <strong>EMW</strong> <strong>2010</strong> zum <strong>Jahresbericht</strong><br />

<strong>2010</strong> („Partnerschaft in Bewährung“) gewählt hatte.<br />

Ähnlich engagierte Debatten gab es im Kontext des Arbeitskreises<br />

für Zusammenarbeit in Mission und Dienst<br />

(AKZMD) über die Partnerschaftsthematik im Nord-Süd-<br />

Kontext. Dabei wurden verschiedene Initiativen von Landeskirchen<br />

skizziert, die von der Dodoma-Erklärung der<br />

Evangelisch-Lutherischen Kirche in Tansania (ELCT) u. a.<br />

gegen gleichgeschlechtliche Beziehungen direkt betroffen<br />

sind (siehe <strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>, S. 39 ff). Unklar ist, wie der<br />

Lutherische Weltbund nach 2013 mit dem Themenkomplex<br />

Ehe, Familie und Sexualität umgehen wird.<br />

Als Ergebnis der Beratungen auf der letzten<br />

Mitgliederversammlung ist vom <strong>EMW</strong> im<br />

Mai <strong>2011</strong> eine Arbeitshilfe für Gemeinden<br />

erarbeitet worden. Es zeigt sich: Das Thema<br />

wird uns auch in <strong>EMW</strong>-Zusammenhängen<br />

weiter beschäftigen.<br />

EKD-Ratsreise nach Genf<br />

Im April fand eine Reise des Rates der EKD<br />

nach Genf zu den dort ansässigen ökumenischen Institutionen<br />

statt. Der <strong>EMW</strong>-Direktor war als Ressource-Person eingeladen<br />

worden. Es kam zu Begegnungen mit Vertretern/<br />

innen vom Ökumenischen Rat der Kirchen, Lutherischen<br />

Weltbund, der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen,<br />

der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) und Action by<br />

Churches Together (ACT-Alliance). Außerdem wurden während<br />

eines Besuches beim Theologischen Institut von Bossey<br />

Fragen theologischer Ausbildung verhandelt.<br />

Der Grad der Zusammenarbeit der Weltbünde in bestimmten<br />

Themenbereichen erwies sich – entgegen anders lautenden<br />

Wahrnehmungen – als überraschend hoch. Insbesondere<br />

die hohen Erwartungen an eine ökumenische Profilierung<br />

der Reformations-Feierlichkeiten des Jahres 2017<br />

waren markant. In verschiedenen Gesprächsgängen konnten<br />

auch die etablierten Verbindungen des <strong>EMW</strong> zu diesen<br />

weltweiten Akteuren deutlich gemacht werden.


In diesen Zusammenhang gehört auch die Intensivierung<br />

der Beziehungen zur Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen<br />

(WGRK). Ihr Generalsekretär, Dr. Setri Nyomi, besuchte<br />

deshalb im März das <strong>EMW</strong>. Zwischenzeitlich liegt<br />

ein mehrfach überarbeiteter Entwurf eines Kooperationsvertrages<br />

vor.<br />

Kammer für weltweite Ökumene des Rates der EKD<br />

Im Dezember <strong>2010</strong> fand die konstituierende Sitzung der<br />

vom Rat der EKD eingesetzten Kammer für Weltweite Ökumene<br />

statt, in die der <strong>EMW</strong>-Direktor berufen wurde. Dabei<br />

wurde das Thema „Mission und Entwicklung“ schwerpunktmäßig<br />

behandelt. Für die nun begonnene Legislaturperiode<br />

stehen neben dieser Fragestellung Perspektiven<br />

für die Ökumene im 21. Jahrhundert und Auswirkungen<br />

weltweiter Charismatisierungsprozesse auf der Tagesordnung.<br />

Die Einrichtung dieses neuen Forums ökumenischer<br />

Beratungen stimmt ebenso hoffnungsfroh wie seine weit<br />

gefächerte Zusammensetzung.<br />

<strong>EMW</strong> und EWDE-Perspektiven<br />

Als Gründungsmitglied des EED hat das <strong>EMW</strong> die Entwicklungen<br />

zur Gründung des Evangelischen Werkes für<br />

Diakonie und Entwicklung (EWDE) auf unterschiedlichen<br />

Ebenen begleitet. Im Berichtszeitraum sind auf verschiedenen<br />

Ebenen Diskussionen darüber weiter gegangen, inwieweit<br />

die Arbeitsperspektiven des EWDE auch das <strong>EMW</strong><br />

und seine Mitglieder betreffen. Das <strong>EMW</strong> wird – laut beschlossener<br />

Satzung und diverser Ordnungen – institutionell<br />

in das neue Werk eingebunden sein. Gegenwärtig wird<br />

an Papieren gearbeitet, aus denen theologische Leitlinien<br />

und Profilierungen des EWDE erkennbar werden sollen.<br />

Die Konzeption von theologischen Programmen sowie die<br />

Zuordnung theologischer Kompetenzen im Sinne eines konstruktiven<br />

Gegenübers zwischen Berlin und Hamburg stehen<br />

darüber hinaus zur Klärung an.<br />

Gegenwärtig sind Missionswerke einbezogen in die Beratungen<br />

von institutionellen Zuordnungen auf landeskirchlicher<br />

Ebene. Das Klima der gegenseitigen Beratungsprozesse<br />

wird allgemein als konstruktiv und offen erlebt. Bleibt<br />

zu hoffen, dass das neue Werk Ende des kommenden Jahres<br />

seine Arbeit dynamisch aufnehmen kann und sich neue<br />

Formen fruchtbarer Zusammenarbeit ergeben.<br />

| Christoph Anders<br />

Geschäftsführung<br />

Geschäftsführung<br />

Transparenz und Korruptionsvermeidung<br />

Weltweite Partnerschaften stehen ebenso wie die jeweils<br />

eigene Arbeit und der Umgang mit anvertrauten Mitteln<br />

vor der Herausforderung, sich kritischen Anfragen an Förderung<br />

von Transparenz und Vermeidung von Korruption<br />

aktiv zu stellen. Hierüber war bereits anlässlich des letztjährigen<br />

Jahresthemas des <strong>EMW</strong> zu berichten. Von den<br />

Leitenden und Geschäftsführern der Missionswerke wurde<br />

die Geschäftsstelle beauftragt, eine Rahmenrichtlinie zu<br />

entwerfen, die sowohl Hinweise und Ratschläge zur Formulierung<br />

eigener Verhaltenskodizes enthält als auch gut<br />

gegenüber den weltweiten Partnern kommunizierbar und<br />

mit ihnen diskutierbar sein sollte.<br />

Vor allem aber sollten den Überlegungen erstmalig grundsätzliche<br />

theologische Aspekte im Umgang mit der Problematik<br />

vorangestellt werden.<br />

Letzteres gewann im Laufe des<br />

Verfahrens eine solche Attraktivität,<br />

dass sich sowohl der Evangelische<br />

Entwicklungsdienst als<br />

auch die Aktion Brot für die Welt<br />

des Diakonischen Werks der EKD<br />

der im <strong>EMW</strong> gebildeten Arbeitsgruppe<br />

anschlossen, um an einem<br />

gemeinsamen theologischen Verständnis<br />

zu arbeiten. Das Ergebnis<br />

hat Eingang in die aktuelle Publikation des <strong>EMW</strong> mit<br />

dem Titel „Korruption und Transparenz“ gefunden und bildet<br />

das erste Kapitel der Rahmenrichtlinien, die bei der<br />

Mitgliederversammlung des <strong>EMW</strong> im Oktober <strong>2011</strong> vom<br />

Vorstand des <strong>EMW</strong> verabschiedet werden sollen.<br />

Gewissermaßen ein Etappenziel, denn nach Übersetzung<br />

des Textes steht eine Diskussion mit den weltweiten Partnern<br />

ebenso an wie die Implementierung jeweils eigener<br />

Verhaltenskodizes. Diese Aufgabe betrifft das <strong>EMW</strong> ebenso<br />

wie seine Mitglieder und Vereinbarungspartner – sowohl<br />

für das eigene Verhalten als auch hinsichtlich der<br />

Forderungen, die an die weltweiten Projektförderpartner<br />

der Liste des Bedarfs zu richten sind. Und: Wer einen Ver-<br />

<strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong> | 45


Geschäftsführung<br />

haltenskodex unterzeichnet, muss ihn ständig mit Leben<br />

füllen. Eine Herausforderung, der sich alle Beteiligten immer<br />

neu vertrauensvoll und transparent zu stellen haben.<br />

Fundraising<br />

Noch vor gut zehn Jahren, als das <strong>EMW</strong> erstmals eine Gruppe<br />

von Fundraising-Verantwortlichen zu einem Fachgespräch<br />

mit qualifiziertem externen Input einlud, wurde<br />

deutlich, dass dieses Thema von stetig steigender Bedeutung<br />

für die Mitglieder und Vereinbarungspartner des<br />

<strong>EMW</strong> werden würde – nicht zuletzt angesichts des zum<br />

Teil erheblichen Sinkens traditioneller, oft kirchensteuergebundener<br />

Finanzierungsmöglichkeiten. Heute ist die Fundraising-Runde<br />

ein fester Bestandteil des Serviceangebots<br />

des <strong>EMW</strong> und bringt turnusmäßig die in den Werken und<br />

Einrichtungen für das Fundraising Verantwortlichen zu<br />

fachlichem Input wie etwa über Online-Fundraising und<br />

Gebe-Logiken im Beziehungsaufbau zu Spender/innen sowie<br />

gemeinsamem Austausch zusammen.<br />

Nicht immer einfach, dafür aber sehr facettenreich, gestalten<br />

sich diese Termine, weil die Entwicklungen des Aufbaus<br />

professionellen Fundraisings sich sehr unterschiedlich<br />

vollzogen haben. Eine Botschaft allerdings eint alle<br />

Teilnehmerinnen und Teilnehmer jenseits unterschiedlicher<br />

struktureller Einbindung und beruflicher Herkunft:<br />

Fundraising muss als Aufgabe aller verstanden werden, unterstützt<br />

von denjenigen, die dafür ausgebildet und zuständig<br />

sind. Deshalb ist die Frage der Einbindung der Fundraising-Verantwortlichen<br />

in die Strukturen eines Werks<br />

von wesentlicher Bedeutung, wenn Erfolge keine Zufallsprodukte<br />

sein sollen und das professionelle Fundraising<br />

den daran gestellten Ansprüchen genügen soll. Ein stetes<br />

Ringen, in dem das <strong>EMW</strong> durchaus vermittelnd tätig werden<br />

kann. | Olaf Rehren<br />

46 | <strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong><br />

Öffentlichkeitsarbeit<br />

mission.de<br />

„Wie schade! Das könnt ihr doch nicht machen!“ Eine von<br />

vielen Reaktionen am gemeinsamen mission.de-Stand auf<br />

dem Kirchentag <strong>2011</strong> in Dresden war typisch. Dass die auf<br />

drei Jahre angelegte gemeinsame Kampagne mission.de im<br />

Herbst <strong>2011</strong> abgeschlossen werden soll, haben viele Besucherinnen<br />

und Besucher bedauert. Noch steht eine fachli-<br />

che Evaluierung bevor, aber solche und andere Reaktionen<br />

lassen schon jetzt vermuten, dass die Initiative der Mission<br />

einige neue Freunde gebracht hat.<br />

Dass die 26 Missionswerke, Verbände und Kirchen beim<br />

Start die Laufzeit der Kampagne begrenzt haben, lag natürlich<br />

auch daran, dass dieses Vorhaben in der Geschichte<br />

missionarischer Öffentlichkeitsarbeit ein Novum war: Noch<br />

nie seit Beginn evangelischer Missionsarbeit haben sich so<br />

viele Organisationen zu einer gemeinsamen Initiative zusammengeschlossen<br />

– und da empfiehlt sich zunächst eine<br />

.de<br />

um Gottes willen – der Welt zuliebe<br />

Anja Cours


Jugendliches Publikum am gemeinsamen Stand der Missionswerke auf dem<br />

Kirchentag. Die spielerischen Aktionen fanden ein so großes Interesse, dass sich<br />

häufig lange Warteschlangen vor den einzelnen Stationen bildeten. Während<br />

der drei letzten Kirchentage war der Stand unter dem Thema der Kampagne<br />

mission.de stets so umlagert – ein Zeichen dafür, dass man Jugendliche durchaus<br />

für das Thema Mission begeistern kann.<br />

zeitliche Begrenzung mit anschließender Auswertung der<br />

Erfahrungen. Die vom Vorstand eingesetzte Projektgruppe<br />

wird im Frühjahr 2012 die Evaluierung vorlegen und der<br />

<strong>EMW</strong>-Vorstand muss entscheiden, welche Schlüsse daraus<br />

gezogen werden sollen. Die Website mission.de wird auf<br />

jeden Fall bis Ende 2012 in Betrieb sein. Das gewährleis-<br />

Helhe Neuschwander-Lutz (2)<br />

Öffentlichkeitsarbeit<br />

tet, dass die Materialien weiterhin heruntergeladen werden<br />

können – und, soweit die Bestände reichen, auch die<br />

Printversionen der Hefte ausgeliefert werden. Die Website<br />

verzeichnet monatlich konstant über 4.000 Zugriffe, wobei<br />

die Benutzer überraschend ausgiebig von dem Download-<br />

Angebot Gebrauch machen. Allein in den letzten zwölf Monaten<br />

sind die Materialhefte über 25.000 Mal heruntergeladen<br />

werden.<br />

Ein weiterer Effekt von mission.de war, dass inzwischen<br />

die Wort-Bild-Marke zu einem Erkennungszeichen evangelischer<br />

Missionswerke geworden ist. Fast jede Veröffentlichung,<br />

fast alle Websites der Werke tragen das mission.<br />

de-Logo, zahlreiche Veranstaltungen wurden unter den<br />

Claim „um Gottes willen – der Welt zuliebe“ gestellt, und<br />

die Kernbegriffe der Kampagne (begeistern – begegnen –<br />

stärken – engagieren) haben es samt den dazu gehörigen<br />

Statements sogar in die Selbstdarstellungen einiger Werke<br />

geschafft.<br />

Aus Sicht des Projektbüros belegen die Erfahrungen der<br />

vergangenen Jahre das große Potential, das gemeinsamen<br />

Öffentlichkeitskampagnen innewohnt. Kein einzelner Träger<br />

(auch nicht ein Zusammenschluss von mehreren), wäre<br />

in der Lage gewesen, auch nur annähernd so viel Material<br />

in der Qualität herauszubringen und zu verbreiten, wie es<br />

bei mission.de gelungen ist. Gerade angesichts der schwindenden<br />

Ressourcen der Öffentlichkeitsarbeit der Missionswerke<br />

bieten solche Kooperationen enorme Möglichkeiten:<br />

So konnten auch kleine Träger der Kampagne vom gemeinsam<br />

erstellten Material für die eigene Arbeit profitieren.<br />

Andererseits verfügen auch kleinere Werke und Kirchen<br />

über besondere Kompetenzen, die sie der Gemeinschaft zur<br />

Verfügung stellen können, wie dies durch die Arbeitsgemeinschaft<br />

Mennonitischer Gemeinden (AMG) beim Materialheft<br />

6 (Frieden und Mission) geschehen ist. In einigen<br />

Missionswerken wiederum existieren Ressourcen, die in<br />

anderen nicht (mehr) vorhanden sind, zum Beispiel im Feld<br />

der Gemeindepädagogik. Das machte es möglich, das im<br />

ELM erarbeitete Material für den Konfirmandenunterricht<br />

(Heft 5) im Rahmen von mission.de herauszubringen – wovon<br />

außer den Nutzern (es war eine zweite Auflage notwendig)<br />

auch das ELM und alle anderen Träger profitierten.<br />

Auch wenn eine Fortführung der Kampagne in der bisherigen<br />

Form nicht möglich sein wird, sollten solche Potentiale<br />

auch in Zukunft genutzt werden. Hier könnte die Evaluierung<br />

der Kampagne interessante Perspektiven für eine Verstetigung<br />

ähnlicher Formen der Zusammenarbeit ergeben.<br />

<strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong> | 47


Grundsatzarbeit<br />

Fünf Zeitschriftentitel, ein gemeinsamer Mantel: Die Kooperation<br />

Missionspresse ist ein gutes Beispiel für die gemeinsame Nutzung<br />

von fachlichen und personellen Ressourcen. Kosten sparen können<br />

alle sechs Missionswerke obendrein. Die österreichische EAWM<br />

erscheint mit eigener Beilage unter dem Titel EineWelt.<br />

Kooperation Missionspresse<br />

Qualität erhöhen und Kosten sparen – unter dieser Überschrift<br />

arbeiten seit 2003 sechs Missionswerke aus<br />

Deutschland, Österreich und der Schweiz unter Federführung<br />

des <strong>EMW</strong> zusammen. Seit Jahresbeginn <strong>2011</strong> erscheinen<br />

die Zeitschriften der Kooperation Missionspresse alle<br />

drei Monate statt wie bisher alle zwei Monate. Ausgangsmotiv<br />

für diese Reduzierung waren zwar Kostengesichtspunkte<br />

(diese konnten um 20 Prozent reduziert werden),<br />

genutzt wurde die Zwangslage aber für eine Qualitätsoffensive.<br />

Mit einem überarbeiteten Konzept und erweitertem<br />

Umfang pro Heft bieten die Zeitschriften nun mehr Information<br />

pro Ausgabe – was bei den Leserinnen und Lesern<br />

offenbar gut ankommt, wie zahlreiche Rückmeldungen gezeigt<br />

haben.<br />

Publikationen mit hoher Nachfrage<br />

Neben den in der Geschäftsstelle produzierten Publikationen<br />

für mission.de wurden weiterhin eine Vielzahl eigener<br />

Veröffentlichungen erarbeitet (siehe die Übersicht auf der<br />

vorletzten Umschlagseite). Über 4.000 Personen haben sich<br />

mit ihren spezifischen Interessen im Verteiler registrieren<br />

lassen – sie erhalten die neuen Publikationen automatisch.<br />

Diese, wie auch die zahlreichen Einzelbesteller früherer<br />

Publikationen, beteiligen sich an den Herstellungskosten<br />

mit Spenden, die an die „Liste des Bedarfs“ zurückfließen.<br />

48 | <strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong><br />

| Martin Keiper, Freddy Dutz<br />

Grundsatzarbeit<br />

Weltforum für Befreiungstheologie/<br />

Weltsozialforum in Dakar/Senegal<br />

Die Referentin hat am Treffen des Weltforums für Befreiungstheologie<br />

im Februar <strong>2011</strong> in Dakar u. a. mit einem<br />

Workshop zum christlich-muslimischen Dialog mitgewirkt.<br />

Das Weltforum folgte <strong>2011</strong> einem neuen Konzept: Statt eines<br />

Vorkongresses wie noch in Belém 2009 gab es begleitende<br />

Workshops während des Weltsozialforums sowie drei<br />

theologische Studientage an einem eigenen Tagungsort.<br />

Musik und Mission<br />

Nach der Fachtagung zum Thema „Musik und Mission“,<br />

die das <strong>EMW</strong> im Juni <strong>2010</strong> gemeinsam mit dem Evangelischen<br />

Zentrum für Gottesdienst und Kirchenmusik in Hildesheim<br />

durchgeführt hatte, ist mit der Publikation des<br />

Buches „Klangwandel“ über Musik in der Mission Mitte November<br />

<strong>2010</strong> ein weiterer Schritt erfolgt. Als Ergebnis einer<br />

Kooperation zwischen <strong>EMW</strong> und Deutscher Gesellschaft<br />

für Missionswissenschaft werden darin Grundsatzfragen<br />

zur Kirchenmusik sowie konkrete Erfahrungen zu ihrer<br />

sich wandelnden Rolle in Afrika, Asien und Lateinamerika<br />

behandelt. Auch Erfahrungen im Umgang mit ökumenischer<br />

Kirchenmusik in Europa werden ausgewertet. Für<br />

2012 ist eine weitere Tagung in Hildesheim in Planung.<br />

Theologische Kommission<br />

Die Theologische Kommission, die sich im Herbst <strong>2010</strong> neu<br />

konstituiert hat, befasste sich auf zwei Sitzungen schwerpunktmäßig<br />

mit dem Thema des christlichen Zeugnisses<br />

im religiös pluralen Kontext und mit der Selbst- und Fremdwahrnehmung<br />

von Religionsgemeinschaften. Besonders<br />

das Verhältnis von Christen und Muslimen ist hier von<br />

Interesse. Ein weiteres Thema der Frühjahrssitzung der<br />

Kommission waren Migrationsgemeinden in Deutschland,<br />

wozu Frau Severin-Kaiser von der ACK-Hamburg für ein<br />

Impulsreferat eingeladen wurde. Außerdem ist zu dieser<br />

Thematik eine Stellungnahme der Kommission für den Vorbereitungsprozess<br />

der EKD-Synode <strong>2011</strong> (Thema Mission)<br />

erarbeitet worden. Ein künftiger Arbeitsschwerpunkt ist<br />

das gemeinsame Dokument von ÖRK, Weltweiter Evangelikaler<br />

Allianz und römisch-katholischer Kirche, das Empfehlungen<br />

für einen Verhaltenskodex unter dem Titel „Das<br />

christliche Zeugnis in einer multireligiösen Welt“ zu vertiefenden<br />

Debatten vorlegt.<br />

Friedensprozesse und Feministische Theologien<br />

Auf Antrag der Universität San Diego/USA wurde vom<br />

<strong>EMW</strong> ein internationales, interdisziplinäres Symposium<br />

über den Beitrag feministischer Theologien zu gesellschaft-


lichen Friedensprozessen unterstützt. Das Treffen mit insgesamt<br />

dreißig internationalen Wissenschaftlern/innen<br />

wurde im Juni <strong>2011</strong> in Kooperation u. a. mit dem Missionswissenschaftlichen<br />

Institut Aachen in Santo Domingo/<br />

Dominikanische Republik durchgeführt. Das dreitägige<br />

Symposium hat versucht, Forschungsfragen und Studien<br />

über den Einfluss von Frauen in der Interaktion von sozialen<br />

und religiösen Dynamiken ebenso nachzugehen wie<br />

deren Streben nach friedlichen Konfliktlösungen, die von<br />

Ansätzen der feministischen Theologie getragen sind. Im<br />

Zuge eines interkulturellen und interreligiösen Austauschs<br />

spielten Analysen des Einflusses von Religionen in Konflikten,<br />

von Strategien von Frauen, Konflikte aus religiöser<br />

Überzeugung zu schlichten sowie von religiösen Traditionen,<br />

in denen Frauen als Konfliktschlichterinnen auftreten<br />

eine wichtige Rolle. Befragt wurden Lösungswege, die<br />

feministische Theologien aufzeigen für eine Gesellschaft<br />

des Friedens und der sozialen Gerechtigkeit und des gelingenden<br />

interkulturellen Zusammenlebens.<br />

Bei der Konstellation dieses Symposiums handelte es sich<br />

im Blick auf den Beitrag der feministischen Theologie für<br />

eine Gesellschaft des Friedens um ein Pilotprojekt. Die Veranstaltung<br />

hatte auch auf politischer Ebene – etwa beim<br />

Frauenministerium der Dominikanischen Republik - großen<br />

Erfolg, weshalb gemeinsame Veranstaltungen zu ähnlichen<br />

Themen in Aussicht genommen worden sind. Anfang<br />

2012 soll eine Publikation mit den Beiträgen der Teilnehmenden<br />

des Symposiums erscheinen, die Debatten laufen<br />

derzeit auf elektronischen Kanälen weiter.<br />

Jahrbuch Mission <strong>2010</strong> und <strong>2011</strong><br />

Die Tagung zum Jahrbuch <strong>2010</strong> fand unter dem Thema „Spiritualität<br />

im Kampf um Gerechtigkeit in Lateinamerika“ im<br />

November <strong>2010</strong> mit rund fünfzig Teilnehmenden und Mitwirkenden<br />

in der Evangelischen Akademie Bad Boll statt.<br />

Thematisch war der Bogen von neueren Entwicklungen verschiedener<br />

befreiungstheologischer Ansätze bis zum konkreten<br />

Engagement für Menschenrechte durch kirchliche<br />

und entwicklungspolitische Gruppen gespannt.<br />

Das Jahrbuch Mission erschien im Mai <strong>2011</strong> zum Thema<br />

Gerechtigkeit. Damit wurde thematisch der Bogen zum<br />

Abschluss der Dekade zur Überwindung von Gewalt und<br />

zur Friedenskonvokation geschlagen. Zum Schlüsselbegriff<br />

„Gerechtigkeit“ erscheinen dort Grundsatzartikel („Visionen<br />

vom Reich Gottes“) und Untersuchungen zu einzelnen<br />

gesellschaftlichen Handlungsfeldern (Wirtschaft, Ökologie<br />

und Klimawandel u.a.) | Brigitta Kainz/ i.V. Christoph Anders<br />

ÖRK/Juan Michel<br />

Theologische Ausbildung<br />

Theologische Ausbildung<br />

Das OCMS – Partner in Theologischer Ausbildung<br />

Woodstock Road, Oxford, England: Es gibt kaum eine beeindruckendere<br />

Kulisse für eine theologische Ausbildungsstätte<br />

als die ehemalige St. Philips and St. James Church,<br />

ein Paradebeispiel viktorianischer Sakralarchitektur.<br />

Die 1862 geweihte anglikanische Kirche beherbergt seit<br />

Der koreanische<br />

Theologe Wonsuk<br />

Mo leitet derzeit<br />

das OCMS.<br />

1983 das Oxford Centre for Mission Studies (OCMS). Der<br />

Kirchenraum wurde behutsam umgestaltet und dient als<br />

Vorlesungssaal, Versammlungsraum und Bibliothek, in<br />

den schmalen Seitenschiffen sind Computerarbeitsplätze<br />

für die Studierenden eingerichtet. Das OCMS wird als<br />

Forschungsinstitut von INFEMIT geführt, der International<br />

Fellowship of Evangelical Mission Theologians. Hier<br />

Im Verlag Regnum des OCMS erschienen bis jetzt sechs Bände zur<br />

Vor- und Nachbereitung der Weltmissionskonferenz „Witnessing to<br />

Christ today“ – eine umfassende Bestandsaufnahme zur heutigen<br />

Missionsarbeit.<br />

vergibt die Kommission für Theologische Ausbildung des<br />

<strong>EMW</strong> seit längerem Stipendienhilfen an Studierende aus<br />

der Zwei-Drittel-Welt, die in Oxford promovieren möchten.<br />

Außerdem wird die Publikationsarbeit des OCMS über den<br />

Verlag Regnum Books gefördert.<br />

Die Studierenden werden von ihrer Heimatkirche oder von<br />

der Institution, für die sie bisher gearbeitet haben, für eine<br />

Fortbildung beim OCMS empfohlen, das vor der Aufnahme<br />

<strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong> | 49


Theologische Ausbildung<br />

die Relevanz ihres Forschungsprojektes prüft. 85 Prozent<br />

der Studierenden tun dies in Teilzeit und bleiben in ihren<br />

Arbeitsfeldern zu Hause tätig. Sie absolvieren zu Beginn in<br />

Oxford eine Einführung in alle Aspekte der Forschungsarbeit,<br />

müssen im ersten Studienjahr mindestens drei Monate<br />

und in jedem weiteren Studienjahr mindestens sechs Wochen<br />

in Oxford verbringen. Die übrige Zeit werden sie zu<br />

Hause online von ihren „academic supervisors“ aus Großbritannien<br />

begleitet. Derzeit betreut OCMS circa 120 Studierende<br />

im Forschungsprogramm, darunter 20 Frauen. Sie<br />

sind an verschiedenen britischen Universitäten, vor allem<br />

der University of Wales, für einen „Doctor of Philosophy“<br />

(PhD) eingeschrieben. Die meisten von ihnen werden nach<br />

Studienabschluss an ihren früheren Arbeitsplatz zurückkehren,<br />

mehrheitlich im Bereich Bildung und Forschung.<br />

Strategien für die theologische Ausbildung<br />

Im April <strong>2011</strong> wurde vom ÖRK und der Queen’s Foundation<br />

for Ecumenical Theological Education in Birmingham eine<br />

internationale Konferenz für Partner in der Theologischen<br />

Ausbildung organisiert. Ihr Thema war „International Partnership<br />

and Funding Strategies for Theological Education<br />

in the Global South and in Eastern Europe“. Die Queen’s<br />

Foundation hat einen Teil der Arbeit des Selly Oak Centre<br />

for Mission Studies nach dessen Auflösung übernommen,<br />

bietet Studiengänge für Menschen aus aller Welt in „Theology,<br />

Ministry and Mission“ an und baut Partnerschaften<br />

mit theologischen Ausbildungsstätten auf. Diese Konferenz<br />

war seit langem die erste Zusammenkunft von Partnern<br />

der ökumenisch-theologischen Ausbildung und diente dem<br />

Austausch über den heutigen Bedarf an Aus- und Weiterbildung<br />

christlicher Führungspersönlichkeiten in verschiedenen<br />

Teilen der Welt sowie über die Arbeit der vertretenen<br />

Organisationen. Anwesend waren 26 Vertreter/innen von<br />

Organisationen und Kirchen aus Europa und Nordamerika,<br />

die theologische Ausbildung weltweit unterstützen.<br />

Positiv wurde die Einbeziehung von Vertretern evangelikaler<br />

theologischer Ausbildung gewertet und die Möglichkeiten<br />

einer künftigen engeren Zusammenarbeit allseits<br />

begrüßt. Dies gilt auch für den ÖRK, dessen Leitung dem<br />

50 | <strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong><br />

ETE-Programm (Ecumenical Theological Education) hohe<br />

Bedeutung beimisst und sich eine Verpflichtung zur Zusammenarbeit<br />

auch in der Finanzierung von Aufgaben der<br />

ökumenisch-theologischen Ausbildung wünscht. Die Ergebnisse<br />

sind in einer „Agenda 21 for Common Collaboration<br />

in Theological Education – Findings of the Birmingham<br />

Process“ festgehalten.<br />

Kommission für Theologische Ausbildung<br />

Die Kommission für Theologische Ausbildung des <strong>EMW</strong><br />

traf sich in weitgehend neuer Zusammensetzung unter<br />

dem Vorsitz von Bischöfin i.R. Bärbel Wartenberg-Potter<br />

im November <strong>2010</strong> und im April <strong>2011</strong>. Die Vorsitzende unterstrich<br />

die Aufgabe, sowohl zur Ermöglichung theologischer<br />

Ausbildung an anderen Orten der Welt beizutragen,<br />

als auch Erfahrungen aus anderen Teilen der Welt in den<br />

deutschen Kontext zu vermitteln. Die Kommission wird<br />

sich demnächst mit den Förderkriterien genauer befassen<br />

und dabei u. a. Formen der Kooperation mit Langzeitpartnern<br />

und Organisationen aus dem evangelikalen Bereich<br />

ebenso prüfen wie Möglichkeiten der Eigeninitiative bei<br />

zentralen Themen.<br />

Unter den bewilligten Anträgen war eine Weiterförderung<br />

für das Sierra Leone Theological College and Church Training<br />

Centre. An dieser von einer Theologin geleiteten Ausbildungsstätte<br />

ergänzen neue Studiengänge in Bereichen<br />

wie Business Administration, Community Development<br />

und „Entwicklung der Zivilgesellschaft“ das Angebot an<br />

theologischer Ausbildung. Dr. Grüter konnte das College<br />

bei einer Reise nach Sierra Leone im Februar <strong>2011</strong> besuchen.<br />

Als Herausforderung wurde die Abwanderung von<br />

Absolventen/innen des Colleges genannt, die andernorts<br />

besser verdienen können. Dies ist ambivalent, da die theologischen<br />

Ausbildungsstätten öffentliches Vertrauen genießen<br />

und ihre Absolventen/innen gern angestellt werden.<br />

Andererseits gehen der Kirche dadurch kompetente Ressourcepersonen<br />

verloren.<br />

Außerdem wurden Zuschüsse zu Stipendien, zur Bibliothek<br />

und zu einem Neubau bei der Ethiopian Graduate School of<br />

Theology in Addis Abeba bewilligt. Afrika/Mittelost-Referent<br />

Dr. Boersma hat nach seinem Besuch Ende <strong>2010</strong> positiv<br />

über die EGST berichtet. Mit Postgraduierten-Studiengängen<br />

u. a. zu HIV/Aids, einem geplanten Studiengang in<br />

Islamstudien, der Förderung des christlich-muslimischen<br />

Dialogs sowie ihrer Verbindung zu evangelikalen Kirchen,<br />

der Mekane-Yesus-Kirche und der äthiopisch-orthodoxen<br />

Kirche leistet diese relativ neue, evangelikal geprägte Institution<br />

einen wichtigen Beitrag zur ökumenischen Zusammenarbeit<br />

in Äthiopien. | Maureen Trott/ i.V. Christoph Anders


Afrika<br />

Zeichen, Wunder und Probleme<br />

Der Jubel war unbeschreiblich, als die Unabhängige<br />

Wahlkommission das Ergebnis des<br />

Referendums über die Unabhängigkeit des<br />

Südsudans bekannt gab. Unglaubliche 99,57<br />

Prozent der Bevölkerung hatten für die Loslösung<br />

des Südens gestimmt – ein Ergebnis<br />

„besser als im Sozialismus“, wie die TAZ titelte.<br />

Der Unterschied war nur, dass das Resultat<br />

dem Willen des Volkes tatsächlich entsprach.<br />

Kaum bekannt wurde die Rolle des <strong>EMW</strong>-<br />

Partners Allafrikanische Kirchenkonferenz<br />

(AACC) bei der Lösung der immer wieder<br />

auftretenden Probleme im Vorfeld dieser historischen<br />

Entscheidung. Die AACC hatte den<br />

ehemaligen Generalsekretär des ÖRK, Pfarrer Sam Kobia,<br />

zum Sonderbeauftragten ernannt, für den sich viele Türen<br />

öffneten, die sonst geschlossen geblieben wären. Dass alle<br />

Seiten die AACC als unabhängigen Vermittler akzeptierten,<br />

wurde vor der Öffentlichkeit bewusst nicht ausgebreitet<br />

– diskrete Diplomatie ermöglichte vieles, was auf dem<br />

offenen Markt nicht erreichbar gewesen wäre.<br />

Für die Kirchen des Sudan war und ist – bei aller Freude<br />

über die Lösung des über Jahrzehnte dauernden Konflikts<br />

– die Trennung der beiden Landesteile mit Problemen verbunden.<br />

Die im Sudan Council of Churches (SCC) zusammengeschlossenen<br />

Kirchen wollen weiter zusammenbleiben.<br />

Schon vor dem Referendum wurde erkennbar, dass<br />

die im Norden verbliebenen Christen unter verstärkten<br />

Druck geraten würden. Die Ankündigung von Präsident<br />

al-Bashir, nun im Norden die Scharia auf alle Bürger anzuwenden<br />

und die Beschlagnahmung von kirchlichen Gebäuden<br />

durch die Regierung beunruhigen die Kirchen.<br />

Vor diesem Hintergrund plante der SCC eine Konsultation<br />

vom 5.-7. Januar <strong>2011</strong> in Khartum, bei der die Auswirkungen<br />

der Trennung der beiden Staaten auf die Gemeinschaft<br />

der sudanesischen Kirchen beraten werden sollten. Es ging<br />

unter anderem um die Frage, ob und wie die Kirchen dazu<br />

beitragen könnten, durch einen verstärkten christlich-muslimischen<br />

Dialog den sozialen Frieden im Land zu sichern.<br />

Dazu sollte die Konsultation eine gemeinsame Strategie<br />

entwickeln. Zur Stärkung der Kirchen in beiden Landesteilen<br />

sollten darüber hinaus Vereinbarungen über die Zusammenarbeit<br />

zwischen dem Norden und dem Süden und<br />

über die künftige Einbindung in die regionalen und internationalen<br />

ökumenischen Strukturen getroffen werden.<br />

Afrika<br />

An den Feierlichkeiten am 9. Juli <strong>2011</strong> in Juba, der neuen Hauptstadt<br />

des Südsudans, nahmen Hunderttausende teil – auch mit nicht-offiziellen<br />

Transparenten wie diesem, das den Stolz auf die erkämpfte<br />

Unabhängigkeit und die neue Identität ausdrückte.<br />

Das <strong>EMW</strong> konnte aus der Liste des Bedarfs kurzfristig Mittel<br />

bewilligen, um dieses strategisch bedeutsame Treffen<br />

zu ermöglichen. Diese Förderung ist ein gutes Beispiel für<br />

die komplementäre Zusammenarbeit kirchlicher Träger mit<br />

unterschiedlichen Mandaten, denn der Antrag des SCC fiel<br />

nicht in das entwicklungsbezogene Mandat der Regionalstelle<br />

Horn von Afrika des EED, sondern hatte einen theologischen<br />

(und kirchenpolitischen) Hintergrund, der in den<br />

Aufgabenbereich des <strong>EMW</strong> fällt.<br />

Tagung zur Pfingstbewegung in Afrika<br />

Zu einer internationalen Konsultation über Transformationen<br />

in der Pfingstbewegung in Afrika, hatten <strong>EMW</strong> und<br />

EED im Januar <strong>2011</strong> etwa fünfzig Teilnehmende in die Missionsakademie<br />

nach Hamburg eingeladen. Die Debatten bezogen<br />

sich auf kulturelle Wurzeln von Glaubensverständnissen<br />

und deren Veränderungen als Ausgangspunkt für<br />

gemeinsame Strategien künftiger Kooperationen, zum Beispiel<br />

in der Entwicklungszusammenarbeit. Die Vorträge<br />

wurden im Juni in einer von <strong>EMW</strong> und EED gemeinsam<br />

erstellten Online-Dokumentation mit dem Titel „Encounter<br />

beyond routine“ veröffentlicht. | Dr. Owe Boersma<br />

<strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong> | 51<br />

Roberto Schmidt/AFP/Getty Images


Mittlerer Osten<br />

Mittlerer Osten<br />

In der Zeitenwende: Kleine Kirchen stärken<br />

Der Mittlere Osten steht mitten in einer politischen Zeitenwende.<br />

Die noch nicht abgeschlossenen revolutionären Prozesse<br />

von Tunesien bis Syrien werden nicht nur die (geo)<br />

politischen Rahmenbedingungen verändern, sondern stellen<br />

auch die Christen vor große Herausforderungen. In den<br />

vergangenen Jahrzehnten haben ihnen die diktatorischen<br />

Regimes zumindest eine fragile Sicherheit geboten – nun<br />

fürchten sich die Christen und ihre Kirchen vor den Unge-<br />

Radikale Islamisten versuchen, Spannungen zwischen Christen und<br />

Muslimen zu schüren. So steckten sie am 7. Mai <strong>2011</strong> eine koptische<br />

Kirche in Kairo in Brand. Auch wenn es nach solchen Gewaltakten<br />

immer wieder zu gemeinsamen christlich-muslimischen Demonstrationen<br />

gegen Gewalt kommt, so sind die ägyptischen Christen<br />

dennoch besorgt, was ihnen die Zukunft der Revolution bringt.<br />

wissheiten, die der Umbruch mit sich bringt. Das Beispiel<br />

Irak, wo erst seit dem Ende der Herrschaft Saddam Husseins<br />

Christen vielerorts als Freiwild gelten, beunruhigt<br />

alle Kirchen.<br />

Gerade in solchen Zeiten des Umbruchs sind funktionierende<br />

ökumenische Strukturen wichtig. Der Mittelöstliche<br />

Kirchenrat (MECC) befindet sich derzeit in einer organisa-<br />

52 | <strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong><br />

STR/AFP/Getty Images<br />

torischen und finanziellen Krise und war bis jetzt nicht in<br />

der Lage, eine Position der Kirchen zu den aktuellen Umwälzungen<br />

zu finden. Deshalb ist es umso wichtiger, dass<br />

die Gemeinschaft der Evangelischen Kirchen im Mittleren<br />

Osten (Fellowship of the Middle East Evangelical Churches<br />

– FMEEC) die langfristige Stärkung der christlichen Minderheiten<br />

anstrebt.<br />

1974 gegründet, sind in ihr 15 Kirchen unterschiedlicher<br />

konfessioneller Herkunft zusammengeschlossen, jedoch<br />

gehören ihr, anders als beim MECC, die orthodoxen und<br />

die katholische Kirche nicht an. Die Mitgliedschaft umfasst<br />

evangelisch-reformierte, lutherische und episkopale<br />

Kirchen vom Persischen Golf im Osten bis nach Algerien<br />

im Westen und dem Sudan im Süden. Die meisten dieser<br />

Kirchen sind auch Mitglieder im MECC.<br />

Der FMEEC, langjähriger Partner des <strong>EMW</strong>, geht es darum,<br />

die Einheit innerhalb der evangelischen Kirchen der Region<br />

zu fördern. Dies sehen die Kirchen als Voraussetzung für<br />

die umfassende Mitwirkung in der weiteren ökumenischen<br />

Struktur des MECC. 2006 einigten sich die FMEEC-Kirchen<br />

auf die gegenseitige Anerkennung von Taufe, Abendmahl,<br />

Amt und Ordination. <strong>2010</strong> wurde die Frauenordination<br />

offiziell anerkannt, da der Ausschluss von Frauen aus<br />

der gesellschaftlichen und kirchlichen Verantwortung als<br />

Problem mit gemeinschaftsschädigenden Folgen erkannt<br />

worden war.<br />

Die FMEEC bietet den Kirchen in der Region Seminare für<br />

Laien in theologischer und praktischer Ausbildung an, die<br />

in Kooperation mit den beiden bestehenden protestantischen<br />

Seminaren der Region (Near East School of Theology,<br />

Beirut und Evangelical Theological Seminary, Kairo)<br />

durchgeführt werden. Mit diesen auch vom <strong>EMW</strong> geförderten<br />

Seminaren soll eine neue Generation von ökumenisch<br />

engagierten Führungskräften in den Kirchen aufgebaut<br />

werden, deren Zahl durch Kriege und Emigration stark<br />

dezimiert worden ist.<br />

Auch bei seinen Bildungsprogrammen in den Bereichen<br />

Frauen, Jugend und Kinder geht es der Gemeinschaft vor<br />

allem um die Stärkung von Laien in den kleinen protestantischen<br />

Kirchen. Damit setzt die Gemeinschaft einen deutlichen<br />

Kontrapunkt zu anderen Kirchen in einer Region,<br />

die traditionell patriarchalisch, hierarchisch und klerikal<br />

ausgerichtet sind. | Dr. Owe Boersma


Asien<br />

Beziehungen zum China Christian Council<br />

Auf Einladung des <strong>EMW</strong> und der EKD kam Anfang Dezember<br />

<strong>2010</strong> eine siebenköpfige Delegation des neuen Führungsgremiums<br />

des China Christian Council (CCC) unter<br />

der Leitung des Präsidenten des CCC, Rev. Gao Feng, zu<br />

einem Antrittsbesuch nach Deutschland. Erste Station ihres<br />

Besuches war Düsseldorf, wo es ein Zusammentreffen<br />

mit dem stellvertretenden Vorsitzenden des Rates der EKD,<br />

dem sächsischen Landesbischof Jochen Bohl, gab sowie mit<br />

Vertreter/innen kirchlicher Werke und Mitgliedern des<br />

Ökumenischen Chinaarbeitskreises (ÖCAK). Da der CCC<br />

nun auch eine eigene Diakonieabteilung aufgebaut hat, war<br />

das Schwerpunktthema in Düsseldorf Diakonie. Dies wurde<br />

durch einen Besuch der Kaiserswerther Diakonieanstalten<br />

veranschaulicht. Der Diakoniebeauftragte des CCC, Paul<br />

Wang, beschrieb vor allem die Situation der Wanderarbeiter,<br />

die ihre Familien auf dem Land zurückließen, um in<br />

den Städten zu arbeiten, als eine große Herausforderung<br />

für die Kirchen in den Städten und auf dem Land. Wegen<br />

der Ein-Kind-Politik sei China außerdem eine schnell alternde<br />

Gesellschaft, die die Kirche in Punkto Altenpflege<br />

herausfordert. Hauptproblem der Kirche sei „ihre eigenen<br />

Kapazitäten an ausgebildeten Kräften zu erhöhen“. Pfr. Kan<br />

Baoping betonte, dass die Freiräume der Kirchen für diakonische<br />

Arbeit noch nie so groß waren. Vom Besuch in<br />

Deutschland erhofft sich der CCC Anregungen für innovative<br />

Wege in der Diakonie und Unterstützung bei der Ausbildung<br />

professioneller Pflegekräfte.<br />

Beim Besuch in Hamburg ging es in erster Linie um Theologische<br />

Ausbildung in China. Hier waren das <strong>EMW</strong> sowie<br />

die Missionsakademie die Gastgeber, in der auch ein<br />

Workshop zum Thema Theologische Ausbildung stattfand.<br />

Begrüßt wurde die Delegation vom neuen Vorstandsvorsitzenden<br />

des <strong>EMW</strong>, Bischof Jan Janssen, und vom Direktor<br />

des <strong>EMW</strong>, Christoph Anders. Beim Workshop kristallisierte<br />

sich heraus, dass es im Bereich Theologische Ausbildung<br />

eine Reihe von Herausforderungen in China gibt. Vor allem<br />

zu nennen wären Lehrkräftemangel, Lehrkräftefortbildung,<br />

Fehlen von Lehrbüchern, Aufbau von Bibliotheken,<br />

Verbesserung der Unterrichtsqualität, Integration gesellschaftlicher<br />

Fragen und Zukunftstüchtigkeit.<br />

Die Stimmung des Besuchs war von Interesse und Wertschätzung,<br />

allerdings auch einer gewissen diplomatischen<br />

Zurückhaltung geprägt. Es kommt nun darauf an, den Besuch<br />

auszuwerten, vor allem im Blick auf Kooperationen im<br />

Bereich Theologische Ausbildung und Diakonieabteilung<br />

des CCC. | Constanze Ennen<br />

Gerd Ennen<br />

Pazifik<br />

Asien | Pazifik<br />

Fünfzig Jahre Ökumene im Pazifik<br />

Vom 30. August bis 4. September <strong>2011</strong> fand in Apia/Samoa<br />

am Malua Theological College das 50-jährige Jubiläum<br />

der Pacific Conference of Churches (PCC) statt. Mit<br />

der PCC mit Sitz in Suva, Fidschi, verbindet das <strong>EMW</strong> eine<br />

langjährige Partnerschaft. Die PCC ist ein ökumenischer<br />

Zusammenschluss von 26 Mitgliedskirchen und acht nationalen<br />

Kirchenräten. Sie wurde 1961 an eben diesem Malua<br />

Theological College als „Secretariat for the Pacific Churches“<br />

gegründet und erlebte seitdem erhebliche Umstrukturierungen.<br />

Generalsekretär ist seit der Vollversammlung<br />

2007 Fe´iloakitau Tevi, unter dessen Führung die PCC an<br />

Einfluss und Ansehen deutlich gewinnen konnte. In seiner<br />

eindrucksvollen Art hat er in den letzten Jahren bei seinen<br />

Partnerbesuchen, aber auch auf zahlreichen Veranstaltungen<br />

und Konferenzen (u. a. auf dem Klimagipfel in Oslo)<br />

immer wieder auf die Herausforderungen des globalen Klimawandels<br />

hingewiesen, denen sich die Länder im Pazifik<br />

und die Kirchen als größte zivilgesellschaftliche Kraft in<br />

einer Region gegenüber sehen, in der sich ca. 90 Prozent<br />

der Bevölkerung zum Christentum bekennen.<br />

Dass sie Kirchen in einem Gebiet zusammenhält, das 20 Prozent der<br />

Erdoberfläche einnimmt und sie miteinander ins Gespräch bringt, ist<br />

eine große Leistung der Pazifischen Kirchenkonferenz – und darauf<br />

war man beim Jubiläum stolz. Die kleinen Kirchen sind dabei allerdings<br />

auf finanzielle Unterstützung aus der Ökumene angewiesen.<br />

<strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong> | 53


Pazifik | Lateinamerika<br />

Auf der anderen Seite ist die PCC als Dachverband durch<br />

die zunehmende Charismatisierung von Gemeinden theologisch<br />

herausgefordert. Eine Antwort versucht ein neues<br />

Konzept der PCC zu geben, das unter dem Titel „Rethinking<br />

Oceania“ gemeinsam mit den Mitgliedskirchen das Rahmenkonzept<br />

für Mission und theologische Reflektion im<br />

Hinblick auf die oben genannten kontextuellen Realitäten<br />

überdenken soll. Mit diesem Programm soll die Effektivität<br />

der Missionsarbeit und der theologischen Studienarbeit<br />

in den Kirchen gestärkt und die Zusammenarbeit und<br />

der Austausch durch gemeinsame Projekte und Initiativen<br />

gefördert und damit die Zukunftsfähigkeit der PCC gesichert<br />

werden. Auch die nötige gestiegene administrative<br />

Professionalität des vergrößerten Haushalts und der ausgeweiteten<br />

Programme stellen eine große Herausforderung<br />

für die PCC dar.<br />

Das Programm des Jubiläums war in drei große Themenblöcke<br />

aufgeteilt und unter den Überschriften „Celebrating<br />

– Contextualising – Challenges“ präsentierten sich fünf<br />

Tage lang in zahlreichen Veranstaltungen die PCC und ihre<br />

Mitgliedskirchen im „true pacific style“. Als Hauptredner<br />

waren der Generalsekretär des Weltkirchenrats, Olav Fykse<br />

Tveit, der Moderator der PCC, Bischof Apimeleki Qiliho<br />

sowie der Rektor des Pacific Theological College, Fele<br />

Nokise, eingeladen. Höhepunkte waren unter vielen anderen<br />

die „Talanoa Sessions“, eine typisch pazifische Art von<br />

„Geschichten erzählen“, in denen frühere Generalsekretäre<br />

und Moderatoren der PCC aus ihren Amtsjahren berichteten<br />

– eine wertvolle Erfahrung für das jüngere Leitungspersonal<br />

der Kirchen, denn eine geregelte Überlieferungsgeschichte<br />

der ökumenischen Zusammenarbeit im „siebten<br />

Kontinent“ fehlt noch.<br />

Einen Tag nach dem Jubiläum kam es zu einem vorläufigen<br />

Ende der Amtszeit des Generalsekretärs Fei Tevi. Nach<br />

einer Sitzung des PCC-Exekutivkomitees wurde er ebenso<br />

wie der Finanzmanager für vier Wochen suspendiert und es<br />

wurde eine Untersuchung (auch von staatlicher Seite) aufgrund<br />

des Verdachtes von Unregelmäßigkeiten in der Verwendung<br />

von zweckbestimmten Mitteln eingeleitet. Zum<br />

geschäftsführenden Generalsekretär wurde Pastor Francois<br />

Pihaatae ernannt, der bisherige Programmbeauftragte<br />

für verantwortliche Führung. Bei aller Erschütterung<br />

aufgrund dieses Ereignisses muss positiv konstatiert werden,<br />

dass die Kontrollmechanismen in Bezug auf Korruptionsvermeidung<br />

gegriffen haben und selbst vor so einer<br />

verdienten Persönlichkeit wie Fei Tevi nicht halt machen.<br />

Man wird nun abwarten müssen, in wieweit die PCC diese<br />

Krise jetzt auch als Chance zu einem Innehalten und Neubeginn<br />

nutzt. | Constanze Ennen<br />

54 | <strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong><br />

Lateinamerika<br />

Eindrücke aus Kuba<br />

Im Nachgang zur Friedenskonvokation in Kingston/Jamaika<br />

kam es im Mai gemeinsam mit einer ÖRK-Delegation zur<br />

Teilnahme an den 70-Jahr-Feierlichkeiten des Kubanischen<br />

Kirchenrates (CIC) in Havanna und zu einem Kurzbesuch<br />

beim langjährigen Kooperationspartner Seminario Evangélico<br />

de Teologiá (SET) in Matanzas.<br />

Die protestantischen Kirchen Kubas befinden sich in einer<br />

komplizierten Situation. Die Wachstumsdynamik der<br />

letzten zwei Jahrzehnte hat sich abgeschwächt, denn die<br />

Anziehungskraft der Kirchen für Jugendliche, die auf der<br />

Suche sind nach alternativen gesellschaftlichen Gruppen<br />

mit tragfähigen Zukunftsperspektiven, hat offenbar abgenommen.<br />

Auch aufgrund der finanziellen Probleme vieler<br />

Partnerkirchen in den USA und Kanada sind die Kirchen<br />

von der sich verschärfenden ökonomischen Situation (Ressourcenknappheit<br />

und Teuerung) mitbetroffen. Der Reformkurs<br />

mit angezogener Handbremse, wie ihn die Partei- und<br />

Staatsführung verfolgt, birgt für den Großteil der Bevölkerung<br />

offenbar wenig Hoffnungen. In den Diskussionsforen<br />

spielen die evangelischen Kirchen kaum eine erkennbare<br />

Rolle.<br />

Die römisch-katholische Kirche hat sich zuletzt aufgrund<br />

verschiedener politischer Initiativen (v. a. bei der Freilassung<br />

von Dissidenten) als zentrales Gegenüber von Partei-<br />

und Staatsführung etabliert. Sie erhält im Gegenzug<br />

mancherlei Zugeständnisse zur Verbesserung der eigenen<br />

Arbeit – und zeigt bleibend kaum ökumenische Offenheit.<br />

Klagen über vom Ausland gesteuerte, (neo-)pentekostale<br />

missionarische Initiativen nehmen zu. Sie laufen an den<br />

bestehenden Kirchen vorbei und werben Mitglieder anderer<br />

Kirchen durch verunsichernde materielle Versprechen<br />

ab – so der Vorwurf. Dadurch nimmt die Fragmentierung<br />

des Protestantismus weiter zu und wird begleitet von einer<br />

anhaltend geringen Bereitschaft, über die kirchenpolitischen<br />

Lager hinaus miteinander das Gespräch zu suchen.<br />

Die Gemeinschaft der ökumenisch offenen Kirchen, traditionell<br />

konservative historische Missionskirchen, die großen<br />

Pfingstkirchen und neue, kaum identifizierbare christliche<br />

Gruppierungen – alle agieren nebeneinander her. In den offiziellen<br />

Feierlichkeiten dominierte die ältere Revolutions-<br />

Generation mit ihren Fragestellungen das Geschehen, jüngeren<br />

Jahrgängen gelingt es kaum, in Leitungspositionen<br />

zu gelangen – hier spielen wohl auch errungene und verteidigte<br />

Privilegien eine Rolle. Für die Zukunft der Kirchen


hängt viel davon ab, was sie in der Krise beitragen können<br />

zu einer Verbesserung der bedrückenden Lebensumstände.<br />

Von dieser Situation ist auch das SET betroffen, das seit<br />

vielen Jahren vom <strong>EMW</strong> unterstützt wird. In den Gesprächen<br />

mit der Leitung des Seminars wurden konzeptionelle<br />

Weiterentwicklungen der Lehrangebote ebenso angesprochen,<br />

wie die wenig erfreulichen finanziellen Perspektiven.<br />

Letztere beziehen sich auf die umfassende Teuerung<br />

und darauf, dass nennenswerte finanzielle Rücklagen auf<br />

Konten bei US-Banken eingefroren sind, da sich die Embargo-Bedingungen<br />

der USA im Kern nicht verändert haben.<br />

Als besonders bedrückend wird die Tendenz eingestuft,<br />

nach der sich ein deutlicher Mangel an Pfarrern/innen<br />

in verschiedenen Kirchen abzeichnet. Demgegenüber ist<br />

das Interesse an berufsbegleitenden Fortbildungen vor Ort<br />

bleibend hoch. Flexible Ausbildungsangebote sind gefragt,<br />

aber unter den gegebenen Bedingungen schwer umzusetzen.<br />

Der Ausstieg der methodistischen Kirche aus der Mitträgerschaft<br />

des SET – nach massiv profilverändernden<br />

Prozessen von Charismatisierung und antiökumenischen<br />

Rückzügen – wirkt sich, so die Einschätzung der Seminarleitung,<br />

kaum mehr aus.<br />

Die Gesamtbilanz des Kurzbesuches ist ernüchternd. Sie<br />

verbindet sich mit der Hoffnung, dass die Kirchen Kubas<br />

die Kraft finden, Hilfreiches beizutragen bei der Suche danach,<br />

was den Menschen zum Leben dient. Wichtig ist dabei<br />

die Entscheidung, dass die nächste Vollversammlung<br />

des Lateinamerikanischen Kirchenrates CLAI 2013 auf<br />

Kuba stattfinden soll.<br />

Beim Besuch von Dr. Daniel Chiquete (Mexico), früherer<br />

Studienleiter der Missionsakademie, stand die Frage nach<br />

Charismatisierungsprozessen in Kirchen Lateinamerikas<br />

im Zentrum. Er unterstrich, wie sehr auch „klassische<br />

Pfingstkirchen“ mit ihrer z. T. hundertjährigen Geschichte<br />

in Konkurrenz zu neo-pentekostalen Gruppierungen stehen.<br />

War früher eine Jenseitsorientierung mit asketischem<br />

Lebensstil angezeigt, so sind unter Jüngeren nun klare Tendenzen<br />

zur Individualisierung und materialistischen Einstellungen<br />

zu beobachten. Um diese Entwicklungen mitverfolgen<br />

zu können ist die Fortsetzung der <strong>EMW</strong>-Kooperation<br />

mit dem Netz von Pfingsttheologen (RELEP) wichtig.<br />

| Christoph Anders<br />

Finanzen<br />

Finanzen<br />

Erfreuliche Stabilität<br />

Nach einem leicht defizitären Jahr zeigt sich schon die Jahresrechnung<br />

des <strong>EMW</strong> <strong>2010</strong> wieder erfreulich stabil. Bei<br />

gegenüber dem Vorjahr um etwa 4 % reduzierten Mitgliedsbeiträgen<br />

konnte die Eigenerwirtschaftungsquote mit gut<br />

27 % noch leicht gegenüber dem starken Vorjahresniveau<br />

gesteigert werden. Infolge weiteren Sparkurses im Bereich<br />

der Sachkosten und stabiler Personalkosten war es so im<br />

Ergebnis möglich, den Rücklagen einen geringen Überschuss<br />

in Höhe von knapp 18.000 € zuzuführen.<br />

Die momentane finanzielle Stabilität ermöglicht es dem<br />

<strong>EMW</strong>, seinen Aufgaben als Dachverband nachzukommen<br />

und die mittelfristige Finanzplanung auf solider Grundlage<br />

vorzunehmen. Das ist für den Haushalt des <strong>EMW</strong> von<br />

hoher Bedeutung, denn die allgemeine Entwicklung der<br />

Finanzen im kirchlichen Bereich wird sich nach einer spür-<br />

und auch messbaren zwischenzeitlichen Beruhigung wieder<br />

eher degressiv darstellen. Hierauf gilt es vorbereitet zu<br />

sein – umso mehr für einen eingetragenen Verein, dessen<br />

überwiegende Einnahmen, die Mitgliedsbeiträge, an die<br />

finanzielle Stärke seiner Mitglieder gekoppelt sind.<br />

| Olaf Rehren<br />

<strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong> | 55


Projektförderung<br />

Projektförderung<br />

Vor der Neustrukturierung<br />

Mit dem Instrument der „Liste des Bedarfs“ fördert das<br />

<strong>EMW</strong> seit fast 50 Jahren weltweite ökumenisch-missionarische<br />

Aktivitäten von Kirchen, kirchlichen Verbänden und<br />

Organisationen in Afrika, Asien und Lateinamerika. Für<br />

diesen besonderen, in der Förderlandschaft des deutschen<br />

Protestantismus in seiner Art einzigartigen Zweck stellen<br />

die Gliedkirchen der EKD und die im <strong>EMW</strong> vertretenen<br />

Freikirchen Mittel zur Verfügung. Mit einem Volumen von<br />

rund 4,73 Mio. € bewegte sich der für die unterschiedlichsten<br />

Programme und Projekte bestehende Rahmen nur unwesentlich<br />

unter dem Vorjahresergebnis. Ein erfreulicher<br />

Wert und ein Zeichen der beständigen Wertschätzung dieses<br />

vom <strong>EMW</strong> gemanagten Instruments.<br />

Auch nach einer Neustrukturierung und -positionierung<br />

der einzelnen Schwerpunkte der Förderung bilden die ökumenisch-missionarischen<br />

Bereiche der Weltbünde (LWB,<br />

ÖRK, WGRK und Weltbibelhilfe) sowie die Theologische<br />

Ausbildung weiter den finanziellen Fokus. Im Schwerpunkt<br />

der kontintentalen Partner und Themen wird in der Förderung<br />

vermehrt auf Orientierung an mittelfristigen Themen<br />

und Herausforderungen geachtet. Die Förderung von<br />

Einzelmaßnahmen, die durch die Geschäftsstelle entschieden<br />

werden, legt besonderen Wert auf die Beachtung des<br />

ökumenischen Zugangs und der entsprechenden „Weite“<br />

der Projekte.<br />

Für den Herbst <strong>2011</strong> ist eine Publikation zur Liste des Bedarfs<br />

geplant, die auch Nicht-Insidern einen schnellen und<br />

attraktiven Zugang zu diesem unvermindert wichtigen För-<br />

deraspekt vermitteln soll.<br />

56 | <strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong><br />

Beispiel Weltbibelhilfe<br />

Eine der großen Positionen der Liste des Bedarfs ist die<br />

Aktion Weltbibelhilfe der Deutschen Bibelgesellschaft. Die<br />

Förderung ermöglicht in Zusammenarbeit mit der United<br />

Bible Society (UBS) die Übersetzung und Verbreitung der<br />

Bibel in weitere Sprachen. Auch wenn die Vollbibel in immerhin<br />

459 Sprachen verfügbar ist, liegen doch für zahlreiche<br />

Sprachen nur Übersetzungen von einzelnen Büchern<br />

des AT oder NT vor, zudem bedürfen eine Reihe von älteren<br />

Übersetzungen dringend einer Revision.<br />

Doch mit der Übersetzung ist es nicht getan. In zahlreichen<br />

Projekten erfolgt die kostenlose Verteilung von Bibeln im<br />

kleinen (32.000 Exemplare in der mehrheitlich muslimischen<br />

Sahelzone in <strong>2010</strong>) wie im großen Rahmen (in Ghana<br />

soll mit der kostenlosen Verteilung von 200.000 Bibeln in<br />

diesem Jahr die Millionengrenze erreicht werden).<br />

Beispiel Theologische Ausbildung<br />

Nicht nur vom Volumen her ist die Förderung theologischer<br />

Ausbildung der umfangreichste Schwerpunkt der Liste des<br />

Bedarfs. Zu den rund 1,2 Millionen Euro aus den Landes-<br />

und Freikirchen kommen noch einmal rund 950.000 Euro<br />

aus Mitteln des EED, so dass das <strong>EMW</strong> weltweit einer der<br />

wichtigsten Player in der Förderung theologischer Ausbildung<br />

ist.<br />

Das Sabah<br />

Theological<br />

Seminary (STS) auf<br />

Borneo wird von<br />

zwölf Kirchen der<br />

Region getragen.<br />

Aus Mitteln der<br />

Liste des Bedarfs<br />

wurde der Neubau<br />

eines Bibliotheksgebäudes<br />

unterstützt.<br />

Beraten und entschieden werden die Anträge durch die<br />

Kommission Theologische Ausbildung des <strong>EMW</strong>. Ihr Augenmerk<br />

richtet die Kommission dabei vor allem auf das<br />

Verhindern des Rückfalls in den Denominationalismus,<br />

weil die Erfahrungen zeigen, dass der Mehrwert des gemeinsamen<br />

Studiums von Theologie in ökumenischer Weite<br />

sich gerade in der Ausbildungsphase positiv auswirkt. Offenheit<br />

der die Ausbildungsstätten tragenden Kirchen ist<br />

dafür eine wesentliche Voraussetzung.<br />

| Olaf Rehren<br />

<strong>EMW</strong>/Heiner Heine


Missionsakademie<br />

Missionsakademie<br />

Zehn Jahre Fortbildung für Migrantengemeinden<br />

Das Stipendienprogramm für Doktoranden und ein Kursprogramm<br />

für kirchliche Gruppen sind seit jeher fester Bestandteil<br />

der Arbeit der Missionsakademie an der Universität<br />

Hamburg, die vom <strong>EMW</strong> und der EKD getragen wird.<br />

Zum Abschluss des Kurses erhielten die Absolventen ein Zertfikat<br />

der Missionsakademie. Damit können sie auch in den Gemeinden<br />

belegen, dass sie den Kurs erfolgreich abgeschlossen haben.<br />

Im Juli <strong>2011</strong> wurde ein Jubiläum in einem weiteren Arbeitszweig<br />

gefeiert: Mit einem Gottesdienst, in dem Bischöfin<br />

a. D. Maria Jepsen predigte, wurde der zehnte Kurs des<br />

ATTiG (African Theological Training in Germany) abgeschlossen.<br />

Mit dem Fortbildungsprogramm ATTiG für afrikanische<br />

Gemeindeleiter/innen hatte die Missionsakademie vor<br />

zehn Jahren Neuland betreten. Dem schlossen sich weitere<br />

Programme mit und für Migrationsgemeinden wie das<br />

„Practical Ministry Training“ an. Die dabei gewonnenen<br />

Erfahrungen waren eine wertvolle Ressource für Repräsentanten<br />

und Repräsentantinnen theologischer Ausbildungsstätten<br />

von Südafrika bis Norwegen, die im November<br />

<strong>2010</strong> zu einer Konsultation in der Missionsakademie<br />

zusammenkamen. Gemeinsam mit dem Koordinator des<br />

Missionsakademie<br />

ÖRK-Programms für Ökumenische Theologische Ausbildung<br />

(ETE), Dr. Dietrich Werner, tauschten die Teilnehmenden<br />

Erfahrungen aus, analysierten kritisch verschiedene<br />

Ausbildungsgänge für und mit Angehörigen von Gemeinden<br />

und Kirchen in der Migration und stellten erste Überlegungen<br />

für künftige Projekte an.<br />

Nacharbeit zu den Konferenzen<br />

von Edinburgh und Kapstadt<br />

Nachdem die Studienleitung schon an dem vorbereitenden<br />

Studienprozess zum Jubiläum der Weltmissionskonferenz<br />

und der Konferenz „Witnessing to Christ today“ (2.-6.<br />

Juni <strong>2010</strong>) selbst beteiligt war, fand auch die Nacharbeit in<br />

Deutschland in der Missionsakademie statt – dies in Zusammenarbeit<br />

mit der Koalition für Evangelisation, deren<br />

Lausanne-Konferenz in Kapstadt im Oktober <strong>2010</strong> ebenfalls<br />

zu den Konferenz-Highlights des Jahres gehörte.<br />

Eine Frucht der Stipendienarbeit konnte die Missionsakademie<br />

im Januar <strong>2011</strong> ernten, als einer ihrer ehemaligen<br />

Stipendiaten, Dr. Brighton Katabaro aus Tansania, bei der<br />

Konferenz „Encounter beyond routine“ von <strong>EMW</strong> und EED<br />

einen der Vorträge hielt. Thema der internationalen Konsultation<br />

war die Beziehung zu charismatisierten Kirchen und<br />

Pfingstkirchen in Afrika. Dass diese auch in Europa immer<br />

stärker durch ihre Migrationskirchen vertreten sind, machte<br />

Studienleiter Prof. Dr. Kahl in seinem Referat über die<br />

Herausforderung durch nicht denominational gebundene<br />

Migrationskirchen deutlich.<br />

Ein weiterer Schwerpunkt der Studienarbeit war China. Im<br />

Dezember <strong>2010</strong> war eine Delegation des China Christian<br />

Councis der Einladung des <strong>EMW</strong> gefolgt, und man arbeitete<br />

gemeinsam zu Fragen der Unterstützung theologischer<br />

Ausbildung in China. Bemerkenswert war, dass an einem<br />

Abendempfang ein Vertreter des chinesischen Generalkonsulats<br />

teilnahm, der die kirchlichen Beziehungen zwischen<br />

China und Deutschland positiv würdigte. Im Juli <strong>2011</strong> besuchte<br />

eine zweite Delegation aus Shanghai, diesmal überwiegend<br />

mit Vertretern von staatlichen Universitäten unter<br />

der Leitung des Direktors des dortigen Büros für Ethnien<br />

und Minderheiten, die Missionsakademie zu einem Austausch<br />

über Theologische und Religionsforschung. Beide<br />

Seiten hoffen, den Austausch fortsetzen zu können.<br />

<strong>2010</strong> war das erste volle Betriebsjahr für die „runderneuerte“<br />

Tagungsstätte Missionsakademie. Nach Umbau und<br />

Sanierung kann die Missionsakademie auch als attraktive<br />

Tagungsstätte funktionieren und die darin gesetzten Erwartungen<br />

beginnen sich zu erfüllen. | Dr. Michael Biehl<br />

<strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong> | 57


Wirtschaftsstelle Evangelischer Missionsgesellschaften<br />

Wirtschaftsstelle Evangelischer Missionsgesellschaften<br />

Ein schmerzlicher Abschied<br />

Mit Dank, aber natürlich auch mit Trauer blickt das <strong>EMW</strong><br />

auf das fast 60 Jahre währende Wirken seiner Wirtschaftsstelle<br />

zurück, die es in dieser Form und unter der Regie<br />

des <strong>EMW</strong> nicht mehr geben wird. Erhebliche Einbrüche in<br />

einem Geschäftszweig mit einem Großkunden, der durch<br />

das Kerngeschäft nicht mehr aufgefangen werden konnte,<br />

sowie die Unmöglichkeit, die regelmäßigen Kosten kurz-<br />

und mittelfristig an die veränderten Bedingungen anzupassen,<br />

machten im Frühjahr <strong>2011</strong> drastisch deutlich,<br />

dass die WEM die nötige Substanz nicht mehr aufbringen<br />

würde, einen sog. Turnaround zu bewältigen und in einen<br />

wirtschaftlich akzeptablen Bereich zurückzukehren. Bis<br />

zum Schluss arbeiteten alle Beteiligten auch unter Zuhilfenahme<br />

externer Beratung an Konzepten, wie eine bessere<br />

Ertragssituation sich würde wiederherstellen lassen. Mit<br />

nicht nachlassender Energie hat sich hier der letzte Geschäftsführer<br />

der WEM, Claus-Rüdiger Ullrich, engagiert,<br />

der dennoch nicht verhindern konnte, dass kurz vor seinem<br />

Ruhestand das Unvermeidliche eintrat: Der Gang zum Insolvenzgericht<br />

war nicht mehr abzuwenden.<br />

Was dann geschah, dem gebührt indes der Dank des <strong>EMW</strong>:<br />

Unter der Regie des Insolvenzverwalters konnte das Geschäft<br />

bis Ende August <strong>2011</strong> fortgesetzt werden, sodass<br />

Kunden nicht frustriert und die Gläubiger mit einer Rückzahlungsquote<br />

von rund 75 Prozent ihrer Forderungen<br />

rechnen dürfen – ein hervorragender Wert, der bei anderen<br />

Insolvenzen die 10-Prozent-Marke kaum übersteigt.<br />

Ferner gelang es, das Kerngeschäft auf eine Neugründung<br />

unter Regie von drei bisherigen Mitarbeitenden der WEM<br />

zu übertragen. Dieser neuen hoffnungsvollen Gesellschaft<br />

sollten alle guten Wünsche des <strong>EMW</strong>, seiner Mitglieder<br />

sowie der bisherigen Kunden gelten, denn sie bieten ihre<br />

Dienstleistungen in gleicher professioneller Weise an wie<br />

bisher.<br />

58 | <strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong><br />

Doch auch die Schattenseiten der Beendigung des über viele<br />

Jahrzehnte erfolgreichen Kapitels WEM sollen nicht verschwiegen<br />

bleiben: Zwei Mitarbeitenden musste im Zuge<br />

der Insolvenz gekündigt werden. Und das <strong>EMW</strong> und die<br />

Stillen Gesellschafter, ausnahmslos Mitglieder und Vereinbarungspartner<br />

des <strong>EMW</strong>, verlieren ihre Anteile bzw. Einlagen,<br />

weil diese durch die entstandenen Defizite aufgezehrt<br />

waren. Dennoch ist resümierend Dankbarkeit auszudrücken:<br />

Für fast sechs Jahrzehnte im Dienste von Mission,<br />

Entwicklungszusammenarbeit und Nothilfe, für zahlreiche<br />

gute und langjährige Beziehungen und für eine Situation,<br />

in der Projektpartner, Kunden und auch die WEM selbst<br />

zum gemeinsamen Wohl weltweit beigetragen haben. Nahezu<br />

eine Milliarde Euro Umsatz in dieser Zeit sprechen<br />

eine deutliche Sprache. | Olaf Rehren


Christoph Olaf Martin Freddy Verena Owe<br />

Anders Rehren Keiper Dutz Grüter Boersma<br />

MItArbEItEnDE In DEr GEschäFtsstEllE<br />

pfarrer christoph Anders | Direktor, Referat Lateinamerika<br />

Elisabeth Müssig-heban<br />

Sachbearbeitung Direktorat<br />

Olaf rehren | Geschäftsführer<br />

roswitha blaschke | Buchhaltung<br />

petra Deumeland | Sachbearbeitung EDV<br />

christiane Engel | Sachbearbeitung Projektabwicklung<br />

Dagmar helbig | Interne Dienste, Devisentransfer<br />

christiane hinz | Sachbearb. Projektabwicklung, Devisentransfer<br />

silke Kunert | Sachbearbeitung Personal, Reisen<br />

Max schomann | Sachbearbeitung Haushalt, Finanzen, EDV<br />

Martin Keiper | Referat Printmedien, Chefredakteur EineWelt<br />

Anke bielenberg | Sachbearbeitung Missionshilfe Verlag,<br />

Redaktionsassistenz EineWelt<br />

petra Jaekel | Sachbearbeitung Öffentlichkeitsarbeit,<br />

Projektbüro mission.de<br />

Viviana stockem | Bibliothek<br />

publIKAtIOnEn <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong><br />

Klangwandel Chile Korruption und Transparenz<br />

Über Musik Gelobtes Land der Rechenschaft in ökumeniin<br />

der Mission Gegensätze schen Beziehungen<br />

Zusammen wachsen Encounter beyound routine Krankengebete<br />

Weltweite Ökumene in Tagungsdokumentation <strong>2011</strong><br />

Deutschland gestalten (PDF auf www.emw-d.de)<br />

Jung und Alt<br />

Gemeinsamer Kalender<br />

von 15 evangelischen<br />

Missionswerken aus<br />

Deutschland, Österreich<br />

und der Schweiz<br />

Freddy Dutz | Referat Presse, Internet<br />

birgit regge | Sekretariat Presse/Layout<br />

pfarrerin Dr. Verena Grüter<br />

Referat Grundsatzarbeit/Theologische Ausbildung<br />

Maureen trott | Sachbearbeitung Theologische Ausbildung<br />

constanze Ennen | Sachbearbeitung Theologische Ausbildung<br />

brigitta Kainz | Sekretariate Grundsatzarbeit/Theologische<br />

Ausbildung, Lateinamerika<br />

pfarrer Dr. Owe boersma | Referat Afrika/Mittelost<br />

lilli von der Ohe | Sekretariat Afrika/Mittelost<br />

n.n. | Referat Asien/Pazifik<br />

constanze Ennen | Sachbearbeitung Asien<br />

christa riedel | Sekretariat Asien/Projektabwicklung<br />

.de<br />

um Gottes willen – der Welt zuliebe<br />

(Referatsleitungen in rot; Stand 30.06.<strong>2011</strong>)<br />

Material für den Frieden und Mission<br />

Konfirmandenunterricht Materialheft 6<br />

Materialheft 5<br />

Lebensgeschichten – Mission und Partnerschaft<br />

Glaubenswege Arbeitshilfe für Gemeinden<br />

Materialheft 7<br />

Gerechtigkeit<br />

Jahrbuch<br />

Mission <strong>2011</strong><br />

(Missionshilfe<br />

Verlag/<strong>EMW</strong>/<br />

VEMK)<br />

EineWelt<br />

Kooperation<br />

Missionspresse<br />

(Missionshilfe<br />

Verlag mit <strong>EMW</strong>/<br />

ELM/MEW/ems/<br />

EAWM/mission 21)<br />

6 x jährlich (<strong>2010</strong>)<br />

4 x jährlich (<strong>2011</strong>)<br />

<strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong> | 59


Der Vorstand des <strong>EMW</strong><br />

Jan Janssen (Vorsitzender)<br />

Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Oldenburg<br />

Martina helmer-pham Xuan (Stellvertr. Vorsitzende)<br />

Direktorin des Evang.-luth. Missionswerks in Niedersachsen<br />

Frieder Vollprecht (Stellvertr. Vorsitzender)<br />

Unitätsdirektor der Evangelischen Brüder-Unität -<br />

Herrnhuter Brüdergemeine<br />

Wolfgang bay, D.Min.<br />

Missionssekretär, Evangelisch-methodistische Kirche<br />

prof. Dr. Dieter becker<br />

Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Missionswissenschaft<br />

Jutta beldermann<br />

Leiterin Abteilung Deutschland, Vereinte Evangelische Mission<br />

Dr. Erhard berneburg<br />

Generalsekretär der Arbeitsgemeinschaft Missionarische Dienste<br />

bernhard Dinkelaker<br />

Generalsekretär des Evangelischen Missionswerkes<br />

in Südwestdeutschland<br />

roland herpich<br />

Direktor des Berliner Missionswerkes<br />

uwe Michelsen<br />

Journalist, Rat der EKD<br />

Martin schindehütte<br />

Auslandsbischof der Evangelischen Kirche in Deutschland<br />

Dr. Gisela schneider<br />

Direktorin des Deutschen Instituts für Ärztliche Mission<br />

Dr. ulrich schöntube<br />

Direktor der Gossner Mission<br />

christoph stiba<br />

Pastor, Bund Evang.-Freikirchlicher Gemeinden in Deutschland K.d.ö.R.<br />

Berater des Vorstands:<br />

prof. Dr. ulrich Dehn<br />

Universität Hamburg, FB Evangelische Theologie<br />

(Stand: 30.06.<strong>2011</strong>)<br />

Evangelisches Missionswerk<br />

in Deutschland e.V.<br />

Normannenweg 17-21 | 20537 Hamburg<br />

Tel. (040) 254 56-0 | Fax (040) 254 29 87<br />

E-Mail info@emw-d.de | Web www.emw-d.de<br />

Bank EDG Kiel (BLZ 210 602 37) Konto 304 95 81<br />

Vereinsregister AG Hamburg Nr. 8367<br />

Evangelisches Missionswerk<br />

in Deutschland<br />

Die Mitglieder des <strong>EMW</strong><br />

Zwölf Missionswerke<br />

n Berliner Missionswerk<br />

n Evangelisch-lutherisches Missionswerk<br />

in Niedersachsen<br />

n Evangelisch-Lutherisches Missionswerk<br />

Leipzig<br />

n Evangelisches Missionswerk in<br />

Südwestdeutschland<br />

n Mission EineWelt<br />

n Norddeutsche Mission<br />

n Nordelbisches Zentrum für Weltmission und<br />

Kirchlichen Weltdienst<br />

n Deutsches Institut für Ärztliche Mission<br />

n Gossner Mission<br />

n MBK Evang. Jugend- und Missionswerk<br />

n Morgenländische Frauenmission<br />

im Berliner Missionswerk<br />

n Vereinte Evangelische Mission<br />

n Evangelische Kirche in Deutschland<br />

Fünf Freikirchen<br />

n Arbeitsgemeinschaft Mennonitischer<br />

Gemeinden<br />

n Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden<br />

in Deutschland<br />

n Evangelisch-altreformierte Kirche<br />

in Niedersachsen<br />

n Evangelische Brüder-Unität - Herrnhuter<br />

Brüdergemeine<br />

n Evangelisch-methodistische Kirche<br />

Fünf Verbände<br />

n Arbeitsgemeinschaft Missionarische Dienste<br />

n CVJM-Gesamtverband in Deutschland<br />

n Deutsche Bibelgesellschaft<br />

n Deutsche Evangelische Missionshilfe<br />

n Deutsche Gesellschaft für<br />

Missionswissenschaft<br />

sieben Vereinbarungspartner<br />

n Christoffel-Blindenmission<br />

n Christlicher Hilfsbund im Orient<br />

n Deutsche Arbeitsgemeinschaft<br />

für Evangelische Gehörlosenseelsorge<br />

n Deutsche Seemannsmission<br />

n Hildesheimer Blindenmission<br />

n Lutherische Kirchenmission<br />

(Bleckmarer Mission)<br />

n Verband Evangelischer Missionskonferenzen

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