Jahresbericht 2010/2011 - EMW
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Einordnungen und Ausblicke<br />
Einordnungen, Vergleiche<br />
und Ausblicke<br />
In diesem abschließenden Abschnitt nehmen<br />
wir Einsichten aus den ersten beiden Kapiteln<br />
auf, um sie in größere Zusammenhänge einzuordnen<br />
und sie mit hiesigen Konstellationen<br />
zu vergleichen. Schließlich stellen wir einige<br />
Thesen auf, die für die Arbeit des <strong>EMW</strong> und<br />
seiner Mitglieder wichtig sein können.<br />
Das Christentum in Afrika befindet sich in weitreichenden<br />
Transformationsprozessen, die Forscher als „Afrikanische<br />
Reformation“ beschreiben. Pentekostale Kirchen,<br />
Afrikanisch Initiierte Kirchen (AIC) und charismatisierte<br />
„Missionskirchen“ bieten einen inzwischen mehrheitsfähigen<br />
Glaubenstypus mit starker Prägung durch Geistesgaben.<br />
61 Während in diesem Umfeld die Charismatisierung<br />
der mit europäischen Kirchen verbundenen Partnerkirchen<br />
gewachsen ist, hat sich davon autonom ein „kirchliches Geschäftsmodell“<br />
neo-pentekostaler Ausprägung verbreitet.<br />
Viele Theologen bewerten die Erfahrung der Ermächtigung,<br />
vor allem gebildeter Afrikaner, zu einem selbstbewussten<br />
und selbstbestimmten Lebensstil als positiv. Afrikanische<br />
Theologen stellen fest: Die Missionskirchen haben „Double-<br />
Standard-Christen“ produziert, die zwischen europäischer<br />
Theologie und afrikanischer Lebenswirklichkeit pendeln.<br />
Dagegen ist die Auseinandersetzung mit dem konkreten<br />
Bösen und mit Krankheit und Heilung in charismatischen<br />
Kontexten eine neue Form der Kontextualisierung, eine an<br />
afrikanische Lebenswelten angepasste Version des Christentums.<br />
Tatsächlich werden in Kreisen der Partnerkirchen Versuche<br />
unternommen, charismatische Elemente zu integrieren. In<br />
Kamerun ist es der PCC über mehr als zwanzig Jahre gelungen,<br />
(weiteren) Abspaltungen vorzubeugen. Liturgische<br />
Flexibilität in Sachen Taufe und die Offenheit für Gebetsheilungen<br />
sind dort wichtige Elemente. Die Herrnhuter Kirche<br />
in Tansania hat eine kirchenmusikalische Erneuerung<br />
vollzogen und in vielen Gemeinden neben herkömmlichen<br />
Gottesdiensten am Sonntagvormittag einen Erweckungsgottesdienst<br />
am Nachmittag eingeführt. Dort werden verschie-<br />
34 | <strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong><br />
dene Elemente pentekostaler Spiritualität aufgenommen.<br />
Dieses Modell ist auch vielerorts in lutherischen Gemeinden<br />
in Tansania zu beobachten. Die Spannung zwischen<br />
etablierter Kirche und „Bewegung“ bleibt in diesen Kirchen<br />
bestehen, eskaliert aber (noch) nicht. Etwa bei der Baptist<br />
Convention of Malawi, wird jedoch das verbreitete Phä-<br />
nomen beobachtet, dass charismatische Christen häufig<br />
den Anspruch erheben, bessere Christen als Nicht-Charis-<br />
matiker zu sein, was zu Konflikten zwischen den Gruppen<br />
führt.<br />
Umgang mit Konflikten<br />
Mit den Konflikten wurde und wird unterschiedlich umgegangen.<br />
Manche Kirchen und Gemeindeleitungen schlossen<br />
die „Erweckten“ oder „Erneuerer“ aus. Anderenorts<br />
verließen diese ihre Kirche und gründeten die charismatische<br />
Version der Heimatkirche oder schlossen sich anderen<br />
Kirchen an.<br />
Die Integration von charismatischen Elementen hat in einigen<br />
Partnerkirchen die Leitungsebene erreicht. Ende <strong>2010</strong><br />
wurde in der Presbyterianischen Kirche Ghanas mit mehr<br />
als 70 Prozent der Stimmen der Synode ein dezidiert charismatischer<br />
Moderator gewählt. Die äthiopische Mekane<br />
Yesus-Kirche hat in den höchsten Ämtern profilierte Charismatiker<br />
und bezeichnet sich schon seit längerer Zeit als<br />
„charismatische und lutherische Kirche“. Vergleichbare<br />
Entwicklungen sind auch bei anderen Kirchen im Gang.<br />
Einige deutsche Missionswerke haben die Problematik der<br />
Charismatisierung in gemeinsamen Konsultationen angesprochen.<br />
Schon 1999 machte die Norddeutsche Mission mit<br />
ihren Partnern den Versuch, charismatische Phänomene zu<br />
benennen und eine Gewichtung für den Gebrauch in den<br />
Gemeinden vorzuschlagen. Diese Differenzierung brachte<br />
spürbare Entspannung bei den beteiligten Akteuren. Die<br />
Vereinte Evangelische Mission hat sich 2003, ebenfalls in<br />
Ghana, zu einer größeren multiregionalen Feldforschung<br />
getroffen. Im Fokus stand das Charisma der Heilung. Eine<br />
direkte Folge dieser Konsultation war die institutionel-