Jahresbericht 2010/2011 - EMW
Jahresbericht 2010/2011 - EMW
Jahresbericht 2010/2011 - EMW
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Luther oder die Betonung der Schwachheit und des Mitleidens<br />
Christi werden in diesen Pfingstkirchen nach meinen<br />
Beobachtungen theologisch ausgeblendet. Hier könnte ein<br />
fruchtbares theologisches Gespräch ansetzen, denn die Erfahrung,<br />
dass nicht jede Krise durch den Glauben an Gott<br />
überwunden wird und Armut nicht immer in Wohlstand<br />
mündet, machen auch nigerianische Christen. Auch moralische<br />
Fragen wie Homosexualität erscheinen in einem<br />
anderen Licht, wenn sie nicht notwendigerweise dem Handeln<br />
Satans zugeschrieben werden. Ein Aufbrechen des<br />
dualistischen Paradigmas scheint mir geboten.<br />
Andererseits fragen Pastorinnen und Pastoren nigerianischer<br />
Pfingstkirchen meiner Ansicht nach zu Recht, wie<br />
deutsche Großkirchen dem Auftrag Jesu, in seinem Namen<br />
Jacob Silberberg/Getty Images<br />
böse Geister auszutreiben (Mk. 16,17), nachkommen. Bei<br />
vielen Migrantinnen und Migranten insbesondere aus Afrika<br />
ist das Bewusstsein, von Dämonen und bösen Geistern<br />
besessen zu sein, stark ausgeprägt. In Deutschland wird<br />
dieses Thema völlig übergangen, obwohl wichtige Vertreter<br />
und Strömungen der Seelsorgebewegung des 20. und 21.<br />
Jahrhunderts (Thurneysen, Scharfenberg und Josuttis) sich<br />
mit dämonischer Besessenheit beschäftigt haben. Migrantinnen<br />
und Migranten zeigen hier auf einen blinden Fleck<br />
in der theologischen Reflexion der „mainline churches“,<br />
die aufgrund ihrer volkskirchlichen Ausrichtung selbstverständlich<br />
auch die theologischen Fragen von Menschen,<br />
die nach Deutschland zugewandert sind, ernst nehmen und<br />
bearbeiten sollten.<br />
Ein weiteres Thema, in dem unterschiedliche Welten aufeinander<br />
treffen, ist das Thema „Struktur“. Ein Pastor<br />
der Redeemed Christian Church of God, einer der größten<br />
Pfingstkirchen Nigerias, beklagte etwa, dass Deutsche<br />
mit dem Wort Kirche die althergebrachten Institutionen in<br />
Verbindung brächten. Ähnliches habe er auch in der anglikanischen<br />
Kirche in Nigeria beobachtet, die in den letzten<br />
Jahren zahlreiche Mitglieder verloren habe. Junge und gebildete<br />
Menschen hier wie dort könnten sich mit den traditionellen<br />
Kirchen nicht mehr identifizieren, weil sie diese als<br />
fremdartige und langweilige Einrichtungen betrachteten.<br />
Vor dem Hintergrund dieser Negativfolie der institutionalisierten<br />
Kirchen, denen der Pastor neben der römisch-katholischen<br />
und der evangelischen Kirche in Deutschland<br />
auch einige Pfingstkirchen zurechnete, entwickelte er ein<br />
neues Konzept eines Seminars oder Treffpunktes, in denen<br />
auf die Bedürfnisse der Menschen eingegangen werden<br />
könne. Weniger Struktur, so seine Quintessenz, fördere<br />
das Wirken des Heiligen Geistes.<br />
Diese Meinung teilen die meisten seiner Kollegen. Es gibt<br />
aber auch Ausnahmen: Gerade die fehlende Struktur sah<br />
der Pastor einer anderen internationalen Pfingstkirche als<br />
besonderes Problem an. Es sei zu einfach zu sagen, Bürokratie<br />
sei nutzlos und entbehrlich, weil der Heilige Geist<br />
jenseits von Bürokratie wirke. Heutzutage gebe es auch<br />
viele, die sich auf das Wirken des Heiligen Geistes beriefen,<br />
um sich aus eigener Initiative als Präsident oder Gründer<br />
einer Kirche zu deklarieren. Dadurch entwickele sich eine<br />
unkontrollierbare Menge an Gemeinden und Pastoren, denen<br />
keinerlei Grenzen aufgezeigt würden. Mit ihren Strukturen<br />
hätten die etablierten Großkirchen diesen Gemeinden<br />
eindeutig etwas voraus.<br />
Inwieweit Strukturen das Wirken des Heiligen Geistes<br />
hemmen oder einen nachhaltigen Gemeindeaufbau fördern<br />
<strong>EMW</strong>-<strong>Jahresbericht</strong> <strong>2010</strong>/<strong>2011</strong> | 23