Der Birklehof in der Nachkriegszeit 1946-1963 - Schule Birklehof
Der Birklehof in der Nachkriegszeit 1946-1963 - Schule Birklehof
Der Birklehof in der Nachkriegszeit 1946-1963 - Schule Birklehof
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ürgerlicher und weniger wi<strong>der</strong>wärtig vor sich g<strong>in</strong>g als an<strong>der</strong>swo. Das blieb alles <strong>in</strong> allem auch bis<br />
1944 so, trotz Verstaatlichung, trotz kle<strong>in</strong>erer und größerer Konzessionen, trotz des SAuniformierten<br />
Herrn Serbser, <strong>der</strong> e<strong>in</strong>es Tages, wohl als Aufpasser, im Kollegium vorhanden war<br />
und den wir fürchteten und verachteten.<br />
Wenn mich trotzdem manches aus dieser Zeit <strong>in</strong> <strong>der</strong> Er<strong>in</strong>nerung immer noch etwas bedrückt,<br />
dann s<strong>in</strong>d eher bestimmte Charakteristika deutscher Landschulheimerziehung daran schuld, die<br />
als solche sicher nicht nazistisch waren, gleichwohl aber fatal. Die Schulgesetze (ich sehe sie noch<br />
<strong>in</strong> gotischen Lettern vor mir und höre ihre hochtrabende Sprache: „Ehre das Schaffen <strong>der</strong><br />
Hände“); Schulanzug und Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gsplan, die man „verliehen“ bekam und die man „verlor“, d. h.<br />
die entzogen wurden, wenn man sich ihrer nicht als würdig erwies: E<strong>in</strong>richtungen voll gestelzten<br />
elitären Anspruchs, für K<strong>in</strong><strong>der</strong> fasz<strong>in</strong>ierend und ver<strong>der</strong>blich zugleich. Auch das Pr<strong>in</strong>zip <strong>der</strong><br />
absoluten Ehrlichkeit gehört hierher. Nicht nur, daß man dazu erzogen wurde, auf die<br />
„Staatsschüler“ herunterzusehen. Alle diese sakrosankten E<strong>in</strong>richtungen trugen letztlich dazu bei,<br />
arrogant und verzagt zu machen, Solidarität und das Vertrauen <strong>in</strong> den an<strong>der</strong>en zu unterm<strong>in</strong>ieren.<br />
M<strong>in</strong>na Specht soll e<strong>in</strong>mal gesagt haben: „E<strong>in</strong>e <strong>Schule</strong>, die von sich sagt, bei uns wird nicht<br />
gelogen, macht mir ke<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>druck, wohl aber e<strong>in</strong>e, die von sich sagen kann, bei uns muß nicht<br />
gelogen werden.„ Noch heute schäme ich mich <strong>in</strong> den Boden, wenn mir e<strong>in</strong>fällt, daß ich e<strong>in</strong>mal,<br />
nach dem verme<strong>in</strong>tlichen Wahrhaftigkeitspr<strong>in</strong>zip („Sage die Wahrheit, for<strong>der</strong>e sie“), e<strong>in</strong>en<br />
Gleichaltrigen verpetzte. Erzieherisch hat dieses Erlebnis immerh<strong>in</strong> gewirkt: Ich war von diesem<br />
Tag an von <strong>der</strong>lei Hypokritischem geheilt.<br />
Wenn möglich noch ambivalenter war die hymnische Lebensweise, die damals zum Stil <strong>der</strong><br />
<strong>Schule</strong> zu gehören schien, die verordnete Andächtigkeit und angestrengte Festlichkeit. Das zog<br />
sich durch alle Bereiche: Die Rituale beim Volkslie<strong>der</strong>s<strong>in</strong>gen, das Schweigen nach den<br />
Abendfeiern, die Auswahl <strong>der</strong> Mitspieler beim Weihnachtsspiel (nicht nach Spieltalent o<strong>der</strong><br />
Spiellust, son<strong>der</strong>n nach dem Grad des „guten“ <strong>Birklehof</strong>ers), die gottesdienstähnliche Verehrung<br />
<strong>der</strong> ersten Schulgefallenen, die Strafgerichte von Schulversammlungen, die H<strong>in</strong>auswürfe, <strong>der</strong>en<br />
Opfer, vom Moment des Urteilsspruchs bis zu ihrer Abreise, <strong>in</strong> Quarantäne genommen wurden,<br />
so, als seien sie von e<strong>in</strong>er ansteckenden Krankheit befallen; schließlich auch die Art, <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
stellenweise die Schülerhierarchie (Helfer, R<strong>in</strong>g) zelebriert wurde. Gewiß haben das viele<br />
<strong>Birklehof</strong>er <strong>der</strong> damaligen Zeit ganz an<strong>der</strong>s erlebt. Sie mögen nachsichtig mit mir se<strong>in</strong>. Ich selbst<br />
habe mich, seitdem ich erwachsen b<strong>in</strong>, nicht mehr zu wun<strong>der</strong>n aufgehört, daß <strong>der</strong> Englandfreund<br />
Kurt Hahn und <strong>der</strong> Humanist Kuchenmüller es <strong>in</strong> ihre Pädagogik e<strong>in</strong>bezogen haben, <strong>in</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>n<br />
unkritische Schwärmerei und Überheblichkeit zu entfachen, statt sie zu Urteilsvermögen<br />
anzuleiten, zu Maß, common sense und Achtung vor dem Schwächeren (und zwar nicht nur vor<br />
dem physisch, son<strong>der</strong>n auch vor dem psychisch, <strong>in</strong>tellektuell, sozial Schwächeren).<br />
Freilich – und das ist bei <strong>der</strong> Pädagogik ja wohl oft das Tröstliche – sah die Wirklichkeit immer<br />
wie<strong>der</strong> an<strong>der</strong>s aus als die Theorie, war menschlicher und weniger geschraubt als <strong>der</strong> „Stil“. Dafür<br />
sorgten schon die verschiedenartigen und wi<strong>der</strong>borstigen Charaktere <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lehrerschaft: Sehrt,<br />
Götz, Mansar, Berta Siebeck (die ich allerd<strong>in</strong>gs nicht mehr im Unterricht erlebte), auch <strong>der</strong><br />
glatzköpfige Herr Freund. Für uns vor allem aber Goll. In se<strong>in</strong>en Deutsch- und<br />
Geschichtsstunden erstickte Überschwang <strong>in</strong> Stilkritik und Ironie, wurde Literatur nicht<br />
zelebriert, son<strong>der</strong>n bedacht und besprochen, und wurde, noch 1944, deutsche Zeitgeschichte mit<br />
fast Brecht’scher List bloßgelegt. Goll war es auch, <strong>der</strong> se<strong>in</strong>en Mentorenk<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>in</strong> diesem letzten<br />
Kriegsjahr erklärt hat, für e<strong>in</strong>e damals angeordnete Umfrage, ob man <strong>in</strong> den Schulferien<br />
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