Der Birklehof in der Nachkriegszeit 1946-1963 - Schule Birklehof
Der Birklehof in der Nachkriegszeit 1946-1963 - Schule Birklehof
Der Birklehof in der Nachkriegszeit 1946-1963 - Schule Birklehof
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<strong>Der</strong> <strong>Birklehof</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
<strong>Nachkriegszeit</strong> <strong>1946</strong>-<strong>1963</strong><br />
E<strong>in</strong>e Textsammlung<br />
März 2004
Vorwort und Inhaltsverzeichnis<br />
Man hat mir den Auftrag gegeben, e<strong>in</strong>e Geschichte <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> <strong>Birklehof</strong> <strong>in</strong> den Jahren <strong>1946</strong> –<br />
1955 zu schreiben. Da aber die kargen Archivalien <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> nur wenig hergaben und ich nicht<br />
imstande war, <strong>in</strong> Deutschland herumzureisen um oral history zu betreiben, halte ich es für das<br />
Beste, die vorhandenen Texte, die sich mit diesem Zeitraum befassen, noch e<strong>in</strong>mal abzudrucken.<br />
Es handelt sich dabei um e<strong>in</strong>en Auszug aus Frau Herchenröthers Geschichte <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>, sowie<br />
um zwei Texte von Jürg Zutt und mir, die <strong>in</strong> den Schriften anlässlich des 50. Jubiläums des<br />
<strong>Birklehof</strong>s im Jahre 1982 abgedruckt s<strong>in</strong>d.<br />
Schließlich füge ich zwei listenartige Kapitel an. Im ersten s<strong>in</strong>d, ohne Anspruch auf<br />
Vollzähligkeit, die Namen <strong>der</strong> Damen und Herren genannt, die sich <strong>in</strong> dieser Zeit als Lehrer und<br />
Erzieher um uns bemüht haben. Mancher Name, den man schon vergessen zu haben glaubt, wird<br />
mancherlei Er<strong>in</strong>nerungen, kuriose und dankbare, wachrufen. [Anmerkung: Die Liste wurde von<br />
Frau Knöpfle weiter ergänzt und umfasst alle am <strong>Birklehof</strong> <strong>in</strong> den Jahren <strong>1946</strong> bis <strong>1963</strong> tätigen<br />
Erwachsenen, soweit heute bekannt.] Dasselbe mag e<strong>in</strong>e ebenso unvollständige Aufzählung <strong>der</strong><br />
Theaterstücke, die <strong>in</strong> diesen Jahren auf dem <strong>Birklehof</strong> aufgeführt wurden, bewirken. Soweit es<br />
möglich war, habe ich auch die Namen <strong>der</strong> Schauspieler genannt.<br />
Gerbert Hübner, im März 2004<br />
Hildegard Herchenröther<br />
Me<strong>in</strong>e Geschichte <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> <strong>Birklehof</strong>, Auszug <strong>1946</strong> – 63 (1982) 2<br />
Jürg Zutt<br />
<strong>Birklehof</strong> 1941 – 47 23<br />
Maria Schütze-Bergengruen<br />
Er<strong>in</strong>nerungen an die Picht-Ära, <strong>1946</strong> – 1948 (2003) 30<br />
Gerbert Hübner:<br />
Auf dem <strong>Birklehof</strong>, 1947 – 55 (1982) 39<br />
Erwachsenen-Liste (2004) 50<br />
Theater auf dem <strong>Birklehof</strong> nach <strong>1946</strong> (2003) 56<br />
Vom <strong>Birklehof</strong> wurden <strong>der</strong> Sammlung entsprechend des Zeitraumes, den das Treffen umfasst,<br />
noch zwei Texte zu Helmut L<strong>in</strong>demann beigefügt.<br />
Christian Petry<br />
Auf <strong>der</strong> Suche nach dem „jenseitigen“ Ufer<br />
Veröffentlicht <strong>in</strong>: Helmut L<strong>in</strong>demann: Die Arbeit des Publizisten, 2001 60<br />
Henn<strong>in</strong>g Burk<br />
Helmut L<strong>in</strong>demann auf <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> <strong>Birklehof</strong><br />
Veröffentlicht <strong>in</strong>: Helmut L<strong>in</strong>demann: Die Arbeit des Publizisten, 2001 65<br />
1
Me<strong>in</strong>e Geschichte <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> <strong>Birklehof</strong><br />
Hildegard Herchenröther<br />
1600<br />
Die älteste Erwähnung des „Birklishof“ habe ich im Rathaus <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>de H<strong>in</strong>terzarten<br />
gefunden. Hier heißt es „daß ehmals auf diesem Hofe das Geschlecht Hecht hauste“ und daß<br />
Moritz Hecht anno 1608 starb. Se<strong>in</strong> „Nachfahr und Tochtermann“ war Adam Birkle. Ihm<br />
folgten viele Nachfahren Birkle, Birkl<strong>in</strong> und Bürkl<strong>in</strong>. Ende des Jahrhun<strong>der</strong>ts heißt es <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Chronik : „Dieser Hof ist schon sehr alt, was schon se<strong>in</strong>e Bauart verrät, und welche auf<br />
wenigstens hun<strong>der</strong>t Jahre schließen läßt. Es geht e<strong>in</strong>e alte Sage, daß dieses Haus ehemals das<br />
Meßmerhaus zu St.Oßwald unter <strong>der</strong> Staig gewesen sei. <strong>Der</strong> Hof hat se<strong>in</strong>en Namen vom<br />
Geschlechte Birkle, welches denselben schon sehr lange besitzt.“ Das früheste Datum bezieht<br />
sich auf e<strong>in</strong>e Christ<strong>in</strong>le Bürklis Frau, die zwischen 1416 und 1475 lebte. Schließlich hieß es dann<br />
von Jacob Birkl<strong>in</strong>, geb. 1747, daß er nur e<strong>in</strong>e Tochter hatte. Und <strong>der</strong> letzte Satz lautet: „Von dem<br />
Geschlechte Birkle s<strong>in</strong>d hier Orts ke<strong>in</strong>e männlichen Nachkommen mehr übrig als die zween<br />
Söhne des Michel Birkle: Laurentius, geb. 1779, Philip 1781, davon e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong> Mühlvogt, <strong>der</strong><br />
an<strong>der</strong>e e<strong>in</strong> Gerber ist. Beyde s<strong>in</strong>d noch unverehlicht und <strong>in</strong> <strong>der</strong> Fremde.“<br />
Dies s<strong>in</strong>d die ersten Blicke <strong>in</strong> die am weitesten zurückliegende Vergangenheit...<br />
<strong>1946</strong><br />
Es ist außerordendlich schwierig für e<strong>in</strong>e Mitarbeiter<strong>in</strong> am alten <strong>Birklehof</strong> den Neubeg<strong>in</strong>n <strong>der</strong><br />
<strong>Schule</strong> im Januar <strong>1946</strong> zu schil<strong>der</strong>n, zumal dann, wenn sie ihn nicht selbst miterlebt hat. Also<br />
muß ich mich hier wie<strong>der</strong> beziehen auf das, was man mir erzählt hat o<strong>der</strong> was an<strong>der</strong>e darüber<br />
geschrieben haben. Im ersten Heft „<strong>Der</strong> <strong>Birklehof</strong>“, das im Mai 1952 erschien, schreibt Herr<br />
Picht über die Wie<strong>der</strong>eröffnung: „Im Sommer 1945 beschloß Herr Dr. Wendelstadt mit<br />
ungebrochener Zuversicht, die Wie<strong>der</strong>eröffnung <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> vorzubereiten, — im Herbst fragte er<br />
mich, ob ich bereit sei, die Leitung zu übernehmen. Ich antwortete ihm, me<strong>in</strong>er Ansicht nach<br />
seien die Zeitumstände so ungünstig, daß ich diesem Wagnis nicht mehr als 5 Prozent an<br />
Aussichten zubilligen könnte, — ich sei aber bereit, auf diese 5 Prozent zu setzen. So wurde dann<br />
am 7. Januar <strong>1946</strong> die <strong>Schule</strong> neu eröffnet. Ich übernahm die leeren, teilweise von Marokkanern<br />
verwüsteten Häuser, e<strong>in</strong>en Kohlenvorrat, mit dem ausschließlich <strong>der</strong> Saalbau geheizt werden<br />
konnte, Kartoffeln für drei Wochen, Kohlrüben für fünf Wochen und e<strong>in</strong>en Rest von<br />
Schulbüchern, <strong>der</strong> nicht e<strong>in</strong>mal für die zwölf <strong>in</strong>ternen und etwa fünfzig externen Schüler<br />
ausreichen wollte, mit denen wir unsere Arbeit begannen. Mit Rücksicht auf die externen Schüler<br />
mußte sofort <strong>in</strong> sämtlichen neun Klassen <strong>der</strong> Unterricht aufgenommen werden, — im Sommer<br />
<strong>1946</strong> wurde bereits von zwei Schülern das erste Abitur erfolgreich abgelegt“. Hier muß ich e<strong>in</strong>e<br />
persönliche Er<strong>in</strong>nerung e<strong>in</strong>fügen. Dieses Abitur war wirklich e<strong>in</strong> Unikum. Es fand statt im<br />
„Olymp“ des Altbirkle. Herr Picht hatte sich e<strong>in</strong> Be<strong>in</strong> verletzt und mußte liegen. So<br />
versammelten sich die Prüfl<strong>in</strong>ge mit den prüfenden Lehrern und e<strong>in</strong>er sehr verständnisvollen<br />
Kommissar<strong>in</strong> vom Oberschulamt an <strong>der</strong> Couch von Herrn Picht. Allzu viel konnte man nach<br />
e<strong>in</strong>em halben Jahr Unterricht von den beiden Prüfl<strong>in</strong>gen nicht verlangen, aber sie haben sich<br />
tapfer geschlagen.<br />
Die wenigen <strong>in</strong>ternen Schüler wohnten im Saalbau unter <strong>der</strong> Betreuung von Herrn Dr. Goll, <strong>der</strong><br />
viel dazu beigetragen hat, die ersten Nachkriegsjahre zu überstehen. — Nach den Osterferien<br />
2
<strong>1946</strong> wurde <strong>der</strong> Hirschen wie<strong>der</strong> eröffnet. In e<strong>in</strong>em ganz kalten Haus zogen zum ersten Mal<br />
wie<strong>der</strong> „Kle<strong>in</strong>e“ <strong>in</strong> den <strong>Birklehof</strong>. Me<strong>in</strong> Mann und ich haben dann acht Jahre lang dieses Haus<br />
geführt. Die Zahl <strong>der</strong> uns anvertrauten <strong>Birklehof</strong>er steigerte sich im Lauf <strong>der</strong> Zeit auf über 70.<br />
Außerdem gab es im Hirschen fünf Klassenräume. Das Haus ist zwar groß, aber heute kann man<br />
es sich kaum vorstellen, daß <strong>der</strong> zahlenmäßig größte Teil des <strong>Birklehof</strong>s dort lebte und auch<br />
unterrichtet wurde. Die Zimmer mußten natürlich auch dicht belegt werden. So gab es den<br />
sogenannten „Zwölferstall“, und auch sonst Zimmer mit sieben und acht Betten, — für die<br />
heutigen <strong>Birklehof</strong>er kaum vorstellbar! Wir hatten alle Jungen von Sexta bis Obertertia im Haus.<br />
Das Leben war dementsprechend munter und laut, aber auch fröhlich. Schwierig war es, daß <strong>in</strong><br />
den ersten Jahren das Heizen dieses großen Hauses unmöglich war. So gab es nur <strong>in</strong> den<br />
Klassenzimmern primitive eiserne Öfen, und e<strong>in</strong> weiterer Ofen stand <strong>in</strong> unserem Wohnzimmer,<br />
dessen Ofenrohr durch e<strong>in</strong>e Fensterscheibe nach außen g<strong>in</strong>g und <strong>der</strong> eigentlich immer rauchte.<br />
— Am Pf<strong>in</strong>gstsamstag '46 endlich hatten wir die Möglichkeit, unsere Möbel von Donauesch<strong>in</strong>gen<br />
nach hier zu beför<strong>der</strong>n. In e<strong>in</strong>em offenen Lastwagen, <strong>der</strong> mit Holz betrieben wurde, fuhren wir<br />
hierher — wir selber saßen mitten unter den Möbeln.<br />
Am Pf<strong>in</strong>gstsonntag mußten wir aus den Klassenzimmern Stühle holen, damit alle zum Pf<strong>in</strong>gsttreffen<br />
gekommenen Altbirklehofer wenigstens sitzen konnten. Bewirten konnten wir sie<br />
ke<strong>in</strong>esfalls. Die Verpflegung aller Schüler und Mitarbeiter war überhaupt e<strong>in</strong>es unserer größten<br />
Probleme. Wir hatten zwar e<strong>in</strong>en Koch, Herrn Kaiser, den jetzigen Besitzer vom<br />
„Tannewirtshus“ an <strong>der</strong> Straße nach Breitnau, aber er konnte mit se<strong>in</strong>en Künsten <strong>in</strong> dieser Zeit<br />
nicht viel anfangen. Wir hatten auch e<strong>in</strong>e Wirtschaftsleiter<strong>in</strong>, die Gräf<strong>in</strong> Pfeil, die mit ihrer<br />
Familie aus Schlesien hierher gekommen war. Alle gaben sich die größte Mühe, aus dem<br />
Wenigen, was wir hatten, das Beste zu machen. Trotzdem aber hatte man eigentlich immer<br />
Hunger.<br />
E<strong>in</strong> Problem für uns waren die Freßpakete von zu Hause. In dieser Hungerzeit konnte man<br />
Eßbares wirklich nicht frei herumstehen o<strong>der</strong> liegen lassen. Naschen war nur allzu begreiflich. So<br />
richteten wir den „Eßschrank“ e<strong>in</strong>. Er stand neben unserer Wohnzimmertür. Zweimal täglich gab<br />
es „Eßschrankausgabe“. Wir fanden es so traurig, wenn Jungen, die ke<strong>in</strong>e Pakete bekamen, dann<br />
im H<strong>in</strong>tergrund standen und hungrig und sehnsüchtig zuschauen mußten. Natürlich versuchten<br />
wir, die glücklich Besitzenden zum Verteilen zu bewegen, was glücklicherweise auch meistens<br />
gelang.<br />
Das morgendliche und abendliche Waschen mußte lei<strong>der</strong> immer nur mit kaltem Wasser<br />
vollzogen werden, unten <strong>in</strong> dem großen Waschraum mit den lauten, schwenkbaren<br />
Waschbecken. Es war immer e<strong>in</strong> Mordskrach. Und samstags zogen wir mit <strong>der</strong> ganzen<br />
Jungenschar <strong>in</strong> die Waschküche unter dem Eßsaal. Dort gab es heißes Wasser! Alle wurden dann<br />
gründlich abgeseift und mit e<strong>in</strong>em Schlauch abgespritzt. Es war jedesmal e<strong>in</strong> großes Fest. Es gab<br />
auch an<strong>der</strong>e Feste, z. B. das Nummernspiel an regnerischen Sonntagnachmittagen. Das Spiel<br />
genau zu beschreiben, würde zu weit führen, aber es war e<strong>in</strong> aufregendes Spiel, das durch alle<br />
fünf Stockwerke des Hirschen g<strong>in</strong>g, und mit viel Treppauf und Treppab und mit sehr viel<br />
Geschrei vor sich g<strong>in</strong>g. Wenn wir das während zwei o<strong>der</strong> drei Stunden gespielt hatten, waren<br />
eigentlich alle erschöpft und <strong>der</strong> Sonntagabend verlief ganz friedlich. — Das abendliche<br />
Gutenachtsagen dauerte meist an<strong>der</strong>thalb Stunden. Bei den Sextanern f<strong>in</strong>g es an, an jedem Bett<br />
blieben wir stehen, bis auch dem letzten Obertertianer e<strong>in</strong>e gute Nacht gewünscht war.<br />
3
E<strong>in</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> damaligen Zeit äußerst bemerkenswertes Ereignis war auch Folgendes: Kurz nach <strong>der</strong><br />
Wie<strong>der</strong>eröffnung <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> fuhr e<strong>in</strong> französischer „Aumônier“, e<strong>in</strong> Militärgeistlicher hier vorbei.<br />
Er wollte sehen, was <strong>in</strong> diesen Gebäuden an <strong>der</strong> Straße passierte, sah sich die <strong>Schule</strong> an und bot<br />
sich dann an, <strong>in</strong> den Oberklassen <strong>in</strong> regelmäßigen Abständen Unterricht <strong>in</strong> französischer<br />
Literatur zu geben. Natürlich nahm Herr Picht das sehr dankbar an. Ich b<strong>in</strong> überzeugt, daß längst<br />
nicht alle Primaner ganz verstanden, was er uns vortrug, aber das Ereignis an sich war damals so<br />
außergewöhnlich, daß je<strong>der</strong> vor dieser Haltung und vor dem, was uns da angeboten wurde, den<br />
größten Respekt hatte. Vorgestern zufällig besuchte mich e<strong>in</strong>e Schüler<strong>in</strong> aus <strong>der</strong> damaligen Zeit,<br />
die sich noch genau daran er<strong>in</strong>nerte, wie er ihrer Klasse La Fonta<strong>in</strong>e's Fabel „Le Corbeau et le<br />
Renard“ vorlas und <strong>in</strong>terpretierte.<br />
Unvergeßlich bleibt mir, daß e<strong>in</strong>mal am Abend die Gräf<strong>in</strong> Pfeil zu Herrn Picht kam und sagte:<br />
„Wir haben noch für morgen zum Frühstück etwas zu essen, aber dann nichts mehr“. Da hat<br />
sich Andreas Wendelstadt-Picht, Herrn Pichts Bru<strong>der</strong> „Doi“, geradezu heldenhaft bewährt. Mit<br />
e<strong>in</strong>em Motorrad fuhr er über Nacht auf Schleichwegen über die Zonengrenze nach Karlsruhe<br />
zum evangelischen Hilfswerk und konnte wirklich e<strong>in</strong>ige Vorräte mitbr<strong>in</strong>gen. Und e<strong>in</strong>mal wurde<br />
uns aus <strong>der</strong> Schweiz e<strong>in</strong> halber Waggon Kartoffeln gespendet. Da konnte das „Kartoffelfest“<br />
gefeiert werden. Bei e<strong>in</strong>er Mittagsmahlzeit durfte je<strong>der</strong> e<strong>in</strong>mal so viele Kartoffeln essen, wie er<br />
mochte! Sonst hieß es immer: „Heute darf je<strong>der</strong> zwei o<strong>der</strong> drei Kartoffeln essen“. E<strong>in</strong> Trimester<br />
lang gab es überhaupt fast nur Steckrüben, — morgens, mittags und abends. Und ich vergesse<br />
auch nie das Bild, wie abends nach dem Essen e<strong>in</strong> paar von den großen Jungen bei trübem Licht<br />
zur Theke g<strong>in</strong>gen, um zu sehen, ob nicht vielleicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> angeschlagenen Terr<strong>in</strong>en noch<br />
e<strong>in</strong>ige Rübenreste übrig waren. Alles wurde gierig verschlungen.<br />
1947<br />
Im Sommer '47 gab es die große Pilzaktion. Die ganze <strong>Schule</strong> g<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>en Tag lang auf Pilzsuche<br />
und kam mit Unmengen von Pilzen zurück. Dann g<strong>in</strong>g Fräule<strong>in</strong> Matthes, unsere damalige<br />
Biologielehrer<strong>in</strong>, ans Werk, und nach ihrer gründlichen Inspektion war <strong>der</strong> Pilzhaufen sehr viel<br />
kle<strong>in</strong>er geworden. Sie wurden dann geputzt und sollten für den kommenden W<strong>in</strong>ter getrocknet<br />
werden. Fe<strong>in</strong> säuberlich wurden sie auf Trockendarren verteilt. Am Abend wurde im großen<br />
Küchenherd Feuer gemacht und die Darren daraufgestellt. Lei<strong>der</strong> hatte man es mit dem Feuer zu<br />
gut geme<strong>in</strong>t. Jedenfalls fand man am an<strong>der</strong>en Morgen nur noch e<strong>in</strong>e schwärzliche, schmierige<br />
Masse vor, die nicht mehr zu genießen war. Damals e<strong>in</strong>e Riesenenttäuschung! Auch das<br />
„Holzmachen“ darf ich nicht vergessen. Kohlen und Koks gab es natürlich noch nicht wie<strong>der</strong>.<br />
Und Holz e<strong>in</strong>fach zu kaufen, g<strong>in</strong>g auch nicht. So mussten also Schüler und Lehrer <strong>in</strong><br />
regelmäßigem Wechsel zum Holzmachen gehen. Vom Forstamt bekamen wir mal hier, mal da<br />
e<strong>in</strong> Gebiet zugewiesen, wo Holz geschlagen werden durfte. Dorth<strong>in</strong> musste meist am frühen<br />
Morgen e<strong>in</strong> Fußmarsch von 1 – 2 Stunden gemacht und e<strong>in</strong> großer Kessel mit Rüben o<strong>der</strong><br />
Kartoffeln mitgetragen werden. Mittags wurde Feuer gemacht und <strong>der</strong> Kessel<strong>in</strong>halt aufgewärmt.<br />
Es war wirklich schwere Arbeit, die geleistet wurde. Aber viele Jungen machten sie gern, denn für<br />
die Holzmacher gab es Schwerarbeiterzuschlag, <strong>der</strong> aus e<strong>in</strong>em dicken Kanten Brot und etwas<br />
Schwe<strong>in</strong>eschmalz bestand. – Dies Alles erzähle ich gern für die heutigen <strong>Birklehof</strong>er. Natürlich<br />
muß ich auch etwas zur unterrichtlichen Situation <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> sagen. Nach vielen Überlegungen<br />
hatten sich Herr Picht und <strong>der</strong> Schulvorstand dazu entschlossen, den <strong>Birklehof</strong> als re<strong>in</strong><br />
humanistisches Gymnasium zu führen. Herr Picht sagt dazu <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Rede zur Neueröffnung <strong>der</strong><br />
<strong>Schule</strong>: „Wenn wir nun heute den Weg nach Europa zurückf<strong>in</strong>den wollen, so ist es nicht damit<br />
getan, daß wir willig den Weisungen <strong>der</strong> alliierten Militärregierungen Folge leisten und den guten<br />
4
Willen zur Verständigung haben! – Das alles verläuft im Leeren, solange wir nicht europäisch zu<br />
denken wissen, d.h. solange wir nicht die Vertrautheit mit e<strong>in</strong>er geistigen Welt zurückgew<strong>in</strong>nen,<br />
die <strong>in</strong> Frankreich und England immer e<strong>in</strong> selbstverständliches Lebenselement geblieben ist. Die<br />
Rückkehr zur humanistischen Bildung ist nicht Flucht <strong>in</strong> die Vergangenheit, son<strong>der</strong>n e<strong>in</strong> Weg <strong>in</strong><br />
die Zukunft, <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zige, <strong>der</strong> uns geblieben ist. Sie ist zur Notwendigkeit geworden, nicht m<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
notwendig, als <strong>der</strong> materielle Wie<strong>der</strong>aufbau – ist doch dieser nur möglich, wenn wir im Kreis <strong>der</strong><br />
europäischen Völker wie<strong>der</strong> als zugehörig und als Mitbürger anerkannt werden „ – Später e<strong>in</strong>mal<br />
schreibt Herr Picht über die Aufgabe e<strong>in</strong>er <strong>Schule</strong>, wie des <strong>Birklehof</strong>s: „Wenn wir e<strong>in</strong>en<br />
pädagogischen Raum gestalten wollen, <strong>in</strong> dem junge Menschen die großen Aufgaben unserer Zeit<br />
begreifen lernen, so müssen <strong>in</strong> den Dimensionen dieses Raumes die Maßstäbe sichtbar werden,<br />
nach denen sich e<strong>in</strong> geistiges Dase<strong>in</strong> <strong>in</strong> unserer Zeit orientieren kann. Daraus ergibt sich für e<strong>in</strong>e<br />
<strong>Schule</strong> folgende For<strong>der</strong>ung: 1. Sie darf nicht re<strong>in</strong>e Unterrichtsschule se<strong>in</strong>, son<strong>der</strong>n muß e<strong>in</strong>en<br />
Lebenszusammenhang herstellen, <strong>in</strong> dem jene elementaren sittlichen Erfahrungen gemacht<br />
werden, die heute <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>er Familie nicht mehr voll realisiert werden können. 2. Das Leben<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Schulgeme<strong>in</strong>schaft muß den jungen Menschen vor For<strong>der</strong>ungen stellen, die jeden<br />
E<strong>in</strong>zelnen <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em gesamten Dase<strong>in</strong> erfassen und für se<strong>in</strong> späteres Leben die Maßstäbe<br />
aufrichten. 3. Insbeson<strong>der</strong>e muß <strong>der</strong> junge Mensch <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Schulgeme<strong>in</strong>schaft lernen,<br />
Opfer zu br<strong>in</strong>gen und Verantwortung zu tragen. Dieser Aufgabe dient man nicht dadurch, daß<br />
man e<strong>in</strong>e Ideologie <strong>der</strong> Verantwortungsbereitschaft predigt, — sie gel<strong>in</strong>gt nur, wenn das, was uns<br />
als Predigt allzuleicht von den Lippen geht, zu e<strong>in</strong>er unaufdr<strong>in</strong>glichen und selbstverständlichen<br />
Übung wird“. Diese beiden Aussagen zeigen, mit welchen Vorstellungen und <strong>in</strong> welchem Geiste<br />
das Leben <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> <strong>Birklehof</strong> gestaltet werden sollte.<br />
In den ersten Altbirklehofer-Blättern nach dem Kriege, die als Nachruf auf Herrn Kuchenmüllers<br />
Tätigkeit hier geme<strong>in</strong>t waren, nennt Herr Picht zwei Grundsätze, die schon unter Dr.<br />
Kuchenmüller am <strong>Birklehof</strong> galten und <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Nachkriegszeit</strong> e<strong>in</strong>e erhöhte Bedeutung gewonnen<br />
haben: Den Grundsatz <strong>der</strong> Ehrlichkeit und den Grundsatz <strong>der</strong> Mitverantwortung <strong>der</strong> Schüler.<br />
Und <strong>in</strong> dem oben erwähnten Aufsatz schreibt Herr Picht: „Beim Aufbau <strong>der</strong> Selbstverwaltung <strong>in</strong><br />
den ersten Jahren mußten wir so manchen Rückschlag überw<strong>in</strong>den, und die Mängel <strong>der</strong><br />
Selbstverwaltung spiegelten sich <strong>in</strong> mangelhafter Ordnung und schlechter äußerer Haltung. Oft<br />
genug war die Versuchung groß, unsere Grundsätze preiszugeben und durch die bequemen<br />
Mittel äußerlicher Zucht e<strong>in</strong>e ebenso äußerliche und unechte Ordnung herzustellen. Wir hätten<br />
damit manchen <strong>in</strong>s Auge fallenden Mißstand beheben können, aber wir hätten <strong>in</strong> verborgeneren<br />
Schichten nicht wie<strong>der</strong> gut zu machende Schäden verursacht. Ehrlichkeit und<br />
Verantwortungsbewußtse<strong>in</strong> lassen sich nicht kommandieren, und e<strong>in</strong>e Erziehung, <strong>der</strong> es nicht um<br />
die Herstellung e<strong>in</strong>er glatt polierten Oberfläche, son<strong>der</strong>n um die Ermöglichung e<strong>in</strong>es echten<br />
<strong>in</strong>neren Wachstums geht, muß auch den Mut zum Risiko <strong>der</strong> Freiheit haben. Inzwischen haben<br />
sich Lebensstil und <strong>in</strong>nere Ordnung <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> gefestigt, und vieles, was uns <strong>in</strong> vergangenen<br />
Jahren fast unerreichbar schien, gilt heute schon als selbstverständlich. Wir haben manchen<br />
Fehler gemacht, — im Ganzen aber glaube ich sagen zu dürfen, daß sich <strong>der</strong> e<strong>in</strong>geschlagene Weg<br />
bewährt hat“.<br />
Aber ich muß noch e<strong>in</strong>mal auf das zurückkommen, was Herr Picht über Herrn Kuchenmüller <strong>in</strong><br />
den Altbirklehofer-Blättern geschrieben hat. Vieles, was da gesagt wird, ist schon gesagt worden,<br />
aber e<strong>in</strong>iges, an das ich mich auch nicht mehr er<strong>in</strong>nert habe, sche<strong>in</strong>t mir doch unbed<strong>in</strong>gt<br />
erwähnenswert: So hat Herr Kuchenmüller z. B. angeordnet, daß auf dem Schulgebiet nicht mit<br />
dem Hitlergruß gegrüßt werden sollte. Es gab trotz ständigem Drängen von Parteiseite ke<strong>in</strong>e<br />
Hitlerbil<strong>der</strong> und sonstige nationalsozialistischen Symbole <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>. Trotz ergangener<br />
5
Verbote gestattete es Herr Kuchenmüller, daß ausländische Sen<strong>der</strong> gehört wurden. Außerdem<br />
pflegte er e<strong>in</strong>e bewußt christliche Erziehung, und als 1941 <strong>der</strong> Religionsunterricht <strong>in</strong> den<br />
Oberklassen abgeschafft wurde, richtete er geme<strong>in</strong>sam mit Herrn Picht e<strong>in</strong>en freiwilligen<br />
Religionsunterricht e<strong>in</strong>.<br />
Daß Herr Kuchenmüller bis fast zum Ende des Krieges nichtarische Schüler hier behielt, habe<br />
ich schon erwähnt. Aber auch unter den Mitarbeitern gab es viele, <strong>der</strong>en Fe<strong>in</strong>dschaft gegen das<br />
herrschende System allen bekannt war. Herr Picht schreibt da wörtlich: „Er stellte Mitarbeiter an<br />
<strong>der</strong> <strong>Schule</strong> an, denen e<strong>in</strong>e Tätigkeit an öffentlichen <strong>Schule</strong>n aus politischen o<strong>der</strong> rassistischen<br />
Gründen versagt war, ja sogar solche, die aus politischen Gründen formell entlassen waren. Es<br />
gab <strong>in</strong> diesem Kollegium ke<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>zigen aktiven Nationalsozialisten, und es herrschte e<strong>in</strong>e<br />
Unbefangenheit <strong>der</strong> Me<strong>in</strong>ungsäußerungen, die <strong>in</strong> den damaligen Zeiten ganz unerhört war. Viele<br />
unter den Lehrern hätten ihn je<strong>der</strong>zeit durch Denunziation <strong>in</strong>s Konzentrationslager o<strong>der</strong> <strong>in</strong>s<br />
Zuchthaus br<strong>in</strong>gen können“.<br />
Zu me<strong>in</strong>er Freude fand ich <strong>in</strong> <strong>der</strong>selben Ausgabe <strong>der</strong> Altbirklehofer Blätter folgende Erklärung:<br />
„Die <strong>in</strong>nere E<strong>in</strong>heit des Altbirklehofer Bundes hat darunter gelitten, daß zwischen Herrn<br />
Kuchenmüller und <strong>der</strong> jetzigen Leitung <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> <strong>Birklehof</strong> ungelöste Differenzen bestanden,<br />
die bedauerlicherweise auch unter den Altbirklehofern Unruhe gestiftet haben. Die Gesamtheit<br />
<strong>der</strong> <strong>Schule</strong> <strong>Birklehof</strong> und Herr Kuchenmüller haben deshalb beschlossen, all' diese Differenzen<br />
endgültig zu begraben. Sie wollen damit e<strong>in</strong> Beispiel geben, wie durch Versöhnlichkeit und<br />
gegenseitiges Verstehen e<strong>in</strong> retten<strong>der</strong> Ausweg aus unserer deutschen Not gefunden werden kann.<br />
Alle Altbirklehofer werden erneut aufgefor<strong>der</strong>t, sich <strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>ne h<strong>in</strong>ter die <strong>Schule</strong> zu stellen<br />
und aktiv im Altbirklehofer Bund mitzuarbeiten. Gez. Dr. Georg Picht und Dr. Wilhelm<br />
Kuchenmüller.“<br />
In den Jahren nach dem Neuanfang konsolidierte sich das <strong>Birklehof</strong>er Leben <strong>in</strong> sehr erfreulicher<br />
Weise. Im Jahre 1947 allerd<strong>in</strong>gs traf uns e<strong>in</strong> großes Unglück. E<strong>in</strong>es Morgens während <strong>der</strong><br />
Sommerferien stand plötzlich das Haupthaus <strong>in</strong> Flammen. Am Tage vorher war <strong>der</strong> Bunker, <strong>der</strong><br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Nähe des jetzigen Musikhauses stand, gesprengt worden. Natürlich waren überall die<br />
Fenster geöffnet und auch sonst alle nur denkbaren Vorsorgemöglichkeiten getroffen worden.<br />
Niemand weiß genau, was im gänzlich leer stehenden Haupthaus geschehen war. Wir wurden <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> Frühe im Hirschen durch das Telefon geweckt. Als wir zum Fenster h<strong>in</strong>ausschauten, stand<br />
schon e<strong>in</strong>e riesige Rauchwolke über dem Haus. Wir rannten h<strong>in</strong>aus und versuchten natürlich<br />
auch zu helfen und zu retten. Lei<strong>der</strong> dauerte es ziemlich lange, bis die Feuerwehr e<strong>in</strong>greifen<br />
konnte. <strong>Der</strong> Sommer war ungewöhnlich trocken gewesen; im eigenen Feuerweiher war nicht<br />
mehr genug Löschwasser. So mußte zuerst e<strong>in</strong>e Schlauchleitung bis zum Rössleweiher gelegt<br />
werden, bis die Feuerwehr wirklich gründlich e<strong>in</strong>greifen konnte.<br />
Um die Mittagszeit war das Feuer gelöscht, und wir standen vor e<strong>in</strong>em traurigen Bild. Das<br />
Türmchen und <strong>der</strong> Oberstock des Haupthauses waren völlig vernichtet, und auch das Dach des<br />
Westflügels war schwer beschädigt. An e<strong>in</strong>en sofortigen Wie<strong>der</strong>aufbau war gar nicht zu denken.<br />
Dazu fehlte es an allem. Das e<strong>in</strong>zige, was schließlich möglich wurde, war, daß über dem<br />
Mittelstock e<strong>in</strong> notdürftiges Holzdach gebaut und darüber Dachpappe gelegt wurde. Im<br />
folgenden W<strong>in</strong>ter mußte ich e<strong>in</strong>en kle<strong>in</strong>en Englischkurs im sogenannten Madonnenzimmer<br />
abhalten, und wenn es ganz arg regnete, mußten wir gelegentlich Regenschirme aufspannen.<br />
Neben dem furchtbaren Brand spielte sich noch e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Tragikomödie ab. Auf dem Speicher<br />
des Westflügels waren die alten Bestände an nunmehr verbotenen Schulbüchern aus <strong>der</strong> Nazizeit<br />
6
gespeichert worden. Als das Dach des Nebenflügels zu brennen begann, wurden diese Bücher<br />
schleunigst herausgeworfen und nebenan <strong>in</strong> dem L<strong>in</strong>dengang aufgehäuft. Natürlich hätten wir sie<br />
längst verbrennen o<strong>der</strong> abliefern sollen, aber sie dienten e<strong>in</strong>em an<strong>der</strong>en Zweck: Sie wurden<br />
nämlich von beson<strong>der</strong>en Ämtern zu Klopapier verarbeitet, was es damals noch nicht zu kaufen<br />
gab. Das Unglück wollte es, daß zwei französische Offiziere vorbei kamen. Neugierig sahen sie<br />
sich überall um und entdeckten auch die verdammenswerten Schulbücher. Natürlich waren sie<br />
empört, daß sie noch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er <strong>Schule</strong> existierten. Ich versuchte ihnen zu erklären, welchen<br />
delikaten Zwecken sie dienten, — sie verlangten aber, daß wir sie bei <strong>der</strong> Militärregierung<br />
ablieferten, was wir dann auch brav tun mußten. Zeitungspapier mußte sie ersetzen.<br />
1948<br />
Im Sommer 1948 gab es die Währungsreform, und dann erst war es möglich, mit dem<br />
Wie<strong>der</strong>aufbau zu beg<strong>in</strong>nen. Alles wurde wie<strong>der</strong> genau so e<strong>in</strong>gerichtet, wie es vorher gewesen war.<br />
Nur die Glocke im Türmchen war unwie<strong>der</strong>br<strong>in</strong>glich verschwunden, — sie muß wohl <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Feuersglut geschmolzen se<strong>in</strong>. —<br />
Schwierig stand es auch um die F<strong>in</strong>anzen des <strong>Birklehof</strong>s. Gehälter konnten nur dann gezahlt<br />
werden, wenn gerade Geld vorhanden war, — jedenfalls wurden sie nur <strong>in</strong> Raten gezahlt. Maria<br />
Wendelstadt, die Tochter <strong>der</strong> Baron<strong>in</strong> Wolff, herrschte im Büro und versuchte, überall, wo es<br />
dr<strong>in</strong>gend war, nach ihren Möglichkeiten zu helfen.<br />
Im neuen <strong>Birklehof</strong>, <strong>der</strong> <strong>in</strong> den meisten D<strong>in</strong>gen dem alten <strong>Birklehof</strong> gleichen wollte, wurden<br />
natürlich auch viele Sitten und Bräuche wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong>geführt. Es gab wie<strong>der</strong> Volkslie<strong>der</strong>s<strong>in</strong>gen, es<br />
gab das adventliche Schmücken <strong>der</strong> Zimmer mit anschließendem Durchgang aller <strong>Birklehof</strong>er<br />
mit Weihnachtslie<strong>der</strong>s<strong>in</strong>gen und selbstverständlich auch wie<strong>der</strong> das Oberuferer Weihnachtsspiel,<br />
sehr feierlich e<strong>in</strong>geübt von Frau Picht, und auch das Christbaumsuchen. Davon habe ich noch<br />
gar nicht erzählt. Irgendwo, nicht allzu weit vom <strong>Birklehof</strong> entfernt, wurde am Tag vor <strong>der</strong><br />
Abreise <strong>in</strong> die Weihnachtsferien e<strong>in</strong>e schöne hohe Tanne ausgesucht und mit vielen<br />
Kerzenhaltern und Lichtern bestückt. Nach Beendigung des Weihnachtsspiels wurde dann <strong>der</strong><br />
versammelten Mannschaft die ungefähre Lage <strong>der</strong> Tanne angegeben, und dann mußte man auf<br />
die Suche gehen. Die „Wissenden“ waren schon vorher aufgebrochen und hatten alle Lichter<br />
angezündet. Wer zuerst am Lichterbaum angekommen war, begann Weihnachtslie<strong>der</strong> zu s<strong>in</strong>gen,<br />
und schließlich standen alle <strong>Birklehof</strong>er rund um den Baum und sangen. Dann wurde das<br />
Weihnachtsevangelium gelesen, und schließlich, wenn die Lichter herunterbrannten, g<strong>in</strong>g man<br />
langsam wie<strong>der</strong> zurück.<br />
Das weihnachtliche Schmücken <strong>der</strong> Zimmer zum ersten Advent spielte bei uns im Hirschen mit<br />
den kle<strong>in</strong>en Jungen e<strong>in</strong>e große Rolle. Schon im Herbst f<strong>in</strong>gen die Jungen damit an, ihre Pläne für<br />
die Ausschmückung ihres Zimmers zu entwickeln. Me<strong>in</strong> Mann, <strong>der</strong> ganz gut zeichnen konnte,<br />
entwarf unzählige Transparente, die dann ausgeschnitten und beklebt wurden. Aber die Phantasie<br />
<strong>der</strong> Jungen weitete sich immer mehr aus: Es wurden Figuren modelliert, es wurden ganze<br />
Landschaften entworfen und aufgebaut, natürlich die Geburtsszene, die Verkündigung, die<br />
Flucht nach Ägypten usw. E<strong>in</strong> Zimmer wurde e<strong>in</strong>mal mit Hilfe von Packpapier <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Kapelle<br />
mit Altar umgewandelt, so daß die Jungen kaum mehr Platz für ihre Betten hatten. Diese<br />
Darstellungen zogen begreiflicherweise auch die Neugier <strong>der</strong> Nachbarn und Dorfbewohner an,<br />
so daß es am ersten Adventssonntag e<strong>in</strong> schreckliches Gedränge im Hirschen gab. So mußten wir<br />
also zurückstecken und bescheidener werden.<br />
7
E<strong>in</strong>e Neue<strong>in</strong>richtung des Nachkriegsbirklehofs waren die sonntäglichen Abendfeiern, die für alle<br />
verpflichtend waren. Sehr oft erfreute uns da Frau Picht mit ihrer Klaviermusik, — es gab aber<br />
auch Vorträge, Vorlesungen und e<strong>in</strong>mal, als ganz beson<strong>der</strong>es Ereignis, e<strong>in</strong> Orgelkonzert von<br />
Albert Schweizer, <strong>der</strong> auch von se<strong>in</strong>er Arbeit <strong>in</strong> Lambarene erzählte. Ja, wir hatten e<strong>in</strong>e Orgel! Sie<br />
stand an <strong>der</strong> Rückseite des Eßsaales, die Blasebälge waren <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Schrank <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kaltküche<br />
untergebracht. Sie war von e<strong>in</strong>em Mäzen für e<strong>in</strong>en ganz beson<strong>der</strong>s begabten Schüler gestiftet<br />
worden, das war Yngve Trede, den wir natürlich auch gehört haben.<br />
Inzwischen hatte sich, ganz im S<strong>in</strong>n von Herrn Pichts Anfangsrede, wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e<br />
Schülerselbstverwaltung gebildet: E<strong>in</strong> R<strong>in</strong>g mit e<strong>in</strong>em Ersten Helfer an <strong>der</strong> Spitze und weiteren<br />
Helfern und Helfer<strong>in</strong>nen. —<br />
E<strong>in</strong>e Sitte, die während des Krieges e<strong>in</strong>geführt wurde, hat sich <strong>in</strong> etwas verän<strong>der</strong>ter Form bis<br />
heute erhalten: Das ist <strong>der</strong> Gang zum Sonnwendhügel, o<strong>der</strong>, wie wir heute sagen, zum<br />
Hirschenhügel. Herr Döhmer schreibt später e<strong>in</strong>mal dazu: „Als im Jahr 1940 zum ersten Mal die<br />
Nachricht vom Tode e<strong>in</strong>es ehemaligen Schülers, <strong>der</strong> <strong>in</strong> Frankreich gefallen war, zum <strong>Birklehof</strong><br />
kam, wälzte <strong>der</strong> damalige Leiter <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> mit e<strong>in</strong>er Gruppe größerer Schüler e<strong>in</strong>en großen<br />
F<strong>in</strong>dl<strong>in</strong>g dort oben auf den Sonnwendhügel, und jedes Mal, wenn nun <strong>der</strong> Tod e<strong>in</strong>es Mitarbeiters<br />
o<strong>der</strong> Schülers bekannt wurde, gedachte man auf dem Sonnwendhügel <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er schlichten Feier<br />
<strong>der</strong> Gefallenen: Mehr als achtzigmal geschah dies. — In den letzten Tagen des Krieges, als auf<br />
allen Straßen und Wegen versprengte Haufen <strong>der</strong> sich auflösenden Wehrmacht zurückstrebten,<br />
schoß e<strong>in</strong> Landser e<strong>in</strong>e Panzerfaust auf diesen Ste<strong>in</strong> ab und zerstörte ihn. Im Herbst 1945, noch<br />
bevor also die Arbeit hier wie<strong>der</strong> aufgenommen war, räumte Herr Picht mit e<strong>in</strong> paar Schülern die<br />
Trümmer h<strong>in</strong>weg und errichtete mit ihnen am Totensonntag des gleichen Jahres das e<strong>in</strong>fache<br />
Holzkreuz dort. — Seit dieser Zeit beg<strong>in</strong>nen und beschließen wir jedes Trimester mit dem Gang<br />
auf den Sonnwendhügel. Freiwillig versammeln sich Mitarbeiter, anwesende Eltern und Schüler<br />
— manchmal viele, manchmal wenige — e<strong>in</strong>ige M<strong>in</strong>uten nach <strong>der</strong> Schulversammlung h<strong>in</strong>ter dem<br />
Hirschen, und von hier aus gehen wir schweigend h<strong>in</strong>auf zum Kreuz. Wenn sich alle im<br />
Halbkreis aufgestellt haben, bleiben wir e<strong>in</strong>en Augenblick stehen. Und dann s<strong>in</strong>gen wir die<br />
Strophen des alten Liedes „Mitten wir im Leben s<strong>in</strong>d mit dem Tod umfangen“ und gehen danach<br />
wie<strong>der</strong> zurück.“<br />
1949<br />
Zum Pf<strong>in</strong>gsttreffen <strong>der</strong> Altbirklehofer 1949 kamen beson<strong>der</strong>s viele Ehemalige. Ihnen zu Ehren<br />
wurde am letzten Abend Beaumarchais' Figaro <strong>in</strong> Herrn Golls Inszenierung aufgeführt, die<br />
riesigen Beifall fand.<br />
Im Herbst des Jahres wurde nach langen Vorbereitungen <strong>der</strong> e<strong>in</strong>getragene Vere<strong>in</strong> <strong>Schule</strong><br />
<strong>Birklehof</strong> gegründet, da sowohl die Baron<strong>in</strong> Wolff als auch Dr. Wendelstadt, die Eigentümer <strong>der</strong><br />
Gebäude und Träger <strong>der</strong> alten <strong>Schule</strong> <strong>Birklehof</strong>, das Gefühl hatten, die Verantwortung für die<br />
Neugründung auf lange Sicht nicht mehr alle<strong>in</strong> tragen zu können.<br />
Um die gleiche Zeit trat Herr Professor Dr. Rudolf Till se<strong>in</strong>e Arbeit hier an. Er übernahm bald<br />
die Vertretung von Herrn Picht <strong>in</strong> unterrichtlichen Fragen und hat dann lange Zeit h<strong>in</strong>durch bei<br />
allen Entscheidungen mitgewirkt und mit unermüdlichem E<strong>in</strong>satz gearbeitet. Vor allem war er<br />
e<strong>in</strong> ganz vorzüglicher Lehrer für Griechisch und Late<strong>in</strong>. Er wohnte mit se<strong>in</strong>er Familie im Haus<br />
Reghely am Rössleberg, und auch se<strong>in</strong>e Frau hat, soweit die Familie es zuließ, als Lehrer<strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
alten Sprachen mitgearbeitet.<br />
8
1950<br />
Im Oktober 1950 wurde die <strong>Schule</strong> von e<strong>in</strong>em schweren Verlust betroffen. Dr. Theodor Peters<br />
starb nach langem schwerem Leiden. Er war <strong>der</strong> Stellvertreter von Herrn Picht gewesen, er hatte<br />
im Herbst <strong>1946</strong> die Leitung des Internats <strong>der</strong> großen Jungen übernommen, er war Mentor und<br />
vor allem Mathematiklehrer gewesen. Bevor er hierher kam, hatte er e<strong>in</strong>en Lehrauftrag an den<br />
Universitäten Berl<strong>in</strong> und Halle <strong>in</strong>negehabt. Herr Picht sprach zu se<strong>in</strong>em Gedenken: „Er war e<strong>in</strong><br />
Mensch, <strong>der</strong> schon durch se<strong>in</strong>e bloße Gegenwart zur Klarheit und Gründlichkeit nötigte. — Ich<br />
habe nie erlebt, daß Theodor Peters etwas halb getan hätte. Nachdem <strong>der</strong> Entschluß, auf den<br />
<strong>Birklehof</strong> zu kommen, e<strong>in</strong>mal gefaßt war, stellte er sich mit <strong>der</strong> ganzen gesammelten Kraft se<strong>in</strong>es<br />
Wesens <strong>in</strong> den Dienst dieses neuen Berufes. Se<strong>in</strong> Unterricht wurde im Aufbau des Lehrplanes,<br />
wie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Durchführung <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelnen Stunden zu e<strong>in</strong>em wissenschaftlichen und methodischen<br />
Kunstwerk. E<strong>in</strong> solcher Unterricht konnte nur gegeben werden von e<strong>in</strong>em Lehrer, <strong>der</strong> die<br />
Aufgabe des Erziehers ganz ergriffen hatte. In <strong>der</strong> damaligen Lage half uns se<strong>in</strong> unbestechliches<br />
und tiefdr<strong>in</strong>gendes Nachdenken über alle erzieherischen Fragen, für das Leben des Internats die<br />
Grundformen zu f<strong>in</strong>den, die noch heute gültig s<strong>in</strong>d. Mit unerschütterlicher Festigkeit stand er <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> Mitte <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>; wir alle wurden, wissend und unwissend, von ihm getragen“. Und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
Rundbrief schreibt Herr Picht über Herrn Peters: „Er hat bis zuletzt durch se<strong>in</strong>e Arbeit und noch<br />
mehr durch se<strong>in</strong> re<strong>in</strong>es Dase<strong>in</strong> auf die <strong>Schule</strong> e<strong>in</strong>e tiefe Wirkung gehabt. Se<strong>in</strong> Tod erschütterte<br />
das ganze Gefüge <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>; es brauchte se<strong>in</strong>e Zeit, bis wir anf<strong>in</strong>gen zu lernen, wie wir ohne ihn<br />
das Werk dieser <strong>Schule</strong> fortführen konnten“.<br />
Ich muß zeitlich noch e<strong>in</strong>mal etwas zurückgreifen und vom Pf<strong>in</strong>gsttreffen <strong>der</strong> Altbirklehofer<br />
erzählen. Me<strong>in</strong>er Er<strong>in</strong>nerung nach, und nach dem Bericht <strong>in</strong> den Altbirklehofer Blättern, war es<br />
e<strong>in</strong> im Ganzen sehr erfreuliches und e<strong>in</strong>trägliches Zusammentreffen. An wichtigen Beschlüssen<br />
gab es den Entscheid,<br />
daß die Altbirklehofer Blätter von nun an von <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> herausgegeben werden sollten und<br />
daß <strong>der</strong> Altbirklehofer Bund weiter bestehen sollte.<br />
Außerdem wurde natürlich Hockey gespielt, es gab e<strong>in</strong> herrliches Klavierspiel von Frau Picht mit<br />
Werken von Bartok, Beethoven und Chop<strong>in</strong>, und selbstverständlich auch Aufführungen. Am<br />
ersten Abend wurde „Nathan <strong>der</strong> Weise“ von <strong>der</strong> Obersekunda gespielt, am zweiten Abend „<strong>Der</strong><br />
Neffe als Onkel“ unter <strong>der</strong> Regie me<strong>in</strong>es Mannes, von den Untertertianern, gut, sehr lustig und<br />
unkompliziert.<br />
Im damals noch kle<strong>in</strong>en Birkenhäuschen hatten wir für e<strong>in</strong> Trimester die Gräf<strong>in</strong> Charlotte von<br />
<strong>der</strong> <strong>Schule</strong>nburg als Nachbar<strong>in</strong>, die dann mit vier von ihren sechs K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>in</strong> den neuen Teil <strong>der</strong><br />
Wolffsburg übersiedelte, um <strong>Birklehof</strong>er K<strong>in</strong><strong>der</strong> zu betreuen, was sie auch schon im<br />
Birkenhäuschen tat. Sie hauste dort — man kann es nicht an<strong>der</strong>s nennen — <strong>in</strong> <strong>der</strong> späteren<br />
w<strong>in</strong>zigen Küche <strong>der</strong> landwirtschaftlichen Betreuer <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>. Und sie tat das mit e<strong>in</strong>er Haltung<br />
und Souveränität, als ob sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Salon des <strong>Schule</strong>nburgschen Herrenhauses wäre. Nie ließ<br />
sie sich anmerken, was sie durchgemacht hatte — die H<strong>in</strong>richtung ihres Mannes, den Verlust<br />
allen Besitzes —, vor sich e<strong>in</strong>e völlig ungesicherte Zukunft mit sechs unerwachsenen K<strong>in</strong><strong>der</strong>n.<br />
Mit <strong>der</strong> gleichen Haltung und mit <strong>der</strong> ihr eigenen Unmittelbarkeit und Herzlichkeit hat sie auch<br />
die ihr anvertrauten K<strong>in</strong><strong>der</strong> betreut. Später, nachdem ihre äußere Lage sich gebessert hatte, zog<br />
sie mit ihren K<strong>in</strong><strong>der</strong>n nach München.<br />
Im gleichen Jahr beg<strong>in</strong>nt am <strong>Birklehof</strong> die immer wachsende Bautätigkeit. Das Birkenhäuschen<br />
h<strong>in</strong>ter dem alten Hirschen entsteht und <strong>der</strong> Anbau an <strong>der</strong> Turnhalle, später Wolffsburg genannt,<br />
wird begonnen.<br />
9
1951<br />
Bei dem Altbirklehofer Treffen zu Pf<strong>in</strong>gsten 1951 hebt Herr Picht noch e<strong>in</strong>mal se<strong>in</strong>e Wahl<br />
„<strong>Birklehof</strong> – e<strong>in</strong> humanistisches Gymnasium“ hervor. Er sagte dazu: „Wir haben den Weg des<br />
humanistischen Gymnasiums gewählt. Wir glauben nicht, daß <strong>der</strong> Weg, den wir auf dem<br />
<strong>Birklehof</strong> e<strong>in</strong>geschlagen haben, <strong>der</strong> alle<strong>in</strong>seligmachende ist, aber ich glaube allerd<strong>in</strong>gs, daß man<br />
nicht mehrere Wege auf e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>schlagen kann, son<strong>der</strong>n sich für e<strong>in</strong>en bestimmten Weg<br />
entscheiden muß. Die Kompromißschulen s<strong>in</strong>d immer <strong>Schule</strong>n zweiten Ranges, weil sie vieles<br />
oberflächlich, aber nichts gründlich betreiben“. Während dieses Treffens gab es lebhafte<br />
Diskussionen über Fragen wie: Schulanzug, Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gsplan, Rauchen usw. Das letztere Problem<br />
stellte sich im <strong>Birklehof</strong> zum ersten Mal: Die Oberprima darf <strong>in</strong> ihrer Klasse und <strong>in</strong> ihren<br />
Zimmern rauchen!<br />
Im Frühjahr '51 schon hatte Herr Dr. Wendelstadt die Geschäftsführung <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> an Herrn<br />
Döhmer übergeben. Somit hatte <strong>der</strong> <strong>Birklehof</strong> zum ersten Mal e<strong>in</strong>en perfekt ausgebildeten<br />
Wirtschaftsleiter, <strong>der</strong> auch mit se<strong>in</strong>er Familie im Schulgebiet wohnte und ganz <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Aufgabe<br />
aufg<strong>in</strong>g. Bis zu se<strong>in</strong>em Tode 1979 hat er mit größtem E<strong>in</strong>satz für die <strong>Schule</strong> gearbeitet - sie hat<br />
ihm unendlich viel zu verdanken. Ich muß später noch e<strong>in</strong>mal auf ihn zurückkommen. Was das<br />
Theaterspielen am <strong>Birklehof</strong> betrifft, so muß aus diesem Jahr die Aufführung von Thornton<br />
Wil<strong>der</strong>'s „Unsere kle<strong>in</strong>e Stadt“ hervorgehoben werden. Das beson<strong>der</strong>e an dieser Aufführung war,<br />
daß sie von Lehrern, Altbirklehofern und aktiven Schülern gemacht wurde. Jürg Zutt, e<strong>in</strong><br />
Altbirklehofer und jetzt Mitglied im Vorstand des Schulvere<strong>in</strong>s, war Spielleiter und machte, wie<br />
auch alle an<strong>der</strong>en Mitspieler, se<strong>in</strong>e Sache hervorragend.<br />
1952<br />
<strong>Der</strong> Beg<strong>in</strong>n des Jahres 1952 stand ganz im Zeichen des Todes <strong>der</strong> Baron<strong>in</strong> Wolff. Ich habe schon<br />
früher über die Rolle gesprochen, die sie hier spielte. Deshalb will ich nun nur e<strong>in</strong>ige Sätze aus<br />
e<strong>in</strong>em Nachruf anführen, den e<strong>in</strong>e ihrer Mentorentöchter, Maria Bergengruen, für sie geschrieben<br />
hat. Er zeigt, welch' große Liebe und Verehrung ihr entgegengebracht wurde: „Was von ihr<br />
ausg<strong>in</strong>g, war die Atmosphäre e<strong>in</strong>er wohlgeordneten Welt: e<strong>in</strong>er Welt des Hauses, des Wohnens,<br />
des Privaten. Dies alles schien uns <strong>in</strong> ihrer Person selbst zu liegen. Durch sie am meisten, fast<br />
möchte ich sagen: ausschließlich, wußten wir immer über alles unvermeidbar Unpersönliche e<strong>in</strong>es<br />
Internatslebens h<strong>in</strong>weg von Wärme und Sicherheit, die nur von e<strong>in</strong>er festen, privaten<br />
Häuslichkeit ausgehen kann. Und, wie mir sche<strong>in</strong>t, hatten wir darum auch an allem Schweren, das<br />
sie traf - und das sie beispielhaft <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e feste Lebensordnung h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>genommen hat -, e<strong>in</strong>en viel<br />
persönlicheren Anteil, als es bei irgend jemand sonst im damaligen Umkreis <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> <strong>der</strong> Fall<br />
gewesen wäre ... Daß wir ihr gegenüber die Anrede Frau Baron<strong>in</strong> brauchten, sche<strong>in</strong>t mir e<strong>in</strong>en<br />
tiefen S<strong>in</strong>n zu haben. Denn es schließt die Verehrung e<strong>in</strong>, die wir als K<strong>in</strong><strong>der</strong> für e<strong>in</strong>e große Frau<br />
hatten und über die <strong>Schule</strong> h<strong>in</strong>aus <strong>in</strong> unser Leben fortgetragen haben. Aber mehr noch haben wir<br />
mitgenommen - und das kann <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Tragweite nie begriffen werden - das Bild e<strong>in</strong>es ganzen<br />
geformten Menschen, <strong>der</strong> se<strong>in</strong> Leben re<strong>in</strong> aus <strong>der</strong> privaten Sphäre heraus verwirklicht hat“.<br />
E<strong>in</strong> beson<strong>der</strong>es Kapitel aus <strong>der</strong> <strong>Nachkriegszeit</strong> s<strong>in</strong>d die sogenannten Chorwochen unter<br />
Professor Kurt Thomas, dem ehemaligen Leiter des musischen Gymnasiums <strong>in</strong> Frankfurt. Unser<br />
Musiklehrer, Curt Gerharz, schreibt im Jahr 1962 darüber: „Seit vielen Jahren kommt Professor<br />
Thomas <strong>in</strong> Abständen zu uns, um dann e<strong>in</strong> großes Werk an Chorliteratur <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Woche zu<br />
erarbeiten. So studierten wir <strong>in</strong> den letzten e<strong>in</strong>e<strong>in</strong>halb Jahren die Bach-Motetten „Jesu, me<strong>in</strong>e<br />
Freude“, „Komm, Jesu komm“, „<strong>Der</strong> Geist hilft unsrer Schwachheit auf“, e<strong>in</strong>. Nur <strong>der</strong><br />
10
Fachmann vermag zu beurteilen, was es heißt, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Woche solche Riesenwerke mit e<strong>in</strong>em<br />
Schülerchor zu bewältigen“. Zum Ende <strong>der</strong> Chorwoche schreibt Herr Gerharz: „Die Chorwoche<br />
nähert sich nun ihrem Ende, die meiste Arbeit ist getan ... Dann kommt <strong>der</strong> Tag <strong>der</strong> Aufführung.<br />
Ob es wohl gel<strong>in</strong>gt? Es gel<strong>in</strong>gt, es gel<strong>in</strong>gt prächtig, und <strong>der</strong> Chor besteht aus vielen kle<strong>in</strong>en und<br />
großen Stars. Das aber ist es nicht, was die Chorwoche wach hält. Es ist letztlich das Gefühl, an<br />
etwas mitgearbeitet zu haben, an etwas Großem, Fremdem. Man spricht jetzt von „<strong>der</strong> Bach-<br />
Motette“ und hat sie auch kennengelernt, Takt für Takt, man hat sie miterlebt und mitzugestalten<br />
geholfen“.<br />
Im Mai 1952 beg<strong>in</strong>nt wie<strong>der</strong> die Zeitschrift „<strong>Der</strong> <strong>Birklehof</strong>“ zu ersche<strong>in</strong>en. Während <strong>der</strong><br />
Elterntage am 26. und 27. Juli wurde <strong>der</strong> sogenannte Elternbeirat gewählt. Dieser Rat tagt <strong>in</strong><br />
regelmäßigen Abständen. Viele Probleme <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> werden dabei besprochen, den Mitarbeitern<br />
<strong>der</strong> <strong>Schule</strong> werden Ratschläge erteilt, <strong>der</strong> Schulleitung wichtige Vorschläge gemacht. <strong>Der</strong><br />
Elternbeirat ist somit e<strong>in</strong> sehr wesentliches Element <strong>der</strong> Hilfe für die Schulleitung, wie für das<br />
Schulleben im Ganzen. - Zum Abschluß dieses Elterntages fand die Aufführung des<br />
„Sommernachtstraums“ von Shakespeare statt unter <strong>der</strong> Regie me<strong>in</strong>es Mannes. Es war se<strong>in</strong>e erste<br />
große Aufführung. Vorher schon hatte er vor allem Märchenstücke für die Hirschenbewohner<br />
nach den Gebrü<strong>der</strong>n Grimm selbst geschrieben und aufgeführt, z. B. Kalif Storch, Das tapfere<br />
Schnei<strong>der</strong>le<strong>in</strong> u. a.<br />
Für die Aufführung des Sommernachtstraums hatten wir e<strong>in</strong>e fast vollkommene Naturbühne<br />
gefunden, l<strong>in</strong>ks vom Weg zur Ravennaschlucht. Die Vorbereitungen waren schwierig, Kostüme<br />
gab es nicht zu leihen, das Wetter spielte uns manchen Streich bei den Proben. Aber schließlich<br />
gelang die Aufführung herrlich. Die Bühne wurde von Fackeln beleuchtet, das Spiel begleitet von<br />
<strong>der</strong> Purcellschen Musik.<br />
Und noch etwas Neues begann <strong>in</strong> diesem Sommer: die Klassenfahrten! Begonnen wurden sie<br />
nicht etwa von e<strong>in</strong>em unserer Lehrer, son<strong>der</strong>n von Herrn Pfarrer Fischer, <strong>der</strong> überhaupt im<br />
damaligen Leben <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> e<strong>in</strong>e wichtige Rolle spielte. Er repräsentierte im vollen Umfang des<br />
Wortes das, was ich e<strong>in</strong>en „Patriarchen“ nennen würde. Er war e<strong>in</strong> gütiger Vater und e<strong>in</strong> strenger<br />
Herrscher. Se<strong>in</strong>e jeweiligen Konfirmanden werden sicher vieles von dem von ihm empfangen<br />
haben, was ihnen zu geben se<strong>in</strong> <strong>in</strong>nerstes und echtestes Anliegen war. Mit ihnen veranstaltete er<br />
immer kurz vor <strong>der</strong> Konfirmation e<strong>in</strong>e sogenannte Freizeit <strong>in</strong> <strong>der</strong> Freiburger Jugendherberge,<br />
während <strong>der</strong> er sie beson<strong>der</strong>s <strong>in</strong>tensiv auf die Konfirmation vorbereitete. Vielleicht entstand aus<br />
diesen Vorbereitungszeiten se<strong>in</strong>e Absicht, auch mit an<strong>der</strong>en Schülern des <strong>Birklehof</strong>s geme<strong>in</strong>same<br />
Zusammenkünfte fern von <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> zu unternehmen. So begann er, meist mit Klassen <strong>der</strong><br />
Mittelstufe, Fahrten zu unternehmen <strong>in</strong>s Elsaß o<strong>der</strong> <strong>in</strong> die Schweiz. Und diese Fahrten haben den<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong>n große Freude gemacht, manche von ihnen s<strong>in</strong>d gewiß damals zum erstenmal über<br />
Deutschlands Grenzen h<strong>in</strong>aus gekommen. Und alle diese Fahrten waren auch Reisen zu Stätten<br />
alter und mo<strong>der</strong>ner Kunst. Viele Male hat er mit <strong>Birklehof</strong>ern <strong>in</strong> Colmar vor dem Isenheimer<br />
Altar gestanden o<strong>der</strong> <strong>in</strong> den Kirchen von Ronchamps und Aud<strong>in</strong>court. Aber er war auch froh<br />
und vergnügt mit den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n, konnte mit ihnen spielen und lachen. Doch was verbarg sich<br />
h<strong>in</strong>ter diesem Frohmut! Ich glaube, es war e<strong>in</strong> immer von neuem erkämpftes Frohse<strong>in</strong> auf dem<br />
H<strong>in</strong>tergrund tiefen Ernstes und vor allem e<strong>in</strong>es großen Verantwortungsgefühles.<br />
Von unserem persönlichen Leben im Hirschen ist vielleicht auch noch e<strong>in</strong>iges zu berichten. Nach<br />
den ersten schweren Jahren, als wir den Hirschen alle<strong>in</strong> betreuten, bekamen wir gute zusätzliche<br />
Hilfen. Da war e<strong>in</strong>mal Fräule<strong>in</strong> Brocks, <strong>der</strong>en tatkräftiger Hilfe <strong>der</strong> Hirschen und auch wir<br />
11
persönlich viel zu verdanken haben. Und außerdem wohnten nache<strong>in</strong>an<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Reihe von<br />
Studenten, die am Platon-Archiv arbeiteten, bei uns im Hirschen. Auch sie haben uns sehr<br />
nachhaltig unterstützt. Unter ihnen war für die Dauer e<strong>in</strong>es halben Jahres auch Herr Dr.<br />
Weidauer.<br />
Nachdem die jeweils langdauernden und <strong>in</strong>tensiven Vorbereitungen für den ersten Advent nicht<br />
mehr stattfanden, wurde mit viel Spaß, Zeitaufwand und Mühe an e<strong>in</strong>em Kasperle-Theater<br />
gearbeitet. Vom kle<strong>in</strong>sten Detail bis h<strong>in</strong> zu den Figuren und ihren Gewän<strong>der</strong>n wurde alles selbst<br />
gemacht, und me<strong>in</strong> Mann verfaßte e<strong>in</strong>e Reihe dramatischer und turbulenter Stücke dazu.<br />
Überhaupt trat er beim Theaterspielen immer mehr <strong>in</strong> den Vor<strong>der</strong>grund. Dramen zu<br />
<strong>in</strong>terpretieren, zu proben und aufzuführen, war für ihn jedesmal, trotz aller damit verbundener<br />
Mühe, e<strong>in</strong>e wahre Freude. Im <strong>Birklehof</strong>-Heft 1953 schreibt er e<strong>in</strong>mal dazu: „<strong>Der</strong> Erlebnisbereich<br />
<strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>, die spielen, muß so offen gehalten werden, daß <strong>der</strong> Drang zum Spiel, die Darstellung<br />
e<strong>in</strong>es Menschen, so wie er ist <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er ganzen Fülle, aus ihren eigenen Tiefen kommt, daß sie<br />
diese Menschen <strong>in</strong> sich selbst entdecken und sie - <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Möglichkeiten ihres eigenen<br />
Erlebnisbereichs - auch selbst s<strong>in</strong>d. Das setzt voraus, daß <strong>der</strong> erwachsene Mensch, soweit als nur<br />
möglich, sich nicht <strong>in</strong> das Spiel <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> e<strong>in</strong>mischt, ihnen nicht se<strong>in</strong>en eigenen verbreiterten<br />
Erlebnisbereich vorspielend aufzw<strong>in</strong>gt, denn dadurch muß das Spiel <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> leer werden,<br />
gezwungen, beladen mit <strong>der</strong> Welt des Erwachsenen und Erfahrenen und damit unecht. Die<br />
Quellen <strong>der</strong> eigenen Tiefe des Spielenden werden verstopft. E<strong>in</strong>e entscheidende Voraussetzung<br />
für das Offenhalten des eigenen Erlebnisbereichs ist e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>gehende, nüchterne Interpretation<br />
des gewählten Stückes, das Herausspürenlassen auch <strong>der</strong> heimlichsten und verdecktesten<br />
Regungen <strong>der</strong> dargestellten Menschen, <strong>der</strong> Welten von Zweifel, Sorgen und Kummer, <strong>der</strong> Triebe<br />
und Entschlüsse und <strong>der</strong> Gründe ihres Handelns und Redens. Erst wenn das Erkennbare<br />
erkannt, das nicht Erkennbare gefühlt wird, dann wird das eigene Mitleben und Miterleben<br />
möglich. Jetzt ist <strong>der</strong> Augenblick gekommen, wo das Spiel, das dann eben nicht nur Spiel ist, <strong>in</strong><br />
aller Freiheit e<strong>in</strong>setzen kann, wo sich die Welt des an<strong>der</strong>en <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em selbst vollzieht und deshalb<br />
kaum noch <strong>der</strong> Führung von außen bedarf.<br />
Hier sche<strong>in</strong>t mir auch die Gelegenheit gegeben, vom Wirken <strong>der</strong> Gräf<strong>in</strong> Eulenburg zu schreiben.<br />
Sie hat mehrere Jahre im Internat mitgearbeitet, - so hat sie im Westflügel größere Mädchen<br />
betreut. Sie bewohnte dort das sogenannte Treppenzimmer, e<strong>in</strong>en Raum, dem man kaum den<br />
Namen Zimmer geben konnte und <strong>der</strong> zudem noch Durchgangszimmer war. Sie tat das mit <strong>der</strong><br />
gleichen Haltung wie die Gräf<strong>in</strong> <strong>Schule</strong>nburg sie zuvor <strong>in</strong> <strong>der</strong> w<strong>in</strong>zigen Küche im<br />
Birkenhäuschen zeigte. Sie versah ihr Amt mit e<strong>in</strong>er gewissen Distanziertheit, h<strong>in</strong>ter <strong>der</strong> sich aber<br />
me<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung nach viel Herzlichkeit und Verständnis verbargen. Beides hat sie später <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
schier unglaublichen Umfang beweisen müssen, als sie ihre älteste Tochter, die an e<strong>in</strong>er zum<br />
Tode führenden Krankheit litt, mit e<strong>in</strong>er kaum zu beschreibenden H<strong>in</strong>gabe pflegte. Diese<br />
Tochter, Heilwig zu Eulenburg, wurde nach dem Ausscheiden ihrer Mutter aus dem <strong>Birklehof</strong><br />
e<strong>in</strong>e me<strong>in</strong>er sehr geliebten Mentorentöchter, - sie hat während ihrer verzehrenden Krankheit<br />
unter den größten körperlichen Erschwernissen noch zwei Bücher sehr persönlicher Art<br />
geschrieben, aus denen ich manche Abschnitte nicht vergessen werde. –<br />
In gelegentlichen Briefen von Eltern an die Schulleitung und bei Diskussionen an Elterntagen<br />
wurde gewiß manchmal auch Kritik laut an <strong>der</strong> Schulführung, am Mangel an Diszipl<strong>in</strong>, und<br />
daran, daß <strong>der</strong> Pflichtgedanke nicht genügend beachtet würde. Dazu schreibt Herr Frowe<strong>in</strong>,<br />
heute <strong>der</strong> Vorsitzende des Vorstandes des Schulvere<strong>in</strong>s, im September 1952: „Demgegenüber<br />
stand die Me<strong>in</strong>ung an<strong>der</strong>er Eltern, daß die diszipl<strong>in</strong>äre Erziehung <strong>der</strong> Vergangenheit sich als<br />
12
falsch erwiesen habe, und daß die Gefahren e<strong>in</strong>er kontrollierten Freiheit ger<strong>in</strong>ger seien als die<br />
Gefahren, die sich aus e<strong>in</strong>em ständigen Gefühl <strong>der</strong> Angst ergeben. Herr Picht betonte, daß die<br />
Erziehung zur selbständigen Verantwortung nicht möglich ist, wenn man die Schüler daran<br />
gewöhnt, ständig unter Kommando zu handeln. Wer zur Selbstverantwortung erziehen will, darf<br />
vor dem Risiko <strong>der</strong> Freiheit nicht zurückschrecken. Das führt bisweilen zu Krisen beim e<strong>in</strong>zelnen<br />
wie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>schaft, aber alles, was am <strong>Birklehof</strong> gut ist, ist dem Mut zu verdanken, mit dem<br />
die Erzieher diese Krisen zulassen und überw<strong>in</strong>den. <strong>Der</strong> Erzieher muß sich immer wie<strong>der</strong> klar<br />
machen, daß man durch äußerliche Dressur nur e<strong>in</strong>e äußerliche Haltung erzeugen kann. Die<br />
echte E<strong>in</strong>sicht erwächst nur aus Erfahrung, und für das Gew<strong>in</strong>nen von Erfahrung ist das<br />
Scheitern auf e<strong>in</strong>em falschen Weg oft wichtiger als unproblematisches Sichführenlassen“.<br />
Hier möchte ich den Brief e<strong>in</strong>es <strong>Birklehof</strong>er Vaters erwähnen: Nach dem Elterntag 1953 schrieb<br />
Herr Ernst Klett (drei se<strong>in</strong>er K<strong>in</strong><strong>der</strong>, zwei Söhne und e<strong>in</strong>e Tochter, waren <strong>Birklehof</strong>er Schüler<br />
und machten hier Abitur) e<strong>in</strong>en kritischen Brief an Herrn Picht. Er hält es für wünschenswert,<br />
daß es auf dem <strong>Birklehof</strong> diszipl<strong>in</strong>ierter hergehe und beklagt vor allem die Tatsache, daß <strong>der</strong> Stil<br />
<strong>der</strong> <strong>Schule</strong> sich nicht <strong>in</strong> Formen und Symbolen ausdrücke, versteht aber, daß <strong>der</strong> <strong>Birklehof</strong><br />
ebenso wie die Bundesrepublik zunächst e<strong>in</strong>e Scheu gehabt habe, Formen zu entwickeln, glaubt<br />
aber nun, im Jahr 1953, daß es e<strong>in</strong> Kriterium für die <strong>in</strong>nere Kraft <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> se<strong>in</strong> müsse, neue<br />
Formen, auch von den Schülern selbst, zu entwickeln. Und er fragt: „Erkennt die <strong>Schule</strong> die<br />
Notwendigkeit schuleigener Formen an und besteht Aussicht auf Verwirklichung?“ Im<br />
<strong>Birklehof</strong>er Heft vom Januar 1954 folgt auf Herrn Kletts Brief die Antwort des Oberprimaners<br />
Jens Mommsen. Herr Picht hatte den Schülern <strong>der</strong> Oberstufe den Brief von Herrn Klett<br />
vorgelesen, um ihre Me<strong>in</strong>ung e<strong>in</strong>zuholen. Jens Mommsens Antwort - und er drückt damit die<br />
Me<strong>in</strong>ung se<strong>in</strong>er Mitschüler aus - gipfelt <strong>in</strong> dem Satz: „Wir wollen ke<strong>in</strong>e <strong>Birklehof</strong>er se<strong>in</strong>, son<strong>der</strong>n<br />
Individuen.“ Er drückt weiterh<strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Wi<strong>der</strong>willen gegen falsche Symbole und erzwungene<br />
Formen aus. Und er schätzt am <strong>Birklehof</strong>, dass man nach Freiheit und Ehrlichkeit strebt, aber<br />
auch, daß je<strong>der</strong> selbst und auf se<strong>in</strong>e Art dazu f<strong>in</strong>den soll. Er f<strong>in</strong>det, dass man trotz allem nicht auf<br />
Diszipl<strong>in</strong> und Form verzichten müsse, aber ohne Persönlichkeit und Individualität zu gefährden.<br />
- Und dann folgt e<strong>in</strong>e Antwort von Herrn Picht an Herrn Klett. Ich möchte näher darauf<br />
e<strong>in</strong>gehen, weil ich <strong>der</strong> Me<strong>in</strong>ung b<strong>in</strong>, daß Herr Picht hier vieles ausdrückt, was er wohl im S<strong>in</strong>ne<br />
hatte, als er <strong>1946</strong> die Leitung des <strong>Birklehof</strong>es übernahm. Am besten zitiere ich wörtlich. Da heißt<br />
es unter an<strong>der</strong>em: „In den vergangenen Jahren habe ich mehrfach den Zorn aller Freunde <strong>der</strong><br />
humanistischen Bildung auf mich gelenkt, <strong>in</strong>dem ich öffentlich erklärte, ich hielte es für e<strong>in</strong><br />
großes Unglück <strong>der</strong> deutschen Geistesgeschichte, daß unsere Ethik bloße Individualethik, unsere<br />
Pädagogik bloße Individualpädagogik sei. Die deutsche Bildung sei auf e<strong>in</strong>en Irrweg geraten, als<br />
sie sich dem Persönlichkeitsideal verschrieb. Sie können sich denken, mit welchen Gefühlen ich<br />
nun <strong>in</strong> dem Brief von Jens Mommsen lese, daß die eigentlich repräsentative Idee des <strong>Birklehof</strong>s<br />
die Idee <strong>der</strong> Persönlichkeit sei. E<strong>in</strong> schlimmeres Fiasko konnte ich mit me<strong>in</strong>en erzieherischen<br />
Bemühungen gar nicht erleben. Aber zum Glück b<strong>in</strong> ich ja Philologe und habe gelernt, daß es <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> Sprache so etwas wie Bedeutungsverschiebungen gibt. Ich betrachte mir also das zu<br />
<strong>in</strong>terpretierende Dokument etwas genauer und komme zu <strong>der</strong> überraschenden Feststellung, daß<br />
<strong>der</strong> Verfasser im Namen sämtlicher Schüler spricht und das Ideal, das er mit dem Namen<br />
„Persönlichkeit“ bezeichnet, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Wir-Form und im Geist <strong>der</strong> Solidarität beschreibt. Wenn man<br />
e<strong>in</strong>mal vom Vokabular absieht, so sche<strong>in</strong>t mir gerade dieser Brief deutlich zu zeigen, daß auf<br />
dieser <strong>Schule</strong> e<strong>in</strong>e Geme<strong>in</strong>schaft entstanden ist, die zwar alles das, was man früher für die<br />
selbstverständlichen Attribute <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>schaft hielt, mit großer Skepsis betrachtet, die sich aber<br />
trotzdem mit Entschiedenheit und nicht ger<strong>in</strong>gem Selbstbewußtse<strong>in</strong> zu e<strong>in</strong>er geme<strong>in</strong>samen und<br />
verpflichtenden Ges<strong>in</strong>nung bekennt.“ Und später schreibt Herr Picht: „Als ich im Jahr <strong>1946</strong> im<br />
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Schatten <strong>der</strong> geschichtlichen Erfahrungen, an die Sie mit Recht er<strong>in</strong>nern, vor <strong>der</strong> Frage stand, wie<br />
man nach dem furchtbaren Mißbrauch von allem, was Geme<strong>in</strong>schaft heißt, mit gutem Gewissen<br />
und unter Verzicht auf entwertete Formen e<strong>in</strong>e neue Geme<strong>in</strong>schaft aufbauen könnte, habe ich<br />
mich an e<strong>in</strong>en sehr e<strong>in</strong>fachen Grundsatz gehalten. Da je<strong>der</strong> Mensch, um überhaupt existieren zu<br />
können, auf e<strong>in</strong>e Geme<strong>in</strong>schaft angewiesen ist, kann je<strong>der</strong> Mensch die Geme<strong>in</strong>schaft spontan<br />
bejahen, <strong>in</strong>sofern er e<strong>in</strong>sieht, daß sie für ihn e<strong>in</strong>e Notwendigkeit ist. Also mußte man beim<br />
Aufbau e<strong>in</strong>er Geme<strong>in</strong>schaft umgekehrt vorgehen, als es bisher meistens geschehen ist: man<br />
mußte nicht von den Mitteln <strong>der</strong> kollektiven Suggestion und auch nicht von e<strong>in</strong>em forcierten<br />
Geme<strong>in</strong>schaftsethos ausgehen, son<strong>der</strong>n sich <strong>in</strong> betonter Nüchternheit an die notwendigen und<br />
jedem K<strong>in</strong>de e<strong>in</strong>sichtigen Regeln menschlichen Zusammenlebens halten, die getrost als e<strong>in</strong><br />
notwendiges Übel betrachtet werden dürfen, solange je<strong>der</strong> begreift, daß dieses „Übel“ wirklich<br />
notwendig ist und daß er <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em eigensten Interesse mit dazu beitragen muß, daß die<br />
Geme<strong>in</strong>schaft richtig funktioniert. E<strong>in</strong>e Geme<strong>in</strong>schaft dieser Art hat ke<strong>in</strong>en vorgeschriebenen<br />
und exerzierbaren Stil. Kann man deswegen sagen, sie habe überhaupt ke<strong>in</strong>en Stil? Ich glaube,<br />
man wird sagen dürfen, daß sie wenigstens unterwegs ist zu dem, was <strong>in</strong> dem sogenannten „Stil“<br />
<strong>der</strong> künstlich aufgezogenen Geme<strong>in</strong>schaften nur imitiert wird — nämlich zu e<strong>in</strong>em echten, e<strong>in</strong>em<br />
gewachsenen Stil, den sie nicht <strong>in</strong> dick aufgetragenen Farben vor sich her trägt, <strong>der</strong> aber se<strong>in</strong>e<br />
eigenen Ansprüche stellt, unter an<strong>der</strong>em den Anspruch, daß es e<strong>in</strong>es sehr ernsthaften und gar<br />
nicht leichten Bemühens bedarf, um diesen Stil zu verstehen. Über die Symbole hat Jens<br />
Mommsen das gleiche gesagt, was ich auch von mir aus zu sagen hätte. <strong>Der</strong> <strong>Birklehof</strong> hat sehr<br />
wenige Symbole, aber ich darf den Brief von Jens Mommsen vielleicht als Zeugnis dafür<br />
anführen, daß <strong>der</strong> <strong>Birklehof</strong> se<strong>in</strong>en Schülern die Möglichkeit gibt, etwas Wertvolleres dafür<br />
e<strong>in</strong>zutauschen. Sie s<strong>in</strong>d auf dem Wege wie<strong>der</strong> zu entdecken, was e<strong>in</strong> Symbol eigentlich ist. Wenn<br />
sich jemals <strong>in</strong> Deutschland das Unwahrsche<strong>in</strong>liche ereignen sollte, daß wie<strong>der</strong> echte Symbole <strong>in</strong><br />
Ersche<strong>in</strong>ung treten, so wird es nur <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Generation möglich se<strong>in</strong>, die begriffen hat, daß wir<br />
Symbole nur empfangen, niemals aber als planmäßig e<strong>in</strong>gesetzte Mittel e<strong>in</strong>er mo<strong>der</strong>nen<br />
Erziehungstechnik veranstalten dürfen.“ Und die letzten Sätze lauten: „Durch künstliche Formen<br />
verbaut man das Wachstum <strong>der</strong> echten Form. Wenn e<strong>in</strong>e <strong>Schule</strong> sich gesund entwickeln soll,<br />
braucht sie nicht weniger Geduld als e<strong>in</strong> junger Mensch. Gewiss ist <strong>der</strong> <strong>Birklehof</strong> noch e<strong>in</strong>e sehr<br />
unvollkommene <strong>Schule</strong>. Aber ich glaube nicht, daß wir ihn verbessern würden, wenn wir<br />
gewaltsam erzw<strong>in</strong>gen wollten, was noch nicht reif ist.“<br />
1953<br />
Das äußerlich wichtigste Ereignis des Jahres 1953 war am 24. Oktober das Richtfest für den<br />
„Neubirkle“, den ersten großen Neubau, dem noch viele an<strong>der</strong>e folgen sollten. Dieses Gebäude<br />
ist das erste eigene Haus des Schulvere<strong>in</strong>s, <strong>der</strong> seit Herbst 1952 Miteigentümer des Haupthauses<br />
ist. Beim Richtfest hält Herr Frowe<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Rede, die er mit den folgenden Worten schloß: „Als<br />
ich heute morgen von zu Hause nach H<strong>in</strong>terzarten fuhr, habe ich mir überlegt, welche Worte ich<br />
nun diesem Hause, das wir heute geweiht haben, als S<strong>in</strong>nspruch sagen sollte. Es fielen mir dabei<br />
die Worte e<strong>in</strong>, die <strong>in</strong> <strong>der</strong> Überlieferung me<strong>in</strong>er Familie e<strong>in</strong>e ganz beson<strong>der</strong>e Rolle spielen. Es s<strong>in</strong>d<br />
die Worte, die <strong>der</strong> Grün<strong>der</strong> me<strong>in</strong>er Firma im Jahre 1763 auf die erste Seite se<strong>in</strong>es Hauptbuches<br />
schrieb. Ich glaube, daß diese Worte genau so gut wie für den Beg<strong>in</strong>n e<strong>in</strong>es<br />
Wirtschaftsunternehmens auch für den Anfang des Werkes geeignet s<strong>in</strong>d, dessen Beg<strong>in</strong>n wir<br />
heute feiern. Diese Worte lauten: „Me<strong>in</strong> Anfang steht im Namen des Allerhöchsten. Er wolle<br />
mich segnen zu allen Zeiten“. Ich schließe mit dem Wunsch, daß sich diese Worte an allen denen<br />
erfüllen mögen, die an diesem Bau mitgearbeitet haben, und an denen, die <strong>in</strong> Zukunft <strong>in</strong> diesem<br />
Hause leben und wirken werden“.<br />
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Da ich den Namen von Herrn Frowe<strong>in</strong> erwähnt habe, ist hier wohl auch <strong>der</strong> Ort zu sagen,<br />
welche Rolle er für den <strong>Birklehof</strong> spielt. Das Wort „spielen“ hätte ich eigentlich gar nicht<br />
gebrauchen dürfen. Er hat viel mehr getan, als e<strong>in</strong>e Rolle zu spielen. Ich glaube, wir haben ke<strong>in</strong>en<br />
Schülervater gehabt, <strong>der</strong> sich jahrzehntelang so für den <strong>Birklehof</strong> e<strong>in</strong>gesetzt hat, <strong>der</strong> se<strong>in</strong>e Sorgen<br />
so sehr mitgetragen hat wie er. Er war zuerst Mitglied des Elternbeirats und ist nun schon viele<br />
Jahre Vorstandsvorsitzen<strong>der</strong> des Schulvere<strong>in</strong>s.<br />
Die Mitglie<strong>der</strong> des Vorstandes, die im Laufe <strong>der</strong> Jahrzehnte natürlich auch gewechselt haben,<br />
berufen im E<strong>in</strong>verständnis mit <strong>der</strong> Mitglie<strong>der</strong>versammlung den Schulleiter und den<br />
Geschäftsführer. Sie <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie nehmen ehrenamtlich die Aufgaben wahr, die dem Zweck des<br />
Vere<strong>in</strong>s dienen: <strong>Der</strong> Unterhaltung und dem Ausbau <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> <strong>Birklehof</strong>, sowie <strong>der</strong> Vermittlung<br />
von Kontakten zu Wissenschaft, Wirtschaft und Öffentlichkeit. Sie tragen die Verantwortung für<br />
die Existenz <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>.<br />
1954<br />
Aus dem Jahr 1954 möchte ich zwei beson<strong>der</strong>e Ereignisse hervorheben, die sicher <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Geschichte des <strong>Birklehof</strong>s e<strong>in</strong>e typische Rolle spielen. Das erste fand statt, als Schüler unter <strong>der</strong><br />
Leitung von Frau Westphal zur Verabschiedung <strong>der</strong> Abiturienten Szenen aus dem „Figaro“ von<br />
Mozart spielten. Das war e<strong>in</strong>e ganz zauberhafte und erstaunlich gekonnte Darbietung. Überhaupt<br />
Frau Westphal! Sie gehört voll und ganz <strong>in</strong> die Geschichte des <strong>Birklehof</strong>s h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>. Vor <strong>der</strong><br />
Eröffnung <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> gehörte sie zu den Freunden des Hauses Wendelstadt, wo auch schon sehr<br />
viel Musik getrieben wurde. Da weiß ich nur, daß man <strong>in</strong> kle<strong>in</strong>em Kreise sogar die Matthäus-<br />
Passion von Bach auf dem Plan hatte. Und nach dem Krieg kam Frau Westphal ganz regelmäßig<br />
zum <strong>Birklehof</strong> und gab Klavierunterricht. Das hört sich so e<strong>in</strong>fach an, wenn ich schreibe : Sie gab<br />
Klavierunterricht. Was war das für e<strong>in</strong> Unterricht! Selten habe ich e<strong>in</strong>en Menschen erlebt, <strong>der</strong> so<br />
sehr mit se<strong>in</strong>er ganzen Persönlichkeit h<strong>in</strong>ter dem stand, was er tat. Und selten auch wurde wohl<br />
e<strong>in</strong> lehren<strong>der</strong> Mensch so geliebt und verehrt wie sie.<br />
Zum Elterntag <strong>in</strong> diesem Sommer gab es die Aufrührung vom „Wallenste<strong>in</strong>“. Nachmittags wurde<br />
Wallenste<strong>in</strong>s Lager gespielt und zwar wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong>mal im Haupthaushof. So konnten alle Mittel<br />
aufgeboten werden, die dazu gehörten: Pferd und Wagen, das Lagerfeuer, e<strong>in</strong>e Unmenge<br />
Soldaten, viel mehr als auf e<strong>in</strong>er Bühne Platz gehabt hätten. Am Abend wurde „Wallenste<strong>in</strong>s<br />
Tod“ gespielt. E<strong>in</strong> Vater schreibt zu dieser Mammutaufführung: „Alle<strong>in</strong> schon dieser jährlichen<br />
Aufführungen wegen sollten mehr und immer mehr Eltern sich freimachen und den Elterntag<br />
besuchen. <strong>Der</strong> erzieherische S<strong>in</strong>n des Theaterspielens wurde hier wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong>mal sehr e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>glich<br />
zu Bewußtse<strong>in</strong> gebracht“.<br />
1955<br />
E<strong>in</strong>e wichtige Än<strong>der</strong>ung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Struktur <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> ereignete sich im Jahr 1955. Herr Picht legt<br />
se<strong>in</strong> Amt als Schulleiter nie<strong>der</strong>, übernimmt aber den Vorsitz im Vorstand des Schulvere<strong>in</strong>s.<br />
Damit ist e<strong>in</strong>em Zustand, <strong>der</strong> sich seit längerer Zeit vorbereitet hatte, e<strong>in</strong>e def<strong>in</strong>itive Form<br />
gegeben worden. Herr Till als Unterrichtsleiter, Herr Herchenröther als Internatsleiter und Herr<br />
Döhmer als Wirtschaftsleiter übernehmen <strong>in</strong> geme<strong>in</strong>samer Verantwortung die Führung des<br />
<strong>Birklehof</strong>s.<br />
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Die sommerlichen o<strong>der</strong> herbstlichen Schulfahrten werden zu regelmäßigen und erfreulichen<br />
Ereignissen im Lauf e<strong>in</strong>es Schuljahres. In diesem Jahr werden zwei große Fahrten unternommen.<br />
Herr Till unternimmt e<strong>in</strong>e Fahrt nach Rom, me<strong>in</strong> Mann kann zusammen mit Herrn Döhmer e<strong>in</strong>e<br />
herrliche Fahrt nach Spanien machen.<br />
Im gleichen Jahr beg<strong>in</strong>nen <strong>in</strong> langen Konferenzen Vorbereitungen für e<strong>in</strong>e grundlegende<br />
Unterrichtsreform <strong>der</strong> Oberstufe.<br />
Beim Elterntag 1955 gab es <strong>in</strong>teressante und wi<strong>der</strong>sprüchliche Aussprachen zwischen<br />
Erwachsenen und Eltern. Es wurde abschließend verschiedentlich betont, wie wichtig es für alle<br />
Seiten ist, unmittelbar mit den Eltern über die zentralen pädagogischen Probleme sprechen zu<br />
können. Herr Picht selbst sagt zum Abschluß: „Gerade um dieses freimütigen<br />
Me<strong>in</strong>ungsaustausches willen verdient <strong>der</strong> Elterntag 1955 e<strong>in</strong> Erfolg genannt zu werden“.<br />
1956<br />
Im Jahr 1956 ersche<strong>in</strong>t e<strong>in</strong> Son<strong>der</strong>heft „<strong>Der</strong> <strong>Birklehof</strong>“, <strong>in</strong> dem <strong>in</strong> vollem Umfang die<br />
Ansprachen vom Elterntag enthalten s<strong>in</strong>d. In <strong>der</strong> Rede von Herrn Professor Dr. Till legt dieser<br />
se<strong>in</strong>e grundsätzlichen Gedanken zur Unterrichtsreform <strong>in</strong> <strong>der</strong> Oberstufe dar. Aus <strong>der</strong> Gesamtheit<br />
aller Unterrichtsfächer kann je<strong>der</strong> Schüler zwei sogenannte Leistungsfächer wählen. Außerdem<br />
wird als zusätzliches Fach das studium generale und Politik e<strong>in</strong>geführt. Me<strong>in</strong> Mann als<br />
Internatsleiter hatte sich zum Thema se<strong>in</strong>er Ansprache die Frage nach <strong>der</strong> Verantwortung<br />
gewählt. Er schreibt u.a.: „Verantwortung bedeutet also nicht, daß auf <strong>der</strong> e<strong>in</strong>en Seite nur<br />
gefor<strong>der</strong>t und von <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite nur erfüllt wird. In <strong>der</strong> Erziehung ist also nicht auf <strong>der</strong> e<strong>in</strong>en<br />
Seite e<strong>in</strong> unbehauenes Rohmaterial vorhanden, das aufgrund von autoritativen Gesetzen, die die<br />
Erwachsenen nach außen h<strong>in</strong> zu vertreten haben, geformt wird. Verantwortung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Erziehung<br />
bedeutet nicht, daß nur gefor<strong>der</strong>t wird. Unabd<strong>in</strong>gbar gehört dazu, daß, bei aller Verschiedenheit<br />
<strong>der</strong> Lebensbereiche von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und uns Erwachsenen mit ihren verschiedenen Welten und<br />
Gesetzen, wir uns selbst unter diese Gesetze stellen, nach ihrer Gültigkeit und<br />
Erfüllungsmöglichkeit fragen! Nur dann, wenn das Gesetz nicht nur gefor<strong>der</strong>t wird, son<strong>der</strong>n mitgelebt<br />
und miterlebt wird, entsteht die <strong>in</strong>nere Glaubwürdigkeit, die die Voraussetzung je<strong>der</strong><br />
echten Überzeugung ist“.<br />
Herr Döhmer betont <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Ansprache, daß das Verhältnis <strong>der</strong> Eltern zur <strong>Schule</strong> sich nicht nur<br />
auf das Pädagogische bezieht, son<strong>der</strong>n auch wirtschaftlich bestimmt ist. Er entwirft dann e<strong>in</strong> Bild<br />
von <strong>der</strong> rechtlichen und wirtschaftlichen Struktur <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>. Nach <strong>der</strong> Behandlung e<strong>in</strong>zelner<br />
ökonomischer Fragen kommt Herr Döhmer zu dem Fazit: Drei Pr<strong>in</strong>zipien — Selbstkosten als<br />
Maßstab für die Schulgebühr, Investitionen nicht aus dem Schulgeld f<strong>in</strong>anzieren und schließlich,<br />
auch Freistellen nur aus Son<strong>der</strong>mitteln zu decken — bestimmen das Verhältnis <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> zu den<br />
Eltern. Also müssen Eltern und <strong>Schule</strong> e<strong>in</strong>e Geme<strong>in</strong>schaft bilden. <strong>Der</strong> <strong>Birklehof</strong> ist auch die<br />
<strong>Schule</strong> <strong>der</strong> Eltern. Schließlich spricht Herr Döhmer von se<strong>in</strong>en neuen Bauprojekten. Es handelt<br />
sich da um e<strong>in</strong> neues Haus mit Turnhalle, Zeichensaal, Physikraum und weiteren<br />
Internatsräumen. — Die letzte Ansprache hielt Herr Picht als Vorsitzen<strong>der</strong> des<br />
Schulvere<strong>in</strong>svorstandes. Sie ist e<strong>in</strong>e ausführliche Darlegung <strong>der</strong> Situation von Experimentierschulen<br />
wie den Lan<strong>der</strong>ziehungsheimen. Herr Picht versucht zuerst, die erzieherische Situation<br />
klar zu machen, die man bei <strong>der</strong> Arbeit auf dem <strong>Birklehof</strong> voraussetzen muß. E<strong>in</strong>e Eliteschule<br />
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lehnt er rundweg ab. So ergeben sich für ihn für e<strong>in</strong>e <strong>Schule</strong> wie den <strong>Birklehof</strong> folgende<br />
For<strong>der</strong>ungen:<br />
1. Sie darf nicht re<strong>in</strong>e Unterrichtsschule se<strong>in</strong>, son<strong>der</strong>n muß e<strong>in</strong>en Lebenszusammenhang<br />
herstellen, <strong>in</strong> dem jene elementaren sittlichen Erfahrungen gemacht werden, die heute <strong>in</strong>nerhalb<br />
<strong>der</strong> Familie nicht mehr voll realisiert werden können.<br />
2. Das Leben <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schulgeme<strong>in</strong>schaft muß den jungen Menschen vor For<strong>der</strong>ungen stellen, die<br />
jeden E<strong>in</strong>zelnen <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em gesamten Dase<strong>in</strong> erfassen und für se<strong>in</strong> späteres Leben die Maßstäbe<br />
aufrichten.<br />
3. Insbeson<strong>der</strong>e muß <strong>der</strong> junge Mensch <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Schulgeme<strong>in</strong>schaft lernen, Opfer zu<br />
br<strong>in</strong>gen und Verantwortung zu tragen. Dieser Aufgabe dient man nicht dadurch, daß man e<strong>in</strong>e<br />
Ideologie <strong>der</strong> Verantwortungsbereitschaft predigt; sie gel<strong>in</strong>gt nur, wenn das, was uns als Predigt<br />
allzu leicht von den Lippen geht, zu e<strong>in</strong>er unaufdr<strong>in</strong>glichen und selbstverständlichen Übung<br />
wird. —<br />
Nach e<strong>in</strong>em Exkurs <strong>in</strong> die politische Situation jener Jahre schließt Herr Picht mit den Worten:<br />
„Wir bef<strong>in</strong>den uns heute <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er erzieherischen Situation, <strong>in</strong> <strong>der</strong> man nur dann etwas für unsere<br />
Zeit tun kann, wenn man den Tendenzen unserer Zeit entgegentritt. Darum haben wir e<strong>in</strong> so<br />
waghalsiges Experiment unternommen, und darum hat sich hier e<strong>in</strong> Kreis von Menschen<br />
zusammengefunden, die bereit s<strong>in</strong>d, ihre Lebensarbeit und ihre berufliche Existenz mit diesem so<br />
unzeitgemäßen Experiment, gegen unsere Zeit und gerade deshalb für unsere Zeit, aufs Spiel zu<br />
setzen. In dem Bewußtse<strong>in</strong> dieser Verpflichtung liegt die Verantwortung begründet, von <strong>der</strong><br />
me<strong>in</strong>e Freunde gesprochen haben“. — Die Aussprachen während des Elterntages 1956 befassen<br />
sich im wesentlichen natürlich mit den eben angeführten Reden und Darlegungen. E<strong>in</strong>en<br />
beson<strong>der</strong>en Platz <strong>in</strong> <strong>der</strong> Diskussion nahm die politische Bildung e<strong>in</strong>, gerade im H<strong>in</strong>blick auf die<br />
Reise <strong>in</strong> die Ostzone, die für den September nach den Ferien geplant war.<br />
1957<br />
Aus dem Jahr 1957 ist von zwei wichtigen Daten zu berichten. Am Beg<strong>in</strong>n des Sommertertials<br />
wird das neue Haus mit Turnhalle, Zeichensaal, Physik- und Chemieraum <strong>in</strong> Betrieb genommen.<br />
Vom Elterntag dieses Jahres möchte ich hier vor allem von e<strong>in</strong>er beson<strong>der</strong>en Darbietung<br />
berichten. Das war die Aufführung <strong>der</strong> „Carm<strong>in</strong>a Burana“ von Orff, unter <strong>der</strong> Leitung von Graf<br />
Bassewitz. <strong>Der</strong> „Vater Klett“ schreibt dazu: „Daß es dem Grafen Bassewitz gelungen ist, 100<br />
<strong>Birklehof</strong>er so zu diszipl<strong>in</strong>ieren, daß e<strong>in</strong>e auch nach dem Urteil von Kennern großartige<br />
Aufführung <strong>der</strong> „Carm<strong>in</strong>a Burana“ zustande kam, ist erstaunlich. Daß er schöne Solostimmen<br />
zur Verfügung hatte, ist e<strong>in</strong> beson<strong>der</strong>es Glück gewesen; für uns Eltern entscheidend war jedoch,<br />
wie es dem Dirigenten und Pädagogen gelungen ist, den Geist des Stückes spüren zu lassen: Es<br />
war eben mehr als e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>studiertes Kunstwerk, wenn die bayerisch-vitale und gleichzeitig<br />
raff<strong>in</strong>ierte Partitur so überzeugend <strong>in</strong> den Stimmen <strong>der</strong> Schüler aufklang; es war das geleistet, was<br />
wir vom <strong>Birklehof</strong> erwarten: Gemeisterte H<strong>in</strong>gabe“.<br />
Hier möchte ich überhaupt etwas von dem Wirken des Grafen Bassewitz als Musiklehrer <strong>der</strong><br />
<strong>Schule</strong> berichten. Er hat zeitweise im Internat mitgearbeitet, vor allem aber hat er mit dem Chor<br />
und dem Orchester herrliche Aufführungen e<strong>in</strong>studiert und sie <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> und bei beson<strong>der</strong>en<br />
Anläßen auch <strong>der</strong> Elternschaft und Gästen <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> mit großem Erfolg dargeboten. Vielleicht<br />
darf ich hier auch auf das Wirken <strong>der</strong> Gräf<strong>in</strong> Bassewitz h<strong>in</strong>weisen. E<strong>in</strong>e ganze Reihe von Jahren<br />
hat sie das Mädchen<strong>in</strong>ternat <strong>in</strong> <strong>der</strong> Wolffsburg geleitet. Kaum jemand hat an dieser Stelle mit so<br />
großem persönlichen E<strong>in</strong>satz und mit solcher H<strong>in</strong>gabe gearbeitet. Und kaum jemand hat dafür<br />
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sich so großer Verehrung und Liebe <strong>der</strong> Mädchen erfreut. E<strong>in</strong> Beweis dafür war e<strong>in</strong> Treffen<br />
ehemaliger Wolffsbürger<strong>in</strong>nen, das Gräf<strong>in</strong> Bassewitz vor e<strong>in</strong>igen Jahren hier <strong>in</strong> H<strong>in</strong>terzarten<br />
veranstaltete. E<strong>in</strong>e Menge <strong>der</strong> ihr e<strong>in</strong>stmals Anvertrauten kam zusammen. Ich selbst war zu<br />
e<strong>in</strong>em geme<strong>in</strong>samen Abendessen e<strong>in</strong>geladen und konnte also miterleben, welche Dankbarkeit<br />
und Zuneigung diese „Ehemaligen“ ihrer e<strong>in</strong>stigen Hauserwachsenen entgegenbrachten.<br />
Abschluß dieses Elterntages 1957 war die Aufführung des „Hamlet“ von Shakespeare. Ich kann<br />
nicht umh<strong>in</strong> zu sagen, daß me<strong>in</strong> Mann dieses Mal e<strong>in</strong>e ganz beson<strong>der</strong>e Leistung vollbracht hat.<br />
Das Glück wollte es, daß er <strong>in</strong> diesem Jahr für die Aufführung beson<strong>der</strong>s geeignete<br />
„Schauspieler“ hatte. Ich glaube, hier darf ich e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>ige Namen nennen: Michael Klett, Peter<br />
Kramer, Heilwig zu Eulenburg, Yvonne Kommerell, Tete Böttger, Michael Weiss, Michael<br />
Munte, Viktor Achter, Michael Poelchau, H<strong>in</strong>rich Hastedt, Dieter L<strong>in</strong><strong>der</strong>t usw. - Dazu gab es an<br />
diesem Elterntag noch e<strong>in</strong>e Aufführung <strong>der</strong> Kle<strong>in</strong>en. Sie spielten „Ali Baba und die vierzig<br />
Räuber“ nach dem Text von Gottfried Schramm, jetzt Professor für osteuropäische Geschichte<br />
an <strong>der</strong> Universität Freiburg, und <strong>der</strong> Musik von He<strong>in</strong>o Schwart<strong>in</strong>g, jetzt Professor an <strong>der</strong><br />
Musikhochschule Freiburg. Beide, <strong>der</strong> Texter wie <strong>der</strong> Komponist, haben lange an <strong>der</strong> <strong>Schule</strong><br />
mitgearbeitet, und auch hier muß ich wohl sagen, daß diese Aufführung zeigte, was die <strong>Schule</strong><br />
ihnen zu verdanken hat.<br />
1958<br />
Am 1. August 1958 verlor die <strong>Schule</strong> e<strong>in</strong>en ihrer besten und engagiertesten Lehrer,<br />
Dr. Hermann Klöter, e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> leidenschaftlichsten Lehrer, die wir je hatten, trotz aller spröden<br />
Zurückhaltung. Se<strong>in</strong> gelegentlich jäh aufbrausen<strong>der</strong> Zorn betrübte ihn selbst am meisten. Im<br />
letzten war er e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>samer Grübler, <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Innersten e<strong>in</strong> Künstler. Er war geprägt von <strong>der</strong><br />
Welt e<strong>in</strong>es Thomas Mann, Gottfried Benn, Ludwig Klages, aber auch von <strong>der</strong> geistigen Welt <strong>der</strong><br />
Griechen. - Dies etwa s<strong>in</strong>d die Gedanken, die Herr Till zu se<strong>in</strong>em Gedenken im nächsten<br />
<strong>Birklehof</strong>-Heft äußerte. - Zauberhaft am Elterntag '58 war e<strong>in</strong>e Aufführung von Shakespeares<br />
„Was ihr wollt“. Me<strong>in</strong> Mann, <strong>der</strong> Regisseur, me<strong>in</strong>te nach dem Spiel kopfschüttelnd: „Sie s<strong>in</strong>d mir<br />
alle aus <strong>der</strong> Hand geglitten. Als sie auf <strong>der</strong> Bühne waren, gab es ke<strong>in</strong> Halten mehr“. E<strong>in</strong> Schüler<br />
hatte e<strong>in</strong>em Zuschauer gesagt: „Denken Sie nicht, daß wir für Sie Theater spielen. Theater ist hier<br />
Pädagogik. Daß die K<strong>in</strong><strong>der</strong> vor Ihnen spielen, ist nur e<strong>in</strong> Nebenergebnis unserer Bemühungen“. -<br />
An e<strong>in</strong>em schönen Sommertag gab es <strong>in</strong> diesem Jahr e<strong>in</strong> beson<strong>der</strong>es Fest für die Kle<strong>in</strong>en. Es<br />
wurde von Frau Schulz mit Herrn Agor zusammen organisiert, und so organisiert, wie es<br />
eigentlich nur Frau Schulz konnte; mit Eis und Kuchen, mit Würstchen und Kartoffelsalat, mit<br />
Wettkämpfen und Aufführungen, mit Kegeln im Haupthaushof und e<strong>in</strong>em Sängerwettbewerb.<br />
E<strong>in</strong>e reizende Szene am Rande von Frau Schulz erzählt: „In e<strong>in</strong>er Ecke hockten drei Buben. 'Wie<br />
heißt denn du?' - eröffnet <strong>der</strong> e<strong>in</strong>e das Gespräch. 'Johannes.' 'Ich heiße auch Johannes’. Darauf<br />
<strong>der</strong> dritte, ganz Kle<strong>in</strong>e, <strong>in</strong> fassungslosem Staunen: 'Ach!' Er heißt nämlich auch Johannes. Es<br />
handelt sich um die Sprößl<strong>in</strong>ge <strong>der</strong> Familien Döhmer, Picht und Till.“ - Zur Abschiedsfeier für<br />
die Abiturienten wird unter Leitung von Frau Westphal „La serva padrona“, opera buffo von<br />
Pergolesi, gesungen - e<strong>in</strong>e musikalische Darbietung, wie sie nur von Frau Westphal erreicht<br />
werden konnte.<br />
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1959<br />
E<strong>in</strong>es <strong>der</strong> wichtigsten Daten des Jahres 1959 war <strong>der</strong> siebzigste Geburtstag von Herrn Dr. Hans<br />
Wendelstadt. Er war, zusammen mit <strong>der</strong> Baron<strong>in</strong> Wolff, <strong>der</strong> Grün<strong>der</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> <strong>Birklehof</strong>. Ich<br />
habe se<strong>in</strong>er schon gedacht.<br />
Es gab <strong>in</strong> diesem Jahr noch zwei weitere siebzigste Geburtstage: Am 10. April wurde Herr<br />
Grosse 70 Jahr alt. Er gehörte <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> seit ihrem Bestehen an und schaffte und sorgte auch <strong>in</strong><br />
diesem Jahr noch immer für alle technischen E<strong>in</strong>richtungen, mit denen ke<strong>in</strong>er so vertraut war wie<br />
er. Das gleiche Fest feierte am l. November Frau Westphal, die ja seit Bestehen <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> an<br />
zwei o<strong>der</strong> drei Tagen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Woche Klavierunterricht erteilte.<br />
Herr Professor Till hatte e<strong>in</strong>en Ruf an die Universität Erlangen bekommen. In se<strong>in</strong>er Rede am<br />
Elterntag sagte Herr Döhmer zum Abschied von Herrn Till: „Dank für e<strong>in</strong>e reiche, nahezu<br />
zehnjährige Tätigkeit als Lehrer und Unterrichtsleiter. Die Freiheit, <strong>in</strong> <strong>der</strong> sich <strong>Schule</strong>n, wie die<br />
unsere, entfalten können, zw<strong>in</strong>gt alle, die hier arbeiten, und beson<strong>der</strong>s diejenigen, die an<br />
führen<strong>der</strong> Stelle wirken, selbständig zu formen und zu gestalten. Daraus erwächst viel Freude,<br />
doch wird sie nicht umsonst gewährt, son<strong>der</strong>n sie ist Frucht unermüdlichen Sorgens und Mühens<br />
- dies alles für uns auf sich genommen zu haben, danken wir Herrn Till. Was er <strong>in</strong> den Jahren<br />
se<strong>in</strong>es hiesigen Wirkens mittrug und mitformte, das wird lebendig bleiben“. - Stephan Andres'<br />
„Tanz durchs Labyr<strong>in</strong>th“ wurde zu diesem Elterntreffen aufgeführt; e<strong>in</strong> sehr kompliziertes Spiel,<br />
„das gewissermaßen das Geschick <strong>der</strong> Menschheit durch die Geschichte von <strong>der</strong> Vorzeit bis zur<br />
beschworenen Gegenwart zum Thema hatte, wobei unmißverständlich den Charakter e<strong>in</strong>er<br />
Begegnung das letzte Bild hatte, das <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em 'Konzentrationslager <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em hochzivilisierten<br />
Staat Europas im 20. Jahrhun<strong>der</strong>t' spielt“. So äußerte sich <strong>der</strong> Berichterstatter über diese<br />
Elterntage. Den Schlußpunkt dieses Elterntages bildete die von Frau Schulz gedichtete und von<br />
Herrn Schwart<strong>in</strong>g komponierte und geleitete Schulkantate, an <strong>der</strong> sich Chorgruppen von<br />
Lehrern, Hausangestellten und Schülern, sowie e<strong>in</strong> Spezialorchester beteiligten. Dichtung und<br />
Musik ergänzten sich wun<strong>der</strong>bar; das Ganze war lustig, e<strong>in</strong> bezaubern<strong>der</strong> Abschluß dieser Tage.<br />
1960<br />
Das nächste <strong>Birklehof</strong>-Heft beg<strong>in</strong>nt mit e<strong>in</strong>em Artikel von Herrn Döhmer mit dem Titel:<br />
„Realisierte Luftschlösser“. Von drei großen Bauvorhaben ist hier die Rede: „Petersbau“, e<strong>in</strong><br />
großes Haus mit drei Klassenzimmern im Erdgeschoß, im Haupt- und Dachgeschoß zwei<br />
Lehrerwohnungen mit zusätzlichen Internatsräumen. Das Haus bekam se<strong>in</strong>en Namen zum<br />
Gedenken an unseren verstorbenen Kollegen Herrn Peters. Weiter entsteht <strong>der</strong> „Klöterbau“.<br />
Hier gibt es im Untergeschoß e<strong>in</strong>en Eßraum für die Angestellten, außerdem im Mittelgeschoß<br />
e<strong>in</strong>e schöne Wohnung für unsere Wirtschaftsleiter<strong>in</strong> und Räume für unsere Praktikant<strong>in</strong>nen und<br />
e<strong>in</strong> Gästezimmer, im Obergeschoß das neue Krankenrevier, und e<strong>in</strong>e Wohnung für unsere<br />
Krankenschwester. Und drittens entsteht, angeschlossen an den Klöterbau, e<strong>in</strong><br />
Lehrschwimmbecken, das immerh<strong>in</strong> so groß ist, daß Herr Schneitenberger allen<br />
Nichtschwimmern das Schwimmen beibr<strong>in</strong>gen kann. Se<strong>in</strong>en Namen hat dieses Haus natürlich<br />
zum Gedenken an unseren Kollegen, Herrn Klöter, bekommen. - In diesem Heft kommt zum<br />
ersten Mal Herr Curt Gerharz zu Wort, unser auch heute noch tätiger Musiklehrer, <strong>der</strong> <strong>in</strong> immer<br />
zunehmendem Maße e<strong>in</strong> ganz entscheiden<strong>der</strong> Mitarbeiter geworden ist. Große Leistungen hat er<br />
mit unserem Chor und unserem Orchester vollbracht, bei unzähligen Gelegenheiten <strong>in</strong>nerhalb<br />
und außerhalb <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> hat er gewirkt, und vor allem verdanken wir ihm die regelmäßig am<br />
Donnerstagabend stattf<strong>in</strong>denden Musikabende, die nicht nur von Schülern und Mitarbeitern,<br />
19
son<strong>der</strong>n auch von Gästen aus dem Dorf besucht werden dürfen. Es ist immer wie<strong>der</strong> erstaunlich,<br />
was für bedeutende Solisten, Kammerorchester, Duos und Trios er gew<strong>in</strong>nen kann. - Ebenfalls<br />
kommt Herr Krohberger, unser Kunsterzieher, hier zum ersten Mal zu se<strong>in</strong>em Recht. Er zeigt<br />
vor allem, daß wohl ke<strong>in</strong> an<strong>der</strong>es Lehrfach sich <strong>in</strong> den letzten vierzig Jahren so gewandelt hat,<br />
wie das „Zeichnen“. Er beherrscht unendlich viele Techniken und kann so überzeugend zeigen,<br />
daß „das bildnerische Gestalten“ die schöpferischen Kräfte unserer heranwachsenden K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
und Jugendlichen entfaltet. Im sogenannten Zeichensaal wird also nicht nur gezeichnet, son<strong>der</strong>n<br />
auch mit Materialien wie Papier, Glas, Gips, Ste<strong>in</strong>, Holz und Schiefer gearbeitet. Außerdem<br />
betrachtet es Herr Krohberger als se<strong>in</strong>e Arbeit, „dem Jugendlichen Werke <strong>der</strong> Kunst nahe zu<br />
br<strong>in</strong>gen und ihm die ihnen <strong>in</strong>newohnenden Kräfte zu erschließen“. In diesem Sommer 1960<br />
machte die Oberprima unter <strong>der</strong> Führung von Herrn Weidauer e<strong>in</strong>e, wie ich glaube, allen<br />
unvergeßliche Fahrt nach Süditalien. Wolf Koenigs berichtet begeistert und ausführlich davon.<br />
1961<br />
Das <strong>Birklehof</strong>-Heft Nr. 16 spricht <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em ersten Artikel von e<strong>in</strong>em Todesfall, <strong>der</strong> nicht nur für<br />
den <strong>Birklehof</strong> e<strong>in</strong>en schmerzlichen Verlust bedeutet, son<strong>der</strong>n für alle Lan<strong>der</strong>ziehungsheime.<br />
M<strong>in</strong>na Specht (1879-1961) starb. Sie war von früh an allen Lan<strong>der</strong>ziehungsheimen eng<br />
verbunden. Sie hatte nach dem Zweiten Weltkrieg die Odenwaldschule geleitet, und wurde dann,<br />
als sie dieses Amt aufgegeben hatte, <strong>in</strong> den Vorstand <strong>der</strong> „Vere<strong>in</strong>igung deutscher<br />
Lan<strong>der</strong>ziehungsheime“ berufen. In diesem Amt bekam sie, ich glaube, auf Vorschlag von Herrn<br />
Picht, die Aufgabe e<strong>in</strong>er pädagogischen und vor allem didaktischen Selbstkontrolle <strong>der</strong> deutschen<br />
Lan<strong>der</strong>ziehungsheime. In diesem e<strong>in</strong>gangs erwähnten Aufsatz von Herrn Fritz L<strong>in</strong>n (Leiter des<br />
Lan<strong>der</strong>ziehungsheimes Schondorf) wird erzählt: „Seitdem reist sie von Heim zu Heim. Zudem<br />
e<strong>in</strong>en kommt sie nur selten und nur für e<strong>in</strong>ige Tage, zu den an<strong>der</strong>en – ihren Sorgen- und damit<br />
Liebl<strong>in</strong>gsk<strong>in</strong><strong>der</strong>n – immer wie<strong>der</strong> und viele Wochen lang. Und stets ergibt sich das gleiche: Sie<br />
kann nicht an<strong>der</strong>s, als sich mit <strong>der</strong> ganzen Kraft ihrer menschlichen Anteilnahme und ihres<br />
menschlichen Interesses den Problemen je<strong>der</strong> <strong>Schule</strong> zuzuwenden. Und immer gibt es Probleme<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> vielschichtigen Lebensgeme<strong>in</strong>schaft e<strong>in</strong>es Lan<strong>der</strong>ziehungsheimes. Alles will sie sehen,<br />
erfahren, miterleben. Je<strong>der</strong> will mit ihr sprechen, weil er hofft, von diesem Menschen <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en<br />
sorgenden Fragen, vor allem <strong>in</strong> denen, die er an<strong>der</strong>en nicht erschließen kann, verstanden und<br />
beraten zu werden.“ Me<strong>in</strong> Mann und ich s<strong>in</strong>d ihr sehr nahe gekommen – und wir s<strong>in</strong>d dankbar<br />
dafür. Sie hat uns sogar das freundschaftliche Du angeboten. Und sie und ich haben feststellen<br />
können, daß wir vor vielen Jahren <strong>in</strong> Gött<strong>in</strong>gen zusammen im Kolleg bei dem Philosophen<br />
Professor Leonhard Nelson gesessen haben.<br />
E<strong>in</strong>en reizenden Aufsatz <strong>in</strong> diesem Heft schreibt He<strong>in</strong>z Sievek<strong>in</strong>g, genannt „Bisi“, über die<br />
Adventszeit: Weihnachtslie<strong>der</strong>s<strong>in</strong>gen am Abend vor dem ersten Advent. Dann am<br />
Sonntagmorgen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Frühe s<strong>in</strong>gt die Kurrende, e<strong>in</strong>e beson<strong>der</strong>e Sängergruppe aus dem großen<br />
Chor, unter <strong>der</strong> Leitung von Herrn Gerharz, Weihnachtslie<strong>der</strong> <strong>in</strong> o<strong>der</strong> vor den e<strong>in</strong>zelnen<br />
Häusern, etwas, was me<strong>in</strong>en Mann und mich immer sehr erfreute, so, wenn z.B. das Lied „In<br />
dulci jubilo“ vor unserer Wohnung o<strong>der</strong> dann vor unserem Haus erklang. Am zweiten<br />
Adventssonntag pilgert das Schulvolk zur Oswaldkapelle <strong>in</strong>s Höllental h<strong>in</strong>ab, wo e<strong>in</strong>e feierliche<br />
Andacht stattf<strong>in</strong>det. Heute geht diese Pilgerfahrt nicht mehr zur Oswaldkapelle h<strong>in</strong>ab (des<br />
Verkehrs wegen!), son<strong>der</strong>n zur Kapelle beim Heiligbrunnen-Gasthaus. <strong>Der</strong> dritte<br />
Adventssonntag ist meist <strong>der</strong> letzte Sonntag des Trimesters. An diesem Abend wurde viele Jahre<br />
lang unter <strong>der</strong> Leitung me<strong>in</strong>es Mannes das Oberuferer Weihnachtsspiel aufgeführt, von dem ich<br />
schon erzählt habe, ebenso vom Christbaumsuchen als Abschluß des Herbsttrimesters.<br />
20
In <strong>der</strong> <strong>in</strong>neren Struktur <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> haben sich nach dem Weggang von Herrn Professor Till 1959<br />
mancherlei Än<strong>der</strong>ungen ereignet. Zuerst trat Herr Weidauer, <strong>der</strong> seit 1956 schon als Lehrer hier<br />
tätig war, an die Stelle von Herrn Till. Später wurde es für wichtig befunden, daß die <strong>Schule</strong><br />
wie<strong>der</strong> von e<strong>in</strong>er Person als Schulleiter geführt wurde. Als Übergang trat Herr Dr. L<strong>in</strong>demann an<br />
die Spitze <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>.<br />
1962<br />
Im Januar 1962 wurde er aber auf eigenen Wunsch von se<strong>in</strong>em Amt beurlaubt, da er sich lieber<br />
wie<strong>der</strong> se<strong>in</strong>er journalistischen Arbeit widmen wollte. Hier hat es sich e<strong>in</strong>mal nicht als sehr<br />
glücklich erwiesen, e<strong>in</strong>en pädagogischen Außenseiter <strong>in</strong> den Mitarbeiterstab <strong>der</strong> <strong>Schule</strong><br />
e<strong>in</strong>zuglie<strong>der</strong>n. Sonst hat sich die <strong>Schule</strong> ja nicht gescheut, sogenannte Außenseiter als Mitarbeiter<br />
zu verpflichten - ich er<strong>in</strong>nere an die drei schon erwähnten „Gräf<strong>in</strong>nen“, an Frau von Wedel, an<br />
Herrn Schramm, an Herrn Müller. Ich könnte auch mich selbst dazu rechnen. Ich habe nie e<strong>in</strong><br />
Staatsexamen gemacht, nur promoviert, bekam aber trotzdem aufgrund me<strong>in</strong>er langjährigen<br />
Auslandsaufenthalte <strong>in</strong> England (Oxford, London, Glasgow) und <strong>in</strong> Frankreich (Lille) e<strong>in</strong>e<br />
Unterrichtserlaubnis für die <strong>Schule</strong> <strong>Birklehof</strong>. Im Dezember wurde dann Herr Weidauer im<br />
E<strong>in</strong>verständnis mit dem Schulvere<strong>in</strong>svorstand und auch auf Wunsch <strong>der</strong> gesamten Lehrerschaft<br />
zum Schulleiter ernannt, was er - Gott sei's gedankt - auch heute noch ist. Im Zeichen se<strong>in</strong>es<br />
neuen Amtes befaßt er sich im ersten Heft „<strong>Der</strong> <strong>Birklehof</strong>“, das unter se<strong>in</strong>er Schulleitung<br />
entstand, mit <strong>der</strong> Frage e<strong>in</strong>er Reform <strong>der</strong> Mittelstufe.<br />
E<strong>in</strong> wichtiger Aufsatz im gleichen Heft behandelt e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>richtung am <strong>Birklehof</strong>, mit <strong>der</strong> ich<br />
mich noch gar nicht beschäftigt habe, - das ist das Mentorat! <strong>Der</strong> Aufsatz ist von Herrn H. D.<br />
Müller, jetzt leiten<strong>der</strong> Regierungsdirektor an <strong>der</strong> Universität Bremen, geschrieben, e<strong>in</strong>em früheren<br />
Mitarbeiter <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>. Es heißt da u. a. (ich könnte es nicht besser ausdrücken): „Ab Untertertia<br />
können sich Schüler und Schüler<strong>in</strong>nen e<strong>in</strong>en Erwachsenen ihres Vertrauens zum Mentor wählen.<br />
Er hat sich über Unterrichtsschwierigkeiten zu <strong>in</strong>formieren und sie nach Möglichkeit zu beheben<br />
(durch Vokabelabhören, Arrangement von Nachhilfeunterricht und Arbeitsstunde usw.). Er hat<br />
die Verfügung über das Taschengeld und die Son<strong>der</strong>erlaubnisse, über Plattenkäufe und<br />
Konzertfahrten. Und er hat schließlich und vor allem für alle Kümmernisse se<strong>in</strong>es Schützl<strong>in</strong>gs da<br />
zu se<strong>in</strong>, hat alle Beichten, Proteste und Ärgernisse anzuhören - und zu verschweigen und bei sich<br />
zu bedenken ... <strong>Der</strong> Mentor sieht sich dem freimütigen Gespräch ausgesetzt und hat es<br />
„durchzustehen“. Er hat im rechten Augenblick zu antworten und im rechten zu schweigen; er<br />
darf nicht ausweichen und muß sich doch über den Begriff <strong>der</strong> Loyalität klar werden; er muß<br />
dem Unvernünftigsten zuhören können und das Unverständliche verstehen lernen; er muß<br />
versuchen, aus den größten Krisen se<strong>in</strong>e Sympathie zu retten und er muß doch se<strong>in</strong>e Neigungen,<br />
se<strong>in</strong>e Kritik, se<strong>in</strong>e Son<strong>der</strong>probleme so weit wie möglich zurückstellen.“ Soweit Herr Müller.<br />
Etwas Persönliches möchte ich hier noch h<strong>in</strong>zufügen. Ich b<strong>in</strong> immer geradezu leidenschaftlich<br />
gern Mentor<strong>in</strong> gewesen, von Mädchen wie auch von Jungen. Und ich habe mich immer mit viel<br />
Engagement darum bemüht, e<strong>in</strong>e gute Mentor<strong>in</strong> zu se<strong>in</strong>. Und ich b<strong>in</strong> glücklich, daß ich heute mit<br />
83 Jahren noch sechzehn Mentorenk<strong>in</strong><strong>der</strong>, Jungen und Mädchen, habe.<br />
1962 gibt es, nach e<strong>in</strong>er mehrjährigen Unterbrechung, während Herr Professor Thomas Leiter<br />
des Thomanerchors <strong>in</strong> Leipzig war, wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Chorwoche mit ihm und Herrn Gerharz. E<strong>in</strong>mal<br />
durfte unser Chor sogar während <strong>der</strong> Aufführung von Bach-Kantaten im Ulmer Münster<br />
mits<strong>in</strong>gen.<br />
21
E<strong>in</strong>e ganz beson<strong>der</strong>e Aufführung gab es im Sommer dieses Jahres zum Elterntag. Herr Weidauer<br />
hatte mit se<strong>in</strong>er Unterprima den „Oedipus“ von Sophokles e<strong>in</strong>studiert. Er nannte es e<strong>in</strong>e<br />
Studioaufführung. <strong>Der</strong> Chor sprach Griechisch mit e<strong>in</strong>em Höchstmaß an Präzision. Die<br />
Schauspieler sprachen Deutsch; mich hat diese Darbietung, obgleich ich kaum Griechisch kann,<br />
sehr bee<strong>in</strong>druckt und ich glaube, auch die Mehrzahl <strong>der</strong> Zuschauer war fasz<strong>in</strong>iert. - Für die<br />
„Baugeschichte“ gab es auch wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong> historisches Datum. Am 20. Mai wurde Herrn<br />
Schneitenberger <strong>der</strong> Schlüssel zu unserem Schwimmbad übergeben. Er selber sprang als erster <strong>in</strong><br />
die Fluten des Beckens. Dieser Bau war e<strong>in</strong> großer Fortschritt für unseren Sportunterricht und<br />
für Herrn Schneitenberger persönlich, unseren absolut unermüdlichen Sportlehrer, e<strong>in</strong>e große<br />
Freude.<br />
<strong>1963</strong><br />
Während des Elterntages <strong>1963</strong> hält Herr Weidauer e<strong>in</strong>e sehr bedeutende Ansprache. Er<br />
vergleicht die Situation <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> kurz nach ihrer Gründung mit <strong>der</strong> kurz nach <strong>der</strong><br />
Wie<strong>der</strong>eröffnung <strong>1946</strong> und mit <strong>der</strong> im Jahr <strong>1963</strong>. Er betont, daß sich die äußere Situation<br />
grundlegend gewandelt hat. An Problemen, mit denen sich die Situation von '63<br />
ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>zusetzen hat, nennt er: „Konzentrationsschwäche und Gedankenlosigkeit, Mangel an<br />
Leistungswillen und an Leistungsfähigkeit, Mangel an Initiative, an Verantwortungsbewußtse<strong>in</strong>,<br />
an Ehrlichkeit.“ Er setzt sich ausführlich damit ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>, wie es zum Entstehen dieser<br />
Probleme gekommen ist, und was e<strong>in</strong>e <strong>Schule</strong> wie <strong>der</strong> <strong>Birklehof</strong> tun kann, um diesen Problemen<br />
und ihren Auswirkungen entgegen zu wirken. - An den Aufführungen dieses Elterntages haben<br />
verschiedene Mitarbeiter zusammen gewirkt. Es wurde „Des Kaisers neue Klei<strong>der</strong>“ nach dem<br />
An<strong>der</strong>senschen Märchen vorgeführt. Die musikalische Leitung dieser Schuloper von E. Werd<strong>in</strong><br />
lag <strong>in</strong> den Händen von Herrn Gerharz. Me<strong>in</strong> Mann wirkte als Regisseur mit, und Herr<br />
Krohberger hatte mit Hilfe von Schülern e<strong>in</strong> entzückendes Szenarium hergestellt. Herr Gerharz<br />
hatte mit Chor, Orchester, Bänkelsängern und e<strong>in</strong>igen Solisten etwas noch nie Dagewesenes -<br />
e<strong>in</strong>e Oper - auf die Bühne gebracht. Den Abschluß dieser Tagung bildete die Aufführung „<strong>Der</strong><br />
Ja-Sager und <strong>der</strong> Ne<strong>in</strong>-Sager“ von Bertold Brecht, mit <strong>der</strong> Musik von Kurt Weill. Auch hier<br />
trugen Herr Gerharz und me<strong>in</strong> Mann die Verantwortung für das Gel<strong>in</strong>gen.<br />
In diesem Heft wurden zum ersten Mal alle die Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaften aufgeführt, die noch<br />
neben dem eigentlichen Unterricht e<strong>in</strong>her laufen. Da gibt es: Griechische Philosophie, e<strong>in</strong>e<br />
politische Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft, Griechisch-römische Jenseits-Vorstellungen, Französisch für<br />
Anfänger, E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong>s Russische, Kartographisches Zeichnen, Werkanalyse anhand von<br />
Beethovens Symphonien, dramatische Lesungen und e<strong>in</strong>e Reihe von Sportarbeitsgeme<strong>in</strong>schaften,<br />
wie Wettkampfschwimmen, Basketball, Hockey, Turnen, Tischtennis und Fechten.<br />
22
Aus „50 Jahre <strong>Birklehof</strong>“ Bil<strong>der</strong> und Texte 1932 – 1982<br />
<strong>Birklehof</strong> 1941 – 1947<br />
Jürg Zutt<br />
Ausgelöst werden me<strong>in</strong>e Er<strong>in</strong>nerungen an die H<strong>in</strong>terzartener Schulzeit, fast mehr noch als von<br />
Treppen, Türen, Zimmerecken <strong>in</strong> den Häusern des <strong>Birklehof</strong>s, von den Straßen – <strong>der</strong> Straße <strong>in</strong>s<br />
Höllental, <strong>der</strong> Straße nach Breitnau, verän<strong>der</strong>t und gleichgeblieben <strong>in</strong> den so verschiedenen<br />
Jahren.<br />
Die Höllentalstraße im Frühjahr 1941, Schneeplacken auf <strong>der</strong> W<strong>in</strong>deck, Alpersbach<br />
wolkenverhangen, graue Wehrmachtsautos das Tal heraufkriechend;<br />
w<strong>in</strong>terliche Wege zum Mittagessen vom Hirschen <strong>in</strong>s Haupthaus, an <strong>der</strong> Schmiede vorbei, wo <strong>der</strong><br />
rabenschwarze, freundliche Schmied rauchende Eisenreifen auf hölzerne Wagenrä<strong>der</strong> zog;<br />
1943 auf <strong>der</strong> Straße vor dem Hirschen e<strong>in</strong>e „Jungvolk“-Kolonne mit uniform-kostümierten<br />
Tertianern im Gleichschritt, daneben e<strong>in</strong> Obersekundaner, mit breiter Brust als „Fähnle<strong>in</strong>führer“<br />
verkleidet;<br />
die Straße nach Breitnau, sonntags zwischen Abendessen und Abendfeier, mit den – <strong>in</strong> den<br />
Augen von Zwölfjährigen – berühmten Liebespaaren <strong>in</strong> Schulanzug und Schulkleid;<br />
Heuwagen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Sommerhitze auf <strong>der</strong> Straße bei <strong>der</strong> „Lafette“ mit schwitzenden,<br />
fliegenbedeckten Gäulen;<br />
nächtliche Bobfahrten, die Ravenna-Straßenkurven h<strong>in</strong>unter, den Frost und das Unerlaubte<br />
stechend <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nase;<br />
im Mai 1945 auf <strong>der</strong> Straße vor dem Haupthaus Jeeps mit fröhlichen Amerikanern und, an e<strong>in</strong>er<br />
Eberesche, das blauweiße Schild <strong>der</strong> französischen Besetzer: „PONT COUPE“;<br />
Heimwege <strong>in</strong> stockf<strong>in</strong>steren Nächten, von Freiburger Matthäuspassionen an <strong>der</strong> gesprengten<br />
Ravenna-Brücke vorbei, vom Dorf nach tröstlichen Mentorenabenden.<br />
*<br />
Ich b<strong>in</strong> im Februar 1941, noch nicht zwölfjährig, nach H<strong>in</strong>terzarten gekommen. Die Kle<strong>in</strong>en<br />
wohnten im Hirschen. Fusel, e<strong>in</strong> dürrer, überlanger 14-jähriger, weckte mit Kavalleriesignalen aus<br />
e<strong>in</strong>er zerbeulten Trompete. Verfrorene Frühsports mit dem rotbäckigen Kießl<strong>in</strong>g, <strong>der</strong><br />
anschließend Ohrfeigen verteilte, wenn wir den kalten Frühstücks-Pamps verweigerten, neben<br />
dem Hockey das Symbol <strong>der</strong> angelsächsischen Wurzeln unserer Erziehung. Ich wohnte lange –<br />
heute sche<strong>in</strong>t es mir jahrelang – im „Zwölferstall“, e<strong>in</strong>em grau <strong>in</strong> grau gestrichenen Zimmer, wo<br />
man aus den Jahresr<strong>in</strong>gen vieler kle<strong>in</strong>er Bettnässer <strong>in</strong> den Klappbett-Matratzen das Alter <strong>der</strong><br />
<strong>Schule</strong> unschwer ermitteln konnte. Dort fand das mittägliche „Liegen“ mit Anfällen von<br />
Heimweh statt; dort raunte Friedhelm Heuner nach „Schluß“ selbstgedichtete<br />
23
Abenteuergeschichten <strong>in</strong> die e<strong>in</strong>schlafende Runde; dort wurden <strong>in</strong> den Wochen vor Advent aus<br />
Eimern voll Ton und vielen Rollen Kreppapier unförmige Weihnachtskrippen angefertigt.<br />
Die Schulstunden, <strong>in</strong> denen ich an dem im Eßsaal montierten Reck vergeblich Klimmzüge<br />
versuchte, wurden euphemistisch „Sport-Pausen“ genannt. Sport war von großer Wichtigkeit. Ich<br />
selbst habe damals für mich entschieden, daß er schöner anzusehen als selbst zu machen sei: Die<br />
Hockeyspiele gegen Salem beispielsweise, stets etwas tragisch (weil <strong>der</strong> <strong>Birklehof</strong> verlor), o<strong>der</strong> im<br />
W<strong>in</strong>ter die langlaufenden Brü<strong>der</strong> Wissler, die am Abend vor den Rennen Schnee aus <strong>der</strong> flachen<br />
Hand bliesen, um danach das richtige Wachs zu bestimmen.<br />
<strong>Der</strong> Unterricht war, <strong>in</strong> den Sprachen, für Humanisten und Realisten geteilt. Die vier Humanisten<br />
me<strong>in</strong>er Klasse zogen zu Late<strong>in</strong> und Griechisch aus dem Klassenzimmer <strong>in</strong> die „Schnitzelbank“<br />
um. Algebra bekamen wir von dem haareziehenden bayerischen Fräule<strong>in</strong> Kell beigebracht, die<br />
uns <strong>in</strong> <strong>der</strong> letzten Stunde vor den Ferien immer Ludwig Thoma vorlas. <strong>Der</strong> hünenhafte,<br />
rotblonde Herr Rieth demonstrierte uns – stets bienenstichverschwollen – biologische Versuche<br />
mit den Bienen des Schmiedbauern.<br />
Große Ereignisse waren die Theaterspiele, <strong>der</strong> „Agamemnon“, dessen Todesrufe aus dem<br />
Haupthausbad herausschollen, vor allen an<strong>der</strong>en aber <strong>der</strong> legendäre „Tell“, den ich seitdem, zum<br />
Schrecken me<strong>in</strong>er Familie, bei allen Gelegenheiten zitiere, obwohl ich bei jener Aufführung nur,<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em nach Kuhstall riechenden Orig<strong>in</strong>al-Bauernkittel, das Schweizer Volk mitverkörperte<br />
(„Rast dieses Volk / daß es dem Mord Musik macht?“).<br />
Glückliche Momente, wenn e<strong>in</strong> „Großer“ sich e<strong>in</strong>em zuwandte, ohne e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>en Strich (e<strong>in</strong>e<br />
<strong>in</strong>zwischen vergessene, haus<strong>in</strong>terne Strafe) zu geben. Das rote Klo im Haupthause<strong>in</strong>gang er<strong>in</strong>nert<br />
mich noch heute an Urs von Neveu, <strong>der</strong> mir dort e<strong>in</strong>mal zwei Butterbrötchen zusteckte (streng<br />
verbotene Privat-Lebensmittel!) weil er me<strong>in</strong>e Schwester liebte. Und gut taten auch die<br />
mittäglichen Besuche bei den großen Mädchen im Altbirkle, wo die Freund<strong>in</strong>nen me<strong>in</strong>er<br />
Schwester selbstgemachten Quark verteilten und, 17-jährig, als Mutter-Substitute herhalten<br />
mußten.<br />
Von den politischen Zeitläufen merkten wir anfangs nur wenig. Die Hitlerjugend war e<strong>in</strong><br />
ziemlich gelassen absolviertes Pensum: In Internaten lässt Autorität sich nicht mit<br />
Schulterklappen und Führerschnüren erzeugen, son<strong>der</strong>n fällt eher denen zu, die die meisten<br />
Dampfnudeln verschl<strong>in</strong>gen o<strong>der</strong> am höchsten spr<strong>in</strong>gen können. Eberhard Schmidt übte noch,<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Hirschenecke, auf se<strong>in</strong>er Amati-Geige das Bach’sche Doppelkonzert. Erst als man<br />
erfuhr, er müsse jetzt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Fabrik <strong>in</strong> Freiburg arbeiten, wurde uns bewusst, was es hieß,<br />
„nichtarisch“ zu se<strong>in</strong>. Die Erzählungen Cake’s von Albert Leo Schlageter und Alten Kämpfern,<br />
<strong>in</strong> bedeutungsvollem Stocken vorgetragen, waren e<strong>in</strong>gebettet <strong>in</strong> Alemannisch-Volksliedhaftes; <strong>der</strong><br />
Beg<strong>in</strong>n des Russland-Feldzuges wurde, nicht an<strong>der</strong>s als Schulwettkämpfe, begleitet von<br />
Höl<strong>der</strong>l<strong>in</strong>’schen Versen („Du kömmst, o Schlacht ...“). Daß Eckfried Heißmeyer e<strong>in</strong>en SS-<br />
Obergruppenführer und die „Reichsfrauenführer<strong>in</strong>“ als Eltern hatte, erschien aus dem<br />
Blickw<strong>in</strong>kel e<strong>in</strong>es Zimmergenossen weniger bemerkenswert, als daß er dicklich und zuckerkrank<br />
war und sich Sonntagmorgens e<strong>in</strong>e größere Dosis Insul<strong>in</strong> <strong>in</strong> den Popo spritzte, um das Müsli<br />
nicht verpassen zu müssen.<br />
Gewiß war <strong>der</strong> <strong>Birklehof</strong>, wie wohl mehr o<strong>der</strong> m<strong>in</strong><strong>der</strong> die an<strong>der</strong>en Landschulheime auch, <strong>in</strong><br />
jenen Kriegsjahren auf se<strong>in</strong>e Weise e<strong>in</strong>e w<strong>in</strong>dgeschützte Stelle, wo vieles noch normaler,<br />
24
ürgerlicher und weniger wi<strong>der</strong>wärtig vor sich g<strong>in</strong>g als an<strong>der</strong>swo. Das blieb alles <strong>in</strong> allem auch bis<br />
1944 so, trotz Verstaatlichung, trotz kle<strong>in</strong>erer und größerer Konzessionen, trotz des SAuniformierten<br />
Herrn Serbser, <strong>der</strong> e<strong>in</strong>es Tages, wohl als Aufpasser, im Kollegium vorhanden war<br />
und den wir fürchteten und verachteten.<br />
Wenn mich trotzdem manches aus dieser Zeit <strong>in</strong> <strong>der</strong> Er<strong>in</strong>nerung immer noch etwas bedrückt,<br />
dann s<strong>in</strong>d eher bestimmte Charakteristika deutscher Landschulheimerziehung daran schuld, die<br />
als solche sicher nicht nazistisch waren, gleichwohl aber fatal. Die Schulgesetze (ich sehe sie noch<br />
<strong>in</strong> gotischen Lettern vor mir und höre ihre hochtrabende Sprache: „Ehre das Schaffen <strong>der</strong><br />
Hände“); Schulanzug und Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gsplan, die man „verliehen“ bekam und die man „verlor“, d. h.<br />
die entzogen wurden, wenn man sich ihrer nicht als würdig erwies: E<strong>in</strong>richtungen voll gestelzten<br />
elitären Anspruchs, für K<strong>in</strong><strong>der</strong> fasz<strong>in</strong>ierend und ver<strong>der</strong>blich zugleich. Auch das Pr<strong>in</strong>zip <strong>der</strong><br />
absoluten Ehrlichkeit gehört hierher. Nicht nur, daß man dazu erzogen wurde, auf die<br />
„Staatsschüler“ herunterzusehen. Alle diese sakrosankten E<strong>in</strong>richtungen trugen letztlich dazu bei,<br />
arrogant und verzagt zu machen, Solidarität und das Vertrauen <strong>in</strong> den an<strong>der</strong>en zu unterm<strong>in</strong>ieren.<br />
M<strong>in</strong>na Specht soll e<strong>in</strong>mal gesagt haben: „E<strong>in</strong>e <strong>Schule</strong>, die von sich sagt, bei uns wird nicht<br />
gelogen, macht mir ke<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>druck, wohl aber e<strong>in</strong>e, die von sich sagen kann, bei uns muß nicht<br />
gelogen werden.„ Noch heute schäme ich mich <strong>in</strong> den Boden, wenn mir e<strong>in</strong>fällt, daß ich e<strong>in</strong>mal,<br />
nach dem verme<strong>in</strong>tlichen Wahrhaftigkeitspr<strong>in</strong>zip („Sage die Wahrheit, for<strong>der</strong>e sie“), e<strong>in</strong>en<br />
Gleichaltrigen verpetzte. Erzieherisch hat dieses Erlebnis immerh<strong>in</strong> gewirkt: Ich war von diesem<br />
Tag an von <strong>der</strong>lei Hypokritischem geheilt.<br />
Wenn möglich noch ambivalenter war die hymnische Lebensweise, die damals zum Stil <strong>der</strong><br />
<strong>Schule</strong> zu gehören schien, die verordnete Andächtigkeit und angestrengte Festlichkeit. Das zog<br />
sich durch alle Bereiche: Die Rituale beim Volkslie<strong>der</strong>s<strong>in</strong>gen, das Schweigen nach den<br />
Abendfeiern, die Auswahl <strong>der</strong> Mitspieler beim Weihnachtsspiel (nicht nach Spieltalent o<strong>der</strong><br />
Spiellust, son<strong>der</strong>n nach dem Grad des „guten“ <strong>Birklehof</strong>ers), die gottesdienstähnliche Verehrung<br />
<strong>der</strong> ersten Schulgefallenen, die Strafgerichte von Schulversammlungen, die H<strong>in</strong>auswürfe, <strong>der</strong>en<br />
Opfer, vom Moment des Urteilsspruchs bis zu ihrer Abreise, <strong>in</strong> Quarantäne genommen wurden,<br />
so, als seien sie von e<strong>in</strong>er ansteckenden Krankheit befallen; schließlich auch die Art, <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
stellenweise die Schülerhierarchie (Helfer, R<strong>in</strong>g) zelebriert wurde. Gewiß haben das viele<br />
<strong>Birklehof</strong>er <strong>der</strong> damaligen Zeit ganz an<strong>der</strong>s erlebt. Sie mögen nachsichtig mit mir se<strong>in</strong>. Ich selbst<br />
habe mich, seitdem ich erwachsen b<strong>in</strong>, nicht mehr zu wun<strong>der</strong>n aufgehört, daß <strong>der</strong> Englandfreund<br />
Kurt Hahn und <strong>der</strong> Humanist Kuchenmüller es <strong>in</strong> ihre Pädagogik e<strong>in</strong>bezogen haben, <strong>in</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>n<br />
unkritische Schwärmerei und Überheblichkeit zu entfachen, statt sie zu Urteilsvermögen<br />
anzuleiten, zu Maß, common sense und Achtung vor dem Schwächeren (und zwar nicht nur vor<br />
dem physisch, son<strong>der</strong>n auch vor dem psychisch, <strong>in</strong>tellektuell, sozial Schwächeren).<br />
Freilich – und das ist bei <strong>der</strong> Pädagogik ja wohl oft das Tröstliche – sah die Wirklichkeit immer<br />
wie<strong>der</strong> an<strong>der</strong>s aus als die Theorie, war menschlicher und weniger geschraubt als <strong>der</strong> „Stil“. Dafür<br />
sorgten schon die verschiedenartigen und wi<strong>der</strong>borstigen Charaktere <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lehrerschaft: Sehrt,<br />
Götz, Mansar, Berta Siebeck (die ich allerd<strong>in</strong>gs nicht mehr im Unterricht erlebte), auch <strong>der</strong><br />
glatzköpfige Herr Freund. Für uns vor allem aber Goll. In se<strong>in</strong>en Deutsch- und<br />
Geschichtsstunden erstickte Überschwang <strong>in</strong> Stilkritik und Ironie, wurde Literatur nicht<br />
zelebriert, son<strong>der</strong>n bedacht und besprochen, und wurde, noch 1944, deutsche Zeitgeschichte mit<br />
fast Brecht’scher List bloßgelegt. Goll war es auch, <strong>der</strong> se<strong>in</strong>en Mentorenk<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>in</strong> diesem letzten<br />
Kriegsjahr erklärt hat, für e<strong>in</strong>e damals angeordnete Umfrage, ob man <strong>in</strong> den Schulferien<br />
25
politische Witze erzählt habe, könne das Ehrlichkeitspr<strong>in</strong>zip nicht gelten, denn man gefährde<br />
damit die eigenen Eltern.<br />
Ich, und sicher e<strong>in</strong>ige me<strong>in</strong>er Altersgenossen, haben Goll von allen unseren Lehrern wohl am<br />
meisten zu verdanken.<br />
26<br />
*<br />
Das alles war im Herbst 1944 vorbei. Nach den Sommerferien schloß die <strong>Schule</strong> kurzerhand und<br />
völlig unfeierlich ihre Tore, nachdem die meisten Lehrer und Oberklassenschüler zu Wehrmacht<br />
o<strong>der</strong> Volkssturm e<strong>in</strong>gezogen worden waren. Trotzdem habe ich das Ende des Krieges <strong>in</strong><br />
H<strong>in</strong>terzarten erlebt. Vor vielen Jahren habe ich über jene Zeit zwischen Kriegs- und<br />
Nachkriegsbirklehof <strong>in</strong> den <strong>Birklehof</strong>er Heften schon e<strong>in</strong>mal berichtet. <strong>Der</strong> historischen<br />
Vollständigkeit halber sei mir e<strong>in</strong> Selbstzitat erlaubt:<br />
„Me<strong>in</strong>e Eltern versuchten damals mit Erfolg, mich e<strong>in</strong>em Wehrertüchtigungslager zu entziehen,<br />
und ohne Erfolg, mich zu e<strong>in</strong>em Schuster <strong>in</strong> die Lehre zu schicken. Als sie Ende 1944 hörten, <strong>in</strong><br />
H<strong>in</strong>terzarten gäben e<strong>in</strong> paar noch übrig gebliebene Erwachsene Unterricht, brachten sie mich<br />
zurück <strong>in</strong> den verme<strong>in</strong>tlich sicheren Schwarzwald. 48 Stunden fuhren me<strong>in</strong> Vater und ich im<br />
Februar 1945 von Heidelberg über Donauesch<strong>in</strong>gen nach H<strong>in</strong>terzarten. Die Rhe<strong>in</strong>ebene lag<br />
schon unter Fliegerbeschuß; asthmatische Lokomotiven zogen den eiskalten Zug mit<br />
stundenlangen Pausen durch den h<strong>in</strong>teren Schwarzwald; nachts <strong>in</strong> Hornberg donnerten<br />
unsichtbare Bombengeschwa<strong>der</strong> über den nächtlichen Himmel nach Dresden. In <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> war<br />
e<strong>in</strong>e von irgendwo her evakuierte „Nationalpolitische Anstalt“ e<strong>in</strong>quartiert: E<strong>in</strong>e Gruppe von<br />
Erziehern, die – je<strong>der</strong> auf se<strong>in</strong>e Weise – damit beschäftigt waren, sich bei herannahen<strong>der</strong> Front<br />
die nationalsozialistischen Rangabzeichen von den Klei<strong>der</strong>n und <strong>der</strong> Seele zu trennen. Und e<strong>in</strong><br />
Haufen armer Knaben <strong>in</strong> abgeschabten Jungvolkuniformen o<strong>der</strong> Bleyleanzügen, die von den<br />
Alte<strong>in</strong>gesessenen, dem Koch Kaiser, Herrn Stettefeld und uns, etwas über die l<strong>in</strong>ke Schulter<br />
angesehen wurden; von ihren „Führern“ wurden sie dann bei <strong>der</strong> Überrollung schnurstracks<br />
verlassen; e<strong>in</strong> paar von ihnen sah man noch bis <strong>in</strong>s Jahr 1948 als Knechte bei Breitnauer Bauern<br />
arbeiten.<br />
Ich wohnte mit Georg Canzler bei Valzecchis <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ravenna-Schlucht. Von dort zogen wir aus,<br />
um den Wehrmachtsproviantzug im Hirschsprungtunnel plün<strong>der</strong>n zu helfen (Fetthalde!):<br />
Wochenlang gab es Kartoffelpuffer mit organisiertem Schwe<strong>in</strong>efett. Wir lernten wenig. Herr<br />
Picht versuchte uns Late<strong>in</strong> und den Unterschied von sempiternitas und aeternitas beizubr<strong>in</strong>gen.<br />
Wir hörten, zusammen mit Fritz Gruben, außerordentlich abgeschabte Beethovenplatten,<br />
wurden, 14-jährig, <strong>in</strong> Neustadt zur Wehrmacht gemustert und waren <strong>in</strong>sgesamt ganz guter<br />
D<strong>in</strong>ge.<br />
<strong>Der</strong> Frühl<strong>in</strong>g 1945 kam mit amerikanischen Jagdbombern, die sich um die Ravennabrücke<br />
bemühten. Und e<strong>in</strong>es Tages waren die Franzosen da, hühnerschlachtende Burnusträger voraus.<br />
Sie campierten im Eßsaalhof und beschlagnahmten Fahrtenmesser, Fotoapparate und den<br />
„Hitlerjungen Quex“ aus <strong>der</strong> Schulbibliothek. Die berühmte erste Proklamation <strong>der</strong> Alliierten,<br />
sozusagen die Drucksache Nr. 1 nach dem Weltuntergang („I, Dwight D. Eisenhower, ...“) war<br />
an e<strong>in</strong>em Baum am Rössle angeschlagen. <strong>Der</strong> Mai war schön. Alle Welt grüßte wie<strong>der</strong> mit<br />
„Guten Tag“, und die Laufgräben neben <strong>der</strong> Breitnauer Straße verwitterten langsam. Im Juni
o<strong>der</strong> Juli trampte ich zurück nach Heidelberg: Zum erstenmal wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Stadt ohne<br />
Verdunkelung.“<br />
*<br />
Als <strong>der</strong> neue <strong>Birklehof</strong> im Februar <strong>1946</strong> [Anmerkung <strong>der</strong> Redaktion: Die Wie<strong>der</strong>eröffnung war<br />
im Januar <strong>1946</strong>] begann, gab es, glaube ich, nicht mehr als zwölf Interne. Die ganze <strong>Schule</strong>,<br />
e<strong>in</strong>schließlich <strong>der</strong> <strong>in</strong>ternen Erwachsenen, hatten beim Mittagessen Platz im unteren Saalbau-<br />
Küchenvorraum (wo <strong>in</strong> späteren Jahren Herr Stettefeld saß und „Heidi“ las). Die geographischen<br />
und biographischen Verän<strong>der</strong>ungen des Kriegsendes und <strong>der</strong> Entschluß, die <strong>Schule</strong> nur noch als<br />
humanistisches Gymnasium zu führen, hatten es mit sich gebracht, daß kaum e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> „Alten“<br />
sich wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong>fand. E<strong>in</strong>e Oberprima gab es nicht. [Anmerkung des Autors: E<strong>in</strong>e Zeitgenoss<strong>in</strong> mit<br />
besserem Gedächtnis behauptet, es habe sehr wohl e<strong>in</strong>e Oberprima <strong>1946</strong> existiert, bestehend aus zwei Externen.]<br />
Wir, die Unterprima, als oberste Klasse, waren zu fünft: Erika Heimpel, Gottfried Weber, Ulrich<br />
Wilckens, Alexan<strong>der</strong> Schlayer und ich. Unter uns folgte e<strong>in</strong> ziemlich chaotisches Konglomerat<br />
aus Ober- und Untersekunda (u. a. Cora von Weizsäcker, Fritz Gruben, Michael von Marschall,<br />
Christof Müller-Wirth, Bauz Baer), aus denen sich dann mit <strong>der</strong> Zeit die kle<strong>in</strong>ste aller<br />
Abiturklassen herauslöste: Maria Bergengruen und Peter Hemmerich.<br />
Über die schwere <strong>Nachkriegszeit</strong> ist schon viel berichtet worden: Die künstliche rosarote<br />
Fischpaste auf den genau abgezählten Teebroten, die Nährhefeflocken von Zellstoff-Waldhof,<br />
die man sich über die Rübensuppe schüttete, <strong>der</strong> Maisbrei, die schwarzen Flecken <strong>in</strong> den<br />
Kartoffeln. Immer wird mir <strong>der</strong> Kaiserstuhl als Schauplatz e<strong>in</strong>es großangelegten nächtlichen<br />
Kirschendiebstahls <strong>der</strong> Oberklassen im Frühsommer <strong>1946</strong> im Gedächtnis bleiben: Die Tat wurde<br />
von Picht mit Blitz und Donner bestraft, aber die Beute wurde von <strong>der</strong> guten Gräf<strong>in</strong> Pfeil<br />
schließlich doch akzeptiert und e<strong>in</strong>gekocht. In den W<strong>in</strong>tern fror man Ste<strong>in</strong> und Be<strong>in</strong>. Während<br />
<strong>der</strong> Sommerferien <strong>1946</strong> zogen wir, unter <strong>der</strong> Leitung des äxteschw<strong>in</strong>genden Herchenröther <strong>in</strong> die<br />
Wäl<strong>der</strong>, um die fehlenden Kohlen durch Brennholz zu ersetzen; die Pilze, die wir auf diesen<br />
Expeditionen sammelten, hat Frau Herchenröther uns dann abends im Hirschen gekocht. Wir<br />
hatten Vitam<strong>in</strong>mangel und darum Furunkel an den Be<strong>in</strong>en. Trotzdem war diese Zeit aus me<strong>in</strong>er<br />
Sicht we<strong>der</strong> beson<strong>der</strong>s hart noch beson<strong>der</strong>s heroisch (wie manche me<strong>in</strong>er Altersgenossen heute<br />
behaupten: „Verglichen mit uns, hat es die heutige Jugend ja so e<strong>in</strong>fach“). <strong>Der</strong> Hunger und die<br />
Fischpaste waren allgeme<strong>in</strong>e Übel und belasteten uns darum nicht. An<strong>der</strong>erseits hatten wir<br />
damals stets das Gefühl, daß alles Bevorstehende nur besser und <strong>in</strong>teressanter werden könnte.<br />
In den ersten Monaten wohnte man nur im Saalbau. Erst allmählich drang das Internat wie<strong>der</strong> <strong>in</strong><br />
die an<strong>der</strong>en Häuser vor. Im Altbirkle, wo bisher die großen Mädchen gewohnt hatten, waren<br />
Pichts e<strong>in</strong>gezogen.<br />
Erwachsene gab es dreierlei. Da war <strong>der</strong> Kern, mit dem man zu rechnen hatte und auf den man<br />
zählen konnte: Goll, <strong>der</strong> für die Alten unter uns e<strong>in</strong> Stück Kont<strong>in</strong>uität bedeutete, e<strong>in</strong> Stück<br />
aufmüpfiger Kont<strong>in</strong>uität. Herchenröthers, die für mich damals erst „neu“ h<strong>in</strong>zukamen, und bei<br />
denen wir zuhause waren. Die Baron<strong>in</strong> Wolff, immer schwarz angezogen, leise, streng und gütig.<br />
Frau Niemeyer, die wohl das Schulsekretariat besorgte und <strong>in</strong> me<strong>in</strong>e subjektive Galerie <strong>der</strong><br />
großen Damen gehört, die <strong>der</strong> <strong>Birklehof</strong> zu se<strong>in</strong>em Glück seit <strong>1946</strong> immer gehabt hat. <strong>Der</strong><br />
Mathematiker Peters <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em abgeschabten Dienstmantel, <strong>der</strong> sich schwer tat, uns<br />
Trigonometrie beizubr<strong>in</strong>gen, <strong>der</strong> uns aber e<strong>in</strong>e Ahnung von Mathematik eröffnete und von den<br />
Zusammenhängen zwischen Mathematik und Musik. Kle<strong>in</strong>stücks – beide halbe Schüler noch und<br />
27
voll <strong>in</strong>tellektueller und weiblicher Anziehungskraft. Zu diesem Kern gehörten aber ebenso auch<br />
Herr Wendelstadt, aus Freiburg auftauchend mit Hut und Paletot (se<strong>in</strong>e Wichtigkeit war evident,<br />
ohne daß wir damals wussten, wor<strong>in</strong> sie eigentlich bestand), - und an<strong>der</strong>erseits <strong>der</strong> alte Grosse<br />
mit steilem, blaurasiertem H<strong>in</strong>terkopf, <strong>der</strong> mit Schraubenschlüssel und Hammer die <strong>Schule</strong> im<br />
Äußeren zusammenhielt.<br />
Darum herum die farbigen Ran<strong>der</strong>sche<strong>in</strong>ungen des Lehrkörpers, kaum von beson<strong>der</strong>er<br />
pädagogischer Stärke und daher von uns – die wir uns als Uralt-E<strong>in</strong>gesessene empfanden –<br />
ungerechterweise entsprechend e<strong>in</strong>gestuft: Fräule<strong>in</strong> Bickelhaupt und Herr Petrenz, Herr Moritz,<br />
Herr Nierhaus, genannt Kaegi, und Herr Fenske, Düsen-Kayser und wer da sonst kam und g<strong>in</strong>g.<br />
Die Erwachsenen <strong>der</strong> dritten Art – das war <strong>der</strong> Altbirkle. Mochte man noch so hoch im<br />
Haupthaus wohnen: Wenn man sich dorth<strong>in</strong> aufmachte (unsere fünfköpfige Klasse hatte Late<strong>in</strong><br />
und Griechisch bei Picht <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Arbeitszimmer o<strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bauernstube), g<strong>in</strong>g man h<strong>in</strong>an.<br />
Selbst dem Hausmädchen Liesele <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er weißen Schürze war jener Tonfall verliehen, <strong>der</strong> die<br />
Bewohner des Altbirkle von uns Sterblichen unterschied. H<strong>in</strong>ter den Holzwänden waren die<br />
vormittäglichen F<strong>in</strong>gerübungen von Frau Picht zu hören, unwirklich, und bei weitem flüssiger als<br />
unsere Thukydides-Übersetzungen. Mam<strong>in</strong>a Picht wehte <strong>in</strong> wallenden Gewän<strong>der</strong>n während <strong>der</strong><br />
Griechisch-Stunden durch die Bauernstube und wusste, von Sohn Georg spaßeshalber befragt,<br />
aus dem Stegreif die unregelmäßigsten Formen unregelmäßiger griechischer Verben, bei denen<br />
wir alle versagt hatten. E<strong>in</strong>ige Schüler gab es, die g<strong>in</strong>gen dort e<strong>in</strong> und aus; wenn sie dann wie<strong>der</strong><br />
unter uns waren, hatten sie – so schien es – noch Sternenstaub im Haar. Ja, und Picht selbst: Wer<br />
wird se<strong>in</strong>en ausgestreckten Arm mit <strong>der</strong> pfeifenbewehrten Hand und se<strong>in</strong> schnaufendzähnefletschendes<br />
Lächeln je vergessen? Die hoffnungslose Übermacht se<strong>in</strong>er Argumentation,<br />
übermächtig auch dann, wenn man eigentlich wusste, daß er gar nicht so recht haben konnte? Ab<br />
und zu erklärte er uns (schnaufend-zähnefletschend) se<strong>in</strong>e Vorliebe für Karl May. Aber dann war<br />
uns klar, daß er sich <strong>in</strong> diese irdische Gestalt nur verwandelte, um uns die Blendung des<br />
Überirdischen zu ersparen. Wenn es denn e<strong>in</strong> Zeichen <strong>der</strong> großen Landschulheimerzieher se<strong>in</strong><br />
sollte, K<strong>in</strong><strong>der</strong> zeitweilig unter e<strong>in</strong>en geradezu hypnotischen E<strong>in</strong>fluß zu br<strong>in</strong>gen, dann gehört auch<br />
Picht <strong>in</strong> diese Reihe. Wir alle haben lange gebraucht, um uns aus den seidenen Fäden <strong>der</strong><br />
Fasz<strong>in</strong>ation herauszulösen, und ich kenne Altersgenossen, denen dies wohl nie mehr richtig<br />
geglückt ist.<br />
Fraglos aber ist <strong>der</strong> <strong>Birklehof</strong> das Verdienst Pichts. Bei aller Neigung zur Überhöhung und zur<br />
Stilisierung, die auch er, und gerade er hatte, ist es ihm doch gelungen, diese <strong>Schule</strong> sich wandeln<br />
zu lassen, sie an ihre Zeit, an die geän<strong>der</strong>te Welt heranzuführen, sie bescheidener, ziviler,<br />
wirklicher zu machen. Er hat jedenfalls den Anstoß dazu gegeben, den Anfang bestimmt. Schon<br />
<strong>der</strong> Entschluß als solcher, die <strong>Schule</strong> zu än<strong>der</strong>n und nicht e<strong>in</strong>fach die gegebenen Traditionen<br />
beizubehalten, war, me<strong>in</strong>e ich, e<strong>in</strong> pädagogischer Schritt, e<strong>in</strong> entscheiden<strong>der</strong> und sicher nicht<br />
e<strong>in</strong>facher. Hartmut von Hentig hat e<strong>in</strong>mal dem Hahn’schen Erziehungs-„System“ e<strong>in</strong> gedachtes<br />
an<strong>der</strong>es „System“ gegenübergestellt, zu dessen Kriterien es gehörte, daß es „auf Wandel und<br />
nicht auf Bewahrung“ ankommt.<br />
Von den konkreten pädagogischen Entscheidungen jenes ersten Nachkriegs-Schuljahres war<br />
zweifellos e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> gewichtigsten <strong>der</strong> sogenannte „obligatorische Kirchgang“, e<strong>in</strong>e heute kaum<br />
mehr vorstellbare Maßnahme, die denn auch, neben dem Essen, die schul<strong>in</strong>ternen Gespräche<br />
und Diskussionen über Monate bestimmt hat. Religiöser Zwang? In me<strong>in</strong>en Augen eher nicht.<br />
Das „Obligatorische“ enthob uns K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>der</strong> Notwendigkeit, Freiwilligkeit o<strong>der</strong> Andacht zu<br />
28
heucheln und war daher viel weniger zwanghaft als das Volkslie<strong>der</strong>s<strong>in</strong>gen o<strong>der</strong> manche<br />
Abendfeier. Christlicher s<strong>in</strong>d wir dadurch wohl nicht geworden (o<strong>der</strong> jedenfalls nur wenige von<br />
uns), aber wir haben immerh<strong>in</strong> gelernt, uns mit dem Christentum ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>zusetzen, nicht<br />
mehr vielleicht, aber auch nicht weniger als mit Sophokles, <strong>der</strong> Differentialrechnung und Kleist.<br />
Als wir im Sommer 1947, nach dem Zentralabitur <strong>in</strong> Freiburg, H<strong>in</strong>terzarten verließen, hatten wir<br />
zwar Untergewicht, besaßen aber e<strong>in</strong>e für die damalige Zeit ziemlich gute Ausbildung (von den<br />
gänzlich fehlenden Naturwissenschaften abgesehen). Wir glaubten kaum, zu e<strong>in</strong>er Elite zu<br />
gehören, sahen aber den kommenden Jahren relativ offen und relativ zuversichtlich entgegen.<br />
Zu dieser Zeit hatte <strong>der</strong> Nachkriegs-<strong>Birklehof</strong> sich auf se<strong>in</strong>en Weg gemacht. Es tut mir leid, daß<br />
ich die Entwicklung <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> Ende <strong>der</strong> 40er und Anfang <strong>der</strong> 50er Jahre nur aus <strong>der</strong> Entfernung<br />
miterlebt habe, die Zeit also, <strong>in</strong> <strong>der</strong> dieser Neubeg<strong>in</strong>n se<strong>in</strong>e eigentlichen Konturen erhielt und<br />
bevor die 50er Jahre wie<strong>der</strong>um das Gesicht <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> verän<strong>der</strong>ten. 1952, fünf Jahre nach<br />
unserem Abitur, haben wir <strong>in</strong> H<strong>in</strong>terzarten – Erwachsene, ehemalige Schüler und Aktive –<br />
Thornton Wil<strong>der</strong>’s „Our town“ gespielt, e<strong>in</strong> Stück, das nicht die Vergänglichkeit und den Wandel<br />
betrauert, son<strong>der</strong>n das fehlende Bewusstse<strong>in</strong> davon. Neue Gesichter gab es damals <strong>in</strong><br />
H<strong>in</strong>terzarten, neue Strukturen, neue Wege mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> auszukommen, neben vielem noch und<br />
wie<strong>der</strong>um Vertrautem. Mit e<strong>in</strong>igen Leuten, die ich bei den Vorbereitungen zur „Kle<strong>in</strong>en Stadt“ <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> <strong>Schule</strong> zum erstenmal traf, b<strong>in</strong> ich bis heute befreundet. Seitdem s<strong>in</strong>d dreißig Jahre<br />
vergangen. E<strong>in</strong>ige <strong>der</strong> Mitspieler leben heute nicht mehr: Georg Kuhn, Ludwig Herchenröther,<br />
Peter Hemmerich. <strong>Der</strong> <strong>Birklehof</strong> hat sich wie<strong>der</strong> vielfach verän<strong>der</strong>t, wie die Straßen, an denen er<br />
gelegen ist. Man kann ihm nur wünschen, daß er die Lebendigkeit behält, dies auch weiterh<strong>in</strong> zu<br />
tun.<br />
29
Er<strong>in</strong>nerungen an die Picht-Ära<br />
Januar <strong>1946</strong> bis Juli 1948 (2003)<br />
Maria Schütze-Bergengruen<br />
Wie Alex und ich im Januar <strong>1946</strong> wie<strong>der</strong> auf den <strong>Birklehof</strong> kamen<br />
Unsere Eltern hatten uns für Januar <strong>1946</strong> <strong>in</strong> Salem angemeldet, damit wir dort unsere restlichen<br />
Oberschuljahre absolvierten. In Salem war nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches e<strong>in</strong>e<br />
zweite Kurt-Hahn-Ära <strong>in</strong> Sicht und da Kurt Hahn e<strong>in</strong> Vetter unserer Mutter war, lag es nahe, uns<br />
dort unterzubr<strong>in</strong>gen. Das war schwierig genug, denn es gab noch ke<strong>in</strong>en geregelten Post- und<br />
Telefonverkehr zwischen Österreich und Deutschland. Unsere Eltern wollten e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>ladung <strong>in</strong><br />
die Schweiz folgen und, um endlich wie<strong>der</strong> <strong>in</strong> ordentlichen Verhältnissen leben zu können, nach<br />
Möglichkeit auch dort bleiben. Ob sie auch für uns beide e<strong>in</strong> Visum hätten erlangen können,<br />
weiß ich nicht; ich weiß nicht e<strong>in</strong>mal, ob sie es versucht haben. Die österreichischen Behörden<br />
hatten alle Reichsdeutschen schon mehrfach ausgewiesen, was unser Vater durch persönliche<br />
Beziehungen jeweils hatte abwenden können. Ke<strong>in</strong>esfalls hätten wir beide elternlos <strong>in</strong> Österreich<br />
zurückbleiben und dort die <strong>Schule</strong> absolvieren können. Vom September 1945 an hatte ich<br />
versucht, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e höhere <strong>Schule</strong> <strong>in</strong> Innsbruck aufgenommen zu werden, aber Reichsdeutschen<br />
war damals <strong>der</strong> Schulbesuch an österreichischen Staatsschulen nicht erlaubt. Es gab noch an<strong>der</strong>e<br />
Restriktionen gegen Reichsdeutsche: so durften wir z.B. erst am Nachmittag e<strong>in</strong>kaufen, wenn alle<br />
Lebensmittelgeschäfte immer schon leergekauft waren. Me<strong>in</strong> Vater hatte mich im Herbst 1945 <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>em katholisch geführten Innsbrucker Lehrl<strong>in</strong>gsheim untergebracht, was schon e<strong>in</strong>e<br />
Vergünstigung war. Die Lehrl<strong>in</strong>ge wurden außer zum Frühstück nicht im Haus verpflegt und da<br />
das Frühstück nur aus e<strong>in</strong>er Tasse schwarzem Malzkaffee und e<strong>in</strong>em trockenen Stück Brot<br />
bestand und ich ke<strong>in</strong>e übrigen Mahlzeiten erhielt, bekam ich sehr bald die Hungerruhr. Ich<br />
versuchte es zunächst, mich mit Abendkursen auf e<strong>in</strong> wie immer geartetes Abitur vorzubereiten;<br />
aber me<strong>in</strong>e Vorkenntnisse waren nicht ausreichend für den Stand <strong>der</strong> dort e<strong>in</strong>geschriebenen<br />
Kriegsheimkehrer. So suchte ich mir, e<strong>in</strong>em unerklärlichen Drang folgend und um die Zeit nicht<br />
ungenutzt verstreichen zu lassen, e<strong>in</strong>en privaten Griechischlehrer und geriet an e<strong>in</strong>en<br />
ausgedienten Priester, <strong>der</strong> <strong>in</strong> elenden Verhältnissen lebte und mir se<strong>in</strong>e Griechischgrammatik aus<br />
<strong>der</strong> k.u.k. Zeit überließ. Sie war vors<strong>in</strong>tflutlich, völlig unübersichtlich und w<strong>in</strong>zig gedruckt; nach<br />
ihr schien die griechische Grammatik aus lauter Ausnahmen zu bestehen. Immerh<strong>in</strong> lernte ich <strong>in</strong><br />
den wenigen Stunden im ungeheizten Priesterzimmer die Anfangsgründe. Bald komplimentierte<br />
man mich aus dem Lehrl<strong>in</strong>gswohnheim heraus, denn ich war das e<strong>in</strong>zige Mädchen im Haus und<br />
das vertrug sich offenbar nicht mit se<strong>in</strong>en katholischen Grundsätzen. Es kam jetzt noch<br />
schlimmer für mich: Ich wurde <strong>in</strong> e<strong>in</strong> ehemaliges Waisenhaus - ich glaube <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kaiserstraße -<br />
gebracht, <strong>in</strong> dem alle Arten von weiblichen displaced persons zusammengepfercht waren. Ich<br />
hatte das Gefühl, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er völlig verwahrlosten Umgebung gelandet zu se<strong>in</strong>, woran vor allem die<br />
hygienischen, ne<strong>in</strong> unhygienischen Verhältnisse schuld waren. Zu essen bekam ich immer noch<br />
nichts Rechtes. Ich holte mir jeden Tag e<strong>in</strong>en Teller Suppe <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er sogenannten Volksküche.<br />
Me<strong>in</strong> Bru<strong>der</strong> hatte es <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em von Franziskanern geführten Kloster<strong>in</strong>ternat <strong>in</strong> Hall bei Innsbruck<br />
besser getroffen. Dort gab er den Bauernbuben gegen Lebensmittel aus nahrhaften<br />
Elternhäusern Late<strong>in</strong>nachhilfestunden; freilich mußte er auch täglich 96 Ave Maria beten. Ich<br />
habe ihn e<strong>in</strong>mal dort besucht und an e<strong>in</strong>em Nachmittag e<strong>in</strong> ganzes Kilo trockenes Brot aus<br />
se<strong>in</strong>em Fundus aufgefuttert. Mir ist schwach er<strong>in</strong>nerlich, daß dies Festessen me<strong>in</strong>er Ruhr nicht<br />
sehr gut bekam.<br />
30
Beide strebten wir, aus unterschiedlichen Gründen, aus diesen Verhältnissen h<strong>in</strong>auszukommen<br />
und sehnten uns <strong>in</strong> die vergleichsweise paradiesischen Zustände im Kriegs- und Kuchenmüller-<br />
<strong>Birklehof</strong> zurück. Unser Visum für den Übertritt nach Deutschland war getürkt, weil es nur e<strong>in</strong><br />
24-Stunden-laissez-passer nach L<strong>in</strong>dau war, das <strong>der</strong> französische Kommandant von Überl<strong>in</strong>gen,<br />
dem die wi<strong>der</strong>ständigen Gedichte unseres Vaters bekannt geworden waren, ausgestellt hatte.<br />
Unser Gepäck, je e<strong>in</strong> blauer Seesack aus Wehrmachtsfliegerbeständen, sollten wir im Zug, weil<br />
zum Tagesvisum nicht passend, möglichst verstecken. Die Kontrolle im Zug beim Grenzübertritt<br />
war e<strong>in</strong> Albtraum mit Herzklopfen. Aber als wir uns sicher im „guten alten“ Deutschland fanden,<br />
wich die überstandene Angst sofort jugendlicher Abenteurerlust. Ich machte den Vorschlag,<br />
e<strong>in</strong>fach im Zug sitzen zu bleiben, <strong>der</strong> nach Donauesch<strong>in</strong>gen fuhr, und uns weiter nach<br />
H<strong>in</strong>terzarten durchzuschlagen. Als Argument diente mir, daß wir ja „unsere Sachen“ 1944 hätten<br />
auf dem <strong>Birklehof</strong> zurücklassen müssen und man doch nach ihnen sehen müsse.<br />
<strong>Der</strong> Anfang<br />
Irgendwie kamen wir auch <strong>in</strong> H<strong>in</strong>terzarten an. Kluge K<strong>in</strong><strong>der</strong>, erwähnten wir nichts von Salem,<br />
son<strong>der</strong>n baten demütig um Aufnahme <strong>in</strong> den soeben neubegonnenen Unterrichtsbetrieb. Georg<br />
Picht und <strong>der</strong> Baron<strong>in</strong> Wolff war die Verlegenheit deutlich anzumerken, <strong>in</strong> die sie unser<br />
unangemeldetes Ersche<strong>in</strong>en versetzte; noch zwei Esser mehr! Aber unbarmherzig beharrten wir<br />
darauf, daß wir nicht mehr zurück nach Tirol o<strong>der</strong> sonstwoh<strong>in</strong> könnten. So wurden wir<br />
schließlich entgegenkommen<strong>der</strong>weise aufgenommen. Für me<strong>in</strong>en Bru<strong>der</strong> fand sich im Haupthaus<br />
e<strong>in</strong> Bett; ich musste allerd<strong>in</strong>gs ausquartiert werden und wurde bei Frau Reichhoff im Dorf<br />
untergebracht, <strong>der</strong>en Tochter Brigitte e<strong>in</strong>e Klasse über mir im „vorigen“ <strong>Birklehof</strong> als Externe<br />
gewesen war. Frau Reichhoff lag immer im Bett und verteilte von dort aus ihre Anweisungen.<br />
Schon e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Neuschüler<strong>in</strong> des <strong>Birklehof</strong>s war bei ihr untergekommen: Ursula Caspar, die<br />
e<strong>in</strong> paar Klassen unter mir war. Wir teilten uns jetzt e<strong>in</strong> Zimmer. In welcher Klasse war ich nun?<br />
Daß ich nicht <strong>in</strong> me<strong>in</strong>e angestammte Klasse - jetzt nur durch Jürg Zutt vertreten - zurückdurfte,<br />
hatte zwei Gründe: erstens hatte ich seit Sommer 1944 überhaupt ke<strong>in</strong>en Unterricht mehr<br />
genossen und zweitens mußte ich, da nur e<strong>in</strong> humanistischer Zweig eröffnet worden war, viel<br />
Late<strong>in</strong> und noch mehr Griechisch nachlernen und wurde offiziell <strong>in</strong> die Obersekunda e<strong>in</strong>gestuft,<br />
sicherlich e<strong>in</strong>e weise, mir jedoch leidige Entscheidung. Ober- und Untersekunda wurden anfangs<br />
sogar geme<strong>in</strong>sam <strong>in</strong> <strong>der</strong> sogenannten Kaltküche unterrichtet, e<strong>in</strong>em <strong>der</strong> wenigen damals<br />
beheizten Räume. Wir saßen auf den Eßsaalstühlen zuerst um den ovalen Tisch, dann <strong>in</strong> zwei<br />
o<strong>der</strong> drei Reihen h<strong>in</strong>tere<strong>in</strong>an<strong>der</strong>; an die Teilnehmer er<strong>in</strong>nere mich, weil dauernd wechselnd, nur<br />
unvollständig. Da war von früher her bekannt: Peter Bumm, <strong>der</strong> bald wie<strong>der</strong> von dieser<br />
Bildfläche verschwand, aber deutliche Spuren h<strong>in</strong>terließ, wovon noch zu reden ist, Peter<br />
Hemmerich, den wenigstens me<strong>in</strong> Bru<strong>der</strong> aus <strong>der</strong> Napolazeit kannte, Christoph Müller-Wirth,<br />
<strong>der</strong> beson<strong>der</strong>s dadurch auffiel, daß er jede französische Frage <strong>der</strong> Baron<strong>in</strong> mit sehr höflichem<br />
„Oui, Madame“ quittierte. Neu waren Michael Marschall (von Bieberste<strong>in</strong>), Bautz Bär und Otto<br />
Frei. Es gab nur e<strong>in</strong>en Rumpfunterricht <strong>in</strong> diesem ersten Trimester. Vor uns stand <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />
notdürftig umgearbeiteten blaugrauen Fliegeruniform Georg Picht und sprach zunächst ganz<br />
Unverständliches. Ich versuchte, se<strong>in</strong> Alter abzuschätzen. Vor uns stand auch die schwarz<br />
gekleidete Baron<strong>in</strong> und lispelte bezaubernd die e<strong>in</strong>fachsten französischen Sätze. Late<strong>in</strong>? Deutsch?<br />
Sport? Ich kann mich nicht daran er<strong>in</strong>nern. Mathematik: e<strong>in</strong>e bebrillte Dame, die <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er<br />
Er<strong>in</strong>nerung mit sächsischem Akzent sprach. Sport, naturwissenschaftliche Fächer und Religion<br />
sowie die Seidenfächer, Musik und Kunst, wurden auch nicht unterrichtet.<br />
31
Ernährung<br />
E<strong>in</strong>ige items <strong>der</strong> damaligen Ernährungslage haben sich <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Er<strong>in</strong>nerung festgehakt: erstens<br />
ich hatte immer noch Hungerdurchfälle. Auf dem Weg vom Dorf <strong>in</strong> die <strong>Schule</strong> knabberte ich die<br />
eben herauskommenden, noch weichen, hellgrünen Fichtenschößl<strong>in</strong>ge. Zweitens g<strong>in</strong>g <strong>in</strong> diesem<br />
Frühjahr die Milchzentrifuge im Dorf kaputt und wir bekamen statt des täglichen Viertelliters<br />
Magermilch von da an e<strong>in</strong>en Viertel Liter Vollmilch. Die für die Pause gerichteten Brotstücke<br />
berechneten wir dem Kubik<strong>in</strong>halt nach mit Hilfe <strong>der</strong> gerade erlernten sphärischen Trigonometrie<br />
und verzichteten von da ab auf die vorher so beliebten Kanten. E<strong>in</strong> für die <strong>Schule</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schweiz<br />
gestifteter Güterwaggon voll Kartoffeln war an <strong>der</strong> Grenze steckengeblieben und die Ladung<br />
erfroren. Sie kam monatelang, ja sogar noch im Herbst schwarz, fad und süßlich schmeckend auf<br />
den Mittagstisch und Goll proklamierte den beruhigenden lakonischen Ausspruch: „Die<br />
schwarzen Flecken s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e re<strong>in</strong> visuelle Angelegenheit“. Dazwischen dienten sie auch bei Tisch<br />
als Wurfgeschosse. E<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Ernährungsgrundlage war Top<strong>in</strong>ambur, den wir schälen und <strong>in</strong><br />
lange Streifen schneiden mußten, die zum Trocknen und zum Zwecke <strong>der</strong> Vorratshaltung <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
oberen Küche h<strong>in</strong>ter <strong>der</strong> Theke aufgehängt wurden, wo sie sich wie e<strong>in</strong>e Fasch<strong>in</strong>gsdekoration<br />
ausnahmen und nach und nach zu elastischen Gummibän<strong>der</strong>n entwickelten. Unten <strong>in</strong> <strong>der</strong> Küche<br />
herrschte schwitzend und rosig <strong>der</strong> „Sohn vom alten Kaiser“ und bald auch die von Flucht und<br />
Familie abgehärmte Gräf<strong>in</strong> Pfeil mit ihren sechs K<strong>in</strong><strong>der</strong>n. Im Raum daneben saß <strong>der</strong><br />
abwechselnd vornüber e<strong>in</strong>nickende und, wenn wie<strong>der</strong>erwacht, Heidi lesende Stettefeld; das<br />
hellblauäugige dünne, kle<strong>in</strong>e, krumme und immer hilfsbereite Käthchen huschte zwischen Bügel-<br />
und Wäschezimmer und oberer Küche unentwegt h<strong>in</strong>durch. Dazwischen tauchte da unten auch<br />
<strong>der</strong> „alte Grosse“ mit Hammer und Schraubzw<strong>in</strong>gen fuchtelnd auf, weil er <strong>der</strong> Fachmann für die<br />
h<strong>in</strong>ter <strong>der</strong> Küche verborgenen Haus<strong>in</strong>stallationen war. E<strong>in</strong>mal hatte irgende<strong>in</strong> Schüler e<strong>in</strong> Kilo<br />
weiße Bohnen aufgetrieben. Wir feierten mit den ohne e<strong>in</strong> Gramm Fett gekochten Bohnen alte<br />
goldene Zeiten beschwörend e<strong>in</strong>e Art Klassentee und bekamen danach alle, beson<strong>der</strong>s ich,<br />
Diarrhöe.<br />
Unsere Verpflegung bedurfte dr<strong>in</strong>gend e<strong>in</strong>er Unterstützung. Die Franzosen hatten die gesamte<br />
Kirschenernte des Kaiserstuhls zur Verschickung nach Frankreich beschlagnahmt, sodaß ke<strong>in</strong><br />
Pfund auf den Markt kam. Weil die Bahnl<strong>in</strong>ie zwischen H<strong>in</strong>terzarten und Freiburg durch die<br />
gesprengte Ravennabrücke unterbrochen war, stoppten wir am späten Nachmittag, wie damals<br />
durchweg üblich, e<strong>in</strong>en Lastwagen auf dem Rößleberg und fuhren zu Tal, noch ehe man unser<br />
Verschw<strong>in</strong>den bemerkt hatte. In Freiburg gab es e<strong>in</strong>en Bummelzug nach Ihr<strong>in</strong>gen, von wo aus<br />
wir uns <strong>in</strong> aller Ruhe und Vorfreude auf die köstlichen Kirschen e<strong>in</strong> altes Rebhäuschen für die<br />
Nacht suchten. Erst e<strong>in</strong>mal füllten wir uns stundenlang die Bäuche; dann saßen wir mit<br />
revoltierenden Mägen um e<strong>in</strong> Kerzenstümpchen herum und führten tiefs<strong>in</strong>nige Gespräche bis<br />
zur Morgendämmerung. Nun füllten wir <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em neuen Anlauf alle mitgebrachten Rucksäcke<br />
und sonstigen Behälter und dachten die Beute triumphierend heimzubr<strong>in</strong>gen zu unseren<br />
hungernden Mitbewohnern. Wir: das waren Jürg, me<strong>in</strong> Bru<strong>der</strong>, Peter Hemmerich und ich. Im<br />
Zug zurück mußte <strong>der</strong> Raub unauffällig unter die Sitzbänke geschoben werden, aber zu me<strong>in</strong>em<br />
Erstaunen bemerkte ich nach e<strong>in</strong>er Weile auf dem Boden unseres Abteils etliche oben<br />
zugeschnürte Spankörbe. Wir waren unabgemeldet ausgerückt, wir hatten den Unterricht<br />
geschwänzt, aber wir brachten <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> doch e<strong>in</strong>e Beute heim! Aber als wir sie vor den Augen<br />
<strong>der</strong> Gräf<strong>in</strong> Pfeil <strong>in</strong> <strong>der</strong> Küche ausbreiteten, rief diese empört: „Ne<strong>in</strong>. Geklautes nehm ich nicht!“<br />
Und im nächsten Satz: „Wieviel ist es denn?“ Auch sonst war <strong>der</strong> Empfang von Seiten <strong>der</strong><br />
Erwachsenen frostig und Picht setzte für den nächsten Tag e<strong>in</strong>e Schulverrsammlung an, die er<br />
mit den Worten e<strong>in</strong>leitete: „Ich habe das Gefühl, tagelang <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Kloake gewatet zu se<strong>in</strong>...“. Wir<br />
32
trauten unseren Ohren nicht, wurden als Diebe gebrandmarkt und jegliches Vergnügen, u.a. e<strong>in</strong>e<br />
bereits e<strong>in</strong>geübte Aufführung des „Chocolate Soldier“ von Bernard Shaw abgesagt. Ja, zu diesem<br />
Zeitpunkt war Picht eben noch nicht sehr tief <strong>in</strong> die pädagogische Prov<strong>in</strong>z vorgedrungen. Aber<br />
immerh<strong>in</strong> hat er uns wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong>s <strong>der</strong> Zehn Gebote zu Bewußtse<strong>in</strong> gebracht, das sich <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
allerletzten Kriegs- und <strong>der</strong> folgenden Hungerzeit <strong>in</strong> Deutschland aus dem Dekalog entfernt<br />
hatte.<br />
Heute sche<strong>in</strong>t es unbegreiflich, daß man es mir <strong>in</strong> diesen Hungerjahren erlaubte, im sogenannten<br />
"Kle<strong>in</strong>en Musikzimmer", wo Klavierunterricht erteilt wurde, e<strong>in</strong>e private Apfeldarre e<strong>in</strong>zurichten.<br />
Sie sollte auch für die Gesundung me<strong>in</strong>es Bru<strong>der</strong>s, <strong>der</strong> an schweren Hungerödemen und<br />
"offenen Be<strong>in</strong>en" litt, sorgen.<br />
Lehrer und Schüler<br />
Im zweiten, dem Sommertrimester verän<strong>der</strong>te sich e<strong>in</strong>iges: Die Mädchen, wir waren jetzt fünf,<br />
bekamen e<strong>in</strong> Zimmer im Hirschen: <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Klassenmix war jetzt Käthe Witte aus Freiburg<br />
mit nahrhaftem H<strong>in</strong>tergrund; dazu gab es zwei Sextaner<strong>in</strong>nen: ich glaube, es waren Brigitte<br />
Hufenüssler und Christiane von Hohenthal, letztere von mir nach e<strong>in</strong>em Münchener<br />
Liebl<strong>in</strong>gspony Stipsi und bis heute so genannt, und Ulla Caspar. Ich war so etwas wie e<strong>in</strong><br />
Mitteld<strong>in</strong>g zwischen Zimmerführer<strong>in</strong> und Mädchenhelfer<strong>in</strong>. Auch <strong>der</strong> Lehrkörper<br />
vervollständigte sich im Lauf des Jahres <strong>1946</strong> zusehends. Neben Herrn Goll unterrichtete jetzt<br />
Herr Seifert, <strong>der</strong> schon früher Lehrer auf dem <strong>Birklehof</strong> gewesen war, Deutsch und Geschichte,<br />
Herr Nierhaus, genannt Kaegi, Late<strong>in</strong> und Griechisch, Frau Moritz, früher Berta Siebeck,<br />
genannt Rebekka, Französisch und Deutsch, Herr Peters, <strong>der</strong> <strong>in</strong> Königsberg Professor gewesen<br />
war, Mathematik. Auf ihm lastete schwer nicht nur se<strong>in</strong>e Parteivergangenheit, son<strong>der</strong>n deutlich<br />
sichtbar auch se<strong>in</strong>e Zuckerkrankheit. Frau Niemeyer kam im Spätjahr <strong>1946</strong> als Sekretär<strong>in</strong> von<br />
Herrn Picht und als Mädchenmentor<strong>in</strong> h<strong>in</strong>zu. Sie bewohnte den Mittelflügel des Haupthauses<br />
und war Stefan-George-Anbeter<strong>in</strong>. Mit dem jungen Ehepaar Kle<strong>in</strong>stück erfuhr im Frühjahr 1947<br />
die Atmosphäre e<strong>in</strong>e Verän<strong>der</strong>ung und Erweiterung. Sie waren als junge Absolventen <strong>der</strong><br />
Leipziger Universität nach Westdeutschland gekommen. Beide lehrten zwar die alten Sprachen,<br />
aber für ihn war <strong>der</strong> Schul- und Internatsbetrieb nicht das Ziel se<strong>in</strong>er Wünsche; er habilitierte<br />
sich e<strong>in</strong>ige Jahre später <strong>in</strong> Anglistik und wurde Professor <strong>in</strong> Hamburg. Die junge Frau Kle<strong>in</strong>stück<br />
war zum Verlieben schön und charmant; <strong>der</strong> listige Amor traf manchen Schüler <strong>in</strong>s Herz.<br />
Überhaupt, jetzt nach dem Krieg trieb er nach langer Karenz, die ihm die <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kuchenmüller-<br />
Ära verordnete Keuschheit, Kargheit und die ernste Kriegslage beschert hatten, allenthalben<br />
wie<strong>der</strong> se<strong>in</strong> mutwilliges Spiel und se<strong>in</strong>e Opfer waren beileibe, ja bei Leibe, nicht nur die größeren<br />
Schüler, son<strong>der</strong>n nicht weniger auch die Lehrer. Darüber hat jedoch des Sängers Höflichkeit zu<br />
schweigen beschlossen.<br />
Zum Herbsttrimester durften wir Mädchen <strong>in</strong> den Saalbau umziehen, denn den Hirschen bezog<br />
nun das Ehepaar Herchenröther, das auch schon zur Garde <strong>der</strong> Kuchenmüller-Lehrer gehört<br />
hatte, um die reichlich angemeldeten kle<strong>in</strong>en Jungens zu betreuen. Er unterrichtete Geographie,<br />
sie Französisch. Französisch - wir lebten ja <strong>in</strong> <strong>der</strong> französischen Besatzungszone - war uns als<br />
e<strong>in</strong>zige mo<strong>der</strong>ne Fremdsprache verordnet, obgleich über das übrige Restdeutschland mit<br />
Ausnahme <strong>der</strong> Ostzone sich die angloamerikanische Kultur, Sprache und Musik, d.h. die<br />
amerikanische Richtung des Jazz, wie e<strong>in</strong> Film gelegt hatte und auch uns magisch anlockte.<br />
Chemie und Physik waren aus dem Lehrplan gestrichen; man erklärte die Maßnahme damit, daß<br />
33
man den jungen Deutschen jeden Zugang zu waffenverdächtiger Technik unmöglich machen<br />
müsse. Er<strong>in</strong>nerlich s<strong>in</strong>d mir noch e<strong>in</strong> paar vere<strong>in</strong>zelte Stunden Kunstunterricht bei Andreas<br />
Moritz, <strong>in</strong> denen er versuchte, uns das Wesen <strong>der</strong> ägyptischen Kunst nahe zu br<strong>in</strong>gen. Auch für<br />
ihn, e<strong>in</strong>en bildenden Künstler von Rang und schwierigen Menschen, war die Pädagogik offenbar<br />
nicht se<strong>in</strong> Element und so gab er nur e<strong>in</strong>e kurze Gastrolle.<br />
Auch die Zahl <strong>der</strong> Mädchen hatte sich erhöht, wenn auch längst nicht im gleichen Maß wie die<br />
<strong>der</strong> Jungen. Das h<strong>in</strong>g damit zusammen, daß <strong>der</strong> Picht-<strong>Birklehof</strong> als re<strong>in</strong> humanistisches<br />
Gymnasium mit Nachdruck auf den alten Sprachen eröffnet hatte.<br />
Cora von Weizsäcker, Feo von Sachsen-Me<strong>in</strong><strong>in</strong>gen, Svea von Braunbehrens, Martha Liegle, die<br />
Tochter des e<strong>in</strong>stigen Privatlehrers von Georg Picht und Carl Friedrich von Weizsäcker auf dem<br />
Wendelstadt'schen <strong>Birklehof</strong>, übrigens e<strong>in</strong> noch heute zitierter Archäologe, <strong>der</strong> im Krieg gefallen<br />
war, und Annette Schrö<strong>der</strong> gehörten jetzt zu uns und unsere Hauserwachsene war Frau Partikel,<br />
die aus dem Osten geflüchtete Schwester <strong>der</strong> Baron<strong>in</strong>. Ihre Tochter Nele kam an den<br />
Wochenenden zu Besuch. Frau Partikel hat sich niemals mit pädagogischen Versuchen<br />
abgegeben. Sie schaute, daß <strong>der</strong> Betrieb funktionierte und es e<strong>in</strong>igermaßen geordnet zug<strong>in</strong>g. Die<br />
Flucht und das Schicksal ihres Mannes, <strong>der</strong> nach dem Krieg beim Pilzesuchen von Russen<br />
überfallen, verschleppt o<strong>der</strong> ermordet worden war, hatten sie über Kle<strong>in</strong>igkeiten h<strong>in</strong>wegsehen<br />
gelehrt. In me<strong>in</strong>er Er<strong>in</strong>nerung hatte sie vor allem die Aufgabe, Stipsis lange und dicke Zöpfe am<br />
Abend zu ent- und am nächsten Morgen wie<strong>der</strong> neu e<strong>in</strong>zuflechten. Auch kochte sie treulich auf<br />
e<strong>in</strong>em Heizspiralenkocher Breis für solche Schützl<strong>in</strong>ge, <strong>der</strong>en besorgte Mütter dafür nahrhafte<br />
Unterlagen mitgeliefert hatten. Zeitweilig von Mar<strong>in</strong>a Ewald aus Salem zu uns strafversetzt und<br />
bei mir <strong>in</strong> bester Er<strong>in</strong>nerung geblieben war das "Gittchen" (Wetzel), das hübsch und lustig war<br />
und manchem Jungen Adrenal<strong>in</strong>stöße versetzte.<br />
Im Herbst <strong>1946</strong> war auch <strong>der</strong> Kaltküchenunterricht aufgegeben und die Insassen auf zwei<br />
Klassen, die Unterprima und Obersekunda verteilt worden. In me<strong>in</strong>er Klasse waren nur noch<br />
wenige; außer Peter Hemmerich und mir war da noch bis 1947 Michael Marschall von<br />
Bieberste<strong>in</strong>, <strong>der</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Freiburger Gymnasium wechselte. Und weil auch Käthe Witte uns bald<br />
verließ, bestand unsere Klasse bis zum Abitur 1948 wirklich nur aus uns beiden. Peter<br />
Hemmerich war e<strong>in</strong> brillanter Kopf und mir <strong>in</strong> allen Fächern, beson<strong>der</strong>s <strong>in</strong> Mathematik,<br />
turmhoch überlegen - außer <strong>in</strong> Deutsch. Und weil er ebenso ehrgeizig wie brillant war, wurmte<br />
ihn das. Er ist verhältnismäßig jung Professor für Chemie <strong>in</strong> Konstanz geworden und viel zu früh<br />
an e<strong>in</strong>em Hirntumor gestorben. Er kam aus e<strong>in</strong>er Frankfurter Kaufmannsfamilie; die Firma<br />
se<strong>in</strong>es verstorbenen Vaters hieß Semmelhag & Hemmerich; damit und mit se<strong>in</strong>em<br />
frankfurterischen Akzent wurde er von uns Snobs ganz zu Unrecht, wie wir uns später<br />
e<strong>in</strong>gestanden, geneckt. E<strong>in</strong>mal habe ich unser tägliches Vokabelpensum gezählt: 290. Unserem<br />
Abitursjahrgang war e<strong>in</strong> zentrales Abitur mit französischen Standards angedroht worden. Als es<br />
dann stattfand, für uns <strong>in</strong> Freiburg, s<strong>in</strong>d ganze Klassen durchgefallen. Das Vokabelochsen hatte<br />
sich für uns gelohnt.<br />
Georg Picht<br />
Wir, Jürg, Gottfried, Cora und ich, bemühten uns, die Erwartungen, die Picht <strong>in</strong> uns setzte, wozu<br />
zweifellos auch die Verehrung des ganzen Picht'schen Clans gehörte, zu erfüllen. Ja, wir, e<strong>in</strong>e Art<br />
Viererbande, hatten auch das Vorrecht und den Auftrag, die Texte und Lie<strong>der</strong> für die<br />
34
Morgenandachten auszuwählen, die Jürg und Gottfried dann abwechselnd hielten. Zur<br />
Vorbereitung trafen wir uns e<strong>in</strong>mal wöchentlich und erweiterten dabei unsere Bibelkenntnisse.<br />
Das alles brauchten Typen wie Peter Hemmerich, von uns mehr o<strong>der</strong> weniger liebevoll "die<br />
Humeratsche" genannt, nicht und es wäre nicht verkehrt gewesen, hätten wir genauer h<strong>in</strong>gehört,<br />
wenn er sich über den Picht'schen Stil immer aufs Neue wun<strong>der</strong>te o<strong>der</strong> beklagte. Als immun<br />
gegen die Picht'sche Aura, aus unterschiedlichen Gründen, habe ich auch an<strong>der</strong>e Schüler wie<br />
Peter Bumm, me<strong>in</strong>en Bru<strong>der</strong>, Michael Marschall, Fritz Gruben, auch Svea <strong>in</strong> Er<strong>in</strong>nerung.<br />
Nun ist es angezeigt, über diese Picht'sche Aura und Pichts pädagogische Absichten aus <strong>der</strong><br />
Er<strong>in</strong>nerung, aber auch aus dem Abstand von Jahren zu berichten. Nicht nur uns schon genannte<br />
Schüler, auch e<strong>in</strong>e Reihe von Erwachsenen saugte sie an. Und wie bei den Schülern gab es auch<br />
unter ihnen solche, die immun blieben. Zu den Abenden, die im Altbirkle wöchentlich über das<br />
Johannesevangelium stattfanden und zu denen sich <strong>der</strong> ganze Picht'sche Clan <strong>in</strong>clusive <strong>der</strong><br />
sogenannten Mam<strong>in</strong>a, se<strong>in</strong>er Mutter, Edith Picht und e<strong>in</strong>ige Lehrer wie Herr Peters, Herr Goll<br />
und Herr Herchenröther, aber auch Hella Niemeyer e<strong>in</strong>fanden, wurden auch wir bevorzugte und<br />
vielleicht allzu loyale Schüler e<strong>in</strong>geladen, die sich anfangs wie Adepten an <strong>der</strong> Pforte zur höheren<br />
Weisheit wähnten, sowie die Brü<strong>der</strong> Hans und Ulrich Wilckens, die nach dem Zusammenbruch<br />
getrennt auf die beiden christlichen Lager und <strong>der</strong>en Theologie setzten. Was wir dort, m<strong>in</strong>destens<br />
über e<strong>in</strong> Jahr h<strong>in</strong>weg, hörten, war und blieb nur <strong>der</strong> Prolog des Johannesevangeliums: "en arche<br />
en ho logos kai ho logos en pros ton theon, kai ho theos en ho logos" usw., und teilweise das<br />
anschließende Nikodemosgespräch. Nicht wurden wir über die philosophischen und historischen<br />
H<strong>in</strong>tergründe <strong>der</strong> geheimnisvollen Sätze aufgeklärt, die ja jede katholische Meßliturgie<br />
abgeschlossen haben, ehe sie <strong>der</strong> Liturgiereform unter Papst Paul VI. zum Opfer gefallen s<strong>in</strong>d,<br />
son<strong>der</strong>n immer wie<strong>der</strong> - so me<strong>in</strong>e Er<strong>in</strong>nerung - wurde ihr Text von <strong>der</strong> sonoren Stimme Georg<br />
Pichts mehr weihevoll rezitiert als kommentiert. <strong>Der</strong> e<strong>in</strong>e o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Initiant blieb denn auch<br />
allmählich fern und mit <strong>der</strong> Zeit löste sich <strong>der</strong> Konvent auf. Nicht viel an<strong>der</strong>s ist es später dem<br />
Unternehmen Platonlexikon ergangen, das Picht simultan mit dem Snell'schen Homerlexikon<br />
begann und für das im Lauf <strong>der</strong> Zeit nicht unerhebliche Forschungsgel<strong>der</strong> bewilligt worden s<strong>in</strong>d.<br />
Was mir von Pichts Seite wirklich e<strong>in</strong>en Denkanstoß versetzt hat, war e<strong>in</strong>e Griechischstunde im<br />
unteren Turmzimmer, <strong>in</strong> <strong>der</strong> er, die Platonlektüre unterbrechend, e<strong>in</strong>e Stunde lang Logik mit uns<br />
tra<strong>in</strong>ierte. Wie erstaunt war ich auch, bei gelegentlichen ehrenvollen E<strong>in</strong>ladungen zum Essen im<br />
Altbirkle festzustellen, daß hier neben tiefgründigen Gesprächen über fundamentale Themen<br />
gelegentlich auch Witze gemacht und maßvoll gelacht werden durfte. Später, als ich längst nicht<br />
mehr auf <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> war, lernte ich ihn noch an<strong>der</strong>s kennen, nämlich als e<strong>in</strong>en Menschen von<br />
ganz profanen Emotionen und viel h<strong>in</strong>tergründigem Witz.<br />
Ich wurde mit zwei Aufgaben im Dienste des Altbirkle betraut: erstens hatte ich die zum<br />
Katholizismus übergetretene Mam<strong>in</strong>a sonntags zur Kirche zu begleiten und zweitens sollte ich<br />
mich stundenweise mit <strong>der</strong> kle<strong>in</strong>en an e<strong>in</strong>em Gehirntumor erkrankten Tochter Greda<br />
beschäftigen. Es freute mich immer, wenn ich das kle<strong>in</strong>e Geschöpf mit den hellen Augen zum<br />
Lachen br<strong>in</strong>gen konnte.<br />
Kulturelles Umfeld<br />
Aber zurück <strong>in</strong>s Haupthaus und zu den Schülern. Sport blieb kle<strong>in</strong>geschrieben - auch e<strong>in</strong>e Folge<br />
des Nationalsozialismus -, aber Musik und Theaterspielen begleiteten jedes Trimester.<br />
35
Unvergeßlich die erste Aufführung unter Goll'scher Regie: <strong>der</strong> "Malade Imag<strong>in</strong>aire", unvergessen<br />
auch Jürg Zutt als <strong>der</strong> "malade". Dann <strong>der</strong> schon erwähnte "Schokoladensoldat" mit Gottfried<br />
Weber <strong>in</strong> <strong>der</strong> Titelrolle, <strong>der</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Geniestreich, den sich die Lehrer ausgedacht hatten, <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Fasch<strong>in</strong>gszeit 1947 doch noch zur Aufführung kam; zu Pf<strong>in</strong>gsten 1947 "Wie es euch gefällt";<br />
1948 im Frühjahr "<strong>Der</strong> zerbrochene Krug", bei dem ich die Marthe Rull zu spielen hatte;<br />
Pf<strong>in</strong>gsten 1948 "Léonce und Lena" und schließlich im Sommer 1948 die sophokleische<br />
"Antigone" mit Cora als Antigone. Das traditionelle Oberuferer Weihnachtsspiel war beibehalten<br />
worden und jede von uns wenigen großen Mädchen hat erst den Engel und im Jahr darauf die<br />
Maria gespielt. E<strong>in</strong>e ausgesprochen talentierte Bereicherung unserer Kerntruppe war die im<br />
Altbirkleclan mitlebende Erika Heimpel. Goll war e<strong>in</strong> begnadeter Regisseur für<br />
Schüleraufführungen; <strong>in</strong> <strong>der</strong> Er<strong>in</strong>nerung vieler damaliger <strong>Birklehof</strong>er, auch <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er, ist er<br />
überhaupt ihr wichtigster Lehrer geblieben.<br />
Mehr Beständigkeit und Zulauf als das Johannesevangelium hatten die von Edith Picht <strong>in</strong> ihrem<br />
Musikzimmer gegebenen Klavier- und Cembaloabende. So konnten wir <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em W<strong>in</strong>ter<br />
sämtliche Beethoven'sche Klaviersonaten von ihr hören.<br />
Unvergeßlich auch ihre gelegentlichen Konzerte zu Abendfeiern. Noch heute b<strong>in</strong> ich dafür<br />
dankbar, durch ihr Spiel e<strong>in</strong>en wesentlichen Teil <strong>der</strong> Musikliteratur kennengelernt zu haben.<br />
Damals schien es, als meide sie Mozart; nach Georg Pichts Tod habe ich sie auch Mozart mit<br />
e<strong>in</strong>er ihr nie zugetrauten Leichtigkeit spielen hören. Wenn sie <strong>in</strong> die Musikhochschule nach<br />
Freiburg fuhr, nahm sie sich Noten zum Auswendiglernen mit <strong>in</strong> den Zug. Fast nie sah man<br />
Noten auf ihrem Klavierpult während e<strong>in</strong>es Konzerts.<br />
Zum erstenmal tauchte <strong>der</strong> spätere Leipziger Thomaskantor und von 1939 bis 1945 als Direktor<br />
<strong>der</strong> Frankfurter Musikhochschule, danach des dortigen Musischen Gymnasiums tätige Professor<br />
Kurt Thomas im Herbst <strong>1946</strong> zu e<strong>in</strong>er Chorwoche im <strong>Birklehof</strong> auf. Se<strong>in</strong> Name und se<strong>in</strong>e<br />
berufliche Beziehung zu Leipzig sorgten für Verwirrung. Unter se<strong>in</strong>er Anleitung sollte e<strong>in</strong><br />
Schulchor aufgebaut werden. Wir mußten uns alle e<strong>in</strong>er Stimmprüfung unterziehen und zu<br />
me<strong>in</strong>em Erstaunen fand me<strong>in</strong>e dünne Stimme im Sopran Verwendung. Mit Atem- und<br />
Stimmübungen begann jede Chorprobe und nach e<strong>in</strong>er Woche hatte <strong>der</strong> neue Schulchor die<br />
Motette "Jesu, me<strong>in</strong>e Freude" im Groben e<strong>in</strong>studiert. Während solcher Wochen gab es mehrmals<br />
täglich Proben, ke<strong>in</strong>e Hausaufgaben und weniger Unterricht. Professor Thomas brachte auch<br />
se<strong>in</strong>en blutjungen Schüler, Herrn Petrenz als Musiklehrer mit auf den <strong>Birklehof</strong>, <strong>der</strong> dann die<br />
Bachmotette fertig e<strong>in</strong>studierte und zur Aufführung <strong>in</strong> den beiden H<strong>in</strong>terzartener Kirchen<br />
brachte.<br />
Picht sorgte noch <strong>in</strong> an<strong>der</strong>er Weise für unsere höhere Bildung; denn am Wie<strong>der</strong>gew<strong>in</strong>n e<strong>in</strong>es<br />
vornazistischen Kulturstatus <strong>der</strong> geistig heruntergekommenen deutschen Jugend war ihm<br />
gelegen. So lud er den Hamburger Gräzisten Bruno Snell für e<strong>in</strong>e Woche e<strong>in</strong>, mit uns die<br />
Antigone des Sophokles im Kompaktunterricht durchzuarbeiten; das diente <strong>der</strong> Vorbereitung zur<br />
schon erwähnten Aufführung, für die Picht selbst Regie führte. Wir lernten die Chorlie<strong>der</strong> auf<br />
Griechisch im metrischen Rhythmus auswendig und - learn<strong>in</strong>g by do<strong>in</strong>g - bekamen so e<strong>in</strong>en<br />
unmittelbaren Zugang zur griechischen Sprache. Daran wurde ich er<strong>in</strong>nert, als ich später von<br />
Schliemanns Methode Griechisch zu lernen erfuhr, <strong>der</strong> se<strong>in</strong>en Zweck mit dem Auswendiglernen<br />
von Thukydidestexten erreicht hat. Noch heute überwältigen mich die Worte und Bil<strong>der</strong> jener<br />
Chorlie<strong>der</strong>, die man nicht mehr vergißt; "denn <strong>der</strong> wahre Schauer ist unabnutzbar".<br />
36
In me<strong>in</strong>er Er<strong>in</strong>nerung gab es auch den Versuch von Carl Friedrich von Weizsäcker, <strong>der</strong> bisweilen<br />
im Altbirklehof zu Gast war, uns mit Problemen <strong>der</strong> Physik zu konfrontieren. Aber das lag<br />
außerhalb me<strong>in</strong>es Horizontes und so ist es mir auch nur verschwommen <strong>in</strong> Er<strong>in</strong>nerung. Gut<br />
er<strong>in</strong>nern kann ich mich <strong>in</strong>dessen an e<strong>in</strong>en französischen protestantischen Militärpfarrer,<br />
Monsieur l'Aumônier, so se<strong>in</strong> Titel, <strong>der</strong> hoch<strong>in</strong>telligent und sehr gebildet war; er hielt nicht<br />
Unterricht, son<strong>der</strong>n dozierte eher französische Kultur auf französisch, auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> deutlichen<br />
Absicht, unsere nach se<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nazizeit verlotterten deutschen Gewissen zu<br />
schärfen.<br />
Öfter fuhren wir - immer ab Station Posthalde <strong>der</strong> gesprengten Ravennabrücke wegen - zu<br />
kulturellen Veranstaltungen nach Freiburg. Bis heute s<strong>in</strong>d mir die Bil<strong>der</strong> von Picasso, Braque und<br />
Juan Gris vor Augen, denen ich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er ersten von den Franzosen veranstalteten und bestückten<br />
Freiburger Ausstellung zwar neugierig, aber auch ziemlich ratlos gegenüberstand.<br />
Nach abendlichem Theater- o<strong>der</strong> Konzertbesuch mußte man von Himmelreich aus durch das<br />
ganze Höllental nachhause laufen, weil am späten Abend ke<strong>in</strong> Zug mehr bis zur Posthalde g<strong>in</strong>g.<br />
Aber solche geme<strong>in</strong>schaftlichen nächtlichen Wan<strong>der</strong>ungen hatten auch romantische Qualitäten.<br />
Was noch zu erwähnen ist<br />
Zur Beschreibung <strong>der</strong> Atmosphäre jener <strong>Birklehof</strong>jahre gehört auch das Folgende: Es gab die<br />
unter uns so benannte <strong>Birklehof</strong>er Lautverschiebung. Sie war e<strong>in</strong>e Erf<strong>in</strong>dung des exzentrischen<br />
Peter Bumm und erfaßte hauptsächlich Eigennamen. Picht und se<strong>in</strong>e Frau waren die "Pichtatas",<br />
die Baron<strong>in</strong> "die Burenee", Petrenz hieß "Pute-danz", Gottfried Weber "Guttfraden", Fritz<br />
Gruben "die Watze", Peter Hemmerich, wie schon erwähnt "die Humeratsche", Michael<br />
Marschall "das Mutschele", Käthe Witte "Käthe Wutte", ich "Rawaua" und so fort.<br />
Peter Bumm und <strong>der</strong> erst 1947 auf den <strong>Birklehof</strong> gekommene geniale Buschi Bechert jagten sich<br />
abwechselnd vom Eßsaalflügel weg, um dort stundenlang Jazzrythmen zu phantasieren. Fast nie<br />
konnte man aus dem Saalbau durch die Kaltküche <strong>in</strong> den Eßsaal gelangen, ohne e<strong>in</strong>en <strong>der</strong> beiden<br />
Monomanen an ihrem Stammplatz schwelgend anzutreffen.<br />
Im extrem heißen Sommer 1947, genauer gesagt, <strong>in</strong> den Sommerferien, als alle Schüler nachhause<br />
gefahren waren, ich aber wegen Paßschwierigkeiten nicht zu me<strong>in</strong>en Eltern <strong>in</strong> die Schweiz fahren<br />
konnte und daher die Ferien über im <strong>Birklehof</strong> bleiben mußte, war e<strong>in</strong>es morgens im Haupthaus<br />
e<strong>in</strong> Brand ausgebrochen. <strong>Der</strong> Dachboden, <strong>der</strong> erste Stock, das untere Turmzimmer und<br />
angrenzende Räume brannten aus und obgleich die H<strong>in</strong>terzartener Feuerwehr zu Hilfe kam, war<br />
das Feuer erst am Nachmittag besiegt. Den ganzen Tag über versuchten wir, aus dem<br />
qualmenden Gebäude Inventar und Habseligkeiten zu retten. Die Ursache ist me<strong>in</strong>es Wissens nie<br />
geklärt worden. Erhalten hat sich <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Er<strong>in</strong>nerung das Dictum: <strong>in</strong> diesem heißen Sommer<br />
1947 seien die Schwarzwäl<strong>der</strong> Bauern auf dem Feld vertrocknet.<br />
Rückblick<br />
Für die Vielfalt geistiger Ernährung, die das Haus Picht uns mit se<strong>in</strong>en Verb<strong>in</strong>dungen nach außen<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> sonst dürftigen Vorwährungsreformzeit bot, kann man nur dankbar bleiben. Man hatte<br />
zwar physisch auf e<strong>in</strong>er kargen, aber geistig auf e<strong>in</strong>er blühenden, freilich von e<strong>in</strong>igem Unkraut<br />
37
durchwachsenen Insel, aber auch über se<strong>in</strong>e eigenen Verhältnisse gelebt. Erst allmählich machte<br />
man sich klar, daß man dort nur kle<strong>in</strong>e Stückchen, und ke<strong>in</strong>eswegs schon fundiertes geistiges<br />
Terra<strong>in</strong> gewonnen hatte, daß das weitaus größere Feld noch vor e<strong>in</strong>em lag. Das den<br />
Landschulheimen nicht zu Unrecht nachgesagte und durch die Aura des Hauses Picht noch<br />
gesteigerte Elitebewußtse<strong>in</strong> war <strong>in</strong> den folgenden Jahren abzubauen und neue Maßstäbe durch<br />
die Erfahrung an <strong>der</strong> Realität zu gew<strong>in</strong>nen.<br />
Zum Schluß noch e<strong>in</strong>e Beobachtung, die sich an Kuchenmüller wie an Picht machen ließ und<br />
e<strong>in</strong>en immer wie<strong>der</strong> nachdenklich stimmen kann: Kuchenmüller hat <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nazizeit Halbjuden <strong>in</strong><br />
die <strong>Schule</strong> aufgenommen; Georg Picht hat <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ära danach manchem ehemaligen Nazi die<br />
Chance geboten, auf <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> beruflich tätig zu se<strong>in</strong>.<br />
38
Aus „50 Jahre <strong>Birklehof</strong>“ Bil<strong>der</strong> und Texte 1932 – 1982<br />
Auf dem <strong>Birklehof</strong> 1947-1955<br />
Gerbert Hübner<br />
Im Herbst des Jahres 1947 reiste ich, von me<strong>in</strong>em Vater begleitet, elf Jahre alt, als angehen<strong>der</strong><br />
Qu<strong>in</strong>taner, zum ersten Mal auf dem <strong>Birklehof</strong> an. <strong>Der</strong> Eilgüterzug von L<strong>in</strong>dau nach H<strong>in</strong>terzarten<br />
brauchte damals ungefähr 14 Stunden, von zwei Uhr morgens bis fünf Uhr nachmittags. Dabei<br />
gehörte ich zu den Schülern, die <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nähe zu Hause waren!<br />
An die ersten Stunden auf dem <strong>Birklehof</strong> er<strong>in</strong>nere ich mich noch genau, und diese Er<strong>in</strong>nerung<br />
wird immer wie<strong>der</strong> wach, wenn ich den Eßsaalvorraum und den Eßsaal betrete – Räume, die sich<br />
seither kaum verän<strong>der</strong>t haben. Nur erhoben sich damals alle Schüler von ihren Plätzen, wenn e<strong>in</strong><br />
Frem<strong>der</strong> e<strong>in</strong>trat.<br />
Nach Tisch wurde ich <strong>in</strong> den Hirschen gebracht, wo damals die Kle<strong>in</strong>en bis Untertertia wohnten.<br />
Ich merkte bald, daß hier <strong>der</strong> ebenso gestrenge wie herzliche He König war.<br />
Unsere Zimmer waren groß. Mit <strong>der</strong> „W<strong>in</strong>deck“, <strong>in</strong> <strong>der</strong> ich zusammen mit sechs an<strong>der</strong>en<br />
wohnte, hatte ich es gut getroffen. Im „Klausenhorn“ hausten zwölf.<br />
Kurz bevor das Licht ausgemacht wurde, trat Herr Picht eskortiert von den Hauserwachsenen, <strong>in</strong><br />
die Zimmer, um den Schülern gute Nacht zu sagen. E<strong>in</strong>e an sich e<strong>in</strong>fache und natürliche Aktion,<br />
die aber von solcher Feierlichkeit erfüllt war, daß mich tiefe Ehrfurcht ergriff. Damit war ich<br />
<strong>Birklehof</strong>er.<br />
<strong>Der</strong> <strong>Birklehof</strong> hatte e<strong>in</strong> Idee. Es gab gewisse Ziele, Bildungs<strong>in</strong>halte, Schwerpunkte (z.B. die<br />
Musik, aber auch <strong>der</strong> Sport sollte nicht zu kurz kommen), ja sogar sogenannte Schultugenden: die<br />
Ehrlichkeit, die Wahrhaftigkeit und die Ritterlichkeit, erhabene D<strong>in</strong>ge also, von denen ich mich<br />
durch Herrn Pichts Reden <strong>in</strong> den <strong>Schule</strong>rsammlungen zu Anfang und Ende des Tertials immer<br />
wie<strong>der</strong> von neuem überzeugen ließ. Verstanden habe ich allerd<strong>in</strong>gs als kle<strong>in</strong>er Junge von alledem<br />
ke<strong>in</strong> Wort.<br />
Immerh<strong>in</strong> hatte ich bald e<strong>in</strong> gewisses Bild von <strong>der</strong> Sache: Ganz unten stand <strong>der</strong> <strong>Birklehof</strong>er,<br />
beson<strong>der</strong>s <strong>der</strong> Kle<strong>in</strong>e (freilich bereits etwas unvergleichlich Besseres als e<strong>in</strong> „Staatsschüler“). Er<br />
mußte unerfüllbaren Anfor<strong>der</strong>ungen (s.o.) gerecht werden; daß dies geschah, dafür sorgten<br />
Strichlisten, Hauserwachsene, Lehrer, beson<strong>der</strong>s aber Herchenröthers.<br />
Weit über alledem erhob sich <strong>der</strong> Altbirklehof, <strong>in</strong> dem die Ideenwelt <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> körperlich<br />
anwesend zu se<strong>in</strong> schien. In ihm wohnten bedeutungsvolle, den Nie<strong>der</strong>ungen des Alltags aber<br />
entzogene Geschöpfe wie Baron<strong>in</strong> Wolff, Herr Wendelstadt, die Eltern Picht, Herr Körte und<br />
an<strong>der</strong>e, die die mythologische Phantasie von uns Schülern schon früh aufs Lebhafteste anregten.<br />
Dort machte Frau Picht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em mit vielen Flügeln und Cembali angefüllten Raum Musik, und<br />
dort regierte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er hohen Stube namens „Olymp“ teetr<strong>in</strong>kend und pfeiferauchend, das<br />
Num<strong>in</strong>osum des <strong>Birklehof</strong>s, Herr Picht, die <strong>Schule</strong>.<br />
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Die ersten Jahre im Hirschen waren nicht leicht. Ich war unehrlich, unwahrhaftig, unritterlich,<br />
gefräßig, unsportlich und schrieb ab. Unter all diesen Fehlern litt ich, am meisten aber unter dem<br />
Hunger. <strong>Der</strong> Schwarzwald ist, auch wenn er sich heute mit Fresslokalen bedeckt hat, von Natur<br />
aus karg und unwirtlich. An<strong>der</strong>s als am Bodensee war es hier unmöglich, sich von Fel<strong>der</strong>n,<br />
Obstbäumen o<strong>der</strong> freundlichen Bauern zusätzliche Nahrung zu verschaffen.<br />
Im Eßsaal herrschte damals, nach <strong>der</strong> Periode des „Sportplatzes“ (e<strong>in</strong>er Suppe, die so aussah und<br />
schmeckte, wie <strong>der</strong> zertretene Hockeyplatz) die grüne Tomate, von <strong>der</strong> e<strong>in</strong> geschickter Koch sehr<br />
große Mengen organisiert hatte: Früh wurde sie als graue Suppe, mittags als Gemüse, abends als<br />
süßlicher Brei gereicht. Auf die grüne Tomate folgte – <strong>in</strong> <strong>der</strong> Er<strong>in</strong>nerung m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong> halbes<br />
Jahr lang, <strong>in</strong> Wirklichkeit vielleicht vier Wochen, immerh<strong>in</strong>, entsetzlich genug – <strong>der</strong> ekelhafte<br />
Top<strong>in</strong>ambur <strong>in</strong> ähnlichen Aggregatzuständen. Man muß sich vorstellen, es gab nur diese Früchte,<br />
von Kartoffeln, Nudeln, Reis, Fleisch kaum je e<strong>in</strong>e Spur!<br />
Was Wun<strong>der</strong>, wenn wir sehr oft o<strong>der</strong> fast nur an den Eßschrank dachten? Im Hirschen mußten<br />
alle Lebensmittel, die e<strong>in</strong>er von zu Hause geschickt bekam, im Eßschrank deponiert werden, aus<br />
vielen guten Gründen – es hatte zum Beispiel e<strong>in</strong> Schüler, Sohn e<strong>in</strong>es Metzgers, e<strong>in</strong>e reichliche<br />
Sendung Koteletts erhalten, die er <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Bett hütete, wochenlang. Man denke den Geruch!<br />
Jeden Tag, nach dem Liegen um drei Uhr, war „Eßschrank“, und man konnte sich von se<strong>in</strong>en<br />
Vorräten etwas geben lassen o<strong>der</strong> das, was man nicht hatte, e<strong>in</strong>tauschen. Am häufigsten war <strong>der</strong><br />
Ruf zu hören: „Gebe Aufstrich, suche Brot!“ – Brot war absolute Mangelware. Wir bekamen nur<br />
wenig: Zum Frühstück zwei Scheiben, e<strong>in</strong>e zur Pause, e<strong>in</strong>e, manchmal zwei zum Tee um halb<br />
fünf. Das mußte schon e<strong>in</strong> sehr guter Aufstrich se<strong>in</strong>, wenn man für ihn auf e<strong>in</strong>e Scheibe Brot<br />
verzichten sollte.<br />
Ich Unglücklicher bekam e<strong>in</strong>mal von ahnungslosen amerikanischen Verwandten e<strong>in</strong> großes Paket<br />
voller Kochfett geschickt, welches man selbst mit Brot kaum h<strong>in</strong>abwürgen konnte. Schweren<br />
Herzens mußte ich mich schließlich dazu durchr<strong>in</strong>gen, es – gegen e<strong>in</strong>e gewisse Entschädigung <strong>in</strong><br />
Gestalt von Äpfeln und Brot – <strong>in</strong> <strong>der</strong> Küche abzuliefern. Ganz arm waren die Mitschüler, die<br />
nichts im Eßschrank hatten. Sie erschienen aber auch um drei und versuchten, an die Güter des<br />
Glücks heranzukommen.<br />
Die <strong>Schule</strong> selbst hatte auch mit dem Essen große Probleme. E<strong>in</strong>mal waren, heißt es, alle Vorräte<br />
verbraucht. Die <strong>Schule</strong> mußte geschlossen werden. Die Rundschreiben an die Eltern waren fertig,<br />
die Fahrkarten bestellt, die letzten Reisebrote standen vor <strong>der</strong> Schmierung – da kam plötzlich die<br />
Nachricht, soeben sei auf dem Bahnhof e<strong>in</strong> Güterwagen voller Kartoffeln aus <strong>der</strong> Schweiz<br />
angekommen. So wurde <strong>der</strong> <strong>Birklehof</strong> gerettet.<br />
E<strong>in</strong>mal, im Frühjahr 1948, bekam die <strong>Schule</strong> e<strong>in</strong>en größeren Posten Nudeln geschenkt. Statt<br />
diese unvorstellbar wertvolle Delikatesse e<strong>in</strong>zuteilen und über Wochen zu strecken, wurden sie<br />
alle auf e<strong>in</strong>mal gekocht. Uns wurde abends zu unserer unfassbaren Freude gesagt, wir dürften so<br />
viel und so lange essen, wie wir wollten. Ich hielt es bis zehn Uhr aus und schaffte neun sehr<br />
volle Teller.<br />
Doch nun zu den Tugenden. Das Abschreiben wurde mir nach <strong>der</strong> ersten Klassenarbeit durch<br />
sehr ernste Worte von Frau Herchenröther, die mir viel deutlicher als Herrn Pichts festliche Rede<br />
zeigten, was von e<strong>in</strong>em <strong>Birklehof</strong>er erwartet werde, für immer abgewöhnt. Ich habe es erst später<br />
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auf <strong>der</strong> Universität unter vielen Opfern neu lernen müssen, um nicht als unkameradschaftlich zu<br />
gelten.<br />
Sehr zu unserer Besserung trugen die oben genannten Strichlisten bei – sie h<strong>in</strong>gen <strong>in</strong> jedem<br />
Zimmer. Für Vergehen aller Art bekam man je nachdem e<strong>in</strong>en dünnen o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>en dicken Strich<br />
aufgebrummt, den man sich selber e<strong>in</strong>tragen mußte (Ehrlichkeit!). Drei dünne Striche ergaben<br />
e<strong>in</strong>en dicken. Für e<strong>in</strong>en dicken Strich mußte man e<strong>in</strong>e halbe Stunde arbeiten – auf dem<br />
Sportplatz, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kaltküche abtrocknen o<strong>der</strong> - sehr unangenehm – man mußte am Sonntag früh<br />
vor Tagesanbruch mit e<strong>in</strong>em großen Leiterwagen <strong>in</strong>s Dorf o<strong>der</strong> zur Bäckerei Ravenna fahren, um<br />
das Brot für das Frühstück zu holen. Die besten Striche waren die, die man sich für se<strong>in</strong>e Fehler<br />
selbst gab (Wahrhaftigkeit!).<br />
Das System brach schließlich zusammen, weil die Sündenwährung nicht mehr durch Arbeit zu<br />
decken war. Me<strong>in</strong> Zimmer erforschte sich e<strong>in</strong>mal selbst, mit dem Ergebnis, daß je<strong>der</strong> von uns<br />
vier sich dreißig dicke Striche machen mußte.<br />
Für die <strong>Schule</strong> bedeutete das, daß sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Zeit ohneh<strong>in</strong> epidemischer Wahrhaftigkeit alle<strong>in</strong> für<br />
uns sechzig Stunden Strafarbeit bereitzustellen hatte. Das war unmöglich, obwohl h<strong>in</strong>ter dem<br />
Hirschen mit dem Bau e<strong>in</strong>es neuen Sportplatzes begonnen war, eigens, damit wir dort dem<br />
strahlenden Vorbild <strong>der</strong> Vorkriegsbirklehofer folgen, die ja den großen Sportplatz aus Idealismus<br />
ganz alle<strong>in</strong>e geschaufelt hatten (wie es hieß) und unsere Ehre durch Arbeit wie<strong>der</strong>herstellen<br />
konnten. Unter uns rechneten wir: 1 Lore voll Erde = ½ Pfund Ehre.<br />
Große Schwierigkeiten hatte ich mit <strong>der</strong> Ritterlichkeit; ich wusste nicht, wo ich sie e<strong>in</strong>setzen<br />
sollte. Es kann ja auch se<strong>in</strong>, daß es sich bei dieser Tugend um e<strong>in</strong>e nicht ganz treffende<br />
Übersetzung von „andreia“ handelte? – Jedenfalls gab es auf dem <strong>Birklehof</strong> nur wenige Mädchen,<br />
und denen brachte man, sagen wir, An<strong>der</strong>es entgegen. Hanne Paul gegenüber, e<strong>in</strong>em wirklich<br />
beson<strong>der</strong>s hübschen Mädchen, zerfielen die Schüler <strong>in</strong> etwa vier Gruppen: erstens <strong>in</strong> die<br />
Unbeteiligten (ca. 30%), zweitens diejenigen, die Hanne Paul liebten (30%), drittens diejenigen,<br />
die sich um die Mädchen bemühten, die <strong>in</strong> Hanne Pauls Fahrwasser segelten (10%) und viertens<br />
die, die Hanne Paul nicht liebten. Ich tat damals <strong>der</strong> Stimme me<strong>in</strong>es Herzens Gewalt an und<br />
schloß mich, um orig<strong>in</strong>ell zu bleiben, was ja sehr wichtig war, <strong>der</strong> letzten Gruppe an. Das mit den<br />
Mädchen blieb überhaupt immer so e<strong>in</strong> Problem.<br />
E<strong>in</strong>er von uns hat es richtig gemacht. Er setzte sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kirche h<strong>in</strong>ter Hanne und schnitt ihr<br />
e<strong>in</strong> paar Haare ab, sei es, um sich se<strong>in</strong>en Teil an ihr zu sichern, sei es, um e<strong>in</strong>en kle<strong>in</strong>en Handel<br />
aufzumachen. Das wurde entdeckt und natürlich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Hirschenversammlung als<br />
verabscheuungswürdige Untat gebrandmarkt, obwohl es dem Geist <strong>der</strong> Zeit entsprach.<br />
Seit <strong>der</strong> Währungsreform im Juni 1948 hatte nämlich das Leben wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n. Ihretwegen<br />
wurde eigens e<strong>in</strong>e Hirschenversammlung abgehalten, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Herr Herchenröther mit leuchtenden<br />
Augen und diesmal freundlich gebogener Hakennase, wie e<strong>in</strong> orientalischer Märchenerzähler –<br />
e<strong>in</strong>e Rolle, die er ohneh<strong>in</strong> gut beherrschte – berichtete, <strong>in</strong> Freiburg gebe es Kirschen und<br />
Erdbeeren auf dem Markt für 50 Pfennig und Schlagsahne auch – für uns Inbegriff des Friedens.<br />
Ja, sogar <strong>in</strong> H<strong>in</strong>terzarten könne man demnächst wie<strong>der</strong> Brot und Wurst und Zucker kaufen,<br />
soviel man wolle!<br />
Me<strong>in</strong>e Lage auf dem <strong>Birklehof</strong> wurde durch die Währungsreform allerd<strong>in</strong>gs sofort prekär – denn<br />
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wer sollte das Schulgeld bezahlen? Me<strong>in</strong> Vater war ohne Arbeit, die Familie lebte von etwa 200,--<br />
Mark im Monat – aber ich hatte mich so gut e<strong>in</strong>gelebt, daß die Staatsschule e<strong>in</strong> großes Unglück<br />
für mich gewesen wäre. Irgendwie griff <strong>der</strong> <strong>Birklehof</strong> deshalb <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e freilich auch leeren<br />
Taschen und gab mir e<strong>in</strong>e sehr weitgehende Freistelle. E<strong>in</strong>e wohlhabende Tante <strong>in</strong> Amerika und<br />
me<strong>in</strong> Großvater legten etwas dazu; so konnte ich bleiben. Die Großzügigkeit <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> mit<br />
geschäftlicher Solidität verbunden zu haben, war das Verdienst von Herrn Döhmer, <strong>der</strong> nicht<br />
allzu lange nach <strong>der</strong> Währungsreform die Wirtschaftsleitung übernahm.<br />
Auf dem <strong>Birklehof</strong> war es immer <strong>in</strong>teressant, man konnte so viel tun. Ich liebte den Brauch, <strong>in</strong><br />
den voradventlichen Wochen die Zimmer im Wettstreit mit Transparenten, Ampeln, Dioramen,<br />
Krippen und Tonfiguren auszuschmücken. Am Spätnachmittag des ersten Advent war Rundgang<br />
durch den Hirschen, <strong>der</strong> damit begann, daß die Schüler zum Altbirklehof zogen, dort die<br />
Weihnachtsie<strong>der</strong> sangen, um die Familie Picht abzuholen. Am Abend wurden die schönsten<br />
Zimmer ausgezeichnet. Wir waren schon nach den Sommerferien gespannt, wer <strong>in</strong> die Zimmer<br />
kam und ob e<strong>in</strong> großer Künstler dabei wäre. Die Sachen, die wir machten, waren nämlich als<br />
Weihnachtsgeschenk zu Hause sehr beliebt. In me<strong>in</strong>er Familie s<strong>in</strong>d bis heute e<strong>in</strong> paar<br />
Kunstwerke von damals <strong>in</strong> Gebrauch.<br />
Nach dem 1. Advent begannen die Proben für das Weihnachtsspiel, das uns mit se<strong>in</strong>er Liturgie,<br />
se<strong>in</strong>er son<strong>der</strong>baren Sprache, aber auch mit se<strong>in</strong>en <strong>Birklehof</strong>er Blasphemien durch die Jahre<br />
begleitete. Im Weihnachtsspiel habe ich es immerh<strong>in</strong> zum König gebracht. Da war ich ganz oben,<br />
doch „Was hilft <strong>der</strong> hohe Thron, das Zepter und die Kron“? Zwar wurde ich etwas später <strong>in</strong><br />
Hugo Distlers „Totentanz“ noch Kaiser, doch dann g<strong>in</strong>g es abwärts. Auch das Weihnachtsspiel<br />
hat sich nicht halten können. Ich habe es bedauert, als ich hörte, es sei <strong>in</strong> den siebziger Jahren<br />
abgeschafft worden, denn es war e<strong>in</strong> wichtiger Teil <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>. Aber es mußte wohl geschehen,<br />
denn es war zu heilig und deshalb wie alles Heilige dem Spott zu sehr ausgeliefert.<br />
Die Grade, es ernst zu nehmen, waren auch zu me<strong>in</strong>er Zeit schon sehr unterschiedlich: E<strong>in</strong>mal<br />
z. B. hatten e<strong>in</strong>ige Große am letzten Abend vor den Weihnachtsferien die Tannenbäume, die auf<br />
dem Eßsaalpodium als Kulisse für das Krippenspiel aufgestellt waren, auf den Sportplatz<br />
gebracht und e<strong>in</strong> herrliches Feuer angezündet. Die Reaktion: Am nächsten Morgen wurde e<strong>in</strong>e<br />
Schulversammlung e<strong>in</strong>berufen, je<strong>der</strong>, <strong>der</strong> bei dem Feuer mitgemacht hatte o<strong>der</strong> sich auch nur<br />
darüber gefreut hatte, wurde verwünscht, die Schülerselbstverwaltung abgesetzt. In den Ferien<br />
kam e<strong>in</strong> Rundschreiben an alle Familien, <strong>in</strong> dem es hieß, „wir hätten Christus <strong>in</strong> unserem Herzen<br />
verbrannt“.<br />
An<strong>der</strong>erseits ist mir e<strong>in</strong> sehr ehrenwerter <strong>Birklehof</strong>er, dessen Namen ich aber nicht nennen will,<br />
sehr wohl bekannt, <strong>der</strong> jahrelang <strong>in</strong> jede Hauptprobe und jede Aufführung des Weihnachtsspiels<br />
g<strong>in</strong>g, um sich die ganze Zeit vor Lachen zu krümmen.<br />
Bei den Proben zum Weihnachtsspiel 1947 entdeckte Frau Picht me<strong>in</strong>e Unmusikalität. Ich bekam<br />
die Rolle des s<strong>in</strong>genden Hirten Witok entzogen und wurde zum Crispus degradiert (das ist <strong>der</strong>,<br />
<strong>der</strong> dem Herrn „e<strong>in</strong> Zipfel von se<strong>in</strong>em Pelzwerk schenken“ will). Aus dem Chor hatte man mich<br />
wohl schon vorher entfernt. Ich brauchte <strong>in</strong> Zukunft nicht e<strong>in</strong>mal bei <strong>der</strong> Morgenandacht mehr<br />
mitzus<strong>in</strong>gen. E<strong>in</strong> schätzenswertes Privileg, ohne Zweifel; mir wäre allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong>e Sportbefreiung<br />
lieber gewesen.<br />
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Ich sang also nicht, aber verstärkte auch nicht durch das Üben e<strong>in</strong>es Instruments den gräulichen<br />
Lärm, <strong>der</strong> das Leben im Haupthaus jahrelang unerträglich machte. Dabei gab es damals we<strong>der</strong><br />
Fernseher noch Plattenspieler, und Radios waren vernünftigerweise verboten.<br />
Nichts gegen Herrn Segler, nichts gegen Graf Bassewitz, nichts gegen die Chorwochen und<br />
Professor Thomas, nichts gegen Albert Schweitzer, <strong>der</strong> e<strong>in</strong>mal auf <strong>der</strong> armen malträtierten Orgel<br />
im Eßsaal spielte, nichts gegen die Klavierabende von Frau Picht und schon gar nichts gegen<br />
Corellis Weihnachtskonzert – aber diese Welt blieb mir verschlossen. Ich kann bis heute nicht<br />
e<strong>in</strong>mal Noten lesen.<br />
Dafür spielte ich sehr gerne Theater, wozu man auf dem <strong>Birklehof</strong> sehr reichlich Gelegenheit<br />
hatte. „<strong>Der</strong> Neffe als Onkel“ war das erste Stück, das Herr Herchenröther mit uns als<br />
Untertertianern aufführte; es folgten „<strong>Der</strong> Diener zweier Herren“, „<strong>Der</strong> Sommernachtstraum“,<br />
„<strong>Der</strong> Wi<strong>der</strong>spenstigen Zähmung“ und zum Schluß 1954 „Wallenste<strong>in</strong>“ – mit Heilwig Eulenburg<br />
als Marketen<strong>der</strong><strong>in</strong> im „Lager“. <strong>Der</strong> Spielplan war anspruchsvoll. Graf Bassewitz bemerkte nicht<br />
ganz zu Unrecht : „Nächstes Jahr spielen sie den „Faust“ und dann die Bibel.“ – Es ist aber,<br />
glaube ich, beim „Pr<strong>in</strong>zen von Homburg“ und beim „Hamlet“ geblieben.<br />
Sicher war Herr Herchenröther <strong>der</strong> große Theatermann, aber außerdem gab es noch manche<br />
bedeutungsvolle Aufführung von Herrn Goll, z. B. die „Dame Kobold“, den „Nathan“ von<br />
Herrn Haugwitz, die „Antigone“ und Goethes „Iphigenie“ (Picht?) und unter Gräf<strong>in</strong> Eulenburgs<br />
Regie „<strong>Der</strong> Tor und <strong>der</strong> Tod“, „L’avocat Patel<strong>in</strong>“, „Le médec<strong>in</strong> malgré lui“. Ich verfalle<br />
unvermeidlich <strong>in</strong>s Listenhafte und b<strong>in</strong> doch sicher nicht vollständig. Den „Ephidicus“ <strong>der</strong><br />
Platotimen – <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er außerordentlich witzigen Übersetzung – und Thornton Wil<strong>der</strong>s „Kle<strong>in</strong>e<br />
Stadt“, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lehrer und Altbirklehofer spielten, muß ich aber unbed<strong>in</strong>gt noch erwähnen.<br />
Auf <strong>der</strong> Staatsschule war Sport me<strong>in</strong> großes Trauma gewesen. Ich hatte da e<strong>in</strong>en Sportlehrer,<br />
e<strong>in</strong>en kernigen Gesellen, <strong>der</strong> se<strong>in</strong> <strong>in</strong>neres Hakenkreuz noch nicht wie<strong>der</strong> ganz gerade gebogen<br />
hatte, und wenn man bei dem Mann vor Reck, Barren o<strong>der</strong> Pferd Vernunft, das heißt Angst,<br />
gezeigt hatte, wurde man als Feigl<strong>in</strong>g fertiggemacht, geohrfeigt und konnte sicher se<strong>in</strong>, <strong>in</strong> den<br />
nächsten Stunden beson<strong>der</strong>er Aufmerksamkeit ausgesetzt zu se<strong>in</strong>, was wie<strong>der</strong>um das Schwänzen<br />
fast unmöglich machte.<br />
Es war e<strong>in</strong>e Erlösung für mich, als ich bemerkte, daß die Unsportlichen auf dem <strong>Birklehof</strong> e<strong>in</strong>e<br />
große und geachtete M<strong>in</strong><strong>der</strong>heit bildeten. Zwar konnte ich mich dem gefährlichen Hockey<br />
(schnell fliegt die harte Pille; die Gernsbacher hatten damals gerade ihren Torwart erschossen)<br />
und dem noch gefährlicheren Skilauf (<strong>der</strong> Jugend von heute rufe ich zu, daß es jetzt leichter ist,<br />
alle Pisten des Arlbergs abzukratzen, als damals auf ausgemusterten Wehrmachtsskiern den<br />
Furtwängler herabzukommen, von <strong>der</strong> W<strong>in</strong>deck ganz zu schweigen) nicht ganz entziehen, aber es<br />
war doch für die allgeme<strong>in</strong>e Wertschätzung ke<strong>in</strong> Nachteil, wenn man schlecht war <strong>in</strong> Sport.<br />
Die ganz große pädagogische Leistung von Herrn Schneitenberger war es, mich und e<strong>in</strong>ige<br />
an<strong>der</strong>e, physisch bereits recht vergreiste Gestalten am Ende unserer Schulzeit über den Waldlauf<br />
so nahe an den Gedanken <strong>der</strong> leiblichen Ertüchtigung herangeführt zu haben, daß mancher von<br />
uns noch zu e<strong>in</strong>em <strong>in</strong>nerlich zustimmenden Faustballspieler wurde.<br />
Ich besitze die Klassenbücher me<strong>in</strong>es Jahrgangs aus Unter- und Oberprima. Sie s<strong>in</strong>d sehr<br />
ordentlich geführt und zeugen von e<strong>in</strong>em ausdrucksvollen, reichhaltigen, methodisch gut<br />
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aufgebauten Unterricht. Ich b<strong>in</strong> Lehrer und kann das beurteilen. Diese Quellen stehen <strong>in</strong><br />
deutlichem Wi<strong>der</strong>spruch zu dem Bild, das wir uns über unsere Unterweisung zu machen liebten.<br />
Für uns g<strong>in</strong>g es <strong>in</strong> den Klassen genial, wild, abrupt, chaotisch zu, ganz an<strong>der</strong>s jedenfalls als auf<br />
<strong>der</strong> „Staatsschule“ – und doch waren unsere E<strong>in</strong>blicke <strong>in</strong> die Welt des Geistes ungleich klarer<br />
und tiefer als dort. Als e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong> ziemlich mittelmäßiger Schüler flog und auf dem<br />
Bertholdsgymnasium weitermachte, wurde er dort selbstverständlich sofort Klassenbester! –<br />
An<strong>der</strong>erseits: E<strong>in</strong> paar Monate später kam e<strong>in</strong> ziemlich mittelmäßiger Schüler vom<br />
Bertholdsgymnasium auf den <strong>Birklehof</strong> und wurde hier – ebenfalls Klassenbester!<br />
Es wurde <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> viel verlangt. In Sexta f<strong>in</strong>gen wir mit zwei Fremdsprachen – Late<strong>in</strong> und<br />
Französisch – an, <strong>in</strong> Untertertia kam Griechisch dazu. Englisch wurde nur als wahlfreies<br />
Zwangsfach angeboten und stieg erst spät <strong>in</strong> den Rang e<strong>in</strong>es Hauptfaches auf. Ab <strong>der</strong> Mittelstufe<br />
hatten die klassischen Fächer Late<strong>in</strong> und Griechisch wenigstens von den Pr<strong>in</strong>zipien des<br />
<strong>Birklehof</strong>s her e<strong>in</strong> deutliches Übergewicht, aber es gelang e<strong>in</strong>drucksvollen Lehrern, vor allem<br />
Herrn Kunert (Mathematik), aber auch Gräf<strong>in</strong> Eulenburg und Frau Herchenröther (Französisch)<br />
immer wie<strong>der</strong>, den alten Sprachen e<strong>in</strong>ige Beute abzujagen.<br />
Viele Fächer gab es <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Er<strong>in</strong>nerung nicht o<strong>der</strong> kaum. Zeichnen fiel grundsätzlich aus,<br />
Musik meistens. Physik wurde von Herrn Kunert immer wie<strong>der</strong> zur Mathematik geschlagen und<br />
wenn ich nicht wüsste, wegen Chemie e<strong>in</strong>mal fast durchgefallen zu se<strong>in</strong>, würde ich heute wetten,<br />
ich hätte dieses Fach nie gehabt.<br />
In Biologie haben wir wenigstens den Karpfen (zweimal), die Seewalze und die Seegurke gelernt,<br />
weiter h<strong>in</strong>auf konnte man auch deshalb nicht, weil das Schulgerippe (echt!, ke<strong>in</strong> Plastik) schon<br />
früh ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>gegangen war. <strong>Der</strong> Schädel verlieh Wolfgang Kahnts Bücherschaft e<strong>in</strong>e<br />
faustische Note und ist dann wohl mit ihm zusammen abgegangen; die Hände dienten den<br />
Eßsaalwartenden als Amtssymbol und Gerät zur Beruhigung aufgeregter Kle<strong>in</strong>er; die<br />
Oberschenkelknochen waren als Waffen sehr beliebt, und hie und da kam es wohl vor, daß e<strong>in</strong>er<br />
von uns bei Tisch e<strong>in</strong>en Hüftknochen aus <strong>der</strong> Tasche zog und daran nagte, um gegen irgende<strong>in</strong><br />
Essen zu protestieren, denn wir waren, kaum war die schlechte Zeit vorbei, ganz schön<br />
anspruchsvoll geworden.<br />
E<strong>in</strong>mal bekam, ich glaube, Karl He<strong>in</strong>z Bohrer, zur Strafe den Auftrag, das Schulgerippe wie<strong>der</strong><br />
zuammenzustellen. Es glückte ihm aber nur die Montage e<strong>in</strong>es dreibe<strong>in</strong>igen, kopflosen Monsters,<br />
das für den Unterricht schlechth<strong>in</strong> ungeeignet war. E<strong>in</strong> guter Freund von mir, pietätvoller<br />
<strong>Birklehof</strong>er auch er, bewahrt noch heute ger<strong>in</strong>ge Reste des Gerippes <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Wohnung auf.<br />
Würde man sie mit ansprechendem Fleisch umkleiden, ergäbe es e<strong>in</strong> Wesen von <strong>der</strong> Größe e<strong>in</strong>es<br />
Hamsters.<br />
Auch bei <strong>der</strong> Erwähnung wichtiger und wichtigster Lehrer muß ich listenhaft bleiben. Welche<br />
Liebe, welche Leidensfähigkeit brachte uns Frau Schelzig <strong>in</strong> unseren K<strong>in</strong><strong>der</strong>jahren entgegen,<br />
denn wir waren sehr böse! Wie oft for<strong>der</strong>te sie uns vergeblich auf, doch guten Willens zu se<strong>in</strong>!<br />
Was wäre unsere Mathe ohne Fräule<strong>in</strong> Matthes, unser Late<strong>in</strong> ohne Herrn Nierhaus und den<br />
ernsthaften Herrn Venske gewesen? Gab es etwas Unterhaltsameres als den Geschichtsunterricht<br />
von Herrn Goll? - Im Deutschunterricht bei Frau Moriz durften wir Gedichte schreiben, bei<br />
Herrn Kle<strong>in</strong>stück dagegen, den wir etwa <strong>in</strong> Obersekunda und lei<strong>der</strong> nur ganz kurz hatten, g<strong>in</strong>g es<br />
um etwas erhabenere Literatur. Ich mußte da jedenfalls mal e<strong>in</strong>en Aufsatz über den „Tristan“<br />
o<strong>der</strong> den „Parzival“ (nicht über das „Nibelungenlied“, damit hatten wir schon Frau Alexan<strong>der</strong><br />
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erledigt) schreiben, was ich nicht konnte; daraufh<strong>in</strong> bekam ich ersatz- und strafweise die<br />
„Göttliche Komödie“ verpaßt, doch auch sie war zuviel für mich. Schließlich gab mir Herr<br />
Kle<strong>in</strong>stück e<strong>in</strong>e gewaltige Ohrfeige, und damit war die Weltliteratur des Mittelalters für mich<br />
bewältigt.<br />
Unsere Lehrer waren meistens ke<strong>in</strong>e Lehrer. Gräf<strong>in</strong> Eulenburg zum Beispiel hatte <strong>in</strong> den ersten<br />
Kriegszeiten ihren Mann verloren. Nun lebte sie mit ihren zwei Töchtern auf dem <strong>Birklehof</strong>,<br />
unterrichtete <strong>in</strong> vielen Klassen Französisch und war Hauserwachsene bei den Mädchen. – Gräf<strong>in</strong><br />
<strong>Schule</strong>nburgs Mann war nach dem 20. Juli h<strong>in</strong>gerichtet worden. Sie mußte sich mit 6 K<strong>in</strong><strong>der</strong>n<br />
durchschlagen; o<strong>der</strong> Herr Fritzsche: Er war nach dem 20. Juli <strong>der</strong> Verhaftung entgangen, dann<br />
aber <strong>in</strong> russische Kriegsgefangenschaft geraten; als er nach se<strong>in</strong>er Entlassung nach Deutschland<br />
zurückkam, starb se<strong>in</strong>e Frau; noch mit dem umgearbeiteten Offiziersrock bekleidet, f<strong>in</strong>g er auf<br />
dem <strong>Birklehof</strong> als Deutsch- und Geschichtslehrer an, gab auch nebenbei Zeichenunterricht,<br />
malte, dichtete - musizieren konnte er nicht mehr, se<strong>in</strong>e rechte Hand war zu zerschossen – und<br />
war Hauserwachsener bei den Großen im Haupthaus. Herr Wiesner hatte wie Herr Till se<strong>in</strong>e<br />
Professur durch den Zusammenbruch verloren, Herr Kunert war Schulleiter gewesen, Graf<br />
Bassewitz hatte e<strong>in</strong>ige Güter besessen ... Irgendwie hatte es Herr Picht verstanden, immer wie<strong>der</strong><br />
Leute an den <strong>Birklehof</strong> zu ziehen, die uns als Persönlichkeiten ungeheuer bee<strong>in</strong>druckten. Herr<br />
Picht selbst gehörte ohne Zweifel auch zu ihnen, denn es verriet unglaubliche Kühnheit, als<br />
junger Mann unmittelbar nach dem Krieg e<strong>in</strong> Bildungsprogramm zu entwickeln und e<strong>in</strong>e <strong>Schule</strong><br />
neu zu gründen, die sich seither natürlich so verän<strong>der</strong>t hat, daß von den programmatischen<br />
Ansätzen <strong>der</strong> Anfangszeit möglicherweise nicht mehr viel lebendig geblieben ist, die aber doch<br />
soviel Lebenskraft besitzt, daß sie bis heute für ganze Generationen von jungen und schon gar<br />
nicht mehr so jungen Leuten e<strong>in</strong>e zweite Heimat geworden ist.<br />
Die Bed<strong>in</strong>gungen, unter denen viele von unseren Lehrern arbeiteten, waren wenig luxuriös. Herr<br />
Fritzsche, <strong>der</strong> oben erwähnte, wohnte anfangs im Irrendorf, jenem Zimmer im<br />
Haupthausmittelstock, das nur über den Vorraum zu Dusche und Klo zugänglich ist, und das<br />
se<strong>in</strong>en Namen zu Recht trug o<strong>der</strong> vielleicht noch trägt. Später durfte er <strong>in</strong>s sogenannte<br />
Westzimmer umziehen, wo er e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong> beson<strong>der</strong>es Erlebnis hatte: Nach e<strong>in</strong>er Fasch<strong>in</strong>gsfeier<br />
hatte er sich zu Bett gelegt und war auch am folgenden Tag bis Mittag noch nicht wie<strong>der</strong><br />
aufgestanden. Schließlich g<strong>in</strong>g Thomas Jersch mal <strong>in</strong>s Zimmer, um zu schauen, was mit Herr<br />
Fritzsche los war. Er machte die Tür auf – wodurch Herr Fritzsche erwachte – näherte sich dem<br />
Bett, schaute näher h<strong>in</strong>, rief den Leuten auf dem Gang zu: „Er st<strong>in</strong>kt schon!“ und g<strong>in</strong>g wie<strong>der</strong><br />
h<strong>in</strong>aus. „So ist das also,“ sagte sich Herr Fritzsche, „wenn man hier plötzlich stirbt!“<br />
Daß unsere Lehrer unter diesen Umständen die Kraft – Ruhe gab es auf dem <strong>Birklehof</strong> nie –<br />
gefunden haben, e<strong>in</strong>en hervorragenden Unterricht zu halten, zu korrigieren – hier bewies nur<br />
Herr Picht e<strong>in</strong>e gewisse Fahrlässigkeit: e<strong>in</strong>e Herodotarbeit unserer Klasse muß noch heute<br />
unzensiert im Olymp liegen – Mentorenberichte zu schreiben, Sonntagsdienst zu machen,<br />
Abendfeiern zu halten, Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaften zu leiten, Theater zu spielen, Reisen und<br />
Wan<strong>der</strong>ungen zu planen und zu machen, muß als wun<strong>der</strong>bar bezeichnet werden.<br />
Die größten Wan<strong>der</strong>ungen machte Herr Kunert. Er war <strong>der</strong> Me<strong>in</strong>ung, daß <strong>der</strong> Mensch erst an<br />
den Grenzen se<strong>in</strong>er Leistungsfähigkeit zum Menschen werde.<br />
In Mathematik hatte er den größten Teil me<strong>in</strong>er Klasse sehr bald weit über diese Grenze<br />
weggeführt, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Bereich, wo wir <strong>in</strong> Angst und irrem Staunen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er ebenso klaren wie<br />
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unverständlichen Welt umhertaumelten. Ageometretoi s<strong>in</strong>d wir gekommen, ageometretoi s<strong>in</strong>d wir<br />
gegangen. Zum Schluß waren die Schlechtesten <strong>der</strong> Klasse so wenig <strong>in</strong> die kristall<strong>in</strong>en Sphären<br />
<strong>der</strong> Mathematik vorgedrungen, daß sie noch zu erkennen vermochten, wie leicht die<br />
Abituraufgaben waren und folglich sehr gute Noten schrieben. Im Abitur , wohlgemerkt; im<br />
allgeme<strong>in</strong>en galt e<strong>in</strong> Vierer als unerhörtes Glück.<br />
Außer Mathematik eignete sich <strong>in</strong> Herrn Kunerts Augen Bergsteigen und Wan<strong>der</strong>n zur<br />
Selbsterfahrung. So machten wir mit ihm e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>e Wan<strong>der</strong>ung über gut und gerne 50<br />
Kilometer, von H<strong>in</strong>terzarten nach Zell im Wiesental. Von Zell nach Todtnau benutzten wir die<br />
damals noch existierende dampfbetriebene Schmalspurbahn. Während <strong>der</strong> Fahrt entstand <strong>in</strong><br />
unseren Glie<strong>der</strong>n so schrecklicher Muskelkater, daß wir kaum den Zug, geschweige denn den<br />
Bahnhof verlassen konnten. Herr Kunert aber trieb uns recht an, denn wir mußten nun ganz<br />
schnell auf <strong>der</strong> Chaussee die 12 Kilometer auf den Feldbergsattel laufen, um dort den letzten Bus<br />
nach Bärental zu erwischen.<br />
Am nächsten Morgen kam Herr Kunert <strong>in</strong> die Klasse und sagte, wobei jener e<strong>in</strong>zigartige<br />
sirenenhaft s<strong>in</strong>gende Unterton, <strong>der</strong> se<strong>in</strong>e Worte immer begleitet, diesmal Anerkennung sowohl<br />
als auch unheilvolle Zufriedenheit verriet: „Und nun schreiben wir e<strong>in</strong>e Mathematikarbeit.“<br />
Wir liebten Herrn Kunert sehr. Er war geheimnisvoll, spielte gelegentlich abends im Eßsaal ganz<br />
alle<strong>in</strong>e und – wie Sachverständige behaupten – sehr schön Klavier; außerdem brachte er oft sehr<br />
schlechten Mathematikern erstaunlicherweise sehr große Sympathien entgegen.<br />
Wer ihm se<strong>in</strong>e Zuneigung zeigen wollte, brachte ihm nach Tisch se<strong>in</strong>e Nachspeise, denn er hatte<br />
e<strong>in</strong>e deutliche Vorliebe für Süßspeisen. Weil sich um ihn oft solche Mengen von Kompotten,<br />
Pudd<strong>in</strong>g und Gallerten sammelten, daß selbst er sie nicht bewältigen konnte, wünschten sich<br />
Schüler, die so etwas auch gerne mochten – und die merkwürdigerweise vielfach schlechte<br />
Mathematiker waren – zu ihm an den Tisch. Herr Kunert gehörte zu den Lehrern, die unsere<br />
Phantasie immerfort beschäftigen und von dem immerfort neue Anekdoten und Aussprüche <strong>in</strong><br />
Umlauf kamen. Ich b<strong>in</strong> <strong>der</strong> festen Überzeugung, daß die Kunertmythologie auch heute noch <strong>in</strong><br />
Altbirklehofer Kreisen ihre Blüten treibt.<br />
Dabei sprach Herr Kunert nur ganz selten über sich. Nur e<strong>in</strong> autobiographischer Ausspruch lebt,<br />
soweit ich sehe, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Überlieferung fort. Er lautet: „Herr Till und ich waren <strong>in</strong> <strong>der</strong>selben Klasse.<br />
Er war immer <strong>der</strong> Beste, ich <strong>der</strong> Zweitbeste. E<strong>in</strong>mal ist Herr Till e<strong>in</strong>e Klasse gesprungen. Da b<strong>in</strong><br />
ich zwei Klassen gesprungen!“<br />
Was Wun<strong>der</strong>, wenn solche Leute nicht ganz realistische Vorstellungen von <strong>der</strong> Leistungsfähigkeit<br />
e<strong>in</strong>es durchschnittlichen Schülers hatten? Ich b<strong>in</strong> jedenfalls me<strong>in</strong> Leben lang <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Birklehof</strong>er<br />
Bildung herumgeschwommen wie <strong>in</strong> viel zu großen Galoschen. Immerh<strong>in</strong> habe ich später<br />
Altphilologie studiert, um wenigstens <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Teilbereich e<strong>in</strong> bisschen nachzulernen, was mir<br />
natürlich nicht gelungen ist, wenn man e<strong>in</strong>mal davon absieht, daß die Sache mich heute leidlich<br />
ernährt.<br />
Herrn Till hatten wir während <strong>der</strong> letzten Jahre <strong>in</strong> Late<strong>in</strong>, nachdem die Klasse vorher von Herrn<br />
Wiesner sehr gründlich <strong>in</strong> alle Gebiete <strong>der</strong> Archäologie, beson<strong>der</strong>s aber <strong>in</strong> die Geheimnisse des<br />
alten Etruriens e<strong>in</strong>geweiht worden war. Er hat bei vielen von uns nicht nur im Unterricht – <strong>in</strong><br />
dem <strong>der</strong> böse Catil<strong>in</strong>a freilich nur obenh<strong>in</strong> ausgemerzt werden konnte – son<strong>der</strong>n auch <strong>in</strong> vielen<br />
46
Vorträgen und Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaften e<strong>in</strong> bis heute lebendiges Interesse für antike Kunst und<br />
Geschichte geweckt und dabei doch so solide Kenntnisse vermittelt, daß ich seither alle<br />
Teilexam<strong>in</strong>a <strong>in</strong> diesen Bereichen ohne jede eigene Anstrengung mit „Sehr gut“ bestanden habe.<br />
Herr Till dagegen, jener vir vere Romanus, führte uns <strong>in</strong> die klassische Römische Literatur e<strong>in</strong>,<br />
mit unendlicher Sorgfalt, Genauigkeit und Ernsthaftigkeit, wogegen sich manche, zumal ich,<br />
lange und hartnäckig mit Ironie, Spott und Faulheit zu wehren versuchten. Es g<strong>in</strong>g aber <strong>in</strong><br />
se<strong>in</strong>em Late<strong>in</strong>unterricht um mehr als um Grammatik, AcI’s und unregelmäßige Verben – es war<br />
<strong>der</strong> Kampf <strong>der</strong> virtus gegen die vitia. Ich will, um nicht aufs Eigenlob zu verfallen, nicht geradezu<br />
behaupten, daß die vitia die Schlacht verloren hätten, muß aber doch zugeben, daß Herrn Tills<br />
menschliches Vorbild – bei aller Verschiedenheit des Wesens, <strong>der</strong> Interessen und <strong>der</strong> E<strong>in</strong>stellung<br />
zu den D<strong>in</strong>gen – mich auf dem <strong>Birklehof</strong> am meisten bee<strong>in</strong>druckt hat. Es mag vielleicht auch am<br />
Fach gelegen haben, denn mir sche<strong>in</strong>t, ohne daß ich es genau belegen kann, daß zwischen dem<br />
Late<strong>in</strong> und <strong>der</strong> Kunst richtig zu leben und zu sterben e<strong>in</strong> Zusammenhang besteht.<br />
Herr Till ist, wie man gehört hat, gestorben wie e<strong>in</strong> stoischer Weiser; daß er sich vom strengen<br />
Lehrer zum heiteren, menschenfreundlichen Philosophen verän<strong>der</strong>t hatte, war me<strong>in</strong> E<strong>in</strong>druck auf<br />
<strong>der</strong> 20. Abiturfeier me<strong>in</strong>er Klasse im Jahr 1975, die er – an<strong>der</strong>s als Herr Kunert – noch miterlebt<br />
hat, und bei <strong>der</strong> wir alle ihm noch e<strong>in</strong>mal unsere tiefe Dankbarkeit und Zuneigung zeigen<br />
konnten.<br />
Es ist traurig, daß schon so viele von unseren alten Lehrern gestorben s<strong>in</strong>d, Herr Peters, Herr<br />
Klöter, Herr Herchenröther, Herr Kunert und, wie gesagt, Herr Till und lei<strong>der</strong> auch Pfarrer<br />
Fischer, dem gerade unsere Klasse beson<strong>der</strong>s herzlich zugetan war, nicht zuletzt deshalb, weil er<br />
uns <strong>in</strong> schlechten Zeiten gelegentlich abends zu kräftiger Kartoffelsupp’ e<strong>in</strong>lud. Im Übrigen war<br />
er es, <strong>der</strong> nach dem Krieg mit den Reisen anf<strong>in</strong>g. Erst g<strong>in</strong>g es 1949 nach Breisach, wobei schon<br />
dieser heutzutage nahe, damals aber unendlich entlegene Ort das für ihn typische Zielpaar bot:<br />
das Christliche <strong>in</strong> Gestalt des Schnitzaltars im Münster und den Rhe<strong>in</strong> zum Schwimmen. Pfarrer<br />
Fischer liebte es, wo immer es g<strong>in</strong>g, zu baden – die extremste Stelle, an die ich mich jetzt<br />
er<strong>in</strong>nere, war <strong>der</strong> Punkt, wo mitten <strong>in</strong> <strong>der</strong> st<strong>in</strong>kenden und unre<strong>in</strong>lichen Stadt Lyon Rhone und<br />
Saone zusammenfließen, e<strong>in</strong> schon damals von <strong>der</strong> Umwelthygiene her höchst bedenklicher Platz<br />
– und dann im Wasser möglichst viele Opfer grausamlich zu tunken. Auch wi<strong>der</strong>spenstigen<br />
Geme<strong>in</strong>demitglie<strong>der</strong>n konnte es im Adlerbad passieren, daß sie plötzlich zur Strafe für ihre<br />
Sünden vom „Popen“ angetaucht und ziemlich lange unter Wasser festgehalten wurden.<br />
1950 fuhren wir mit ihm nach Alpirsbach, 1951 nach Lugano – se<strong>in</strong>erzeit e<strong>in</strong> exotisch fernes Ziel<br />
– 1952 nach Cluny und Citeaux, nie um <strong>der</strong> re<strong>in</strong>en Lust willen, son<strong>der</strong>n stets auf <strong>der</strong> Suche nach<br />
dem Christentum und – Badeplätzen. In Alpirsbach forschten wir nach <strong>der</strong> Hirsauer Reform, <strong>in</strong><br />
Lugano nach dem Urchristentum, das im „Baptischterium“ von Riva San Vitale e<strong>in</strong>e Spur<br />
h<strong>in</strong>terlassen hatte, <strong>in</strong> Burgund ließen wir konsequent alle kunsthistorischen Sehenswürdigkeiten<br />
l<strong>in</strong>ks liegen – was sicher nicht e<strong>in</strong>mal falsch war, denn selbst e<strong>in</strong> hochmotivierter Jugendlicher<br />
verkraftet pro Tag nur e<strong>in</strong> ger<strong>in</strong>ges Quantum romanischer Kirchen – und strebten direkt dem<br />
Geist von Cluny und Citeaux zu. Auch hatten wir im Kofferraum außer Zelten, Decken, den<br />
Lebensmitteln samt dem Brot, dem Proviantgepäck immer auch mehrere Kartons voller Bibeln<br />
und Gesangbücher mit, die allerd<strong>in</strong>gs nie benutzt wurden, weil <strong>der</strong> Pfarrer vor Tisch mit dem<br />
Kochen beschäftigt war und wir danach <strong>in</strong> geeigneten Bächen das fettige Plastikgeschirr sauber<br />
zu machen hatten, was immer sehr lange dauerte.<br />
47
Herrlich war die Provencefahrt mit Herrn Till, auch die Aostafahrt soll sehr gelungen gewesen<br />
se<strong>in</strong>, die schönste Reise aber, die ich vom <strong>Birklehof</strong> aus gemacht habe, war die legendäre, von<br />
Herrn Schneitenberger veranstaltete Donaufahrt, die hier nicht beschrieben werden kann, aber<br />
doch erwähnt werden muß. Die ganze Expedition – an<strong>der</strong>s kann man es kaum bezeichnen – auf<br />
zwei riesigen, aus rohem Fichtenholz gezimmerten Kähnen von Ulm nach Regensburg gäbe e<strong>in</strong><br />
sehr gutes Drehbuch für e<strong>in</strong>en Abenteuerfilm ab. Spannend war auch die Rückkehr. In<br />
Regensburg hatte Herr Schneitenberger nach langer Rechenarbeit herausgebracht, daß noch etwa<br />
200,-- Mark übrig waren. Daraufh<strong>in</strong> erlaubte er e<strong>in</strong>igen von uns, früher abzufahren, um <strong>in</strong><br />
München irgendwelche Verwandte zu besuchen. In Augsburg sollten wir zwei Tage später wie<strong>der</strong><br />
zur Gruppe stoßen, was auch geschah. In <strong>der</strong> Zwischenzeit aber hatte Herr Schneitenberger<br />
weitergerechnet und lei<strong>der</strong> entdecken müssen, daß <strong>der</strong> Überschuß <strong>in</strong> Wahrheit gar nicht<br />
existierte. Was also tun? Es wurde e<strong>in</strong> Gruppenkarte für die e<strong>in</strong>e Hälfte von uns gekauft. Die<br />
an<strong>der</strong>e mußte sich immer so im Zug verteilt halten, daß sie dem Schaffner nicht auffiel – für<br />
ehrliche <strong>Birklehof</strong>er ke<strong>in</strong>e leichte Aufgabe <strong>in</strong> den schon damals schwach belegten Dreiwagen-<br />
Eilzügen von Ulm nach H<strong>in</strong>terzarten. In H<strong>in</strong>terzarten durfte nur e<strong>in</strong> Teil ordnungsgemäß durch<br />
die Sperre den Bahnhof verlassen, wir an<strong>der</strong>en hatten Befehl, den Zug auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite zu<br />
verlassen und uns durchs Moor davonzumachen.<br />
<strong>Der</strong> <strong>Birklehof</strong> nannte sich, wenn ich mich recht er<strong>in</strong>nere, „christlich“ und „humanistisch“. Das<br />
Christentum wurde, wie man sieht, vor allem durch Pfarrer Fischer sehr lutherisch und nicht<br />
ohne gewaltsam-wie<strong>der</strong>täuferische Züge vertreten, wenn ich se<strong>in</strong>e Neigung zum Baden richtig<br />
<strong>in</strong>terpretiere, <strong>der</strong> Humanismus aber lag <strong>in</strong> sehr vielen guten Händen. Doch gab es hier weiße<br />
Flecken auf <strong>der</strong> geistigen Landkarte. In me<strong>in</strong>er Klasse z. B. blieb das Griechische trotz des<br />
mannhaften E<strong>in</strong>satzes ganzer Phalangen vorzüglicher Lehrer wie Herrn Till, Herrn Petersen,<br />
Fräule<strong>in</strong> Mignat, Herrn Klemm, Herrn Kuhlmann, Herrn Weidauer, um nur e<strong>in</strong>ige zu nennen,<br />
bis zum Schluß Notstands-, ja geradezu Missionsgebiet.<br />
Schließlich verließ sogar Herr Picht den Olymp, um die D<strong>in</strong>ge bei uns zu ordnen. Ich denke an<br />
se<strong>in</strong>e Versuche nicht ohne Sympathie zurück: Durch <strong>in</strong>tensive Gespräche – die Musik se<strong>in</strong>er<br />
Sprache war ebenso unbeschreiblich und denkwürdig wie die Herrn Kunerts – führte er uns <strong>in</strong><br />
die „Antigone“ und den „Gorgias“ e<strong>in</strong>, me<strong>in</strong>end, auch nicht ganz zu unrecht, uns so für den<br />
griechischen Geist entzündet zu haben. Bald aber mußte er feststellen, daß uns zur eigentlichen<br />
Lektüre e<strong>in</strong>fach die nötigen Sprachkenntnisse fehlten, für Herrn Picht e<strong>in</strong> schier unbegreifliches<br />
Phänomen, doch stellte er sich darauf e<strong>in</strong> und ritt schwere Attacken vermittels <strong>der</strong><br />
Konditionalsätze, die aber nie siegreich waren, weil von uns niemand e<strong>in</strong>sehen wollte, weshalb<br />
man zwischen ei und Optativ und ean mit Konjunktiv e<strong>in</strong>en Unterschied machen sollte, wenn<br />
man es mit den gleichen Worten übersetzen konnte. In solchen Stunden malte sich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en<br />
sonst so sokratischen Zügen matte Enttäuschung – es waren die Zeiten, <strong>in</strong> denen er die später so<br />
berühmte Bildungskatastrophe entdeckte – aber er fand schließlich immer wie<strong>der</strong> den Weg<br />
zurück zu bedeutungsvollen Ausführungen über Platon.<br />
Banausen hatten dabei die Zeit, die von Herrn Picht beim Pfeifenrauchen pro Stunde<br />
verbrauchten Streichhölzer zu zählen. <strong>Der</strong> Durchschnitt soll zwischen 30 und 35 Stück gelegen<br />
haben.<br />
Daß die Klasse das Griechischabitur am Ende doch ganz leidlich bestand, hatte sie auch e<strong>in</strong>er<br />
Intensivkur durch den damals ganz jungen und neuen Herrn Weidauer zu verdanken, <strong>der</strong> uns<br />
48
meisterhaft <strong>in</strong> die Topographie des antiken Syrakus e<strong>in</strong>führte und uns wenigstens so weit brachte,<br />
daß wir griechische Verbformen mit e<strong>in</strong>er Treffsicherheit von 85 bis 90 % raten konnten.<br />
Wenn man sehr viele Ratten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en engen Käfig sperrt, werden sie böse und gereizt; am Ende<br />
töten sie sich. Wenn diese Ratten Menschen s<strong>in</strong>d, besteht die Möglichkeit, daß sie unter dem<br />
Druck äußeren Verhältnisse und um zu überleben, nach den angenehmen Eigenschaften ihrer<br />
Artgenossen suchen, wodurch die e<strong>in</strong>en veranlaßt werden, ihre guten Seiten herauszukehren, die<br />
an<strong>der</strong>en, die guten Seiten ihrer Gefährten zu sehen, was am Ende auf e<strong>in</strong>e allgeme<strong>in</strong>e<br />
Verbesserung <strong>der</strong> Charaktere h<strong>in</strong>ausläuft. Etwa <strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>ne ist das Experiment <strong>Birklehof</strong><br />
gelungen, und <strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>ne fühle ich mich den Ratten von damals bis heute <strong>in</strong> herzlicher<br />
Geme<strong>in</strong>schaft zugetan. Ich muß aber zum Schluß betonen, daß es mir lei<strong>der</strong> nie gelungen ist, e<strong>in</strong><br />
guter <strong>Birklehof</strong>er zu werden. Ohne mich nun entschuldigen zu wollen, möchte ich doch fast<br />
behaupten, daß <strong>der</strong> gute <strong>Birklehof</strong>er <strong>in</strong> den Bereich <strong>der</strong> platonischen Ideen gehört und vielleicht<br />
später mal <strong>in</strong> das Höhlengleichnis e<strong>in</strong>gebaut werden sollte. Immerh<strong>in</strong> hoffe ich, nicht umsonst<br />
e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>ige Jahre unter e<strong>in</strong>em übergroßen Maßstab gelebt zu haben. Es fällt mir wenigstens<br />
nicht schwer, e<strong>in</strong> treuer <strong>Birklehof</strong>er zu bleiben.<br />
49
Erwachsene (2004)<br />
Gerbert Hübner/Veronika Knöpfle<br />
___________________________________________________________________________<br />
Agor, Hermann, etwa 1957 bis 1958, Lehrer (Late<strong>in</strong> / Deutsch ?); Hauserwachsener im<br />
Internatsbereich über <strong>der</strong> Turnhalle<br />
Alexan<strong>der</strong>, ..., Lehrer<strong>in</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Nachkriegszeit</strong> Deutsch, Englisch<br />
Alexan<strong>der</strong>, ..., 1951, Lehrer für Englisch, auch Geschichte<br />
Alvermann, Hildegard, Dr., 1944, Lehrer<strong>in</strong> Deutsch, Geschichte, Late<strong>in</strong>, Hausmutter<br />
Arnim, Clara von, 1959 bis 1962, Hauserwachsene / Erzieher<strong>in</strong> Mädchen 1.9.1959 bis<br />
30.4.1962<br />
Arzt, ..., ab Herbst 1949, Hauserwachsener und Platon - Archiv<br />
Bassewitz, Verena Gräf<strong>in</strong> von, 1952 bis 1959, Hauserwachsene/Erzieher<strong>in</strong> Mädchen<br />
Bassewitz, Albrecht Graf von, 1950, Musiklehrer / Hauserwachsener - Musik am <strong>Birklehof</strong><br />
Bechert, ..., Lehrer / Hauserwachsener (?) <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Nachkriegszeit</strong><br />
Bell, ..., 1952, Sportlehrer? - organisierte die Schul-Skimeisterschaften 1952 (mit Funk-<br />
Zeitnahme)<br />
Berg, ..., Lehrer für Sport i.d .<strong>Nachkriegszeit</strong><br />
Böhler, Georg, 1939 bis 1947, Lehrer für Sport und Griechisch<br />
Bös<strong>in</strong>g, Richard, 1959 bis 1986, Internatsleiter<br />
Bös<strong>in</strong>g, Margarete, 1959 bis 1986, Frau von Internatsleiter Richard Bös<strong>in</strong>g,<br />
Hauserwachsene/Lehrer<strong>in</strong><br />
Bredow, Rudolf von, 1958 bis 1959, Lehrer für Zeichnen, Werken, Kunst<br />
Brocks, ..., nach 1950, Hauserwachsene bei den Kle<strong>in</strong>en im Hirschen / K<strong>in</strong><strong>der</strong>frau<br />
Brokmeier, Wolfgang, ... , Aushilfe Platon-Archiv und erwachsener Gast, <strong>der</strong> Aufgaben <strong>in</strong><br />
<strong>Schule</strong> und Internat übernahm<br />
Bullrich, Vera, 1933 bis 1950, Hauserwachsene, Krankenquartier (1933-44) und <strong>Nachkriegszeit</strong><br />
Busam, Me<strong>in</strong>rad, 1959 bis 1960, Stud. Ass. / Lehrer : Griechisch, Late<strong>in</strong>, Deutsch vom<br />
12.1.1959 bis 7.4.60<br />
Busse, Hans K., Dr. phil., 1950 bis m<strong>in</strong>d. 1955,M<strong>in</strong>isterialrat a.D., Deutsch- und<br />
Geschichtslehrer, Hauserwachsener<br />
Carlowitz, ... von, ... bis 1955, im Krankenrevier tätig<br />
Casewell, Peter, etwa 1956 bis 1958 a.d. <strong>Schule</strong> für e<strong>in</strong> Jahr, Englän<strong>der</strong>,<br />
Ciapagl<strong>in</strong>i, Mario, Prof. Dr., 1957 bis 1958, Lehrer für Late<strong>in</strong>, Französisch, Englisch, Italienisch<br />
vom 10.9.1957 bis 31.3.1958 und u.a. Hauserwachsener im Birkenhäuschen<br />
Classen, Carl-Joachim, Prof. Dr., Apr. bis Okt.1949, Hauserwachsener, zugl. Platon-Archiv<br />
de Jong, Lammert Bareld, 1961, Lehrer und Hauserwachsener vom 15.9. bis 31.12.61<br />
Griechisch<br />
Dehio, ..., 1955, Mathematiklehrer und Hauserwachsener im Saalbau<br />
Diener, ..., 1952 bis 1953, Hauserwachsene im Hirschen<br />
Döhmer, Hans, 1959 bis 1979, Wirtschaftsleiter/Geschäftsführer<br />
Dönnges, Ulrich, 1960, Referendar Deutsch und Late<strong>in</strong>, 22.9.-12.1960,<br />
Dör<strong>in</strong>g, Lita von, 1953 bis 1965, 1.10.1953 bis 1.5.1959 Leiter<strong>in</strong> <strong>der</strong> Hauswirtschaft, auch<br />
Hausdame; ab 1.5.<strong>1963</strong> Leiter<strong>in</strong> des Mädchen<strong>in</strong>ternats bis 1965 ??<br />
Egge, Hans Peter, 1961, Lehrer Ostern-31.10.61 Deutsch und Geschichte<br />
Ehm, Ehrhart, <strong>1963</strong>, Vertretung von Herrn Prange 15.10.-20.12.63<br />
Engelhardt, ..., Dr., ...? bis 1962,Vikar, Religionslehrer<br />
50
Eulenburg, Adelheid Gräf<strong>in</strong> zu, Lehrer<strong>in</strong> Französisch / Hauserwachsene Mädchen i.d.<br />
<strong>Nachkriegszeit</strong><br />
Feldmann, ..., ...? bis <strong>1963</strong>, Lehrer / Hauserwachsener<br />
Fischer, Herbert, spät. ab 1948 bis 1967, ev. Pfarrer von H<strong>in</strong>terzarten, Rel. Lehrer<br />
Flashar, Hellmut, Prof. Dr., 1952 bis 1956, (1952 und dann wie<strong>der</strong> von 1954 bis 1956)<br />
Assistent am Platon-Archiv mit gelegentlichen Unterrichtsverpflichtungen<br />
Fleischhauer, Barbara, <strong>1963</strong> bis 1964, Lehrer<strong>in</strong> für Sport 1.1.63 bis 25.3.64<br />
Floris, …, Anfang 50er Jahre, (Name evtl. auch Flores ?) Late<strong>in</strong>lehrer<br />
Floss, Albrecht, 1959, Lehrer für Mathematik und Physik 1.1.59-31.12.59<br />
Frey, ..., etwa 1950, Lehrer für Französisch (großer Handballspieler)<br />
Friedensburg, Ferd<strong>in</strong>and R. H., Dr. jur., hat 1945 Herrn Wendelstadt geholfen, den <strong>Birklehof</strong><br />
von <strong>der</strong> franz. Besatzung frei zu kriegen und die Erlaubnis zur Wie<strong>der</strong>eröffnung zu bekommen.<br />
Fritzsche, Hans-Karl, Dr.phil., etwa 1950 bis 1954, Geschichte/Deutsch/Kunst-Lehrer,<br />
Germanist, auch Hauserwachsener im Haupthaus, Anf.-Unterricht Englisch (später - 1955 -<br />
persönlicher Referent von Eugen Gerstenmaier),<br />
Fritzsche, Helga, 1953 bis 1955, Hauserwachsene i.Hirschen, Schwester von Hartmut von<br />
Hentig,<br />
Gadebusch, Hildegard, 1962, Hauserwachsene / Krankenstation / Lehrer<strong>in</strong> ?<br />
Gäng, ..., katholischer Pfarrer <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Nachkriegszeit</strong> / Religionsunterricht<br />
Gerharz, Curt, 1959 bis 1992, Musiklehrer 15.4.59 bis 31.7.92 ; Mann von Annelotte Wenzel<br />
Geyer, ..., Sommer 1954, Senior im Hirschen<br />
Goll, Helmut, Dr., 1938 bis 1952, Lehrer (1938-1944 und <strong>1946</strong>-1952) Geschichte, Deutsch,<br />
Late<strong>in</strong><br />
Goll, Liselotte, 1940, Lehrer<strong>in</strong>; Hauserwachsene im Saalbau<br />
Graupe, Bernhard, 1957 bis 1962, Lehrer für Chemie von 17.1.57 bis 6.9.62<br />
Grosse, Otto Karl, ab 1953, Kl. 6,32-12,39; Hausmeister<br />
Grosse, Karl, 1932 bis 1952, Chauffeur von Hans Wendelstadt und Hausmeister 1932-44 u.<br />
<strong>1946</strong>-52<br />
Grü<strong>der</strong>, Gerhardt, Dr., 1949 bis 1953, Platon-Archiv; Hauserwachsener, später Lehrer für<br />
Late<strong>in</strong> bis Juni 1953, später Klett-Verlag<br />
Grüner, Eberhard, 1954 bis 1973, Lehrer für Late<strong>in</strong> und Griechisch<br />
Güde, Friedrich, 1959, Referendar 17.9.-17.12.59; Tätigkeit im Internat, Unterricht Deutsch<br />
Haddon, Michael John, B.A., 1959 bis 1960, Lehrer für Französisch, Deutsch 10.9.59- 31.8.60<br />
Hansen, Jens Godber, Dr., 1953 und 1956, am Platon-Archiv und nebenher Lehrer<br />
Hauck, Marie-Luise, 1962 bis <strong>1963</strong>, Hauserwachsene, Leiter<strong>in</strong> Mädchen<strong>in</strong>ternat Wolffsburg<br />
Mai 1962 bis Frühjahr <strong>1963</strong><br />
Haugwitz, ..., Dr., 1949 bis 1951, Lehrer für Deutsch und Geschichte, Klassen-Lehrer<br />
<strong>der</strong> Kl. 13,51<br />
He<strong>in</strong>rich, Kätchen, <strong>1946</strong> bis 1972, Mitarbeiter<strong>in</strong> Hauswirtschaft (Bügelstube)<br />
Hentig, Hartmut von, Prof. Dr., 1953 bis 1955, Lehrer für Griechisch am <strong>Birklehof</strong>;<br />
Hauserwachsener im Saalbau<br />
Hentrich, Anneliese, 1951 bis 1983, Sekretär<strong>in</strong> <strong>der</strong> Geschäftsführung/Schulsekretariat<br />
Herchenröther, Hildegard, Dr., 1935 bis 1991, Lehrer<strong>in</strong> Englisch, Französisch 1935-40<br />
und <strong>1946</strong>-91<br />
Herchenröther, Ludwig, Dr., 1936 bis 1974, Stud.-Ass. 1936-1938, Erdkunde/Naturkunde/<br />
Mathematik/Physik/Chemie –Lehrer, Mai <strong>1946</strong>-31.7.1974<br />
Hermann, ..., Name evtl. auch Herrmann; neben Frau Wittig Hauswirtschaftsleiter<strong>in</strong><br />
<strong>Nachkriegszeit</strong><br />
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Hermel<strong>in</strong>k, ..., Dr., ca. 1950 bis 1952, Lehrer für Physik<br />
Hermes, Eberhard, Dr., Sommer, 1949, Altphilologe; Platon-Archiv und Hauserwachsener<br />
Heßberg, Mechtild Frei<strong>in</strong> von, Praktikant<strong>in</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Nachkriegszeit</strong><br />
Hippe, ..., <strong>Nachkriegszeit</strong>, i.d. Hauswirtschaft tätig bei Fr. von Dör<strong>in</strong>g<br />
Höfer, ..., 1951, Referendar o<strong>der</strong> Platonstudent, gab Late<strong>in</strong>unterricht<br />
Huss, Mart<strong>in</strong>, 1935 bis 1947, Religionslehrer am <strong>Birklehof</strong> von 1935 - 1947 und ev. Pfarrer <strong>in</strong><br />
H<strong>in</strong>terzarten<br />
Jantzen, Erich, 1949 bis 1950(?), Altphilologe, Hauserwachsener (W<strong>in</strong>ter 1949-50 o<strong>der</strong> Sommer<br />
1950) Platon-Archiv<br />
Kaiser, Herrmann, <strong>1946</strong> bis 1954, Koch, Sohn von Friedrich Kaiser<br />
Kaiser-Dieckhoff, Hans, 1947 bis 1950 o<strong>der</strong> länger?, Sport-Lehrer, gab auch Biologie,<br />
genannt Düsen-Kayser<br />
Kalckreuth, Dietrich Graf, 1956 bis 1959, evtl. auch ab 1952 ?, Hauserwachsener und Lehrer<br />
vom 1.6.56-Herbst 59<br />
Keller, ..., Lehrer / Hauserwachsener <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Nachkriegszeit</strong><br />
Kerl, Erich, Dr., 1962 bis <strong>1963</strong>, Lehrer für Englisch, Deutsch 1.5.62 bis 5.4.63<br />
Kiel, Friedrich-Wilhelm, 1960, Referendar v. 22.9.-23.12.60 Physik, Mathematik, Sport<br />
Klawitter, Erika, 1959 bis 1960, Assessor<strong>in</strong>, Lehrer<strong>in</strong> Englisch, Biologie 1.4.59-31.3.60<br />
Kle<strong>in</strong>, Edith, 1950 bis 1955,<br />
Kle<strong>in</strong>stück, Johannes, Prof. Dr., ca. 1947 bis 1950, Lehrer für Late<strong>in</strong>, Griechisch, Englisch,<br />
auch für Deutsch; (gab auch mittelalterliches Deutsch) danach Prof. für Anglistik <strong>in</strong> Hamburg<br />
Klemm, Wolfgang, Lehrer für Griechisch i. d. <strong>Nachkriegszeit</strong><br />
Kless<strong>in</strong>ger, Johann, 1948 bis 1950, Lehrer für Kunst<br />
Klimeck, ..., Lehrer i. . <strong>Nachkriegszeit</strong><br />
Klöter, Hermann, Dr., 1950 bis 1958, Lehrer Deutsch und Geschichte, vor allem auch<br />
Griechisch<br />
Knaak, Jens, 1951, Platon-Archiv; auch (Haus)Erwachsener im Hirschen<br />
Köberle, Barbara, 1959 bis 1960, Hauserwachsene/Leiter<strong>in</strong> Mädchen<strong>in</strong>ternat 1.4.59 bis<br />
Ostern 1960<br />
Körte, Christian, 1948 bis 1949, Kl. 5,38-11,44, Hauserwachsener im Hirschen, Aushilfe im<br />
Sekretariat, Nachhilfe Mathematik, Mathematiklehrer, Hockeyspiel, Wochenend-<br />
Unternehmungen (bis 1952); Neffe zu Baron<strong>in</strong> von Wolff ;<br />
Krienitz, Moritz, Dr., 1962, Lehrer für Late<strong>in</strong>, Griechisch, Propädeutik vom 1.5.-31.10.62<br />
Krohberger, Ferd<strong>in</strong>and, 1959 bis 1986, Kunst-Lehrer<br />
Krohberger, Erika, 1959 bis 1988,Ehefrau von Ferd<strong>in</strong>and Krohberger, Handarbeitslehrer<strong>in</strong><br />
Kruse, Erich, ab Herbst 1954 bis ...?, Kunstlehrer am <strong>Birklehof</strong><br />
Kullmann, Wolfgang, Prof.Dr., 1951 bis 1958, Erster Assistent am Platon-Archiv und<br />
Aushilfslehrer für Griechisch; heute Emeritus für Klassische Philologie<br />
Kunert,Dietmar, Dr., Mathematik-/Physiklehrer <strong>in</strong> den Nachkriegsjahren, Mann von Renate<br />
Kunert<br />
Kunert, Renate, Lehrer<strong>in</strong> für Chemie i.d. <strong>Nachkriegszeit</strong>; Frau von Dietmar Kunert<br />
Lehmann, Annegret, 1961 bis ... ?, Gymnastikstunden für Schüler und Hausangestellte<br />
L<strong>in</strong>demann, Helmut, Dr. jur., 1961 bis 1962, Schulleiter vom 1.7.61 bis Jan. 62; Lehrer für<br />
Late<strong>in</strong> und Griechisch<br />
Lock, Gerhard, 1959 bis 1962, Lehrer für Deutsch, Geschichte<br />
Looser, Monika, 1952 bis 1954, Hauserwachsene im Hirschen, Kunsterziehung (freiwillig)<br />
(zu Kl. 13,58)<br />
52
Majer-Leonhard, Ernst, Dr.,1958 bis 1959, Lehrer Griechisch, Late<strong>in</strong> vom 27.4.58<br />
bis Ostern 59<br />
Martens, ..., Platon-Student, auch (Haus)Erwachsener im Hirschen<br />
Matthes, Hildegard, <strong>1946</strong> bis 1952, Jan. <strong>1946</strong> bis März 1952 Mathe-/Sport-/Physik-/Biologie-<br />
/Erdkunde-Lehrer<strong>in</strong>; dann zurück i.d. Staatsdienst an das Droste-Gymnasium, Freiburg<br />
Meier, Leo, 1960 bis 1962, Lehrer für Griechisch Mittelstufe 1.11.60-30.4.62<br />
Meyer-Krahmer, Hellmut, <strong>1946</strong> bis m<strong>in</strong>d. 1948, Hauserwachsener Haupthaus, Platon-Archiv<br />
Mignat, ..., Dr., Lehrer<strong>in</strong> für Griechisch i.d. <strong>Nachkriegszeit</strong><br />
Moritz, Andreas, Lehrer für Kunst (ägyptische Kunst lt. Fr. Schütze-Bergengruen) nach dem<br />
Krieg, Ehemann von Frau Berta Moritz geb. Siebeck<br />
Moritz, Berta, Prof. Dr., 1939 bis 1953, Lehrer<strong>in</strong> für Deutsch, Englisch u. Französisch und<br />
Hauserwachsene, Ehefrau von Andreas Moritz, genannt Rebecca.<br />
Müller, Hans Dieter, 1956 bis 1958, Hauserwachsener und Lehrer<br />
Nicolas, ... , Lehrer für Französisch i.d. <strong>Nachkriegszeit</strong><br />
Niemeyer, Hella, Sommer <strong>1946</strong> bis 1952, Sekretär<strong>in</strong> Direktion/Schulsekretariat, auch<br />
Bibliothek<br />
Nierhaus, Rolf, Dr., <strong>1946</strong>, genannt Kaegi, Late<strong>in</strong>-/Griechisch-Lehrer<br />
Partikel, Dorothea, <strong>1946</strong> bis 1953, Hauserwachsene im Saalbau, Krankenschwester<br />
Schwester <strong>der</strong> Baron<strong>in</strong> von Wolff<br />
Perrigault, Annick, 1958 bis 1959, Lehrer<strong>in</strong> Französisch 3.11.58 - 26.7.59<br />
Peters, Theodor, Prof. Dr., <strong>1946</strong> bis 1950, Mathematik-/Physiklehrer/Hauserwachsener bei den<br />
großen Jungen<br />
Peters, Gabriele, 1951 bis 1964, Hauserwachsene April 1951 bis 1.8.1964, Ehefrau von Prof.<br />
Theodor Peters<br />
Petersen, Botho, Dr., Lehrer Griechisch und auch Geschichte i.d. <strong>Nachkriegszeit</strong>, später Salem<br />
Petrenz, Siegfried, <strong>1946</strong> bis 1948, Lehrer für Musik<br />
Pfeil, Elise Gräf<strong>in</strong> von, <strong>1946</strong> bis 1947, Hauswirtschaftsleiter<strong>in</strong><br />
Picht, Georg, Prof. Dr., 1940 bis 1955, Schulleiter und Lehrer Alte Sprachen<br />
Picht-Axenfeld, Edith, Prof., 1940 bis 1944, Musiklehrer<strong>in</strong> und nach dem Krieg<br />
Pistor, Hans-Henn<strong>in</strong>g, Dr., 1962 bis 1972, Lehrer Late<strong>in</strong>, Geschichte und Hauserwachsener<br />
1.5.62-31.7.72<br />
Plath, ..., Platon-Archiv<br />
Popp, Ruth, 1962 bis <strong>1963</strong>, Hausdame 1.11.62-31.3.63<br />
Prange, He<strong>in</strong>z Volker, 1956 bis 1969, Lehrer d. Oberprimaner (Kl. 13) für Deutsch, Late<strong>in</strong>,<br />
Französisch, Erzieher/Hauserwachsener im "Hirschen" 1956-31.7.1969<br />
Pufpaff, Ewa-Maria, 1960 bis 1962, Erzieher<strong>in</strong>/Hauserwachsene Mädchen-Internat 1.5.60-<br />
31.12.62<br />
Rath, Tamara, etwa 1950 bis 1954, Viol<strong>in</strong>-/Klavierlehrer<strong>in</strong><br />
Reiß, Hans-Detlev, 1959 bis 1965, Lehrer 2.9.59-31.4.65 Late<strong>in</strong>, Griechisch, Geschichte<br />
Rieken, Erika, 1959 bis 1962<br />
Rose, Annick, 1957 bis 1958, Assistent<strong>in</strong> Französisch-Unterricht 1.9.57-30.6.58<br />
Rübens, Annemarie, ca. 1953 bis 1954, Hauserwachsene, geb. 1901<br />
Sandvoß, Ernst, Dr., 1960 bis 1961, Lehrer Griechisch, Late<strong>in</strong>, Geschichte 2.5.60-29.3.61<br />
Sauer, L<strong>in</strong>de von, 1950 bis 1977, Schulsekretariat<br />
Sauerland, He<strong>in</strong>z, Prof. Dr., 1949 bis 1959, Lehrer Biologie, Mathematik, Chemie 1.5.49-<br />
30.4.59<br />
Saul, He<strong>in</strong>rich-Alfons, 1959 bis 1960, Lehrer Mathematik und Physik (bis Ostern 1960)<br />
Schaub, Hellmut, ab 1953 bis ?, Architekt am <strong>Birklehof</strong><br />
53
Schelzig, Edw<strong>in</strong>a, 1944 bis 1948, Lehrer<strong>in</strong> Deutsch, Biologie, Englisch, Mathematik, Late<strong>in</strong><br />
Schliephake, Uta, 1960 bis 1960, Lehrer<strong>in</strong> Late<strong>in</strong>, Geschichte, 2.5.-1.6.60<br />
Schmidt, Adolf, 1955 bis 1956, Herbsttrimester, Klassenlehrer <strong>der</strong> damaligen Untersekunda<br />
Schnei<strong>der</strong>, Eva, Dr., 1961 bis 1962, Lehrer<strong>in</strong> vom 9.1.61-30.4.62 Griechisch, Late<strong>in</strong>, Deutsch<br />
Schneitenberger, Kurt, 1952 bis 1982, Sportlehrer 1.6.52-31.7.82<br />
Schnorr, ..., 1949/50, Im Bereich Hauswirtschaft o<strong>der</strong> Hauserwachsene? (überwiegend im<br />
Hirschen Kl. 5-8)<br />
Schnurr, Günther, 1962 bis <strong>1963</strong>, 1.5.62-5.4.63<br />
Schramm, Gottfried, Prof. Dr., ca. 1950 bis 1952, Lehrer am <strong>Birklehof</strong> (Indogermanisch)<br />
<strong>Schule</strong>nburg, Charlotte Gräf<strong>in</strong> von <strong>der</strong>, spätestens 1949 bis 1953, Hauserwachsene im Saalbau<br />
und Birkenhäuschen/Wolffsburg; Lehrer<strong>in</strong> für Englisch, Deutsch, Geographie<br />
Schulz, Herbert, 1959, Pfarrer / Lehrer Ostern - 31.7.59<br />
Schulz, Leonore, 1952 bis 1981, Lehrer<strong>in</strong> Deutsch/Geschichte 1.5.52-31.7.81<br />
Schulze Dietrichsfeld, Herta, 1954 bis 1954, i.d. Hauswirtschaft/Küche<br />
Schwart<strong>in</strong>g, Jutta, 1955 bis 1956 (?), Musikunterricht privat, Chor/Kurrende<br />
Schwarzmüller (vormals Kle<strong>in</strong>stück), Gudrun, 1947 bis 1949, Aushilfs-Lehrer<strong>in</strong> alte<br />
Sprachen<br />
Segler, Helmut, 1948 bis 1950, Lehrer für Musik (später Odenwaldschule)<br />
Seidel, Wolfram, 1961, Referendar Kunst und Sport 10.1.- Ostern 61<br />
Seyfarth, Erich, Dr. gymn. Prof., 1935 bis 1949(?), Deutsch, Englisch, Geschichte, 1935-39<br />
auch m<strong>in</strong>d. 1947-49<br />
Simon, Friedrich, Dr., 1947 bis 1949 o<strong>der</strong> 1950, Lehrer für Late<strong>in</strong> und Griechisch<br />
Specht, Lore von, Praktikant<strong>in</strong> (unter Gräf<strong>in</strong> Pfeil) <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Nachkriegszeit</strong><br />
Stetefeld, Artur, ab 3.6.1938, während des Krieges und i. d. <strong>Nachkriegszeit</strong> Handwerker,<br />
Küchen- u. Haushelfer<br />
Thomas, Kurt, Prof., Freund <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> über 30 Jahre, veranstaltete Chorwochen<br />
Till, Rudolf, Prof. Dr., 1949 bis 1959, Lehrer f. Late<strong>in</strong> / Griechisch; Ehemann v. Hildegard Till<br />
Till, Hildegard, Dr., 1952 bis 1959, Lehrer<strong>in</strong> Late<strong>in</strong>, Griechisch, Deutsch, Ehefrau von<br />
Prof. Rudolf Till<br />
Trautmann, Werner, 1962 bis 1964, Lehrer Geschichte, Geme<strong>in</strong>schaftskunde, Deutsch 1.5.62-<br />
25.3.64<br />
Venske, Mart<strong>in</strong>, Dr., ca. 1948 bis 1950, Late<strong>in</strong>-/Griechischlehrer, später Oberschulrat <strong>in</strong><br />
Münster<br />
Wahle, ..., Lehrer für Biologie, Erdkunde i.d. <strong>Nachkriegszeit</strong><br />
Wald, Wolf G., 1959 bis 1987, Lehrer Sept. 59 bis Dez. 78<br />
Wedel, Barbara von, 1960 bis 1966, Erzieher<strong>in</strong> / Hauserwachsene ab 15.4.60<br />
Wegel, Herbert, Dr., 1955 bis 1958 Lehrer für Mathematik und Physik und Hauserwachsener<br />
im Saalbau<br />
Weidauer, Klaus, Dr., 1956 bis 1990, vorher am Platon-Archiv, Lehrer 1956-<strong>1963</strong>, 1985-1990<br />
Late<strong>in</strong> / Griechisch und Schulleiter von <strong>1963</strong>-85<br />
Weiler, Eugen, Pfarrer, kath. Pfarrer <strong>in</strong> H<strong>in</strong>terzarten (Rel. Lehrer am <strong>Birklehof</strong> ab 60er-Jahre ?)<br />
Wendelstadt, Maria, 1935 bis 1940, Tochter <strong>der</strong> Baron<strong>in</strong> Wolff, später Mitarbeiter<strong>in</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Buchhaltung (Kl. 5,32-12,40)<br />
Wendelstadt, Hans, Dr., Eigentümer / Mitbegrün<strong>der</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>, Geschäftsführer n.d. Krieg<br />
Westphal, Olga, 1933 bis 1957, Musik-/Klavierlehrer<strong>in</strong>, 1933-43 und <strong>1946</strong>-57<br />
Wetzel, Hermann Josef, 1934 bis <strong>1946</strong>, kath. Pfarrer <strong>in</strong> H<strong>in</strong>terzarten von Mai 1934 bis April<br />
<strong>1946</strong>; Religionslehrer am <strong>Birklehof</strong>, danach Pfarrer <strong>in</strong> Mannheim<br />
54
Wiesner, Joseph (Jupp), Prof. Dr., 1949 bis m<strong>in</strong>d. 1955, Late<strong>in</strong>lehrer nach dem Krieg, auch<br />
Griechisch und Archäologe, zeitw. Hauserwachsener im Hirschen<br />
Wilckens, Annemarie, Anfang <strong>1946</strong> bis 1954 (?), Schulsekretariat, die ersten Monate auch<br />
Direktionssekretär<strong>in</strong>, Mutter von Ulrich, Hans und Uwe Wilckens<br />
Wilckens, Hans, Bru<strong>der</strong> von Ulrich und Uwe Wilckens / ehem. Vikar, Religion- und<br />
Late<strong>in</strong>lehrer i.d. <strong>Nachkriegszeit</strong><br />
Witte, Adolf, Prof., 1960 bis <strong>1963</strong>, Lehrer und Hauserwachsener 15.4.60-31.3.63<br />
Wittig, ..., ab Sommer 1947 bis ?, Hauswirtschaftsleiter<strong>in</strong><br />
Witzgall, Ursula, 1.10.1958 bis ... ?, Hauserwachsene<br />
Wojaczek, Günther, 1960, Lehrer für Late<strong>in</strong> und Griechisch 12.1.-7.4.60<br />
Wolff, Edith Freifrau von, 1932 bis 1952, Mitbegrün<strong>der</strong><strong>in</strong> / Schulträger<strong>in</strong> des <strong>Birklehof</strong>s<br />
Eigentümer<strong>in</strong>, Wirtschaftliche Leitung des <strong>Birklehof</strong>s 1933, 1932-1952 Lehrer<strong>in</strong> für neue<br />
Sprachen<br />
Wülf<strong>in</strong>g, Peter, Prof. Dr., 1948 bis 1950, im Platonarchiv gearbeitet, während des Studiums<br />
Griechisch-Unterricht gegeben<br />
55
Theater auf dem <strong>Birklehof</strong> nach <strong>1946</strong> (2003)<br />
Gerbert Hübner<br />
Ich habe versucht zu rekonstruieren, welche Theaterstücke im <strong>Birklehof</strong> von <strong>1946</strong> bis 1954<br />
aufgeführt wurden. Zum Teil war es auch möglich, die Namen <strong>der</strong> Schauspieler<strong>in</strong>nen und<br />
Schauspieler herauszuf<strong>in</strong>den. Vom Oberuferer Weihnachtsspiel und den diversen dar<strong>in</strong><br />
mitwirkenden Josephs und Marias, Sterndeutern, Filigratianen, Heroden und Teufeln soll hier<br />
weiter nicht die Rede se<strong>in</strong>.<br />
Die großen Regisseure waren Herr Goll und Herr Herchenröther, aber auch Gräf<strong>in</strong> Eulenburg<br />
und sogar Herr Picht brachten e<strong>in</strong>iges auf die Bühne. E<strong>in</strong>e <strong>der</strong> ersten Inszenierungen, an die ich<br />
mich er<strong>in</strong>nere, war die von Herrn Picht e<strong>in</strong>studierte „Antigone“ des Sophokles, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ro<strong>der</strong>ich<br />
Fuhrmann den bl<strong>in</strong>den Teiresias spielte, <strong>der</strong> vom Robert Picht geführt wurde (1948). Herr Picht<br />
war es wohl auch, <strong>der</strong> die „Iphigenie“ von Goethe mit Cora von Weizsäcker <strong>in</strong> <strong>der</strong> Titelrolle als<br />
Freilichtaufführung brachte. Außerdem spielten mit: Claus Schroe<strong>der</strong>, Fritz von Moltke,<br />
Wolfgang Kahnt, Jan Simons.<br />
Herr Goll <strong>in</strong>szenierte „Die Helden“ von Shaw (<strong>1946</strong>), den „E<strong>in</strong>gebildeten Kranken“ von<br />
Molière, „Leonce und Lena“ (Büchner), „Dame Kobold“ (Lope de Vega) und von Shakespeare<br />
„Was ihr wollt“ und am 21.2.1950 die „Komödie <strong>der</strong> Irrungen“. Die Aufführung von<br />
Beaumarchais „Figaros Hochzeit“ lässt sich genauer rekonstruieren. Es wirkten mit<br />
56<br />
als Graf Almaviva.......................... Peter Wülf<strong>in</strong>g<br />
Figaro......................................... Wolfgang Kahnt<br />
Cherub<strong>in</strong>.................................... Eberhard von Krosigk<br />
Marcell<strong>in</strong>e.................................. Sigrid Illert<br />
Antonio (Gärtner).................... Hartmut Vogelsang<br />
Richter........................................ Mart<strong>in</strong> Spitta<br />
Gräf<strong>in</strong>......................................... Britta von Reichenau<br />
Susanne...................................... Feo von Sachsen Me<strong>in</strong><strong>in</strong>gen<br />
Dr. Bartolo................................ Dieter Brennscheidt (Pappchi)<br />
Basilio......................................... Hans Dieter Fiedler<br />
Hannchen, s. Tochter.............. Martha Liegle<br />
Schreiber................................... Hermann Heimpel<br />
Ferner wirkten mit (hier s<strong>in</strong>d schon e<strong>in</strong>ige Leute dabei, die später bei He grosse Bühnen-<br />
Karrieren machen sollten): Udo Müller-Wirth, Hans Bauch, Hanne Paul, Dorothee Josephy,<br />
Brigitte Hufennüssler, Jeanette von Cube, Peter von Blomberg, Michael Wegner, Peter<br />
Brockmeier, Hansjörg Braun<br />
Herr Herchenröther führte überwiegend mit Schülern <strong>der</strong> Klasse, die <strong>1946</strong> als Sextaner begonnen<br />
hatten, zum Pf<strong>in</strong>gsttreffen <strong>der</strong> Altbirklehofer 1950 den „Neffen als Onkel“ von Picard <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Übersetzung von Schiller und 1951 den Goldonischen "Diener zweier Herrn" auf. Ich er<strong>in</strong>nere<br />
mich nur noch an die schönen Bühnendekorationen von Herrn Fritzsche und daran, dass ich als<br />
Truffald<strong>in</strong>o am Ende Hanne Paul, die die Zofe spielte, heiraten durfte, worum mich sicher viele<br />
beneideten.
1950 <strong>in</strong>szenierte Herr Haugwitz mit Schülern <strong>der</strong> Oberklasse „Nathan den Weisen“. Unvergessen<br />
bleibt, wie Karl-He<strong>in</strong>z Bohrer, <strong>der</strong> ganz kurzfristig für den erkrankten Darsteller des<br />
Tempelherrn e<strong>in</strong>spr<strong>in</strong>gen musste, die Rolle bewältigte. Natürlich konnte er <strong>in</strong> zwei, drei Tagen<br />
den Text nicht mehr lernen. So spielte er denn, <strong>in</strong>dem er mit e<strong>in</strong>em Reclamheft <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hand, aus<br />
dem er se<strong>in</strong>en Text las, übrigens großartig, und immer wenn e<strong>in</strong>e Seite fertig war, riss er sie<br />
heraus und warf sie mit großer Geste von sich.<br />
1951 spielten die Platotomen, allen voran Herr Knaak und Herr Jantzen zusammen mit e<strong>in</strong> paar<br />
Schülern, darunter Michele Zuckmayer, Monika Graebner (Eto) und James, den „Epidicus“ des<br />
Plautus <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er sehrt witzigen Neuübertragung auf.<br />
E<strong>in</strong>e große Sache war die Aufführung des „Sommernachtstraumes“ anlässlich des Elterntages<br />
1952. Sie fand vor e<strong>in</strong>er romantischen Felsenkulisse l<strong>in</strong>ks des Weges statt, <strong>der</strong> vom Hirschen zur<br />
Ravennaschlucht führt. Es war zum Glück e<strong>in</strong>e warme Sommernacht, sodass we<strong>der</strong> die<br />
Zuschauer noch die Instrumente zu leiden hatten, auf denen die Prucellsche Schauspielmusik<br />
unter Leitung von Graf Bassewitz gespielt wurde. Karl-He<strong>in</strong>z Bohrer war <strong>der</strong> Oberon, Feo die<br />
Titania, Roger Dengler, James, Christoph Zenck u.a. spielten die Handwerker, Stipsi war die<br />
Hermia.<br />
<strong>Der</strong> Höhepunkt des <strong>Birklehof</strong>er Theaterspielens war aber ohne Zweifel die Aufführung von<br />
Thornton Wil<strong>der</strong>s „E<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Stadt“ Pf<strong>in</strong>gsten 1952. Es hieß damals <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Besprechung: „Es<br />
war e<strong>in</strong>e eigentümliche und gut zusammenpassende Geme<strong>in</strong>schaft aus Lehrern, Schülern,<br />
Altbirklehofern und an<strong>der</strong>en Erwachsenen, die zum <strong>Birklehof</strong> gehören. Für die Nachwelt sollen<br />
hier die auf <strong>der</strong> Bühne sichtbar Mitwirkenden festgehalten bleiben:<br />
<strong>Der</strong> Spielleiter(und Regisseur)........................... Jürg Zutt Altbirklehofer<br />
Doctor Gibbs....................................................... Dr. Kle<strong>in</strong>stück Lehrer<br />
Mrs. Gibbs............................................................ Gräf<strong>in</strong> <strong>Schule</strong>nburg Lehrer<strong>in</strong><br />
George Gibbs...................................................... Georg Kuhn Altbirklehofer<br />
Beky Gibbs .......................................................... Monika Broekmann Schüler<strong>in</strong><br />
Mr. Webb.............................................................. Dr. Herchenröther Lehrer<br />
Mrs. Webb............................................................ Frau Kle<strong>in</strong>stück<br />
Emily Webb......................................................... Michele Zuckmayer Schüler<strong>in</strong><br />
Wallace Webb...................................................... Adi Sievek<strong>in</strong>g Schüler<br />
Joe Crowell jun. ............................................….. Christof Müller-Wirth Altbirklehofer<br />
Howie Newsome ................................................ Andreas Wendelstadt-Picht Altbirklehofer<br />
Prof. Willard......................................................... Karl-He<strong>in</strong>z Bohrer Schüler<br />
Simon Stimson..................................................... Peter Hemmerich Altbirklehofer<br />
Polizist Warren.................................................... Herr Grü<strong>der</strong> Lehrer<br />
Joe Stoddard........................................................ Herr Plath Platotom<br />
Mr. Carter............................................................. Dr. Fritzsche Lehrer<br />
Von <strong>der</strong> Aufführung von „<strong>Der</strong> Wi<strong>der</strong>spenstigen Zähmung“ am Elterntag , 26. Juli 1953, hat sich<br />
ebenfalls e<strong>in</strong> Personenverzeichnis erhalten:<br />
E<strong>in</strong> Lord........................................................................................... Jürgen Zahn<br />
Christoph Schlau, e<strong>in</strong> betrunkener Kesselflicker....................... Dietmar Schimmels<br />
57
Wirt<strong>in</strong>............................................................................................... Christiane Eiffert<br />
Pagen und Bedienstete des Lords................................................ Christian Heimpel, Lutz<br />
von Wangenheim, Matthias<br />
Brandi-Dohrn<br />
Baptista, e<strong>in</strong> reicher Edelmann aus Padua ................................ Peter von Blomberg<br />
V<strong>in</strong>centio, e<strong>in</strong> alter Edelmann aus Pisa....................................... Dietrich Schulz<br />
Lucentio, V<strong>in</strong>centios Sohn, Liebhaber <strong>der</strong> Bianca.................... Gero von Gersdorff<br />
Petrucchio, Edelmann aus Verona, Kathar<strong>in</strong>ens Freier........... Gerbert Hübner<br />
Gremio u. Hortensio, Biancas Freier ...............................…..... Jürgen Zahn, Michael Wegner<br />
Tranio, Biondello, Lucentios Diener.................………….….. Jens Mommsen, Thomas. Jersch<br />
Grumio, Curtis, Petrucchios Diener...................………….…. Ulrich Huber, Hans-H. Neumann<br />
E<strong>in</strong> Magister, <strong>der</strong> den V<strong>in</strong>centio vorstellen soll........................ Hellmut Kle<strong>in</strong><br />
Kathar<strong>in</strong>a, die Wi<strong>der</strong>spenstige......................................... ............ Odile Monier<br />
Bianca, ihre Schwester................................................................... Irene Lubnow<br />
Schnei<strong>der</strong> u. Putzhändler.............................................................. Cornelius Werhahn<br />
Bediente des Baptista und des Petrucchio.................................. Ra<strong>in</strong>er Ed<strong>in</strong>ger, Hans. .Ch. Walter,<br />
Kurt Dö<strong>der</strong>le<strong>in</strong><br />
E<strong>in</strong>e Witwe...................................................................................... Ingelore Bublitz<br />
Regie: Ludiwg Herchenröther, Bühnenbild: Monika Looser, Beleuchtung: Fritz Rechberg,<br />
Kostüme: Gertrud Wahlig<br />
<strong>Der</strong> Unterricht und Ähnliches kam während <strong>der</strong> Vorbereitungszeit zu <strong>der</strong>art personal<strong>in</strong>tensiven<br />
Stücken natürlich zu kurz. Noch tiefer <strong>in</strong>s schulische Geschehen griff <strong>der</strong> Wallenste<strong>in</strong> e<strong>in</strong>, <strong>der</strong><br />
zum Elterntag 1954 im Haupthaushof aufgeführt wurde.<br />
Wallenste<strong>in</strong>s Lager<br />
Wachtmeister................................................................................ Lutz Schwandner<br />
Trompeter....................................................................................... Michael Frowe<strong>in</strong><br />
Konstabler....................................................................................... Hellmut Stoltz<br />
Scharfschütze.................................................................................. Peter Hector<br />
1. Jäger........................................................................................... H<strong>in</strong>ni Hastedt<br />
2. Jäger........................................................................................... Michael Klett<br />
Dragoner.......................................................................................... Andreas Laarmann<br />
Arkebusier....................................................................................... Jürgen von Kruedener<br />
1. Kürassier................................................................................... Michael Munte<br />
2. Kürassier................................................................................... Re<strong>in</strong>hard Till<br />
Kroat................................................................................................ Olaf Schottmüller<br />
Ulan.................................................................................................. Klaus Brandi<br />
Rekrut............................................................................................... Peter Mückenberger<br />
Bürger............................................................................................... Klaus Toeche-Mittler<br />
Bauer................................................................................................ Helmut Fischer<br />
Bauernknabe................................................................................... Knut Lüttke<br />
Kapuz<strong>in</strong>er........................................................................................ Adolf Sievek<strong>in</strong>g<br />
Soldatenschulmeister.................................................................... Dieter Barth<br />
Marketen<strong>der</strong><strong>in</strong>................................................................................. Heilwig zu Eulenburg<br />
Aufwärter<strong>in</strong>..................................................................................... Ellen Marckwort<br />
Soldaten aus dem Heere Wallenste<strong>in</strong>s, Soldatenjungen etc.<br />
58
Wallenste<strong>in</strong>s Tod<br />
Wallenste<strong>in</strong>, Herzog zu Friedland.. ............................................. Peter von Blomberg<br />
Octavio Piccolom<strong>in</strong>i, Generalleutnant .......................……...... Georg Rössler<br />
Max Piccolom<strong>in</strong>i, Oberst.............................................................. Gero von Gersdorff<br />
Graf Terzky, Chef mehrerer Regimenter................................... Jürgen Zahn<br />
Illo, Feldmarschall.......................................................................... H<strong>in</strong>ner Bauch<br />
Isolani, General <strong>der</strong> Kroaten........................................................ Helmut von Achten<br />
Buttler, Chef e<strong>in</strong>es Dragonerregiments...................................... Gerbert Hübner<br />
Rittmeister Neumann, Terzkys Adiutant.................................... Lutz Schwandner<br />
Oberst Wrangel, schwedischer Gesandter................................. Dieter Schulze zur Wiesche<br />
Gordon, Kommandant von Eger................................................ Robert Picht<br />
Major Gerald<strong>in</strong>, Hauptm. Deveroux, Hptm. Macdonald........ Michael Klett,<br />
(aus Buttlers Regiment) Michael Wegner,<br />
Hansjürgen Ohrloff<br />
Schwedischer Hauptmann............................................................ Hellmut Kle<strong>in</strong><br />
Gefreiter vom Regiment Pappenheim........................................ Ra<strong>in</strong>er Ed<strong>in</strong>ger<br />
Baptista Seni, Astrolog........................................................……. Christian He<strong>in</strong>e<br />
Herzog<strong>in</strong> Friedland........................................................................ Christiane von Hohenthal<br />
Thekla, ihre Tochter...................................................................... Dorothea Bergstraesser<br />
Gräf<strong>in</strong> Terzky, ihre Schwester..................................................... Dorothee Josephy<br />
Fräule<strong>in</strong> von Neubrunn................................................................ Gisela Maythaler<br />
Bedienter......................................................................................... Lutz von Wangenheim<br />
Page..............................................................................................… Alecco Mamatis<br />
E<strong>in</strong>e Gesandtschaft Pappenheimer Kürassiere, Soldaten aus dem Lager<br />
Regie: Ludiwg Herchenröther Kulissen: Helmut Proß, Diethelm Dellenbusch, Sven Lüttke<br />
Beleuchtung: Fritz Rechberg Inspizient: Hansjürgen Ohrloff<br />
Des weiteren kann ich nur listenmäßig aufzählen:<br />
• Inszenierungen von Gräf<strong>in</strong> Eulenburg: „<strong>Der</strong> Tor und <strong>der</strong> Tod“(Hofmannsthal), „On ne<br />
bad<strong>in</strong>e pas avec l` amour“ (Musset), „L`avocat Patel<strong>in</strong>“<br />
• Inszenierungen von Herrn Haugwitz: „Das große Welttheater“(Hofmannsthal), Herbst 1949;<br />
„<strong>Der</strong> Ackermann und <strong>der</strong> Tod“ (Johannes von Saaz), März 1950<br />
• Inszenierungen von Herrn Alexan<strong>der</strong>: „<strong>Der</strong> Teufelsschüler“ (Shaw) mit Jürgen Zahn als<br />
General Bourgoyne, „<strong>Der</strong> Hl. Nikolaus“ (von Herrn Alexan<strong>der</strong> selbst verfasst) (1952)<br />
• Inszenierungen von Herrn Grü<strong>der</strong>: „Emil und die Detektive“ (Kästner), dar<strong>in</strong> düster<br />
e<strong>in</strong>drucksvoll Jürgen Zahn als Herr Grundeis, Müller, Kiessl<strong>in</strong>g, Oktober 1952<br />
• Inszenierungen von Monsieur Nicolas: „Le medec<strong>in</strong> malgré lui“ (Molière) mit Denise Tissot<br />
(wie Odile Monier Austauschschüler<strong>in</strong> aus dem Collège Cevenol), Christiane von Hohenthal<br />
(Stipsi), Dorothee Roesch (Dörthe), Peter Frowe<strong>in</strong>, Eberhard von. Krosigk, Ulrich Huber,<br />
Christoph Zenck (Februar 1952).<br />
Viel ist mir sicher entfallen, für manches waren ke<strong>in</strong>e Unterlagen mehr zu f<strong>in</strong>den,<br />
Musikaufführungen habe ich nicht mit aufgezählt, obwohl es da auch manch Schönes gab, wie<br />
z. B. die Szenen aus Figaros Hochzeit und dem Bandlterzett (Frau Westphal), die<br />
Händeloratorien, die Bachmotetten z. T. unter <strong>der</strong> Leitung von Prof. Thomas und Graf<br />
Bassewitz.<br />
59
Aus Helmut L<strong>in</strong>demann: Die Arbeit des Publizisten, Bonn 2001<br />
(Verlag J.H.W. Dietz Nachf.)<br />
Auf <strong>der</strong> Suche nach dem „jenseitigen“ Ufer<br />
Christian Petry<br />
Warum um Himmels Willen entschließt sich e<strong>in</strong> angesehener Journalist, gefragter Kommentator,<br />
anerkannter Essayist, Autor historischer und politischer Bücher auf dem Höhepunkt se<strong>in</strong>er<br />
Produktivität se<strong>in</strong>en Beruf aufzugeben, se<strong>in</strong> weiträumiges Haus am Ufer des Bodensees zu<br />
verlassen, mit se<strong>in</strong>er Familie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e bescheidene Wohnung nach H<strong>in</strong>terzarten im Schwarzwald zu<br />
ziehen, um Leiter e<strong>in</strong>er Internatsschule zu werden? Zu me<strong>in</strong>er eigenen Verwun<strong>der</strong>ung er<strong>in</strong>nere<br />
ich mich, dass mir dieser Entschluss damals, 1960, gar nicht so merkwürdig vorgekommen ist wie<br />
heute. Und das liegt nicht daran, dass ich mir nicht hätte vorstellen können, was es heißt, e<strong>in</strong>e<br />
Familie zu verpflanzen o<strong>der</strong> dass ich illusionäre Vorstellungen über die beruflichen<br />
Anfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Rolle e<strong>in</strong>es Schulleiters gehabt hätte. Auch b<strong>in</strong> ich mir sicher, dass Helmut<br />
L<strong>in</strong>demann sich ke<strong>in</strong>eswegs im Unklaren über die Dramatik se<strong>in</strong>er – von se<strong>in</strong>er Frau Cornelie<br />
mitgetragenen – Entscheidung war. Se<strong>in</strong> Entschluss wirkte trotzdem auf eigentümliche Weise<br />
leicht und vorbereitet. Als Hellmut Becker, <strong>der</strong>, wie <strong>in</strong> vielen an<strong>der</strong>en Lan<strong>der</strong>ziehungsheimen<br />
auch, im <strong>Birklehof</strong> Vorstandsmitglied des Schulvere<strong>in</strong>s war, se<strong>in</strong>en Freund Helmut L<strong>in</strong>demann<br />
auf dem Flughafen <strong>in</strong> Zürich fragte, ob er Schulleiter des <strong>Birklehof</strong>s werden wolle, brauchte es<br />
ke<strong>in</strong>e lange Überzeugungsarbeit. Bei <strong>der</strong> Suche nach Gründen für diese aus heutiger Sicht<br />
verwun<strong>der</strong>liche Entscheidung, wird man nicht weit kommen, wenn man nur nach <strong>in</strong>dividuellen<br />
Motiven fragt. Helmut L<strong>in</strong>demann war nicht unzufrieden mit se<strong>in</strong>em Beruf und se<strong>in</strong>er<br />
Lebenssituation. Er war ke<strong>in</strong> Aussteiger. Im Gegenteil: E<strong>in</strong> großer Teil se<strong>in</strong>er Überlegungen <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> knappen Vorbereitungszeit kreisten um das Problem, welche se<strong>in</strong>er journalistischen<br />
Tätigkeiten er auch von H<strong>in</strong>terzarten aus würde weiterführen können. Die Gründe für das<br />
<strong>Birklehof</strong>-Abenteuer von Helmut und Cornelie L<strong>in</strong>demann werden erst verständlich, wenn man<br />
sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em gesellschafts- und bildungspolitischen Kontext sucht, <strong>der</strong> heute weitgehend<br />
vergessen ist.<br />
Ich versuche diesen Kontext mit vier H<strong>in</strong>weisen aufzuhellen:<br />
I. E<strong>in</strong>e freie <strong>Schule</strong> gründen<br />
<strong>Der</strong> Gedanke, e<strong>in</strong>e <strong>Schule</strong> zu gründen, wirkte nach 1945 nicht exotisch. Im Gegenteil, für das<br />
„An<strong>der</strong>e Deutschland“, das den 8. Mai als Befreiung erlebt hatte, gehörten <strong>Schule</strong> und Bildung zu<br />
den wichtigsten Fel<strong>der</strong>n, <strong>in</strong> denen e<strong>in</strong>e Antwort gesucht wurde auf die zentrale Frage: Was muss<br />
man tun, damit e<strong>in</strong> so entsetzlicher Kulturbruch wie die nationalsozialistische Herrschaft nicht<br />
noch e<strong>in</strong>mal geschehen kann? Von dem Aufbau <strong>der</strong> staatlichen <strong>Schule</strong> erwartete man nicht viel.<br />
Diese war von Anfang an allzu sehr bestimmt durch die pragmatische Aufgabe <strong>der</strong> Herstellung<br />
e<strong>in</strong>es geordneten Unterrichts. Die Möglichkeit <strong>der</strong> Gründung freier <strong>Schule</strong>n aber entzündete die<br />
Fantasie. Die Lan<strong>der</strong>ziehungsheime und die freien <strong>Schule</strong>n <strong>in</strong> kirchlicher Trägerschaft stehen von<br />
heute gesehen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Kont<strong>in</strong>uität, die <strong>in</strong> den ersten Jahren nach dem Krieg nicht so empfunden<br />
wurde. Vorherrschend war das Gefühl von Neugründung und Aufbruch. <strong>Der</strong> Gedanke, je<strong>der</strong><br />
60
sollte eigentlich e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>ige Zeit als Lehrer tätig gewesen se<strong>in</strong>, wirkt nur aus <strong>der</strong> Distanz von<br />
über 40 Jahren utopisch.<br />
Damals war dies <strong>in</strong> den Lan<strong>der</strong>ziehungsheimen erlebte Realität. Die wenigsten Lehrenden waren<br />
ausgebildete Pädagogen. Die Bildung <strong>der</strong> Jugend wurde als dr<strong>in</strong>gende bürgerliche Pflicht<br />
empfunden und die freien <strong>Schule</strong>n boten dazu die Möglichkeit.<br />
Hellmut Beckers Begriff „verwaltete <strong>Schule</strong>“ beschreibt heute e<strong>in</strong>e Realität auch <strong>der</strong><br />
Lan<strong>der</strong>ziehungsheime: Die Beschäftigung nicht ausgebildeter Pädagogen kommt zwar vor; es ist<br />
allerd<strong>in</strong>gs schwer, die dafür notwendige Unterrichtserlaubnis vom zuständigen Kultusm<strong>in</strong>isterium<br />
zu erreichen. Als Thorwald Risler, e<strong>in</strong> enger Freund von Cornelie und Helmut L<strong>in</strong>demann, nach<br />
<strong>der</strong> Entlassung aus <strong>der</strong> Wehrmacht se<strong>in</strong>er Familie an den Bodensee folgte, hatte er <strong>in</strong> Freiburg<br />
und Rom sechs Semester Archäologie studiert und als Hilfsassistent im Archäologischen Institut<br />
gearbeitet, bevor er zusammen mit se<strong>in</strong>em Lehrer Ludwig Curtius das Institut verlies. Danach<br />
absolvierte er e<strong>in</strong>e kaufmännische und technische Ausbildung, arbeitete kurze Zeit als<br />
Direktionsassistent <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Unternehmen und wurde Soldat. Von Unteruhld<strong>in</strong>gen aus teilte er<br />
se<strong>in</strong>e Zeit zwischen Griechisch- und Geschichtsunterricht <strong>in</strong> Salem und <strong>der</strong> Tätigkeit als<br />
Kreisabgeordneter <strong>der</strong> ersten, von den Franzosen e<strong>in</strong>gesetzten Verwaltung. Als Kurt Hahn <strong>in</strong><br />
Salem das Heft wie<strong>der</strong> <strong>in</strong> die Hand nahm und für Thorwald Risler allzu deutlich an die alten<br />
Traditionen anknüpfte, plante er mit e<strong>in</strong>em Freund, e<strong>in</strong>e eigene Internatsschule <strong>in</strong> Plöhn zu<br />
gründen. Die Pläne waren schon weit gediehen, da erwies es sich als unabweisbar, zunächst<br />
e<strong>in</strong>mal den Familienbetrieb <strong>in</strong> Freiburg wie<strong>der</strong> aufzubauen. <strong>Der</strong> Freund machte sich selbstständig<br />
und wurde erster Schulleiter des Lan<strong>der</strong>ziehungsheimes Schondorf am Ammersee. Hellmut<br />
Becker schlug Thorwald Risler vor, se<strong>in</strong>en Freund Georg Picht als Vorstandsmitglied des<br />
neugegründeten Lan<strong>der</strong>ziehungsheims <strong>Birklehof</strong> zu unterstützen. Die Vorstellung, dass e<strong>in</strong><br />
gebildeter junger Kaufmann ohne pädagogische Berufsqualifikation e<strong>in</strong>e <strong>Schule</strong> gründen und<br />
leiten könnte, irritierte damals niemanden. Warum sollte das nicht auch für e<strong>in</strong>en promovierten<br />
Juristen und Journalisten gelten?<br />
2. <strong>Der</strong> Nimbus <strong>Birklehof</strong> und die Sehnsucht nach Bildungspolitik<br />
Als Georg Picht den <strong>Birklehof</strong> <strong>1946</strong> neu gründete, war er 33 Jahre alt. Er hatte Altphilologie und<br />
Philosophie studiert und war Assistent am Altertumswissenschaftlichen Institut <strong>der</strong> Universität<br />
Freiburg. Pädagogische Erfahrungen hatte er ke<strong>in</strong>e. Aber er hatte hohe Vorstellungen und große<br />
Pläne. <strong>Der</strong> <strong>Birklehof</strong> war als „Musterschule“ gedacht, nach <strong>der</strong>en Vorbild an vielen Stellen <strong>in</strong><br />
Westdeutschland weitere Internatsschulen errichtet werden sollten. Zu diesem Zweck wollte<br />
Picht geme<strong>in</strong>sam mit <strong>der</strong> Evangelischen Kirche e<strong>in</strong>e Stiftung als Trägere<strong>in</strong>richtung gründen.<br />
Daraus wurde nichts; aber <strong>der</strong> <strong>Birklehof</strong> behielt den Anspruch, irgendwie mehr zu se<strong>in</strong> als nur<br />
e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zelne, nicht beson<strong>der</strong>s große <strong>Schule</strong> im Schwarzwald. Die christliche B<strong>in</strong>dung und <strong>der</strong><br />
Humanismus blieben für Picht wichtig als geistiger Horizont für das pädagogische Handeln. Dass<br />
die <strong>in</strong>stitutionelle und f<strong>in</strong>anzielle B<strong>in</strong>dung an die Evangelische Kirche nicht zustande gekommen<br />
ist, hat Picht nach dem Zeugnis von Hellmut Becker <strong>in</strong> den folgenden Jahren eher erleichtert.<br />
Dies setzte ihn frei, die vielfältigen Erfahrungen und Überlegungen, die den <strong>Birklehof</strong> als ihre<br />
<strong>in</strong>stitutionelle Basis hatten, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em bildungspolitischen Kontext zur Geltung zu br<strong>in</strong>gen. Die<br />
Kraft und Wirkung <strong>der</strong> eigentlichen Mischung von tiefer christlicher Überzeugung, an Platon<br />
orientierter Entfaltung politischer Verantwortungsbereitschaft, philosophischer Werkstatt,<br />
musischem Zentrum, liberalem und sehr zivilem Alltagsklima und praktischer Pädagogik, die die<br />
61
Pichtschen Jahre des <strong>Birklehof</strong>s auszeichnete, kann man sich heute nur noch schwer vorstellen.<br />
Im Altbirklehof wurde nach dem Krieg die westdeutsche Rektorenkonferenz gegründet. <strong>Der</strong><br />
Aufbau <strong>der</strong> Musikhochschule <strong>in</strong> Freiburg, die Konzeptionsentwicklung für die Schulmusik weit<br />
über Baden hínaus lassen sich auf Gespräche im <strong>Birklehof</strong> zurückführen. Die Deutsche<br />
Forschungsgeme<strong>in</strong>schaft f<strong>in</strong>anzierte schon bald nach <strong>der</strong> Gründung <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> e<strong>in</strong>e<br />
wissenschaftliche Arbeitsstätte über Platon, das so genannte Platonarchiv. In ihm arbeiteten e<strong>in</strong>e<br />
Reihe junger Wissenschaftler an e<strong>in</strong>em Lexikon platonischer Begriffe. E<strong>in</strong>ige von ihnen, wie <strong>der</strong><br />
spätere Schulleiter Klaus Weidauer, unterrichteten zugleich <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> Griechisch und Late<strong>in</strong>.<br />
<strong>Der</strong> <strong>Birklehof</strong> zog e<strong>in</strong>e bunte Schar <strong>in</strong>teressanter Menschen an: Frauen von Offizieren, die nach<br />
dem 20. Juli h<strong>in</strong>gerichtet worden waren, antimilitaristische Kriegsheimkehrer, junge<br />
Wissenschaftlicher wie Hartmut von Hentig, Professoren, die sich aus Gründen unerfüllter<br />
idealistischer Sehnsucht zu weit mit dem Nationalsozialismus e<strong>in</strong>gelassen hatten. Auf dem<br />
Altbirklehof lebte auch Mam<strong>in</strong>a Picht, die Mutter von Georg Picht, Schwester des berühmten<br />
Romanisten Ernst Robert Curtius, mit Verwandtschaft und Bekanntschaft im Elsass. Auch<br />
Albert Schweitzer war gelegentlich im Altbirklehof zu sehen. Und Carl Friedrich von Weizsäcker<br />
und Elisabeth Heimpel und viele an<strong>der</strong>e trafen sich auf dieser Insel des „An<strong>der</strong>en Deutschland“.<br />
In den fünfziger Jahren war es <strong>der</strong> Deutsche Ausschuss für das Erziehungs- und Bildungswesen, <strong>der</strong><br />
Georg Picht den Rahmen gab für se<strong>in</strong>e Impulse für die Bildungsreform. Die ersten<br />
Empfehlungen des Deutschen Ausschusses zur Errichtung von Versuchsschulen, zu Fragen des<br />
Privatschulwesens und zur Errichtung von Höheren <strong>Schule</strong>n mit musischem Profil verdanken<br />
wir ihm. Und auch bei den wichtigeren politischen Empfehlungen des Ausschusses, dem<br />
„Rahmenplan zur Umgestaltung und Vere<strong>in</strong>heitlichung des allgeme<strong>in</strong> bildenden öffentlichen<br />
Schulwesens“, bei den Empfehlungen zur religiösen Bildung <strong>in</strong> den <strong>Schule</strong>n sowie zur<br />
Erwachsenenbildung spürt man se<strong>in</strong>e Handschrift. Se<strong>in</strong>e Versuche zur Reform <strong>der</strong> Oberstufe<br />
und zur Schaffung e<strong>in</strong>er „Studienschule“ haben den <strong>Birklehof</strong> zum Modell. In e<strong>in</strong>em Report <strong>der</strong><br />
UNESCO wird die bildungspolitische Wirklichkeit <strong>der</strong> Bundesrepublik <strong>in</strong> den ersten 20 Jahren<br />
nach dem Krieg als „two decades of nonreform“ gekennzeichnet. <strong>Der</strong> <strong>Birklehof</strong> gehört mit <strong>der</strong><br />
Odenwaldschule und e<strong>in</strong>igen an<strong>der</strong>en zu den wenigen Ausnahmen, für die dieses Diktum nicht<br />
galt. Die Idee, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nachfolge von Georg Picht am Ende <strong>der</strong> fünfziger Jahre die Leitung des<br />
<strong>Birklehof</strong> zu übernehmen, bedeutete für Helmut L<strong>in</strong>demann ke<strong>in</strong> Bekenntnis zur pädagogischen<br />
Prov<strong>in</strong>z, son<strong>der</strong>n ließ sich sehr wohl mit bildungspolitischen Motiven verb<strong>in</strong>den, vor allem, wenn<br />
man die christliche Orientierung ohne übergroße kirchliche und konfessionelle B<strong>in</strong>dung teilte.<br />
Anlässlich antisemitischer Vorfälle schrieb <strong>der</strong> Deutsche Ausschuss unter <strong>der</strong> Fe<strong>der</strong>führung von<br />
Georg Picht: „Politische Jugend ist e<strong>in</strong>e Voraussetzung guter Politik. Aber die politische<br />
Erziehung des Volkes im Ganzen geschieht wesentlich durch die Politik selbst. Deshalb werden<br />
Bemühungen um politische Erziehung scheitern, wenn nicht die Politiker sich <strong>der</strong> erzieherischen<br />
Wirkungen bewusst s<strong>in</strong>d, die im Guten und Schlechten von ihrem Handeln ausgehen. Es gibt<br />
Ersche<strong>in</strong>ungen im politischen Leben, die zeigen, dass diese E<strong>in</strong>sicht nicht genügend wirksam<br />
geworden ist.“ Als Helmut L<strong>in</strong>demann sich den Eltern <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> <strong>Birklehof</strong> 1960 vorstellte, gab<br />
er se<strong>in</strong>er Rede den Titel „Bildungspolitik als Voraussetzung politischer Bildung“. In dieser Rede<br />
verteidigte er die Idee <strong>der</strong> freien <strong>Schule</strong> gegen die Arroganz <strong>der</strong> Planung, wie sie nach se<strong>in</strong>er<br />
Ansicht auch im Rahmenplan des Deutschen Ausschusses zum Ausdruck kam. Er endete mit<br />
folgenden Sätzen: „Wer es unternimmt, die Jugend politisch zu bilden und damit tüchtig zu<br />
machen für die Welt von morgen, schwimmt gegen den Strom. Er tut das nicht alle<strong>in</strong> kraft se<strong>in</strong>er<br />
Überzeugung, dass e<strong>in</strong> politisch ungebildeter Mensch schon heute nur e<strong>in</strong> halber Mensch se<strong>in</strong><br />
kann. Er schwimmt auch deshalb gegen den Strom, weil er die Hoffnung nicht aufgibt, das<br />
62
jenseitige Ufer zu erreichen: Jenes Land, <strong>in</strong> welchem die Bildungspolitik ebenso ernst genommen<br />
wird, wie er selber die politische Bildung ernst nimmt.“<br />
Die Leitung des <strong>Birklehof</strong> übernehmen zu können, war ganz gewiss für jemanden, <strong>der</strong> politische<br />
Bildung als wichtigstes Erziehungsziel verstand und das bildungspolitische Defizit <strong>der</strong><br />
Bundesrepublik als e<strong>in</strong>en gefährlichen Mangel dieser Gesellschaft empfand, e<strong>in</strong>e große<br />
Versuchung. Denn es gab damals nicht viele Orte, von denen aus man legitimerweise die<br />
praktische Reform betreiben und sie zugleich öffentlich wirksam vertreten konnte. Und das fünf<br />
Jahre bevor Georg Picht se<strong>in</strong>e berühmten Aufsätze zur „Bildungskatastrophe“ schrieb, die<br />
„Tüb<strong>in</strong>ger Acht“ <strong>in</strong> ihrem Manifest Die Bildungsreform for<strong>der</strong>ten und die E<strong>in</strong>richtung des<br />
Deutschen Bildungsrates beschlossen wurde.<br />
3. Die Suche nach dem Schulleiter für den <strong>Birklehof</strong><br />
Als Georg Picht nach zehn Jahren die <strong>Schule</strong> verließ, fand sich für ihn zunächst ke<strong>in</strong> Nachfolger.<br />
Als Zwischenlösung übernahmen <strong>in</strong> kurzer Folge zwei „Triumvirate“, bestehend aus dem<br />
Unterrichtsleiter, dem Internatsleiter und dem Wirtschaftsleiter, die Schulleitung. Aber <strong>der</strong><br />
Schulvere<strong>in</strong> gab die Suche nach e<strong>in</strong>em Nachfolger nicht auf. Dabei suchte man ausdrücklich<br />
nicht nach e<strong>in</strong>em Fachpädagogen, son<strong>der</strong>n nach jemandem, dem man zutrauen könnte, dass er<br />
durch se<strong>in</strong>e „Persönlichkeit“ erzieherisch wirken und dass er die bildungspolitische Dimension<br />
se<strong>in</strong>es pädagogischen Handelns öffentlich zur Geltung br<strong>in</strong>gen würde. In die engere Wahl<br />
kamen u.a. e<strong>in</strong> charismatischer Mar<strong>in</strong>eoffizier, <strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schulversammlung allerd<strong>in</strong>gs wegen<br />
se<strong>in</strong>es ungewohnt schneidigen Tons durchfiel. Zu denen, die <strong>der</strong> Schulvere<strong>in</strong> gerne gewonnen<br />
hätte, gehörte <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e Dieter Sauberzweig, <strong>der</strong> aber e<strong>in</strong>e Position im Deutschen Städtetag<br />
vorzog, die ihm gute bildungspolitische E<strong>in</strong>flussmöglichkeiten verschaffte. Axel von dem<br />
Bussche, <strong>der</strong> im Krieg e<strong>in</strong> Selbstmordattentat auf Hitler geplant hatte, zog es vor, als Schulleiter<br />
nach Salem zu gehen. Dort wurde er nicht glücklich – und gab die Stellung des Schulleiters bald<br />
auf aus vergleichbaren Gründen wie Helmut L<strong>in</strong>demann, <strong>der</strong> nach nur e<strong>in</strong>em Jahr „das Handtuch<br />
warf“.<br />
Nach se<strong>in</strong>em Ausscheiden im Sommer 1962 wurde Dr. Klaus Weidauer, <strong>der</strong> Unterrichtsleiter des<br />
zweiten Triumvirats, zum Schulleiter gewählt. Das Kollegium und die Eltern wollten e<strong>in</strong>en<br />
professionellen Pädagogen an <strong>der</strong> Spitze <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> haben, <strong>der</strong> Garantie für den Aufbau e<strong>in</strong>er<br />
geordneten Institution war. Die Zeit <strong>der</strong> Grün<strong>der</strong>persönlichkeiten und <strong>der</strong> engagierten<br />
Dilettanten war vorbei. Georg Picht hatte bereits vorher gemerkt, dass die <strong>Schule</strong> sich zusehends<br />
weniger als Basis bildungspolitischer Initiativen eignete und sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Forschungsstelle <strong>der</strong><br />
Evangelischen Studiengeme<strong>in</strong>de und dann <strong>in</strong> <strong>der</strong> Theologischen Fakultät <strong>der</strong> Universität<br />
Heidelberg e<strong>in</strong>e neue Basis geschaffen. Dass Helmut L<strong>in</strong>demann dies nicht wahrgenommen hat,<br />
liegt an e<strong>in</strong>em weiteren Faktor für se<strong>in</strong>e Entscheidung: Hellmut Becker.<br />
4. Das System Hellmut Becker<br />
Ich weiß nicht, ob es stimmt, dass Hellmut Becker <strong>in</strong> den fünfziger Jahren mehrfach abgelehnt<br />
hat, die Position e<strong>in</strong>es Kultusm<strong>in</strong>isters <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em <strong>der</strong> Län<strong>der</strong> <strong>der</strong> Bundesrepublik zu akzeptieren;<br />
sicher ist, dass dies für sehr plausibel gehalten wurde. Von se<strong>in</strong>em Rechtsanwaltsbüro <strong>in</strong><br />
Kressbronn am Bodensee aus konnte er ganz offenbar breiter tätig se<strong>in</strong> und mehr bewirken für<br />
63
die bildungspolitischen Sehnsüchte des „An<strong>der</strong>en Deutschland“, als ihm dies <strong>in</strong> <strong>der</strong> E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung<br />
e<strong>in</strong>es Staatsamtes während Adenauers Epoche möglich gewesen wäre.<br />
Es ist heute kaum noch vorstellbar, <strong>in</strong> wie vielen Fel<strong>der</strong>n er tätig war, wie vielmaschig das Netz<br />
persönlicher und sozialer Verb<strong>in</strong>dungen war, das er pflegte und wie virtuos er es für die<br />
För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> von ihm betreuten Zwecke zu nutzen verstand. Um die Fülle se<strong>in</strong>es Engagements<br />
und die Breite se<strong>in</strong>es Netzes zu beschreiben, müssen hier e<strong>in</strong>ige H<strong>in</strong>weise genügen: Hellmut<br />
Becker war zu dieser Zeit Präsident des Deutschen Volkshochschulverbands, Mitbegrün<strong>der</strong> des<br />
Instituts für Zeitgeschichte, <strong>der</strong> Hochschule für Gestaltung <strong>in</strong> Ulm, <strong>der</strong> Gesellschaften, <strong>in</strong> den<br />
sich die deutschen Soziologen, die Pyschoanalytiker, die Erziehungswissenschaftlicher<br />
organisierten. Er gehörte <strong>der</strong> deutschen UNESCO-Kommission an und arbeitete im<br />
Evangelischen Kirchentag mit. Und vor allem gehörte er den Vorständen vieler<br />
Lan<strong>der</strong>ziehungsheime an, war Vorsitzen<strong>der</strong> <strong>der</strong> Vere<strong>in</strong>igung Deutscher Lan<strong>der</strong>ziehungsheime,<br />
Sydikus <strong>der</strong> Freien <strong>Schule</strong>n und vieles an<strong>der</strong>e noch. In se<strong>in</strong>em Rechtsanwaltsbüro unterstützten<br />
ihn erst Richard von Weizsäcker, dann Alexan<strong>der</strong> Kluge, mit dem zusammen er e<strong>in</strong> Buch über<br />
Kulturpolitik und Ausgabenkontrolle geschrieben hatte. Wer sich bildungspolitisch engagieren<br />
wollte, tat gut, sich des Rats von Hellmut Becker zu versichern. Es gab <strong>in</strong> dieser Zeit ke<strong>in</strong>e<br />
bessere Möglichkeit, als sich <strong>der</strong> Hilfe von Hellmut Becker zu bedienen, wenn man se<strong>in</strong><br />
<strong>in</strong>dividuelles Engagement zum Teil e<strong>in</strong>es bildungspolitisch relevanten Netzwerks machen wollte.<br />
Das Hellmut Becker se<strong>in</strong>en Freund Helmut L<strong>in</strong>demann schlecht beraten hatte, als er ihm<br />
empfahl, Leiter des <strong>Birklehof</strong>s zu werden, hat diesen übrigens nicht geh<strong>in</strong><strong>der</strong>t, dessen Rat<br />
weiterh<strong>in</strong> zu suchen. Helmut L<strong>in</strong>demanns Interesse, bildungspolitisch wirksam zu werden,<br />
erlosch nicht nach dem missglückten Experiment <strong>Birklehof</strong>. E<strong>in</strong> Mitarbeiter von Hellmut Becker<br />
berichtete, dass L<strong>in</strong>demann noch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Mitte <strong>der</strong> sechziger Jahre Becker im Max-Planck-Institut<br />
für Bildungsforschung, dessen Direktor Becker geworden war, besuchte, um ihm se<strong>in</strong>e Mitarbeit<br />
anzubieten. Becker lehnte ab, weil die Entwicklung bildungspolitischer Konzepte mehr und mehr<br />
nicht nur <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> e<strong>in</strong>e professionelle Grundlage verlangte. Hellmut Becker hatte das<br />
Bildungsforschungs<strong>in</strong>stitut auch deshalb gegründet, weil die Zeit frei schwebenden Engagements<br />
vorbei war und zu se<strong>in</strong>er Legitimation e<strong>in</strong>e wissenschaftliche Grundlage verlangte. Zu Helmut<br />
und Cornelie L<strong>in</strong>demanns schönsten Eigenschaften gehörte, dass sie solche Entwicklungen nicht<br />
irritierten und nicht schwankend machten bei ihrer Suche nach e<strong>in</strong>em bürgerschaftlichen Ansatz<br />
für bildungspolitisches Engagement. Die Gründung <strong>der</strong> „L<strong>in</strong>denstiftung für vorschulische<br />
Erziehung“ geschah aus dem gleichen Geist, <strong>der</strong> sie an den <strong>Birklehof</strong> gelockt hatte. Sie wollten<br />
etwas Praktisches tun und dieses bildungspolitisch zur Geltung br<strong>in</strong>gen. Und da sie mehr an die<br />
Wirkung von Personen als an Institutionen glaubten, baten sie Thorwald Risler, <strong>der</strong> <strong>in</strong>zwischen<br />
Generalsekretär des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft geworden war, ihnen bei <strong>der</strong><br />
<strong>in</strong>stitutionellen Gestaltung ihrer Stiftung zu helfen. Heute wird die L<strong>in</strong>denstiftung von <strong>der</strong><br />
Freudenberg Stiftung betreut, <strong>in</strong> dessen Kuratorium u.a. Dieter Sauberzweig mitwirkt. Die<br />
Geschäftsführung liegt beim Autor dieser Zeilen, <strong>der</strong> Schüler im <strong>Birklehof</strong> war und se<strong>in</strong>e ersten<br />
beruflichen Erfahrungen als dilettieren<strong>der</strong> Lehrer und Sozialwissenschaftler im <strong>Birklehof</strong><br />
gesammelt hat. Das „jenseitige Ufer“ hat Helmut L<strong>in</strong>demann vielleicht nicht erreicht. Aber e<strong>in</strong>e<br />
gute Hilfe für die Suche nach demselben haben er und se<strong>in</strong>e Frau Cornelie mit <strong>der</strong> L<strong>in</strong>denstiftung<br />
h<strong>in</strong>terlassen.<br />
64
Aus Helmut L<strong>in</strong>demann: Die Arbeit des Publizisten, Bonn 2001<br />
(Verlag J.H.W. Dietz Nachf.)<br />
Helmut L<strong>in</strong>demann auf <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> <strong>Birklehof</strong><br />
Henn<strong>in</strong>g Burk<br />
Er kam nicht alle<strong>in</strong>, son<strong>der</strong>n mit e<strong>in</strong>er ganzen Familientruppe. Er hatte feste pädagogische<br />
Vorstellungen, obwohl er ke<strong>in</strong>e pädagogischen Erfahrungen hatte. Er stand politisch l<strong>in</strong>ks,<br />
während die Eltern <strong>der</strong> meisten „<strong>Birklehof</strong>er“ von e<strong>in</strong>er liberalen „platonischen“ Schulbildung<br />
träumten. Er verg<strong>in</strong>g sich am kostbarsten Gut, das e<strong>in</strong> Schüler <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er total geregelten Institution<br />
noch besitzt: se<strong>in</strong>er Freizeit. L<strong>in</strong>demann wurde als E<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>gl<strong>in</strong>g empfunden und wie e<strong>in</strong><br />
Fremdkörper behandelt.<br />
<strong>Der</strong> „E<strong>in</strong>satz“ von L<strong>in</strong>demann durch den Schulvorstand löste 1961 auf dem <strong>Birklehof</strong> e<strong>in</strong>e<br />
„Bewegung“ aus, die man als Vorboten von ’68 verstehen kann und die rückblickend<br />
Er<strong>in</strong>nerungen an APO-Methoden wachruft. Die Schüler stellten mit Hockeytoren se<strong>in</strong>en<br />
Hause<strong>in</strong>gang zu und leerten zusätzlich Schwe<strong>in</strong>ekübel aus. Mal h<strong>in</strong>g e<strong>in</strong> L<strong>in</strong>demann-Fahrrad im<br />
Esssaal über dem Platz, wo L<strong>in</strong>demann beim Konvent, dem mittäglichen Verkündigungsritual, zu<br />
stehen pflegte, mal fand sich an <strong>der</strong> Haupthaustür e<strong>in</strong>e „Rolle vorwärts“: e<strong>in</strong>e Klopapierrolle,<br />
<strong>der</strong>en Blätter aus Seiten des SPD-Organs Vorwärts bestand. Mit dieser Aktion gewann <strong>der</strong><br />
Wi<strong>der</strong>stand politische Züge. Zur „Putzgruppe“ gehörte auch <strong>der</strong> spätere Grüne Tom Koenigs.<br />
Er soll den Brief geschrieben haben, <strong>der</strong> während <strong>der</strong> Ferien an alle Eltern g<strong>in</strong>g und <strong>in</strong> dem<br />
stand, dass die Schüler erst e<strong>in</strong>en Tag später aus den Ferien kommen sollten; gezeichnet<br />
,L<strong>in</strong>demann’.<br />
Schon bald nach se<strong>in</strong>em plötzlichen Auftreten – L<strong>in</strong>demann war uns als neuer Schulleiter vorher<br />
nicht angekündigt worden – machte er klar, was er vorhatte: Je<strong>der</strong> sollte sich zu e<strong>in</strong>, möglichst<br />
zwei Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaften verpflichten; zusätzlich zum normalen Tagesprogramm mit sechs<br />
Stunden Unterricht, an<strong>der</strong>thalb Stunden (Zwangs-)Mittagsruhe, zwei Stunden Freizeit, zwei<br />
Stunden Hausaufgaben (absolute Stille). Die Älteren hatten außerdem noch e<strong>in</strong>e Arbeitsstunde<br />
am Abend. Auch wenn man im langweiligen H<strong>in</strong>terzarten oft nicht viel mit sich anzufangen<br />
wusste: Die Freizeit war unantastbar. Und dann kam e<strong>in</strong>er und wollte diese ,s<strong>in</strong>nvoll’ verplanen.<br />
Auch noch mit Politik. Dabei er<strong>in</strong>nere ich mich durchaus, dass mir die AG Zeitungslesen, an <strong>der</strong><br />
ich teilnahm, gut gefallen hatte. Ich begriff erstmals, wie e<strong>in</strong>e Zeitung aufgebaut ist, was Me<strong>in</strong>ung<br />
ist, was Nachricht, usw. Heute b<strong>in</strong> ich selbst Journalist und schlage mich im Auslaufmodell<br />
„öffentlich-rechtliches Fernsehen“ täglich mit diesen Fragen herum. Damals allerd<strong>in</strong>gs waren wir<br />
e<strong>in</strong>hellig empört.<br />
In den Augen <strong>der</strong> meisten Schüler und ihrer Eltern qualifizierte sich L<strong>in</strong>demann durch nichts,<br />
was die <strong>Schule</strong> bislang ausgemacht hatte. Er war ke<strong>in</strong> Internatsleiter, er war ke<strong>in</strong> Lehrer. Se<strong>in</strong><br />
Kennzeichen war alle<strong>in</strong> politische Bildung, noch dazu l<strong>in</strong>ks gerichtet. Das war auf dem <strong>Birklehof</strong><br />
bisher tabu, wenn man vom Abs<strong>in</strong>gen sozialkritischer Erich-Kästner-Lie<strong>der</strong> mit Graf Kalkreuth<br />
absieht. Die Nachkriegseltern hatten sich den <strong>Birklehof</strong> ausgesucht, weil dort <strong>der</strong> Platoniker<br />
Georg Picht Schulleiter war. Das versprach e<strong>in</strong>e humanistische Bildung, e<strong>in</strong>e liberale Erziehung,<br />
Koedukation und ökumenischen Religionsunterricht. Doch <strong>in</strong> ihren Augen geriet die <strong>Schule</strong> mit<br />
L<strong>in</strong>demann <strong>in</strong> Schieflage. Drohte gar e<strong>in</strong>e Ka<strong>der</strong>schmiede? Die Vermutung, dass die Eltern den<br />
Wi<strong>der</strong>stand ihrer K<strong>in</strong><strong>der</strong> zum<strong>in</strong>dest mental unterstützt haben, ist nicht abwegig. Schließlich<br />
65
erhofften sie sich als Ergebnis <strong>der</strong> <strong>Birklehof</strong>-Erziehung universal gebildete, tolerante Personen,<br />
die, wie im platonischen Staatsgebilde vorgestellt, <strong>der</strong>e<strong>in</strong>st als „geistige Elite“ die Regierung im<br />
Land übernehmen sollten.<br />
Doch was ist <strong>der</strong> platonische Staat? E<strong>in</strong> starres Ordnungsgefüge, <strong>in</strong> dem je<strong>der</strong> e<strong>in</strong>en festen Platz<br />
e<strong>in</strong>nimmt! E<strong>in</strong> Staat ohne Klassenause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzungen, <strong>der</strong> ke<strong>in</strong>er Gewerkschaften bedarf. E<strong>in</strong><br />
Staat, <strong>in</strong> dem je<strong>der</strong> das macht, wofür er geboren ist. E<strong>in</strong> neutralisierter Staat, ohne <strong>in</strong>nere<br />
Bewegung. Letztlich e<strong>in</strong> Herrschaftsmodell. L<strong>in</strong>demann verkörperte das Gegenmodell: Im<br />
Zentrum steht <strong>der</strong> politische Mensch, <strong>der</strong> die Dynamik des Staates erkennt, das Macht- und<br />
Herrschaftsgefüge durchschaut. Immerh<strong>in</strong>: Die Langzeitwirkung von L<strong>in</strong>demanns Intermezzo<br />
am <strong>Birklehof</strong> war nachhaltiger als vielen bewusst ist. Er verkörperte schon 1961/62 etwas von<br />
dem, was nun nach ’68 als demokratischer Grundkonsens selbstverständlich geworden ist.<br />
Insofern ist das Phänomen L<strong>in</strong>demann auf dem <strong>Birklehof</strong> e<strong>in</strong> seltsames Beispiel für e<strong>in</strong> Signal,<br />
das man nicht erkennen wollte, weil sich e<strong>in</strong> tief wurzeln<strong>der</strong> Konservatismus dagegen wehrte.<br />
Dennoch: Ob Platon o<strong>der</strong> L<strong>in</strong>demann: Beide haben gleichermaßen die Suche nach sozialer<br />
Gerechtigkeit <strong>in</strong> mir provoziert.<br />
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