Der Birklehof in der Nachkriegszeit 1946-1963 - Schule Birklehof
Der Birklehof in der Nachkriegszeit 1946-1963 - Schule Birklehof
Der Birklehof in der Nachkriegszeit 1946-1963 - Schule Birklehof
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
trauten unseren Ohren nicht, wurden als Diebe gebrandmarkt und jegliches Vergnügen, u.a. e<strong>in</strong>e<br />
bereits e<strong>in</strong>geübte Aufführung des „Chocolate Soldier“ von Bernard Shaw abgesagt. Ja, zu diesem<br />
Zeitpunkt war Picht eben noch nicht sehr tief <strong>in</strong> die pädagogische Prov<strong>in</strong>z vorgedrungen. Aber<br />
immerh<strong>in</strong> hat er uns wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong>s <strong>der</strong> Zehn Gebote zu Bewußtse<strong>in</strong> gebracht, das sich <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
allerletzten Kriegs- und <strong>der</strong> folgenden Hungerzeit <strong>in</strong> Deutschland aus dem Dekalog entfernt<br />
hatte.<br />
Heute sche<strong>in</strong>t es unbegreiflich, daß man es mir <strong>in</strong> diesen Hungerjahren erlaubte, im sogenannten<br />
"Kle<strong>in</strong>en Musikzimmer", wo Klavierunterricht erteilt wurde, e<strong>in</strong>e private Apfeldarre e<strong>in</strong>zurichten.<br />
Sie sollte auch für die Gesundung me<strong>in</strong>es Bru<strong>der</strong>s, <strong>der</strong> an schweren Hungerödemen und<br />
"offenen Be<strong>in</strong>en" litt, sorgen.<br />
Lehrer und Schüler<br />
Im zweiten, dem Sommertrimester verän<strong>der</strong>te sich e<strong>in</strong>iges: Die Mädchen, wir waren jetzt fünf,<br />
bekamen e<strong>in</strong> Zimmer im Hirschen: <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Klassenmix war jetzt Käthe Witte aus Freiburg<br />
mit nahrhaftem H<strong>in</strong>tergrund; dazu gab es zwei Sextaner<strong>in</strong>nen: ich glaube, es waren Brigitte<br />
Hufenüssler und Christiane von Hohenthal, letztere von mir nach e<strong>in</strong>em Münchener<br />
Liebl<strong>in</strong>gspony Stipsi und bis heute so genannt, und Ulla Caspar. Ich war so etwas wie e<strong>in</strong><br />
Mitteld<strong>in</strong>g zwischen Zimmerführer<strong>in</strong> und Mädchenhelfer<strong>in</strong>. Auch <strong>der</strong> Lehrkörper<br />
vervollständigte sich im Lauf des Jahres <strong>1946</strong> zusehends. Neben Herrn Goll unterrichtete jetzt<br />
Herr Seifert, <strong>der</strong> schon früher Lehrer auf dem <strong>Birklehof</strong> gewesen war, Deutsch und Geschichte,<br />
Herr Nierhaus, genannt Kaegi, Late<strong>in</strong> und Griechisch, Frau Moritz, früher Berta Siebeck,<br />
genannt Rebekka, Französisch und Deutsch, Herr Peters, <strong>der</strong> <strong>in</strong> Königsberg Professor gewesen<br />
war, Mathematik. Auf ihm lastete schwer nicht nur se<strong>in</strong>e Parteivergangenheit, son<strong>der</strong>n deutlich<br />
sichtbar auch se<strong>in</strong>e Zuckerkrankheit. Frau Niemeyer kam im Spätjahr <strong>1946</strong> als Sekretär<strong>in</strong> von<br />
Herrn Picht und als Mädchenmentor<strong>in</strong> h<strong>in</strong>zu. Sie bewohnte den Mittelflügel des Haupthauses<br />
und war Stefan-George-Anbeter<strong>in</strong>. Mit dem jungen Ehepaar Kle<strong>in</strong>stück erfuhr im Frühjahr 1947<br />
die Atmosphäre e<strong>in</strong>e Verän<strong>der</strong>ung und Erweiterung. Sie waren als junge Absolventen <strong>der</strong><br />
Leipziger Universität nach Westdeutschland gekommen. Beide lehrten zwar die alten Sprachen,<br />
aber für ihn war <strong>der</strong> Schul- und Internatsbetrieb nicht das Ziel se<strong>in</strong>er Wünsche; er habilitierte<br />
sich e<strong>in</strong>ige Jahre später <strong>in</strong> Anglistik und wurde Professor <strong>in</strong> Hamburg. Die junge Frau Kle<strong>in</strong>stück<br />
war zum Verlieben schön und charmant; <strong>der</strong> listige Amor traf manchen Schüler <strong>in</strong>s Herz.<br />
Überhaupt, jetzt nach dem Krieg trieb er nach langer Karenz, die ihm die <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kuchenmüller-<br />
Ära verordnete Keuschheit, Kargheit und die ernste Kriegslage beschert hatten, allenthalben<br />
wie<strong>der</strong> se<strong>in</strong> mutwilliges Spiel und se<strong>in</strong>e Opfer waren beileibe, ja bei Leibe, nicht nur die größeren<br />
Schüler, son<strong>der</strong>n nicht weniger auch die Lehrer. Darüber hat jedoch des Sängers Höflichkeit zu<br />
schweigen beschlossen.<br />
Zum Herbsttrimester durften wir Mädchen <strong>in</strong> den Saalbau umziehen, denn den Hirschen bezog<br />
nun das Ehepaar Herchenröther, das auch schon zur Garde <strong>der</strong> Kuchenmüller-Lehrer gehört<br />
hatte, um die reichlich angemeldeten kle<strong>in</strong>en Jungens zu betreuen. Er unterrichtete Geographie,<br />
sie Französisch. Französisch - wir lebten ja <strong>in</strong> <strong>der</strong> französischen Besatzungszone - war uns als<br />
e<strong>in</strong>zige mo<strong>der</strong>ne Fremdsprache verordnet, obgleich über das übrige Restdeutschland mit<br />
Ausnahme <strong>der</strong> Ostzone sich die angloamerikanische Kultur, Sprache und Musik, d.h. die<br />
amerikanische Richtung des Jazz, wie e<strong>in</strong> Film gelegt hatte und auch uns magisch anlockte.<br />
Chemie und Physik waren aus dem Lehrplan gestrichen; man erklärte die Maßnahme damit, daß<br />
33