Der Birklehof in der Nachkriegszeit 1946-1963 - Schule Birklehof
Der Birklehof in der Nachkriegszeit 1946-1963 - Schule Birklehof
Der Birklehof in der Nachkriegszeit 1946-1963 - Schule Birklehof
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Beide strebten wir, aus unterschiedlichen Gründen, aus diesen Verhältnissen h<strong>in</strong>auszukommen<br />
und sehnten uns <strong>in</strong> die vergleichsweise paradiesischen Zustände im Kriegs- und Kuchenmüller-<br />
<strong>Birklehof</strong> zurück. Unser Visum für den Übertritt nach Deutschland war getürkt, weil es nur e<strong>in</strong><br />
24-Stunden-laissez-passer nach L<strong>in</strong>dau war, das <strong>der</strong> französische Kommandant von Überl<strong>in</strong>gen,<br />
dem die wi<strong>der</strong>ständigen Gedichte unseres Vaters bekannt geworden waren, ausgestellt hatte.<br />
Unser Gepäck, je e<strong>in</strong> blauer Seesack aus Wehrmachtsfliegerbeständen, sollten wir im Zug, weil<br />
zum Tagesvisum nicht passend, möglichst verstecken. Die Kontrolle im Zug beim Grenzübertritt<br />
war e<strong>in</strong> Albtraum mit Herzklopfen. Aber als wir uns sicher im „guten alten“ Deutschland fanden,<br />
wich die überstandene Angst sofort jugendlicher Abenteurerlust. Ich machte den Vorschlag,<br />
e<strong>in</strong>fach im Zug sitzen zu bleiben, <strong>der</strong> nach Donauesch<strong>in</strong>gen fuhr, und uns weiter nach<br />
H<strong>in</strong>terzarten durchzuschlagen. Als Argument diente mir, daß wir ja „unsere Sachen“ 1944 hätten<br />
auf dem <strong>Birklehof</strong> zurücklassen müssen und man doch nach ihnen sehen müsse.<br />
<strong>Der</strong> Anfang<br />
Irgendwie kamen wir auch <strong>in</strong> H<strong>in</strong>terzarten an. Kluge K<strong>in</strong><strong>der</strong>, erwähnten wir nichts von Salem,<br />
son<strong>der</strong>n baten demütig um Aufnahme <strong>in</strong> den soeben neubegonnenen Unterrichtsbetrieb. Georg<br />
Picht und <strong>der</strong> Baron<strong>in</strong> Wolff war die Verlegenheit deutlich anzumerken, <strong>in</strong> die sie unser<br />
unangemeldetes Ersche<strong>in</strong>en versetzte; noch zwei Esser mehr! Aber unbarmherzig beharrten wir<br />
darauf, daß wir nicht mehr zurück nach Tirol o<strong>der</strong> sonstwoh<strong>in</strong> könnten. So wurden wir<br />
schließlich entgegenkommen<strong>der</strong>weise aufgenommen. Für me<strong>in</strong>en Bru<strong>der</strong> fand sich im Haupthaus<br />
e<strong>in</strong> Bett; ich musste allerd<strong>in</strong>gs ausquartiert werden und wurde bei Frau Reichhoff im Dorf<br />
untergebracht, <strong>der</strong>en Tochter Brigitte e<strong>in</strong>e Klasse über mir im „vorigen“ <strong>Birklehof</strong> als Externe<br />
gewesen war. Frau Reichhoff lag immer im Bett und verteilte von dort aus ihre Anweisungen.<br />
Schon e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Neuschüler<strong>in</strong> des <strong>Birklehof</strong>s war bei ihr untergekommen: Ursula Caspar, die<br />
e<strong>in</strong> paar Klassen unter mir war. Wir teilten uns jetzt e<strong>in</strong> Zimmer. In welcher Klasse war ich nun?<br />
Daß ich nicht <strong>in</strong> me<strong>in</strong>e angestammte Klasse - jetzt nur durch Jürg Zutt vertreten - zurückdurfte,<br />
hatte zwei Gründe: erstens hatte ich seit Sommer 1944 überhaupt ke<strong>in</strong>en Unterricht mehr<br />
genossen und zweitens mußte ich, da nur e<strong>in</strong> humanistischer Zweig eröffnet worden war, viel<br />
Late<strong>in</strong> und noch mehr Griechisch nachlernen und wurde offiziell <strong>in</strong> die Obersekunda e<strong>in</strong>gestuft,<br />
sicherlich e<strong>in</strong>e weise, mir jedoch leidige Entscheidung. Ober- und Untersekunda wurden anfangs<br />
sogar geme<strong>in</strong>sam <strong>in</strong> <strong>der</strong> sogenannten Kaltküche unterrichtet, e<strong>in</strong>em <strong>der</strong> wenigen damals<br />
beheizten Räume. Wir saßen auf den Eßsaalstühlen zuerst um den ovalen Tisch, dann <strong>in</strong> zwei<br />
o<strong>der</strong> drei Reihen h<strong>in</strong>tere<strong>in</strong>an<strong>der</strong>; an die Teilnehmer er<strong>in</strong>nere mich, weil dauernd wechselnd, nur<br />
unvollständig. Da war von früher her bekannt: Peter Bumm, <strong>der</strong> bald wie<strong>der</strong> von dieser<br />
Bildfläche verschwand, aber deutliche Spuren h<strong>in</strong>terließ, wovon noch zu reden ist, Peter<br />
Hemmerich, den wenigstens me<strong>in</strong> Bru<strong>der</strong> aus <strong>der</strong> Napolazeit kannte, Christoph Müller-Wirth,<br />
<strong>der</strong> beson<strong>der</strong>s dadurch auffiel, daß er jede französische Frage <strong>der</strong> Baron<strong>in</strong> mit sehr höflichem<br />
„Oui, Madame“ quittierte. Neu waren Michael Marschall (von Bieberste<strong>in</strong>), Bautz Bär und Otto<br />
Frei. Es gab nur e<strong>in</strong>en Rumpfunterricht <strong>in</strong> diesem ersten Trimester. Vor uns stand <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />
notdürftig umgearbeiteten blaugrauen Fliegeruniform Georg Picht und sprach zunächst ganz<br />
Unverständliches. Ich versuchte, se<strong>in</strong> Alter abzuschätzen. Vor uns stand auch die schwarz<br />
gekleidete Baron<strong>in</strong> und lispelte bezaubernd die e<strong>in</strong>fachsten französischen Sätze. Late<strong>in</strong>? Deutsch?<br />
Sport? Ich kann mich nicht daran er<strong>in</strong>nern. Mathematik: e<strong>in</strong>e bebrillte Dame, die <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er<br />
Er<strong>in</strong>nerung mit sächsischem Akzent sprach. Sport, naturwissenschaftliche Fächer und Religion<br />
sowie die Seidenfächer, Musik und Kunst, wurden auch nicht unterrichtet.<br />
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