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III. Predigten und Predigtmeditationen 1. Wann endet die Nacht …<br />

Die Strafe Gottes liest sich wie die Beschreibung<br />

des Schicksals vieler Folterer, Mörder und Soldaten<br />

des Apartheidregimes, die heute oftmals vom<br />

Fluch ihrer bösen Taten erdrückt und gepeinigt<br />

sind. Aber der biblische Text geht noch darüber<br />

hinaus: Er warnt, dass Abels Mord zum Ursprung<br />

einer Spirale der Gewalt werden könnte: Menschen<br />

könnten Abel rächen wollen und damit wiederum<br />

die Rache anderer auf sich ziehen.<br />

Und es ist die Angst vor neuen Spiralen der Gewalt,<br />

die viele Christen und manche Kirchenführer<br />

dazu treibt, vor dem Hintergrund unserer<br />

Geschichte an der Vision der Geschwisterlichkeit<br />

festzuhalten und das Streben nach nachhaltiger<br />

Versöhnung zu intensivieren.<br />

Bekennen und bereuen?<br />

Dies ist nach wie vor eine harte Arbeit, weil die<br />

neue Führung unseres Landes bei der Formulierung<br />

ihrer Politik der nationalen Versöhnung die<br />

christliche Terminologie verwendet hatte. Es hat<br />

sich auch für die Kirchen als sehr schwierig erwiesen,<br />

anzuerkennen, dass der Slogan „Vergeben und<br />

Vergessen“ tatsächlich nicht die christliche Auffassung<br />

von Versöhnung transportiert und auch nicht<br />

zu nachhaltigem Frieden und zu nachhaltiger Geschwisterlichkeit<br />

führt.<br />

Andererseits schien in der Situation der neu gewonnenen<br />

Unabhängigkeit das christliche Verständnis<br />

der Versöhnung, nach der Täter ihre<br />

Schuld bekennen und bereuen müssen, für unsere<br />

Gesellschaft keine realistische Option darzustellen.<br />

Auch haben wir der Macht einer so verstandenen<br />

Versöhnung nicht genug vertraut, weil wir fürchteten,<br />

dass ein solcher Prozess auch die Autorität unserer<br />

neuen Regierung beschädigen könnte, die ja<br />

zu einem gewissen Grad selbst an Grausamkeiten<br />

beteiligt war.<br />

In unserem Bemühen, zu einer nachhaltigen Versöhnung<br />

beizutragen, haben wir uns für das alttestamentarische<br />

Konzept des „Erlassjahres“ entschlossen.<br />

Nach 3. Mose 25 hatte das alte Israel ein<br />

Gesetz, dass in jedem fünfzigsten Jahr alle, die ihr<br />

Land oder ihre Freiheit wegen eines ungerechten<br />

Wirtschaftssystems verloren hatten, wieder in ihre<br />

Rechte eingesetzt werden mussten. Dieses Erlassjahr<br />

war kein Jahr des Gerichts, sondern der Rück­<br />

erstattung, das Augenmerk lag auf den Opfern,<br />

nicht auf den Tätern. Es war unsere Absicht, nicht<br />

anzuklagen oder irgendjemanden verantwortlich<br />

zu machen, sondern vielmehr die Wunden der<br />

Opfer zu versorgen und an der Wiedereinsetzung<br />

in ihre Rechte zu arbeiten. Dennoch müssen wir<br />

uns eingestehen, dass wir in unseren Bemühungen<br />

nicht sehr erfolgreich waren. Viele Wunden sind<br />

immer noch offen und scheinen nicht heilen zu<br />

wollen.<br />

Wo stehen wir heute? Ich glaube, es gibt zwei<br />

Ansätze, die noch nicht hinreichend ausgeschöpft<br />

sind: Ich hoffe immer noch, dass mehr Täter der<br />

Vergangenheit ihre Schuld öffentlich bekennen<br />

und um Vergebung bitten werden – um damit die<br />

Tür zu einer Heilung zu öffnen. Und ich bete darum,<br />

dass den Opfern mehr Raum gegeben wird,<br />

mehr Sympathie und Unterstützung, wenn sie ihre<br />

Erinnerungen und ihren Schmerz ausdrücken wollen,<br />

dass wir die Wiedereinsetzung in ihre Rechte<br />

als nationale Aufgabe ansehen. Auch wenn wir<br />

erkennen müssen, dass wir mit beiden Ansätzen<br />

oft gescheitert sind, können wir dies nicht auf sich<br />

beruhen lassen: Unsere Situation ist zu gefährlich,<br />

als dass wir uns damit zufrieden geben könnten,<br />

dass wir es ja versucht hätten.<br />

Eine Geschichte der Hoffnung<br />

Ich denke, die Geschichte von Kain und Abel ist<br />

genau für eine Situation wie unsere geschrieben<br />

worden: Sehr klar wird darin ausgedrückt, dass<br />

nichts den Mord ungeschehen machen kann und<br />

dass ein Kreislauf der Gewalt von dieser Tat ausgehen<br />

kann.<br />

Aber in all ihrem Realismus ist die Geschichte von<br />

Kain doch eine Geschichte der Hoffnung. Kain<br />

stirbt nicht, die Welt versinkt nicht in Gewalt. Die<br />

Geschichte beschreibt eine Möglichkeit, mit Gewalt<br />

und Grausamkeit umzugehen, die unterhalb<br />

der Schwelle von Versöhnung und Geschwisterlichkeit<br />

liegt. Das Symbol für diese Möglichkeit ist<br />

das Zeichen, mit dem Gott Kain versah. Der Geschichte<br />

zufolge konnte dieses Kainsmal den Teufelskreis<br />

der Gewalt durchbrechen und verhindern,<br />

dass die Welt in Chaos versank.<br />

Wie der dritte Rabbi ermutigt und versichert uns<br />

Gott, dass die Nacht der Gewalt und des Krieges in<br />

dem Moment aufhören wird, wenn wir aufblicken<br />

9

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