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III. Predigten und Predigtmeditationen 2. Jakob und Esau<br />
bedenken, dass schon in der Kolonialzeit mindestens<br />
Herero, Nama und Damara betroffen waren,<br />
auch wenn ein besonders eigentümliches Verhältnis<br />
zwischen Deutschen und Herero besteht. Der<br />
zur Verlesung angebotene Text (s. S. 4) spricht dies<br />
an. Eine Anspielung bezieht sich insbesondere auf<br />
den „HB-Bildatlas Special 22 Südafrika – Namibia.<br />
1993”.<br />
Über gottesdienstliches Leben hinaus ist deutlich,<br />
dass für die Zukunft der Gemeinschaft Namibias<br />
die Reform des Landrechts eine noch nach einem<br />
Jahrhundert als Folge der Kolonialzeit zu lösende<br />
Aufgabe ist. Hier konstruktiv zu helfen bleibt Mitverantwortung<br />
der ehemaligen Kolonialmacht.<br />
16<br />
Jakob, Esau, Deutschland und Namibia<br />
Die Erfahrung des Bruderkriegs auch im Gottesdienst<br />
bearbeiten – das lässt uns den biblischen<br />
Bruderkonflikt und drohenden Krieg zwischen<br />
Jakob und Esau neu lesen und hören. Dazu sollten<br />
2004 Christinnen und Christen aus Deutschland<br />
und Namibia die gemeinsame Bibelarbeit suchen.<br />
Ein solcher Austausch ist in diese Besinnung noch<br />
nicht eingegangen. Unsere Fragen an die Bibel<br />
und an die Erfahrung von 1904 zusammen mit<br />
den Fragen, die biblisches Wort und der Vernichtungskrieg<br />
an uns stellen, öffnen für einen neuen<br />
Weg. Er sucht in der Partnerschaft mehr als gelingende<br />
Begegnung. Er sucht auf der biblischen<br />
Spur eine Alternative zu Kolonialismus und Rassismus.<br />
Das Geschehen der JakobEsauErzählung steht am<br />
Übergang „vom Streit zum Krieg“* 1 . Der Krieg aber<br />
wird hier verhindert.<br />
Namibierinnen und Namibiern ist eine unvergleichlich<br />
größere Nähe zu den Väter und Müttergeschichten<br />
der Bibel möglich, als sie Deutsche<br />
von ihren gesellschaftlichen Erfahrungen und ihrem<br />
Weltbild her erfahren können. Namibia kennt<br />
eine noch erinnerliche oder bestehende Verbindung<br />
zur meist bedrohten Lebensweise von Kleinvieh<br />
und Rindernomaden in der Trockensteppe,<br />
zur Weidewirtschaft, die zu Wanderungen zwingt,<br />
zum Zusammenhalt von Sippen, die sich nach<br />
* 1 Claus Westermann, 618, vgl. 646<br />
* 2 Zitat von Thomas Naumann, 88, beruhend auf seiner<br />
Habilitationsschrift „Zum biblischen Konzept der Selbstwahrnehmung<br />
Israels im Kreis der Völker aus der Nachkommenschaft Abrahams”<br />
ihrem Gruppenführer, nach Abraham, Ismael, Isaak,<br />
Jakob oder Esau benennen, die ihre Überlieferungen<br />
weitergeben und sich „in einem spannungsvollen<br />
Geflecht aus Nähe und Fremdheit” zu anderen<br />
Sippen und Stämmen erleben, die noch bei Abweichungen<br />
in der Existenzweise doch verwandt<br />
sind* 2. In diesem Sinne ist Namibia ein biblisches<br />
Land.<br />
Die große Vielzahl der differenzierten Bezeichnungen<br />
für Herdentiere in Kapitel 3233 ist ein Ausdruck<br />
der nomadischen Welt. Raschi (rabbi sHloMo<br />
YizHaq, 10401105) erklärt die Zahl der weiblichen<br />
und männlichen Tiere, die Jakob für die Geschenke<br />
wählt, mit Einschätzungen zur Vermehrung der<br />
Herdentiere.<br />
Das Minimum an erworbenen und eingegrenzten<br />
Flächen, an den festen Orten mit den Gräbern der<br />
Gruppenführer gehört zu dem, was den Völkern<br />
Namibias mit den Vätern und Müttern Israels gemeinsam<br />
ist.<br />
Ebenso mag hinzugehören das Verstehen der alten<br />
animistischen Vorstellungen, die sich in der Szene<br />
vom Kampf Jakobs am Yabboq (Nahar azZarqa<br />
im Ostjordanland) ausdrücken. So beschäftigt den<br />
Herero Petrus in Gerhard Seyfrieds Roman durchgehend<br />
die Frage: Geht beim tödlichen Ausgang<br />
eines Kampfes zwischen einem Deutschen und<br />
einem Herero die Seele des einen in den anderen<br />
über? Und wie kann das bei einander so fremden<br />
Menschen sein?<br />
Namibisches Verständnis wird auch dem Verständnis<br />
des Segens gegenüber offener sein. In den<br />
Väter und Müttergeschichten konkretisiert es sich<br />
in der Zusage der kommenden Generationen, der<br />
Volkwerdung aufgrund seines Rufes und des unangefochtenen<br />
Lebens auf und vom Land.<br />
Ist der uns naheliegende Begriff des „Landbesitzes”<br />
hier angebracht? Wenn er sich für uns ausdrückt in<br />
dem Konzept, mit dem Namibia 1883 konfrontiert<br />
wurde und das seine Wirklichkeit bis heute bestimmt?<br />
Es ist das Konzept, das Land in der Form<br />
von Farmen oder Reservaten einzäunt. Es schließt<br />
Menschen ebenso wie das Vieh bei Bedrohung<br />
des Lebens von der Nutzung oder auch nur vom<br />
Betreten aus. Es hat in ungezählten Fällen selbst<br />
seelsorglichen Dienst an Gemeindegliedern von<br />
der Genehmigung des Landbesitzers abhängig gemacht.