Flensburg Journal Nummer 116 downloaden
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Die Geschichte <strong>Flensburg</strong>s und des Westindienhandels ist gut dokumentiert.<br />
Eine Reihe deutscher und dänischer Autoren haben bis ins<br />
Detail die Reisen und Unternehmungen der großen Handelshäuser<br />
und ihrer Kapitäne dargelegt.<br />
Unser Redakteur Dieter Wilhelmy lässt auf der Grundlage dieser Dokumente,<br />
aber auch mit einem gehörigen Schuss Fantasie, einige Jahre<br />
dieser für die Stadt bedeutenden Epoche wieder aufleben.<br />
Am Beispiel eines der erfolgreichsten Kaufleute der Stadt, gleichzeitig<br />
Kapitän einer eigenen Handelsflotte, Hans Christian Brodersen, erzählt<br />
er frei, wie der 16-jährige zum ersten Mal auf einem Schiff seines<br />
Vaters die Karibik entdeckt, dessen Nachfolge antritt, selbst zum<br />
erfolgreichen Kaufmann wird und schließlich den Niedergang des<br />
Rum- und Zuckerhandels erlebt.<br />
Am 1. April 1840 lag eine niedrige Nebelschicht<br />
über der <strong>Flensburg</strong>er Förde. So niedrig<br />
war sie, dass die Mastspitzen mit den schlaff<br />
herabhängenden Wimpeln über die weißgraue Decke<br />
ragten.<br />
An der Schiffbrücke rollten die letzten Fässer auf<br />
die Brigg „Boreas“ und die letzten Proviantkisten<br />
wurden verladen. Die 10-köpfige Besatzung war<br />
vollständig an Bord, das Schiff bereit zum Auslaufen.<br />
Hans Christian Brodersen hatte seinen Seesack im<br />
Vorschiff verstaut, zwischen der Habe der übrigen<br />
Matrosen und Leichtmatrosen.<br />
Von seinem Vater, Johann Friedrich Brodersen, dem<br />
Kapitän, hielt er sich mit Absicht fern. Die Mannschaft<br />
sollte nicht den Eindruck bekommen, dass er<br />
Privilegien an Bord besäße. So würde er es während<br />
der gesamten langen Fahrt zu den Westindischen<br />
Inseln halten. Der Vater, das wusste er, würde es<br />
ihm gleichtun.<br />
Als der Wind etwas auffrischte und den Nebel verdrängte,<br />
gab Kapitän Brodersen den Befehl zum Ablegen.<br />
Nur langsam schob sich die „Boreas“ von der Kaimauer<br />
weg zur Fördemitte.<br />
Hans Christian sah zum Ufer und erschrak, als er sie<br />
sah. Seine Mutter erschien zum ersten Mal beim<br />
Auslaufen eines Schiffes, stand in ihrem schwarzen<br />
Kleid bewegungslos am Kai. Und sie hob leicht die<br />
Hand zu einem angedeuteten Winken. Der Junge<br />
starrte gebannt auf das Bild, das schrumpfte und<br />
schließlich aus seinem Blickfeld verschwand.<br />
„Nur jetzt nicht heulen“, zwang er sich und ging<br />
rasch unter Deck.<br />
Seinen Vater hatte er sich immer stolz an Deck stehend<br />
vorgestellt, das Steuerrad mit fester Hand umspannend,<br />
den Blick zum Horizont oder auf den<br />
Kompass gerichtet.<br />
Hans Christian Brodersen –<br />
DER FORTGANG<br />
erzählt von Dieter Wilhelmy<br />
Aber so war es nicht. Der Kapitän hielt sich während<br />
der acht Wochen langen Fahrt nur selten an Deck<br />
auf, sondern überließ dem Obersteuermann oder<br />
seinen zwei Steuermännern die Lenkung des Schiffes.<br />
Er saß währenddessen meist in seiner Kajüte im<br />
Achterschiff über Ladepapieren, Abrechnungen, jedoch<br />
auch über Navigationskarten und den Landkarten<br />
seines Zielgebietes.<br />
Die Ladung unter Deck war bunt gemischt. An der<br />
tiefsten Stelle des Laderaumes stapelten sich tonnenweise<br />
Ziegelsteine von den <strong>Flensburg</strong> umgebenden<br />
Ziegeleien. In Kisten und Fässern waren Werkzeuge,<br />
Maschinenteile, Stoffe, konservierte Lebensmittel<br />
und allerlei Kleinzeug verpackt, das auf den<br />
Inseln selbst nicht hergestellt werden konnte. Vor<br />
allem aber hatte man ausreichend Süßwasservorräte<br />
an Bord, denn niemand konnte voraussehen, ob die<br />
herrschenden Winde eine schnelle Reise ermöglichen<br />
würden.<br />
Auf Madeira legten sie einen Aufenthalt ein, bunkerten<br />
Wasser und frische Lebensmittel und setzten<br />
dann die Fahrt bei mäßigem achterlichen Wind fort.<br />
Hans Christian war überrascht, wie undramatisch<br />
die Fahrt verlief. Kein einziger Sturm traf sie. Im<br />
Gegenteil, das Schiff dümpelte, als sie den 27. Breitengrad<br />
erreichten, drei träge Tage lang in einer<br />
Flaute, bis es vom Ostpassatwind angetrieben die<br />
Reise zügig fortsetzte.<br />
Trotz des kühlenden Windes nahmen die Temperaturen<br />
stetig zu. Die Seeleute liefen schließlich nur mit<br />
offenem Hemd und knielangen Hosen bekleidet, oft<br />
barfuß über das Deck. Hans Christian gewöhnte sich<br />
nur zögernd an diesen legeren Stil. Im heimischen<br />
<strong>Flensburg</strong> ging er nie ohne lange Hose, geputzte<br />
Schuhe und ordentliche Weste aus dem Haus.<br />
Als sie sich ihrem Ziel näherten, musste er einsehen,<br />
dass selbst die Kleidung der Mannschaft noch züchtig<br />
war im Vergleich zu dem, was ihnen kurz vor der<br />
Landung auf Sanct Thomas begegnete.<br />
Noch sahen sie im Morgendunst<br />
nur eine Andeutung von Bergen<br />
und Hügeln, grünem Land und<br />
weißem Sandstrand, als eine Kette<br />
schmaler Boote sich dem Schiff<br />
näherte.<br />
„Piraten!“ dachte Hans Christian<br />
unwillkürlich.<br />
Doch sein Vater stand ruhig und<br />
entspannt an Deck und sah der<br />
sich nähernden Armada entgegen.<br />
Als die Ruderboote nur noch eine<br />
Schiffslänge entfernt waren, sah<br />
der Junge, dass alle Menschen in den Booten dunkle<br />
Haut hatten, einige fast schwarz waren. Frauen waren<br />
auch dabei, einige nur mit einem leichten Tuch<br />
bekleidet, die Männer teils mit nacktem Oberkörper.<br />
Einige der Boote hatten bereits die Brigg, die den<br />
Großteil der Segel gerefft hatte, erreicht. Die Menschen<br />
reckten der Besatzung, die lachend und Witze<br />
reißend an der Reling stand, Früchte entgegen, sogar<br />
lebende Hühner wurden hochgehalten und lautstark<br />
feilgeboten.<br />
Einige von der Mannschaft ließen sich Früchte zuwerfen<br />
und warfen das Entgelt in die offenen Boote,<br />
wo es von den Menschen aufgesammelt wurde.<br />
Schließlich läutete der Bootsmann die Schiffsglocke<br />
und wie auf Kommando legten die Boote vom Rumpf<br />
der „Boreas“ ab und folgten in sicherem Abstand<br />
der Brigg in Richtung Hafen.<br />
Als das Schiff an Fahrt verlor und den aufgeräumt<br />
wirkenden Hafen von „Charlotte Amalie“, dem<br />
Hauptort von Sanct Thomas, anlief, überfiel feuchte<br />
Hitze die vom kühlenden Passatwind verwöhnte<br />
Mannschaft.<br />
Hans Christian rang nach Luft, der Schweiß rann<br />
ihm über den ganzen Körper und sein Hemd war<br />
nach kurzer Zeit durchnässt.<br />
Den Vater schien das nicht zu rühren. Er stand in seiner<br />
Kapitänsjacke mit den goldenen Knöpfen und mit<br />
der Kapitänsmütze auf dem Vorschiff und dirigierte<br />
persönlich das Anlegemanöver, die am Kai wartenden<br />
Weißen mit einem Kopfnicken begrüßend.<br />
14 FLENSBURG JOURNAL 05/2012