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Das Benninger Ried (PDF) - Regierung von Schwaben - Bayern

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58<br />

6.2 · DAS LEBEN IM WASSER<br />

Der Name der Milben (althochdeutsch:<br />

„milwa“) stammt aus<br />

einer Wortgruppe, die mit dem Begriff<br />

„mahlen“ in Verbindung steht<br />

und aus der auch die deutsche Bezeichnung<br />

„Motten“ für die Kleinschmetterlinge<br />

hervorgegangen ist.<br />

Als gemeinsames Merkmal galt<br />

das systematische Zermahlen organischen<br />

Materials zu kleinen<br />

Staubhäufchen. Nicht morphologische<br />

Merkmale, geschweige denn<br />

entwicklungsgeschichtliche Herkunft,<br />

sondern die Bedeutung für<br />

den Menschen war in voraufklärerischer<br />

Zeit Hauptgrundlage für<br />

die Einteilung der belebten Umwelt.<br />

Mit der seit einiger Zeit zu<br />

beobachtenden Vernachlässigung<br />

biologischer Grundlagenforschung<br />

und -lehre nähern wir uns wieder<br />

solchen mittelalterlichen Vorstellungen.<br />

Jedenfalls sind die Milben<br />

ein typisches Beispiel für ein mit<br />

negativen Vorurteilen behaftetes<br />

Element unserer belebten Umwelt,<br />

und Vorurteile verstellen oft den<br />

Weg zum tieferen Verständnis. Immens<br />

ist die Bedeutung dieser winzigen<br />

Spinnentiere nicht nur als<br />

Parasiten an Pflanzen und Tieren,<br />

sondern auch als Zersetzer organischer<br />

Überreste im Boden, als unermüdliche<br />

Räuber an Insektenlarven<br />

und -eiern und als Symbionten<br />

anderer Tierarten.<br />

Eingepaßte Flugbegleiter<br />

Ihre Wichtigkeit für die Reinhaltung<br />

<strong>von</strong> Bauten mancher Insekten<br />

hat im Laufe der Evolution sogar<br />

dazu geführt, dass sich am Körper<br />

Spinnentiere<br />

Mulmbewohner<br />

WASSERMILBEN (HYDRACARINA)<br />

Parasitismus<br />

Warnfarbe<br />

einiger Wespen Hohlformen entwickelten,<br />

in die „ihre“ Milben<br />

„haargenau“ hineinpassen. Solche<br />

„Babysitz-artigen“ Hohlformen, in<br />

denen die Milben mitgeführt werden<br />

können, ohne die Wespe aerodynamisch<br />

zu beeinträchtigen,<br />

wenn sie zur Gründung eines neuen<br />

Nestes aufbricht, bezeichnet die<br />

Wissenschaft als „Acarinarium”.<br />

Daß Milben auch in Quellen, Bächen,<br />

Flüssen und Seen vorkommen,<br />

ist allgemein wenig bekannt.<br />

Neben feuchtigkeitsliebenden<br />

Moos- und Mulmbewohnern und<br />

ans Wasserleben angepassten Vertretern<br />

verschiedener kleiner Landmilbengruppen<br />

finden sich hier<br />

zwei Großgruppen, die ausschließlich<br />

im Wasser auftreten: Die Meeresmilben<br />

(Halacaridae – wie der<br />

Name sagt, vorwiegend marin,<br />

aber auch mit etlichen Arten im<br />

Süßwasser vertreten) und die echten<br />

Süßwassermilben (Hydrachnidia),<br />

mit denen wir es im <strong>Benninger</strong><br />

<strong>Ried</strong> vorwiegend zu tun haben.<br />

Obwohl sie in den Binnengewäs-<br />

Detailzeichnung<br />

der neu entdeckten<br />

Art<br />

Neumania<br />

verrucosa<br />

sern zu den artenreichsten Tiergruppen<br />

gehören (aus Mitteleuropa<br />

sind über 500 Arten bekannt),<br />

fallen die Hydrachnidia aufgrund<br />

ihrer geringen Dimensionen nur<br />

dem gründlichen Betrachter auf.<br />

Einmal wahrgenommen, ziehen sie<br />

allerdings rasch weitere Aufmerksamkeit<br />

auf sich – zunächst aufgrund<br />

ihrer lebhaften Farben, bei<br />

genauerem Hinsehen auch wegen<br />

der enormen Vielfalt an Lebensformen<br />

und Anpassungen.<br />

Farbiges Leben<br />

<strong>Das</strong> buntfarbige Äußere – neben<br />

dem in allen Abstufungen vertretenen<br />

Rot findet sich auch lebhaftes<br />

Grün, Blau, Gelb oder Muster, die<br />

aus diesen Farben kombiniert sind<br />

– können sich die Wassermilben<br />

„erlauben”, da sie über ein effektives<br />

Wehrdrüsensystem verfügen.<br />

Dessen Sekrete bringen gelegentliche<br />

Angreifer dazu, <strong>von</strong> Milben<br />

rasch wieder abzulassen. Die mit<br />

dem Anblick der Warnfarbe verbundene<br />

Erinnerung an ein unan-<br />

genehmes Erlebnis schützt die Milbe<br />

und ihre Artgenossen vor weiteren<br />

Attacken.<br />

Ihrerseits nehmen sämtliche Süßwassermilben<br />

ausschließlich tierische<br />

Nahrung zu sich. Eine weite<br />

Palette verschiedenster kleiner<br />

Wirbelloser wird ebenso angenommen<br />

wie Eier <strong>von</strong> Insekten und anderen<br />

Milben oder frisch verstorbene<br />

Tierleichen. Dabei hat allerdings<br />

jede Milbenart ihre ganz bestimmten<br />

Bevorzugungen und ist an die<br />

Erbeutung bestimmter Tiergruppen<br />

angepasst. Die enge Beziehung<br />

zwischen Milbenarten und ihren<br />

Beutetieren kommt besonders zum<br />

Ausdruck, wenn man einen Blick<br />

auf den komplizierten Lebenszyklus<br />

der Süßwassermilben wirft:<br />

Erst sechs dann acht...<br />

Aus dem Ei schlüpft eine mit bloßem<br />

Auge kaum sichtbare Larve,<br />

die nicht vier Beinpaare besitzt,<br />

wie sich dies für Spinnentiere eigentlich<br />

gehört, sondern deren nur<br />

drei. Eine solche Larve benötigt ein<br />

Wirtsinsekt, an das sie sich wie<br />

eine Zecke ansaugt, um sich <strong>von</strong><br />

nun an völlig der Orientierungsund<br />

Fortbewegungsfähigkeit des<br />

Wirtes anzuvertrauen. Bei der<br />

Suche nach ihren Wirten müssen<br />

die Milbenlarven allerdings zuvor<br />

Großleistungen an Schnelligkeit<br />

und Orientierung vollbringen: ihre<br />

Vorstellungen da<strong>von</strong>, welche Wirte<br />

für ihre Art geeignet sind, sind<br />

erstaunlich differenziert.<br />

Von Wirten und Gästen<br />

Potentielle Wirte werden über chemische<br />

Signale wahrgenommen<br />

und zusätzlich mit Hilfe <strong>von</strong> Sinnesorganen<br />

geortet, die auf mechanische<br />

Reize ansprechen. Schlüpfrhythmen<br />

der Milben sind mit<br />

denjenigen ihrer Wirte koordiniert,<br />

ebenso folgt die Anzahl parasitierender<br />

Milbenlarven je Insekt<br />

strengen Gesetzen: Der Wirt darf in<br />

den Tagen des Parasitismus nicht<br />

zu sehr beeinträchtigt werden, sollte<br />

flugfähig bleiben, keinen Räubern<br />

zum Opfer fallen, geeignete<br />

Gewässer aufsuchen und sich dort<br />

möglichst auch noch fortpflanzen.<br />

Kurz: in dieser Phase sind die Interessen<br />

des Wirtsinsekts auch diejenigen<br />

der Milbenlarve, und es<br />

kommt nur selten – sozusagen als<br />

„Betriebsunfall“ – zu nachhaltigen<br />

Schäden am Wirt. Unter Aufnahme<br />

<strong>von</strong> Wirtsblut wächst die Milbenlarve<br />

zumindest über ein paar<br />

Tage, in Extremfällen aber über fast<br />

ein ganzes Jahr heran, bevor sie in<br />

ein puppenartiges Ruhestadium<br />

(„Protonymphe”) eintritt. Im Gelände<br />

kann man solche vollgesogenen<br />

Puppen gelegentlich mit bloßem<br />

Auge beobachten, z.B. wenn<br />

sie als rote Kugeln an den Flanken<br />

oder Beinen <strong>von</strong> Wasserläufern<br />

hängen. Unter günstigen Umständen,<br />

bei stark flugaktiven Insektenwirten<br />

zum Beispiel, wenn erhöhte<br />

Luftfeuchtigkeit die Nähe einer<br />

Wasseroberfläche anzeigt, fallen<br />

die Milben <strong>von</strong> ihren Wirten ab.<br />

Auch aus einer solchen Puppe<br />

schlüpft aber noch nicht das Adulttier,<br />

wie wir das beispielsweise <strong>von</strong><br />

den Schmetterlingen kennen, sondern<br />

eine sogenannte „Deutonymphe”.<br />

Diese sieht dem Adulttier<br />

zwar ziemlich ähnlich, ist aber<br />

noch nicht geschlechtsreif und<br />

kann als Wachstumsstadium bezeichnet<br />

werden. Sie ernährt sich<br />

meist in gleicher Weise wie die<br />

erwachsenen Milben und wächst je<br />

nach Nahrungsangebot unterschiedlich<br />

gut heran. Entsprechend<br />

können Milben ein- und derselben<br />

Art in Abhängigkeit <strong>von</strong> den<br />

Lebensbedingungen sehr unterschiedlich<br />

große erwachsene Tiere<br />

ausbilden. Vor das Erreichen der<br />

Geschlechtsreife ist aber noch eine<br />

weitere Puppenruhe geschaltet, die<br />

der „Tritonymphe”. Selbstverständlich<br />

sind beide puppenartigen<br />

Stadien bestens dazu geeignet,<br />

Zäsuren in der jahreszeitlichen<br />

Entwicklung zu setzen und die<br />

Schlüpfrhythmen <strong>von</strong> Parasit und<br />

Wirt zu koordinieren. Bemerkenswert<br />

ist schließlich, dass Milbenlarven<br />

oft dasselbe Insekt als Wirt<br />

bevorzugen, <strong>von</strong> dessen Eiern und<br />

Junglarven sich später auch die<br />

Deutonymphen und adulte Milben<br />

ernähren. Ein solches System kann<br />

selbstverständlich nur funktionieren,<br />

wenn die Milbenpopulation in<br />

deutlich geringerer Biomasse auftritt<br />

als diejenige ihres Wirts.<br />

links: Vergleichspräparate<br />

rechts: Mikroskopisches Bild eines<br />

Milben-Präparats<br />

59<br />

REINHARD GERECKE

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