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Das Benninger Ried (PDF) - Regierung von Schwaben - Bayern

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6.2 · DAS LEBEN IM WASSER<br />

Stechmücken mit einer um mehr<br />

als das zehnfache höheren Artenzahl<br />

vollkommen in den Schatten<br />

stellen. Während „unsere Feinde“<br />

die Stechmücken europaweit gut<br />

und flächendeckend dokumentiert<br />

sind, ist die Familie der Zuckmücken<br />

– im angelsächsischen<br />

Sprachraum „non-biting midges“,<br />

also „Nichtstechmücken“ – bislang<br />

nur sehr lückenhaft bekannt. Die<br />

Entdeckung neuer Arten steht<br />

auch in Deutschland an der Tagesordnung,<br />

bei der Untersuchung<br />

des <strong>Benninger</strong> <strong>Ried</strong>es gelang ebenfalls<br />

die Entdeckung vieler seltener<br />

und kaum bekannter Arten.<br />

Der deutsche Name der Zuckmücken<br />

nimmt Bezug auf die auffällige<br />

Fortbewegungsweise ihrer länglichen<br />

Larven unter Wasser. Diese<br />

vermögen sich an die unterschiedlichsten<br />

Lebensräume anzupassen.<br />

Sie sind entsprechend vielgestaltiger<br />

als bei den Stechmücken und<br />

viele <strong>von</strong> ihnen verfügen über ein<br />

Spinnvermögen, das ihnen die<br />

Konstruktion <strong>von</strong> Wohnröhren<br />

oder transportablen Gehäusen ermöglicht.<br />

Von alpinen Quellen bis<br />

zu den Spritzwasserzonen der<br />

Meeresküsten, <strong>von</strong> kleinsten kurzlebigen<br />

Pfützen bis zu den Tiefen<br />

großer Seen treten sie meist in<br />

großer Individuendichte auf und<br />

spielen eine wichtige Rolle in der<br />

Nahrungskette: als Vertilger organischer<br />

Substanz oder kleinster<br />

Organismen, aber auch als Beute<br />

anderer Insekten oder der Fische<br />

und ihrer Brut oder auch als Wirte<br />

parasitischer Milbenlarven. Ihre<br />

Anpassungsfähigkeit geht so weit,<br />

dass einige Arten sogar vom Wasser<br />

vollkommen unabhängig wurden<br />

oder während ihrer Entwicklung<br />

phasenweise vollkommene<br />

Austrocknung zu ertragen vermögen.<br />

Die Vielfalt dieser larvalen<br />

Lebensmöglichkeiten ist es, die<br />

sich in der Vielfalt der Arten widerspiegelt,<br />

während die Lebensweise<br />

erwachsener Zuckmücken<br />

wenigstens auf den ersten Blick<br />

wesentlich einheitlicher erscheint.<br />

Im Zentrum dieses meist kurzen<br />

Lebensabschnitts steht die Fortpflanzung,<br />

zu der sie sich an geeigneten<br />

Stellen in großen Schwärmen<br />

versammeln. Gelegentlich können<br />

dann abertausende Tiere wie<br />

Säulen im Abendhimmel stehen,<br />

Straßenbeleuchtungen bedecken<br />

oder sich in Spinnennetzen fangen.<br />

Dann nehmen wir die unscheinbaren<br />

Tiere endlich einmal wahr,<br />

als regelrechten Belag auf Brücken<br />

und Uferbauten an nährstoffreichen<br />

Gewässern oder auch als unangenehmes<br />

Hindernis bei der<br />

Fahrradfahrt ohne Brille.<br />

Auf den ersten Blick den Stechmücken<br />

nicht unähnlich, unterscheiden<br />

sie sich <strong>von</strong> diesen aber<br />

nicht nur im völligen Fehlen eines<br />

Stechrüssels (erwachsene Zuckmücken<br />

lecken pflanzliche Substanzen<br />

auf oder zeigen gar keine<br />

Nahrungsaufnahme), sondern<br />

auch in der Form der Flügeladern<br />

und in der Gestalt der Fühler der<br />

Männchen, die durch ihren feinen<br />

und dichten Haarbesatz runden<br />

Rohrbürsten gleichen.<br />

82 Arten im <strong>Ried</strong> nachgewiesen,<br />

Erstfunde für Deutschland und<br />

<strong>Bayern</strong><br />

Wie gesagt, die Zuckmücken finden<br />

stets weit geringere Beachtung<br />

als diese artenreichste Insektenfamilie<br />

unserer Binnengewässer<br />

eigentlich verdient hat. Die Untersuchung<br />

im <strong>Benninger</strong> <strong>Ried</strong> hat gezeigt,<br />

wie vielfältig Informationen<br />

sein können, die eine Analyse der<br />

Zuckmückenfauna in einem Gebiet<br />

solchen Ranges erbringt: Insgesamt<br />

82 Arten konnten nachgewiesen<br />

werden, darunter eine Art (Metriocnemus<br />

beringiensis) erstmals<br />

in Deutschland und zwei weitere<br />

Arten (Pseudosmittia nishiharensis<br />

und Smittia leucopogon) erstmals<br />

in <strong>Bayern</strong>. Viele <strong>von</strong> ihnen sind bislang<br />

nur aus Quellen bekannt und<br />

dürften auf Lebensräume diesen<br />

Typs spezialisiert sein. Ihre Verbreitungsmuster<br />

im <strong>Ried</strong> und deren<br />

Veränderungen werden <strong>von</strong><br />

großer Wichtigkeit für die Beobachtung<br />

und Bewertung der ökologischen<br />

Entwicklung im <strong>Ried</strong> sein.<br />

STELZMÜCKEN (LIMONIIDAE)<br />

Herbert Reusch<br />

Stelzmücken ähneln den größeren<br />

„Kohlschnaken“ („Hausgeist“)<br />

welche sich abends zum Schrecken<br />

der Bewohner häufig in Wohnungen<br />

verirren und bei manchem<br />

Panik hervorrufen. Völlig Grundlos!<br />

Stechen und Blut saugen können<br />

sie nicht.<br />

Ihre Erwachsenen haben vor allem<br />

lange Beine, lange Fühler sowie<br />

einen meist schlanken Hinterleib.<br />

Einige Arten haben so stark verkürzte<br />

Flügel, dass sie nicht fliegen<br />

können und nur auf dem Boden<br />

herumlaufen.<br />

linke Seite: Stelzmücke<br />

(Austrolimnophila spp.)<br />

Die Larven der Stelzmücken haben<br />

grundsätzlich keine Beine, obwohl<br />

bei einigen Arten diese durch<br />

paarige fleischige Fortsätze am<br />

Hinterleib vorgetäuscht werden.<br />

Bei anderen Arten unterstützen<br />

Kriechwülste und Borstengruppen<br />

die Fortbewegung. Ihren Kopf<br />

können sie vollständig in den<br />

Brustbereich einziehen.<br />

Auffällig sind bei vielen Arten am<br />

Hinterende bis zu fünf sogenannte<br />

Randlappen, die ihre beiden Atemöffnungen<br />

umgeben. Teilweise<br />

können sie damit Luftblasen festhalten<br />

und deshalb längere Zeit<br />

unter Wasser bleiben. Andere<br />

Arten sind mit Hilfe bestimmter<br />

Drüsen im Kopfbereich dazu in der<br />

Lage, röhrenförmige Sekrethüllen<br />

zu spinnen. Darin sind sie an Land<br />

(im Boden, im Holz) gegen Austrocknung<br />

geschützt. Im Wasser<br />

dagegen bieten die Gespinnströhren<br />

Schutz vor der Strömung.<br />

Während sich die meisten Larven<br />

<strong>von</strong> totem Pflanzenmaterial oder<br />

Ein Wort zur Nomenklatur:<br />

Wissenschaftler benutzen zur<br />

Ordnung der uns umgebenden<br />

Natur bestimmte Systeme und<br />

eine spezielle Namensgebung,<br />

die Binäre Nomenklatur:<br />

Jede Pflanzen- und Tierart erhält<br />

dabei einen Gattungs- und Artnamen.<br />

Z.B. bezeichnet Homo<br />

sapiens den Mensch oder Culex<br />

pipiens die gewöhnliche Stechmücke.<br />

Weltweit hat man sich auf die<br />

Verwendung der latainischen<br />

Sprache für die wissenschaftliche<br />

Nomenklatur verständigt. Deutsche<br />

Namen, oder Trivialnamen,<br />

haben sich nur für die Arten eingebürgert,<br />

die uns leicht zugänglich<br />

sind oder die in unserm Alltagsleben<br />

eine Rolle spielen. Hier<br />

nur als Beispiel die Schmetter-<br />

Algen ernähren, fressen andere<br />

überwiegend Kleintiere.<br />

Allgemein sind Stelzmücken in<br />

jedem ihrer Entwicklungsstadien<br />

wirtschaftlich belanglos. Minimale<br />

Schadwirkung ist allerdings den<br />

Arten der Gattung Ula und einigen<br />

der Unterfamilie Limoniinae zuzuschreiben,<br />

da ihre Larven sich in<br />

Speisepilzen entwickeln und diese<br />

durch ihre Fraßgänge zerstören.<br />

Im <strong>Ried</strong> wurden ausschließlich<br />

erwachsene Stelzmücken erfasst,<br />

und zwar mit Hilfe <strong>von</strong> Licht- und<br />

Schlupffallen. Gebräuchlich sind<br />

außerdem Handnetze, mit denen<br />

die krautige Vegetation durchstreift<br />

wird. Eine weitere Methode<br />

ist gezieltes Absammeln ruhender<br />

Tiere mit einem Handsauggerät<br />

z.B. unter Brücken oder <strong>von</strong> Bäumen.<br />

Larven im Gewässer lassen<br />

sich am besten durch Aufwirbeln<br />

des Untergrundes unmittelbar vor<br />

einem Küchensieb oder Netz fangen.<br />

Im Ufer und im Boden sowie<br />

linge (Lepidoptera) oder die<br />

Weichtiere (Mollusca). Alle anderen<br />

der Wissenschaft bekannten<br />

Arten tragen „nur“ die wissenschaftliche<br />

Bezeichnung, die manchem<br />

Leser als echter Zungenbrecher<br />

erscheinen mag, wie<br />

z.B. die Schmetterlingsmücken<br />

Phyllotematoscopus decipiens.<br />

Die systematische Zuordnung<br />

(oder die Taxonomie) im zoologische<br />

Sinn folgt vereinfacht dem<br />

unten aufgeführten Schema:<br />

Stamm: Arthropoda<br />

(Gliederfüßer)<br />

Klasse: Insecta (Insekten)<br />

Ordnung: Diptera (Zweiflügler)<br />

Unter- Nematocera<br />

ordnung: (Mücken)<br />

Familie: Psychodidae (Schmet<br />

terlingsmücken)<br />

Gattung: Phyllotematoscopus<br />

Art: decipiens<br />

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R. GERECKE · O. KÖNIG · A. REUSCH · R. WAGNER · S. WIEDENBRUG · T. WITTLING

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