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Schwerpunktthema: - Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag

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Im Namen des Volkes – Was nicht pas<br />

Interview mit MdL Dr. Dietmar Pellmann zur Gerichtsfestigkeit vo<br />

Hartz IV beschäftigt die Gerichte. Ende<br />

2007 erklärte das Bundesverfassungsgericht<br />

(BVG) die Zusammenarbeit zwischen<br />

Arbeitsagentur und Kommunen für verfassungswidrig.<br />

Anfang dieses Jahres ergingen<br />

Urteile zur Regelleistung, zur Bezahlung von<br />

Klassenfahrten für Schulkinder aus Hartz-IV-<br />

Familien, zum Kleidergeld und zu anderem<br />

mehr. Pvl spach dazu mit dem Sozialexperten<br />

der <strong>Fraktion</strong> <strong>DIE</strong> <strong>LINKE</strong> <strong>im</strong> <strong>Sächsischen</strong><br />

<strong>Landtag</strong>, Dr. Dietmar Pellmann.<br />

pvl: Herr Dr. Pellmann, mutieren die Hartz-<br />

Gesetze und hier vor allem die Regelungen<br />

zu Hartz IV jetzt zur ABM für die deutsche<br />

Gerichtsbarkeit?<br />

Dr. Dietmar Pellmann: Ich bin mir ziemlich<br />

sicher, dass viele Richterinnen und<br />

Richter, vor allem die an den Sozialgerichten,<br />

den Begriff „Hartz IV“ schon lange nicht<br />

mehr hören können, weil sie völlig überlastet<br />

sind. Wer angenommen hatte, dass die<br />

Klagefl ut langsam abebben müsste, wurde<br />

von der Gerichtspraxis korrigiert. So betrug<br />

die Zeitspanne vom Einreichen bis zur Entscheidung<br />

von Klagen bei den sächsischen<br />

Sozialgerichten <strong>im</strong> vergangenen Jahr durchschnittlich<br />

13,5 Monate – <strong>im</strong>merhin 1,4 Monate<br />

mehr als 2008. Allein 56 Prozent und<br />

damit weit mehr als die Hälfte der insgesamt<br />

mehr als 33.000 Klagen bei den sächsischen<br />

Sozialgerichten betrafen „Hartz-<br />

IV-Fälle“; bei Eilverfahren waren es sogar<br />

fast vier Fünftel. Und: Sozialrichter rechnen<br />

auch für die absehbare Zukunft nicht damit,<br />

das sich die Lage entspannt. Dies bestätigt<br />

unsere Einschätzung: Hartz IV ist gescheitert<br />

und nicht reformierbar. Es liegt beileibe<br />

nicht nur an Webfehlern in den Gesetzestexten,<br />

wie „gutgläubige“ Hartz-IV-Befürworter<br />

bis heute behaupten.<br />

pvl: Die Boulevardpresse jubelte kürzlich „So<br />

macht Tillich Hartz IV neu!“ und meinte damit<br />

die Ideen des sächsischen Ministerpräsidenten<br />

zur höchstrichterlich angewiesenen<br />

und bis zum Jahresende zu realisierenden<br />

Neuordnung der ARGEN. Wie beurteilen Sie<br />

Stanislaw Tillichs Vorschläge zur „Reform der<br />

Reform“?<br />

Dr. Dietmar Pellmann: Nach vorn orientierte<br />

Vorschläge oder gar neue Ideen des<br />

sächsischen Ministerpräsidenten kann ich<br />

wahrlich nicht ausmachen. Selbst eine von<br />

den Koalitionsfraktionen beantragte Aktuelle<br />

Debatte zum Thema, die auf der <strong>Landtag</strong>ssitzung<br />

am 31. März dieses Jahres zur<br />

Feierstunde für die heroischen Leistungen<br />

von Herrn Tillich gedacht war, ändert daran<br />

überhaupt nichts. Die einzige Botschaft des<br />

Ministerpräsidenten war nämlich, einen Beitrag<br />

zur Abwendung des Chaos geleistet zu<br />

haben, denn für die von Hartz-IV-Betroffenen<br />

ändere sich letztlich gar nichts. Wir haben<br />

während dieser Aktuellen Debatte deshalb<br />

erneut deutlich gemacht: Es ist schon<br />

schl<strong>im</strong>m genug, wenn Gerichte ständig das<br />

Regierungshandeln korrigieren müssen. Anstatt<br />

aber nun wenigstens dem Geist des<br />

Bundesverfassungsgerichts vom 20. Dezember<br />

2007 zu folgen und wirkliche Veränderungen<br />

zu vollziehen, soll nunmehr das Grundgesetz<br />

an den von den Karlsruher Richtern<br />

gerügten Zustand angepasst werden. Leider<br />

hat sich die SPD auf diesen als Kompromiss<br />

gepriesenen Kuhhandel eingelassen und gar<br />

noch eine Erweiterung der Zahl der optierenden<br />

Kommunen auf einen Anteil bis zu 25<br />

Prozent eingelassen. So entsteht ein bundesweiter<br />

Flickenteppich der unterschiedlichen<br />

Hartz-IV-Träger. Bislang weitgehend<br />

unbeachtet wird damit ein bisheriges Verfassungstabu<br />

gebrochen, das Durchgriffsverbot<br />

des Bundes auf die Kommunen unter<br />

Ausschaltung der Länderebene.<br />

Wir von der <strong>LINKE</strong>N bleiben dabei, dass die<br />

Betreuung und mögliche Vermittlung von Arbeitslosen<br />

aus einer Hand zu erfolgen hat,<br />

auch damit die Trennung von Arbeitslosen<br />

erster und zweiter Klasse überwunden wird.<br />

Die nun beschlossene Änderung des Grundgesetzes<br />

ist nicht zielführend, <strong>im</strong> Gegenteil,<br />

sie zementiert den gegenwärtig unbefriedigenden<br />

und diskr<strong>im</strong>inierenden Zustand.<br />

Wenn das Licht ausgeht – Stromabschaltungen in Sachsen<br />

Im Jahr 2009 wurde Privathaushalten der drei kreisfreien<br />

Städte in Sachsen 9.900 Mal der Strom abgedreht, weil diese<br />

ihre Rechnungen nicht bezahlen konnten. 2008 waren es<br />

9.700 Fälle. Das geht aus der Antwort auf die Kleine Anfrage<br />

(Drucksache 5/989) von Dr. Dietmar Pellmann zu „Stromabschaltungen<br />

bei Privathaushalten in Sachsen“ ebenso hervor,<br />

wie die Tatsache, dass die Staatsregierung über keinerlei Daten<br />

zu Stromabschaltungen bei den Haushalten in den Landkreisen<br />

verfügt. Es scheint, als interessiere sich die Landesregierung<br />

nur für das Schicksal von Großstädtern, nicht aber<br />

pvl: Das BVG hat in seiner Entscheidung zu<br />

Jahresbeginn die Hartz-IV-Regelleistungen<br />

in ihrer aktuellen Form für nicht rechtens erklärt,<br />

eine genaue und interpretationsfreie<br />

Anleitung zum Handeln aber fehlt. Das bewog<br />

so manchen Unions- und FDP-Politiker,<br />

gar über eine Absenkung selbiger nachzudenken.<br />

Wie bewertet <strong>DIE</strong> <strong>LINKE</strong> das Urteil selbst<br />

und die Möglichkeiten seiner Auslegung?<br />

Dr. Dietmar Pellmann: Als Nichtjurist ist<br />

es sicher schwierig, jedes Detail des Urteils<br />

vom 9. Februar dieses Jahres in seiner ganzen<br />

Verästelung zu bewerten. Vielleicht ergeben<br />

sich gerade deshalb so unterschiedliche<br />

für das der Menschen, die auf dem Dorf in einer dunklen und<br />

kalten Wohnung hausen müssen. Hinter dem also nur höchst<br />

bruchstückhaften Zahlenmaterial verbergen sich die Schicksale<br />

Zehntausender Menschen. Die Versorgung mit Strom<br />

gehört in unserer Zeit jedoch zur Existenzgrundlage, die niemandem<br />

verwehrt werden darf. Insofern sind die „Abschalt-<br />

Zahlen“ Ausdruck größter sozialer Not. Auch die Landespolitik<br />

trägt Verantwortung dafür, dass alle Menschen in Sachsen<br />

ohne existenzielle Einschränkungen auf einem zivilisierten<br />

Mindeststandard leben können.<br />

12 pvl 2/2010

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