Etty Keizer, Kaldenkirchen - The 3 Saints
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haben wir immer gesagt: „Woolworth, <strong>Kaldenkirchen</strong>er<br />
Woolworth“ war das. Später verkauften die<br />
vor allem Stoffe und Bekleidung. Zwischendurch<br />
hatte Ernst noch eine Zigarrenfabrik und zwar ungefähr<br />
auf der Rückseite seines Geschäfts. Nachher,<br />
in der schweren NS-Zeit, haben die das Geschäft<br />
geteilt, links war der Verkaufsladen einer Bäckerei<br />
aus Leuth.<br />
Also, eins will ich nur sagen, um deutlich zu<br />
machen, wie umgänglich die Grunewalds waren,<br />
sonst wären die Angestellten nicht so lange geblieben.<br />
Die Abrahams Johanna war bis zu ihrer Hochzeit<br />
jahrelang dort in Stellung, auch noch in der<br />
schlechten Zeit.<br />
Kam die Sprache irgendwie auf die ganze Nazi-<br />
Geschichte, gab ihm mein Vater den guten Rat:<br />
„Ernst, nun mach doch auch, daß du nach England<br />
oder Amerika kommst. Verkauf hier alles und<br />
geh’ rüber oder egal wohin!“ „Nein“, sagte der<br />
dann, „Hermann, glaub’ nur nicht, daß die mir<br />
was anhaben können, ich bin nämlich schwer<br />
kriegsbeschädigt, mich tun se nix!“<br />
Ja, das hat er wohl gesehen. Zunächst hat er wegen<br />
einer Bemerkung in der Nazizeit drei Monate<br />
hier im Gefängnis gesessen. Das muß um 1934 gewesen<br />
sein. Die saßen am Stammtisch bei „Küppers<br />
Hänneske“ in der Wirtschaft, und die Herren unterhielten<br />
sich über Erbkrankheiten und ähnliche<br />
Geschichten. Es war auf jeden Fall das <strong>The</strong>ma<br />
„Mensch“. Und an irgendeiner Stelle sagte der Ernst<br />
in die Runde: „Wenn ihr noch weiter so redet, dann<br />
heißt es nachher noch, der Mensch stammt vom<br />
Affen ab!“<br />
Diese Bemerkung hat irgend jemand gehört, er<br />
wurde angezeigt und daraufhin hier so lange im<br />
Gefängnis inhaftiert. Nach drei Wochen wurde er<br />
verhört, wieder eingesperrt, kam dann zwischendurch<br />
mal acht Tage weg, wieder zurück, bis er<br />
endlich nach Haus entlassen worden ist. Jedenfalls<br />
hatte er die Nase gestrichen voll: „Also, jetzt ist<br />
Schluß! Hermann, ich glaub’, du hast recht, ich<br />
zieh’ nach Krefeld!“ (Seite 448 ff.)<br />
1935 kam Sigmund Grunewald, der Bruder von<br />
Ernst und Vater von Rolf, zu meiner Mutter hier<br />
ins Haus und sagte: „Frau Buscher, ich hab’ da noch<br />
Tabak liegen. Ich weiß, daß Sie mir helfen werden,<br />
wenn Sie können und nicht zu bang sind. Der Tabak<br />
liegt bei mir zu Hause und muß aufgearbeitet<br />
werden. Ich hätte auch schon jemanden, der Ihnen<br />
dabei hilft, und zwar Frau Bootz! Wenn Sie so<br />
gut sein wollen und den Tabak aufarbeiten, dann<br />
komm ich schon ein ganzes Stück weiter.“<br />
„Bootz Tilla“ (Hinssen Mathilde) so sagten wir<br />
immer, war eine Schwester von Frau Cappel. Bevor<br />
die Familie Grunewald im August 1937 nach Holland<br />
ausgewandert ist, haben sie und meine Mutter<br />
Sigmund noch geholfen, den Tabak in der Villa<br />
Karlstraße für die Herstellung von Zigarren vorzubereiten.<br />
Die geringe Produktion wurde dann an<br />
Private verkauft. Wir nahmen an, daß er für die<br />
Zigarren Lebensmittel beziehen konnte oder zumindest<br />
soviel Einnahmen hatte, um seinen Lebensunterhalt<br />
zu bestreiten.<br />
Unser Vater kannte alle jüdischen Bürger gut.<br />
Einmal habe ich gesehen und gehört, wie er mit<br />
einem Bekannten sprach, der in Dachau gesessen<br />
hatte. Ich meine, es sei einer von der Steylerstraße<br />
gewesen, vielleicht Linas Mann Simon Harf, Max<br />
Lion oder einer von den Sanders.<br />
Ich höre immer noch meinen Vater fragen: „Nun<br />
mußt du mir mal bloß sagen, ist das nun auch ein<br />
Gefängnis?“ Der andere starrte ihn entsetzt an:<br />
„Hermann, Hermann, Hermann, frach mich nix,<br />
frach mich nix!“ So stand der da. „Frach mich nix,<br />
es ist schrecklich, es ist ganz schrecklich, aber frach<br />
mich nix! So was Schreckliches!“<br />
Auf diese Weise haben wir das erste Mal vom<br />
Konzentrationslager Dachau gehört. Der war fix<br />
und fertig. Die <strong>Kaldenkirchen</strong>er Metzger jüdischen<br />
Glaubens kannte ich durch Schroers „Dores“<br />
(<strong>The</strong>odor). Der hatte etwa 1934/35 die Verpflegungsstation<br />
vom Gefängnis übernommen, ganz<br />
in unserer Nähe, ein paar Häuser weiter. Schroers<br />
war von Beruf Metzger und hatte immer mit den<br />
jüdischen Metzgern und Viehhändlern zu tun. Die<br />
handelten mit Vieh und schlachteten auch zusammen<br />
in dem Schlachthof von Devries. Ich war nämlich<br />
mit der Tochter von Schroers befreundet, deshalb<br />
kam ich mit den Leuten zusammen. Wir brachten<br />
regelmäßig Frühstücksbrote und Kaffee dorthin.<br />
In der ganzen Zeit ist nie etwas Negatives über<br />
die jüdischen Partner erzählt worden. Schroers hielt<br />
große Stücke von denen, sehr große Stücke sogar.<br />
Durch die Freundschaft mit Schroers Tochter<br />
kam ich jeden Tag zum Gefängnis, da sie oben in<br />
dem Haus wohnten. Unten in dem Gebäude war<br />
eine Zelle, die sogenannte „Frauenzelle“. Aber da<br />
kamen hauptsächlich diejenigen rein, die rebellierten<br />
oder anderweitig Krach schlugen. In dem Raum<br />
war nämlich eine Kugel einzementiert, an der<br />
307<br />
konnte ein Ring mit einer Kette angebracht werden<br />
für den Fall, daß der Gefangene irgend etwas<br />
anstellte. Dann kam die Verpflegungsstation, wo die<br />
„Tippelbrüder“ zuerst versorgt wurden und auch<br />
schlafen konnten. Dahinter waren vier oder fünf<br />
weitere Zellen.<br />
Etwa Mitte 1939 wurde Siegfried Sanders plötzlich<br />
ins Gefängnis eingeliefert. Schroers kannte<br />
Siegfried von der Metzgerei her, schloß ihm regelmäßig<br />
die Zellentür auf und nahm auch die Verpflegung<br />
von Eugen Küppers und Paul Kauwertz<br />
entgegen, die sie ihrem Freund brachten.<br />
Er sagte: „Sieg’, ich tu’ für dich, was ich nur eben<br />
kann, aber ich darf dich tagsüber nicht rauslassen.“<br />
Also, ich kann nicht mehr genau sagen, wie lange<br />
das dauerte, vielleicht eine Woche. Auf jeden Fall<br />
waren meine Freundin und ich dabei und haben<br />
das hautnah erlebt, als Siegfried eindringlich zu<br />
Schroers sagte: „Schroers, Schroers, um die und die<br />
Zeit geht das letzte Schiff. Wenn ich den Zug um<br />
die Uhrzeit nicht erwische, bin ich verloren.“<br />
Der Bescheid für seine Freilassung kam im letzten<br />
Augenblick. Schroers ist noch losgezogen mit<br />
dem Fahrrad, und es hieß, man hätte Siegfried zur<br />
Bahn gebracht. Die Hintergründe und wie das im<br />
einzelnen war, weiß ich nicht. Viele Inhaftierungen<br />
erfolgten wegen Kleinigkeiten bzw. aus rein<br />
politischen Gründen. Jedenfalls ist er erst in letzter<br />
Minute freigekommen.<br />
Jan van Nooy war zu Beginn der Nazizeit hier<br />
Pastor, und ihm zur Seite stand Kaplan Maréchal.<br />
Beide waren als entschiedene Gegner der Nazis bekannt.<br />
Van Nooy ist allerdings schon im Februar<br />
1938 gestorben.<br />
Zunächst erinnere ich mich an einen Kaplan<br />
Schöne, der sich wirklich für die Gemeinde einsetzte.<br />
Seine Schwester war im Sozialdienst und arbeitete<br />
für den Kreis.<br />
Aber dann Kaplan Maréchal! Der hat sich erst<br />
recht für die Belange der Kirche und Rechte aller<br />
Bürger eingesetzt. Also, der stammte aus Malmedy/<br />
Belgien. Aber dieser Kaplan, oh ja, ist immer gegen<br />
die Nationalsozialisten gewesen! Ja, der hat auch<br />
geholfen, der Maréchal, das weiß ich. Nachher war<br />
er so bedroht und sollte eines Morgens verhaftet<br />
werden. Ja, das war wirklich so. Mein Onkel Matthias<br />
hat da irgendwie Wind von bekommen, ist des<br />
Nachts um drei Uhr zu ihm gegangen und hat ihn<br />
gewarnt: „Du stehst auf der Abschußliste, mach, daß<br />
du wegkommst!“