Etty Keizer, Kaldenkirchen - The 3 Saints
Etty Keizer, Kaldenkirchen - The 3 Saints
Etty Keizer, Kaldenkirchen - The 3 Saints
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der ganze „Flugplatz von Venlo“. Mein Vater hatte<br />
Verständnis: „Ach, die armen Jungs, wir brauchen<br />
keine Marken. Das werde ich schon machen, das<br />
bißchen, was auf den Tortenboden geht.“ Die Kirschen<br />
hatten wir selber, und dann klappte das. Oder<br />
der hatte einen Mandelkuchen gebacken, nach<br />
Kriegsart, auf jeden Fall, der schmeckte. Und durch<br />
die Musik war Bombenstimmung bei uns, das kann<br />
sich jeder wohl vorstellen.<br />
Diese Soldaten, die lagen alle in der Stadt. Und<br />
in der Nacht, wie der Einmarsch in Holland war, da<br />
fielen die Bomben, und auf der Straße zog das Militär<br />
durch. Den „Spieß der Kompanie“ (Feldwebel)<br />
hatten wir im Haus.<br />
Ich kam von oben herunter und hörte nur: „Hilfe,<br />
Hilfe, hier, hier!“ Plötzlich fühlte ich auf der<br />
Schulter jemanden, der sich aufstützte bei mir, und<br />
ich sackte fast in die Knie, so schwer war der Mann.<br />
Ich hab’ den dann in die Küche geschleppt auf einen<br />
Stuhl, hab’ eine Kerze angemacht und dann<br />
im Kerzenschein gesehen, daß die ganze Hose an<br />
einem Bein blutrot war. Der hatte einen Splitter in<br />
den Oberschenkel gekriegt.<br />
Zunächst war ich kopflos, was tun. Ich hatte mal<br />
einen Rote-Kreuz-Kursus mitgemacht, hab’ dann<br />
erst mal Schubladen aufgezogen, suchte Kordel<br />
oder ähnliches, da fiel der Rummel schon auf die<br />
Erde. Dann hab’ ich die Bänder einer Schürze genommen<br />
und das Bein oberhalb der Wunde, so gut<br />
ich konnte, abgebunden. Inzwischen machten sich<br />
schon ein paar andere bemerkbar, krochen in der<br />
Wirtschaft herum, verwundet. Einem quoll das Blut<br />
so aus dem Stiefel, ein anderer hatte die Därme aus<br />
dem Bauch hängen. Ich sehe es noch. Daraufhin<br />
hab’ ich Handtücher genommen, aneinander geknotet,<br />
und mein Bruder im Backstubendress hat<br />
den auf die Schulter genommen und zum Krankenhaus<br />
getragen.<br />
Die ganze Zerstörung kam von der Bombe bei Holtvoeth<br />
auf dem Hof, und die Soldaten zogen ja gerade<br />
durch. Alles war kaputt. Durch diesen Angriff<br />
ist auch Gottlieb Assenheimer bei Küppers in der<br />
Wirtschaft schwer verwundet worden und hat sein<br />
Bein verloren. In dieser Nacht ist das passiert. Inzwischen<br />
war mein Vater hinzugekommen und drängte<br />
ständig: „Bitte, bitte, kommt in den Keller!“ Anschließend<br />
schleppte er zwei Mann nach unten. Wir<br />
wußten doch nicht, was los war. Keiner erkannte in<br />
dem Augenblick, daß es sich um Bomben handelte,<br />
die von Flugzeugen abgeworfen worden waren.<br />
Der „Spieß“ hielt mich krampfhaft fest und sagte<br />
immer: „Bitte, bitte, bitte, lassen Sie mich nicht<br />
alleine!“ Ich hätte das um alles in der Welt nicht<br />
fertiggebracht und blieb an seiner Seite. Ich hab’<br />
noch nie jemanden so in Not gesehen. Was der<br />
Mann für eine Angst hatte. Er ist in der Nacht noch<br />
nach Kleve gekommen, mit all den Verwundeten<br />
auf Lastautos, ausgelegt mit Stroh.<br />
Später hat er mir mal zu Weihnachten einen sehr<br />
netten Brief geschrieben und sich für die Hilfe bedankt.<br />
Er schickte mir eine Vorstecknadel mit drei<br />
kleinen Rosen. Der letzte Satz unten in seinem Brief<br />
fiel mir diese Nacht noch ein: „Nehmen Sie bitte<br />
diese drei kleinen Rosen als Erinnerung an einen<br />
Soldaten, der stets in Dankbarkeit an Sie denken<br />
wird.“ Das war ein Schauspieler des Dresdner Stadttheaters,<br />
ein älterer Mann schon, der aber dann<br />
ausgeschieden ist. Hatte aber doch sein Bein durch<br />
den Bombenangriff auf <strong>Kaldenkirchen</strong> verloren.<br />
Mein Vater sagte zu mir: „Ich hab’ ja den Ersten<br />
Weltkrieg erlebt, aber das habe ich noch nicht gesehen.“<br />
Dann sagte er: „Komm, wir gehen noch<br />
mal nach draußen, ob wir vielleicht noch irgendwo<br />
helfen können.“ Auf der Straße war ein heilloses<br />
Durcheinander, man stieß nur gegen Trümmer<br />
und Gerümpel. Plötzlich trat ich auf was Weiches.<br />
Ich zündete ein Streichholz an und ... stand bei<br />
Frieda Zimmer auf dem Arm, ihr fehlte der Kopf.<br />
Bei van Essen im Schaufenster lagen zwei so hinten<br />
rüber, und in dem „Gewurschtel“ in der Tür<br />
lag Dückers Heinz, schwer verwundet, und einer aus<br />
der Straße, der auch tot war. Ich bin dann völlig<br />
entnervt reingegangen und hab’ zu meinem Vater<br />
gesagt: „Das kann ich nicht mehr, also, das ist zuviel.“<br />
Nein, also das ganze Getümmel da!<br />
Es war ein schöner Tag gewesen, die Mädchen<br />
waren alle draußen auf der Straße, da wurde gesungen<br />
und die Soldaten mit Lampen beschienen,<br />
als das aus heiterem Himmel passierte. Und Abelen<br />
haben nichts gemerkt, nein, die haben das kaum<br />
wahrgenommen in der Nacht, höchstens einen<br />
Knall gehört, und dann war das vorbei. Die waren<br />
da nicht von betroffen. Im Krankenhaus war kein<br />
einziger Arzt, Dr. Lueb hat auch nichts gewußt. Also<br />
das war furchtbar.<br />
Ein Kalendertag spielte in unserem Leben zur<br />
damaligen Zeit eine größere Rolle und zwar der 26.<br />
August. An dem Tag wurde mein Mann 1939 eingezogen,<br />
an dem Tag haben wir 1941 geheiratet<br />
und an dem Tag 1945 kam mein Mann als einer<br />
320<br />
der ersten zurück, da war der Krieg aus. Alles am<br />
gleichen Tag.<br />
Sofort wurde er mit Lehrer Winand Cappel und<br />
Dückers Ronimus (Hyronimus) eingesperrt, weil er<br />
in der „SA“ gewesen war und bei den Nazis mitgemacht<br />
hatte. Ja, die wurden als Kriegsverbrecher<br />
bezeichnet. Die saßen hier 14 Tage im Gefängnis,<br />
sonst war da niemand eingesperrt. Drei richtig<br />
„Unösele“ könnte man wohl sagen, wenn man die<br />
drei gekannt hat. Allenfalls könnte man die als ein<br />
„bißchen Mitläufer“ bezeichnen.<br />
Die Heußens kamen zurück, da hat sich kein<br />
Mensch mehr gerührt. Dabei waren die doch die<br />
großen „Macker“ in <strong>Kaldenkirchen</strong>, „Sturmbannführer“<br />
und was weiß ich alles. Von einer Internierung<br />
dieser Brüder hab’ ich nie was gehört. Faig<br />
war bei der „Gestapo“. An Karl Otten kann ich mich<br />
jetzt genau besinnen, der war doch bei der Post,<br />
mit Dezelzki. Otten hab’ ich gut gekannt, das weiß<br />
ich. Das war hier damals der „Hauptmatador“.<br />
Mein Mann ist nie politisch in Erscheinung getreten<br />
und war der kleine „Schütze Piefke“, der<br />
mußte. Es gab hauptsächlich ein <strong>The</strong>ma, worüber<br />
man sich mit dem unterhalten konnte! In unserer<br />
Gaststätte, wenn der mal laut wurde, ging es nur<br />
um Fußball, und sonst hab’ ich den nie gehört.<br />
Dabei hab’ ich so viel Streit mit dem gehabt wegen<br />
der „SA“, das nutzte nichts. Der sagte nur: „Sobald<br />
ich jetzt kapituliere, hängen die mich auf, das<br />
kann ich nicht machen, die hängen mich auf.“<br />
Wenn der einfach nicht hingegangen wäre, wär’<br />
da auch nichts von gekommen, aber das war eben<br />
nicht so, da war der viel zu bang für. Mein Mann<br />
hatte ja das „braune Hemd“ und mußte mitmarschieren.<br />
Zu den Dienstübungen brauchte der nicht,<br />
weil er die Geldgeschäfte machte. Aber die Uniform<br />
hatten die, wenn mal irgendwo eine Kundgebung<br />
war, dann mußten die da erscheinen.<br />
Hier in <strong>Kaldenkirchen</strong> wurde die Inhaftierung<br />
veranlaßt durch Beumer Jupp und van Essen Gottlieb,<br />
die zwei waren die „Macker“. Ich bin zur Kommandantur<br />
gefahren und wollte bescheinigt haben,<br />
warum mein Mann inhaftiert war, da hatte ja inzwischen<br />
jeder wieder ein Anrecht drauf. Daraufhin<br />
haben die mir erklärt: „Haben wir nichts mit<br />
zu tun, ist Sache Ihrer Polizei!“ Hier bei der Polizei<br />
hieß es: „Haben wir auch nichts mit zu tun.“<br />
Also, Beumer und van Essen waren die zwei, die<br />
das damals gemacht haben. Beumer war früher<br />
Leiter des Grenzkommissariats, den hatten die Na-