Etty Keizer, Kaldenkirchen - The 3 Saints
Etty Keizer, Kaldenkirchen - The 3 Saints
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Wir haben den gekannt, wär’ ich keinen Schritt mit<br />
über gegangen, da war ich bang vor, vor Karl. Aber<br />
er hat nie was getan, das muß ich dabei sagen.<br />
Ich bin wach geworden damals, im November<br />
1938, als die die Geschäfte der Bürger demoliert und<br />
die Synagoge zerstört haben, das hat mich wachgerüttelt,<br />
kann man sagen. Ich habe entsetzt mit<br />
Herrn Kraayvanger vor Siegfrieds Geschäft mit den<br />
zertrümmerten Scheiben gestanden. Das war für<br />
mich das Schlimmste, anzusehen, wie die Velourshüte<br />
in der Gosse im Dreck lagen, und ich konnte<br />
keinen aufheben und zurückbringen, was ich gerne<br />
getan hätte.<br />
Aber bei Schreibwaren Breit, an der Kirche, gegenüber<br />
Siegfrieds Geschäft, waren welche von der<br />
„Gestapo“ als Zivilisten untergebracht, da sagte<br />
man „Jeheime“ zu. Kurzius Maria, Samenhandlung,<br />
gegenüber Jansses Leiken (Leonhard), hatte<br />
auch ein paar Gestapoleute in Quartier. Das wußten<br />
wir alle. Das Büro der „Gestapo“ war auf der<br />
Kanalstraße. Aber die waren so verteilt, die Kerlchen,<br />
und so gut aufgehoben in Privathaushalten. Auf<br />
dem <strong>Kaldenkirchen</strong>er Bahnsteig hatte die „Gestapo“<br />
alles im Auge. Die liefen da immer herum, aber<br />
ich kannte den Bahnhof besser als die.<br />
Otten Karl, das war ’ne „fiese Möpp“. Habe ich<br />
gehört, also ich weiß nicht, inwiefern. Unsere Mutter<br />
war so vorsichtig, die wußte mehr als wir, die<br />
mußte mit den sieben Kindern besonders aufpassen.<br />
Eines Tages war man weg vom Fenster. Das<br />
sind Dramen, die darf man sich gar nicht mehr vor<br />
Augen führen.<br />
Die Beschimpfung von Else Lion auf dem Bürgermeisteramt<br />
muß wohl Gehässigkeit gewesen sein<br />
(„Macht die Fenster auf, hier stinkt’s!“). Oh ja, da<br />
saßen die Fanatiker, d i e Pöstchen kriegten wir doch<br />
nicht, dabei waren wir genauso schlau wie die. Der<br />
Bürgermeister war eigentlich ein feiner Mensch. So<br />
Gewöhnlichkeiten trau’ ich dem nicht zu.<br />
Hedi (Hedwig), die Tochter von Else und Max<br />
Lion fuhr jeden Tag mit dem Zug, die „Juden“ mußten<br />
nach Gladbach zur Schule. Da war die Dorfjugend<br />
hinterher, hinter den Judenkindern.<br />
Die Dorfjugend! Ja, das glaub’ ich. Das waren<br />
Flegel, die hatten das große Sagen. Der Schlimmste<br />
war „Bongerts Clim der sinne“, (Sohn von<br />
Bongartz Clemens), das war der größte Flegel aus<br />
<strong>Kaldenkirchen</strong>, ein fieser Bursche. Wenn Hedi vom<br />
Bahnhof nach Hause ging, haben die sie gehänselt,<br />
zogen sie an den Haaren, nahmen der den<br />
Tornister weg, zogen ihr die Schleife aus dem Haar,<br />
wo die so dran kommen konnten, immer wurde sie<br />
belästigt, will ich mal sagen.<br />
„Och ja, dat woar en lekker Kenk, dat Hedi. Die<br />
hab’ ich oft an ’t Händchen jepackt“, so wie ich<br />
aus dem Zug stieg, wenn ich meinen Dienst beendet<br />
hatte, „komm“, und hab’ für die „Börschkes“<br />
gesagt: „Noch eeeiiinmal, dann schlag ich euch<br />
windelweich.“ So hab’ ich Hedi in Schutz genommen.<br />
Und wehe ...!<br />
Die Burschen hatten Schiß vor mir, ich schlug<br />
nämlich um mich: „Paßt bloß auf, Freunde!“ Ich<br />
hatte ja damals noch die Schaffnerinnenuniform<br />
an, war noch nicht im Innendienst, ich war wer,<br />
ich war richtiggehend geschult. Dann hab’ ich das<br />
Kind mit nach Hause genommen, ich wohnte ja<br />
auch auf der Venloerstraße.<br />
„Dat kleene Mäuschen, dat war immer so ’n<br />
schüchtern Kind. Wat wollen dann so ’n Kenger,<br />
wenn so ’n Horde kommt. So ’n Blagen, wat will<br />
dann so ’n Einzelkind? Do op dat foto is ’et janz<br />
nett! Da kann ich bald net henkieke, naar Hedi, so<br />
richtig treue Augen hat dat Kenk.“ (Seite 156).<br />
Ich verbrachte immer meine Ferien bei meiner<br />
Cousine in Bayerwald und hab’ zu meiner Mutter<br />
gesagt: „Wenn ich nach Bayerwald fahr’, nehm’<br />
ich die kleine Hedi mit.“ Dazu ist es aber nie gekommen.<br />
Meine Mutter sah in der schlimmsten Zeit<br />
nicht gerne, daß wir verreisten. Ich weiß, daß die<br />
„Juden“, auch Hedi, den „Judenstern“ tragen mußten.<br />
Das war nach der Zeit, wo ich sie vor der Dorfjugend<br />
beschützt habe.<br />
Während des ganzen Krieges war ich bei der<br />
Reichsbahn beschäftigt. Wir mußten uns hüten, da<br />
konnte man nichts sagen, wir waren auf Verschwiegenheit<br />
vereidigt.<br />
Der Ohlig war aus Rheydt: „Heil Hitler“, und<br />
wehe, wenn wir nicht laut und deutlich antworteten.<br />
Der lief uns mit dem Lineal nach und schlug<br />
uns auf die Rippen. Das haben wir noch als Scherz<br />
angesehen, das war für uns gar nichts Wichtiges.<br />
Das haben wir lächerlich gefunden, für jeden Schitt<br />
„Heil Hitler“ zu sagen, das gab es denn ja nicht.<br />
Aber es war eine schlimme, spannende Zeit. Man<br />
wußte nicht, was kommt da auf uns zu.<br />
Eines Tages kam ich in Dalheim in die Nähe eines<br />
Waggons auf einem Abstellgleis und hörte plötzlich<br />
Geräusche. Ein Raunen und Zittern. Neugierig,<br />
wie ich als Kind schon immer war, ging ich<br />
näher heran und hörte, daß da Menschen drin<br />
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waren, und es war b i t t e r k a l t, es war b i t t e rk<br />
a l t ! Da kam direkt ein Beamter: „Suchen Sie<br />
was Bestimmtes?“<br />
„Die leete die glatt do bevreese“, erfrieren, das ist<br />
nicht zu glauben. Das war im Krieg, als ich bei der<br />
Bahn war, der Waggon war abgestellt. Nein, das<br />
waren keine Kriegsgefangenen, damit gingen die<br />
„feiner“ um. Ich wußte nicht, wer da drin war. Aber<br />
ich glaube, die Menschen zitterten vor Kälte. Es war<br />
grauenhaft, das anzuhören. Und sofort kam ein<br />
Beamter mit der Leuchte und hat mich vertrieben.<br />
Ich durfte das gar nicht wissen. Ich wußte mir auch<br />
keinen Reim daraus zu machen, aber daß es Menschen<br />
waren, und keine Kühe, das war mir klar.<br />
Ich hatte einen Vierkantschlüssel, damit konnte ich<br />
alles öffnen. Ich habe es aber nicht getan. Ein Aufpasser<br />
stand praktisch in der Nähe, und das war<br />
gefährlich!<br />
Die Konzentrationslager hat man uns verschwiegen.<br />
Das bin ich erst nach dem Krieg gewahr geworden.<br />
Da wurden wir erst aufgeklärt.<br />
Die „SA“ kam immer zusammen bei Heußen<br />
Pitter, Stappstraße, hinter uns. Zu der Zeit mußte<br />
ich einer Organisation der „Partei“ angehören.<br />
„Ja, wat hat ’r dann för Gliederungen?“, weil ich<br />
zu Hause selbständig war. Für „Frauenschaft“ oder<br />
„BDM“ (Bund deutscher Mädel in der Hitlerjugend)<br />
war ich entweder zu alt oder zu jung. „Ja, wat hat<br />
’r dann noch?“ „Jut, werd’ ich Rote Kreuz!“ „Um<br />
Joddeswille“, sagte meine Mutter, „du kanns doch<br />
ja kin Blut sehen!“ „Och“, ich sag’, „et wird wohl<br />
jar nicht so bluten.“ Und ob es geblutet hat!<br />
Martha Rietz (geb. Heimen) war unsere Bereitschaftsführerin<br />
beim Roten Kreuz, eine patente<br />
Frau, bei ihr mußten wir eine Prüfung ablegen.<br />
„Joddeswille“, wiederholte meine Mutter, „du kanns<br />
doch ja kin Blut sehen!“ „Tja, Mam, muß ich mich<br />
verkneifen!“<br />
In <strong>Kaldenkirchen</strong> sind die ersten Bomben Pfingsten<br />
im Mai 1940 gefallen, da war „Fräulein Heinen“<br />
im Einsatz. Meine Schwester und ich waren<br />
in der Bombennacht unterwegs und haben unheimlich<br />
„Dusel“ gehabt. Auf der Seite der Kirche<br />
zur Kehrstraße hin war alles kaputt. Wir standen<br />
auf der anderen Seite und haben bei Abelen Zuflucht<br />
genommen. Meine Schwester haben die sofort<br />
in den Keller gezogen, ich kam nicht mehr so<br />
weit und stand wie zur Salzsäule erstarrt in der Tür<br />
bei Abelen Kathrinchen, als die Bomben fielen.<br />
„Himmel, Hamel, Kniptang!“