Etty Keizer, Kaldenkirchen - The 3 Saints
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Etty Keizer, Kaldenkirchen - The 3 Saints
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ei Ahaus über die holländische Grenze gezogen.<br />
In der Früh, zwischen vier und fünf Uhr, hörten wir<br />
jede Menge Flugzeuge nach Holland fliegen. Zum<br />
Teil waren da auch „Lastensegler“ bei, ich hab’ sie<br />
zwar selbst nicht gesehen, aber die haben Bomben<br />
über Rotterdam abgeworfen. Vier bis fünf Tage später<br />
kamen wir durch Rotterdam, wir mußten das<br />
Fort besetzen, die Festung von Hoek van Holland.<br />
In Rotterdam war die ganze Innenstadt zerstört, das<br />
sah verheerend aus, verheerend. Das kann man sich<br />
gar nicht vorstellen.<br />
Im Verlauf des Krieges habe ich später von außen<br />
das bekannte Konzentrationslager Majdanek 1 gesehen,<br />
von dem man schon mal hört. Zu der Zeit<br />
war ich stationiert bei einer Sanitätskompanie der<br />
Wehrmacht, Sanitätsabteilung Lublin (Polen).<br />
Majdanek liegt drei bis vier km außerhalb von<br />
Lublin, und bei unseren Spaziergängen sonntags<br />
mittags kamen wir in die Nähe der Baracken.<br />
Aus einer Entfernung von etwa 30 Metern konnten<br />
wir die Menschen auf den Pritschen liegen sehen,<br />
zwei bis drei Lagen übereinander. Weitere Einzelheiten<br />
waren aber nicht zu erkennen. Die Dienstzeit<br />
von Lublin stand in meinem Soldbuch, und<br />
als die alliierte Besatzung dadurch auf den Namen<br />
Majdanek stieß, mußte ich ein paar Mal bei der<br />
Besatzungsarmee erscheinen.<br />
1. Lublin-Majdanek und Auschwitz-Birkenau waren<br />
sowohl Konzentrations- als auch Vernichtungslager.<br />
(„NS-Deutsch“ Straelener Manuskripte Verlag)<br />
Herbert Dahmen<br />
Ich war früher sehr eng mit Abelen Heini und <strong>Keizer</strong><br />
Paul befreundet. Paul und ich waren gleichaltrig,<br />
beide von 1909, als Kinder haben wir schon immer<br />
zusammen gespielt. Zu der Zeit wohnte seine Familie<br />
neben uns in dem rechten Haus der Metzgerei<br />
Devries und führte ein kleines Schuhgeschäft.<br />
Zwischen uns und <strong>Keizer</strong> war die „Schaaffhausen’sche<br />
Bank“.<br />
Auch Abraham Cohen wohnte bei Devries, ich<br />
habe ihn gut gekannt, von Kind an. Das war ein<br />
sehr sympathischer Mann der Abraham, ein sehr<br />
sympathischer und freundlicher Mann, wirklich!<br />
Paul <strong>Keizer</strong> war ein sehr guter Turner. Jedes Jahr<br />
wurde Bergfest auf den Süchtelner Höhen abgehalten.<br />
Paul sagte: „Ich fahr’ mit nach Süchteln. Ich<br />
will einen Kranz haben.“ Siegreich kam er mit ei-<br />
nem Lorbeerkranz nach Hause und hatte den ersten<br />
Preis in einer Turndisziplin errungen.<br />
Während der Nazizeit im Februar 1938 erschien<br />
im „Stürmer“ der Name unseres Geschäfts A.H.<br />
Dahmen. 1 <strong>Kaldenkirchen</strong> war ja eine ausgesprochene<br />
Beamtenstadt. Ich hatte noch keinen Wind<br />
davon bekommen, da kamen morgens schon zehn<br />
Beamtenfrauen in unseren Laden: „Herr Dahmen,<br />
gucken sie mal, was ich noch zu bezahlen habe.<br />
Mein Mann hat gesagt, ich soll das erledigen. Ich<br />
darf leider nicht mehr bei Ihnen kaufen.“<br />
Da wußte ich noch gar nicht, was los war und<br />
wurde dann aufgeklärt. Die „Stürmer“-Nummer 8<br />
habe ich noch. Uns wurde vorgeworfen, wir hätten<br />
bei einer jüdischen Firma Blum, Berlin, gekauft.<br />
Der „Stürmer“ wurde in jeder Stadt verkauft und<br />
im „Stürmerkasten“ ausgehängt.<br />
Daraufhin mußte ich zum Ortsgruppenleiter<br />
Otten Karl gehen und „kleine Brötchen backen“.<br />
Ich mußte, ich war gezwungen! Die Beamtenkundschaft<br />
ist damals sehr groß gewesen, erst recht,<br />
als der Grenzbetrieb noch hier in Blüte war. Da<br />
mußte ich wohl oder übel, das war mein schwerer<br />
Gang, aber ich habe es getan.<br />
Otten meinte: „Wir haben bald eine Versammlung.<br />
Da werde ich das vorbringen und erwähnen,<br />
daß Ihnen das sehr leid tut usw. und daß sie sich<br />
verpflichtet hätten, der Partei beizutreten und 100<br />
Mark in die Kasse zu zahlen.“<br />
Damals wurde jeder Parteimitglied, ob er wollte<br />
oder nicht. Der wurde so getreten, daß er eines Tages<br />
sagte: „In Gottes Namen, geh nur drin!“ Das<br />
waren bewegte Zeiten.<br />
Ich hatte einen Brief, der die Entlassung von Siegfried<br />
Sanders aus dem Konzentrationslager Dachau<br />
betraf, ein sehr interessantes Dokument, das ja<br />
zu meinen Geschäftsakten gehörte.<br />
Die Übernahme seines Geschäfts durch uns hat<br />
ihm den „Urlaub“ eingebracht. Er ist dann nicht<br />
mehr zurückgegangen, obwohl er das als Auflage<br />
hatte. Ich habe damals noch zu meiner Familie<br />
gesagt: „Das freut mich sehr, ich darf für mich in<br />
Anspruch nehmen, daß ich dadurch Siegfried das<br />
Leben gerettet habe.“<br />
Ich bin noch nach Düsseldorf gefahren, zur „Gestapo“,<br />
und habe den Antrag dort gestellt. Auf Grund<br />
der Geschäftsübertragung hat er den „Urlaub“ gekriegt,<br />
er mußte ja die Sache persönlich abwickeln.<br />
Leider durfte ich den Kaufpreis nicht an Siegfried<br />
auszahlen, der ging an eine staatliche Stelle.<br />
309<br />
Das wußte Siegfried auch. Ich mußte nachweisen,<br />
wo es hingegangen ist. Das hat mir damals leid<br />
getan, daß er das Geld nicht bekam. Erst mußte er<br />
das Geschäft zwangsläufig verkaufen, und dann<br />
kriegte er das Geld noch nicht mal, obwohl ich es<br />
ausgegeben hatte dafür.<br />
Um sein Geschäft kaufen zu können, habe ich<br />
in Köln, Kreuzgasse, ein Haus verkaufen müssen,<br />
ich habe Opfer gebracht dafür. Nach dem Krieg<br />
wurde der Kauf rückgängig gemacht, und da bekam<br />
ich für meine 45.000 Mark durch die Abwertung<br />
noch ganze 5.500 zurück.<br />
Als die Verfolgung durch die Nazis in <strong>Kaldenkirchen</strong><br />
so schlimm wurde, habe ich Paul <strong>Keizer</strong><br />
eine Zeitlang bei uns in der Gartenscheune versteckt.<br />
Der Garten befand sich hinter dem Marktplatz,<br />
wo jetzt das neue Postamt ist. Ich bin jeden<br />
Morgen hingegangen, habe ihm das Frühstück<br />
gebracht und ihn oben in dem Schuppen beköstigt<br />
und beherbergt, so gut es ging. Das hat ein paar<br />
Wochen gedauert.<br />
Als das zu lang wurde, habe ich eines Tages zu<br />
ihm gesagt: „Paul, ich beherberge dich gern, wir<br />
sind befreundet. Aber stell dir mal vor, es wird bekannt,<br />
ich hätte dich hier monatelang versteckt.<br />
Weißt du, was mit meiner Familie passiert? Der<br />
Paragraph für Sippenhaft würde direkt bei uns angewandt<br />
werden. Ich würde es noch ertragen, aber<br />
ich darf es meiner Familie nicht zumuten, da wirst<br />
du doch Verständnis für haben!“<br />
„Ja“, sagte er, „ich will ja sowieso weg, ich achte<br />
also jetzt darauf. Sobald die Witterungsverhältnisse<br />
so sind, daß ich ohne Risiko durch den Grenzwald<br />
komme, bin ich weg. In Venlo habe ich sofort Unterstützung.<br />
Das kann ich dir nicht länger zumuten,<br />
ich muß weg, muß weg. Also wundere dich<br />
nicht, wenn ich in den nächsten Tagen morgens<br />
nicht mehr da bin.“<br />
Und eines morgens war er weg, es war für mich<br />
eine Erleichterung: Dann ist ihm die Flucht nach<br />
Holland Gott sei Dank geglückt. Die Grenze war<br />
damals stark bewacht, aber Paul war ein sehr geschickter<br />
und schlauer Mann, der ist schon keinem<br />
Schergen in die Finger gefallen. Wäre es ihm nicht<br />
geglückt, dann wäre schon längst einer von den<br />
„SA“-Schergen bei mir gewesen. Die hätten den ja<br />
ausgequetscht wie eine Zitrone. Dann wäre ich<br />
nämlich der Dumme gewesen.<br />
Ich würde ihn so charakterisieren: Er hatte eine<br />
große Energie, was er sich vorgenommen hatte,