Etty Keizer, Kaldenkirchen - The 3 Saints
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zis amtsenthoben, das stimmte, und nach dem<br />
Krieg war der wieder in seine alte Stellung gekommen.<br />
Mein Schwiegervater war ja vor der Nazizeit<br />
selbst bei der Polizei in <strong>Kaldenkirchen</strong>. Meine<br />
Schwiegermutter war befreundet mit Frau Hansen<br />
vom Gefängnis, wo die drei saßen. Ich wollte denen<br />
Essen bringen in der schlechten Zeit, wir hatten<br />
ja noch ein bißchen mehr. Da hat Beumer das<br />
untersagt, obschon der bei meinen Eltern die<br />
Steuerberatung machte, das war ein großes <strong>The</strong>ater.<br />
14 Tage dauerte das, und mein Mann hatte<br />
Angst bis dorthinaus nach dem verlorenen Krieg.<br />
So wie ich das in Erinnerung hab’, kann es sein,<br />
daß die Grabsteine auf dem alten jüdischen Friedhof<br />
an der Jahnstraße in der Nazizeit umgestoßen<br />
worden sind. Dann ist der Krieg gekommen, und<br />
die sind liegengeblieben oder zum neuen jüdischen<br />
Friedhof gebracht worden.<br />
Ich weiß nämlich, die „SA-Leute“, darunter auch<br />
mein Mann, direkt nach dem Krieg noch „Naziverbrecher“<br />
genannt, mußten die Grabsteine aufsetzen.<br />
Ich meine, der hatte eigentlich das Allerwenigste<br />
damit zu tun, aber einer mußte es ja machen.<br />
Da wurde dieser neue Friedhof für die „Juden“<br />
freigegeben. Ich weiß, mein Mann hat mir<br />
gesagt, das wäre ihnen viel zu viel Arbeit gewesen,<br />
sie hätten die alten Grabsteine irgendwo abgekippt<br />
und meistens vergraben. Ich meine, die müßten<br />
auf dem neuen Friedhof in der Erde verbuddelt sein,<br />
weil die da alle gelegen haben. Mit Sicherheit liegen<br />
die auf dem Friedhof unter der Erde. Ich gehe<br />
ein- bis zweimal im Jahr dort hin.<br />
Als Strafe mußten die Männer außerdem an der<br />
Chaussee nach Breyell die Bäume fällen und entfernen.<br />
Außerdem mußte jeder sechs Meter<br />
„schöppen“. Hansen, der Polizist, kam nachmessen.<br />
Das war eine richtige Gaudi. Auch Koenen Jupp<br />
mußte schöppen, der war auch später dabei. Alles,<br />
was mit der „Partei“ zu tun hatte. Viele ließen sich<br />
das von anderen gegen Bezahlung machen, so weiß<br />
ich das noch.<br />
Es ist eine Schande, daß die ganzen Bürger unserer<br />
jüdischen Gemeinde umgebracht oder vertrieben<br />
und damit vollkommen ausgemerzt worden<br />
sind in <strong>Kaldenkirchen</strong>. Bürger, die eigentlich, wie<br />
auch Siegfried Sanders, nur anderen Leuten Gutes<br />
getan haben, nicht wahr! Wenn die Kunden nicht<br />
ihre Anzüge bezahlen konnten, erhielten sie die<br />
Ware anstandslos auf Raten. Das weiß ich von einer<br />
ganzen Menge von Leuten, ja, das kann ich<br />
bestätigen, weiß ich ganz genau. Auch daß Siegfried<br />
Sanders bei der Ausstattung von Kommunionkindern<br />
geholfen hat, weiß ich ganz bestimmt.<br />
Wir haben immer Beziehungen zu den jüdischen<br />
Bürgern gehabt, sonst hätten meine Eltern mich ja<br />
nicht zu Devries am Kirchplatz einkaufen geschickt.<br />
Ich kann mich noch sehr gut an Metzger Simon<br />
Devries erinnern, und daher weiß ich auch, daß die<br />
Leute keine Kinder hatten. Auch bei Simon Sanders<br />
auf der Bahnstraße kauften wir ein. Es hatte auch<br />
nichts mit Geschäft auf Gegenseitigkeit zu tun,<br />
Devries sind nie zu uns in die Wirtschaft gekommen.<br />
Wir hätten nicht in „jüdischen Geschäften“<br />
zu kaufen brauchen. Sicherlich haben sie gutes<br />
Fleisch gehabt, sonst hätten meine Eltern mich<br />
nicht dahin geschickt. So ist es doch gewesen. Nein,<br />
bei uns wurde nie davon gesprochen, daß die was<br />
Besonderes oder was Anderes waren als wir. Wir haben<br />
die als alte <strong>Kaldenkirchen</strong>er Bürger betrachtet,<br />
wie jeden anderen auch.<br />
Allerdings wurden Unterschiede gemacht, wie<br />
auch bei meinen Eltern, besonders mit den Evangelischen,<br />
da gab es schon Spannungen. Auf dem<br />
Hof wurde bis zu einer bestimmten Grenze gespielt,<br />
dahinter war „evangelischer“ Hof. Quatsch, nicht,<br />
war das nicht Unfug? Für mich war das im Grunde<br />
dasselbe, und so habe ich das auch früher empfunden.<br />
Die Familie Gustav Sanders wohnte auf der Steylerstraße.<br />
Lina habe ich noch gekannt, auch weiß<br />
ich, wie die geheiratet hat. Furchtbar alles, was da<br />
mit denen passiert ist. Da darf man gar nicht mehr<br />
drüber nachdenken. Mein, Gott, was sind die Leute<br />
doch von einem schweren Schicksal getroffen worden.<br />
Wie man so was machen kann! Ja, so ist das<br />
im Leben gewesen. Das ist eine traurige Sache, wirklich<br />
traurig. Was will man machen?<br />
Aber, das muß ich ehrlich gestehen, also, wie ich<br />
das erlebt habe, als junge Frau, hab’ ich immer<br />
gesagt: „Wenn das gerecht sein soll, dann glaube<br />
ich nicht, daß es noch einen Herrgott gibt.“ Und<br />
ich war mir sicher, später, wenn es mal eine Zeitlang<br />
her ist, dann werden wir da noch von hören,<br />
das hab’ ich auch immer gedacht!<br />
1. Eva-Hilde Noach mit Sohn Rami, Beer Sheva<br />
(Seite 257 ff.).<br />
321<br />
Lydia Ginditzki<br />
Was mir heute so leid tut: Die Nazis kamen zu mir,<br />
wir gingen einfach auf den Speicher, und die hängten<br />
die Hakenkreuzfahne oben aus dem Dachfenster.<br />
Das waren Angehörige der „Partei“. Wer es genau<br />
war, ich kann das nicht mehr sagen. Ja, sicher,<br />
nur weil bei uns gegenüber die Synagoge stand. Die<br />
Fahne hat da eine ganze Zeit gehangen, nachher<br />
hab’ ich sie weggetan. Also, da fühle ich mich schuldig,<br />
aber sonst bin ich mir keiner Schuld bewußt.<br />
Meine Mutter war sehr gut mit den Sanders-Kindern<br />
aufgewachsen, Julchen war ihre allerbeste<br />
Freundin, die Frau von Moses Hoffstadt. Ich freue<br />
mich so sehr, die auf dem Bild noch mal wiederzusehen.<br />
Moses kenn’ ich aber nicht mit dem Bart,<br />
der hatte nur immer einen Schnäuzer.<br />
Julchen, Julchen, und das ist Lina? Ach, du liebe<br />
Zeit! Das ist Sally, ihr Bruder, und das ist ihre Hochzeit.<br />
Ach, Lina, Lina, wie glücklich, nicht! Hier saß<br />
ich in der höheren Töchterschule, und da saß Lina.<br />
Wenn ich mal was nicht wußte, dann ging ich zu<br />
Lina abschreiben. Dann war mir wieder geholfen.<br />
Meine Mutter hieß auf hochdeutsch Luise<br />
(Ginditzki), auf platt nannte man die nur „Haasen<br />
Luisken“. Ja, Julchen war ein todguter, todbraver<br />
Mensch. Wenn „Schabes“ (Sabbat) war, brachte sie<br />
„Luisken“ ein Paket „Matzen“, das vergaß sie nie.<br />
Wenn meine Mutter wüßte, was da passiert ist, die<br />
würde zuviel kriegen und sich im Grab umdrehen.<br />
In der Bäckerei Siemes, Kehrstraße, ging ich früher<br />
Brot holen. Daneben waren Moses und Julchen,<br />
so ’n kleines Häuschen mit einem ganz kleinen<br />
Lädchen. Wenn wir von der Bäckerei nicht durch<br />
die Stadt gehen wollten, gingen wir hinten raus,<br />
und kamen in „de länger Müerkes“ aus, dann am<br />
Marktplatz und waren schon zu Hause.<br />
Jakob Hoffstadt, genannt „Pirap“ war der Bruder<br />
von Moses. Der war Händler und zog mit einem<br />
Bündel, zusammengehalten durch Kordel, von Bauer<br />
zu Bauer und verkaufte dort seine Ware. Seine<br />
Schwester Frieda war Näherin, kreuzbrave Leute.<br />
Also, hätte man meiner Mutter was Schlechtes von<br />
den ganzen Hoffstadt-Kindern gesagt, dann hätte<br />
man Streit mit ihr gekriegt. So gut war die darauf<br />
zu sprechen.<br />
Die Synagogenstraße, in der wir früher wohnten,<br />
war nur so’n kleines Sträßchen. Das Elternhaus<br />
meiner Mutter war das alte Haasen-Haus Synago-