Etty Keizer, Kaldenkirchen - The 3 Saints
Etty Keizer, Kaldenkirchen - The 3 Saints
Etty Keizer, Kaldenkirchen - The 3 Saints
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chen konnten! Ja, es war furchtbar, es war etwas<br />
Außergewöhnliches, da waren einige dafür und<br />
andere empört. Aber die durften ja nicht laut werden,<br />
nicht, die mußten ja den Mund halten. Das<br />
durfte man nicht offen zeigen, da war man auch<br />
zu gescheit für, denn sonst hatte man die am Hals.<br />
Ja, es war schlimm, sehr schlimm!<br />
Ich bin früher in die evangelische Kirche gegangen.<br />
Da ist nie etwas gegen die Nazis gesagt worden.<br />
Ich glaube, dafür hatten die auch zu viel Angst.<br />
Pastor Matthaei, weiß ich, der war nicht dafür, aber<br />
der mußte ja auch den Mund halten.<br />
Karl Otten war ein Gegner der jüdischen Bürger.<br />
Er war ein guter Fußballspieler wohl, aber ansonsten<br />
ein großer Feind.<br />
Vor der Verschleppung mußten alle jüdischen<br />
Bürger den „Judenstern“ tragen. Bei unseren Nachbarn<br />
Simon „lag ich platt“, und jedesmal, wenn<br />
ich ihnen begegnete, erging es mir so. Also, das war<br />
ein Empfinden, wir waren alle verstört, weil wir doch<br />
mit ihnen aufgewachsen waren. Es waren ja Menschen,<br />
die uns nie was getan hatten und dann auf<br />
einmal das. Wir waren alle wie vor den Kopf geschlagen.<br />
Die haben selbst den Mund nicht aufgemacht,<br />
die waren bange. Die liefen herum wie geduckte<br />
Mäuse und konnten es am allerwenigsten<br />
begreifen.<br />
Ich kann mich allerdings nicht besinnen, daß<br />
die Bürger, die sich zuletzt noch hier befanden,<br />
nachher bei Simon im Haus gewohnt haben. Wenn<br />
die dort alle zusammenziehen mußten, ahnten die<br />
schon, was auf sie zukam.<br />
Helene Heinen<br />
Siegfried Sanders war immer ein charmanter Mann,<br />
ehrlich!<br />
Ich bin am 29. November 1915 zur Welt gekommen.<br />
Ja, aber man wird alt. Ich war auch mal eine<br />
charmante Frau. Weil ich in der Modebranche tätig<br />
war, ich hatte Kostümnäherin gelernt, da konnte<br />
man sich nicht hängen lassen.<br />
Siegfried bleibt Siegfried, das war ein toller Mann.<br />
Siegfried, Eugen Küppers und Paul Kauwertz! Die<br />
Freunde waren zu dritt: „Ein Protestant, ein Jude<br />
und ein Katholik.“ Die kamen immer zusammen,<br />
gingen spazieren, wir wohnten ja Venloerstraße 25,<br />
Stapp hoch, da gingen die runter, bis zum Trappistenkloster.<br />
Das waren drei treue Freunde. Eugen,<br />
Siegfried und Paul waren doch untrügerisch feine<br />
Menschen, absolut.<br />
Die Mutter von Siegfried, Mina Sanders, hab’ ich<br />
gut gekannt. Meine Tante Anna Schouren, Fährstraße<br />
(Hock) war eng mit ihr befreundet.<br />
Roosen und Lankes wohnten früher, wie wir, neben<br />
der Stappstraße. Das war die Schmugglergasse,<br />
es geht da hoch bis nach Holland. Dort kamen die<br />
Schmuggler mit Säckchen unter’m Arm bei uns<br />
vorbei, in der Dunkelheit zogen die hoch bis auf<br />
die holländische Seite, direkt an der Grenze, und<br />
dann kamen die wieder vollbepackt bei uns herum.<br />
Das waren die Großschmuggler. Die packten<br />
dann aus, nicht einmal, oft, aber nie haben wir die<br />
dabei erwischt. Unser Schuppen hinter dem Haus<br />
ging auf den Stapp, auch unser Klo hatten wir da.<br />
Morgens fanden wir dann Packpapier: alles ausgepackt,<br />
neu verstaut und umgebunden, so gingen<br />
die zur Bahn. Mit dem Frühzug morgens nach<br />
Gladbach, Düsseldorf, und wer weiß, wo die her<br />
kamen. Wenn meine Mutter ein neues Schloß drauf<br />
machte, das war direkt wieder geknackt, ob wir ein<br />
Schloß drauf hatten oder nicht, immer machten<br />
die sich da zu schaffen, da kannten die nichts. Aber<br />
nie ein Stückchen Schokolade oder ein Päckchen<br />
Zigaretten oder Tabak liegen lassen, nie. Das waren<br />
die Grossisten.<br />
Meine Mutter, Heinen Lena (Helene), geb. Terhaag,<br />
hat bei Julchen und Moses Hoffstadt auf der<br />
Kehrstraße gewohnt, als sie jung verheiratet war.<br />
Die hat da gerne gewohnt, davon hat sie oft erzählt.<br />
Wenn Julchen flott kochen mußte und hatte irrtümlich<br />
das Fleisch in den falschen Pott getan, dann<br />
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hat die gezetert und geweint.<br />
Daraufhin sagte meine Mutter: „Wat mäk’se möt<br />
dat Fleesch?“ „Dat künne wer net earte, Lena, dat<br />
schmiet ich wech.“ „Nä, dann jev’ et mich maar.“<br />
Das hat die uns immer erzählt, das vergess’ ich<br />
auch in alle Ewigkeit nicht. Das war ja ein Fanatismus,<br />
den die hatten, eine Besessenheit oder deren<br />
strenge religiöse Erziehung, die aßen einfach nicht<br />
das Fleisch, das die entgegen den Glaubensregeln<br />
gebraten hatten.<br />
Wie oft hab’ ich bei den alten Lion das Gas angemacht,<br />
als wir in der Nachbarschaft auf der Venloerstraße<br />
wohnten, neben Meertz Engel (Engelbert).<br />
Das hab’ ich nicht einmal, sondern oft gemacht.<br />
Bertha stand an der Tür, eben die Ecke rum in der<br />
Fährstraße, wartete und paßte eine von uns ab. Die<br />
durften samstags, am Sabbat, kein Gas und kein<br />
Feuer anmachen. Das empfanden die als Sünde,<br />
war gegen die Vorschriften ihrer Religion.<br />
Ich weiß auch noch genau, über der Haustür<br />
hatten sie die „Bundeslade“. Das war so ’n kleines<br />
Hornröhrchen, da war die drin „gefrimelt“. Das war<br />
denen ihr ein und alles, durfte kein Christ berühren.<br />
Haben wir aber getan, haben bloß geguckt, ob<br />
dann was passiert. Mal eben so gefühlt, nichts passiert,<br />
alles Quatsch, was für Blagen!<br />
Wie ist es den jüdischen Mitbürgern damals ergangen,<br />
den hauptsächlich Betroffenen? Schlimm,<br />
das war gar nicht zu beschreiben. Die hatten doch<br />
schon immer Angst, von Natur aus war der „Jude“<br />
ängstlich. Wenigstens haben wir das so empfunden.<br />
Die hielten sich zurück, das waren verschüchterte<br />
Menschen. „Juden“ waren für uns Menschen,<br />
die wir genauso behandelten und beachteten wie<br />
jeden anderen auch.<br />
Bei den „Juden“ haben wir immer eingekauft,<br />
die Metzger hatten das beste Rindfleisch. Zu Lion<br />
gingen wir schnell, wenn irgendwas vergessen war.<br />
Die hatten Kolonialwaren, Salz, Zucker und im<br />
Schuppen Petroleum. Siegfried Sanders war immer<br />
derjenige, der Anzüge belieferte, der gab Kredit. Aus<br />
dieser Zeit stammen die Kleiderbügel, die ich noch<br />
von ihm habe.<br />
Aber als nachher die Hetze begann, das Kesseltreiben<br />
der Nazis, wurde es schon dramatischer, da<br />
gingen wir auswärts in die Stadt. Das ist eine schwere<br />
Sache gewesen damals für alle, aber die „Juden“<br />
waren betroffen, das waren die ärmsten, und warum?<br />
Unsere Mutter hat lange bei „Juden“ gewohnt,