Etty Keizer, Kaldenkirchen - The 3 Saints
Etty Keizer, Kaldenkirchen - The 3 Saints
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Neben dem Friedhof wurden früher Menschen<br />
beerdigt, die nicht mit den Sakramenten versehen<br />
gestorben sind, die Selbstmord verübt hatten, Selbstmörder.<br />
Die wurden ganz für sich beigesetzt.<br />
Ein Mädchen kannte ich sehr gut. Ihr Verehrer<br />
war Protestant, die durften nicht heiraten, das Mädchen<br />
war katholisch. Protestant und Katholik. Da<br />
hat der Protestantenjunge sich in der evangelischen<br />
Kirche an den Gashahn gelegt. Und das Mädchen<br />
ist in den Breyeller See gegangen, die war bildhübsch.<br />
Das war in meiner Jugendzeit. Das Mädchen<br />
wurde in <strong>Kaldenkirchen</strong> auf dem katholischen<br />
Friedhof abseits beerdigt, lange hat die da gelegen.<br />
Am Draht. Diejenigen, die Selbstmord verübten,<br />
galten noch weniger als Tiere. Aber andere Menschen<br />
kaputtzuschießen war egal, so was Paradoxes.<br />
Das war schlimm, das waren liebe Leute, unsere<br />
ehemaligen jüdischen Bürger.<br />
Gisela Hergett<br />
Ich bin eine Tochter von Robert Roggendorf und<br />
wurde im März 1921 in dem Haus Bahnhofstraße<br />
55 geboren, wo ich bis zu meiner Hochzeit 1943<br />
wohnte. An dieses Haus ist 1903 das Haus von Simon<br />
Sanders angebaut worden. Wir hatten immer<br />
ein gutes nachbarschaftliches Verhältnis zu Sanders.<br />
Nie gab es irgend etwas Negatives zwischen<br />
uns. Wir kauften bei Sanders ein, holten da Fleisch,<br />
und sie kamen zu uns in den Laden. Wenn ich Gehacktes<br />
holte, drehte Frau Sanders das Fleisch nicht<br />
durch einen „Wolf“, sondern hackte das Fleisch mit<br />
zwei Messern so lange, bis das klein war.<br />
Am Wochenende kauften abwechselnd mal Siegfried,<br />
Jakob oder einer der Brüder große Schachteln<br />
Pralinen, ließen sich die schön einpacken und<br />
schenkten die ihrer Mutter. Der „Sabbat“ (Samstag)<br />
war ja ihr Sonntag.<br />
Wir hatten zu der Zeit unser Lebensmittelgeschäft,<br />
und hinter dem Hof war die Schmiede. Meine<br />
Großeltern verkauften zuvor Eisenwaren, Herde,<br />
Öfen und Petroleumlampen. Meine Mutter hat<br />
dieses Geschäft bis nach dem Krieg geführt.<br />
Siegfried Sanders und unser Pastor Jan van Nooy<br />
setzten sich zusammen wenn Kinderkommunion<br />
war und überlegten, wer von den Kindern einen<br />
Anzug nötig hatte, deren Eltern das Geld dafür nicht<br />
aufbringen konnten. Pastor sagte dann: Die und<br />
die Leute haben kein Geld, denen müssen wir un-<br />
ter die Arme greifen. Siegfried spendete dann die<br />
Sachen, oder die beiden haben sich das geteilt.<br />
Bernhard Sanders kann ich mir noch gut vorstellen.<br />
Er war von kleiner Statur und zu meiner<br />
Zeit schon älter, aber immer gut aufgelegt. Das war<br />
ein Kinderfreund, wir haben immer ein bißchen<br />
mit ihm „rumgefeixt“, nicht bösartig. Er war ein<br />
Original, immer lustig, immer nett zu Kindern, der<br />
war immer mit ihnen dran. Ich habe den sonst als<br />
ganz normal empfunden, aber wie gesagt, der hatte<br />
immer Kinder um sich. Der muß wohl sehr kinderfreundlich<br />
gewesen sein, denn er zog die förmlich<br />
an.<br />
Bernhard wohnte bei seiner Schwester hinter der<br />
Synagoge, in der ich einmal mit <strong>The</strong>len Luzie (Frau<br />
Eikelberg) drin gewesen bin. Wir mußten damals<br />
auch werktags täglich zur Schulmesse. Luzie und<br />
ich gingen an dem Tag zusammen und haben rumgetrödelt.<br />
Auf einmal kamen wir an der Synagoge<br />
vorbei und hörten den Gesang. Die jüdischen Mitbürger<br />
hatten Gottesdienst, und als wir das hörten,<br />
sind wir beide reingegangen. Nach einer Weile kam<br />
Herr Lion, faßte uns sanft an und sagte: „Kinder,<br />
geht nur nach draußen!“ Das sagte er so ganz treu.<br />
Eigentlich wollten wir den Gottesdienst mitmachen,<br />
uns das mal ansehen, denn sonst war die<br />
Synagoge ja verschlossen. Zu der Zeit war ich noch<br />
Kind, als die Synagoge stand, und die Bürger ihre<br />
Andacht halten konnten. Anschließend kamen wir<br />
natürlich viel zu spät in der katholischen Kirche<br />
an, woraufhin die anderen Kinder über uns lästerten,<br />
weil es den Anschein hatte, als hätten wir verschlafen.<br />
Das sind alles so Erinnerungen.<br />
Als der alte Herr Sanders im Oktober 1937 starb,<br />
hat mein Vater Robert ihn mit beerdigt. Dadurch<br />
hat er Schwierigkeiten gehabt. Sie haben ihn anschließend<br />
dienstverpflichtet nach Merseburg, wo<br />
er in den Leuna-Werken arbeiten mußte, und Mutter<br />
stand mit dem ganzen Geschäft und allem alleine.<br />
Ja, das war aufgrund genau der gleichen Geschichte<br />
wie bei Bäcker Willi Küppers, wo ja kein<br />
Brot mehr gekauft werden durfte. Er hat jedenfalls<br />
an der Beerdigung mit den <strong>Kaldenkirchen</strong>ern teilgenommen,<br />
die sich ebenfalls dazu verpflichtet<br />
fühlten.<br />
Vater hat immer gesagt: „Daß ich nach Merseburg<br />
gekommen bin, ist Otten Karl und ‚Päuwken‘<br />
schuld.“ „Päuwken“, sagte der immer zu Dr. Bernhard<br />
Pauw, dem damaligen Bürgermeister. Ich<br />
glaube, daß der Ursprung auch war, jedenfalls hat<br />
328<br />
Vater das immer so erzählt, eine Äußerung zu irgend<br />
jemandem, den er begleitete: „Wir backen<br />
noch kleinere Brötchen als 3-Pfennigs Brötchen.“<br />
Das muß wohl einer der Gründe gewesen sein, daß<br />
der Pauw den daraufhin so in die Zange genommen<br />
hat.<br />
Vater sprach ja laut, weil er schlecht hörte, der<br />
hatte vom Ersten Weltkrieg das Trommelfell kaputt<br />
von einer Kanone. Ich betone nochmals, er hat das<br />
immer so dargestellt, und warum sollte er auch<br />
lügen: „Daß ich dahin gekommen bin, ist Päuwken<br />
Schuld!“ Hat nie Dr. Pauw gesagt, sondern immer<br />
„Päuwken“. Ich weiß, daß Vater Pauw haßte wie<br />
die Pest. Das weiß ich hundertprozentig, Otten Karl<br />
noch mehr! Otten war ja, auf deutsch gesagt, ein<br />
Schwein.<br />
Ich erinnere mich, ich bin mal in ein Glas gefallen<br />
zu Hause im Laden, und überall, wo ich lief,<br />
war Blut. Wir sind sofort zu Dr. Lueb gegangen und<br />
der hat mich Stunden operiert im Krankenhaus.<br />
Ich hatte so viel Blut verloren, daß ich erst mal liegen<br />
mußte.<br />
In der Nacht ist was gewesen mit Otten Karl und<br />
Vater. Vater konnte den Mund nicht halten, der hat<br />
sich oft den Mund „verbrannt“. Vater war so etwas<br />
von fanatischem „Antinazi“, also, wenn der<br />
„braun“ sah, sah der wirklich „rot“.<br />
Das muß in der Wirtschaft Kaiserhof passiert sein.<br />
Er muß an der <strong>The</strong>ke einen Wortwechsel mit irgendwelchen<br />
Zollbeamten gehabt haben und konnte<br />
sich nicht beherrschen. Das hing mit Otten und<br />
„Päuwken“ zusammen. Da muß Vater wieder was<br />
gesagt haben. Anschließend haben sie ihn festgenommen<br />
und in das Gefängnis auf der Schulstraße<br />
gesteckt, dort hat er drei Tage und Nächte gesessen.<br />
Zu allem Überfluß hat Mutter in der Nacht noch<br />
ihren Brillantring verloren, das war auch noch so<br />
ein Drama. Die Wut, die Vater auf „Päuwken“ hatte,<br />
kann sich keiner vorstellen. Er hat immer wiederholt:<br />
„Der hat mich nach Merseburg gebracht!“<br />
(Seite 477).<br />
Vater hat dort mehrere Jahre schwer schuften<br />
müssen. Später ist er mit einem Bölderwagen zu<br />
Fuß von dort nach Hause gekommen.<br />
Die waren ja alle Nazis, die Beamten und auch<br />
die Zollbeamten, die da oben von Ostpreußen kamen.<br />
Die waren eigentlich die Urheber, die<br />
<strong>Kaldenkirchen</strong>er waren im allgemeinen nicht so.<br />
Die mußten ja mitmachen und schreien, sonst<br />
wären sie nichts geworden. Die waren ursprünglich<br />
Bäcker, Schreiner, Schlosser, eben Handwerker