Etty Keizer, Kaldenkirchen - The 3 Saints
Etty Keizer, Kaldenkirchen - The 3 Saints
Etty Keizer, Kaldenkirchen - The 3 Saints
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entzündung vorgetäuscht. Der hat nämlich gut<br />
gewußt, wenn der beteiligt gewesen wäre an den<br />
Schandtaten in der Stadt, hätte der bei Matthias<br />
Terstappen nicht mehr reinkommen dürfen. Mein<br />
Vater war vollkommener Zentrumsmann, immer.<br />
Der war nicht in der „Partei“, da mußte man ihm<br />
nicht mit kommen. Viele Leute dachten so.<br />
Wir hatten Konditorei, Gaststätte und Café. Da<br />
ging dann natürlich die große Geschichte rum. Ja,<br />
und der ist zu Haus geblieben. Also, ich hab’ mal<br />
kurz draußen geguckt, aber das nicht für möglich<br />
gehalten. Ein Haus weiter war die Bäckerei van Essen,<br />
dann kam Opdenplatz und Hoffstadt. Moses<br />
und Julchen hatten sie die Fenster eingeschlagen,<br />
die standen vor der Tür, ob sie die rausgeholt haben,<br />
weiß ich nicht, und Moses jammerte: „Schießt<br />
uns nur tot, dann haben wir Ruh’!“<br />
Ich bin denn anschließend reingegangen. Also,<br />
das war mir echt zu viel, das war mir wirklich zu<br />
viel. Ich war damals noch ziemlich jung, ich bin<br />
von 1914 und mein Mann war von 1904 und hab’<br />
also noch die ganze Zeit miterlebt.<br />
Es war ja stockdunkel an dem Abend. Die Stadt<br />
wurde extra dunkel gemacht für die Zerstörung der<br />
jüdischen Geschäfte, die Lampen aus, ja klar. Da<br />
sah man nichts, das weiß ich ganz sicher. Denn wir<br />
wohnten ja auf der Hauptstraße, da hätte ich bestimmt<br />
besser was gesehen, wenn die Lampen angewesen<br />
wären.<br />
Ich hab’ erlebt, daß die Nazis bei Grunewald das<br />
Klavier aus dem Fenster geworfen haben, hier, bei<br />
uns gegenüber, neben dem Rathaus, Grunewald,<br />
die immer die „90-Pfennigswoche“ hatten. Ja, Ernst<br />
und seine Frau habe ich gut gekannt. Sie stammte<br />
aus Krefeld und war eine sehr attraktive Frau, das<br />
weiß ich noch. Das Klavier flog oben aus dem Fenster.<br />
Ich bin nicht lange auf der Straße gewesen,<br />
mir war das viel zu schrecklich. Das war nur eine<br />
ganz kurze Begebenheit, die sich aber so in mir eingeprägt<br />
hat. In dieser Terrornacht waren Grunewalds<br />
noch hier in <strong>Kaldenkirchen</strong>, das ist eindeutig.<br />
Es kann sein, daß die dann nach Krefeld gegangen<br />
sind. Es war ja doch alles kaputt. Die großen<br />
Schaufenster waren zertrümmert, alles lag auf<br />
der Straße, ja sicher, alles war kurz und klein geschlagen.<br />
Ich hab’ immer Moses und Julchen so nett erlebt.<br />
Moses war ein großer, stattlicher Mann. Ich<br />
kenn’ ihn nur mit Klumpen (Holzschuhen) an den<br />
Füßen, wie der zur Zigarrenfabrik Holtvoeth gegen-<br />
über auf der anderen Straßenseite ging. Die Säcke<br />
Tabak auf der Schubkarre, die die abgerippt hatten.<br />
Julchen seh’ ich noch mit ihrer Sackschürze<br />
aus Leinen.<br />
Der Tabak war ja ein Dreckzeug. Damals verarbeiteten<br />
den ja alle Leute in Kleinarbeit in <strong>Kaldenkirchen</strong>.<br />
Nebenan Frau Hally, die machte das auch.<br />
Die hatte eine Tochter, da spielte ich mit. Dann sagte<br />
meine Mutter: „Wo warst du wieder, was stinkst du<br />
wieder so nach Tabak?“ Und ich hab’ das so schön<br />
gefunden, weil die Leute doch da Geld für kriegten.<br />
Dann hab’ ich da geholfen, und ich durfte das gar<br />
nicht.<br />
Aber Moses und Julchen, das waren einmalige<br />
Leute. Immer so lieb, auch zu den Kindern. Ich<br />
weiß, daß sie jedes Jahr ein Kommunionkind ausgestattet<br />
haben, weil sie selbst keine Kinder hatten.<br />
Gegenüber wohnten Wienen, die hatten zwei Söhne.<br />
Auch diese Kinder haben sie unterstützt bei der<br />
Kinderkommunion. Das weiß ich ganz bestimmt.<br />
Ich erinnere mich noch, daß beide jeden Abend<br />
vor der Tür saßen und erzählten mit den Nachbarn.<br />
Vor allen Dingen waren die Wienen gegenüber da,<br />
die Frau Backes und auch die alte Oma auf der<br />
Kehrstraße. Genau, sie saßen immer vorne vor dem<br />
Haus. Moses und Julchen gehörten abends ab acht<br />
Uhr zum Straßenbild dazu, mit Sicherheit! Die<br />
Stühle etwas zurückgelehnt, ich mein’, ich säh’ es<br />
noch. Das war richtig schön. Auch bei Buscher waren<br />
sie alle draußen. Die Kinder konnten auf der<br />
Straße Fußball spielen, da kam kein einziges Auto.<br />
Das waren andere Zeiten, da kam es schon mal<br />
vor, wie das früher war, daß uns plötzlich die Streichhölzer<br />
ausgingen. Mutter sagte: „Geh mal eben für<br />
10 Pfennig bei Julchen Streichhölzer holen.“ Julchen<br />
gab mir drei Päckchen Streichhölzer mit allen<br />
guten Anweisungen: „Kind, verlier’ sie nicht und<br />
paß auf“, und es kam mir vor, als wenn sie bei dem<br />
Groschen noch ein Riesengeschäft gemacht hätte.<br />
Aber es war im Grunde nur eine Gefälligkeit. Da<br />
erinnere ich mich noch so gut dran. Sonst hatte<br />
ich ja nichts bei Julchen zu tun. Zigaretten, Zigarren<br />
hatten wir ja selber. Aber immer hilfsbereit!<br />
Sie hatten auch ein „gutes Zimmer“. In der Woche<br />
waren Zeitungen über das Sofa gelegt, die samstags<br />
am Feiertag entfernt wurden. Es waren liebenswerte<br />
und beliebte Leute, die auf mich als Kind eine<br />
große Anziehungskraft ausübten. In der schlechten<br />
Zeit, wie die „Juden“ schon verfolgt wurden, seh’<br />
ich sie noch immer hinten herumkommen. Moses<br />
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kam bei uns in die Konditorei, und Vater gab ihm<br />
dann in seinem Fläschchen den Schnaps und den<br />
Spargel. Ich war froh, daß die Leute bei uns von<br />
hinten reinkommen konnten, wo sie keiner sah.<br />
Dann erinnere ich mich an „Pirap“, Jakob<br />
Hoffstadt, einen Bruder von Moses. Ich kenn’ den<br />
jüngeren, wie der mit dem Bündel von Ziegen-,<br />
Schaf- und Kaninchenfellen kam. Der hatte immer<br />
das „Pöngeljedöns“ mit solchen Sachen oder so<br />
dreiviertel Stoffen, die der verkaufte. Ein ziemlich<br />
großer Mann war das, den seh’ ich noch.<br />
An die Beerdigung von Julchen Hoffstadt kurz<br />
nach den Verwüstungen Ende 1938 kann ich mich<br />
nicht erinnern. Ich habe das anschließend nicht<br />
bewußt erlebt. Der Termin ist wahrscheinlich nicht<br />
öffentlich bekanntgegeben worden, und deswegen<br />
ist niemand mitgegangen. Möglicherweise ist der<br />
Sarg mit einer Karre zum Friedhof gefahren worden.<br />
Jedenfalls könnte das schon sein, daß die alten<br />
Leute wie auch Josef Sanders und Moses Hoffstadt<br />
aus Gram bald darauf gestorben sind. Die haben<br />
sich ja halb umgebracht deswegen. Man stelle sich<br />
vor, da kommt auf einmal so eine Meute, macht<br />
jahrelang solch einen Terror und schlägt einem<br />
ahnungslos den ganzen „Rummel“ kaputt. Da<br />
muß man sich mal in ihre Lage versetzen.<br />
Das waren alte resolute <strong>Kaldenkirchen</strong>er, die keiner<br />
Fliege was zuleide getan haben. Später hat man<br />
die bei Lion oder Simon zusammengetrieben, das<br />
haben die nicht mehr verkraftet. Daß die sich vor<br />
Kummer ins Grab legten, ist für mich klar, das kann<br />
ich mir wirklich vorstellen. Mit Sicherheit ist das<br />
so gewesen.<br />
Auch die Zwangsarbeiterinnen in der späteren<br />
Konservenfabrik, hinten bei Transcosmos, wo<br />
Terporten Toni im Büro war, durften offiziell nichts<br />
in den Geschäften kaufen. Die Gebäude stehen nicht<br />
mehr. Während des Krieges mußten die russischen<br />
Frauen dort arbeiten. Sie kamen immer hinten<br />
rum, die durften nicht offen vorne bei uns rein.<br />
Vater hat den Leuten immer zwei oder drei Zigaretten<br />
gegeben. Er war bei der Feuerwehr. Eines<br />
Tages ist die Firma Stein & Haus abgebrannt, und<br />
Vater war bei den Löscharbeiten beteiligt. Die ganzen<br />
Zigaretten in großen Kartons, die hießen Delta<br />
Extra, das vergess’ ich nie, die waren „klatschnaß“,<br />
konnte man ja nichts mehr mit machen. Vater hat<br />
die denn geholt, ein paar Waschkörbe voll, und die<br />
haben wir im Backofen getrocknet. Jetzt war das<br />
Papier wohl vom Wasser etwas umrändert, aber der