Bild - Martin Wagenschein
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<strong>Martin</strong> <strong>Wagenschein</strong>: Zusammenhänge der Naturkräfte. Das Gefüge des physikalischen Naturbildes, Braunschweig: Vieweg 1937<br />
28. Januar 2000<br />
{16}<br />
Aber, steigern wir die Geschwindigkeit nicht plötzlich sondern allmählich, dann merkst<br />
du, es gibt eine ganz bestimmte Abwurfgeschwindigkeit, bei der etwas Besonderes geschieht:<br />
dann ist nämlich die Wurflinie genau ebenso stark gekrümmt wie die Erde unter<br />
ihr. Dann fällt der Stein um die Erde herum! Immer krümmt sie sich unter ihm weg und<br />
entzieht ihm sein Ziel, den Boden. Dabei mußt du Folgendes bedenken: Wenn er von V<br />
nach I gekommen ist, so ist er auf diesem Wege nicht gebremst worden, denn dort ist<br />
keine Luft oder sonst etwas im Wege. Er fliegt also in I noch ebenso schnell wie in V.<br />
Und seine Richtung ist auch wieder, wenn man sie auf die Erde bezieht, horizontal. Er<br />
hat also überhaupt in I - in bezug auf die Erde - genau dieselbe Bewegung wie in V. Hat<br />
ihn diese Bewegung von V nach I gebracht, so muß sie ihn genau so von I nach K weitertragen,<br />
von K nach L, und schließlich nach V zurück. So geht das fort: Er muß unaufhörlich<br />
kreisen! - Der Mond kreist nun schon viele tausend Jahre unverändert über<br />
den Menschen. Wir brauchen nur anzunehmen, daß er früher einmal von irgendeiner<br />
Kraft an der Erde vorbei- oder aus ihr herausgeworfen worden ist. Da hat sie ihn „eingefangen“.<br />
Warum also fällt der Mond nicht? Weil er von Anfang an eine Bewegung hatte, die ihm<br />
nicht genommen werden kann, da er träge ist, und nichts ihm begegnet, was ihn bremsen<br />
könnte. - Und was tut die Gravitation dabei, wo er doch nicht fällt? Sie krümmt seinen<br />
Weg, denn ohne sie flöge er von V nach H. Aber sie reißt ihn herunter zur Kreisbahn<br />
nach M. Und wenn man es so betrachtet, so ist er doch gefallen, um das Stück<br />
HM. - So sind sie beide bei diesem Kreisen im Spiel: die Trägheit, die geradeaus drängt<br />
und die Gravitation, die zur Erde zieht. Wäre die Geschwindigkeit des Mondes größer<br />
als sie ist, so hülfe sie der Trägheit zum Sieg: der Flucht des Mondes. Wäre die Gravitation<br />
größer als sie ist, so wäre der Erfolg auf ihrer Seite: Absturz. So wie es ist, sind<br />
beide aufeinander abgewogen, der Kampf steht unentschieden und bleibt es 10 .<br />
Dieses Beispiel läßt wohl ahnen, wie N e w t o n aus der Mondbahn die Gravitation entdecken<br />
konnte. - Auch macht es deutlich, warum die Sterne sich nicht längst zu einem<br />
Klumpen zusammengedrängt haben: Sie sind alle in Bewegung. (Auch die Fixsterne.<br />
Manche machen 100 km in der Sekunde,<br />
10 Der Kampf steht aber nicht so auf des Messers Schneide, wie es nach dieser etwas übertriebenen Darstellung<br />
scheinen könnte. Es ist kein so “labiler” Gleichgewichtszustand wie etwa das Balancieren eines Stockes auf seiner<br />
Spitze. Die geringste Störung, etwa die Annäherung eines anderen Planeten, müßte ja dann genügen, das<br />
Gleichgewicht umzuwerfen und den Mond zur Flucht oder zum Absturz bringen. - Gegen ein solches haarscharf<br />
abgewogenes Gleichgewichtmußte man auch folgenden Einwand machen: es müßte dann, nach unserer<br />
Darstellung, der Mond eine ganz bestimmte, genau abgewogene Geschwindigkeit haben und bei seiner<br />
Entstehung, seiner Ankunft bei der Erde, gehabt haben, wenn die Kreisbahn entstehen sollte. Wäre das nicht ein<br />
höchst unwahrscheinlicher, ja unmöglicher Zufall? - Die genaue Untersuchung zeigt denn auch, daß dann, wenn<br />
die Geschwindigkeit nicht genau den zur Kreisbahn nötigen Wert hat, nicht gleich die Katastrophe eintritt (Flucht<br />
oder Absturz), sondern daß der Mond dann zwar keinen Kreis macht, aber doch noch eine beständige, dauerhafte<br />
Bahn: er schwingt in einer überhängenden Ellipse um die Erde herum. Und tatsächlich ist auch die wirkliche<br />
Mondbahn (und ebenso die Bahn jedes Planeten um die Sonne) eine solche Ellipse, allerdings eine nicht sehr<br />
längliche, sondern eine dem Kreis sehr ähnliche. - Erst eine sehr große Anfangsgeschwindigkeit würde den Mond<br />
ganz der Erde entführen, “ganz kleine würde ihn auf die Erdoberfläche stürzen lassen. - Diese Anmerkung ist<br />
auch zum vollen Verständnis des auf S. 16 nun folgenden Absatzes von Nutzen.<br />
Auf CD-ROM gefasst von Prof. Dr. Michael Soostmeyer, Essen 2000, Kraneburgstraße 81, D 46240 Bottrop