Mystik - Metapher - Bild - Oapen
Mystik - Metapher - Bild - Oapen
Mystik - Metapher - Bild - Oapen
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
88<br />
Inge Mager<br />
auch durch die Publikation des ersten Bandes seiner „Loci“ (1610) für lutherische<br />
Rechtgläubigkeit. Leichenpredigt und Trostbrief ergänzen sich jedoch inhaltlich<br />
nur bedingt. Vor allem konnten bloß Lateinkundige den Brief verstehen. Auch als<br />
Trost für andere war dieses ganz auf den Theologen Gerhard bezogene Schreiben<br />
m.E. nur teilweise geeignet. Eine von krassen Dualismen, unbedingter Kreuznachfolge<br />
und mystischer Innerlichkeit ausgezeichnete Seelsorge spiegelt es<br />
indessen wie kaum eine andere Quelle sehr eindrücklich wider. Deshalb möchte<br />
ich diesen Text im folgenden etwas genauer analysieren, ohne freilich zugleich die<br />
möglichen Quellen und Vorlagen Arndts offenzulegen.<br />
Auf eigenes Erleben konnte der geistliche Therapeut in diesem Falle nicht<br />
zurückgreifen. Seine 1582 in Ballenstedt geschlossene Ehe mit Anna Wagner, die<br />
ihn nach einer 40jährigen glücklichen Verbindung am Ende noch überlebte, war<br />
und blieb kinderlos. So kannte Arndt Gerhards doppelten Verlustschmerz nicht,<br />
dafür waren ihm andere Herausforderungen und Anfechtungen keineswegs fremd.<br />
Er wußte sehr wohl, wovon er redete, wenn er Gerhard die Paradoxie der in<br />
menschlichen Lebenskreuzen verborgenen Heilsökonomie und Liebe Gottes ans<br />
Herz legte, um ihn zu geduldigem Durchhalten zu ermutigen. Zudem schöpfte er<br />
aus der vom individuellen Erleben unabhängigen reichen christlichen Tradition des<br />
Tröstens.<br />
In formaler Hinsicht verrät Arndts Brief die Kenntnis der von den<br />
Humanisten neu belebten Kunst des Briefschreibens, 31 er ist aber vereinfacht<br />
aufgebaut. Auf die Salutatio (1), die in eine formelhafte Trostfürbitte einmündet,<br />
folgt eine erweiterte Anrede (2), die zugleich etwas über das Verhältnis des<br />
Briefschreibers zum Empfänger aussagt: Arndt versteht sich als Gerhards<br />
liebender Vater, was weniger auf äußere Fürsorge denn auf geistliche<br />
Verwandtschaft anzuspielen scheint. Die sich anschließende narrative Einleitung<br />
(3) nimmt empathisch Bezug auf den Tod von Gerhards Frau. Arndt möchte<br />
einerseits in seinem Mitgefühl für den Trauernden von niemandem übertroffen<br />
werden. Zugleich aber weiß er um die Vergeblichkeit solcher Beileidsbekundungen<br />
und zieht daraus die allgemeine, schroff klingende Schlussfolgerung, die<br />
gleichzeitig eine Empfehlung an den Briefempfänger darstellt, dem Willen Gottes<br />
widerspruchslos zu gehorchen, sich in Geduld zu üben und das Klagen<br />
einzustellen (4). Fast der ganze übrige Brief dient der Begründung dieses Ratschlages,<br />
indem immer wieder neue Gesichstpunkte für die Unangebrachtheit der<br />
Trauer aufgezählt werden (5–12). Dabei nimmt Arndt abwechselnd bald den hinterbliebenen<br />
Witwer, bald die Verstorbene in den Blick, um ein Trostmotiv an das<br />
andere zu reihen. Dreh- und Angelpunkt dieser sowohl konsolatorisch als auch<br />
paränetisch akzentuierten Argumentationskette ist das von Menschen zu tragende<br />
Kreuz – nicht als dunkles Schicksal, sondern als göttliche Auszeichnung. Gerhard<br />
31 Vgl. Erasmus von Rotterdam, De conscribendis epistolis, Anleitung zum Briefschreiben, übers.,<br />
eingeleitet u. mit Anm. vers. von Kurt Smolak, Darmstadt 1980; Brief, Briefliteratur, Briefsammlungen,<br />
in: LMA 2, 1983, Sp 648ff.