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Spectrum #1 2018

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DOSSIER<br />

Einfluss als Machtinstrument<br />

Über wieviel Macht verfügen<br />

Politikerinnen und Politiker?<br />

Ist ihr Machtstreben unersättlich?<br />

Und wie schaffen sie es,<br />

gehört zu werden? <strong>Spectrum</strong><br />

hat mit den Parteipräsidenten<br />

Christian Levrat (SP) und Gerhard<br />

Pfister (CVP) über Macht<br />

in der Politik gesprochen.<br />

ALEA SUTTER & LAURENT OBERSON<br />

„In die Politik einsteigen<br />

und sagen: Ich werde<br />

Parteipräsident – das geht<br />

nicht.“<br />

– Christian Levrat<br />

Als Politikerin oder Politiker in der<br />

Schweiz nach ungeteilter Macht zu<br />

streben, sei unrealistisch. „Sie ist in unsere<br />

föderalistische Struktur und Gewaltenteilung<br />

zersplittert“, erklärt Christian Levrat,<br />

als wir ihn gemütlich zum Bier im Le<br />

Mondial treffen. Deshalb möchte er lieber<br />

von Einfluss als von Macht sprechen. Sein<br />

Ziel sei es, Einfluss zu haben. „Ich möchte<br />

angesehen und gehört werden“, meint<br />

der Freiburger. Um dies in der Politik zu<br />

erreichen, muss man die richtigen Strategien<br />

anwenden. Diese können je nach<br />

Umfeld stark variieren. Teilweise fühle er<br />

sich fast schizophren, denn die Welt der<br />

Politik sei eine Kultur der Komplexität,<br />

der Nuancen und des Konsenses.<br />

Medienarbeit als Schlüsselelement<br />

Im Gegensatz dazu stehen die Spielregeln<br />

der Medien. Zuspitzen und Verkürzen<br />

lautet hier die Devise. Um von der Medienwelt<br />

gehört zu werden, muss man ab<br />

und zu provozieren. Das tat Levrat beispielsweise,<br />

als er Bundesrat Cassis als<br />

Praktikant betitelte. „Diese Aktion diente<br />

mir, um meine europapolitische Botschaft<br />

zu transportieren“, erklärt er. Die<br />

Betitelung als Praktikant war keinesfalls<br />

ein Ausrutscher. „Ich provoziere bewusst,<br />

um eine Diskussion auszulösen und gehört<br />

zu werden.“ In der Politik zählen<br />

jedoch nicht nur die Schlagzeilen. Viel<br />

wichtiger ist eine gute Beherrschung der<br />

Dossiers. Mediale Aufmerksamkeit sei<br />

nicht per se mit Einfluss verbunden. „Es<br />

gibt einige Politiker mit viel Einfluss, die<br />

sich sehr diskret verhalten. Sie sind gut<br />

vernetzt und man braucht sie fast immer,<br />

wenn man eine tragfähige Lösung will.“<br />

Einfluss ist kein Selbstzweck<br />

Er als Parteipräsident verfüge dank vielen<br />

Kontakten über viel Einfluss. „Ich empfinde<br />

es als Privileg, im Kreis der Macht<br />

zu stehen. Mein Beziehungsnetz überspannt<br />

verschiedene Machtebenen, dadurch<br />

ergibt sich eine Vielfalt an Einflussmöglichkeiten.“<br />

Seinen Einfluss stärken<br />

will Levrat nicht aus purem Selbstzweck,<br />

sondern vielmehr, um seine Vorstellungen<br />

umsetzen zu können.<br />

Auf die Frage, ob er schon immer habe<br />

Parteipräsident werden wollen, meint<br />

Levrat: „Man sollte seinen politischen<br />

Werdegang nie als Einbahnstrasse sehen.<br />

In die Politik einsteigen und sagen: Ich<br />

werde Parteipräsident – das geht nicht.“<br />

Er selbst übernahm das Amt des Parteipräsidenten<br />

2008. Zu dieser Zeit war die<br />

Zukunft der SP offen. „Ich wollte der Partei<br />

eine Richtung geben“, begründet Levrat<br />

seinen Entscheid, als Präsident der<br />

SP zu kandidieren. Um dieses Amt auszuüben,<br />

sollte man auf alle Fälle kritikresistent<br />

und streitfreudig sein, meint er.<br />

Mit Macht kommt Distanz<br />

Man spürt, dass Christian Levrat seine<br />

Arbeit gerne macht und mit Freude politisiert.<br />

Das Einzige, was er als nationaler<br />

Politiker vermisse, sei das hautnahe<br />

Mitverfolgen des politischen Prozesses –<br />

vom Beschluss bis zur Umsetzung. Denn<br />

die meisten Entscheide, die das Leben<br />

der Bevölkerung tangieren, werden auf<br />

lokaler Ebene gefällt und davon ist er als<br />

Ständerat und Parteipräsident weit entfernt.<br />

Er entscheide über sehr abstrakte<br />

Gesetze mit wenig konkreten Auswirkungen.<br />

„Das bedeutet nicht, dass sie nichts<br />

nützen. Doch es braucht viel Zeit bis zur<br />

Umsetzung und diese ist für die Bevölkerung<br />

teilweise gar nicht spürbar.“ Langsamkeit<br />

ist ein charakteristisches Wort<br />

unseres politischen Systems. „Politik in<br />

der Schweiz ist eine Geduldsschule“, so<br />

Levrat. Ab und zu nerve die Trägheit des<br />

Systems, doch schlussendlich bringe es<br />

bessere Ergebnisse. Denn bis es zu einer<br />

Entscheidung kommt, haben alle wieder<br />

etwas kühlere Köpfe. „Diese Distanz hilft,<br />

längerfristig etwas Nachhaltiges zu bestimmen“,<br />

ist sich Levrat sicher. „Zudem<br />

ist das System schneller, als man denkt.<br />

Wenn es wirklich brennt, dann kann es<br />

schnell gehen. Zum Beispiel als wir über<br />

Nacht die UBS retten mussten.“<br />

Entscheidungsfindungen, Kompromisse,<br />

Einfluss und vielleicht doch eine Prise<br />

Macht: Könnte sich Levrat überhaupt<br />

noch eine andere Arbeit jenseits der Politik<br />

vorstellen? Er bleibt bescheiden: „Ich<br />

glaube nicht, dass ich Macht brauche. Ich<br />

kann mir auch gut vorstellen, eine Arbeit<br />

auszuführen, die sich nicht in einem<br />

Kräfteverhältnis ausdrückt. Aber die letzten<br />

zwanzig Jahre sprechen gegen diese<br />

These, das ist mir bewusst.“<br />

© Foto: zVg<br />

12 02-03.<strong>2018</strong>

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