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Spectrum_3_2020

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Text Anja Blaser

Foto Pixabay

Grosses Wort, nix dahinter?

Greta Thunberg, Fridays for Future und Klimastreiks – Begriffe,

die spätestens seit vergangenem Jahr allen bekannt sind. Durch

die dahinterstehende Bewegung wurde vielerorts der Klimanotstand

ausgerufen. Doch was bedeutet das?

eltweite Protestbewegungen, tagelange

Streiks, Millionen von Menschen

W

auf den Strassen. Das Resultat: Klimanotstand!

Bereits vor 2010 tauchte der Begriff

bei Demonstrationen zur Bekämpfung des

Klimawandels auf. 2019 wurde er wieder

aufgegriffen und wohl DAS Wort 2019. Klimanotstand

- das klingt zwar bedeutungsvoll,

ist es rechtlich gesehen aber nicht. Das

Ausrufen eines Klimanotstandes ist eine der

zentralsten Forderungen der Klimastreiks.

Gemeint damit ist das politische Zugeständnis,

dass bisherige Massnahmen rund um

den Klimawandel nicht genügen und neue

Mittel benötigt und gerechtfertigt werden.

Bei den beiden anderen Hauptforderungen

der Klimajugend handelt es sich um die Reduktion

der Treibhausgase auf netto Null

bis 2030 sowie Klimagerechtigkeit. Damit

ist gemeint, dass sich die Schweiz an Klimaschutz-

und -vorsorgemassnahmen in Staaten

beteiligen soll, die besonders stark vom

Klimawandel betroffen sind.

Das Klima im Fokus

Der Begriff des «Notstandes» in diesem

Zusammenhang steht dafür, der Eindämmung

der Klimakrise und deren gefährlichen

Folgen für Natur und Mensch höchste

Priorität einzuräumen. Der Klimaschutz

muss somit immer im Zentrum stehen, sei

es bei neuen Gesetzen, Änderungen der

Infrastruktur oder bei Mobilitätsprojekten.

Mit dem Ausruf sollen konkrete Massnahmen

in unterschiedlichsten Bereichen in

Angriff genommen werden. Massnahmen

wie etwa die klimaneutrale Versorgung

von Gebäuden, CO2-freie Transportmittel,

die Anpassung der Landwirtschaft an

Ökostandards oder eine Verdopplung der

Produktionskapazitäten für erneuerbare

Energien alle vier Jahre. Mit dem Klimanotstand

setzen viele Städte, Kantone und

ganze Länder ein Zeichen und machen so

aus Sicht der Klimajugend einen wichtigen

Schritt in Richtung Umsetzung solcher

Projekte.

Skepsis in der Ostschweiz

In der Schweiz machte auf kantonaler Ebene

Basel-Stadt im Februar 2019 den Anfang.

Darauf folgten die Kantone Waadt, Jura,

Zug, Zürich, Bern, Freiburg und schliesslich

Luzern. Die Ostschweiz hingegen

zeigt sich noch zurückhaltend. Einzig die

Stadt Wil hat bisher den Klimanotstand

ausgerufen. Kantone wie der Thurgau und

St.Gallen rechtfertigen ihren Entscheid

gegen den Klimanotstand damit, dass sie

keine «Symbolpolitik» betreiben wollen.

Des Weiteren würde mit diesem Begriff

das Notrecht missbraucht und nur Angst

in der Bevölkerung ausgelöst werden.

Freiheit und Nachhaltigkeit im Konflikt

Auch in anderen Ländern wird die Rechtfertigung

des Klimanotstandes diskutiert.

So wird etwa in Deutschland von Kritikern

aus der CSU und CDU auf die Zeit

unter Adolf Hitler verwiesen, in der die

Demokratie mitsamt der Pressefreiheit

unter dem Vorwand eines Notstandes

eingeschränkt oder gar abgeschafft wor-

den waren. Ein Antrag der Fraktion der

Europäischen Volkspartei (EVP), stattdessen

von Klima-Dringlichkeit zu sprechen,

wurde jedoch innerhalb des Europäischen

Parlaments abgelehnt. Trotz dieser Debatte

gibt es weltweit bereits viele Städte und

Gemeinden, die sich der Notwendigkeit

bekennen und den Klimanotstand ausgerufen

haben. Bereits im Frühjahr 2019

riefen Grossbritannien, Irland und Frankreich

sogar landesweit den Notstand aus

und schliesslich zog auch das EU-Parlament

damit für ganz Europa nach. Auch

ausserhalb Europas folgten Städte in Australien,

Kanada, Argentinien und den USA

diesem Beispiel. Anfang 2020 stiessen

sogar erste Regionen Asiens hinzu. Und

die Liste wird immer länger und länger.

So wurde bis Februar 2020 der Notstand

bereits über 1’300 Mal in 25 Ländern ausgerufen.

Das entspricht einer Bevölkerung

von rund 454 Millionen Menschen – Zahlen,

die beeindrucken. Umstritten oder

nicht, ein Statement ist der Klimanotstand

allemal. P

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