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D'HANDWIERK avril 2023

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MAGAZINE<br />

EDITO<br />

EDITORIAL<br />

Moral und Emotionen<br />

anstatt Realpolitik.<br />

Die Wahlgeschenke sind verteilt, die Programme werden<br />

geschrieben und die kreative Geschichtsschreibung, bei der<br />

es darum geht, das vermeintlich Positive der ablaufenden<br />

Legislaturperiode für die eigene Partei zu verbuchen und<br />

die Patzer der Konkurrenz in die Schuhe zu schieben, beginnt.<br />

Aus der Wahlforschung weiß man, dass die Bürger<br />

weniger die Bilanz einer Regierung bewerten, sondern<br />

eher die angenommene Fähigkeit von Parteien oder<br />

politischen Köpfen die kommenden Herausforderungen zu<br />

meistern.<br />

In den Augen des Handwerks steht die Politik und damit die<br />

Parteien vor neuen Herausforderungen, die sich maßgeblich<br />

von jenen vergangener Legislativwahlen unterscheiden.<br />

Die zweite Amtszeit der Dreierkoalition war vor allem durch<br />

eine Aneinanderreihung von Krisen gekennzeichnet, bei<br />

denen sowohl Krisenmanagement als auch die Mobilisierung<br />

von erheblichen finanziellen Mitteln gefragt waren.<br />

In beiden Feldern haben die Minister, die diesbezüglich an<br />

vorderster Front standen, keine schlechte Figur gemacht,<br />

wobei der finanzielle Spielrahmen eher einer noch leistungsfähigen<br />

und krisenresistenten Wirtschaft zu verdanken<br />

ist als politischen Entscheidungen.<br />

„Wäre Luxemburg ein Auto, würde sich die<br />

gesamte politische Aufmerksamkeit auf<br />

die Sitzheizung konzentrieren, während sich<br />

über den Motor keiner übermäßig Gedanken<br />

macht.“<br />

Genau wie die Regierung unerwartet stark beim Reagieren<br />

auf Krisensituationen war, war sie gewohnt schwach,<br />

wenn es darum ging, strukturelle Baustellen anzugehen.<br />

Die Tripartite ist vom nationalen Kriseninstrument zum<br />

Index-Rettungsmechanismus geschrumpft, bei dem in bester<br />

Draghi-„Whatever it takes“-Manier, Milliarden an öffentlichen<br />

Mitteln verwendet wurden, damit die Lohnindexierung<br />

mit all ihren unsozialen Ausprägungen unangetastet blieb.<br />

Wäre Luxemburg ein Auto, würde sich die gesamte politische<br />

Aufmerksamkeit auf die Sitzheizung konzentrieren, während<br />

sich über den Motor keiner übermäßig Gedanken macht.<br />

Das ist ein Problem. Durch die Pandemie und vor allem<br />

durch die geopolitischen Verwerfungen ist die Welt dabei,<br />

sich politisch und wirtschaftlich neu zu ordnen. Die Globalisierung,<br />

von der Luxemburg ein kleiner aber sehr feiner<br />

Nutznießer war, ist dabei, sich in ein System konkurrierender<br />

Blöcke zu wandeln, die Einflusszonen beanspruchen.<br />

Die regel- und wertebasierte Ordnung wird zu einem Teil<br />

einer von Interessen geleiteten Politik weichen müssen.<br />

Es geht jetzt nicht mehr nur darum, auf Ereignisse zu<br />

reagieren, sondern darum, Luxemburg in einem neuen<br />

Umfeld zu positionieren.<br />

Die Realpolitik ist wieder da und das ist keine gute<br />

Nachricht für Europa und auch nicht für Luxemburg.<br />

Europa wird mehr und mehr zum Exporteur von moralischen<br />

Ansprüchen und einem emotionalisierenden<br />

politischen Ansatz und immer weniger Exporteur von<br />

konkurrenzfähigen Produkten und Dienstleistungen.<br />

Fähigkeiten, die in einem realpolitischen Umfeld von<br />

zentraler Bedeutung sind, nämlich wirtschaftliche und<br />

politische Interessen aktiv und auch gegen Widerstände<br />

wahrnehmen, befinden sich allenfalls an der Peripherie<br />

der politischen Debatte.<br />

Die Moralisierung und Emotionalisierung von allem<br />

Wirtschaftlichen und Politischen steht heute bei uns<br />

im Zentrum. Und da stehen wir in Europa relativ alleine da.<br />

Die USA, Indien, China und zunehmend Afrika schämen<br />

sich nicht zuzugeben, dass sie eigene Interessen haben.<br />

In Europa gewinnt man zunehmend den Eindruck, dass wir<br />

dabei sind, uns selbst zu sabotieren. Dort, wo Kreativität,<br />

Innovation und Wettbewerbsfähigkeit gefragt wären,<br />

reagieren wir mit einer immer lähmenderen Regelungsdichte.<br />

Die europäische Kommission und danach die nationalen<br />

Gesetzgeber wissen in allen Lebenslagen am besten,<br />

was andere zu tun haben, und in unserer Überheblichkeit<br />

sind wir der festen Überzeugung, dass der Rest der<br />

Welt es uns aus reiner Bewunderung gleichtun wolle.<br />

Die Karten werden gerade neu gemischt und das wird auch<br />

für Luxemburg Auswirkungen haben.<br />

/04/<strong>2023</strong><br />

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