Last issue of DRACHME - A forerunner of ETHNO NEWS
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Titelthema<br />
Um die Lebenssituation sozial benachteiligter<br />
Schülerinnen und Schüler zu kennzeichnen, wird<br />
häufig der zur Jahrtausendwende von der Soziologin<br />
Jutta Allmendiger in die Fachdebatte eingeführte Begriff<br />
„Bildungsarmut“ verwendet. Tatsächlich schlägt<br />
sich Armut nicht bloß als chronisches Minus auf dem<br />
Bankkonto oder als gähnende Leere im Portemonnaie<br />
nieder, sondern führt auch zu vielfältigen Benachteiligungen,<br />
etwa im Hinblick auf die mangelnde (Schul-)<br />
Bildung der Betr<strong>of</strong>fenen.<br />
“Armut kann zwar auf die Dauer<br />
dumm machen, Dummheit<br />
deshalb jedoch noch lange<br />
nicht arm”<br />
Es wäre jedoch ein Irrtum zu meinen, Armut erschöpfe<br />
sich in Bildungsdefiziten oder basiere primär<br />
darauf. Vielmehr ist das Verhältnis von Armut und<br />
Schulbildung erheblich komplizierter, als es zunächst<br />
scheint, und der Begriff „Bildungsarmut“ missverständlich,<br />
wenn nicht irreführend.<br />
Ungewollt verleitet der Begriff „Bildungsarmut“<br />
zu dem Irrglauben, eine gute Schulbildung biete die<br />
Gewähr für einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz.<br />
Zweifellos verhindern Bildungsdefizite vielfach, dass<br />
junge Menschen auf liberalisierten Arbeitsmärkten<br />
s<strong>of</strong>ort Fuß fassen. Auch führt die Armut von Familien<br />
häufig dazu, dass deren Kinder keine weiterführende<br />
Schule besuchen oder sie ohne Abschlusszeugnis<br />
wieder verlassen. Armut in der Herkunftsfamilie zieht<br />
<strong>of</strong>tmals Bildungsdefizite der davon betr<strong>of</strong>fenen Kinder<br />
nach sich.<br />
Der umgekehrte Effekt ist hingegen kaum signifikant:<br />
Ein schlechter oder fehlender Schulabschluss<br />
verringert zwar die Erwerbschancen, wirkt sich aber<br />
kaum nachteilig auf den Wohlstand einer Person aus,<br />
wenn diese vermögend ist oder Kapital besitzt. Armut<br />
führt in aller Regel zur Bildungsbenachteiligung der<br />
davon Betr<strong>of</strong>fenen, Bildungsbeteiligung aber nicht zu<br />
Reichtum. Pointiert formuliert: Armut kann zwar auf<br />
die Dauer dumm machen, Dummheit deshalb jedoch<br />
noch lange nicht arm.<br />
Armut und Bildung stehen in einem Wechselverhältnis<br />
zueinander, aber nicht in dem Sinne, dass<br />
Bildungsdefizite der Eltern die Kinderarmut herbeigeführt<br />
hätten. Kinder aus sozial benachteiligten Familien<br />
gehören zwar zu den größten Bildungsverlierer(inne)<br />
n, ihre Armut basiert jedoch selten auf falschen oder<br />
fehlenden Schulabschlüssen, denn die Letzteren sind<br />
höchstens Auslöser und Verstärker, aber nicht Verursacher<br />
materieller Not. Bildungsdefizite führen allerdings<br />
<strong>of</strong>t zu einer Verfestigung der Armut, weil die Chancen<br />
eines Menschen auf dem Arbeitsmarkt und Berufskarrieren<br />
heute immer stärker an Qualifikationen gebunden<br />
sind, die man an (Hoch-)Schulen erwirbt.<br />
Wenn man so tut, als führten hauptsächlich mangelnde<br />
Bildungsanstrengungen zu materieller Armut,<br />
wird ausgerechnet den von Armut Betr<strong>of</strong>fenen – im<br />
Sinne eines individuellen Versagens (der Eltern) – die<br />
Verantwortung dafür zugeschrieben. Die gesellschaftlich<br />
bedingte Begrenzung ihrer Handlungsmöglichkeiten<br />
gerät dabei ebenso aus dem Blick wie die politischen<br />
Strukturzusammenhänge, die Armut als gesellschaftliches<br />
Phänomen bedingen. Die soziale Ungleichheit des<br />
Bildungserfolgs geht wesentlich auf die Ungleichheit<br />
der materiellen Lebensverhältnisse zurück.<br />
Sowenig ein ökonomistisch verkürzter Armutsbegriff<br />
das Phänomen in seiner ganzen Komplexität<br />
erfasst, sowenig Sinn macht ein kulturalistisch verkürzter<br />
Armutsbegriff. Ohne die Berücksichtigung der<br />
Schlüsselrolle materieller Güter für die Existenz, das<br />
Ansehen und die Wertschätzung eines Menschen im<br />
Gegenwartskapitalismus kann das Problem der Armut<br />
nicht verstanden werden. Geradezu paradox erscheint,<br />
dass die überragende Bedeutung des Geldes sowie seiner<br />
halbwegs gleichmäßigen und gerechten Verteilung<br />
auf die unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen ausgerechnet<br />
zu einer Zeit immer häufiger angezweifelt wird,<br />
in der es aufgrund einer fortschreitenden Ökonomisierung<br />
und Kommerzialisierung fast aller Lebensbereiche<br />
ständig an Relevanz für die Grundversorgung und<br />
den gesellschaftlichen Status von Individuen gewinnt.<br />
“Wer nicht über ausreichende<br />
materielle Mittel verfügt, kann<br />
keine kostenpflichtigen Weiterbildungskurse<br />
absolvieren,<br />
um seine persönlichen Arbeitsmarktchancen<br />
zu verbessern”<br />
Wer nicht über ausreichende materielle Mittel<br />
verfügt, kann keine kostenpflichtigen Weiterbildungskurse<br />
absolvieren, um seine persönlichen Arbeitsmarktchancen<br />
zu verbessern und keine private Rentenversicherung<br />
abschließen, um sich vor Altersarmut zu<br />
schützen. Schon ein Ausflug ins städtische Spaßbad,<br />
das vielerorts die öffentliche Schwimmhalle ersetzt hat,