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VDWF im Dialog 2/2007

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58 <strong>VDWF</strong> <strong>im</strong> <strong>Dialog</strong> 2/<strong>2007</strong><br />

Am 31. Januar erschlossen Stephan Siegrist und<br />

Alexander Huber eine neue Route an der 800<br />

Meter hohen, bisher unbegangenen Südwand<br />

der Aguja Desmochada in Patagonien.<br />

Die 25 Seillängen absolvierten sie bis auf wenige<br />

Meter in freier Kletterei. Die Nacht verbrachten<br />

die zwei Kletterer auf einem markanten Felsvorsprung<br />

hoch oben in der Wand, etwa 250 Meter<br />

unterhalb des Gipfels. Stephan und Alexander<br />

erreichten am nächsten Morgen um 10 Uhr<br />

diesen zum Fitz-Roy-Massiv gehörenden Gipfel.<br />

Du sagst das so – aus Deiner besten Begabung. Ich habe<br />

fast mein ganzes bisheriges Leben nach meiner Begabung<br />

gesucht.<br />

Ja, natürlich, einfach nach meiner besten schulischen Begabung<br />

und das war eindeutig die Physik. Ich habe das Studium als<br />

Chance genutzt, mir mein Leben so zu gestalten, dass ich den<br />

Sport auf professionellem Niveau betreiben konnte – nicht in<br />

Sachen Geldverdienen, sondern opt<strong>im</strong>al trainieren und sportlich<br />

erfolgreich sein. Das Studium erarbeitete ich mir <strong>im</strong> Min<strong>im</strong>um-<br />

Max<strong>im</strong>um-Prinzip, also min<strong>im</strong>aler Aufwand mit bestmöglichem<br />

Ergebnis.<br />

Also <strong>im</strong>mer mit dem Hintergrund, wenn das mit dem Sport<br />

nichts wird, in die Physik einzusteigen ?<br />

Ganz logisch, ich dachte damals überhaupt nicht ans Profitum,<br />

aber sowohl Thomas wie auch ich merkten durch unsere Erfolge,<br />

dass wir ganz offensichtlich das sportliche Niveau hatten, um<br />

ganz vorne mit dabei zu sein. Nur, wirkliche Profis waren wir<br />

anfangs nicht, denn als Studenten versuchten wir noch nicht,<br />

aus den sportlichen Erfolgen heraus unser Leben bestreiten zu<br />

können. Als ich 1997 schließlich das Studium abschloss, war ich<br />

unter den Kletterern weltbekannt. Ich hatte Sportklettererfolge<br />

<strong>im</strong> 11. Schwierigkeitsgrad, war damit auf Weltspitzenniveau<br />

und hatte internationale Erfolge wie an den Bigwalls <strong>im</strong> kalifornischen<br />

Yosemite-Nationalpark oder an den großen Bergen<br />

des H<strong>im</strong>alaja.<br />

Hast Du bereits während des Studiums auf eine<br />

professionelle Karriere als Sportler hingearbeitet?<br />

Im Nachhinein gesehen: Ja! Allerdings eher unbewusst. Mit<br />

der Begehung der berühmten Salathé-Route am El Capitan<br />

(Yosemite-Nationalpark, Kalifornien) wurde ich 1995 international<br />

bekannt. Direkt <strong>im</strong> Anschluss wurde ich gefragt, ob<br />

ich nicht einen Vortrag halten könnte. Darin hatte ich zwar<br />

noch keine Erfahrung, aber ich hatte die genialen Bilder von<br />

der Begehung von “Salathé”. Da hab ich spontan am Telefon<br />

zugesagt, denn ich wusste, dass es für mich eine finanzielle<br />

Zukunftsperspektive öffnen könnte. Nach dem ersten Vortrag<br />

habe ich rumtelefoniert, um weitere Aufträge zu bekommen.<br />

Tatsächlich habe ich dann <strong>im</strong> ersten Jahr 15 Vorträge halten<br />

können - damals für 1000 DM pro Vortrag. Das war für mich<br />

als Student das Paradies: ich muss nicht mehr in Kneipen, Sportgeschäften<br />

oder als Bergführer jobben. Den Freiraum nutzte<br />

ich, um mich sportlich voll zu entfalten.<br />

1997 war ich mit dem Physikstudium fertig. Mein Gefühl sagte<br />

mir, dass ich mir jetzt zwei Jahre Zeit lassen kann – denn ich<br />

hatte ein sehr gutes Diplom, mit dem ich auch später noch einen<br />

Job gefunden hätte. Die Zeit wollte ich damit verbringen, herauszufinden,<br />

ob ich <strong>im</strong> Profisport Fuß fassen kann. In diesem<br />

Zusammenhang hatte ich auch gleich 40000 DM in eine Vortragsanlage<br />

investiert – also Schulden gemacht. Allerdings<br />

war das Risiko überschaubar, denn bereits in der ersten Saison<br />

machte ich 25 Vorträge und das bei mittlerweile doppeltem<br />

Honorar.<br />

Und somit war Dein finanzielles Risiko kalkulierbar?<br />

Es waren kalkulierbare Schulden, es war zwar ein dicker Brocken,<br />

aber nach dem ersten Jahr waren diese Schulden weg. Ich war<br />

jetzt Profi und musste natürlich weiterdenken. Da waren die<br />

Ausgaben für Expeditionen und ich wollte nicht nur von der<br />

Hand in den Mund leben. Erfolge hatte ich zu Genüge, also bin<br />

ich zu Sponsoren gegangen, habe ihnen gesagt: “Ich trete an<br />

die Öffentlichkeit” – viele Artikel von mir gab es ja schon – “und<br />

halte Vorträge.” Deshalb wollte ich einen guten Vertrag und den<br />

habe ich dann auch erhalten und so hatte ich mir damit meine<br />

Zukunft geschaffen.<br />

Das kann aber nur funktionieren, wenn man einen Plan<br />

hat, wenn man das macht, was einem entspricht, dann<br />

kann man es schaffen.<br />

Es geht nur ganz oder gar nicht, also entweder Profisportler<br />

oder Physiker. Also für mich bedeutete das gleich Vollgas rein<br />

und Vorträge halten <strong>im</strong> In- und Ausland. Und <strong>im</strong> Prinzip war<br />

es mit der ersten Vortragssaison klar, dass das klappt. Die erste<br />

Saison ist super gelaufen, und ich hatte ein Produkt, mit dem<br />

ich mich sehen lassen konnte.<br />

Voraussetzung für Deinen Erfolg ist natürlich eine gewisse<br />

Verletzungsfreiheit?<br />

Sollte ich durch Verletzung ausfallen, muss ich mich der Situation<br />

anpassen. Aber <strong>im</strong>mer in der Angst zu leben, dass irgendwann<br />

mal was passieren könnte, würde mir das ganze Leben<br />

versperren. Ein gewisses Wagnis hast du <strong>im</strong>mer <strong>im</strong> Leben. Was<br />

sind die wirklichen Werte <strong>im</strong> Leben, was stellt der Wert des<br />

Lebens dar? Meist wird in Sterbeanzeigen das Leben eines<br />

Menschen reduziert auf das Geburts- und das Sterbedatum,<br />

den Namen und die Familienangehörigen. Ich glaube, das<br />

Leben eines Menschen definiert sich anders.<br />

<strong>VDWF</strong> <strong>im</strong> <strong>Dialog</strong> 2/<strong>2007</strong> 59<br />

Man kann trotzdem zufrieden und auch glücklich sein<br />

mit seinem Leben, auch wenn man keine Höchstleistungen<br />

betreibt oder ständig an seine Grenzen stößt.<br />

Ich für mich habe das Gefühl, dass es nicht darauf ankommt,<br />

80 Jahre zu werden und auch nicht auf das Erzeugen von Nachwuchs<br />

– obwohl das ja ein elementarer Baustein des Lebens ist,<br />

geboren zu werden. Sich fortpflanzen und sterben, das vereint<br />

die Menschheit, das sind die elementaren Bausteine. Das sind<br />

aber wiederum nicht die Dinge, die das Leben charakterisieren.<br />

Man charakterisiert sich mit seinem eigenen Tun. Ein 80-jähriges<br />

Leben muss nicht zufriedener verlaufen sein als ein 40-jähriges.<br />

Man kann <strong>im</strong>mer in der Angst leben, sein Leben – oder als Unternehmer<br />

seinen – Betrieb zu verlieren. Nur wird man dann <strong>im</strong>mer<br />

genau das machen, was einen nicht befriedigt. Hat man aber<br />

eine gewisse Vision, einen Traum, dann kann man sein Leben in<br />

die Hand nehmen. Wenn es nicht geht, dann geht es eben nicht.<br />

Viele Menschen spüren gar nicht, wohin ihre Sehnsucht<br />

geht, oder fangen erst sehr spät damit an, in sich hineinzuspüren,<br />

wohin sie gehen wollen, verbringen den Großteil<br />

ihres Lebens damit, Dinge zu tun, die gar nicht ihren<br />

Fähigkeiten entsprechen. Ich habe das Gefühl, dass Dich<br />

das auszeichnet, dass Du Deine Sehnsucht – wenn man Deinen<br />

Lebenslauf ansieht – kompromisslos auslebst. Ist Dir<br />

dieser Reichtum bewusst?<br />

Das ist mir sehr wohl bewusst. Alle Dinge, die ich gemacht habe,<br />

habe ich <strong>im</strong>mer aus voller Überzeugung gemacht. Da war der<br />

Zivildienst, 2 Jahre mit 60 Stunden in der Woche Dienst als<br />

Rettungssanitäter. Leichter wäre es gewesen, zur Bundeswehr<br />

zu gehen und Sport zu machen. Es kann sein, dass meine Eltern<br />

das mitgeführt haben, aber es ist eine Sache, die ich zu leben<br />

gelernt habe. Bergsteigen, Skifahren, ich hab nichts halb gemacht,<br />

ich hab mich begeistert dafür. Und <strong>im</strong>mer, wenn man sich<br />

engagiert und was Vollgas macht, dann kommt dabei was raus.<br />

Und man n<strong>im</strong>mt eben auch ein potentielles Risiko in Kauf?<br />

Ja, natürlich, wenn man in etwas 100 Prozent Energie reinsteckt<br />

und es wird dann nichts, dann ist es <strong>im</strong>mer mit einem Risiko<br />

verbunden. Das Risiko, zu scheitern, Zeit zu verlieren. Aber wenn<br />

man die Zeit für nichts Besonderes hern<strong>im</strong>mt und auch nichts<br />

erreicht, ist die Zeit sowieso verloren.

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