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Systemische Konflikttransformation. Konzept und Anwendungsgebiete

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<strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

<strong>Konzept</strong> <strong>und</strong> <strong>Anwendungsgebiete</strong><br />

Berghof Fo<strong>und</strong>ation for Peace Support<br />

Altensteinstr. 48a<br />

14195 Berlin<br />

+49.30 844 154 0<br />

www.berghof-peacesupport.org<br />

März 2006


Autoren <strong>und</strong> Autorinnen der Studie<br />

Oliver Wils<br />

Ulrike Hopp<br />

Norbert Ropers<br />

Luxshi Vimalarajah<br />

Wolfram Zunzer<br />

Beiträge von<br />

Jonathan Cohen<br />

Daniela Körppen<br />

Manuela Leonhardt<br />

Barbara Müller<br />

Cordula Reimann<br />

Oliver Wolleh<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong> ii


Inhalt<br />

Hinweise zur Studie <strong>und</strong> Danksagung .......................................................................................... iii<br />

Executive Summary .........................................................................................................................iv<br />

1. Einleitung......................................................................................................................1<br />

1.1 Kontext der Studie......................................................................................................................1<br />

1.2 Fragestellungen <strong>und</strong> Zielgruppe ...............................................................................................2<br />

1.3 Methodik ....................................................................................................................................3<br />

1.4 Aufbau der Studie.......................................................................................................................4<br />

2. Zentrale Herausforderungen der Friedensförderung ...................................................5<br />

3. Definition <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>lagen der systemischen <strong>Konflikttransformation</strong> .....................11<br />

3.1 Definition .................................................................................................................................11<br />

3.2 Normative Gr<strong>und</strong>lagen ............................................................................................................12<br />

4. Genese des systemischen Ansatzes .............................................................................15<br />

4.1 Erfahrungen mit dem Resource Network in Sri Lanka .........................................................15<br />

4.2 Erfahrungen aus der Arbeit <strong>und</strong> den Dialogprojekten in Georgien-Abchasien ...................19<br />

4.3 <strong>Konzept</strong>e der Zivilen Konfliktbearbeitung .............................................................................22<br />

5. Kernelemente der systemischen <strong>Konflikttransformation</strong> ..........................................28<br />

5.1 <strong>Systemische</strong> Konfliktanalyse <strong>und</strong> Konfliktmonitoring .........................................................29<br />

5.2 <strong>Systemische</strong> Interventionsplanung ........................................................................................39<br />

5.3 <strong>Systemische</strong> Arbeit mit Akteuren <strong>und</strong> Vernetzung ................................................................48<br />

5.4 <strong>Systemische</strong> Mobilisierung von „Agenten friedlichen Wandels“..........................................55<br />

5.5 <strong>Systemische</strong> Kreativität bei der Imagination von inhaltlichen Lösungen ............................62<br />

6. Anwendungskontext <strong>und</strong> Rahmenbedingungen.........................................................65<br />

6.1 Nutzung <strong>und</strong> Anwendungskontext der systemischen <strong>Konflikttransformation</strong> ...................65<br />

6.2 Welche Rahmenbedingungen müssen gegeben sein? ..........................................................67<br />

6.3 Herausforderungen <strong>und</strong> Dilemmata für das Rollenverständnis<br />

der internationalen Akteure ....................................................................................................72<br />

7. Nutzen <strong>und</strong> Begrenzungen des Ansatzes für Geberorganisationen ............................74<br />

7.1 Strategische Planung, politische Steuerung & Geberkoordinierung von Beiträgen zur<br />

Friedensförderung auf der Basis systemischer <strong>Konflikttransformation</strong> ..............................74<br />

7.2 Anwendungsmöglichkeiten für das deutsche <strong>und</strong> Schweizer Instrumentarium .................76<br />

8. Fazit <strong>und</strong> Empfehlungen.............................................................................................83<br />

8.1 Zusammenfassung <strong>und</strong> Bewertung der Ergebnisse ..............................................................83<br />

8.2 Offene Fragen <strong>und</strong> Perspektiven.............................................................................................85<br />

8.3 Empfehlungen..........................................................................................................................86<br />

Anhang<br />

Abkürzungsverzeichnis<br />

Glossar<br />

Liste der kontaktierten Organisationen<br />

Terms of Reference<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong> iii


Hinweise zur Studie <strong>und</strong> Danksagung<br />

Die Studie ist ein erster Versuch, den vielversprechenden Ansatz der <strong>Systemische</strong>n<br />

Konfliktbearbeitung sowohl für Praktikerinnen <strong>und</strong> Praktiker im Feld als auch für<br />

Verantwortliche in Ministerien <strong>und</strong> Verwaltungen sowie interessierte Kolleginnen <strong>und</strong><br />

Kollegen in der Aktionsforschung <strong>und</strong> in anderen intermediären Organisationen<br />

aufzubereiten. Sie stützt sich sowohl auf unsere eigenen Erfahrungen mit diesem Ansatz als<br />

auch auf eine gründliche Sichtung einschlägiger Studien <strong>und</strong> den Austausch mit einer<br />

Vielzahl von Kolleginnen <strong>und</strong> Kollegen aus Praxis <strong>und</strong> Theorie.<br />

Wir möchten uns herzlich für die großzügige Unterstützung dieser Studie beim<br />

Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) der Schweiz sowie dem<br />

B<strong>und</strong>esministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit <strong>und</strong> Entwicklung (BMZ) der<br />

B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland bedanken. Sie haben nicht nur die erforderlichen Mittel bereit<br />

gestellt, sondern auch mit fachk<strong>und</strong>igem Rat <strong>und</strong> Empfehlungen zur Qualifizierung dieser<br />

Arbeit beigetragen. Dank gebührt auch unserer Partner Organisation Conciliation Resources<br />

sowie allen anderen Organisationen, die uns bei der Recherche tatkräftig unterstützt haben.<br />

Die Arbeit wäre schließlich nicht möglich gewesen ohne die engagierte Patenschaft der<br />

Berghof Stiftung für Konfliktforschung <strong>und</strong> die enge Mitwirkung unserer Kolleginnen <strong>und</strong><br />

Kollegen aus dem Berghof Forschungszentrum für konstruktive Konfliktbearbeitung.<br />

Berlin, Dezember 2005<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong> iv


Executive Summary<br />

In dieser Studie werden <strong>Konzept</strong>, Kernelemente <strong>und</strong> <strong>Anwendungsgebiete</strong> der systemischen<br />

<strong>Konflikttransformation</strong> vorgestellt. Mit der systemischen <strong>Konflikttransformation</strong> soll keine<br />

neue Schule der Zivilen Konfliktbearbeitung begründet werden, sondern ein konzeptioneller<br />

Rahmen angeboten werden, der auf folgenden Komponenten basiert:<br />

i) der Nutzung <strong>und</strong> Weiterentwicklung von Schlüsselkonzepten der Friedensförderung;<br />

ii) der Auswertung von Praxiserfahrungen des Berghof Zentrums, insbesondere des von BMZ<br />

<strong>und</strong> EDA geförderten Resource Network for Conflict Studies and Transformation (RNCST)<br />

in Sri Lanka <strong>und</strong> eines hochrangigen Dialogprojekts in Georgien-Abchasien, das vom<br />

Berghof Zentrum gemeinsam mit Conciliation Resources (CR) durchgeführt wurde <strong>und</strong><br />

das in ein umfangreiches capacity building Programm von CR eingebettet ist;<br />

iii) der Nutzung von <strong>Konzept</strong>en <strong>und</strong> Instrumenten aus der systemischen Praxis, die sich in<br />

Disziplinen wie der Organisationsberatung, der Familientherapie <strong>und</strong> der Kybernetik seit<br />

einigen Jahren mit hoher Resonanz etabliert haben.<br />

Die Studie wurde von der Berghof Fo<strong>und</strong>ation for Peace Support (BFPS) im Rahmen eines vom<br />

B<strong>und</strong>esministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit <strong>und</strong> Entwicklung (BMZ) <strong>und</strong> dem<br />

Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) geförderten 15monatigen<br />

Aktionsforschungsprojekts „<strong>Systemische</strong> Ansätze zur Unterstützung von<br />

Friedensprozessen: <strong>Konzept</strong> <strong>und</strong> <strong>Anwendungsgebiete</strong>“ erstellt. Neben der Auswertungsstudie<br />

wurden vier separate Kurzstudien zu Nepal, Aceh/Indonesien, Sudan <strong>und</strong> Südsudan<br />

angefertigt; zentrale Einsichten aus diesen think pieces sind in die Studie eingeflossen.<br />

Als Zielgruppe der Studie wurden MitarbeiterInnen intermediärer Organisationen <strong>und</strong> von<br />

Durchführungsorganisationen der internationalen Zusammenarbeit, die sich im Bereich der<br />

Friedensförderung <strong>und</strong> ZKB engagieren, als auch MitarbeiterInnen von Geberorganisationen<br />

identifiziert. Darüber hinaus kann der systemische Ansatz der <strong>Konflikttransformation</strong> von<br />

TrainerInnen, KonfliktforscherInnen, MediatorInnen <strong>und</strong> anderen Multiplikatoren im<br />

Bereich der Zivilen Konfliktbearbeitung <strong>und</strong> Friedensförderung genutzt werden.<br />

Herausforderungen der Friedensförderung <strong>und</strong> Zielsetzung der systemischen<br />

<strong>Konflikttransformation</strong><br />

Die systemische <strong>Konflikttransformation</strong> trägt dazu bei, die folgenden zentralen<br />

Herausforderungen besser bearbeiten zu können:<br />

• Einbeziehung der hohen Komplexität, Dynamik <strong>und</strong> Langwierigkeit von sog.<br />

hartnäckigen (protracted) Gewaltkonflikten sowie ihrer externen<br />

Rahmenbedingungen;<br />

• Schwächen bei strategischer Planung <strong>und</strong> Abstimmung verschiedener Akteure der<br />

Friedensförderung;<br />

• Umgang mit asymmetrischen Konfliktstrukturen <strong>und</strong> Berücksichtigung der Spezifika<br />

von nicht-staatlichen Gewaltakteuren sowie staatlichen Akteuren bei Staatsversagen;<br />

• Berücksichtigung der Bedürfnisse, Interessen <strong>und</strong> Beziehungen aller Konfliktakteure,<br />

einschließlich der sogenannten spoilers.<br />

Die systemische <strong>Konflikttransformation</strong> trägt der hohen Komplexität <strong>und</strong> Multi-<br />

Dimensionalität von „Konfliktsystemen“ sowohl in der Analyse als auch in der Interventionsplanung<br />

bewusst Rechnung. Ihre Relevanz erhalten systemische Ansätze aber nicht allein<br />

dadurch, dass sie die Komplexität von Systemen abbilden, sondern dass sie vielmehr einen<br />

sinnvollen Beitrag zur Reduktion eben dieser Komplexität leisten, indem sie Komplexität<br />

durchschauen <strong>und</strong> die gr<strong>und</strong>legenden Strukturen erkennen, die Veränderungen bewirken.<br />

Dazu gehört beispielsweise die Identifikation von relevanten Interventionshebeln <strong>und</strong> von<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong> v


Agenten friedlichen Wandels, aber auch eine generelle Sensibilität für Veränderungspotential<br />

im System. Es geht bei der systemischen <strong>Konflikttransformation</strong> nicht darum, bestehende<br />

Systeme zu erhalten oder zu stabilisieren, sondern durch die Aktivierung systemeigener<br />

Ressourcen zu dessen Transformation beizutragen <strong>und</strong> zum Aufbau oder zur Stärkung von<br />

Unterstützungssystemen für den dazu notwendigen politischen <strong>und</strong> sozialen Wandel hin zu<br />

einer gerechten <strong>und</strong> friedlichen Gesellschaft beizutragen.<br />

Definitionsmerkmale der systemischen <strong>Konflikttransformation</strong><br />

1. Die systemische <strong>Konflikttransformation</strong> beruht auf der Einsicht, dass hoch eskalierte<br />

Inter-Gruppenkonflikte hochkomplexe "Systeme" darstellen, die nur begrenzt<br />

"modelliert" werden können, so dass sich alle Interventionen nur auf ein begrenztes<br />

Wissen stützen können.<br />

2. Umso wichtiger ist eine angemessen komplexe Konfliktanalyse, die mit einheimischen<br />

Akteuren durchgeführt wird <strong>und</strong> die insbesondere dem selbstreproduktiven Charakter<br />

vieler Inter-Gruppenkonflikte Rechnung trägt.<br />

3. Wesentlich für die Systemanalyse wie die Systemintervention ist die Notwendigkeit, die<br />

Systemgrenzen präzise zu definieren <strong>und</strong> sich der Verschachtelung von Systemen in<br />

Supra- <strong>und</strong> Subsystemen <strong>und</strong> ihrer Interdependenzen bewusst zu sein. Dabei sollten in<br />

einem Wechsel des Blickwinkels sowohl das Gesamtsystem („Vogelperspektive“) als auch<br />

einzelne Subsysteme („Froschperspektive“) fokussiert werden.<br />

4. Systeminterventionen benötigen die analytische Reduktion der Komplexität auf eine<br />

Reihe von Arbeitshypothesen, die machbare Interventionen mit "Hebelwirkung" erlauben<br />

<strong>und</strong> zur Identifikation von agents of peaceful change <strong>und</strong> der für politischen <strong>und</strong> sozialen<br />

Wandel notwendigen critical mass beitragen.<br />

5. Hilfreich ist es, Gebrauch von den Methoden angewandter Systemtheorie zu machen<br />

(insbesondere in der Organisationsberatung, Psychotherapie <strong>und</strong> Kybernetik).<br />

Der systemische Ansatz beruht dabei auf folgenden normativen Gr<strong>und</strong>lagen:<br />

• Der Notwendigkeit einer zivilen <strong>und</strong> konstruktiven Transformation von<br />

Konfliktsystemen;<br />

• Die Unterstützung von Prozessen eines umfassenden gesellschaftlichen Wandels ist<br />

für einen transformativen Ansatz wünschenswert <strong>und</strong> notwendig;<br />

• Die einheimischen Akteure müssen im driving seat sozialen Wandels sitzen;<br />

• Friedensförderung muss einen inklusiven Ansatz verfolgen;<br />

• Die Notwendigkeit eines holistischen Menschenrechts-Ansatzes;<br />

• Machtasymmetrien müssen berücksichtigt <strong>und</strong> bearbeitet werden;<br />

• Ein transformativer Ansatz muss auch zur Überwindung geschlechtsspezifischer<br />

Herrschafts- <strong>und</strong> Gewaltverhältnisse beitragen.<br />

Kernelemente der systemischen <strong>Konflikttransformation</strong><br />

<strong>Systemische</strong> Konfliktanalyse <strong>und</strong> Konfliktmonitoring: beschreibt Prinzipien, Ansätze <strong>und</strong><br />

Methoden, um die Komplexität von Konfliktsystemen möglichst adäquat zu erfassen. Neben<br />

der Darstellung von Methoden wie systems diagramming, geht es um die möglichst präzise<br />

Festlegung von Systemgrenzen, dem Abgleich <strong>und</strong> Wechsel von Vogel- <strong>und</strong> Froschperspektive<br />

<strong>und</strong> der Problematisierung der Rolle externer Akteure. Zudem wird auf kybernetische<br />

Analysemethoden skizziert <strong>und</strong> die analytische Relevanz von Widerständen erörtert.<br />

<strong>Systemische</strong> Interventionsplanung: hier steht Reduktion <strong>und</strong> Vereinfachung im<br />

Vordergr<strong>und</strong>. Die systemische <strong>Konflikttransformation</strong> hält dazu an, Strategien <strong>und</strong><br />

Arbeitshypothesen bezüglich geeigneter Anknüpfungspunkte <strong>und</strong> Interventionshebel zu<br />

entwickeln. Es werden einige Prinzipien <strong>und</strong> Hilfestellungen vorgestellt, die den Prozess der<br />

Hypothesengewinnung unterstützen. Darüber hinaus werden Methoden flexibler<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong> vi


Projektplanung vorgestellt <strong>und</strong> abschließend Monitoring <strong>und</strong> assessment systemisch<br />

angelegter Interventionen thematisiert.<br />

<strong>Systemische</strong> Arbeit mit Akteuren <strong>und</strong> Vernetzung: problematisiert den Umgang mit<br />

zentralen Konfliktakteuren. <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong> basiert auf den zwei<br />

Schlüsselprinzipien der Inklusivität des Ansatzes <strong>und</strong> der Allparteilichkeit als Gr<strong>und</strong>haltung<br />

der Drittpartei. Die Herausforderungen <strong>und</strong> Dilemmata der Umsetzung dieser Prinzipien<br />

werden erörtert, ebenso einige Einsichten <strong>und</strong> Überlegungen zum kritisch-konstruktiven<br />

Engagement mit schwierigen politischen Akteuren. Dabei spielt auch die Berücksichtigung<br />

von Machtasymmetrien eine zentrale Rolle. Zudem wird auch der Ansatz eines Multistakeholder<br />

Dialogs <strong>und</strong> Formen des Netzwerkmanagements zwischen staatlichen <strong>und</strong> nichtstaatlichen,<br />

internationalen <strong>und</strong> einheimischen Akteuren dargestellt.<br />

<strong>Systemische</strong> Mobilisierung von „Agenten friedlichen Wandels“: hier geht es um die<br />

Identifizierung <strong>und</strong> Unterstützung von agents of peaceful change <strong>und</strong> um die Notwendigkeit,<br />

eine „kritische Masse“ von Agenten friedlichen Wandels zur Initiierung sozialer <strong>und</strong><br />

politischer Transformationsprozesse zu aktivieren. In diesem Abschnitt wird auch die Frage<br />

der möglichen Institutionalisierung dieser Akteure thematisiert. Darüber hinaus wird der<br />

Nutzen der Verknüpfung von Dialogmaßnahmen <strong>und</strong> capacity-building in der Arbeit mit<br />

diesen Zielgruppen unterstrichen.<br />

<strong>Systemische</strong> Kreativität bei der Imagination von inhaltlichen Lösungen: betont die<br />

Notwendigkeit, die Konfliktakteure bei der Erarbeitung von konstruktiven Lösungsansätzen<br />

zu unterstützen. Dabei müssen nicht nur inhaltliche <strong>und</strong> affektive Widerstände <strong>und</strong><br />

Blockaden bearbeitet, sondern insbesondere das ownership der Beteiligten berücksichtigt<br />

werden. Es geht also um einen ergebnisoffenen gemeinsamen Lernprozess, der durch<br />

„paradoxe Interventionen“, Kreativtechniken sowie Wissenstransfer angeregt werden kann.<br />

In der Praxis der systemischen <strong>Konflikttransformation</strong> lassen sich diese fünf Arbeitsbereiche<br />

nicht trennen <strong>und</strong> sollten deshalb auch nicht als Schrittfolge aufgefasst werden. Der Zyklus<br />

der systemischen <strong>Konflikttransformation</strong> besteht in den Schritten i) Systembeobachtung, ii)<br />

der Arbeit mit <strong>und</strong> in dem System <strong>und</strong> iii) dem Wachsen mit dem System.<br />

Rahmenbedingungen <strong>und</strong> Grenzen der systemischen <strong>Konflikttransformation</strong><br />

Die Anwendbarkeit der systemischen <strong>Konflikttransformation</strong> ist im Prinzip bei allen<br />

gewaltförmigen Inter-Gruppenkonflikten Gruppen gegeben, insbesondere bei<br />

Auseinandersetzungen über Identität, Territorium, Sicherheit <strong>und</strong> governance Systeme. Der<br />

Ansatz eignet sich für die Phasen vor dem Eintritt in die Friedensverhandlungen, während<br />

<strong>und</strong> danach. Einschränkungen kann es z.B. durch extreme Gewalteskalation geben, die den<br />

Handlungsspielraum internationaler, aber auch einheimischer Akteure stark begrenzt <strong>und</strong><br />

ein hinreichendes Sicherheitsregime erforderlich macht.<br />

In der Studie wurde vor allem auf Erfahrungen von intermediären Organisationen <strong>und</strong> der<br />

Arbeit auf der track 1,5 <strong>und</strong> track 2 Ebene rekurriert; bei entsprechender Anpassung kann der<br />

systemische Ansatz auch auf den anderen tracks der Konfliktbearbeitung genutzt werden.<br />

Insgesamt ist es aber erforderlich, die Fragen des Zugangs <strong>und</strong> des Mandats zu klären bzw. die<br />

Konfliktakteure auch dahingehend zu unterstützen, dass sie einer Strategie der gewaltfreien<br />

Konfliktbearbeitung zustimmen können. Der Aufbau entsprechender Kapazitäten bei den<br />

Konfliktakteuren kann dabei eine wichtige Rolle spielen.<br />

Für die Drittpartei ist es wichtig, dass eigene Rollenverständnis zu klären <strong>und</strong> mit<br />

hinreichender Transparenz zu kommunizieren, um konstruktiv mit den Herausforderungen<br />

<strong>und</strong> Dilemmata einer auf Allparteilichkeit <strong>und</strong> Inklusivität ausgerichteten Arbeit umgehen zu<br />

können.<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong> vii


Fazit: Stärken <strong>und</strong> Schwächen des systemischen Ansatzes<br />

In der Zusammenfassung wurde zum einen noch der Nutzen der systemischen<br />

<strong>Konflikttransformation</strong> für Geberorganisationen diskutiert. Darüber hinaus wurden einige<br />

Stärken <strong>und</strong> Schwächen des Ansatzes unterstrichen, wie z.B.:<br />

• Die systemische <strong>Konflikttransformation</strong> leitet Individuen, Organisationen <strong>und</strong><br />

Netzwerke zu einer ergebnisoffenen <strong>und</strong> „komplexitätsbewussten“ Art des Denkens<br />

<strong>und</strong> Handelns an, ohne den notwendigen Blick auf spezifische Details <strong>und</strong> Faktoren<br />

zu negieren.<br />

• Durch die Nutzung von Methoden, die ein „Out-of-the-box“-Denken,<br />

Perspektivenwechsel <strong>und</strong> Irritationen hervorrufen, trägt die systemische<br />

<strong>Konflikttransformation</strong> zur Verbesserung von Interventionsmethoden bei; einige<br />

systemische tools (z.B. die fishbowl-Methode) werden bereits in Workshops <strong>und</strong><br />

Dialogprozessen angewandt.<br />

• Die systemische <strong>Konflikttransformation</strong> leistet einen wichtigen Beitrag zur Erstellung<br />

eines strategischen Planungsrahmens für die Abstimmung <strong>und</strong> Verknüpfung<br />

unterschiedlicher Aktivitäten, Aktivitätsebenen <strong>und</strong> Akteure.<br />

• Die systemische <strong>Konflikttransformation</strong> erfordert ein hohes Maß an Zeit <strong>und</strong><br />

Ressourceneinsatz (bedingt durch das notwendige Maß an Flexibilität, die Vernetzung<br />

mit Aktivitäten bzw. Akteuren auf anderen tracks, etc.).<br />

• Die systemische <strong>Konflikttransformation</strong> setzt voraus, dass es ein Umdenken <strong>und</strong> einen<br />

Mentalitätswechsel bei Organisationen der internationalen Zusammenarbeit gibt –<br />

weg vom Denken in uni-linearen planerischen Machbarkeiten hin zu einer sensiblen<br />

<strong>und</strong> auf Langfristigkeit angelegten Prozessbegleitung <strong>und</strong> weg vom Denken in<br />

Kategorien wie „Unser Projekt“ hin zu einer engagierten <strong>und</strong> glaubwürdigen<br />

Unterstützung einheimischer Partner.<br />

• Die systemische <strong>Konflikttransformation</strong> erfordert sehr gut ausgebildetes<br />

Schlüsselpersonal, welches über ein hohes Maß an Offenheit sowie über<br />

ausgezeichnete Prozess- <strong>und</strong> Moderationsqualifikation für die Anwendung<br />

systemischer Ansätze verfügen muss.<br />

Empfehlungen (an BFPS <strong>und</strong> an Geberorganisationen)<br />

1. Erstellung, Weiterentwicklung <strong>und</strong> Adaption von Methoden der systemischen<br />

<strong>Konflikttransformation</strong> insbesondere in den Bereichen der Konfliktanalyse, der<br />

Interventionsplanung (z.B. Prozessarchitektur) <strong>und</strong> des systemischen<br />

Wirkungsmonitorings. Die Methodenentwicklung soll u.a. im Rahmen von BFPS<br />

Praxisprojekten <strong>und</strong> auch in Kooperation mit dem Berghof Forschungszentrum betrieben<br />

werden.<br />

2. Stärkere Systematisierung <strong>und</strong> Anwendung von systemischen Methoden <strong>und</strong> Ansätzen der<br />

<strong>Konflikttransformation</strong> in Dialog- <strong>und</strong> Problemlösungsworkshops. Neben Berghofeigenen<br />

Erfahrungen soll dazu auch verstärkt der Austausch mit Partnerorganisationen<br />

gesucht werden.<br />

3. Zur Sicherstellung <strong>und</strong> systematischen Erfassung von Lernerfahrungen schlagen wir vor,<br />

Lernschleifen <strong>und</strong> Aktionsforschungskomponenten in alle größeren bzw. methodisch<br />

innovativen Projekte <strong>und</strong> Programme der Friedensförderung zu integrieren. Mit<br />

Unterstützung durch Aktionsforscher <strong>und</strong> –forscherinnen könnte eine regelmäßige<br />

Reflexion der Vorhaben stattfinden, die einerseits die Lernerfahrungen sichert (<strong>und</strong> damit<br />

einen Transfer der Erfahrungen überhaupt erst erlaubt), andererseits aber auch ein<br />

feedback für die Projekte/Programme darstellt.<br />

4. Wir wollen den Austausch über die systemische <strong>Konflikttransformation</strong> durch<br />

Publikationen aber insbesondere durch Workshops <strong>und</strong> Seminare fortführen <strong>und</strong><br />

intensivieren.<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong> viii


5. Mit Bezug auf die Praxis der systemischen <strong>Konflikttransformation</strong> wollen wir auch<br />

weiterhin Unterstützung <strong>und</strong> Beratung für andere internationale Organisationen <strong>und</strong><br />

Geber anbieten, bspw. im Rahmen von donor working groups oder mit Bezug auf die<br />

Ausgestaltung anderer friedensfördernder Strukturen (peace support groups; peace<br />

secretariats, etc.).<br />

6. Für die Nutzung des systemischen Ansatzes durch die Geber sollten klare<br />

Anknüpfungspunkte identifiziert werden <strong>und</strong> zwischen den Anwendungsbereichen auf<br />

der Ebene der politischen Steuerung <strong>und</strong> Koordinierung einerseits <strong>und</strong> der Nutzung des<br />

systemischen Ansatzes zur weiteren Instrumentenentwicklung anderseits unterschieden<br />

werden. Zur weiteren Klärung der Nutzung des Ansatzes könnte bspw. exemplarisch ein<br />

Pilotprojekt der systemischen <strong>Konflikttransformation</strong> in ein bestehendes Programm der<br />

Friedensförderung integriert werden <strong>und</strong> gezielt Beratungsleistungen in beiden<br />

erwähnten Anwendungsbereichen anbieten.<br />

7. Da wir seitens der internationalen Gebergemeinschaft einen großen Handlungsbedarf<br />

beim Übergang von Friedensverhandlungen zur sogenannten Post-Konflikt-Phase sehen<br />

(sowohl hinsichtlich der Ausgestaltung der support Strukturen als auch der<br />

Prozessbegleitung), empfehlen wir, die Anwendbarkeit von systemischen Anätzen in<br />

Multi-Akteurs-Kontexten am Beispiel dieser politisch hochsensiblen Übergangsphase zu<br />

testen.<br />

8. Die Anwendung systemischer Ansätze erfordert von allen Beteiligten Flexibilität, Offenheit<br />

<strong>und</strong> Kreativität bei der Entwicklung tragfähiger Lösungsansätze, was unter Umständen<br />

auch einen höheren Zeit- <strong>und</strong> Ressourceneinsatz erforderlich macht. Wir empfehlen<br />

daher den Geberorganisationen, bei Pilotprojekten <strong>und</strong> systemisch angelegten Vorhaben<br />

die notwendigen Ressourcen für eine gr<strong>und</strong>legende Analyse des Konfliktsystems,<br />

strategische Planung, Reflektion <strong>und</strong> Lernen bereitzustellen.<br />

9. Der systemische Ansatz basiert in hohem Maße auf Inklusivität <strong>und</strong> Kooperation.<br />

Gefordert sind deshalb partnerschaftliches Vorgehen <strong>und</strong> eine Erhöhung der Anreize zur<br />

Koordination <strong>und</strong> Kooperation als Gr<strong>und</strong>lage eines fruchtbaren inter-agency Dialogs<br />

zwischen einheimischen <strong>und</strong> internationalen Akteuren. Dazu bedarf es Anreize seitens<br />

der Gebergemeinschaft, etwa durch die explizite Unterstützung von Netzwerken <strong>und</strong><br />

gemeinsamer Aktivitäten unterschiedlicher Akteure.<br />

10. Die Nutzung der systemischen <strong>Konflikttransformation</strong> auf der Steuerungs- als auch<br />

Instrumentenebene sollte mit einer diesbezüglichen Weiterbildung von MitarbeiterInnen<br />

der Gerberorganisationen verb<strong>und</strong>en werden.<br />

11. Die Durchführung systemischer Ansätze der Friedensförderung stellt aber auch hohe<br />

Anforderungen an das Projektpersonal (Fach-, Methoden- <strong>und</strong> Prozesskompetenz). Wir<br />

empfehlen deshalb, capacity building <strong>und</strong> Qualifizierungsmaßnahmen für Akteure aus<br />

den Konfliktländern sehr frühzeitig anzubieten <strong>und</strong> zu fördern. Teilnehmer dieser<br />

Maßnahmen können dann dazu beitragen, ein Programm systemischer<br />

Konfliktbearbeitung in ihren Ländern aufzubauen.<br />

12. Zur Flankierung der vorgeschlagenen Qualifikationsmaßnahmen regen wir nachdrücklich<br />

an, über Formen der Unterstützung <strong>und</strong> Finanzierung von Süd-Süd Kooperationen<br />

nachzudenken. Regionale Netzwerke <strong>und</strong> Austauschprogramme zwischen Akteuren in<br />

Konfliktländern können die bestehenden Abhängigkeitsverhältnisse zwischen dem Süden<br />

<strong>und</strong> dem Norden verringern helfen; für systemische Ansätze ergeben sich weitere<br />

wesentliche Vorteile: Akteure aus der Region verfügen über ein viel größeres Wissen über<br />

die politischen, historischen, ökonomischen, kulturellen, sozialen <strong>und</strong> religiösen<br />

Strukturen, in denen die Konflikte stattfinden. Zudem können über Akteure des Südens<br />

Zugänge zu komplexen Konfliktsystemen geschaffen werden, die für Akteure aus dem<br />

Norden schwieriger zu eröffnen sind, bspw. in der islamischen Region.<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong> ix


Engl. Summary ....................................................................................................................... (3-5 S.)<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong> x


1. Einleitung<br />

1.1 Hintergr<strong>und</strong> <strong>und</strong> Kontext der Studie<br />

Die Einhegung <strong>und</strong> Transformation gewaltsamer Konflikte wird auf absehbare Zeit eine<br />

Schlüsselaufgabe internationaler Politik <strong>und</strong> Zusammenarbeit bleiben, was gleichermaßen<br />

staatliche, nicht-staatliche <strong>und</strong> multilaterale Akteure <strong>und</strong> Organisationen betrifft.<br />

Zahlenangaben schwanken zwischen einem anhaltenden „Sockel“ von 30 - 35 militärisch<br />

ausgefochtenen Konflikten pro Jahr <strong>und</strong> der Trendaussage, dass circa die Hälfte aller<br />

Entwicklungsländer das Potential von Krisenländern mit gewaltsamen Konflikten habe. Mehr<br />

als 90 % dieser Konflikte sind interne Auseinandersetzungen, die sich dem klassischen<br />

Instrumentarium der diplomatischen Friedensstiftung weitgehend entziehen. 1<br />

Um den Herausforderungen von Gewaltkonflikten effektiv begegnen zu können <strong>und</strong> eine<br />

nachhaltig wirksame Friedensförderung 2 zu betreiben, sind innovative <strong>Konzept</strong>e <strong>und</strong> Ansätze<br />

nötig. Konfliktsysteme zeichnen sich durch eine Vielzahl (<strong>und</strong> die Verquickung) von<br />

Konfliktursachen <strong>und</strong> –beschleunigern, durch Machtasymmetrien, Gewaltkulturen, durch<br />

eine Menge von direkt <strong>und</strong> indirekt beteiligten, einheimischen <strong>und</strong> internationalen Akteuren<br />

aus – um nur einige Faktoren zu nennen. <strong>Konzept</strong>e <strong>und</strong> Ansätze der Friedensförderung<br />

müssen dieser hohen Komplexität Rechnung tragen. Die mittlerweile weit verbreitete Einsicht<br />

in die Notwendigkeit von „holistischen“ <strong>und</strong> „integrierten“ Ansätzen <strong>und</strong> der Befolgung der<br />

Prinzipien der Kohärenz, Kooperation <strong>und</strong> Komplementarität ist in diesem Zusammenhang<br />

wichtig. Es bedarf allerdings mehr.<br />

Benötigt werden Ansätze <strong>und</strong> <strong>Konzept</strong>e der Friedensförderung, die einerseits einen<br />

strategischen Rahmen eröffnen, welcher für unterschiedliche Akteure <strong>und</strong> Programme<br />

anschlussfähig ist <strong>und</strong> in dem andererseits die auf der Mikro- <strong>und</strong> Mesoebene erfolgenden<br />

Interventionen bessere <strong>und</strong> fokussiertere Wirkungen auf der makropolitischen Ebene<br />

erzielen können. Darüber hinaus wird es in politisch vermachteten Konfliktsystemen<br />

zunehmend wichtiger, Antworten auf die Fragen nach den relevanten Ansatzpunkten (entry<br />

points) für friedensfördernde Unterstützungsmaßnahmen sowie den maßgeblichen Akteuren<br />

<strong>und</strong> Institutionen sozialen <strong>und</strong> politischen Wandels zu finden. Schließlich geht es darum,<br />

kreative Plattformen für innovative Ansätze der Konfliktbearbeitung zu schaffen. Vor diesem<br />

Hintergr<strong>und</strong> sollen mit der vorliegenden Studie Gr<strong>und</strong>züge eines systemischen Ansatzes der<br />

<strong>Konflikttransformation</strong> erörtert <strong>und</strong> in ihrer praktischen Anwendung vorgestellt werden. Wie<br />

wir zeigen wollen, kann die systemische <strong>Konflikttransformation</strong> zur notwendigen Reflektion<br />

<strong>und</strong> Reduktion der in Gewaltkonflikten inhärenten Komplexität beitragen <strong>und</strong> darüber<br />

hinaus innovative Impulse in die Praxis der Friedensförderung geben.<br />

Die vorliegende Studie wurde von der Berghof Fo<strong>und</strong>ation for Peace Support (BFPS) im<br />

Rahmen des vom B<strong>und</strong>esministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit <strong>und</strong> Entwicklung<br />

(BMZ) <strong>und</strong> dem Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA)<br />

geförderten Aktionsforschungsprojekts „<strong>Systemische</strong> Ansätze zur Unterstützung von<br />

Friedensprozessen: <strong>Konzept</strong> <strong>und</strong> <strong>Anwendungsgebiete</strong>“ erstellt. Die Projektlaufzeit der Studie<br />

1 Vgl. Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung: Konfliktbarometer 2004. 13. jährliche<br />

Konfliktanalyse. Heidelberg: HIIK 2004.<br />

2 In Anlehnung an entwicklungspolitische Diskurse sollen unter Friedensförderung mittel- <strong>und</strong> langfristig<br />

angelegte Maßnahmen fallen, die beitragen zur i) Etablierung von Mechanismen des Interessenausgleichs <strong>und</strong> der<br />

konstruktiven Konfliktbearbeitung, ii) Überwindung der strukturellen Ursachen gewaltsamer Konflikte, <strong>und</strong> iii)<br />

Schaffung von Rahmenbedingungen für eine friedliche <strong>und</strong> gerechte Entwicklung. Vgl. BMZ: Übersektorales<br />

<strong>Konzept</strong> zur Krisenprävention, Konfliktbearbeitung <strong>und</strong> Friedensförderung in der deutschen<br />

Entwicklungszusammenarbeit, BMZ: Juni 2005.<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

1


etrug 15 Monate (Oktober 2004 bis Dezember 2005). Neben der Auswertungsstudie wurden<br />

vier separate Konfliktstudien in Nepal, Aceh/Indonesien, Sudan <strong>und</strong> Südsudan angefertigt,<br />

zentrale Einsichten aus diesen Kurzstudien sind in diese Studie eingeflossen.<br />

1.2 Fragestellungen <strong>und</strong> Zielgruppe<br />

Die Studie soll dazu beitragen, mit dem systemischen Ansatz ein innovatives <strong>Konzept</strong> der<br />

Friedensförderung vorzustellen <strong>und</strong> weiterzuentwickeln. Dabei soll gezeigt werden, dass die<br />

systemische <strong>Konflikttransformation</strong> sowohl hinsichtlich der Analysekapazitäten als auch der<br />

Erarbeitung wirkungsvoller Strategien ein enormes Potential aufweist. Sie kann zur<br />

Identifikation von relevanten Interventionshebeln <strong>und</strong> Agenten friedlichen Wandels<br />

beitragen <strong>und</strong> liefert einen Rahmen zur Koordination <strong>und</strong> Interaktion von Aktivitäten auf den<br />

verschiedenen Gleisen (tracks) der Konfliktbearbeitung <strong>und</strong> zum systemischen Zusammenwirken<br />

von staatlichen <strong>und</strong> nicht-staatlichen, internationalen <strong>und</strong> einheimischen Akteuren.<br />

Die systemische <strong>Konflikttransformation</strong> bietet zudem für Organisationen, die im Rahmen<br />

ihrer internationalen Zusammenarbeit an einer aktiven Friedensförderung interessiert sind,<br />

Antworten auf die Frage, welche Ansatzpunkte <strong>und</strong> Potentiale intensiver genutzt werden<br />

könnten, um zu einer stärkeren Vernetzung von Aktivitäten auf unterschiedlichen Ebenen<br />

<strong>und</strong> einer effektiveren Unterstützung von Friedensprozessen beizutragen. In welchem<br />

Umfang <strong>und</strong> in welcher Form können z.B. komparative Vorteile (wie Langfristigkeit des<br />

Engagements vor Ort, Partnernähe, Kontakte zu Entscheidungsträgern in Staat <strong>und</strong><br />

Zivilgesellschaft, Mandatierung der Arbeit vor Ort, Bearbeitung zentraler Konfliktursachen)<br />

als „entry-points“ für hochrangige Verhandlungs-, Dialog- <strong>und</strong> Problemlösungsaktivitäten<br />

genutzt werden? Wie können kurzfristige, eher prozessorientierte Maßnahmen wie z.B.<br />

Dialogveranstaltungen mit strukturorientierten (<strong>und</strong> in der Regel mittelfristig angelegten)<br />

capacity building Maßnahmen vernetzt werden? Wie lässt sich das zentrale Element der<br />

Netzwerk- <strong>und</strong> Beziehungsarbeit in andere Programme integrieren?<br />

Neben einer Darstellung der konzeptionellen <strong>und</strong> normativen Elemente der systemischen<br />

<strong>Konflikttransformation</strong> <strong>und</strong> der Erörterung des Anwendungskontextes sollen auch die<br />

notwendigen Rahmenbedingungen für einen effektive Nutzung des Ansatzes dargestellt<br />

werden. Während die systemische <strong>Konflikttransformation</strong> vor allem intermediäre<br />

Organisationen anspricht, die sich explizit mit Fragen der Zivilen Konfliktbearbeitung <strong>und</strong><br />

Friedensförderung beschäftigen, gibt es auch eine Reihe von Anwendungsmöglichkeiten für<br />

Geberorganisationen. Insbesondere mit Blick auf die beiden Auftraggeber werden deshalb<br />

auch verfahrensbezogene Empfehlungen zur Nutzung <strong>und</strong> Weiterentwicklung der<br />

systemischen <strong>Konflikttransformation</strong> gegeben.<br />

Die Studie zur systemischen <strong>Konflikttransformation</strong> ist bewusst so angelegt, dass sie auf<br />

mehrere Nutzergruppen abzielt, die sich hinsichtlich der spezifischen Anwendungsbereiche<br />

<strong>und</strong> –möglichkeiten aber durchaus unterscheiden:<br />

• MitarbeiterInnen <strong>und</strong> Partner intermediärer Organisationen, die sich explizit mit<br />

Fragen der Zivilen Konfliktbearbeitung <strong>und</strong> <strong>Konflikttransformation</strong> beschäftigen (wie<br />

BFPS, Conciliation Resources, International Alert, etc.);<br />

• Durchführungsorganisationen der Entwicklungszusammenarbeit, die sich im<br />

Rahmen ihrer Tätigkeit in Kriegs- <strong>und</strong> Krisengebieten ebenfalls mit der Frage der<br />

Ausgestaltung <strong>und</strong> Steuerung von Strategien der Friedensförderung beschäftigen<br />

(DEZA, GTZ, DED, KfW, etc.);<br />

• MitarbeiterInnen der Geberorganisationen (BMZ <strong>und</strong> EDA), die sich bspw. mit Fragen<br />

der strategischen Planung, Steuerung <strong>und</strong> Koordinierung von friedensfördernden<br />

Aktivitäten beschäftigen oder an der diesbezüglichen Weiterentwicklung von<br />

Instrumenten <strong>und</strong> Methoden arbeiten;<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

2


• Arbeitsgruppen <strong>und</strong> Kompetenzzentren, die sich mit Fragen der konzeptionellen<br />

Weiterentwicklung von Instrumenten <strong>und</strong> Methoden der Friedensförderung<br />

beschäftigen sowie Austausch <strong>und</strong> Transfer von lessons learned organisieren (KOFF,<br />

FriEnt, Thementeam KP/KB, ZIVIK).<br />

Inhaltlich beschränkt sich die Studie explizit auf den Tätigkeitsbereich der aktiven Friedensförderung<br />

<strong>und</strong> <strong>Konflikttransformation</strong> <strong>und</strong> die hierin tätigen Akteure der Internationalen<br />

Zusammenarbeit in der Schweiz <strong>und</strong> in Deutschland. Obwohl ein systemischer Ansatz auch<br />

Anschlussmöglichkeiten für weitere Politikfelder (wie z.B. die Diplomatie, Verteidigungs- <strong>und</strong><br />

Wirtschaftspolitik) bietet, hätte dies den Rahmen des Vorhabens gesprengt. Im Anlehnung an<br />

das weit gefasste Verständnis von Friedensförderung (vgl. den Glossar im Anhang) beziehen<br />

wir uns prinzipiell auf alle Phasen der Konfliktbearbeitung, insbesondere aber auf die Phasen<br />

des Pre-Agreement (Verhandlungsphase) <strong>und</strong> des Post-Agreement (Implementierung des<br />

Friedensvertrags, „Post-Konflikt-Phase“).<br />

1.3 Methodik<br />

Die vorliegende Studie basiert auf einem Ansatz der Aktionsforschung, der die Reflexion von<br />

Praxiserfahrungen mit konzeptionellen Anregungen aus dem aktuellen Diskussionstand der<br />

Zivilen Konfliktbearbeitung sowie angrenzender Disziplinen verknüpft. Folgende<br />

Komponenten flossen in diesen Dialog zwischen Theorie <strong>und</strong> Praxis ein:<br />

Ein wesentlicher Teil der Auswertung beruht auf einer Systematisierung der Erfahrungen <strong>und</strong><br />

lessons learned zweier systemisch angelegter Projekte:<br />

• das von der Berghof Fo<strong>und</strong>ation for Conflict Studies durchgeführte <strong>und</strong> von BMZ <strong>und</strong><br />

EDA geförderte Projekt Resource Network for Conflict Studies and Transformation<br />

(RNCST) in Sri Lanka;<br />

• ein hochrangiges Dialogprojekt in Georgien-Abchasien, das vom Berghof Forschungszentrum<br />

<strong>und</strong> in 2005 von BFPS gemeinsam mit der britischen Partnerorganisation<br />

Conciliation Resources (CR) durchgeführt <strong>und</strong> vom Österreichischen<br />

Außenministerium, vom Evangelischen Entwicklungsdienst, vom EDA <strong>und</strong> AA<br />

finanziert wurde. Diese Dialogworkshops sind in ein umfangreiches capacity building<br />

Projekt von CR eingebettet.<br />

Zur Aufarbeitung <strong>und</strong> theoretischen Anreicherung der Praxiserfahrungen wurden auch auf<br />

<strong>Konzept</strong>e <strong>und</strong> Instrumente der systemischen Praxis zurückgegriffen, die sich in Disziplinen<br />

wie der Organisationsberatung, der Familientherapie <strong>und</strong> der Kybernetik seit einigen Jahren<br />

mit hoher Resonanz etabliert haben. Des weiteren haben wir auch die jüngere Debatte im<br />

Bereich der Zivilen Konfliktbearbeitung <strong>und</strong> der Friedensförderung berücksichtigt <strong>und</strong><br />

versucht, auch die Erfahrungen anderer Organisationen der ZKB, von denen wir annahmen,<br />

dass sie ähnliche Fragestellungen an ihre Arbeit richten bzw. explizit mit systemischen<br />

<strong>Konzept</strong>en arbeiten, einzubeziehen. 3<br />

Als weiterer Baustein der Studie sind 4 Kurzstudien zu Optionen systemischer <strong>Konflikttransformation</strong><br />

in Nepal, Aceh/Indonesien <strong>und</strong> zum Sudan (1 Studie aus „Nord-Perspektive“<br />

<strong>und</strong> 1 Studie zur spezifischen Situation im Süden) angefertigt worden. Die Auswahl der Länder<br />

3 Es wurden 28 Organisationen mit der Anregung kontaktiert, mit uns in einen inhaltlichen Austausch zu treten<br />

oder an uns Studien bzw. Hinweise auf weitere Organisationen weiterzuleiten (vgl. Liste der Organisationen im<br />

Anhang). Insgesamt war der Rücklauf dieser Umfrage eher mäßig. Obwohl sich ein deutliches Interesse an der<br />

Thematik abzeichnete, haben wir nur von wenigen Organisationen detaillierte Informationen erhalten. Allerdings<br />

haben sich im Einzelfall (z.B. mit CMI) sehr interessante Gespräche ergeben. Die Zusendung weiterer Studien<br />

wurde zugesagt (z.B. vom Center for International Conflict Resolution <strong>und</strong> der Eastern Mennonite University).<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

3


für die Kurzstudien fand in enger Abstimmung zwischen BFPS, EDA <strong>und</strong> BMZ statt. 4 Im<br />

Anschluss wurden in Konsultation mit Akteuren vor Ort geeignete Autoren für die Studien<br />

identifiziert. Die als think pieces konzipierten Studien zu Nepal <strong>und</strong> Aceh/Indonesien sind im<br />

Zeitraum Mai bis September erstellt worden; die Sudan Studien lagen erst im Dezember 2005<br />

in überarbeiteter Form vor. Ergebnisse <strong>und</strong> Einsichten der Kurzstudien, die neben einer<br />

Übersicht über die jeweiligen Konfliktsysteme vor allem Anregungen für denkbare<br />

Anknüpfungspunkte systemisch angelegter Interventionen geben sollten, wurden an<br />

verschiedenen Stellen, insbesondere aber in Kapitel 6, in die Auswertungsstudie integriert. 5<br />

Die Fragestellungen, Gliederung <strong>und</strong> Ergebnisse der Studie wurden in einer Reihe von<br />

Besprechungen <strong>und</strong> kleineren Workshops mit MitarbeiterInnen von BMZ <strong>und</strong> EDA sowie von<br />

einigen Partnerorganisationen abgestimmt <strong>und</strong> diskutiert (vgl. die ToR <strong>und</strong> den Zeitplan des<br />

Vorhabens im Anhang). Als besonders spannend erwies sich der Schreibprozess innerhalb des<br />

Autorenteams der BFPS. Neben Literaturstudien <strong>und</strong> Gesprächen mit KollegInnen<br />

entwickelte sich frühzeitig ein iterativer, dialogischer Prozess zwischen allgemeineren<br />

konzeptionellen Überlegungen <strong>und</strong> der Reflexion der spezifischen Praxiserfahrungen.<br />

Während ursprünglich geplant war, einen konzeptionellen Rahmen zu erarbeiten <strong>und</strong> die<br />

Praxiserfahrungen entsprechend zu strukturieren, erwies es sich früh als sinnvoller, die<br />

Reflexion über die vorliegenden Praxiserfahrungen als eine zentrale Komponente der<br />

<strong>Konzept</strong>erstellung zu nutzen. Deshalb wurden auch frühzeitig die MitarbeiterInnen des<br />

RNCST <strong>und</strong> des georgisch-abchasischen Dialogprojekts in die Diskussionen um den Aufbau<br />

der Studie <strong>und</strong> in die Erstellung erster Textentwürfe eingeb<strong>und</strong>en.<br />

1.4 Aufbau der Studie<br />

Kapitel 1<br />

S. 1-4<br />

Kapitel 2<br />

S. 5-10<br />

Kapitel 3<br />

S. 11-14<br />

Kapitel 4<br />

S. 15-27<br />

Kapitel 5<br />

S. 28-64<br />

Kapitel 6<br />

S. 65-73<br />

Kapitel 7<br />

S. 74-82<br />

Kap. 8<br />

S. 83-88<br />

Einleitung<br />

Kontext, Zielgruppe <strong>und</strong> Methodik der Studie<br />

Problemaufriss: Zentrale Herausforderungen der Friedensförderung<br />

Zu Charakteristika von Gewaltkonflikten <strong>und</strong> den Problemen der ZKB<br />

Gr<strong>und</strong>lagen der systemischen <strong>Konflikttransformation</strong><br />

Definition <strong>und</strong> normative Gr<strong>und</strong>lagen<br />

Genese der systemischen <strong>Konflikttransformation</strong><br />

Praxiserfahrungen des Berghof Zentrums <strong>und</strong> allgemeine <strong>Konzept</strong>e der ZKB<br />

Kernelemente der systemischen <strong>Konflikttransformation</strong><br />

<strong>Konzept</strong>e, Anregungen <strong>und</strong> Methoden<br />

Anwendungskontext <strong>und</strong> Rahmenbedingungen<br />

Nutzung des Ansatzes, Zugänge, Reichweite<br />

Nutzen <strong>und</strong> Begrenzung für Geber der internationalen Zusammenarbeit<br />

Steuerungsebene <strong>und</strong> Instrumentenentwicklung (für BMZ <strong>und</strong> EDA)<br />

Fazit <strong>und</strong> Empfehlungen<br />

Vorschläge zu Praxis <strong>und</strong> Weiterentwicklung des Ansatzes; offene Fragen<br />

4 BFPS hat (im Dezember 2004) eine erste Vorschlagsliste von möglichen „Kandidaten“ (basierend auf den<br />

Kriterien: Konflikttypus, Sicherheitssituation, Zugang, regionale Streuung) vorgelegt. Nach Rücksprache mit den<br />

zuständigen LänderreferentInnen bei EDA <strong>und</strong> BMZ erfolgte im Februar 2005 eine einvernehmliche Festlegung auf<br />

die Länder Indonesien, Nepal <strong>und</strong> Sudan. Im Anschluss an diese Entscheidungen wurden die ToR für die Autoren<br />

der jeweils 15-20 Seiten umfassenden Kurzstudien ausgearbeitet <strong>und</strong> mit den zuständigen ReferentInnen sowie<br />

den Autoren diskutiert.<br />

5 Die Kurzstudien können u.a. auf der BFPS-Website heruntergeladen werden: „www.berghof-peacesupport.org“.<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

4


2. Zentrale Herausforderungen der Friedensförderung<br />

Staatliche wie auch nicht-staatliche Organisationen, die sich in der Friedensförderung <strong>und</strong><br />

konfliktsensibler Entwicklungszusammenarbeit engagieren, werden in der Praxis mit einer<br />

Vielzahl von Herausforderungen konfrontiert. Obwohl sich das Instrumentarium, die<br />

Strategien <strong>und</strong> <strong>Konzept</strong>e von Friedensförderung <strong>und</strong> ziviler Konfliktbearbeitung vor allem seit<br />

den 90er Jahren des letzten Jahrh<strong>und</strong>erts stark entwickelt <strong>und</strong> sehr ausdifferenziert haben,<br />

sind nach wie vor Gr<strong>und</strong>probleme der Konfliktbearbeitung ungelöst. Diese hängen zum einen<br />

mit spezifischen Charakteristika der Gewaltkonflikte zusammen. Zum anderen steht die<br />

Entwicklung von dem Konfliktsystem adäquaten Antworten in vielen Problembereichen noch<br />

aus. Überblicksartig können die folgenden, in der Realität eng miteinander verb<strong>und</strong>enen<br />

Herausforderungen umrissen werden:<br />

• Einbeziehung der hohen Komplexität, Dynamik <strong>und</strong> Langwierigkeit von sog.<br />

hartnäckigen (protracted) Gewaltkonflikten sowie ihrer externen<br />

Rahmenbedingungen;<br />

• Schwächen bei strategischer Planung <strong>und</strong> Abstimmung verschiedener Akteure der<br />

Friedensförderung;<br />

• Umgang mit asymmetrischen Konfliktstrukturen <strong>und</strong> Berücksichtigung der Spezifika<br />

von nicht-staatlichen Gewaltakteuren sowie staatlichen Akteuren bei Staatsversagen;<br />

• Berücksichtigung der Bedürfnisse, Interessen <strong>und</strong> Beziehungen aller Konfliktakteure,<br />

einschließlich der sogenannten spoilers; <strong>und</strong><br />

• Systembezogene methodische Weiterentwicklung der Friedensförderung.<br />

Im Folgenden sollen die zentralen Herausforderungen <strong>und</strong> Dilemmata umrissen werden,<br />

denen sich die systemische <strong>Konflikttransformation</strong> stellen muss. Ansatzpunkte zum Umgang<br />

mit diesen Herausforderungen finden sich im Kapitel 5, das die Kernelemente des<br />

systemischen Ansatzes beschreibt. Die Komplexität der hier beschriebenen<br />

Herausforderungen legt nahe, dass diese Kernelemente zurzeit lediglich relevante<br />

Ansatzpunkte zur Weiterentwicklung der systemischen <strong>Konflikttransformation</strong>, aber noch<br />

nicht abschließende Antworten darstellen können.<br />

Einbeziehung der hohen Komplexität, Dynamik <strong>und</strong> Langwierigkeit von sog.<br />

hartnäckigen (protracted) Gewaltkonflikten sowie ihrer externen Rahmenbedingungen<br />

Die große Mehrzahl innerstaatlicher Gewaltkonflikte zeichnet sich durch eine lange<br />

Konfliktgeschichte aus. Insbesondere die über die Frage politischer Selbstbestimmung<br />

ausgetragenen Bürgerkriege weisen eine ausgeprägte Langlebigkeit auf: Im Durchschnitt<br />

dauerten die Ende 2004 verzeichneten 25 Bürgerkriege bereits seit 27 Jahren an. 6 Die Dauer<br />

der in der vorliegenden Studie behandelten Konflikte beträgt zwischen 22 (Nord-Süd Konflikt<br />

in Sudan <strong>und</strong> Sri Lanka) <strong>und</strong> 9 Jahren (Nepal).<br />

Diese Langwierigkeit der Konflikte hat Folgen – auch für die Praxis der Konfliktbearbeitung:<br />

Bei langandauernden Konflikten treten die originären Konfliktursachen in den Hintergr<strong>und</strong>,<br />

während die Eigendynamik des Konfliktverlaufs <strong>und</strong> die direkten Auswirkungen der<br />

gegenseitigen Gewaltanwendung wichtiger werden. Die Konfliktakteure verfangen sich in<br />

einer zunehmend destruktiven Logik von Aktion <strong>und</strong> Reaktion. Damit einhergehend zeichnet<br />

6 Monty G. Marshall & Ted Robert Gurr: Peace and Conflict 2005. A Global Survey of Armed Conflicts, Self-<br />

Determination Movements, and Democracy, College Park: CIDCM 2005, S. 26f. Chester A. Crocker, Fen Osler<br />

Hampson & Pamela Aall (Hrsg.): Grasping the Nettle. Analyzing Cases of Intractable Conflict, Washington: USIP<br />

Press 2005, zählen 23 von ihnen als „intractable“ bezeichnete Gewaltkonflikte auf. Einige Länder wie Ost-Timor<br />

<strong>und</strong> Angola könnten mittlerweile von ihrer Liste genommen, andere wie Uganda aber hinzugefügt werden.<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

5


sich eine Verhärtung der Positionen (in Verbindung mit einer Dehumanisierung des Gegners)<br />

<strong>und</strong> eine starke Polarisierung in Fre<strong>und</strong>-Feind-Schemata ab („wer nicht für uns ist, ist gegen<br />

uns“). Der Konflikt koppelt sich von den Bedingungen seiner Umwelt immer mehr ab <strong>und</strong><br />

macht sich selbst bzw. seine Dynamik zum beherrschenden Thema. Bei der notwendigen Deeskalation<br />

<strong>und</strong> Beziehungsarbeit dürfen jedoch die eigentlichen Konfliktursachen nicht aus<br />

dem Blick geraten. Vielmehr muss eine Kombination von Beziehungsarbeit <strong>und</strong><br />

themenbezogener Arbeit gef<strong>und</strong>en werden, die in den politischen, kulturellen <strong>und</strong> sozialen<br />

Konfliktkontext passt. Diese Kontextualisierung von Ansätzen der Konfliktbearbeitung ist<br />

bisher häufig noch nicht geleistet worden.<br />

Zu einer angemessenen Einordnung des Konflikts in seinen Kontext gehört auch die<br />

Betrachtung der Einflüsse der Umwelt bzw. der externen Rahmenbedingungen auf das<br />

Konfliktsystem: Einige langwierige Konflikte harren einer Lösung, weil regionale Großmächte<br />

aus geostrategischen Interessen eine Verhandlungslösung nicht oder zu wenig unterstützen.<br />

So tragen bspw. Russland, aber auch die USA wesentlich zum Fortbestand des georgischabchasischen<br />

Konflikts bei; Indien ist ein relevanter Akteur hinsichtlich einer<br />

Konfliktregelung in Nepal <strong>und</strong> Sri Lanka. In Situationen, in denen es keine ausreichend<br />

mandatierten Kooperationsstrukturen gibt, die diese Interessenkonstellation bearbeiten<br />

können, kann eine solche politische Vermachtung die konstruktive Transformation der<br />

zugr<strong>und</strong>e liegenden Konflikte sogar behindern <strong>und</strong> zu ihrer Verstetigung <strong>und</strong> Verhärtung<br />

beitragen (Einfrieren des Konflikts).<br />

Erschwerend hinzu kommt im Zuge des war on terror die wieder zunehmende Anwendung<br />

von hard power durch einige wichtige internationale Akteure unter der Führung der US-<br />

Regierung sowie der Einsatz präventiver militärischer Interventionen. Wie kann in einem<br />

solchen militarisierten <strong>und</strong> vermachteten Umfeld ein Prozess der Bearbeitung <strong>und</strong><br />

Transformation der Konfliktursachen geschehen, der die lokalen Akteure adäquat beteiligt?<br />

Wie kann mit den Reaktionen der lokalen Akteure umgegangen werden, die sich in einem<br />

solchen Umfeld radikalisieren <strong>und</strong> die u.U. von extremistischen Kräften bei der Abwehr der<br />

als „externe Einmischung“ abgelehnten Interventionen unterstützt werden? Wie kann die<br />

unterschiedliche Wertebasis <strong>und</strong> prinzipielle Ergebnisoffenheit verdeutlicht <strong>und</strong> verständlich<br />

gemacht werden, die zivile Unterstützungsangebote zur <strong>Konflikttransformation</strong> von<br />

militärischen oder nachrichtendienstlichen Interventionen unterscheidet?<br />

Schwächen bei strategischer Ausrichtung <strong>und</strong> Abstimmung der Friedensförderung<br />

Der zweite Herausforderungskomplex bezieht sich auf die Zielsetzung <strong>und</strong> Ausrichtung der<br />

Maßnahmen zur Friedensförderung. Die Utstein Studie identifiziert bei ihrem Vergleich der<br />

Erfahrungen verschiedener Geber in der Friedensförderung u. a. folgende Schwachstellen 7 :<br />

• insufficient <strong>und</strong>erstanding of the complex political dynamics of conflict;<br />

• overly optimistic policy design and inability to adapt to changing environments;<br />

• ad hoc, fragmented, ‘too-little’ and ‘too-late’ responses.<br />

Auch Studien der Weltbank beschäftigen sich mit dem Problem der suboptimalen<br />

Sequenzierung von Unterstützungsmaßnahmen. 8<br />

Die internationale Gemeinschaft reagiert oft mechanistisch auf Veränderungen in<br />

Konfliktsystemen. Besonders deutlich wird dies in der politisch sensiblen Phase der<br />

Implementierung von Friedensverträgen, wenn sich die mit den Verhandlungen befassten<br />

Diplomaten zurückziehen <strong>und</strong> anderen Akteuren im Zuge von Wiederaufbaumaßnahmen das<br />

Feld überlassen. Der Terminus „Post-Konflikt“ drückt diesen Wandel aus, obwohl gerade in<br />

7 Vgl. Dan Smith: “Getting Their Act Together. Towards a Strategic Framework for Peacebuilding.” Synthesis Report<br />

of the Joint Utstein Study of Peacebuilding, Oslo: PRIO (November 2004).<br />

8 Vgl.Worldbank: “Breaking the Conflict Trap. Civil War and Development Policy”, Washington: Worldbank 2003<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

6


der Implementierungsphase von den Konfliktparteien schmerzhafte Zugeständnisse erwartet<br />

werden, der Erwartungsdruck ihrer constituencies bzgl. zügiger Verbesserung der<br />

Lebenssituation sowie die Enttäuschung über eingegangene Kompromisse hoch sind <strong>und</strong><br />

somit die Gefahr eines Rückfalls in Gewalt in dieser Zeit am größten ist.<br />

Neben Fragen der Chronologie <strong>und</strong> Sequenzierung stellt sich auch die Arbeitsteilung<br />

zwischen staatlichen <strong>und</strong> nicht-staatlichen Akteuren sowie die Abstimmung von Aktivitäten<br />

auf <strong>und</strong> zwischen den verschiedenen tracks als schwierig heraus. Der Mangel an Kohärenz<br />

<strong>und</strong> Komplementarität friedensfördernder Maßnahmen liegt in einer Reihe von Faktoren<br />

begründet. Darunter fallen beispielsweise strukturelle <strong>und</strong> organisatorische Gründe wie<br />

unterschiedliche Organisationskulturen, Wettbewerb sowie strukturelle Ungleichheiten<br />

zwischen externen <strong>und</strong> einheimischen Akteuren, Zeitdruck (rasche Erstellung umfassender<br />

Entwicklungs- <strong>und</strong> Wiederaufbauprogramme), fehlende institutionelle Flexibilität <strong>und</strong><br />

mangelnde Erfahrungen mit den Erfordernissen von Friedensförderung . 9 Hinzu kommen<br />

Ziel- <strong>und</strong> Prioritätenkonflikte, die gleichsam als Ursache wie auch Folge mangelnder<br />

Kohärenz betrachtet werden können. Maßnahmen im Bereich von Sicherheitssektorreform,<br />

Transformation von Gewaltökonomien, Nothilfe, Demokratisierung <strong>und</strong> Armutsbekämpfung<br />

können sich leicht als konfliktverschärfend erweisen. 10 Die Forderung nach konfliktsensitiver<br />

Planung <strong>und</strong> Durchführung löst indes das Dilemma nicht, dass die Antworten auf die Fragen:<br />

„welche Maßnahmen, zu welchem Zeitpunkt, für welche Akteure <strong>und</strong> wie?“ höchst<br />

unterschiedlich ausfallen können <strong>und</strong> es an zufriedenstellenden Mechanismen zur<br />

Information <strong>und</strong> Koordination fehlt. Mit Blick auf die Komplexität des Konflikts <strong>und</strong> die hohe<br />

Zahl von unterschiedlichsten externen Akteuren, z.B. in Sri Lanka, würde sich bei der<br />

Entwicklung solcher Mechanismen zuerst die Frage stellen, welche Interventionen denn<br />

überhaupt als relevant im Rahmen des Gesamtsystems oder der Subsysteme angesehen<br />

werden können?<br />

Gleichzeitig muss jedoch festgestellt werden, dass es bereits der "ersten Generation" von<br />

Projekten der Friedensförderung, die Ende der 90er Jahre im Rahmen der internationalen<br />

Zusammenarbeit (IZ) finanziert wurde, gelungen ist, mit Hilfe externer Akteure<br />

Friedensprozesse zu unterstützen. Dabei blieben viele Fragen offen, <strong>und</strong> häufig waren die<br />

Erwartungen bezüglich der Wirksamkeit der Aktivitäten überzogen. Die schwierige Messung<br />

von Wirksamkeit stellt dabei in zweifacher Weise ein Problem dar: So ist der Nachweis der<br />

Wirkung <strong>und</strong> damit die Rechtfertigung der Maßnahmen in vielen Fällen nicht<br />

zufriedenstellend. Dies scheint jedoch Drittparteien nicht von der Entwicklung von<br />

überhöhten Erwartungen abzuhalten; vielmehr werden diese zu Beginn von Gebern <strong>und</strong><br />

Durchführungspartnern unterstützt, bei Schwierigkeiten dann aber auch schnell aufgegeben,<br />

ohne die Zielsetzung <strong>und</strong> Strategie zu hinterfragen <strong>und</strong> die Erwartungen entsprechend<br />

anzupassen. In den letzten Jahren wird dieses Vorgehen zunehmend hinterfragt, die<br />

Methodenentwicklung ist jedoch noch nicht abgeschlossen.<br />

Umgang mit asymmetrischen Konfliktstrukturen <strong>und</strong> Berücksichtigung der Spezifika<br />

von nicht-staatlichen Gewaltakteuren sowie staatlichen Akteuren bei Staatsversagen<br />

Bei der Mehrheit der heute zu bearbeitenden Konflikte handelt es sich um asymmetrische<br />

Konflikte. Bei der Gestaltung von Maßnahmen zur Friedensförderung stellt sich die Frage, wie<br />

mit der Unterschiedlichkeit der Konfliktparteien <strong>und</strong> ihres unausgewogenen<br />

Machtverhältnisses umgegangen werden kann, um Friedensverhandlungen zu erleichtern.<br />

Dabei ist festzustellen, dass staatliche Interventionen systemgemäß „parteilich“ das staatliche<br />

9 WSP International & International Peace Academy: Building Effective Partnerships. Improving the Relationship<br />

between Internal and External Actors in Post-Conflict Countries, New York: IPA 2004.<br />

10 Vgl. Mimmi Söderberg & Thomas Ohlson: Democratisation and Armed Conflicts in Weak States, Stockholm: SIDA<br />

2003; Martina Fischer & Oliver Wils: Armutsbekämpfung <strong>und</strong> Krisenprävention. Wie lässt sich Armutsbekämpfung<br />

konfliktsensitiv gestalten? Bonn:VENRO (Reihe 20015 im Gespräch, Nr. 6) 2003.<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

7


Gegenüber bevorzugen (müssen) <strong>und</strong> Schwierigkeiten mit inklusiven <strong>und</strong> allparteilichen<br />

Ansätzen haben, insbesondere wenn sich nicht eine baldige Beilegung des Konflikts<br />

abzeichnet, sondern dieser auf einem signifikanten Niveau kontinuierlicher<br />

Gewalthandlungen „eingefroren“ wird.<br />

Dies wird besonders deutlich anhand der Anreiz- <strong>und</strong> Sanktionsinstrumente, derer sich die<br />

Staatengemeinschaft bedient, um friedliche Orientierung zu belohnen <strong>und</strong><br />

Gewalthandlungen <strong>und</strong> Machtmissbrauch zu bestrafen. Anreize staatlicher Akteure, wie z. B.<br />

Entwicklungshilfe an nicht-staatliche Konfliktakteure, sind an die Zustimmung der jeweiligen<br />

Regierung geb<strong>und</strong>en, so dass dieser Weg oft nicht gangbar ist. Sanktionen wiederum, die<br />

gegen Menschenrechtsverletzungen verhängt werden, werden eher gegen<br />

Widerstandsbewegungen <strong>und</strong> ihre unterstützenden Organisationen verhängt, während die<br />

internationale Gemeinschaft mit Sanktionen gegen Staaten sehr viel zurück haltender ist.<br />

Eine solche Praxis verschärft eher die Asymmetrie als dass es sie abbaut.<br />

Aus Sicht internationaler Akteure bietet sich eine konstruktive Arbeitsteilung zwischen<br />

staatlichen <strong>und</strong> nicht-staatlichen Organisationen an, da staatliche Drittparteien aufgr<strong>und</strong><br />

ihres besonderen Zugangs direkt mit dem Staatsapparat kooperieren können, wohingegen<br />

nicht-staatliche Akteure in der Regel besser geeignet sind eine Position der Allparteilichkeit<br />

einzunehmen, um auch mit nicht-staatlichen Gewaltakteuren zu arbeiten. Aufgr<strong>und</strong> des<br />

hohen Polarisierungsdrucks bei langwierigen Konflikten <strong>und</strong> der in der Regel ungleich<br />

verteilten Macht zwischen den Konfliktparteien erfordert ein solches Vorgehen von den<br />

Drittparteien eine ausgeprägte Konfliktsensibilität sowie eine transparente, empathische<br />

Haltung gegenüber allen beteiligten Seiten. Wie die erfolgreiche Aushandlung von<br />

Friedensverträgen etwa im Sudan oder in Aceh/Indonesien zeigt <strong>und</strong> auch andere erfolgreiche<br />

Beispiele der Unterstützung von Friedensprozessen etwa im UN-Rahmen belegen, stellt eine<br />

konstruktive Prozessbegleitung <strong>und</strong> Dialog-facilitation seitens staatlicher <strong>und</strong> nichtstaatlicher<br />

Akteure eine Schlüsselaktivität der Friedensförderung dar. Zur Bearbeitung der<br />

Konfliktursachen sowie zur Absicherung von Friedensprozessen <strong>und</strong> zum Aufbau von<br />

Institutionen der konstruktiven Konfliktaustragung sind aber auch die strukturorientierten<br />

Maßnahmen der Friedensförderung wichtig, die häufig durch die Entwicklungszusammenarbeit<br />

gefördert werden. Diese erfolgreichen Ansätze unterstreichen die Bedeutung von<br />

vernetztem <strong>und</strong> sensiblem Vorgehen, <strong>und</strong> deuten gleichzeitig an, welche Herausforderungen<br />

es an die beteiligten Akteure der <strong>Konflikttransformation</strong> stellt.<br />

Bei der Betrachtung asymmetrischer Konflikte muss ein Umstand berücksichtigt werden, der<br />

erst in den letzten Jahren vermehrt Beachtung gef<strong>und</strong>en hat. Bis dahin lag ein großes<br />

Augenmerk auf den nicht-staatlichen Akteuren, ihrer Legitimität, ihrem Vorgehen usw.<br />

Zunehmend wird inzwischen jedoch beachtet, dass nicht alle staatlichen Akteure über gleiche<br />

Kompetenzen <strong>und</strong> Legitimation verfügen. Viele aktuelle Konflikte finden im Kontext<br />

schwacher oder versagender Staatlichkeit statt. Die in dieser Studie berücksichtigen Konflikte<br />

(Sri Lanka, Indonesien/Aceh, Georgien/Abchasien, Nepal, Sudan) können alle der Kategorie<br />

failing states zugeordnet werden, wenngleich die einzelnen Fälle sehr unterschiedlich<br />

gelagert sind. 11 Dabei kann Staatsversagen durchaus eine Auswirkung von Bürgerkriegen sein<br />

oder zumindest durch diese beschleunigt werden. Andererseits kann ein schwacher Staat oder<br />

ein Staat, der vorrangig der Durchsetzung von partikularen Gruppeninteressen dient,<br />

ursächlich an der Entstehung von Gewaltkonflikten beteiligt sein. So müssen bspw. im Sudan<br />

staatliche Akteure als Schlüsselakteure der vielfältigen innersudanesischen Konflikte gesehen<br />

werden, gleichzeitig repräsentieren diese Gruppen, die den Staatsapparat für ihre Interessen<br />

nutzen <strong>und</strong> instrumentalisierten, nur einen geringen Teil der sudanesischen Gesellschaft.<br />

Vertreter von Drittparteien, die einen Beitrag zur Konfliktbearbeitung <strong>und</strong> Friedensförderung<br />

11 Nach der Einteilung von Ulrich Schneckener (Hrsg.): States at Risk. Fragile Staaten als Sicherheits- <strong>und</strong><br />

Entwicklungsproblem, Berlin: SWP 2004. Zu berücksichtigen ist hier, dass die Begrifflichkeit selbst ein Politikum<br />

darstellt <strong>und</strong> oft von den betreffenden Staaten als interventionistische Zumutung interpretiert wird.<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

8


leisten möchten, sehen sich nun mit dem Paradoxon konfrontiert, sich nicht von staatlichen<br />

Akteuren, die selbst Teil des Konflikts sind, vereinnahmen zu lassen <strong>und</strong> dennoch zur<br />

Stärkung von Legitimität <strong>und</strong> governance des Staatsapparates (nicht des Regimes!) beitragen<br />

zu wollen.<br />

Insgesamt gilt für eine gelingende <strong>Konflikttransformation</strong>, dass sie die Transformation von<br />

staatlichen als auch nicht-staatlichen Gewaltakteuren hin zu zivilen Akteuren mit<br />

demokratisch legitimierter Agenda beinhalten muss. Dafür ist neben Dialog <strong>und</strong> der<br />

Bearbeitung der Konfliktursachen gemeinsam mit den Parteien auch die Vertrauensbildung,<br />

die Heranführung an institutionellen Wandel <strong>und</strong> ein entsprechendes capacity building mit<br />

jeder der Parteien einzeln notwendig. Die Verbindung dieser unterschiedlichen Maßnahme-<br />

Pakete stellt hohe konzeptionelle <strong>und</strong> methodische Herausforderungen an die<br />

Weiterentwicklung von Ansätzen zur <strong>Konflikttransformation</strong>.<br />

Berücksichtigung der Bedürfnisse, Interessen <strong>und</strong> Beziehungen der Konfliktakteure,<br />

insbesondere von sog. spoilers<br />

Neben der Berücksichtigung des Verhältnisses zwischen den Konfliktakteuren ist auch deren<br />

Innenleben zentral. In den seltensten Fällen handelt es sich um Gruppen mit homogenen<br />

Interessen <strong>und</strong> Bedürfnissen, vielmehr variieren diese in der Regel zwischen verschiedenen<br />

Lagern innerhalb der stakeholders. Dabei erscheint die allgemeine Unterscheidung zwischen<br />

den sogenannten peace constituencies <strong>und</strong> spoilers als zu oberflächlich. Vielmehr erscheint<br />

es ratsam, nicht von der Interessenhomogenität <strong>und</strong> –stabilität innerhalb dieser Gruppen<br />

auszugehen.<br />

Der Umgang mit spoilers stellt besondere Herausforderungen an Akteure der<br />

<strong>Konflikttransformation</strong>. Zunächst muss die Analyse der Interessen <strong>und</strong> Bedürfnisse dieser<br />

Gruppen vertieft werden. In einigen Fällen erklärt sich die spoiler Funktion aus der<br />

Gesamtkonstellation, in der die intraparteiliche Wettbewerbssituation Akteuren Einfluss- <strong>und</strong><br />

Machtgewinne verschafft, wenn sie diese Funktion übernehmen. In der jüngeren Diskussion<br />

liegt der Fokus vor allem bei der politischen Ökonomie von Bürgerkriegen <strong>und</strong> der Betonung<br />

von ökonomischen Interessen der nicht-staatlichen Konfliktakteure. Dabei sollte nicht<br />

übersehen werden, dass sich im Konfliktverlauf auf allen Seiten handfeste politische <strong>und</strong><br />

ökonomische Interessen herausgebildet haben (Sek<strong>und</strong>ärgewinne), die zu einer gewissen<br />

„Stabilität“ des Konflikts beitragen. 12<br />

So zentral der Diskurs über die politische Ökonomie von Konflikten für deren Verständnis<br />

auch ist, so muss doch die Gesamtheit affektiver <strong>und</strong> nicht-affektiver, rationaler <strong>und</strong><br />

emotionaler Beweggründe darüber hinaus Beachtung finden. Nur auf der Gr<strong>und</strong>lage einer<br />

f<strong>und</strong>ierten Analyse der Motivation <strong>und</strong> Wahrnehmungsmuster der spoilers können<br />

Widerstände sinnvoll bearbeitet werden. Wichtig ist dabei die Erfahrung, dass die<br />

Reproduktion destruktiver Interaktions- <strong>und</strong> Perzeptionsmuster bei diesen Akteuren zu einer<br />

wachsenden Resistenz gegenüber gewaltfreien Lösungsansätzen führen kann, da sie sich<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich nicht verstanden <strong>und</strong> ausgeschlossen sehen (Entstehung von Gewaltkulturen<br />

<strong>und</strong> „pathologischen Lernschleifen“).<br />

Zentral ist, dass keine dieser Gruppen pauschal aus der Interventionsstrategie ausgeschlossen<br />

wird <strong>und</strong> Sanktionsregime intelligent mit Anreizen für konstruktives Engagement gekoppelt<br />

werden. Als besondere Herausforderung gilt es, Hardlinern <strong>und</strong> spoiler-Gruppen wenig<br />

Chancen zu bieten, aus widersprüchlichen Maßnahmen politisches Kapital zu schlagen.<br />

12 Dieser Aspekt kann hier nur angerissen werden, bedarf jedoch einer vertiefenden Betrachtung. Vgl. exemplarisch<br />

den Beitrag von Karen Ballentine & Heiko Nitzschke: The Political Economy of Civil War and Conflict<br />

Transformation, in: Martina Fischer & Beatrix Schmelzle (Hrsg): Transforming War Economies. Dilemmas and<br />

Strategies, Berghof Handbook Dialogue Series No. 3 (2005), Berlin: Berghof Forschungszentrum.<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

9


Systembezogene methodische Weiterentwicklung der Friedensförderung<br />

Die bislang beschriebenen Herausforderungen können zusammenfassend als Notwendigkeit<br />

beschrieben werden, politische Gewaltkonflikte als Systeme zu begreifen <strong>und</strong> Interventionen<br />

zu deren Transformation in dieser systemischen Sichtweise zu planen <strong>und</strong> zu<br />

implementieren.<br />

Daher erscheint es geraten, in angrenzenden Feldern der Psychotherapie <strong>und</strong> auch der<br />

Organisationsberatung, in denen sich eine systemische Praxis etabliert hat, nach Anregungen<br />

zu suchen. Die Psychotherapie kann bspw. vor dem Hintergr<strong>und</strong> der bereits angesprochenen<br />

Notwendigkeit, den Umgang mit Resistenzen <strong>und</strong> die Einbeziehung affektiver <strong>und</strong> nichtaffektiver<br />

Elemente zu verbessern, zu neuen Ansätzen <strong>und</strong> zur weiteren<br />

Methodenentwicklung beitragen. Auf den Erfahrungen der systemischen<br />

Organisationsberatung mit der Analyse von komplexen Systemen aufbauend, können hier<br />

besondere Anregungen gewonnen werden, um der zu starken Linearität <strong>und</strong><br />

Unterkomplexität von Methoden der Konfliktbearbeitung abzuhelfen. Ferner können hier<br />

<strong>und</strong> in der Kybernetik Anleihen gemacht werden zur Frage der Steuerung komplexer Systeme,<br />

um z.B. ein komplexes <strong>und</strong> dabei gleichzeitig handhabbares Interventionsdesign zu<br />

entwickeln, das zum einen den notwendigen strategischen Rahmen für staatliche <strong>und</strong> nichtstaatliche,<br />

internationale <strong>und</strong> einheimische Akteure herstellt <strong>und</strong> zum anderen in enger<br />

Partnerschaft mit einheimischen Akteuren zur Identifikation der relevanten Anknüpfungs-<br />

<strong>und</strong> Ansatzpunkte der ZKB beiträgt. Ein wichtiger Baustein bestände auch in einem<br />

ausgefeilten Monitoringsystem, das nicht nur die Wirkungen der Intervention auf die<br />

Förderung eines nachhaltigen Friedens untersucht, sondern auch die Qualität der<br />

Partnerschaftsbeziehungen zwischen unterschiedlichen Akteuren thematisiert.<br />

Eine andere methodische Herausforderung liegt in der allparteilichen Einbeziehung der<br />

Partner <strong>und</strong> Konfliktparteien. Wie können deren Sichtweisen gleichermaßen einbezogen<br />

werden <strong>und</strong> angemessen in Analyse <strong>und</strong> Planung berücksichtigt werden? Und wie können<br />

entsprechend der unterschiedlichen Ausgangssituationen <strong>und</strong> Interessen Lösungsmodelle<br />

entwickelt werden, die die angestrebte Ergebnisoffenheit der transformativen Intervention<br />

umsetzen helfen? Vielfach erweist sich der Anspruch auf ergebnisoffenes Vorgehen in der<br />

Praxis als zu hoch, bedarf es doch bei der zielgerichteten Gestaltung zumindest eines<br />

Ergebniskorridors, der durch transparente Wertevorstellungen <strong>und</strong> Handlungsprinzipien<br />

erklärt werden kann. Diese werden u.a. im nächsten Kapitel vorgestellt.<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

10


3. Definition <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>lagen der systemischen<br />

<strong>Konflikttransformation</strong><br />

Bezugnehmend auf die in Kapitel 2 skizzierten Herausforderungen, die sich aus der „Natur“<br />

langwieriger Konflikte, aber auch aus den sub-optimalen Strategien <strong>und</strong> unterkomplexen<br />

<strong>Konzept</strong>en der Organisationen der Internationalen Zusammenarbeit <strong>und</strong> Friedensförderung<br />

ableiten, sollen im folgenden die definitorischen <strong>und</strong> normativen Gr<strong>und</strong>lagen der<br />

systemischen <strong>Konflikttransformation</strong> dargestellt werden. Die inhaltlichen Kernelemente<br />

werden dann ausführlich im Kapitel 5 vorgestellt. In Kapitel 4 stehen die Herleitung des<br />

Ansatzes mit Bezug auf die Berghof Praxiserfahrungen <strong>und</strong> eine kurze Zusammenstellung von<br />

Schlüsselkonzepten des Feldes der Zivilen Konfliktbearbeitung im Mittelpunkt.<br />

3.1 Definition: systemisches Denken <strong>und</strong> systemische <strong>Konflikttransformation</strong><br />

Systemisch denken - systemisch handeln<br />

Unter einem „System“ verstehen wir eine Einheit, die zwar bestimmte „Elemente“ als<br />

Voraussetzung hat, aber nicht als bloße Summe dieser Elemente zu verstehen ist. Durch die<br />

Beziehungen der Elemente untereinander <strong>und</strong> die daraus entstehenden „Wechselwirkungen“<br />

ergibt sich etwas Neues, das nicht ausschließlich auf die Eigenschaften der Elemente<br />

zurückführbar ist. Systeme weisen darüber hinaus (mehr oder weniger durchlässige) Grenzen<br />

<strong>und</strong> Subsysteme auf, welche spezifische Funktionen in einem System ausführen <strong>und</strong> durch<br />

jeweils eigene Interaktionsmuster (der Systemelemente) geprägt sind.<br />

Ihre Relevanz erhalten systemische Ansätze aber nicht dadurch, dass sie die Komplexität von<br />

Systemen abbilden, sondern dass vielmehr ein sinnvoller Beitrag zur Reduktion eben dieser<br />

Komplexität geleistet wird. Laut Peter Senge, einem der führenden Experten systemischen<br />

Organisationslernens besteht die „Kunst des Systemdenkens darin, dass man Komplexität<br />

durchschaut <strong>und</strong> die gr<strong>und</strong>legenden Strukturen erkennt, die Veränderungen bewirken.<br />

Systemdenken bedeutet nicht, dass man die Komplexität ignoriert. Es bedeutet vielmehr, dass<br />

man die Komplexität zu einer zusammenhängenden Geschichte ordnet, die die Ursachen der<br />

Probleme deutlich macht <strong>und</strong> zeigt, wie man sie dauerhaft lösen kann.“ 13<br />

Wir plädieren für einen kreativen Umgang mit systemischen Ansätzen, so dass wir nicht in ein<br />

enges Korsett einer bestimmten Schule gezwängt werden, sondern das innovative Angebot<br />

systemischen Denkens <strong>und</strong> Interpretierens möglichst kreativ nutzen können. An erster Stelle<br />

sind hier die Disziplinen <strong>und</strong> Arbeitsfelder Organisationsanalyse, - beratung <strong>und</strong> –<br />

entwicklung, change management, Familienberatung <strong>und</strong> –therapie, Supervision <strong>und</strong><br />

Kybernetik zu nennen. Hier haben systemische Fragestellungen, Methoden <strong>und</strong> Instrumente<br />

bereits Praxisreife erlangt, so dass auf einen gewissen F<strong>und</strong>us von Praxiserfahrungen im<br />

Bereich der Interventionen auf der Mikroebene (z.B. Familientherapie) <strong>und</strong> Mesoebene (z.B.<br />

Organisationsberatung) zurückgegriffen werden kann.<br />

Meta-Systemtheorien (z.B. von Niklas Luhmann) haben wir aufgr<strong>und</strong> ihres hohen<br />

Abstraktionsgrades nur in sehr begrenztem Maße für die vorliegende Studie nutzen können.<br />

Zudem tendieren diese Theorien zu einem Systemkonservatismus, den wir nicht teilen: Es<br />

geht nicht darum, bestehende Systeme zu erhalten oder zu stabilisieren, sondern durch die<br />

Aktivierung systemeigener Ressourcen zu dessen Transformation beizutragen.<br />

13 Peter Senge: Die Fünfte Disziplin. Kunst <strong>und</strong> Praxis der lernenden Organisation, Stuttgart: Klett-Cotta 2003, S.<br />

158f.<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

11


Ziel der systemischen <strong>Konflikttransformation</strong><br />

Die systemische <strong>Konflikttransformation</strong> verfolgt das explizite Ziel, in Gewaltkonflikten zur<br />

Reduzierung von Gewalt beizutragen <strong>und</strong> durch die Aktivierung von systemeigenen<br />

Ressourcen zum Aufbau oder zur Stärkung von Unterstützungssystemen für den dazu<br />

notwendigen politischen <strong>und</strong> sozialen Wandel hin zu einer gerechten <strong>und</strong> friedlichen<br />

Gesellschaft beizutragen. Aufgr<strong>und</strong> der Zentralität der Frage nach einer gerechten Macht- <strong>und</strong><br />

Ressourcenteilung geht es im Kern der systemischen Konfliktbearbeitung auch immer<br />

darum, einheimische Schlüsselakteure sowie staatliche <strong>und</strong> nicht-staatliche Institutionen<br />

dazu zu befähigen, Formen <strong>und</strong> Prozesse von Macht- <strong>und</strong> Ressourcenteilung zu identifizieren<br />

<strong>und</strong> zu implementieren.<br />

Da sich viele Gewaltkonflikte durch eine zirkuläre Eigendynamik von Antriebsfaktoren <strong>und</strong><br />

Folgen des Konflikts auszeichnen, was dazu führt, dass ein militärisch eskalierter Konflikt<br />

sich fortlaufend reproduziert, weil die Folgen der Gewalt immer neue Gründe liefern, um die<br />

Gewalt zu verstetigen, ist es ein Ziel der systemischen <strong>Konflikttransformation</strong> diese<br />

destruktiven <strong>und</strong> pathologischer Lernschleifen im System zu identifizieren <strong>und</strong> zu bearbeiten.<br />

Anregend ist hier vor allem die von Karl W. Deutsch entwickelte “Politische Kybernetik”, in der<br />

er postuliert, dass es gerade der Zwang machtarmer Akteure zu politischem Lernen in einer<br />

vermachteten Umgebung ist, der ihnen eine vergleichsweise hohe Überlebens- bzw.<br />

Durchsetzungsfähigkeit in Krisenzeiten beschert. 14<br />

Definitionsmerkmale der systemischen <strong>Konflikttransformation</strong><br />

Zusammenfassend können also die folgende Definitionsmerkmale der systemischen<br />

<strong>Konflikttransformation</strong> benannt werden:<br />

1. Die systemische <strong>Konflikttransformation</strong> beruht auf der Einsicht, dass hoch eskalierte<br />

Inter-Gruppenkonflikte hochkomplexe "Systeme" darstellen, die nur begrenzt<br />

"modelliert" werden können, so dass sich alle Interventionen nur auf ein begrenztes<br />

Wissen stützen können.<br />

2. Umso wichtiger ist eine angemessen komplexe Konfliktanalyse, die mit einheimischen<br />

Akteuren durchgeführt wird <strong>und</strong> die insbesondere dem selbstreproduktiven Charakter<br />

vieler Inter-Gruppenkonflikte Rechnung trägt.<br />

3. Wesentlich für die Systemanalyse wie die Systemintervention ist die Notwendigkeit,<br />

die Systemgrenzen präzise zu definieren <strong>und</strong> sich der Verschachtelung von Systemen<br />

in Supra- <strong>und</strong> Subsystemen <strong>und</strong> ihrer Interdependenzen bewusst zu sein. Dabei sollten<br />

in einem Wechsel des Blickwinkels sowohl das Gesamtsystem („Vogelperspektive“) als<br />

auch einzelne Subsysteme („Froschperspektive“) fokussiert werden.<br />

4. Systeminterventionen benötigen die analytische Reduktion der Komplexität auf eine<br />

Reihe von Arbeitshypothesen, die machbare Interventionen mit "Hebelwirkung"<br />

erlauben <strong>und</strong> zur Identifikation von agents of peaceful change <strong>und</strong> der für politischen<br />

<strong>und</strong> sozialen Wandel notwendigen critical mass beitragen.<br />

5. Hilfreich ist es, Gebrauch von den Methoden angewandter Systemtheorie zu machen<br />

(insbesondere in der Organisationsberatung, Psychotherapie <strong>und</strong> Kybernetik).<br />

3.2 Normative Gr<strong>und</strong>lagen des systemischen Ansatzes<br />

Wie aus den bisherigen Erläuterungen <strong>und</strong> Beschreibungen der systemischen<br />

<strong>Konflikttransformation</strong> deutlich wurde, basiert der Ansatz auf einer Reihe von normativen<br />

Annahmen, die für dessen Verständnis überaus wichtig sind <strong>und</strong> deshalb im Folgenden<br />

expliziert werden sollen:<br />

14 Karl W. Deutsch: The Nerves of Government. Models of Political Communication and Control, London:<br />

Macmillan Press 1963.<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

12


Notwendigkeit einer zivilen <strong>und</strong> konstruktiven Transformation von Konfliktsystemen:<br />

In Phasen hoher Konflikteskalation (Ausmaß des Gewaltniveaus, Übergriffe auf die<br />

Zivilbevölkerung, massive Menschenrechtsverletzungen, etc.) ist externer politischer Druck<br />

geboten <strong>und</strong> können externe militärische Maßnahmen notwendig sein. Diese können <strong>und</strong><br />

dürfen aber nicht als Ersatz für eine Strategie der zivilen <strong>Konflikttransformation</strong> dienen,<br />

welche die hinter den Konflikten liegenden root causes sowie die gr<strong>und</strong>legenden Interessen<br />

<strong>und</strong> legitimen Bedürfnisse der Akteure berücksichtigen muss.<br />

Die Unterstützung von Prozessen eines umfassenden gesellschaftlichen Wandels ist für<br />

einen transformativen Ansatz wünschenswert <strong>und</strong> notwendig:<br />

Zur Befriedigung nicht erfüllter Gr<strong>und</strong>bedürfnisse <strong>und</strong> zur Herstellung eines Mindestmaßes<br />

an sozialer, kultureller <strong>und</strong> wirtschaftlicher Gerechtigkeit zwischen Regionen, Gruppen,<br />

Klassen <strong>und</strong> Ethnien ist sozialer Wandel Voraussetzung. Wesentlich ist allerdings, dass dieser<br />

möglichst gewaltfrei verläuft. Wandlungsprozesse sollten vor allem an systemeigenen<br />

Ressourcen <strong>und</strong> Potentialen ansetzen. Ein Leitbild dieses Wandels ist das „zivilisatorische<br />

Hexagon“ von Dieter Senghaas. 15<br />

Die einheimischen Akteure müssen im driving seat sozialen Wandels sitzen:<br />

Über Ausgestaltung <strong>und</strong> Richtung sozialen Wandels sollten in erster Linie die einheimischen<br />

Akteure entscheiden (gegebenenfalls einschließlich der Diasporagemeinschaften).<br />

Drittparteien können <strong>und</strong> sollen diesen Prozess unterstützen <strong>und</strong> beraten (Fach- <strong>und</strong><br />

Prozessberatung sowie interkultureller Austausch <strong>und</strong> Lernen).<br />

Friedensförderung muss einen inklusiven Ansatz verfolgen:<br />

Nur wenn die Interessen <strong>und</strong> legitimen Bedürfnisse aller stakeholders des Konfliktsystems<br />

berücksichtigt <strong>und</strong> einbezogen werden, kann eine nachhaltige <strong>und</strong> gerechte Transformation<br />

gelingen.<br />

Die Notwendigkeit eines holistischen Menschenrechts-Ansatzes:<br />

Die systemische <strong>Konflikttransformation</strong> ist dem Schutz <strong>und</strong> der Förderung der<br />

Menschenrechte <strong>und</strong> humanitärer Normen <strong>und</strong> Prinzipien verpflichtet. Ein holistischer<br />

Menschenrechtsansatz berücksichtigt zivile, kulturelle, wirtschaftliche, politische <strong>und</strong> soziale<br />

Rechte sowie individuelle <strong>und</strong> kollektive Rechte. 16<br />

Machtasymmetrien müssen berücksichtigt <strong>und</strong> bearbeitet werden:<br />

Machtasymmetrien zwischen den Konfliktakteuren müssen in der Friedensförderung<br />

berücksichtigt werden, da sie sich direkt sowohl auf prinzipielle Fragen wie Inklusivität bzw.<br />

Teilhabe am Friedensprozess als auch auf die Möglichkeiten <strong>und</strong> Begrenzungen der<br />

Interaktionen zwischen den Akteuren auswirken. Es kann sich als notwendig erweisen, die<br />

15 Dieter Senghaas: Frieden als Zivilisierungsprozeß. In: Ders. (Hrsg.): Den Frieden denken, Frankfurt/M.:<br />

Suhrkamp 1995, S.196-223.<br />

16 Während das Verhältnis von Menschenrechtsarbeit <strong>und</strong> Konfliktbearbeitung früher vor allem mit Blick auf<br />

Spannungsverhältnisse <strong>und</strong> mögliche Zielkonflikte diskutiert wurde, fokussiert die jüngere Diskussion vor allem<br />

auf die Synergie-effekte <strong>und</strong> Komplementarität beider Ansätze. Vgl. hierzu insbesondere Michelle Parlevliet:<br />

Bridging the Divide. Exploring the Relationship between Human Rights and Conflict Management, , Track Two<br />

(Occassional Paper), Cape Town (CCR) 2002; Ghalib Galant & Michelle Parlevliet: Using Human Rights to Address<br />

Conflict: A Valuable Synergy, in: Paul Gready & Jonathan Ensor (Hrsg.): Reinventing Development? Translating<br />

Rights-based Approaches from Theory into Practice, London: Zed Books 2005.<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

13


„schwächeren“ Akteure in dem Sinn zu stärken, dass ihre Interessen <strong>und</strong> Belange adäquat<br />

artikuliert <strong>und</strong> kommuniziert werden können. Machtasymmetrien zwischen einheimischen<br />

Akteuren <strong>und</strong> Drittparteien sollten ebenfalls thematisiert werden <strong>und</strong> in angemessener Weise<br />

reflektiert werden, so dass dadurch auftretende Problempotenziale frühzeitig erkannt werden<br />

können.<br />

Ein transformativer Ansatz muss auch zur Überwindung geschlechtsspezifischer<br />

Herrschafts- <strong>und</strong> Gewaltverhältnisse beitragen:<br />

Im Rahmen von systemischen Konfliktanalysen, bei der Planung von Interventionen <strong>und</strong> bei<br />

Monitoring <strong>und</strong> Evaluation muss die Thematik geschlechtsspezifischer Herrschafts- <strong>und</strong><br />

Gewaltverhältnisse berücksichtigt werden. Dazu gehört neben einer Sensibilisierung für die<br />

Rolle geschlechtsspezifischer Identitätskonstruktionen <strong>und</strong> Rollenzuschreibungen im<br />

Konfliktsystem 17 auch die Identifizierung der in der Regel unterschiedlichen<br />

Handlungsoptionen <strong>und</strong> Potentiale von Männern <strong>und</strong> Frauen. Bei der Durchführung von<br />

Interventionen ist es zentral, nicht zur Reproduktion geschlechtsspezifischer Gewaltmuster<br />

beizutragen, sondern bestehende Ansätze ihrer Transformation zu unterstützen. Eine<br />

angemessene Einbindung <strong>und</strong> Beteiligung von Frauen an den Aktivitäten sollte generell<br />

sichergestellt werden.<br />

17 Zur Veränderung von geschlechtsspezifischen Rollenzuschreibungen in unterschiedlichen Konfliktphasen vgl.<br />

Barbara Müller: Konflikt <strong>und</strong> Gender, unveröffentlichtes Manuskript 2006.<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

14


4. Genese des systemischen Ansatzes<br />

Im folgenden sollen nun zwei systemisch angelegte Projekte in Sri Lanka <strong>und</strong> in<br />

Georgien/Abchasien vorgestellt werden, die für die Entwicklung des systemischen Ansatzes<br />

von zentraler Bedeutung waren. Der systemische Charakter beider Projekte liegt darin, dass<br />

sie versuchen, strategische entry points zur Konfliktbearbeitung zu identifizieren,<br />

unterschiedliche tracks zu verknüpfen, in hohem Maße prozessorientiert vorgehen <strong>und</strong><br />

sowohl auf die Sach- als auch auf die Beziehungsebene eingehen. In beiden Projekten gibt es<br />

einen engen Austausch mit einheimischen staatlichen <strong>und</strong> nicht-staatlichen Akteuren sowie<br />

mit der internationalen Gebergemeinschaft (donor working group, Abstimmung mit<br />

norwegischen Verhandlungsführern, Friends of the General Secretary, UN-<br />

Sonderbotschafter).<br />

4.1 Erfahrungen mit dem Resource Network for Conflict Studies and Transformation<br />

(RNCST) in Sri Lanka<br />

Das Resource Network for Conflict Studies and Transformation (RNCST) startete im Juli 2001<br />

mit dem konventionellen Ziel, die peace constituencies in Sri Lanka durch ein Engagement<br />

mit Partnern in der Zivilgesellschaft zu stärken. Nach einer kurzen Phase des<br />

Vertrauensaufbaus eröffneten der Abschluss eines Waffenstillstandvertrags <strong>und</strong> die 2002<br />

zwischen Regierung <strong>und</strong> LTTE einsetzenden Friedensverhandlungen die Möglichkeit, den<br />

Schwerpunkt auf ein direktes Engagement mit zentralen politischen stakeholders zu legen<br />

<strong>und</strong> nahezu alle Schlüsselthemen des Friedensprozesses zu adressieren.<br />

Das Gesamtziel des Projekts besteht darin, stakeholders <strong>und</strong> Partner aus Politik <strong>und</strong><br />

Zivilgesellschaft zur Gestaltung langfristiger Prozesse für einen gerechten <strong>und</strong> nachhaltigen<br />

Frieden zu befähigen, der gr<strong>und</strong>legende Veränderungen der Strukturen <strong>und</strong> Beziehungen<br />

voraussetzt. Dazu müssen einerseits Führungspersönlichkeiten <strong>und</strong> Entscheidungsträger der<br />

stakeholders Denkweisen <strong>und</strong> Einstellungen ändern, um den politischen Willen für<br />

Veränderungen zu entwickeln. Zum anderen müssen strategische <strong>und</strong> langfristig angelegte<br />

<strong>Konzept</strong>e für den Friedensprozess gefördert sowie effektive Verhandlungsprozesse unterstützt<br />

werden. Hinzu kommen die Institutionalisierung <strong>und</strong> der Aufbau von Fähigkeiten bei den an<br />

der Förderung des Friedensprozesses beteiligten Stellen.<br />

In dem bis Dezember 2008 geplanten <strong>und</strong> von EDA <strong>und</strong> BMZ/GTZ finanzierten Projekt werden<br />

fünf stakeholders adressiert: die Regierung; die Oppositionsparteien; die LTTE <strong>und</strong> andere<br />

tamilische Akteure; muslimische Akteure sowie Funktionseliten (z.B. aus dem öffentlichen<br />

Sektor). Die Projektpartner gehören entweder zu diesen stakeholders oder zur<br />

Zivilgesellschaft (CSO).<br />

Das Projekt beruht auf zwei Systemanalyse-Komponenten, zum einen den Konfliktfaktoren<br />

(driving factors of conflict) <strong>und</strong> zum anderen den Friedensfaktoren (driving factors of peace).<br />

Beide haben zur Ermittlung wichtiger Variablen beigetragen.<br />

Aus dieser Analyse ergeben sich fünf gr<strong>und</strong>legende Programmbestandteile:<br />

1. Schaffung eines Raums <strong>und</strong> von Gelegenheiten für Dialog <strong>und</strong> Problemlösung<br />

zwischen allen stakeholders <strong>und</strong> CSO, um den Friedensprozess auf den Ebenen track<br />

1,5 <strong>und</strong> track 2 zu vertiefen <strong>und</strong> zu bereichern <strong>und</strong> die track 1-Aktivitäten zu ergänzen.<br />

2. Inhaltsbezogener <strong>und</strong> institutioneller Aufbau von Kapazitäten mit entscheidenden<br />

Mitgliedern der fünf Gruppen von stakeholders <strong>und</strong> CSO, um ihre aufgeschlossene<br />

Teilnahme an friedensrelevanten Anstrengungen zu fördern.<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

15


3. Unterstützung bei der Erstellung einer Vielzahl von Modellen <strong>und</strong> Perspektiven für<br />

<strong>Konflikttransformation</strong> <strong>und</strong> die Stärkung des Friedensprozesses sowie die Themen<br />

Staatsreform, Machtteilung, Föderalismus <strong>und</strong> politische Ökonomie, um den<br />

Friedensdiskurs im Land zu verbreitern <strong>und</strong> zu vertiefen.<br />

4. Hinarbeiten auf eine „kritische Masse“ von Vertretern der stakeholders <strong>und</strong> von agents<br />

of peaceful change, die sich anhaltend <strong>und</strong> strukturiert in den unter (1) bis (3)<br />

aufgeführten Aktivitäten engagieren <strong>und</strong> deren Signifikanz <strong>und</strong> Nachhaltigkeit<br />

sichern.<br />

5. Errichtung eines effektiven Systems zur regelmäßigen Überprüfung der zu Gr<strong>und</strong>e<br />

liegenden Konflikt- <strong>und</strong> Friedensanalysen, zu Monitoring & Evaluation sowie zur<br />

Anpassung des Programms selbst.<br />

Die Entwicklung des RNCST vollzog sich in mehreren Phasen <strong>und</strong> ist immer noch work in<br />

progress. Die erste Phase war konzentriert auf das Ziel, die bestehenden peace constituencies<br />

in Sri Lanka zu stärken <strong>und</strong> sie bei der Entwicklung von effektiven Netzwerkstrukturen zu<br />

unterstützen. Die zentralen Methoden waren capacity building, Dialogprozesse <strong>und</strong> die<br />

Verbreitung von Expertenwissen zur Konfliktbearbeitung. Ein kleines Büro wurde eröffnet<br />

<strong>und</strong> junge einheimische Akademiker ermutigt, sich auf diesem Gebiet weiterzuqualifizieren<br />

<strong>und</strong> sich auf eine Beschäftigung bei Partner Organisationen oder bei der Berghof<br />

Niederlassung vorzubereiten.<br />

Das Programm profitierte davon, dass es zwischen Januar 2002 <strong>und</strong> April 2003 einen<br />

anhaltenden Prozess von bilateralen Friedensinitiativen <strong>und</strong> -verhandlungen gab <strong>und</strong> das<br />

Programm die Gelegenheit bekam, diesen Prozess auf der track-1,5 <strong>und</strong> track-2 Ebene zu<br />

unterstützen <strong>und</strong> wir mit unseren Partnern zu einer Art intellektuellem so<strong>und</strong> board der<br />

offiziellen Verhandlungen wurden.<br />

Die Unterbrechung der Friedensverhandlungen seit April 2003 (mit einem anhaltenden<br />

protracted no war – no peace stalemate) machte es notwendig, das Programmdesign zu<br />

überdenken. Anstatt uns auf die Stärkung der peace constituencies in der Zivilgesellschaft<br />

<strong>und</strong> deren Sympathisanten unter den politischen Parteien zu konzentrieren, entschieden wir<br />

uns, den Schwerpunkt stärker auf die politischen Parteien zu verschieben <strong>und</strong> die Bearbeitung<br />

der wichtigsten Konfliktthemen mit ihnen in Angriff zu nehmen. Das Ergebnis war ein<br />

umfassendes strategisches <strong>Konzept</strong>, das die o.a. fünf stakeholder Gruppen mit fünf<br />

Konfliktthemen verknüpfte: (1) dem Friedensprozess; (2) Gouvernanzfragen, insbesondere<br />

Machtteilung, Föderalismus <strong>und</strong> Menschenrechte; (3) Sicherheitsfragen, insbesondere VSBM,<br />

SSR <strong>und</strong> menschliche Sicherheit; (4) politischer Ökonomie, Entwicklung <strong>und</strong> Frieden sowie<br />

(5) Versöhnung <strong>und</strong> transitional justice. Die Kernidee war, eine hinreichende Zahl von<br />

Vertretern aller Parteien in längerfristige, themenzentrierte Lernprozesse einzubinden <strong>und</strong><br />

darauf aufbauend Dialog-Veranstaltungen zu initiieren, die es erlauben würden, das<br />

gemeinsame Lernen in konkrete Problemlösungs-Versuche zu übersetzen (siehe „RNCST-<br />

Spiderweb“-Diagramm).<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

16


RNCST Focal Areas<br />

Issue Areas<br />

Administration & Finance<br />

Governance<br />

Security<br />

Political<br />

Economy<br />

Communication<br />

& Resources<br />

Reconciliation<br />

Strategic partner<br />

organizations<br />

Types and<br />

modes of work<br />

Strategic<br />

Framework(s)<br />

Qualification<br />

of Peace<br />

Process &<br />

Road Map<br />

Program<br />

Complementarity<br />

of Peace Efforts<br />

and Planning &<br />

Assessment<br />

UNP<br />

Functional<br />

LTTE & Elites<br />

other<br />

Tamil<br />

Actors<br />

PA<br />

Muslim<br />

Community<br />

International<br />

Community<br />

Support Functions<br />

Strategic Groups<br />

Diaspora<br />

Das war ein sehr ambitioniertes Programm <strong>und</strong> wir mussten bald einsehen, dass es selbst mit<br />

unseren, im Vergleich zu anderen Friedensförderungsprojekten substantiellen Ressourcen<br />

nicht möglich war, eine „kritische Masse“ an transformativen Diskursen mit unseren Partnern<br />

für alle fünf Themenbereichen in Gang zu setzen. Diese Einsicht veranlasste uns, in<br />

Kooperation mit Kollegen vom Reflecting on Peace Practice Project (RPP) ein gemeinsame,<br />

systemisch angelegte Analyse der drivers of conflict sowie der drivers of peaceful change<br />

vorzunehmen. Auf dieser Basis haben wir dann die o.a. fünf Programmbestandteile erarbeitet.<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

17


Die Lernerfahrungen aus dem RNCST führten uns zu fünf f<strong>und</strong>amentalen Einsichten, die<br />

maßgeblich die Entwicklung des vorliegenden <strong>Konzept</strong>s systemischer <strong>Konflikttransformation</strong><br />

beeinflusst haben:<br />

1. Das srilankische „Konfliktsystem“ wird nach 5 Jahrzehnten nationalistischer Diskurse<br />

<strong>und</strong> ethnopolitischer Auseinandersetzungen sowie nach 2 Jahrzehnten Krieg wie<br />

diverse andere protracted social conflicts aus vielen Quellen <strong>und</strong><br />

Rückkopplungsschleifen gespeist. Manche Beobachter <strong>und</strong> Kommentatoren<br />

beschreiben es deshalb auch als „über-determiniert“. Eine genauere Analyse der<br />

Antriebsfaktoren zeigt zugleich, dass es in diesem Kontext einige Schlüsselfaktoren<br />

gibt, die eine konflikttreibende Wirkung im Hinblick auf mehrere Wirkungsketten<br />

haben. Das ist auf der Seite des Südens vor allem die in der politischen Elite wie in<br />

großen Teilen der Bevölkerung verankerte Überzeugung einer missionsartig<br />

legitimierten Dominanz des singhalesischen Buddhismus, die sowohl die Fortexistenz<br />

des gegenwärtigen Zentralstaats als auch der ethnopolitischen Mehrheitsdemokratie<br />

rechtfertigt <strong>und</strong> Reformen in Richtung auf eine genuine ethnopolitische Machtteilung<br />

erschwert. Und es ist auf der Seite der LTTE wie erheblichen Teilen der tamilischen<br />

Bevölkerung die Überzeugung, dass letztlich nur mithilfe militärischer Mittel eine<br />

Anerkennung ihres Strebens nach einer gerechten Lösung möglich ist. Beide<br />

Haltungen verstärken sich wechselseitig. Eine systemische <strong>Konflikttransformation</strong><br />

muss diese beiden Faktoren zentral in den Blick nehmen <strong>und</strong> einen Weg finden, auf<br />

dem beide Überzeugungen transformiert werden können. Mit anderen Worten: Es<br />

geht um nichts weniger als darum, ein alternatives System zu imaginieren, in dem alle<br />

stakeholder sich mit ihren wohlverstandenen Interessen wiederfinden können. Das<br />

verweist einerseits auf eine umfassende Re-imagination des Staates (oder eines<br />

Staatenverb<strong>und</strong>es), d.h. auf eine verfassungspolitische <strong>und</strong> verfassungsrechtliche<br />

Herausforderung, andererseits aber auch auf die Notwendigkeit einer Re-imagination<br />

der gestörten bzw. zerstörten Beziehungen, was von John Paul Lederach in dem Begriff<br />

der „moralischen Imagination“ treffend zum Ausdruck gebracht wird . 18 Dieser Begriff<br />

erlaubt es auch, die nicht-rationalen, affektiven Dimensionen der Transformation<br />

besser in den Blick zu nehmen.<br />

2. Angesichts des selbst-reproduktiven, system-stabilisierenden Charakters von<br />

protracted social conflicts wie in Sri Lanka empfiehlt es sich, die dem<br />

entgegengesetzten Friedensinterventionen ebenfalls so anzulegen, dass sie<br />

„systemisch“ wirken, d.h. ebenfalls eine selbst-reproduktive <strong>und</strong> systemerweiternde<br />

Dynamik in Gang setzen können. Dazu gehört die Schaffung eines Netzwerks von Subsystemen,<br />

die Friedensbezüge institutionalisieren. Ferner die Etablierung von<br />

informellen, „systemisch“ inspirierten Beziehungsnetzen; von nachhaltigen<br />

Diskursen zu den zentralen Konfliktthemen mit kontinuierlicher Beteiligung; die<br />

kontinuierliche Arbeit in mehrparteilich zusammengesetzten Teams <strong>und</strong><br />

Organisationen sowie die Entwicklung von friedensfördernder <strong>und</strong><br />

institutionalisierter Gegenexpertise. Die Logik der Institutionalisierung von<br />

Friedensbzügen wurde bereits in einer Reihe von Friedensprozessen fruchtbringend<br />

eingesetzt. Exemplarisch ist dafür das südafrikanische Friedenssekretariat, das<br />

freilich dort von Anfang an inklusiv angelegt war. Aber selbst in Fällen, wie in Sri<br />

Lanka, in denen die Parteien Friedenssekretariate <strong>und</strong> friedensrelevante think tanks<br />

getrennt voneinander etabliert haben, kann damit eine Plattform für die<br />

Beziehungsbildung unter den beteiligten Experten sowie die arbeitsteilige<br />

Generierung von Expertenwissen geschaffen werden. Ein besonderes Instrument ist in<br />

diesem Zusammenhang die Schaffung von Institutionen, wie der Berghof Stiftung in<br />

Sri Lanka, die durch die multi-ethnische Mitarbeiterschaft <strong>und</strong> unterschiedliche<br />

18 Vgl. John Paul Lederach: The Moral Imagination. The Art and Soul of Building Peace, New York: Oxford University<br />

Press 2005.<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

18


Verbindungen mit den stakeholders Elemente des Konflikts in die Organisation<br />

„importieren“. Das stellt die interne Kooperation vor besondere Herausforderungen,<br />

erlaubt es dem Team aber auch, einen Raum für experimentelles Problemlösen zu<br />

entwickeln.<br />

3. Die dritte Einsicht bezieht sich auf ein spezifisches Subsystem, dasjenige der aktuellen<br />

bzw. potentiellen drivers of peaceful change. Eine solche Gruppe von<br />

Einflusspersonen zu identifizieren <strong>und</strong> zu stärken, hatte schon das <strong>Konzept</strong> der peace<br />

constituencies, insbesondere in der Zivilgesellschaft inspiriert. Unsere Erfahrungen<br />

zeigten, dass es in den Parteien selbst eine Vielzahl von Personen gab, die nach neuen<br />

Friedensansätzen suchten. Die Herausforderung war, mit ihnen gemeinsam Formen<br />

<strong>und</strong> Wege zu finden, um ihr Engagement in diesem Bereich zu verstetigen, sich<br />

untereinander zu koordinieren bzw. gemeinsame Ansätze zu entwickeln <strong>und</strong> ihren<br />

Einfluss zu optimieren. Eine attraktive Metapher wurde dafür diejenige der „kritischen<br />

Masse“, womit eine hinreichend große, einflussreiche, gut vernetzte <strong>und</strong> kreative<br />

Gruppe von strategisch talentierten Personen gemeint ist, die gemeinsam in der Lage<br />

sind, in einer gesellschaftlichen Umbruchphase sozialen Wandel zielstrebig zu<br />

beeinflussen. 19 Ausgangspunkt ist dabei die Hypothese, dass in Phasen komplexen,<br />

nicht-linearen Wandels die Akteure offener für neue Handlungsorientierungen sind<br />

als in Phasen gesellschaftlicher Stabilität.<br />

4. Ein wichtiger <strong>und</strong> aus der Conflict Resolution -Perspektive offenk<strong>und</strong>iger<br />

Ausgangspunkt für das RNCST waren die Gr<strong>und</strong>sätze der Allparteilichkeit <strong>und</strong><br />

Inklusivität. Das war jedoch leichter gesagt als getan. Zum einen ist es für nahezu alle<br />

Parteien schwer verständlich, wie der gleiche Personenkreis Empathie für sie selbst als<br />

auch für die gegnerische Partei aufzubringen vermag. Zum anderen legt die Nähe zur<br />

track-1 Ebene es nahe, die nicht primär verhandelnden Parteien weniger prominent zu<br />

behandeln. Eine der Einsichten aus vielen langwierigen Friedensprozessen als auch<br />

demjenigen in Sri Lanka ist jedoch, dass es gerade diese beiden Prinzipien sind, die<br />

ein systemtransformierendes Potential haben. Die allparteiliche Empathie erzwingt<br />

immer wieder, wichtige Übersetzungsleistungen zwischen den Parteien zu erbringen<br />

<strong>und</strong> die Inklusivität ist ein wichtiges Instrument im Hinblick auf die Bewältigung des<br />

spoiler Faktors.<br />

5. Eine weitere Einsicht aus den RNCST-Erfahrungen mit einer „systemischen“ Qualität<br />

ist, dass jegliches substantielles Engagement in diesem Zusammenhang es nahelegt,<br />

die Intervention selbst unter dem Aspekt zu reflektieren, auf welche Weise sie in<br />

bestehende Systeme integriert wird bzw. zu deren Transformation beiträgt. Im Kontext<br />

eines politisch höchst umstrittenen Friedensprozesses wie in Sri Lanka kommt hinzu,<br />

dass sich die Interventen auch mit der Frage auseinandersetzen müssen, an welchen<br />

normativen <strong>und</strong> ethischen Maßstäben sie sich bei ihrer Arbeit orientieren. Hilfreich ist<br />

hier einerseits der Bezug zur Gewaltfreiheits-Diskussion sowie zur Diskurs-Ethik, die ja<br />

ohnehin die Konfliktbearbeitungs-Bewegung maßgeblich beeinflusst haben <strong>und</strong><br />

andererseits der Hinweis, dass systemisches Arbeiten darauf zielt, neue <strong>und</strong> innovative<br />

Optionen generieren zu helfen.<br />

4.2 Erfahrungen aus der Arbeit <strong>und</strong> den Dialogprojekten in Georgien-Abchasien<br />

Im Mittelpunkt der Aktivitäten in Georgien-Abchasien steht die Kombination eines breit<br />

gefächerten capacity building Programms von Conciliation Resources (CR) <strong>und</strong> eines vom<br />

Berghof Zentrum <strong>und</strong> CR durchgeführten hochrangigen Dialogprojekts („Schlaining<br />

19 Lederach schlägt hierfür übrigens eine Kombination der Begriffe critical yeast <strong>und</strong> critical mass vor (op.cit., S. 87<br />

– 100.<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

19


Prozess“). Der systemische Charakter der beiden komplementären Vorhaben lässt sich vor<br />

allem mit den drei ersten beim Sri Lanka Projekt genannten Kriterien beschreiben: (1) Arbeit<br />

an einer umfassenden Vision eines re-imaginierten Verhältnisses von Georgien-Abchasien, (2)<br />

Entwicklung von friedensfördernden Subsystemen <strong>und</strong> (3) Identifizierung <strong>und</strong> Förderung<br />

einer kritischen Masse von Einflusspersonen.<br />

Das von CR durchgeführte Aktionsprogramm besteht seit 1997. Es begann ursprünglich mit<br />

einer Reihe kleiner Unterstützungsprojekte für einheimische Organisationen <strong>und</strong> entwickelte<br />

sich zu einem kohärenten Programm, das über 30 CSO <strong>und</strong> Medienorganisationen in der<br />

Region, Partnerschaften mit internationalen Organisationen <strong>und</strong> NGOs sowie Beziehungen zu<br />

Beamten <strong>und</strong> Politikern umfasst. Die Komponenten des <strong>Konflikttransformation</strong>sprogramms<br />

umfassen unter anderem: i) Unterstützung von CSO <strong>und</strong> IDP communities (internally<br />

displaced persons) in Georgien <strong>und</strong> Abchasien (u.a. durch Trainingsmaßnahmen,<br />

Kleinprojektefond, Sommeruniversität, NGO Forum); ii) Arbeit mit Journalisten <strong>und</strong><br />

Unterstützung von Medienprojekten (transformative Zeitungsberichterstattung, Radio,<br />

Fernsehen, Aufbau von community radio-Projekten, Dokumentarfilme); iii) Schaffung von<br />

Möglichkeiten <strong>und</strong> Räumen für Dialog, Reflektion <strong>und</strong> Analyse (u.a. Studienreisen, Seminare,<br />

„Schlaining-Prozess“).<br />

Das Gesamtziel von CR’s Kaukasus Arbeit besteht darin, die Aussichten für eine friedliche <strong>und</strong><br />

gerechte Transformation des Konflikts über Abchasien zu verbessern <strong>und</strong> eine Kultur des<br />

Friedens zu befördern, welche auf Gerechtigkeit <strong>und</strong> gegenseitigem Respekt basiert. Aus<br />

diesem übergeordneten Ziel leiten sich folgende Zielsetzungen <strong>und</strong> Strategien ab:<br />

OBJECTIVES AND STRATEGIES OF THE CONFLICT TRANSFORMATION PROGRAMME<br />

To increase the ability of societies to deal with <strong>und</strong>erlying factors that perpetuate conflict<br />

• Supporting/accompanying local organisations to become more effective<br />

• Linking partners/NGOs with other organisations and individuals with specific development,<br />

democratisation, human rights, rehabilitation expertise<br />

• Creating a critical mass of change agents: working with influential social and political groups and<br />

individuals to build their capacity<br />

• Broadening horizons and encouraging exposure to new ideas<br />

• Engaging marginalised constituencies and groups that present obstacles to peace building<br />

Influencing stakeholders’ Conflict Transformation strategies<br />

• Creating opportunities for engagement across the divide: dialogue<br />

• Encouraging speculative problem solving: creating ideas<br />

• Advocating approaches to policy change<br />

• Providing exposure to comparative experience<br />

To alter the public discourse aro<strong>und</strong> the conflict<br />

• Improving the quality and diversity of media coverage in the regions<br />

• Challenging stereotypes: engaging broader society in debate<br />

• Stimulating debate on democratic and non-violent options for change<br />

• Creating opportunities for ‘internal dialogue’ within the separate communities<br />

• Providing opportunities for reflection and analysis for politicians, officials, civic activists and<br />

journalists<br />

• Increasing public access to information within the communities and across the conflict divide<br />

Influencing external Conflict Transformation policies<br />

• Sharing expertise, analysis and contacts with INGOs, IGOs, Governments and academics<br />

• Advocating approaches to policy change<br />

• Linking external policy makers with voices from the region<br />

Das georgisch-abchasische • Maintaining links with Dialogprogramm a wide range of others begann working 1997, to influence als das policy erste Seminar des<br />

georgisch-abchasischen<br />

• Working to change<br />

Dialogprozesses<br />

donors’ approaches<br />

gemeinsam<br />

to working in<br />

vom<br />

and on<br />

Berghof<br />

the conflict<br />

Forschungszentrum <strong>und</strong><br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

20


Der vom Berghof Zentrum <strong>und</strong> CR durchgeführte Schlaining Prozess wurde mit Unterstützung<br />

durch United Nations Volunteers (UNV), dem Österreichischen Studienzentrum für Frieden<br />

<strong>und</strong> Konfliktlösung (ÖSFK) in Stadtschlaining initiiert. Im Rahmen dieses vom Evangelischen<br />

Entwicklungdienst (EED), dem Auswärtigen Amt (AA) sowie dem EDA geförderten Programms<br />

wurden zwischen 2000 <strong>und</strong> Oktober 2005 insgesamt 15 Workshops durchgeführt. Mehr als 80<br />

Personen haben daran teilgenommen – ParlamentarierInnen, Minister/stellvertretende<br />

Minister, Präsidentenberater, Beamte sowie Vertreter von CSO <strong>und</strong> Medien (vgl. die weiteren<br />

Informationen zur Methodik des Dialogprozesses in Kap. 5.3). Nachdem die ersten<br />

Workshops vor allem von Maßnahmen des Vertrauensaufbaus <strong>und</strong> der Herstellung eines<br />

gemeinsamen Verständnisses für die zentralen Konfliktthemen dominiert waren, erreichten<br />

die TeilnehmerInnen in späteren Workshops die Phase spekulativer Problemlösungen <strong>und</strong><br />

begannen kreativ mögliche Lösungsansätze für den georgisch-abchasischen Konflikt zu<br />

entwickeln. 20<br />

Zur Frage, wie die Dialogworkshops mit dem <strong>Konflikttransformation</strong>sprogramm von CR<br />

konzeptionell <strong>und</strong> pragmatisch verb<strong>und</strong>en sind, können folgende Aspekte betont werden:<br />

1. Da der Schlaining Prozess ein Forum für die Analyse <strong>und</strong> Diskussion aller sensibler<br />

Themen des Konflikts darstellt, spielte <strong>und</strong> spielt er eine zentrale Rolle für die<br />

Ausgestaltung des <strong>Konflikttransformation</strong>sprogramms <strong>und</strong> die konkreten Versuche,<br />

konstruktiven Einfluss auf zentrale stakeholders zu nehmen.<br />

2. Im Kontext der Dialogworkshops <strong>und</strong> deren Vorbereitung (Vorgespräche, Auswahl der<br />

Teilnehmer) konnte CR Arbeitsbeziehungen insbesondere auf Minister- bzw.<br />

Premierministerebene <strong>und</strong> zu anderen hochrangigen Politikern aufbauen.<br />

3. Das CR Programm erlaubte jedoch auch, diese Kontakte über den Fokus der<br />

Dialogworkshops hinaus in einen breiteren Rahmen der <strong>Konflikttransformation</strong> zu<br />

stellen <strong>und</strong> weitere Initiativen zu diskutieren, die sich neben politischem Dialog <strong>und</strong><br />

Analyse auch auf die betroffenen communities <strong>und</strong> deren Bedarfe beziehen. 21<br />

4. Die Tatsache, dass CR ein Programm auf der track 3 Ebene durchführt, war zudem<br />

deshalb wichtig, weil es insbesondere der abchasischen Seite verdeutlichte, dass hier<br />

nicht eine Dialogagenda auf Kosten der Bedarfe der abchasischen Gesellschaft<br />

durchgedrückt werden sollte. Die Arbeit vor Ort hat zu einem Vertrauensverhältnis<br />

geführt, dass durch die Dialogworkshops verstärkt werden konnte – <strong>und</strong> umgekehrt.<br />

5. Einige politische Initiativen wurden durch die Arbeit in den Dialogworkshops initiiert,<br />

wie zB. das discussion pack 22 <strong>und</strong> die „Expertengruppe“. Bei der informellen<br />

Expertengruppe handelt es sich um eine Gruppe von georgischen Experten, darunter<br />

ein Berater des nationalen Sicherheitsrats, die im Laufe von 2003/2004 einen Entwurf<br />

zur Lösung des Konflikts erarbeiteten <strong>und</strong> diesen im Mai 2004 der Öffentlichkeit<br />

vorlegten. Obwohl der Entwurf schließlich von abchasischer Seite abgelehnt wurde,<br />

20 Vgl. Oliver Wolleh: Schwierige Begegnung – der informelle georgisch-abchasische Dialogprozess,<br />

unveröffentlichtes Manuskript, Berghof Forschungszentrum, 2005.<br />

21 In den Worten von Jonathan Cohen (CR) drückt sich dies auch in ganz konkreten Vorteilen aus: “An example of<br />

the way in which this bears fruit can be seen in the way in which meetings with senior figures in both Sukhum/i or<br />

Tbilisi at which the preparations for or outcomes of a dialogue workshop are discussed are also meetings in which<br />

permissions are agreed for Abkhaz to travel to Georgia or Georgians to travel to Abkhazia for participation in the<br />

production of joint TV documentary films or events such as the Summer University.<br />

22 Beim discussion pack handelt es sich um pädagogisch aufbereitete Diskussionsbeiträge zum georgischabchasischen<br />

Konflikt. Ziel des vom Berghof Zentrums begleiteten Vorhabens war es, Vertrauensbildung zwischen<br />

den lokalen Partnern zu ermöglichen, sie zu bestärken sowie ihre individuellen Kompetenzen <strong>und</strong> pädagogischen<br />

Fähigkeiten im Bereich der Konfliktbearbeitung zu fördern.<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

21


einhaltete er überaus konstruktive Vorschläge <strong>und</strong> Elemente. Vier der fünf Experten<br />

waren Teilnehmer des Schlaining-Prozesses, CR unterstützte den Prozess.<br />

4.3 <strong>Konzept</strong>e der Zivilen Konfliktbearbeitung<br />

Neben den skizzierten Erfahrungen aus den Berghof Praxisprojekten speist sich die<br />

systemische <strong>Konflikttransformation</strong> aber auch aus den <strong>Konzept</strong>en, die von ZKB-ExpertInnen<br />

als Antwort auf die in Kapitel 2 skizzierten Herausforderungen entwickelt wurden. Dies sollen<br />

im Folgenden kurz skizziert werden.<br />

Interactive conflict resolution / problem-solving workshops<br />

Die Gr<strong>und</strong>lagen der interactive conflict resolution (ICR) bzw. des verwandten Ansatzes der<br />

Problemlösungs-Workshops wurden bereits Ende der 1960er Jahre u.a. von John Burton,<br />

Herbert Kelman, Ronald Fisher <strong>und</strong> Edward Azar entwickelt; seitdem ist dieser Ansatz mittels<br />

vielfältiger Praxiserfahrungen weiterentwickelt <strong>und</strong> modifiziert worden. 23 ICR stellt ein<br />

vertrauliches/informelles Dialogformat dar, das auf der Einbeziehung aller relevanten<br />

Konfliktparteien beruht <strong>und</strong> die Suche nach einer Lösung des Sachproblems mit der<br />

Berücksichtigung der Gr<strong>und</strong>bedürfnisse der Konfliktparteien nach Sicherheit, Identität <strong>und</strong><br />

Partizipation herzustellen sucht.<br />

ICR soll offizielle Verhandlungen nicht ersetzen, sondern diese vielmehr durch alternative<br />

Formen der Interaktion ergänzen. ICR kann deshalb im Rahmen von Vor- <strong>und</strong><br />

Parallelverhandlungen sowie im Kontext der Umsetzung von Friedensabkommen sinnvoll<br />

<strong>und</strong> effektiv sein.<br />

Definition: Interactive conflict resolution 24<br />

“[…] facilitated face-to-face activities in communication, training, education, or consultation that<br />

promotes collaborative conflict analysis, problem solving, and reconciliation among parties engaged in<br />

protracted conflict in a manner that addresses basic human needs and promotes the building of peace,<br />

justice, and equality.”<br />

„Erfolg“ wird in ICR-Dialogworkshops auf drei Ebenen definiert: dem Grad der<br />

Vertrauensbildung zwischen den Teilnehmern, der Exploration unterschiedlicher<br />

Problemlösungsansätze <strong>und</strong> der Identifikation <strong>und</strong> Durchführung gemeinsamer Aktivitäten.<br />

Idealtypische Phasen eines Dialogworkshops 25<br />

1. Contact and confidence building<br />

2. Empathy for the other side<br />

3. Joint analysis of conflict issues<br />

4. Explorative problem solving<br />

5. Joint activities<br />

23 Vgl. die Übersicht bei Norbert Ropers: Friedliche Einmischung. Strukturen, Prozesse <strong>und</strong> Strategien zur<br />

konstruktiven Bearbeitung ethnopolitischer Konflikte, Berghof Report Nr. 1, Berlin: Berghof Forschungszentrum<br />

1995, S. 75-83.<br />

24 Ronald J. Fisher: Introduction, in: Ronald J. Fisher (Hrsg.): Paving the Way. Contributions of Interactive Conflict<br />

Resolution to Peacemaking, Lanham MD: Lexington Books 2005, S. 2.<br />

25 Vgl. Clem McCartney: Human Rights Education, in: 11th Annual Report. Standing Advisory Committee on<br />

Human Rights, London: HMSO 1986.<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

22


Als Einwand gegen ICR-Dialogmaßnahmen ist die Problematik der Sicherstellung des<br />

Transfers der Ergebnisse der Workshops in die „Realpolitik“ vorgebracht worden. Zudem<br />

bleibt die Frage offen, wie Dialogmaßnahmen, die ja vornehmlich auf die Einstellungen <strong>und</strong><br />

das Verhalten von Individuen abzielen, zur notwendigen Transformation von Strukturen <strong>und</strong><br />

Institutionen beitragen können.<br />

Das Berghof Zentrum hat in mehreren Praxisprojekten mit dem ICR-Ansatz 26 gearbeitet <strong>und</strong><br />

ihn teilweise mit anderen <strong>Konzept</strong>en kombiniert. Für die Weiterentwicklung in eine<br />

systemische Richtung wichtig waren aus dieser praktischen Arbeit die Einsicht in die<br />

Notwendigkeit der gründlichen Kontextualisierung dieser Aktivitäten, die Notwendigkeit<br />

einer langfristigen Perspektive für die Kerngruppe der am stärksten involvierten<br />

Teilnehmenden sowie die Frage der Verbindung zu den entscheidenden<br />

konfliktverschärfenden bzw. friedensfördernden Kräften. All das verlangt nach einem weiter<br />

gesteckten Rahmen, sowohl für die Analyse als auch für die Gesamtarchitektur der<br />

Interventionen.<br />

Dies gilt insbesondere für die Frage der kulturellen Differenzen <strong>und</strong> der<br />

Machtungleichgewichte zwischen Konfliktparteien. Wie in Kapitel 2 beschrieben, zeichnen<br />

sich protracted social conflicts durch starke Asymmetrien in Bezug auf Macht,<br />

Steuerungskompetenz (governance) <strong>und</strong> Legitimität aus. Mit Blick auf die interkulturelle<br />

Dimension laufen sie Gefahr, "kulturalisiert" zu werden, indem Konfliktparteien "kulturelle<br />

Differenzen" strategisch einsetzen, um über Macht, Anerkennung, Beteiligung <strong>und</strong> andere<br />

Punkte zu kämpfen. Angehörige von dominanten Gruppen neigen zur Individualisierung von<br />

Konfliktpunkten, während Angehörige von dominierten Gruppen zur Generalisierung<br />

tendieren. 27 Die besondere Herausforderung für den Umgang mit Machtasymmetrien in<br />

Gesprächssituation von facilitation, Mediation <strong>und</strong> problem-solving workshops besteht darin,<br />

diese Differenzen anzusprechen <strong>und</strong> es den Konfliktparteien zu erlauben, die Regeln ihrer<br />

Verhandlung zu entwickeln. Dies ist für die dominante Gruppe bereits eine Herausforderung,<br />

da sie ihre Regeln für die universalen hält. Die Dritte Partei kann bereits durch diesen Schritt<br />

in den Geruch der Parteilichkeit zugunsten der dominierten Gruppe geraten.<br />

Die Herausforderung im Umgang mit Macht reicht jedoch weit über solche<br />

Kleingruppensituationen hinaus. Sie berührt gr<strong>und</strong>sätzliche Fragen, wie sozialer Wandel<br />

produktiv auf den verschiedensten Ebenen einer Gesellschaft gestaltet werden kann, <strong>und</strong> dies<br />

unter den Bedingungen von fortdauernden Machtungleichgewichten <strong>und</strong> ständigem Wandel.<br />

Die Frage an die Praxis der Konfliktbearbeitung lautet, inwieweit ein angemessener Rahmen<br />

geschaffen werden kann, in dem Konfliktparteien "Friedenskorridore" aushandeln können,<br />

durch die sie zu größerer Gerechtigkeit <strong>und</strong> weniger Gewalt gelangen können.<br />

Die ICR-Bewegung hat maßgeblich zur Entwicklung einer professionellen zivilen<br />

Konfliktbearbeitung beigetragen. Ihre Stärke wie Schwäche ist der Bezugsrahmen der<br />

Kleingruppenarbeit. Sie eignet sich deshalb hervorragend für die Gestaltung von Subsystem-<br />

Designs, weniger für deren Kontextualisierung in Rahmen eines makropolitischen Designs.<br />

26 Praktische Erfahrungen konnten neben dem georgisch-abchasischen Konflikt, dem Konflikt in Sri Lanka u.a.<br />

auch durch Dialogmaßnahmen <strong>und</strong> Problemlösungsworkshops zum rumänisch-ungarischen Konflikt in<br />

Rumänien gesammelt werden. Im Rahmen einer Dissertation wurde dieser Ansatz am Beispiel Zypern untersucht.<br />

Vgl. Petra Haumersen, Helmolt Rademacher & Norbert Ropers: Konfliktbearbeitung in der Zivilgesellschaft. Die<br />

Workshop-Methode im rumänisch-ungarischen Konflikt, Münster: LIT Verlag 2002; Oliver Wolleh: Die Teilung<br />

überwinden. Eine Fallstudie zur Friedensbildung in Zypern, Münster, LIT Verlag, 2002; Oliver Wolleh: Schwierige<br />

Begegnung 2005, a.a.O.; Charles Stewart Mott Fo<strong>und</strong>ation, Reaching for Peace. Lessons Learned from Mott<br />

Fo<strong>und</strong>ation’s Conflict Resolution Grant Making 1989-1998 (conducted by CDR Associates and the Berghof<br />

Research Center), Flint 1999.<br />

27 Vgl. Anja Weiss: Macht <strong>und</strong> Differenz. Ein erweitertes Modell der Konfliktpotentiale in interkulturellen<br />

Auseinandersetzungen, Berghof Report Nr. 7, Berlin: Berghof Forschungszentrum 2001.<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

23


Multi-track<br />

Hinter dem <strong>Konzept</strong> eines mehrgleisigen (multi-track) Ansatzes der Konfliktbearbeitung steht<br />

das Gr<strong>und</strong>verständnis, dass neben offiziellen Verhandlungen (track 1) <strong>und</strong> ICR/problemsolving<br />

workshops (track 2) noch eine ganze Reihe weiterer Akteure <strong>und</strong> Instrumente aktiviert<br />

werden müssen, um Konfliktsysteme erfolgreich zu transformieren. Während der nach Louise<br />

Diamond <strong>und</strong> John McDonald als multi-track diplomacy bezeichnete Ansatz 28 noch insgesamt<br />

9 tracks aufwies (u.a. Medien, Wirtschaft, Religion, Forschung), hat sich aber faktisch eine<br />

Aufteilung in 3 tracks durchgesetzt. Gebräuchlich ist mittlerweile auch die Zwischenfigur von<br />

track 1,5, womit entweder nicht-offizielle Dialogprozesse mit offiziellen Parteivertretern<br />

gemeint sind oder besonders hochrangige track 2 Veranstaltungen.<br />

Die 3 tracks der Zivilen Konfliktbearbeitung<br />

track 1 Bereich der offiziellen Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien (in der Regel mit<br />

Unterstützung externer staatlicher Akteure durchgeführt)<br />

track 2 nicht-offizielle Dialog- <strong>und</strong> Problemlösungsformate an denen Multiplikatoren <strong>und</strong><br />

einflussreiche Akteuren (Intellektuelle, Berater, religiöse Führungspersönlichkeiten)<br />

teilnehmen<br />

track 3 Vielzahl der in <strong>und</strong> mit der Zivilgesellschaft durchgeführten Aktivitäten (u.a. Aufbau von<br />

Institutionen, Trainingsarbeit, Friedenserziehung, „Reconciliation“, Privatsektor, Medien)<br />

Die Einführung des multi-track <strong>Konzept</strong>es war ein erster wichtiger Schritt in Richtung auf ein<br />

systemisches Verständnis der Konfliktbearbeitung. Allerdings blieb dieses <strong>Konzept</strong> lange Zeit<br />

additiv, weil wenig darüber reflektiert wurde, wie genau welche Maßnahmen auf welchen<br />

tracks miteinander kombiniert werden sollten.<br />

Friedensstrategien<br />

Der Gr<strong>und</strong>gedanke bei der Entwicklung des mehrgleisigen Ansatzes geht von der<br />

Komplementarität aus, sowohl in Bezug auf die möglichen Handlungsansätze als auch in<br />

Bezug auf die erreichbaren Adressaten. Während der multi-track Ansatz die Optionen <strong>und</strong><br />

Reichweiten unterschiedlicher Akteure auslotet, folgt der Ansatz der Friedensstrategien der<br />

Frage, welche Aufgaben bei der Deeskalation von gewaltsamen Konflikten <strong>und</strong> ihrer<br />

Transformation zu lösen sind. Johan Galtung hat diese Aufgaben als peacekeeping,<br />

peacemaking <strong>und</strong> peacebuilding beschrieben. In eine ähnliche Richtung weisen die<br />

Differenzierung in conflict management, conflict resolution <strong>und</strong> conflict transformation 29 .<br />

Offen bleibt allerdings zunächst die Frage der Sequenzierung, also wann welche<br />

Interventionen zu erfolgen haben. Während Boutros Boutros Ghali in der Agenda for Peace die<br />

Friedensstrategien in einer Sequenz von peacekeeping – peacemaking – peacebuilding stellte,<br />

verschränkte Ronald Fisher die Friedensstrategien in einer komplexeren Form, wobei er dem<br />

peacebuilding eine besondere Bedeutung zuwies. Diese Interventionsformen, die zum Ziel<br />

haben, die Beziehungen zwischen den Konfliktparteien zu verbessern, setzen an den<br />

unterschiedlichen Eskalationsstufen des Konfliktes an, um eine Basis für unmittelbar<br />

notwendige deeskalierende Maßnahmen zu schaffen. Diese Überlegungen decken sich mit<br />

den Erfordernissen an deeskalierende Strategien, die sich aus dem Konfliktmodell von<br />

Friedrich Glasl ergeben 30 .<br />

28 Louise Diamond & John McDonald: Multi-Track Diplomacy. A Systems Approach to Peace, West Hartford:<br />

Kumarian Press 1996.<br />

29 Ausführlich dazu Cordula Reimann: Assessing the State-of-the-Art in Conflict Transformation, in: Alex Austin,<br />

Martina Fischer & Norbert Ropers (Hrsg.): Transforming Ethnopolitcal Conflict - The Berghof Handbook,<br />

Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2004.<br />

30<br />

Ausführlich Barbara Müller & Christian W. Büttner 1996: Optimierungschancen von Peacekeeping, Peacemaking<br />

<strong>und</strong> Peacebuilding durch gewaltfreie Interventionen? Studie zur methodischen <strong>und</strong> systematischen<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

24


Die Einführung des multi-track <strong>Konzept</strong>es war ein erster wichtiger Schritt in Richtung auf ein<br />

systemisches Verständnis in der Konfliktbearbeitung. Allerdings blieb dieses <strong>Konzept</strong> lange<br />

Zeit additiv, weil wenig darüber reflektiert wurde, wie genau welche Maßnahmen auf welchen<br />

tracks miteinander kombiniert werden sollten. Die verschiedenen Modelle ergänzender<br />

Friedensstrategien boten in dieser Hinsicht bessere Ansatzpunkte aufgr<strong>und</strong> ihrer<br />

Verankerung in staatlichen, multilateralen <strong>und</strong> gesellschaftlichen<br />

Handlungszusammenhängen, insgesamt stellten auch sie aber mehr Taxonomien als<br />

Strategien bereit.<br />

Infrastructure for peacebuilding<br />

Die Wiederherstellung, Heilung <strong>und</strong> Neugestaltung der Beziehungen zwischen den<br />

Konfliktparteien stellt auch im Ansatz von John Paul Lederach den Kern des<br />

Transformationsprozesses verfahrener gewaltsamer interner Konflikte dar. Deren Krux sieht<br />

er darin, dass die vom Konflikt Betroffenen nah beieinander leben <strong>und</strong> in der Regel eine lange<br />

Geschichte destruktiver Interaktion miteinander teilen. Für Lederach war dies der<br />

Ausgangspunkt zu einem Rahmenkonzept, das protracted social conflicts als "System"<br />

versteht <strong>und</strong> zu transformieren sucht. Dafür entwickelt Lederach analytische Linsen, um den<br />

auf Streitpunkte gerichteten Fokus von Konfliktbearbeitung auf die Beziehungs-, Subsystem-<br />

<strong>und</strong> Systemebene zu erweitern <strong>und</strong> in den Prozess der Veränderung auch der Institutionen<br />

<strong>und</strong> Strukturen zu integrieren 31 . Er identifiziert Konflikt als einen Prozess, der verschiedene<br />

Stadien durchläuft, in denen sich die Machtbalance zwischen den Konfliktparteien verändert.<br />

Für diejenigen, die sich um eine konstruktive Austragung dieses Prozesses bemühen,<br />

identifiziert er unterschiedliche Rollen, Funktionen <strong>und</strong> Aktivitäten, die einander bedingen<br />

<strong>und</strong> es ermöglichen, den Konflikt in die nächste Stufe zu transformieren. Aus dieser<br />

komplexen Zusammenschau ergibt sich ein Kontinuum, das kurzfristige Krisenintervention<br />

mit langfristigem peacebuilding <strong>und</strong> nachhaltiger Entwicklung in eine unauflösliche<br />

Beziehung setzt, denn: "Not one is conducted in a vacuum and each has the potential to move<br />

the conflict progression forward constructively or to contribute to a stagnating cycle of<br />

confrontation." 32<br />

Die Verknüpfung von strukturellen <strong>und</strong> prozessorientierten Perspektiven ergeben ein<br />

integriertes Rahmenkonzept für peacebuilding, das Lederach bereits 1997 beschrieb, ohne<br />

dass es in seiner Komplexität Eingang in die Praxis gef<strong>und</strong>en hätte. Rezipiert wurden davon<br />

die Ideen der Akteurspyramide <strong>und</strong> der peace constituencies, die im <strong>Konzept</strong> des multi-track<br />

Ansatzes miteinander verknüpft wurden.<br />

Die strukturelle Perspektive der <strong>Konflikttransformation</strong> im Lederach'schen Sinne wurde<br />

insbesondere von der Entwicklungszusammenarbeit aufgegriffen, die sich durch die<br />

Bearbeitung der strukturellen Ursachen von Konflikten sowie den Aufbau bzw. die Stärkung<br />

institutionalisierter Formen der Konfliktbearbeitung (z.B. demokratische Systeme,<br />

funktionierende Justiz) langfristig um die Schaffung der strukturellen Voraussetzungen für<br />

ein friedliches Zusammenleben bemüht. Gerade aufgr<strong>und</strong> der Langfristigkeit derartiger<br />

Anstrengungen ist es aber bisher selten gelungen, sie sinnvoll mit Friedensdynamiken zu<br />

verbinden.<br />

Operationalisierung dieser Fragestellung. IFGK, AP. 4, Wahlenau: IFGK Oktober 1996; Friedrich Glasl:<br />

Konfliktmanagement. 8. Auflage. Bern: Haupt 2004; Ronald Fisher: "Forging a Bridge from Peacekeeping to<br />

Peacemaking." Peace & Change 1993, 18 (3).<br />

31 John Paul Lederach: Building Peace. Sustainable Reconciliation in Divided Societies, Washington: USIP Press<br />

1997.<br />

32 Lederach 1997: 74.<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

25


Track-Vernetzung<br />

Dabei wurde bislang wenig systematisch die Frage beantwortet, wie die unterschiedlichen<br />

tracks denn sinnvoll zu vernetzen seien. Erste Ansätze wurden von John Paul Ledearch<br />

entwickelt, der auf der Gr<strong>und</strong>lage der 3 tracks (Konfliktpyramide) für die Unterstützung <strong>und</strong><br />

Bildung von Friedensallianzen (peace constituencies) plädiert, wobei er es für sinnvoll hält,<br />

auf der Ebene der mittleren Entscheidungsträger, die in etwa der track 2 Ebene entspricht,<br />

anzusetzen. 33 Mittlere Entscheidungsträger seien, Lederach zufolge, in ihrem<br />

Problemlösungspotential wesentlich flexibler <strong>und</strong> in der Regel gut mit der Top-Elite vernetzt,<br />

aber auch mit der Zivilgesellschaft <strong>und</strong> anderen regionalen <strong>und</strong> lokalen Organisationen. In<br />

der Zwischenzeit hat die Auswertung der langjährigen Erfahrungen des Life and Peace<br />

Institute in Somalia belegt, dass auch peacebuilding Aktivitäten, die konsequent an der<br />

Grasswurzelebene ansetzen (community-based bottom-up peacebuilding), ein erhebliches<br />

Ausstrahlungspotenzial besitzen 34 .<br />

Aus dem komplexen Lederach'schen <strong>Konzept</strong> wurde der Aspekt der peace constituencies in<br />

Literatur <strong>und</strong> Praxis aufgenommen. Auch das Berghof Zentrum machte es zum Ansatzpunkt<br />

seiner Arbeit. Ausgehend von der Unterstützung von Friedensaktivisten in verschiedenen<br />

Konfliktregionen, hat sich im Laufe der Zeit auch dieser Ansatz verändert. Der Blick hat sich<br />

von den zuerst adressierten Akteuren erweitert auf den Kontext der "Friedenspotenziale"<br />

einerseits, die mehr umfassen als aktive Personen <strong>und</strong> Netzwerke in der Zivilgesellschaft.<br />

Zunehmend in den Blick geraten jedoch auch diejenigen Akteure, die für Friedensprozesse<br />

essentiell sind, aber die sich nicht ohne weiteres in ihnen engagieren oder die sogar ein<br />

Interesse an der Fortdauer oder gar weiteren Eskalation des Konfliktes haben. Hier trifft sich<br />

die Erfahrung des Berghof Zentrums mit den Schlussfolgerungen aus empirischen<br />

Fallstudien, die im Reflecting on Peace Practice Project erarbeitet wurden. Dort zeigte es sich,<br />

dass Friedensprojekte bislang viel zu wenig diejenigen Akteure berücksichtigen, die, wie<br />

Milizionäre, wirtschaftliche Eliten, Regierungen <strong>und</strong> Diaspora-Gruppen, vom Konflikt<br />

profitieren. Ein Erfolgskriterium ist demzufolge, inwieweit es den Projekten gelingt,<br />

konflikttreibende Kräfte in ihrem Wirken zu stoppen; ein anderes Kriterium verweist auf die<br />

Notwendigkeit der Veränderung in den Institutionen <strong>und</strong> Mechanismen einer Gesellschaft.<br />

Institution building von Institutionen, die für den Fortgang des Konfliktes irrelevant sind, ist<br />

demzufolge eine Verschwendung von Energie, Zeit <strong>und</strong> Ressourcen an der falschen Stelle 35 .<br />

Wie Lederach plädiert auch das von Mary Anderson <strong>und</strong> Lara Olsen koordinierte Reflecting on<br />

Peace Practice Project (RPP) 36 dafür, die unterschiedlichen tracks zu verknüpfen <strong>und</strong> neben<br />

Maßnahmen zur Veränderung von individuellen Einstellungen <strong>und</strong> Verhaltensweisen auch<br />

mit Aktivitäten zur Transformation von Strukturen beizutragen.<br />

Individual/<br />

Personal Level<br />

Socio/Political<br />

level<br />

RPP Raster<br />

More People Key People<br />

33 Vgl. Lederach 1997: 55-61.<br />

34 Thania Paffenholz: Community-based Bottom-up Peacebuilding. The development of the Life and Peace<br />

Institute's approach to peacebuilding and Lessons Learned from the Somalia experience (1990-2003), LPI 2003.<br />

35 Reflecting on Peace Practice Handbook, Cambridge: Nov. 2004, CDA,11, 15.<br />

36 Vgl. Mary Anderson & Lara Olson: Confronting War. Critical Lessons for Peace Practitioners, CDA 2003.<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

26


Dieses Raster soll Praktikern helfen, die unterschiedlichen Ebenen <strong>und</strong> Zielgruppen von<br />

Maßnahmen der Friedensförderung zu kategorisieren, zu ordnen, Lücken zu identifizieren<br />

<strong>und</strong> über mögliche Synergien zu reflektieren. Im Zuge des RPP wurde besonders die<br />

Wichtigkeit des Transfers von Einstellungs- <strong>und</strong> Verhaltensänderungen (individual/personal<br />

level) auf die gesellschaftlich-politische Ebene (socio/political level) betont.<br />

Obwohl der Aspekt der Komplementarität der unterschiedlichen tracks immer wieder betont<br />

wird, ist die Frage nach dem „wie“ der synergetischen track-Vernetzung noch wenig<br />

ausgeleuchtet. In der Diskussion hierzu tauchen zumeist zwei unterschiedliche <strong>Konzept</strong>e auf,<br />

die sich hinsichtlich der Frage der Steuerung – lead agency versus dezentrale Steuerung –<br />

unterscheiden. Als Beispiel für den ersten Ansatz ist der Vorschlag von Martin Griffiths, dem<br />

Direktor des in Genf ansässigen Centre for Humanitarian Dialogue, interessant, dass im Zuge<br />

der UN-Reform die UN ihr besonderes Mandat im Bereich der Friedensförderung weiter<br />

ausbauen <strong>und</strong> eine führende Rolle in der Vernetzung von Mediationsansätzen offizieller <strong>und</strong><br />

nicht-offizieller Akteure einnehmen solle. 37 In einem solchen Netzwerk könnte die UN (aber<br />

auch andere Staaten) ihre besonderen Stärken (Akzeptanz, Mandat, Garant für Einhalten von<br />

Verbindlichkeiten <strong>und</strong> Standards, etc.) einbringen <strong>und</strong> gleichzeitig von der Flexibilität, dem<br />

mitunter besseren Zugang zu den Konfliktparteien <strong>und</strong> dem niedrig-profiligen Ansatz nichtstaatlicher<br />

Akteure profitieren.<br />

Als Beispiel für eine dezentrale Steuerung schlägt Robert Ricigliano vor, unterschiedliche<br />

tracks der Friedensförderung in sogenannten networks of effective action (NEA) zu bündeln. 38<br />

In den Worten Riciglianos sind NEAs „essentially a communication network with a common<br />

goal [...] and some shared rules of the road.” 39 Ein NEA soll internationale <strong>und</strong> einheimische<br />

Akteure in einem Konfliktgebiet zusammenbringen <strong>und</strong> zwar in einer Art <strong>und</strong> Weise, die<br />

weder zufällig noch zentral koordiniert ist („chaordic“) <strong>und</strong> auf den Prinzipien Freiwilligkeit,<br />

Dezentralität der Entscheidungsfindung, Selbstorganisation, Flexibilität beruht. Idealerweise<br />

sollten diese Netzwerke Organisationen umfassen, die in politischen, sozialen <strong>und</strong><br />

strukturorientierten Bereichen aktiv sind <strong>und</strong> internationale, nationale <strong>und</strong> lokale<br />

Perspektiven abdecken.<br />

Alle bisherigen konzeptionellen Bemühungen zur track-Vernetzung als auch unsere eigenen<br />

Überlegungen im Rahmen insbesondere des Sri Lanka Projekts offenbaren die<br />

Notwendigkeit, eine gute Balance zwischen angemessen komplexen Theorien des sozialen<br />

Wandels <strong>und</strong> dem notwendigerweise immer begrenzten Instrumentarium transformativer<br />

Interventionen zu finden. Der systemische Ansatz bietet in diesem Zusammenhang die<br />

Chance, in diesem Spannungsfeld eine innovative wie pragmatische Brücke zu bauen. Dies<br />

soll vor allem im folgenden Kapitel illustriert werden, in welchem wir fünf Kernelemente der<br />

systemischen <strong>Konflikttransformation</strong> ausführlicher darstellen. Diese Kernelemente<br />

beschreiben einen konzeptionellen Rahmen, in welchen die oben vorgestellten Ansätzen <strong>und</strong><br />

Erfahrungen der ZKB eingeflossen sind, ergänzt um Ansätze <strong>und</strong> Methoden systemischer<br />

Praxis, die sich in anderen Disziplinen bewährt haben.<br />

37 Martin Griffiths: Talking Peace in a Time of Terror: United Nations Mediation and Collective Security, Geneva:<br />

HDC 2005.<br />

38 Robert Ricligiano: Networks of Effective Action. Implementing an Integrated Approach to Peacebuilding, in<br />

Security Dialogue Vol. 34 Nr. 4 (Dez. 2003), S. 445-462.<br />

39 Ebda. S. 457.<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

27


5. Kernelemente der systemischen <strong>Konflikttransformation</strong><br />

In diesem Kapitel werden folgende fünf Kernelemente der systemischen <strong>Konflikttransformation</strong><br />

vorgestellt:<br />

• <strong>Systemische</strong> Konfliktanalyse <strong>und</strong> Konfliktmonitoring;<br />

• <strong>Systemische</strong> Interventionsplanung;<br />

• <strong>Systemische</strong> Arbeit mit Akteuren <strong>und</strong> Vernetzung;<br />

• <strong>Systemische</strong> Mobilisierung von „Agenten friedlichen Wandels“;<br />

• <strong>Systemische</strong> Kreativität bei der Imagination von inhaltlichen Lösungen.<br />

Wie die folgende Übersicht verdeutlicht, steht die wechselseitige Anerkennung der<br />

Komplexität unserer Arbeit (complexify) <strong>und</strong> der Notwendigkeit, einfache <strong>und</strong><br />

handlungsleitende Einsichten zu generieren (simplify), im Zentrum der systemischen<br />

<strong>Konflikttransformation</strong> <strong>und</strong> der fünf elementaren Arbeitsbereiche.<br />

Systemic Imagination<br />

of Alternative Peaceful Futures<br />

• Expertise + Inspiration<br />

• Pushing Frontiers<br />

• Jointly Owning the Future<br />

Systemic Mobilization<br />

of Actors for CT<br />

• Agents of Peaceful Change<br />

• Critical Mass / Yeast<br />

• Combination of Dialogue + Capacity Building<br />

• Institutionalization (Creation of Sub-System)<br />

Systemic Conflict Analysis<br />

• Systems Diagraming<br />

• Systems/Subsystems Configuration<br />

• Bird‘s/Frog‘s Eye View<br />

Systemic Conflict<br />

Transformation<br />

complexify – simplify<br />

Systemic Intervention Planning<br />

• Intervention Triangle<br />

• Internal Resources for Transformation<br />

• Scenario Planning<br />

Systemic Work with Actors<br />

• Multipartiality + Inclusivity<br />

• Critical-Constructive Engagement<br />

• Multi-stakeholer Dialogue (One-Text)<br />

• Network Management<br />

Die Aufteilung der systemischen <strong>Konflikttransformation</strong> in fünf Kernelemente folgt einer<br />

einfachen Logik. Mit den ersten zwei Elementen (<strong>Systemische</strong> Konfliktanalyse <strong>und</strong><br />

Konfliktmonitoring; <strong>Systemische</strong> Interventionsplanung) gehen wir vor allem auf methodische<br />

Aspekte der Analyse <strong>und</strong> Interventionsplanung ein. Die folgenden drei Elemente orientieren<br />

sich an den drei wesentlichen Dimensionen aller Drittparteieninterventionen:<br />

• der Prozess- <strong>und</strong> Beziehungsdimension: Wie <strong>und</strong> auf welcher Gr<strong>und</strong>lage arbeiten wir<br />

mit den Konfliktakteuren? (<strong>Systemische</strong> Arbeit mit Akteuren <strong>und</strong> Vernetzung);<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

28


• den Zielgruppen unserer Maßnahmen (<strong>Systemische</strong> Mobilisierung von „Agenten<br />

friedlichen Wandels“);<br />

• der konstruktiven Bearbeitung von Sachproblemen- <strong>und</strong> -themen (<strong>Systemische</strong><br />

Kreativität bei der Imagination von inhaltlichen Lösungen).<br />

Die Reihenfolge der Aufstellung der Kernelemente folgt keinem Stufen- oder Schrittmodell. In<br />

der Praxis ist eine klare Trennung der Arbeitsbereiche auch gar nicht möglich, da sich die<br />

Bereiche gegenseitig beeinflussen. Es müssen aber alle fünf Elemente der systemischen<br />

<strong>Konflikttransformation</strong> berücksichtigt werden.<br />

Wie in der obigen Übersicht angedeutet wird, werden in der Beschreibung der Kernelemente<br />

sowohl <strong>Konzept</strong>e wie agents of peaceful change <strong>und</strong> „kritische Massen“, Gr<strong>und</strong>prinzipien wie<br />

z.B. Perspektivenwechsel, Inklusivität <strong>und</strong> Allparteilichkeit, aber auch Werkzeuge wie systems<br />

diagramming <strong>und</strong> Szenario-Analyse vorgestellt <strong>und</strong> erläutert.<br />

Zur besseren Orientierung werden die fünf Unterkapitel mit einer kurzen inhaltlichen<br />

Zusammenfassung eingeleitet.<br />

5.1 <strong>Systemische</strong> Konfliktanalyse <strong>und</strong> Konfliktmonitoring<br />

In diesem Unterkapitel geht es um die analytische Erfassung von Komplexität. Dazu wird neben tools<br />

wie systems diagramming, Perspektivenwechsel <strong>und</strong> kybernetischen Analysemethoden insbesondere<br />

die Bedeutung der Definition von Systemgrenzen <strong>und</strong> die Einbeziehung einheimischer Akteure bei der<br />

Analyse hervorgehoben.<br />

Wie in Kapitel 2 dargestellt wurde, besteht eine der großen Herausforderungen der<br />

<strong>Konflikttransformation</strong> darin, der hohen Komplexität von protracted social conflicts gerecht<br />

zu werden, um sinnvolle Interventionsstrategien erarbeiten zu können. Gr<strong>und</strong>lage der<br />

systemischen <strong>Konflikttransformation</strong> ist eine gute Konfliktanalyse, welche die innere<br />

Wirkungsweise des Konfliktsystems zu erfassen hilft <strong>und</strong> dazu beitragen kann, f<strong>und</strong>ierte<br />

Hypothesen über Ansatzpunkte <strong>und</strong> Hebel der Systemtransformation zu generieren.<br />

Das Instrument der Konfliktanalyse wurde in den letzten Jahren weiterentwickelt, so dass<br />

mittlerweile eine Bandbreite von Methoden <strong>und</strong> tools vorliegt, auf die auch ein systemischer<br />

Ansatz aufbauen kann. 40 Um ein Konfliktsystem wirklich durchdringen <strong>und</strong> begreifen zu<br />

können, ist ein „Denken in Zusammenhängen“, also ein systemisches Denken, nötig. Es ist<br />

zudem erforderlich, vereinfachende <strong>und</strong> lineare Ursache-Wirkungsannahmen zu überwinden<br />

<strong>und</strong> Prozesse komplexer <strong>und</strong> zirkulärer Kausalität in den Blick zu nehmen (Berücksichtigung<br />

positiver <strong>und</strong> negativer Rückkoppelungsschleifen, sowie deren Überlagerungen).<br />

Für eine konzeptionelle Weiterentwicklung systemischer Konfliktanalysen halten wir die<br />

folgenden Komponenten für wichtig:<br />

• Systemgrenzen;<br />

• „Vogel- <strong>und</strong> Froschperspektive“;<br />

• kybernetische Modelle der Systemanalyse;<br />

• Berücksichtigung von Widerständen.<br />

40 Eine gute Übersicht über verschiedene Ansätze der Konfliktanalyse bietet: International Alert, Fewer u.a.:<br />

Resource Pack: Conflict-sensitive approaches to development, humanitarian assistance and peacebuilding,<br />

Chapter 2: Conflict Analysis, o.O. 2004. Brauchbare Methoden bieten insbesondere DFID: Conducting Conflict<br />

Assessments: Guiding Notes, 2002; <strong>und</strong> die Friedrich-Ebert-Stiftung (in Kooperation mit FriEnt <strong>und</strong> GTZ):<br />

Konfliktanalyse <strong>und</strong> Entwicklung von Handlungsoptionen für gesellschaftspolitische Kooperationsprogramme.<br />

Ein methodischer Leitfaden, Bonn o.J.<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

29


Erfahrungen mit systemischer Konfliktanalyse: systems diagramming<br />

Es gibt bislang nur einen sehr geringen Erfahrungsschatz mit systemischen Konfliktanalysen.<br />

Implizit finden allerdings im Rahmen von Problemlösungsworkshops zum Teil sehr<br />

tiefgreifende <strong>und</strong> komplexe Konfliktanalysen statt, welche Gr<strong>und</strong>elemente eines<br />

systemischen Ansatzes aufweisen, obwohl diese nicht so bezeichnet werden. Die von den<br />

Konfliktakteuren selbst erarbeiten Analysen zielen auf die Bewusstmachung der root causes<br />

des Konflikts aber auch der unterschiedlichen Interessen <strong>und</strong> Perspektiven. Die Teilnehmer<br />

<strong>und</strong> (seltener) Teilnehmerinnen werden von den Moderatoren angeregt, über eine Bandbreite<br />

von Aspekten zu reflektieren, die von der Klärung <strong>und</strong> Explizierung ihrer individuellen<br />

biografischen Verflechtung mit dem Konflikt über die Klärung der zentralen<br />

Konfliktgegenstände <strong>und</strong> Dynamiken im Workshop reichen. Im Verlauf weiterer Workshops<br />

kann diese Analyse durch eine intensive Durchleuchtung anderer Konfliktkontexte<br />

angereichert werden, was in der Regel zu deutlichen Perspektiverweiterungen führt. 41 Noch<br />

wenig genutzt wurde das Potential der Problem-solving Workshops zur analytischen<br />

Einbeziehung der Gender-Dimension von Konflikten. 42<br />

In der Praxis des informellen georgisch-abchasischen Dialogprozesses spielt bspw. die<br />

Analyse von Subsystemen <strong>und</strong> die Diskussion über ihre Zuordnung zueinander <strong>und</strong> ihre<br />

Bedeutung im (Gesamt)system eine erhebliche Rolle. Um die Diskussion zu erleichtern,<br />

werden die Systeme <strong>und</strong> die ihnen angehörenden Akteure oftmals in Form eines Akteurs<br />

mapping visualisiert. Abhängig von der Fragestellung kann man dabei immer detailreichere<br />

Unterscheidungen <strong>und</strong> differenziertere Subsysteme bilden oder einen Fokus wählen, der auf<br />

die Diskussion größerer Zusammenhänge zielt.<br />

Die Diskussion – aber auch die Methode der Visualisierung – verdeutlicht die<br />

unterschiedlichen Bedeutungszuweisungen der analysierten Systeme durch die<br />

Teilnehmergruppen deutlich. So kann im Dialog deutlich werden, dass georgische<br />

Teilnehmer von der Annahme ausgehen, dass die Abchasen weitgehend von Russland<br />

fremdbestimmt werden <strong>und</strong> bereits in den Anfängen der Konfliktentwicklung als ein<br />

Instrument russischer Politik ferngesteuert wurden. Die wahre Natur des Abchasienproblems<br />

ist in dieser Interpretation primär in einem russisch-georgischen Gegensatz begründet <strong>und</strong><br />

erklärt sich aus dem russischen Bestreben, die nationale Unabhängigkeit Georgiens zu<br />

unterminieren. Demgegenüber stellen sich die Abchasen im Rahmen des Dialogs als<br />

selbständiger Akteur dar, der über eine eigenständige <strong>und</strong> innerhalb der Bevölkerung<br />

verankerte politische Vision verfügt <strong>und</strong> der um seine Eigenständigkeit nicht nur gegenüber<br />

Georgien, sondern auch gegenüber Russland besorgt ist.<br />

Systems diagraming<br />

Workshopansätze zur Identifizierung von Interventionsgelegenheiten, wie sie beispielsweise von der<br />

Conflict Management Group <strong>und</strong> MitarbeiterInnen von INCORE mit Regionalexperten durchgeführt<br />

werden, zielen darauf ab, alle wichtigen Einflussfaktoren systematisch zu erfassen <strong>und</strong> zirkuläre<br />

Wirkungsketten <strong>und</strong> Rückkoppelungsschleifen innerhalb eines Konfliktsystems zugänglich zu machen<br />

(„Systems Diagraming“). Mit Hilfe von Konflikt-Checklisten werden die wichtigsten Einflussfaktoren<br />

identifiziert <strong>und</strong> dann in Kleingruppen Hypothesen aufgestellt, welche gesellschaftlichen Faktoren<br />

sich gegenseitig selbst verstärken, zirkulär aufeinander wirken <strong>und</strong> zur Gewalteskalation beitragen<br />

(z.B. „Waffenkäufe verstärken politischen Einfluss von Kriegsunternehmern <strong>und</strong> erhöhen die<br />

Wahrscheinlichkeit einer Gewalteskalation in ländlichen Regionen“). Dann folgt eine Verfeinerung<br />

der Faktoren, die innerhalb dieser Schleifen eine Rolle spielen; anschließend wird geprüft, ob diese in<br />

einem direkten zirkulären Zusammenhang mit anderen Wirkungsschleifen (z.B. „der weitgehende<br />

41 Vgl. Haumersen, Rademacher, Ropers: Die Workshopmethode, a.a.O., 2002; Oliver Wolleh, Schwierige<br />

Begegnung, a.a.O., 2005.<br />

42 Vgl. dazu Cordula Reimann: Gender in Problem-solving Workshops: A Wolf in Sheep’s Clothing? Swisspeace<br />

(Working Paper 3), Bern 2004.<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

30


Ausschluss der Minderheiten der nördlichen Provinz vom legalen Handel führt zu einer Verhärtung<br />

der Positionen ihrer politischen Vertreter in der Hauptstadt“) stehen <strong>und</strong> ob sie innerhalb eines großen<br />

Kreislaufs kombiniert werden können (z.B. „Waffenkäufe <strong>und</strong> Ausschluss der nördlichen Minderheit<br />

vom Wirtschaftsleben führen zu einer umfassenden politischen Blockade im Parlament“). Wichtige<br />

Rückkopplungsschleifen zwischen Konflikteskalationsfaktoren werden so zugänglich gemacht.<br />

Im Rahmen einer systemischen Konfliktanalyse, die von Peter Woodrow (CDA) auf der Basis<br />

eines system diagraming (siehe Kasten) im Juli 2005 in Sri Lanka durchgeführt wurde,<br />

diskutierte des Berghof Team zum einen die Konfliktfaktoren (driving factors of conflict) <strong>und</strong><br />

zum anderen die Friedensfaktoren (driving factors of peace). Dabei wurden sowohl<br />

verstärkende als auch begrenzende Rückkopplungseffekte (reinforcing and counteracting<br />

feedback loops) berücksichtigt. Als Resultat des Analyseworkshops wurden folgende in der<br />

strategischen Planung zu berücksichtigenden Variablen ermittelt:<br />

1. vorherrschende Denkweisen <strong>und</strong> Einstellungen politischer Entscheidungsträger <strong>und</strong><br />

einflussreicher Persönlichkeiten sowie der Funktionseliten, die durch Mehrheits- <strong>und</strong><br />

Zentralstaatsstrukturen geprägt sind;<br />

2. staatliche Strukturen <strong>und</strong> eine öffentliche Politik, die Minderheiten, aber auch einige<br />

Bevölkerungsgruppen der Mehrheit marginalisiert haben;<br />

3. die Notwendigkeit der Schaffung des politischen Willens für eine Änderung der<br />

Strukturen <strong>und</strong> des Beziehungsgeflechts;<br />

4. die Notwendigkeit paralleler Prozesse der politischen Vertrauensbildung <strong>und</strong> der<br />

Erzielung substanzieller Ergebnisse einerseits <strong>und</strong> einer schrittweisen Entmilitarisierung<br />

andererseits;<br />

5. die Transformation aller stakeholders zur Ermöglichung einer echten Demokratie <strong>und</strong><br />

der Achtung der Menschenrechte, des Pluralismus <strong>und</strong> der Vielfalt als Bestandteil des<br />

Friedensprozesses;<br />

6. die Notwendigkeit der Einbeziehung der Anliegen <strong>und</strong> Interessen auch der nicht Krieg<br />

führenden stakeholders, um einen gerechten <strong>und</strong> dauerhaften Frieden zu erreichen;<br />

7. die „realpolitischen“ Überlegungen aller Parteien, um „objektive“ Friedenstrends<br />

optimal zu nutzen <strong>und</strong> BATNA (best alternatives to negotiated agreements)<br />

verhindernde Tendenzen zu erkennen. Diese Analyse wird in Zusammenarbeit mit den<br />

Partnern regelmäßig durch ein peace and conflict assessment aktualisiert, um ihre<br />

aktuelle Relevanz sicherzustellen <strong>und</strong><br />

8. die Notwendigkeit der Verbindung rationaler <strong>und</strong> emotionaler Programmansätze zur<br />

nachhaltigen Änderung von Denkweisen, Verhaltensweisen <strong>und</strong> Einstellungen der<br />

stakeholders.<br />

Konfliktanalysen sollten regelmäßig an aktuelle politische Entwicklungen <strong>und</strong> Trends<br />

angepasst werden; deshalb müssen hierfür ausreichend Zeit <strong>und</strong> Ressourcen eingeplant<br />

werden. Zudem sollten systemische Konfliktanalysen unbedingt gemeinsam mit<br />

einheimischen Akteuren durchgeführt werden. Dies ist wesentlich, weil einheimische Akteure<br />

zum einen über das notwendige Detailwissen verfügen (Insiderwissen zu informellen<br />

politischen Spielregeln <strong>und</strong> power networks) <strong>und</strong> es zum anderen ja darauf ankommt, dass<br />

ein von ihnen akzeptiertes <strong>und</strong> nachvollziehbares „Systembild“ entworfen wird (Stärkung von<br />

ownership <strong>und</strong> Akzeptanz). 43 Die Einbeziehung einheimischer Akteure kann mittels<br />

MitarbeiterInnen im Projekt- oder Programmteam, durch Partnerorganisationen oder durch<br />

Vertreter der Konfliktparteien erfolgen. Es ist des weiteren darauf zu achten, dass die<br />

Perzeptionen des Konflikts, die politischen Handlungsspielräume <strong>und</strong> Interessen aller<br />

43 Aus pragmatischen Erwägungen (Zeit <strong>und</strong> Kosten) heraus, kann es durchaus sinnvoll sein, eine erste<br />

Konfliktanalyse in Form eines rapid conflict appraisal durchzuführen. Im Zuge unserer Projektphase ist so<br />

hinsichtlich der vier Länderkurzstudien verfahren worden. Diese mit Unterstützung einer/s sach- <strong>und</strong><br />

landesk<strong>und</strong>lichen Expertin/-en durchgeführten Erhebungen sollen vor allem einer ersten Hypothesengenerierung<br />

(<strong>und</strong> effizienter Ressourcennutzung) dienen.<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

31


wesentlicher Akteure (also nicht nur der nicht-staatlichen <strong>und</strong> staatlichen Gewaltakteure)<br />

hinreichend berücksichtigt werden.<br />

Zur Relevanz von Systemgrenzen<br />

Ein wesentliches Element einer guten strategischen Ausrichtung von Projekten <strong>und</strong><br />

Programmen der Friedensförderung liegt in der klaren Festlegung <strong>und</strong> Definition des<br />

Bezugssystems. Welches Konfliktsystem bzw. Subsystem adressieren die Maßnahmen?<br />

Welche Elemente gehören dazu, welche nicht? Welche Funktion spielt das Bezugssystem im<br />

übergeordneten (Konflikt)System? Wie lassen sich Maßnahmen auf der gesellschaftlichen<br />

Mikro- <strong>und</strong> Mesoebene mit Veränderungen auf der Makroebene verbinden?<br />

In der Praxis der Friedensförderung wird das Bezugsystem in der Regel territorial bestimmt,<br />

seltener thematisch („Gewalt in der Schule“; „Verbreitung von Kleinwaffen“) oder<br />

akteursbezogen („Palästinensische Jugendliche“; „Flüchtlingsfrauen“). Die Betrachtung von<br />

Gewaltkonflikten im Rahmen des Territoriums bzw. des Souveränitätsbereichs des jeweiligen<br />

Staates ist eine überaus pragmatische Lösung – obwohl es natürlich zu beachten gilt, dass<br />

• vielfach auch regionale Faktoren (z.B. durch das Engagement von Akteuren in den<br />

Nachbarsstaaten) eine wichtige Rolle im Konflikt spielen; 44<br />

• die territoriale Grenzziehung an sich einer der Konfliktgegenstände sein kann (wie im<br />

Türkei-Kurdistan Konflikt);<br />

• auch innerhalb der Landesgrenzen Bevölkerungsgruppen <strong>und</strong> Regionen in der Regel<br />

in ganz unterschiedlichem Maße betroffen sind; <strong>und</strong><br />

• die faktische Souveränität des Staates oft auf einen Teil der Landesfläche begrenzt ist.<br />

Ähnliche Einwürfe können auch bei thematischen oder akteursbezogenen Begrenzungen<br />

gemacht werden. Dennoch ist es wichtig, das Konfliktsystem klar zu begrenzen, um nicht<br />

darauf zu verfallen, dass letztlich alles mit allem zusammenhängt <strong>und</strong> wir auch die<br />

Weltwirtschaft <strong>und</strong> den Klimawandel als Teil des Konfliktsystems berücksichtigen müssen.<br />

Gleichzeitig ist aber auch zu berücksichtigen, dass die Definition der Systemgrenzen eine<br />

politische Setzung ist <strong>und</strong> damit Teil der Auseinandersetzung zwischen den Konfliktparteien.<br />

So tendieren dominante Gruppen dazu, die Konfliktursachen an der gegnerischen Gruppe<br />

festzumachen (z.B. deren Armut, mangelnde Bildung, ungenügender Bürgersinn) <strong>und</strong> eigene<br />

Anteile zu übersehen. Dahingegen insistieren schwächere Gruppen häufig darauf, auch<br />

übergreifende Strukturen (z.B. Interessen von mächtigen Drittparteien) in die Konfliktanalyse<br />

einzubeziehen. Das militärische Engagement von Großmächten ist mitunter ein wesentlicher<br />

Faktor zur Bearbeitung lokaler Konfliktkonstellationen. Gelegentlich wird dieser Faktor aber<br />

als Vorwand für mangelndes Engagement genutzt oder stellt ein Tabuthema in<br />

konventionellen entwicklungspolitischen Konfliktanalysen dar.<br />

<strong>Systemische</strong> Ansätze räumen der Frage der Systemgrenzen eine zentrale Rolle ein. Für Niklas<br />

Luhmann etwa ist die „Differenz von System <strong>und</strong> Umwelt“ ein konstituierendes Merkmal von<br />

Systemen. 45 In der Familienberatung- <strong>und</strong> Therapie ist es ebenfalls wie in der<br />

Organisationsberatung wichtig, zu unterscheiden, welches Bezugssystem zur Gr<strong>und</strong>lage der<br />

Beratung <strong>und</strong> zur Identifikation von Lösungsvorschlägen ausgewählt wird. Zur Auswahl der<br />

relevanten Grenzen werden die Kategorien „Sinn“ <strong>und</strong> „wichtige Interaktionen“<br />

vorgeschlagen: „Soziale Systeme konstituieren ihre Grenzen also entlang der Frage, welches<br />

44 Vgl. Michael Pugh <strong>und</strong> Neil Cooper mit Jonathan Goodhand, War Economies in a Regional Context: the<br />

Challenge of Transformation, Boulder CO: Lynne Rienner 2004.<br />

45 Niklas Luhmann: Soziale Systeme. Gr<strong>und</strong>riß einer allgemeinen Theorie, Frankfurt/Main: Suhrkamp 1984, S 35:<br />

„[Systeme] konstituieren <strong>und</strong> erhalten sich durch Erzeugung <strong>und</strong> Erhalt einer Differenz zur Umwelt, <strong>und</strong> sie<br />

benutzen ihre Grenzen zur Regulierung dieser Differenz.“<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

32


ihr Sinn sein soll, <strong>und</strong> welche Elemente <strong>und</strong> Operationen zu ihnen gehören sollen <strong>und</strong> welche<br />

nicht.“ 46 Die Kategorie Sinn ist allerdings subjektiv <strong>und</strong> variiert je nach Betrachtungswinkel,<br />

Perspektive <strong>und</strong> Fragestellung. Um zu spezifizieren, welche Elemente denn sinnvoll zu einem<br />

System x gezählt werden sollen, lädt der Organisationsberater Peter Senge zu einem<br />

pragmatischen Vorgehen ein: „Das Schlüsselprinzip, das sogenannte ‚Prinzip der<br />

Systemgrenze’, besagt, dass man immer diejenigen Interaktionen untersuchen muss, die für<br />

das konkrete Problem am wichtigsten sind.“ 47<br />

Mit Blick auf das Arbeitsfeld ZKB bietet es sich an, die Art der für die Festlegung der<br />

Systemgrenzen wichtigen Interaktionen noch weiter zu qualifizieren:<br />

• Interaktionen zwischen Akteuren, die in der Lage sind, zur Lösung der spezifischen<br />

Konfliktkonfiguration beizutragen.<br />

• Interaktionen, die durch Strukturen vermittelt werden, die direkt zur<br />

Aufrechterhaltung <strong>und</strong> Reproduktion von Konflikt- <strong>und</strong> Gewaltmustern beitragen.<br />

Durch diese Einschränkungen können die Systemumwelten besser definiert werden. Externe<br />

Akteure, die (bewusst oder unbewusst) zur Reproduktion von Konflikten beitragen, gelten<br />

demnach als Teil des Konfliktsystems. Politische Prozesse hingegen, auf welche die<br />

einheimischen Akteure keinen oder nur geringfügigen Einfluss ausüben können – wie<br />

Globalisierungsprozesse, Umweltkatastrophen (z.B. Tsunami) oder US-<br />

Präsidentschaftswahlen – müssen eher der Systemumwelt zugerechnet werden. Diese<br />

Faktoren können Teil des Problems, aber nicht Teil der Lösung sein. Analytisch gilt zu<br />

beachten, dass für die Interaktionen des Konfliktsystems mit der Systemumwelt andere<br />

Regeln gelten als im Inneren des Konfliktsystems.<br />

System – System-Umwelt<br />

Umwelt bzw. Supra-System<br />

Welche Interaktionen? Welche Funktion?<br />

System<br />

Welche Interaktionen? Welche Funktion?<br />

Subsystem<br />

Es ist für eine systemische Konfliktbearbeitung also zentral, die zum Konfliktsystem<br />

gehörenden Akteure <strong>und</strong> Strukturen sinnhaft zu begrenzen <strong>und</strong> zwischen<br />

Interaktionsmustern im System <strong>und</strong> denjenigen zwischen System <strong>und</strong> Umwelt zu<br />

unterscheiden. Es ist bspw. wenig sinnvoll, bei einem Projekt der Friedenserziehung, welches<br />

mit palästinensischen Jugendlichen als Zielgruppe arbeitet das Referenzsystem „Israel-<br />

Palästina-Konflikt“ heranzuziehen. Das Konfliktsystem der Jugendlichen wird in der Regel<br />

stärker von Ereignissen im sozialen Umfeld, der Schule oder im Elternhaus geprägt.<br />

Anknüpfungspunkte für die Arbeit mit gewaltbereiten Jugendlichen liegen also eher in den<br />

Bereichen: Autoritätsverlust der Väter, Gewalt in der Schule <strong>und</strong> in der Familie,<br />

Diskriminierungs- <strong>und</strong> Gewalterfahrungen beim Kontakt mit israelischem Militär, etc.<br />

46 Arist von Schlippe/Jochen Schweitzer: Lehrbuch der systemischen Therapie <strong>und</strong> Beratung, Göttingen: 2003, S. 59.<br />

47 P. Senge 2003, a.a.O., S. 86.<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

33


Die Klärung der Frage der Systemgrenzen sollte unbedingt mit <strong>und</strong> durch einheimische<br />

Akteure erfolgen. <strong>Systemische</strong> Modelle sind nur Konstruktionen der Wirklichkeit, weshalb es<br />

wichtig ist, dass einheimische Akteure auf der Gr<strong>und</strong>lage ihres eigenen Systembilds arbeiten<br />

<strong>und</strong> dieses weiterentwickeln können.<br />

Intervenierende Dritte Parteien bilden dabei mit den einheimischen Partnerorganisationen<br />

ein eigenes Beratungssystem auf Zeit aus. Die Güte <strong>und</strong> Wirksamkeit dieses Beratungssystems<br />

hängt direkt von den Kapazitäten <strong>und</strong> Kompetenzen der beteiligten Organisationen, der<br />

Qualität der Unterstützungsmaßnahmen sowie der Qualität der Partnerbeziehungen ab. Dazu<br />

ist u.a. eine hohe Transparenz hinsichtlich der Motivationen <strong>und</strong> Wertegeb<strong>und</strong>enheit der<br />

Drittpartei notwenig, aber auch Klarheit über die Grenzen des Engagements. Innerhalb des<br />

Beratungssystems sollte besonders darauf geachtet werden, dass nicht als ungerecht<br />

empf<strong>und</strong>ene Macht- <strong>und</strong> Herrschaftsstrukturen (z.B. zwischen Männern <strong>und</strong> Frauen,<br />

zwischen internationalen <strong>und</strong> einheimischen Akteuren) reproduziert werden.<br />

„Vogel- <strong>und</strong> Froschperspektive“ <strong>und</strong> Abgleich unterschiedlicher Perspektiven<br />

Eine systemische Konfliktanalyse muss immer zweierlei berücksichtigen:<br />

• die Verortung (<strong>und</strong> Funktion) des Bezugssystems im übergeordneten System; <strong>und</strong><br />

• den Abgleich unterschiedlicher Perspektiven der Konfliktakteure.<br />

Eine systemische Analyse beinhaltet immer den Blick aufs Ganze (Vogelperspektive) <strong>und</strong> eine<br />

Detailuntersuchung von Subsystemen (Froschperspektive). Durch einen wiederholten<br />

Wechsel zwischen Vogel- <strong>und</strong> Froschperspektive <strong>und</strong> einer zunehmenden Fokussierung der<br />

Fragestellungen können die Funktionen <strong>und</strong> Wechselbeziehungen zwischen Einzelelementen<br />

des Systems herausgearbeitet werden. Hierzu schlagen wir vor, die Frage nach der<br />

spezifischen Funktion von Subsystemen im übergeordneten Kontext zu stellen <strong>und</strong> anhand<br />

von „systemischen“ oder „zirkulären“ Fragen die Wechselwirkungen zu anderen<br />

Systemeinheiten zu vertiefen.<br />

Zirkuläre Fragen<br />

Das zirkuläre Fragen zielt auf das Funktionieren des Systems, die unterschiedliche Sichtweise aller<br />

beteiligten Akteure <strong>und</strong> bemüht sich, die Beziehungen aller Beteiligten zueinander offenzulegen.<br />

Übertragen auf die Bearbeitung politischer Gewaltkonflikte handelt es sich um die oben erwähnte<br />

systemische Konfliktanalyse, insbesondere in der Form einer partizipativen Konfliktanalyse in<br />

Kooperation mit den Konfliktparteien (die man unter diesem Blickwinkel auch “zirkuläre Analyse”<br />

nennen könnte). Das Veränderungspotential liegt hier vor allem in der Aufforderung, die<br />

unterschiedlichen Sichtweisen als Teil “eines Systems” zu begreifen. Die bei solchen Methoden<br />

generell bestehende Gefahr, dass die Analyse in Schuldzuweisungen über die Hauptverantwortung für<br />

den Konflikt eskaliert, kann bei der systemischen Analyse leichter als bei anderen Methoden<br />

kontrolliert werden, da sie dazu anhält, alle Konflikt-Subsysteme <strong>und</strong> den Beitrag aller Akteure in den<br />

Blick zu nehmen.<br />

Durch den Abgleich unterschiedlicher Perspektiven können von den Konfliktparteien ständig<br />

reproduzierte Kommunikations- <strong>und</strong> Interpretationsmuster identifiziert <strong>und</strong> damit einer<br />

Bearbeitung zugänglich gemacht werden. Im Rahmen des von Berghof <strong>und</strong> Conciliation<br />

Resources durchgeführten georgisch-abchasischen Dialog-Prozesses werden diese<br />

Wahrnehmungs-Dissonanzen thematisiert, da den teilnehmenden Parteien oft nicht bewusst<br />

ist, dass ihre Handlungen für die andere Seite provokante Elemente enthalten. Sie verstehen<br />

deshalb die Reaktion nicht bzw. nehmen diese als eine negative Handlung der anderen Seite<br />

wahr ohne diese überhaupt als Reaktion auf das eigene Handeln zu erkennen. Die<br />

Diskussionen um sogenannte „vertrauenszerstörende Rhetorik“ spiegeln die Asymmetrie<br />

bezüglich der Bedrohungsängste bei Georgiern <strong>und</strong> Abchasen wider. So sind es überwiegend<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

34


abchasische Teilnehmer, welche im Dialogprozess immer wieder Beispiele für von ihnen als<br />

aggressiv wahrgenommen Äußerungen anführen. Die Fähigkeit, eine Interpretation aus der<br />

abchasischen Perspektive vorzunehmen <strong>und</strong> folglich abchasische Interpretationsmuster<br />

antizipieren zu können, ist auf georgischer Seite nur sehr bedingt vorhanden. Konfrontiert<br />

mit abchasischen Interpretationen reagieren georgische Teilnehmer oftmals mit<br />

Überraschung, Irritation <strong>und</strong> Unverständnis. 48<br />

Oft liegt in den unterschiedlichen Interpretationen der Konfliktparteien über die<br />

tatsächlichen Konfliktgegenstände selbst ein wesentliches Konfliktpotential verborgen: hier<br />

werden „Konflikte über den Konflikt“ ausgetragen.<br />

Konflikt über den Konflikt: Beispiel Aceh<br />

Im Rahmen der Konfliktanalyse zu Aceh/Indonesien wurden die unterschiedlichen Interpretationen<br />

der Konfliktursachen durch die Konfliktakteure explizit gemacht:<br />

„As with many internal conflicts, identifying key causes of the conflict is fraught with controversy.<br />

For many Acehnese nationalists, especially those in GAM, the conflict is essentially about identity.<br />

They say it involves a “rediscovery” of an ancient Acehnese nationhood and a struggle for selfdetermination.<br />

For many other observers, including those from the Government of Indonesia (GOI),<br />

the conflict arises due to particular grievances in Acehnese society about economic, human rights,<br />

religious and other issues. Acehnese nationalists are apt to downplay grievances (except insofar that<br />

they, in their view, typify the “colonial” nature of Indonesian control) and instead emphasize what<br />

they see as f<strong>und</strong>amental incompatibilities between Aceh and the Indonesian state. Supporters of the<br />

GOI downplay identity, instead pointing to grievances that (at least in theory) are amenable to<br />

resolution by way of technical policy adjustments. In fact, identity and grievance aspects of the<br />

conflict are inter-linked and mutually reinforcing.”<br />

Kybernetische Modelle der Systemanalyse<br />

Ein konzeptionell <strong>und</strong> methodisch interessanter Versuch, die Komplexität von Systemen zu<br />

reduzieren <strong>und</strong> nicht-lineare Ursache-Wirkungsketten im Rahmen von Steuerungs- <strong>und</strong><br />

Planungsprozessen zu berücksichtigen, findet sich in kybernetischen Systemanalysen, wie sie<br />

vor allem von Frederic Vester entwickelt wurden. 49 Als Planungsinstrument für<br />

privatwirtschaftliche Unternehmen <strong>und</strong> die Entwicklungszusammenarbeit wurde diese<br />

Methode unter dem Namen SINFONIE von der Beratungsorganisation „Denkmodell“<br />

weiterentwickelt. 50 Die Schweizer Entwicklungszusammenarbeit hat einen ähnlichen Ansatz<br />

für partizipative Systemanalysen entwickelt. 51<br />

Diese Analysemethode kann zwar nur eine begrenzte Anzahl von Faktoren sinnvoll<br />

berücksichtigen. Gleichwohl bietet sie die Möglichkeit an, Systeme zu visualisieren <strong>und</strong> der<br />

weiteren Interpretation zugänglich zu machen. Die Gr<strong>und</strong>schritte mit den drei wesentlichen<br />

Visualisierungsmethoden sollen deshalb kurz dargestellt werden:<br />

• Einflussmatrix<br />

• Wirkgefüge<br />

• Achsenschema<br />

48 Die Analyse der Kommunikationsmuster ist ein direkter Beitrag für die Schaffung eines verbesserten politischen<br />

Klimas, in welchem Verhandlungen überhaupt erst denkbar werden können. Die facilitators können so weit gehen,<br />

konkrete Handlungsempfehlungen für Politiker, z.B. den Präsidenten, in Kleingruppen erarbeiten zu lassen, um<br />

die Kommunikation in der Zukunft qualitativ zu verbessern.<br />

49 Vgl. Frederic Vester: Die Kunst vernetzt zu denken. Ideen <strong>und</strong> Werkzeuge für einen neuen Umgang mit<br />

Komplexität (Bericht an den Club of Rome), München: DTV 2002.<br />

50 SINFONIE: „<strong>Systemische</strong> Interpretation für Organisationen <strong>und</strong> Netzwerke in Entwicklungsprozessen“<br />

51 Karl Herweg <strong>und</strong> Kurt Steiner: Impact Monitoring & Assessment. Instruments for Use in Rural Development<br />

Projects with a Focus on Sustainable Land Management (2 Vols.), CDE & GTZ 2002.<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

35


Der kybernetischen Systemanalyse geht es explizit darum, Elemente eines Systems – bzw.<br />

spezifische Eigenschaften (Faktoren) dieser Elemente – zueinander in Beziehung zu setzen<br />

<strong>und</strong> deren Wechselwirkungen zu berücksichtigen. Die Faktoren selbst können bspw. aus<br />

einem mind-mapping oder einer Stärken-Schwächen Analyse gewonnen werden, sollten aber<br />

in ihrer Anzahl begrenzt bleiben.<br />

Zur Erstellung einer Einflussmatrix werden alle Faktoren miteinander in Beziehung gesetzt<br />

<strong>und</strong> die Stärke der Beziehung (von 0-3) ermittelt, indem jeweils gefragt wird: Wie wirkt sich<br />

Faktor X auf Faktor Y aus? Dabei steht „0“ für keinen Einfluss, „1“ für schwachen Einfluss, „2“<br />

für mittleren <strong>und</strong> „3“ für starken Einfluss.<br />

Faktor A<br />

Faktor B<br />

Faktor C<br />

Faktor D<br />

Faktor E<br />

Etc......<br />

Einflussmatrix<br />

Faktor A Faktor B Faktor C Faktor D Faktor E<br />

Passivsummen (Der Einfluss der Faktoren auf Faktor X)<br />

Aktivsumme<br />

(Der Einfluß<br />

des Faktors<br />

X auf die<br />

anderen<br />

Faktoren)<br />

In einem weiteren Schritt können diese Beziehungen in einem Wirkgefüge dargestellt<br />

werden. Dies erlaubt eine erste Interpretation von zirkulären Kreisläufen <strong>und</strong><br />

Rückkoppelungsschleifen im System. Damit das Wirkgefüge nicht überfrachtet wird, kann es<br />

sinnvoll sein , nur die Beziehungen der Einflussstärken 2 <strong>und</strong> 3 darzustellen. Es können<br />

Hypothesen über Wirkungsketten getestet werden <strong>und</strong> es ist möglich, im System „spazieren<br />

zu gehen“.<br />

Wirkgefüge<br />

Zur Visualisierung kann auch ein Achsenschema erstellt werden, das auf den Aktiv- <strong>und</strong><br />

Passivwerten der Faktoren basiert. Die Aktiv- <strong>und</strong> Passivwerte können der Einflussmatrix<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

36


entnommen werden <strong>und</strong> kennzeichnen den Grad, in dem sich Faktoren auf die anderen<br />

Faktoren des Systems auswirken (aktiver Einfluss) bzw. selber von anderen Faktoren<br />

beeinflusst werden (passiver Einfluss). Das Achsenschema gibt einen Überblick über die i)<br />

besonders aktiven, ii) die besonders passiven, iii) die kritischen (sowohl aktiv als auch passiv)<br />

<strong>und</strong> die trägen (weder besonders aktiv, noch besonders passiv) Faktoren. Alle diese Faktoren<br />

nehmen hinsichtlich der Dynamik, Sensibilität <strong>und</strong> Stabilität von Systemen eine jeweils<br />

wichtige Funktion wahr.<br />

Die Begrenzung der Faktorenzahl setzt dieser Methode allerdings Grenzen, so dass sie vor<br />

allem zur Analyse von Teilsystemen geeignet scheint bzw. für eine Gesamtanalyse eine Reihe<br />

von aufeinander aufbauenden Analyseworkshops benötigte, was allerdings viele Zeit- <strong>und</strong><br />

Humanressourcen binden würde.<br />

Berücksichtigung von Widerständen<br />

Ein unorthodoxer Zugang zur Systemanalyse liegt in der Berücksichtigung von Widerständen.<br />

Da diese auf die Tiefenstruktur von Konfliktsystemen verweisen, stellen sie einen<br />

interessanten Zugang für systemische Analysen <strong>und</strong> die Identifikation von Ansatzpunkten für<br />

Veränderungsprozesse dar. Der Begriff „Widerstand“ wird in der psychoanalytischen<br />

Psychotherapie für eine Abneigung gegen die Bewusstmachung unbewusster psychischer<br />

Inhalte verwendet <strong>und</strong> wurde von Sigm<strong>und</strong> Freud <strong>und</strong> von seiner Tochter Anna Freud geprägt<br />

bzw. weiter ausgestaltet. Im Rahmen der Sozialpsychologie setzte sich u.a. Alexander<br />

Mitscherlich mit individuellen <strong>und</strong> kollektiven Abwehrhaltungen <strong>und</strong> Widerständen<br />

auseinander. 52<br />

Widerstände weisen in der Regel ein hohes Energiepotential auf, sind also sehr dynamisch<br />

<strong>und</strong> oft emotional hochgradig aufgeladen. Dementsprechend kann die Arbeit an <strong>und</strong> mit<br />

Widerständen auch viel Veränderungspotential freisetzen. Widerstände entstehen oftmals<br />

aus der Angst heraus, vertraute Gewohnheiten zu verlieren. Die Funktion der Affekte besteht<br />

in diesem Augenblick darin, das Unbekannte <strong>und</strong> Fremde abzuwehren <strong>und</strong> ein kollektives<br />

Identitätsgefühl zu erzeugen. D.h. Widerstände entstehen nicht nur aus Interessenkonflikten,<br />

sondern auch aus emotionalen Bedürfnissen des menschlichen Gruppenlebens.<br />

Widerstand in dieser Form dient der Verteidigung einer kollektiven Identität 53 <strong>und</strong><br />

gleichzeitig einer Fixierung der gesetzten Systemgrenzen, die dem Menschen Halt <strong>und</strong><br />

Sicherheit zu geben scheinen.<br />

Veränderungsprozesse können die Dynamik von Widerständen nutzen, müssen aber<br />

behutsam sein. Die Offenlegung <strong>und</strong> Reflexion der hinter den Widerständen verborgenen<br />

Ängste ist notwendig sowie der Strukturen <strong>und</strong> Muster in denen sich diese niederschlagen.<br />

Mitscherlich betont die Notwendigkeit, ein kritisches Bewusstsein der eigenen Kultur zu<br />

entwickeln, um zu verdeutlichen, dass menschliche Ordnungen <strong>und</strong> soziale Werte relativ sind<br />

<strong>und</strong> um intrapersonale Widerstände abzubauen, so dass Fremdem mit Offenheit begegnet<br />

wird, da es das „Bedrohliche“ verliert. 54 Ähnlich wie Widerstände können auch Tabuthemen<br />

energetisch sehr aufgeladen sein <strong>und</strong> bei Teilen des Systems heftige Reaktionen auslösen <strong>und</strong><br />

damit ggf. auf Lösungsmöglichkeiten hinweisen (so sei an die Tabuthemen<br />

Verfassungsreform in Nepal, Föderalismus in Sri Lanka erinnert).<br />

Anknüpfungspunkte für die Friedensförderung können beispielsweise darin bestehen, „tiefe“<br />

Strukturen der Identitäts- <strong>und</strong> Geschlechterkonstruktion auszuloten <strong>und</strong> deren<br />

52 Vgl. Sigm<strong>und</strong> Freud: Erinnern, Wiederholen <strong>und</strong> Durcharbeiten; in: Ders.: Studienausgabe Ergänzungsband,<br />

Frankfurt/M.: S. Fischer 1975, S.205-215; Anna Freud: Das Ich <strong>und</strong> die Abwehrmechanismen, Frankfurt/M.: Fischer<br />

1984; Alexander Mitscherlich: Auf dem Weg zur vaterlosen Gesellschaft, München: Piper 1963.<br />

53 Vgl. Mitscherlich 1963, S. 39.<br />

54 Vgl. Mitscherlich 1963, S. 40.<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

37


Funktion/Rolle im Konflikt zu hinterfragen. So können Dialogformate helfen, die Mythen,<br />

zentralen Narrative <strong>und</strong> Symboliken der jeweiligen Geschichtskonstruktion der beteiligten<br />

Gruppen zu thematisieren <strong>und</strong> damit auch Anknüpfungspunkte für den Umgang mit<br />

kollektiven Widerständen <strong>und</strong> Tabuthemen zu identifizieren. So gibt es bspw. insbesondere<br />

im primär Theravada-buddhistisch geprägten Süden von Sri Lanka gegenwärtig noch<br />

erhebliche Widerstände gegen den Begriff „Föderalismus“. Insofern als es sich dabei um die<br />

Abwehr einer genuinen Machtteilung handelt, ist dieser Widerstand verständlich <strong>und</strong> bedarf<br />

einer politischen Bearbeitung. Er wurzelt aber auch in kulturell-religiösen Tiefenstrukturen,<br />

die auf andere Weise angesprochen werden müssen, so dass es nötig sein könnte, äquivalente<br />

“Ressourcen” im kulturell-religiösen Erbe des Landes zu erschließen.<br />

Auf der anderen Seite existieren Widerstände gegen Veränderungsprozesse, die sich aus der<br />

Angst vor dem Verlust von Sicherheit, Macht, Ressourcen, Wohlstand, Identität oder vor<br />

Veränderung überhaupt speisen. Diese Widerstände sind aus dem Veränderungsmanagement<br />

in Organisationen bekannt, treten aber auch in der Friedensförderung auf. In der Regel<br />

bestehen gleichzeitig auch Kräfte, welche die Veränderung befürworten <strong>und</strong> sie unterstützen.<br />

Wenn ein Berater oder eine kleine Gruppe einen Veränderungsprozess anstoßen will, tut<br />

er/sie daher gut daran, im voraus auszuloten, welche Teile des Systems diesen Prozess<br />

unterstützen <strong>und</strong> von wem <strong>und</strong> warum Widerstände zu erwarten sind. Ein solches Vorgehen<br />

kann dazu genutzt werden, zwischen mehreren möglichen Veränderungsstrategien diejenige<br />

auszuwählen, die am erfolgversprechendsten zu sein scheint, da sie die breiteste<br />

Unterstützung hat <strong>und</strong> die geringsten Widerstände hervorruft. Wo eine derartige Auswahl<br />

nicht möglich ist, bleibt eine Kenntnis der unterstützenden <strong>und</strong> widerständigen Kräfte<br />

dennoch sinnvoll, um mit den ersteren Allianzen aufzubauen <strong>und</strong> die Ursachen der<br />

Widerstände gezielt zu bearbeiten bzw. deren Blockade zu umgehen. Hierzu bietet sich das<br />

Instrument der Kraftfeldanalyse (force field analysis) von Kurt Lewin an. 55 Im Bereich der<br />

systemischen <strong>Konflikttransformation</strong> lässt sich die Kraftfeldanalyse auf zwei Ebenen<br />

einsetzen:<br />

• Abschätzung der Erfolgschancen einer geplante Intervention;<br />

• Abschätzung der Unterstützung <strong>und</strong> der Widerstände, die eine bestimmte Form der<br />

Konfliktbeilegung (z.B. Punkte der Verhandlungsagenda) zu erwarten hat.<br />

5.2 <strong>Systemische</strong> Interventionsplanung<br />

In diesem Unterkapitel geht es um Reduktion <strong>und</strong> Vereinfachung. Die systemische<br />

<strong>Konflikttransformation</strong> hält dazu an, Strategien <strong>und</strong> Arbeitshypothesen bezüglich geeigneter<br />

Anknüpfungspunkte <strong>und</strong> Interventionshebel zu entwickeln. Darüber hinaus werden Methoden flexibler<br />

Projektplanung vorgestellt <strong>und</strong> abschließend Monitoring <strong>und</strong> Evaluation systemisch angelegter<br />

Interventionen thematisiert.<br />

Eine der zentralen Herausforderungen in der Praxis der Friedensförderung besteht darin, aus<br />

den Erkenntnissen von notwendigerweise umfangreichen Konfliktanalysen konkrete<br />

Maßnahmen abzuleiten, die der Komplexität des Konfliktsystems gerecht werden <strong>und</strong> die<br />

wirksam sind, also einen wirklichen Unterschied machen. Hier schließen sich die Fragen an,<br />

wie die relevanten Hebel der <strong>Konflikttransformation</strong> identifiziert werden <strong>und</strong> wie<br />

unterschiedliche Aktivitäten auf unterschiedlichen tracks strategisch miteinander verknüpft<br />

werden können. Wie können Unterstützungsmaßnahmen sinnvoll sequenziert werden? Und<br />

wie kann die hohe Dynamik politischer Konflikte in der Projektplanung <strong>und</strong> Durchführung<br />

aufgegriffen werden? Nicht zuletzt spielt hier auch die Frage nach der Messbarkeit der<br />

Wirkungen von Maßnahmen der <strong>Konflikttransformation</strong> eine Rolle.<br />

55 Kurt Lewin: Field Theory in Social Science (Ed. Dorwin Cartwright), New York: Harper & Brothers 1951.<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

38


Wir wollen nicht suggerieren, dass die systemische <strong>Konflikttransformation</strong> hier bereits fertige<br />

oder abschließende Antworten auf diese Fragen anbieten kann. Es ist jedoch möglich, eine<br />

Reihe von konzeptionellen Erwägungen, Prinzipien <strong>und</strong> Methoden aus der Praxiserfahrung<br />

des Berghof Zentrums <strong>und</strong> aus der systemischen Beratungspraxis anderer Disziplinen<br />

abzuleiten, die u. E. einen wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung des Feldes leisten. Dabei<br />

wollen wir hier vor allem auf die folgenden Bereiche eingehen:<br />

• Zieldefinition <strong>und</strong> Strategie;<br />

• Hypothesengewinnung zu „neuralgischen Punkten“ <strong>und</strong> Hebeln der systemischen<br />

<strong>Konflikttransformation</strong>;<br />

• Prozessarchitektur <strong>und</strong> flexible Planung;<br />

• Monitoring <strong>und</strong> assessment.<br />

Zieldefinition <strong>und</strong> Strategie<br />

Die Definition von konkreten Zielen der systemischen <strong>Konflikttransformation</strong> als auch die<br />

Wahl einer sinnvollen <strong>und</strong> effektiven Strategie hängen (wie auch bei „orthodoxen“<br />

Interventionen) von mindestens drei Faktorenbündeln ab:<br />

• inhaltlichen Erwägungen: „Was am System sollte wie geändert werden?“<br />

• konzeptionellen Erwägungen: „Wodurch? Welche Interventionshebel können wir<br />

identifizieren?“<br />

• pragmatische Erwägungen: „Welchen Zugang zu den Konfliktparteien haben wir?<br />

Welche finanziellen, zeitlichen <strong>und</strong> personalen Ressourcen stehen zur Verfügung?“<br />

Da auf den letzten Punkt näher in Kapitel 6 eingegangen wird, sollen im folgenden vor allem<br />

die inhaltlich-konzeptionellen Fragen der Interventionsplanung thematisiert werden.<br />

Wie bereits in Kap. 3 ausgeführt, verfolgt die systemische <strong>Konflikttransformation</strong> das explizite<br />

Ziel, in Gewaltkonflikten zur Reduzierung von Gewalt beizutragen <strong>und</strong> durch die Aktivierung<br />

von systemeigenen Ressourcen zum Aufbau oder zur Stärkung von Unterstützungssystemen<br />

für den dazu notwendigen politischen <strong>und</strong> sozialen Wandel hin zu einer gerechten <strong>und</strong><br />

friedlichen Gesellschaft beizutragen. Zu diesem Zweck sollen insbesondere einheimische<br />

Schlüsselakteure <strong>und</strong> Institutionen dazu befähigt werden, Formen <strong>und</strong> Prozesse von Macht-<br />

<strong>und</strong> Ressourcenteilung zu identifizieren <strong>und</strong> zu implementieren.<br />

Im Einzelfall wird diese Zieldefinition situativ <strong>und</strong> kontextbezogen definiert werden müssen.<br />

Dabei ist vor allem wichtig, dass dies in höchstmöglichem Maße in Abstimmung <strong>und</strong><br />

Kooperation mit einheimische Partnerorganisationen <strong>und</strong> Schlüsselakteuren geschieht.<br />

Zudem sollte im systemischen Sinne klar definiert werden, welches System adressiert werden<br />

soll („welche Akteure, welche Themenbereiche werden einbezogen <strong>und</strong> welche nicht?“). Des<br />

weiteren ist für eine effektive <strong>und</strong> partnerschaftliche Zusammenarbeit mit einheimischen<br />

<strong>und</strong> internationalen Akteuren äußerst wichtig, die Zielsetzungen, strategischen<br />

Gr<strong>und</strong>annahmen <strong>und</strong> die expliziten Wirkungsannahmen des Projekts soweit wie aus<br />

Opportunitätsgründen möglich transparent zu machen. Dazu gehören auch eine klare<br />

Positionierung der eigenen normativen <strong>und</strong> ideologischen Wert- <strong>und</strong> Ordnungsvorstellungen.<br />

Erst eine Offenlegung der zentralen strategischen Annahmen erlaubt eine sinnvolle<br />

Arbeitsteilung. Zudem werden durch Hinterfragen <strong>und</strong> Anpassen der strategischen<br />

Annahmen wichtige Lerneffekte erzielt.<br />

Die Arbeit des Resource Network for Conflict Studies and Transformation in Sri Lanka stützt<br />

sich bspw. auf die strategische Hypothese, dass es für eine <strong>Konflikttransformation</strong> im Land in<br />

hohem Maße relevant ist Partner, Verstärker <strong>und</strong> Vermittler von Veränderungsprozessen<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

39


innerhalb der politischen Elite zu identifizieren <strong>und</strong> zu unterstützen. Agents of peaceful<br />

change (vgl. dazu ausführlicher in Kap. 5.4) können als strategisch gut platzierte Advokaten<br />

eine extrem wichtige Multiplikatorenfunktion ausüben <strong>und</strong> zur Nachhaltigkeit der<br />

Maßnahmen beitragen.<br />

Bevor im folgenden einige Anregungen zur Identifikation einer geeigneten Strategie der<br />

systemischen <strong>Konflikttransformation</strong> angeboten werden, sollen aber kurz vier gr<strong>und</strong>legende<br />

Prinzipien umrissen werden, die als Leitrahmen für die strategische Ausrichtung von<br />

Interventionen fungieren:<br />

1. Notwendigkeit einer auf Komplementarität <strong>und</strong> Subsidiarität beruhenden<br />

Vorgehensweise: Eine ergänzende <strong>und</strong> unterstützende Arbeit kann nur geleistet<br />

werden, wenn die friedensfördernden Aktivitäten einheimischer <strong>und</strong> internationaler<br />

Akteure hinreichend berücksichtigt werden. Es ist in hohem Maße kontraproduktiv,<br />

wenn neue Maßnahmen der <strong>Konflikttransformation</strong> bestehende Aktivitäten<br />

ignorieren oder gar ersetzen; sie sollten im Gegenteil auf diesen aufbauen, sie<br />

ergänzen <strong>und</strong> komparative Vorteile nutzen.<br />

2. Notwendigkeit, Interventionsmaßnahmen <strong>und</strong> Zielsetzungen situativ <strong>und</strong><br />

kontextabhängig zu planen. Auf die Prinzipien der Inklusivität sowie von multi-track<br />

<strong>und</strong> multi-issue Ansätzen wird in Kap. 5.3 –5.5 Bezug genommen.<br />

3. Notwendigkeit der Betonung der Prozesshaftigkeit von Interventionen. Wie alle<br />

zielgerichteten Bemühungen sozialen Wandels <strong>und</strong> Lernens ist wirksame<br />

Konfliktbearbeitung auf einen längerfristigen <strong>und</strong> wohl strukturierten Prozess des<br />

Engagements mit einer zumindest in ihrem Kern kontinuierlichen Personengruppe<br />

angewiesen. Der Mangel an solchen Prozessen ist bislang eine der größten <strong>und</strong><br />

trivialsten Schwächen der zivilen Konfliktbearbeitung. Zu häufig werden Trainings,<br />

Studiengruppen, Dialogseminare <strong>und</strong> thematische Workshops immer noch ohne eine<br />

hinreichende Sicherung des follow up, des Transfers, der Teilnehmervernetzung, der<br />

Wiederholung <strong>und</strong> Überprüfung durchgeführt.<br />

4. Notwendigkeit der Berücksichtigung aller drei Dimensionen: i) die Arbeit mit den<br />

zentralen Konfliktakteuren, ii) Unterstützung bei der Generierung sachbezogener<br />

Lösungen <strong>und</strong> iii) prozessorientiertes Vorgehen.<br />

„Dreiklang“ der Intervention<br />

Themen<br />

Prozess Akteure<br />

Hypothesengewinnung zu „neuralgischen Punkten“ <strong>und</strong> Hebeln der systemischen<br />

<strong>Konflikttransformation</strong><br />

Eine Reihe von Vorgehensweisen ermöglicht es, sinnvolle Strategien zu identifizieren <strong>und</strong><br />

neuralgische Punkte im Konfliktsystem zu entdecken, an denen mit relativ geringem<br />

Kraftaufwand größtmögliche Wirkungen erzielt werden können:<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

40


Subjektiv-intuitive Interpretation<br />

Einheimische Akteure aber auch ausgewiesene Länderexperten haben in der Regel ein<br />

intuitives Wissen <strong>und</strong> gutes Gespür für neuralgische Punkte <strong>und</strong> effektive Hebel. Diese<br />

intuitiven Annahmen können als Einstieg in die weitere Präzisierung <strong>und</strong> Ausarbeitung<br />

strategischer Ansatzpunkte genutzt werden.<br />

„Lösungen lauern überall“ – zur Nutzung systemeigener Ressourcen<br />

<strong>Systemische</strong> Konfliktbearbeitung geht davon aus, dass soziale <strong>und</strong> politische Systeme über<br />

erhebliche Ressourcen der Anpassung <strong>und</strong> Veränderung verfügen. Im Fall destruktiver <strong>und</strong><br />

pathologischer Schleifen innerhalb des Systems ist es deshalb lohnenswert, nach<br />

systemeigenen Ressourcen Ausschau zu halten, die zur Transformation eben dieser<br />

Mechanismen beitragen könnten. Damit wird der Versuchung entgegengewirkt, die Lösung<br />

primär in der Mobilisierung von Ressourcen von außen zu sehen.<br />

Identifikation von besonders aktiven Faktoren des Wandels<br />

Im Rahmen der in Kap. 5.1 vorgestellten Analyse- <strong>und</strong> Planungsmethoden der Kybernetiker<br />

um Frederic Vester können tools wie das Achsenschema dazu genutzt werden, um aus einer<br />

Gruppe von Faktoren die passiven, trägen als auch aktiven Faktoren zu ermitteln. Als<br />

interessante Hebelpunkte für Wandlungsprozesse gelten vor allem die aktiven Faktoren, die<br />

einen hohen Einfluss auf das System ausüben, aber relativ unempfindlich für<br />

Beeinflussungen aus dem Systems selbst sind.<br />

„Zuviel Druck erzeugt Gegendruck“<br />

Viele Veränderungsprozesse fallen nach scheinbaren Anfangserfolgen wieder deutlich in<br />

Richtung der Ausgangsposition zurück, wie viele Alltagserfahrungen mit Reformprozessen in<br />

Staat <strong>und</strong> Unternehmen gut bezeugen. Das System reproduziert „bewährte“ Routinen <strong>und</strong><br />

Strukturen – schlägt gegebenenfalls zurück. Anstelle den weit verbreiteten Fehler zu<br />

wiederholen, bei positiven Entwicklungen den Input zu erhöhen (<strong>und</strong> damit Gegenreaktionen<br />

zu provozieren) ist es deshalb besser, mehrere sanfte Druckstellen zu identifizieren.<br />

Wechsel <strong>und</strong> Abgleich unterschiedlicher Perspektiven<br />

Wie in Kap. 5.1 dargestellt können auch der Abgleich unterschiedlicher Perspektiven der<br />

Konfliktakteure sowie der Wechsel von Vogel- <strong>und</strong> Froschperspektive dazu beitragen,<br />

Hypothesen über sinnvolle Interventionshebel zu generieren bzw. Hypothesen zu vertiefen.<br />

Auch die Frage von Widerständen kann hier auf hoch sensible Druckpunkte verweisen, die<br />

dann allerdings nur mit größter Vorsicht genutzt werden können.<br />

Weitere Instrumente zur Strategischen Planung: Szenario-Analysen<br />

Strategische Planungen können auch auf einer Szenario-Analyse beruhen. Interessant an<br />

einer Szenario Analyse ist die hohe Anschlussfähigkeit an systemische Konfliktanalysen <strong>und</strong><br />

die Möglichkeit, gemeinsam mit einheimischen <strong>und</strong> internationalen Schlüsselakteuren<br />

unterschiedliche Projektionen möglicher zukünftiger Entwicklungen zu diskutieren. Die<br />

dabei identifizierten Entwicklungskorridore können hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit <strong>und</strong><br />

(in den Augen der beteiligten Analysten) Wünschbarkeit ihres Eintretens gewertet werden <strong>und</strong><br />

dann die notwendigen strategischen Schritte identifiziert werden, die nötig wären, um die<br />

Realisierungschancen der „erwünschten“ Szenarien zu erhöhen.<br />

Aus Erfahrungen mit Szenario-Analysen 56 (unter anderem in Sri Lanka, siehe unten), lassen<br />

sich folgende lessons learned ziehen:<br />

56 Vgl. Adam Kahane: The Mont Fleur Scenarios, Global Business Network, 1999; Jonathan N. Maack: Scenario<br />

Analysis: A Tool for Task Managers. World Bank PSIA Tools and Methods (download); Kees van der Heijden:<br />

Scenarios. The Art of Strategic Conversation, Chichester: John Wiley & Sons 1996.<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

41


1. Die Szenarien Erstellung sollte nicht in einem einzelnem Workshop durchgeführt<br />

werden, sondern benötigt einen längeren Zeithorizont für das brainstorming, die<br />

Szenarien-Erstellung <strong>und</strong> die Ableitung strategischer Entscheidungen sowie deren<br />

Implementierung;<br />

2. Die Szenario-Analyse ist am ergiebigsten, wenn sie von einem gemischten Team von<br />

externen Entscheidungsträgern <strong>und</strong> Vertretern der Konfliktparteien durchgeführt<br />

wird;<br />

3. Eine gutes Szenario zeichnet folgendes aus: Plausibel für eine hinreichende Anzahl<br />

von Entscheidungsträgern; in sich konsistent; an die Gegenwart anknüpft;<br />

herausfordernd in dem Sinne ist, dass neue <strong>und</strong> inspirierende Elemente auftauchen.<br />

Szenario-Analyse in Sri Lanka<br />

Im Frühjahr 2004 beauftragte die donor working group in Sri Lanka den Conflict Research Unit des<br />

Clingendael Instituts damit, einen Szenario-Analyse Workshop durchzuführen, um die Geber in die<br />

Situation zu versetzen, ein gemeinsames Verständnis zukünftiger Trends zu entwickeln sowie<br />

Möglichkeiten <strong>und</strong> Risiken des Monitorings des Friedensprozesses besser einschätzen zu können.<br />

Im Juni 2004 wurde der Workshop mit Unterstützung der Berghof Stiftung für 2 Tage durchgeführt.<br />

Es nahmen 25 Teilnehmer von bi- <strong>und</strong> multilateralen Geberorganisationen <strong>und</strong> Botschaften teil.<br />

Während des Workshops wurden folgende Schritte durchgeführt:<br />

• Einführung in die Szenario Planung;<br />

• Definition relevanter Faktoren zur Beschreibung von Frieden in Sri Lanka;<br />

• Brainstorming bezüglich möglicher Faktoren, die den zukünftigen Verlauf des<br />

Friedensprozesses beeinflussen könnten;<br />

• Auswahl der für die Szenario-Erstellung relevanten Faktoren;<br />

• Aufteilung in Arbeitsgruppen um die Szenarien zu beschreiben; anschließend Präsentation im<br />

Plenum;<br />

• Ausarbeitung der Szenarios <strong>und</strong> Vorbereitung der Szenario-Geschichte in den Gruppen;<br />

• Diskussion der Geschichten im Plenum;<br />

• Bewertung der Szenarios hinsichtlich ihrer Nützlichkeit für das Monitoring von Fortschritten<br />

im Friedensprozess.<br />

Ergebnisse: Während der brainstorming Einheit stellten die Teilnehmer eine Liste von relevanten<br />

Faktoren zusammen, aus denen sie die Variablen „in/exclusive nation“ <strong>und</strong> „level of consensus<br />

building“ für die Erstellung der Szenarien auswählten. Zusätzlich zu den 4 erstellten Szenarien 1. “de<br />

facto split”, 2. “relative autonomy”, 3. “a federal ceylon” <strong>und</strong> 4. “conceded autonomy” entwickelten<br />

sie ein 5. Szenario: “resorting into intense military conflict”. Aus diesen Szenarien konnte eine Liste<br />

von Schlüsselfaktoren für die zukünftige Entwicklung Sri Lankas abgeleitet werden <strong>und</strong><br />

Möglichkeiten des Monitorings diskutiert werden.<br />

Inclusive process<br />

Relative Federal<br />

autonomy Ceylon<br />

Excl. nation Incl. nation<br />

De-facto split / Conceded<br />

War autonomy<br />

Exclusive process<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

42


Prozessarchitektur <strong>und</strong> flexible Planung<br />

Ein verbreitetes Bild zur Veranschaulichung von systemischen Ansätzen ist das der<br />

Interventionsarchitektur. In Anlehnung an Königswieser/Exner 57 bietet es sich für diesen<br />

Zweck besonders an, weil ähnlich wie ein guter Architekt Räume <strong>und</strong> Fixpunkte für ein<br />

geschütztes, funktionales, kreatives oder wie auch immer erfülltes Leben in allen seinen<br />

Aspekten schafft, es auch bei der systemischen Intervention darum geht,<br />

Rahmenbedingungen zu schaffen, die einen konstruktiven Prozess der Neugestaltung <strong>und</strong><br />

Veränderung des Zusammenlebens von Menschen ermöglichen.<br />

Die Architekturmetapher bietet außerdem noch drei andere Merkmale an, die<br />

charakteristische Merkmale systemischer Konfliktinterventionen ins Bild setzen: Architekten<br />

helfen den Bauherren (= stakeholders eines Konflikts) für eine begrenzte Zeit beim Neu- oder<br />

Umbau eines Gebäudes (= Neugestaltung ihrer Beziehungen). Für einen soliden Bau brauchen<br />

Architekten <strong>und</strong> Bauherren einen sorgfältig geplanten <strong>und</strong> gleichwohl oft von vielen<br />

Schwierigkeiten gekennzeichneten gemeinsamen Arbeitsprozess von der Abwägung diverser<br />

Pläne bis zur Abnahme eines gelungenen Werkes. Schließlich bedeutet Architektur immer die<br />

Entscheidung über Alternativen.<br />

Übersetzt man die Konfliktbearbeitung vollständig in dieses Bild, wird freilich auch<br />

augenfällig, welch f<strong>und</strong>amentale Herausforderung viele Konflikte darstellen. Es ist, als ob ein<br />

Architekt bzw. ein Architektenteam mit einer Gruppe von Bauherren konfrontiert wird, die<br />

gemeinsam ein Haus erstellen müssen, jedoch höchst unterschiedliche Vorstellung über die<br />

Gestalt des Bauwerkes haben <strong>und</strong> auch darüber, wer welches Mitspracherecht bei der<br />

Entscheidung über dieses Bauwerk haben sollte. Für die systemische <strong>Konflikttransformation</strong><br />

ist deshalb ein Planungsinstrument nötig, das über das Instrument des<br />

“Architekturdiagramms” 58 hinaus, stärker auf die Prozesshaftigkeit der Interventionen<br />

eingeht, benötigt wird ein Instrument der „Prozessarchitektur“.<br />

So hilfreich Überblicksdiagramme sein können, so sehr ist freilich auch davor zu warnen, in<br />

der Vielfalt der parallel zueinander benutzten Methoden bereits den entscheidenden<br />

Schlüssel der <strong>Konflikttransformation</strong> zu sehen. In dieser Hinsicht ist es sinnvoll, immer<br />

wieder an den Ausgangspunkt systemischen Denkens angesichts der Komplexität sozialen<br />

Wandels zu erinnern. John Paul Lederach hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen,<br />

dass die Essenz erfolgreicher Konfliktbearbeitung vermutlich nicht in der Perfektionierung<br />

des social engineering zu finden ist, sondern eher in der zugleich wesentlich<br />

anspruchsvolleren wie wesentlich einfacheren Fähigkeit der moral imagination. Diese<br />

umschreibt er als “the capacity to imagine something rooted in the challenges of the real<br />

world yet capable of giving birth to that which does not yet exist”. 59<br />

Die oftmals hohe politische Dynamik von Konfliktsystemen <strong>und</strong> der Versuch von Dritt-<br />

Parteien, Zugänge zu den Konfliktparteien zu bekommen <strong>und</strong> Möglichkeiten für<br />

konstruktiven Austausch <strong>und</strong> Dialog zu schaffen, erfordern zudem einen flexiblen<br />

Planungsrahmen. Dieser soll einerseits die Langfristigkeit <strong>und</strong> Stetigkeit des Engagements<br />

<strong>und</strong> der damit identifizierten Zielsetzungen gewähren, aber andererseits auch die Möglichkeit<br />

offen lassen, Aktivitäten aufgr<strong>und</strong> veränderter Realitäten anpassen bzw. neu initiieren zu<br />

können. Die inhärente Spannung zwischen der Kontinuität des Engagements <strong>und</strong> der<br />

notwendigen Flexibilität zur Nutzung politischer Opportunitäten setzt hohe Ansprüche an ein<br />

Planungsinstrumentarium.<br />

57 Roswita Königswieser & Alexander Exner: <strong>Systemische</strong> Intervention. Architekturen <strong>und</strong> Designs für berater <strong>und</strong><br />

Veränderungsmanager, Stuttgart: Klett Cotta 2004.<br />

58 Königswieser/Exner 2004, S. 58.<br />

59 Lederach 2005, a.a.O., S. 29.<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

43


In einem strategischen Planungsrahmen sollten deshalb für die einzelnen<br />

Programmkomponenten langfristige Ziele formuliert <strong>und</strong> gleichzeitig Raum für eine Vielzahl<br />

von Aktivitäten („Aktivitätenkorridor“) offengehalten werden. Solange sich Maßnahmen der<br />

Friedensförderung einzelner Organisationen vorrangig auf einen Schwerpunktbereich<br />

begrenzen, ist ein solches Vorgehen ausreichend. Wenn aber versucht wird, unterschiedliche<br />

Bereiche wie die Arbeit auf der politischen-inhaltlichen Ebene (z.B. Prozessunterstützung),<br />

der Beziehungsebene zwischen den Konfliktparteien ( z.B. problem-solving, Kommunikation,<br />

Versöhnung) <strong>und</strong> der strukturellen Ebene (z.B. capacity building) zu verzahnen, ist ein<br />

komplexeres Planungsinstrument notwendig, wie z.B. das strategic framework des Resource<br />

Network for Conflict Studies and Transformation in Sri Lanka:<br />

Im Rahmen des RNCST Projekts wurde im Juni 2003 wurde ein umfassendes strategic<br />

framework synthesis paper (SynStratframe) erstellt, um die strategische Orientierung des<br />

Vorhabens in einem Dokument zusammenzuführen <strong>und</strong> es periodisch an die Lernfortschritte<br />

des Teams <strong>und</strong> der Partner anzupassen. Im Rahmen der Gesamtstrategie wurden strategic<br />

frameworks für die wichtigsten Arbeitsfelder erstellt, die ebenso wie das SynStratframe<br />

periodisch überprüft <strong>und</strong> weiterentwickelt werden sollen. Im Hinblick auf die fortlaufenden<br />

Bemühungen zur Fokussierung des Projekts auf strategische Maßnahmen mit dem größten<br />

Wirkungspotential konzentriert sich das Vorhaben auf drei Arbeitsfelder:<br />

• Begleitung <strong>und</strong> Qualifizierung des Friedensprozesses auf der makropolitischen Ebene<br />

(detailliert im SynStratframe);<br />

• Zielgruppenspezifische Kapazitätsbildung für die Schlüsselakteure des Konflikts<br />

(Stratframes für die entsprechenden stakeholders);<br />

• Themenspezifische Kapazitätsbildung im Hinblick auf Staatsreform, Machtteilung<br />

<strong>und</strong> politische Ökonomie (themenspezifische Stratframes).<br />

Die mittelfristigen Arbeitspläne der ProjektmitarbeiterInnen sind Teil dieser Strategien, die<br />

kurzfristigen Arbeitspläne entstehen in der Regel in Kooperation mit den jeweiligen Partnern<br />

in den Projekten. Dies erlaubt eine gewisse Flexibilität in der Auswahl der Maßnahmen. Die<br />

Abstimmung mit den einheimischen Partnern sichert <strong>und</strong> fördert das lokale ownership an<br />

den Aktivitäten <strong>und</strong> stellt zugleich Transparenz in Bezug auf den Arbeitsfortschritt her.<br />

Der Beitrag eines systemischen Ansatzes der Friedensförderung zur Erstellung eines<br />

Strategischen Planungsrahmen liegt insbesondere in seiner analytischen <strong>und</strong> methodischen<br />

Unterscheidung unterschiedlicher Systemebenen begründet. Langfristige <strong>und</strong> strategische<br />

Annahmen über die relevanten Ansatzpunkte <strong>und</strong> Methoden für eine Unterstützung sozialen<br />

Wandels haben ihren Platz auf der Ebene der von dem Projekt/dem Programm adressierten<br />

Systemebene. Die konkreten Aktivitäten <strong>und</strong> direkten Wirkungen der Maßnahmen finden<br />

aber vorrangig auf untergeordneten Systembereichen statt. Für eine systemisch inspirierte<br />

strategische Planung ist es deshalb wichtig, zwischen Vogelperspektive <strong>und</strong><br />

Froschperspektive zu wechseln <strong>und</strong> zu fragen, welche Bedeutung <strong>und</strong> Funktion relevante<br />

Subsysteme für das übergeordnete System haben, wie sich Veränderungen <strong>und</strong> Aktivitäten<br />

einzelner Elemente im Subsystem auf das Gesamtsystem <strong>und</strong> die anderen Subsysteme<br />

auswirken. Andererseits wirken sich auch Veränderungen im Gesamtsystem auf die<br />

Subsysteme aus.<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

44


Strategische<br />

Ebene<br />

Wirkungen<br />

Aktivitäten<br />

Planungsebenen eines systemischen Ansatzes<br />

Subsystem<br />

A<br />

Konfliktsystem / Bezugssystem<br />

Übergeordnete Strategie<br />

Subsystem<br />

B<br />

Aktivitäten (geplant & situationskonform)<br />

Festzuhalten gilt, dass langfristige Zielsetzungen vor allem auf der strategischen Ebene des<br />

Konfliktsystems formuliert werden müssen, während im Bereich der Arbeit in den<br />

Subsystemen mehr Flexibilität sinnvoll ist. Ein regelmäßiger Perspektivwechsel zwischen<br />

Frosch- <strong>und</strong> Vogelperspektive ist deshalb wichtig, weil die Aktivitäten in den Subsystemen<br />

immer wieder in der Wechselbeziehung zu den anderen Subsystemen <strong>und</strong> dem<br />

übergeordneten System bestimmt werden sollten. Gleichzeitig ist zu bedenken, dass die<br />

Zeithorizonte <strong>und</strong> Dynamiken in den unterschiedlichen Subsystemen <strong>und</strong> Systemebenen<br />

deutlich variieren können.<br />

Weitere Instrumente einer flexiblen Planung: Das road map Programm<br />

Das road map Programm dient dazu, Maßnahmen der Konfliktbearbeitung prozesshaft <strong>und</strong><br />

etappenweise zu sequenzieren. Im Rahmen des Programms werden Themenpapiere erstellt,<br />

die für einen spezifischen Themenbereich einen Fahrplan entwerfen, welcher gleichermaßen<br />

die Konfliktdynamik als auch die Implementierbarkeit der Maßnahmen berücksichtigt. Die<br />

Themenpapiere werden zum Großteil von einheimischen AutorInnen in Kollaboration mit<br />

externen ExpertInnen verfasst <strong>und</strong> in halböffentlichen Veranstaltungen zur Diskussion<br />

gestellt <strong>und</strong> anschliessend überarbeitet, um sie dann allen stakeholders zugänglich zu<br />

machen. Die systemische Relevanz des road map Programms besteht in der Fokussierung der<br />

Themen bei gleichzeitigem Rückbezug auf das übergeordnete Konfliktsystem sowie der<br />

Tatsache, dass die Papiere in Workshops <strong>und</strong> Seminaren mit einer Bandbreite<br />

unterschiedlicher einheimischer <strong>und</strong> internationaler Akteure diskutiert werden (wodurch das<br />

ownership der Vorschläge gestärkt <strong>und</strong> feedback direkt einbezogen werden kann).<br />

Erfahrungen mit dem road map Ansatz in Sri Lanka<br />

Subsystem<br />

C<br />

Im Rahmen des road map Programms in Sri Lanka wurden in den Jahren 2002 <strong>und</strong> 2003 parallel zum<br />

track 1 Friedensprozess eine Reihe von Papieren erstellt, mit dem Ziel, „to support all stakeholders in<br />

their pursuit of a just and equitable negotiated settlement. Its rationale is to demarcate the steps that<br />

are required for conflict transformation on all tracks.” Träger des Programms waren die Berghof<br />

Stiftung sowie das Center for Policy Alternatives (CPA) in Colombo.<br />

Die Themen waren bezogen auf die Gestaltung des Verhandlungsprozesses (Sequenzierung,<br />

Themenauswahl, Rahmenbedingungen der Verhandlungen, Facilitation, Öffentlichkeit etc.),<br />

ausgewählte substantielle Themen (Menschliche Sicherheit in den besonders vom Konflikt betroffenen<br />

Regionen, Interim-Regelungen, „Normalisierungsfragen“ = Rehabilitation, Reconstruction and<br />

Resettlement, Menschenrechte, Landrechtsfragen etc.) sowie andere Themen mit Relevanz für einen<br />

nachhaltigen Friedensprozess (z.B. die Beteiligung der Diaspora). Die Autoren waren sowohl<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

45


einheimische wie internationale Experten.<br />

Gr<strong>und</strong>sätzlich waren alle Papiere darauf angelegt, aktuelle Fakten <strong>und</strong> Trends zu dokumentieren <strong>und</strong><br />

zu analysieren <strong>und</strong> darauf sowie auf einem Satz normativer Prämissen aufbauend eine Auswahl von<br />

Optionen zu erarbeiten, wie der Friedensprozess in dem jeweiligen Bereich konstruktiv<br />

weiterentwickelt werden könnte. Die ersten Fassungen der Papiere wurden in halböffentlichen<br />

Workshops mit anderen Experten sowie Vertretern der stakeholder diskutiert <strong>und</strong> anschliessend<br />

überarbeitet <strong>und</strong> allen stakeholders zugänglich gemacht.<br />

Dieser road map Prozess fand eine beachtliche Resonanz als Forum zur Diskussion des aktuell<br />

stattfindenden track 1 Friedensprozesses bis Mitte 2003, verlor dann jedoch das Interesse der<br />

stakeholder im Lichte der Unterbrechung der Verhandlungen. Der Versuch eines übergreifenden<br />

policy papers unter dem Titel The Sri Lankan Peace Process at Crossroads einer Gruppe von fünf<br />

Autoren, die sich in einer Peace Review Gruppe zusammengeschlossen hatten (im Januar 2004), fand<br />

zwar erhebliche Beachtung, konnte aber nicht das Interesse an einem fortlaufenden Diskurs auf dieser<br />

Ebene ohne track 1 Aktivitäten wiederbeleben. 2005 soll gleichwohl ein neuer Versuch mit einer Serie<br />

von policy papers zu Fragen von Interim Arrangements, Interim Verfassungen, Verfassungs-<br />

Alternativen sowie internationalen Unterstützungsstrukturen unternommen werden.<br />

Monitoring <strong>und</strong> Asssessment<br />

Was lässt sich aus einem systemischen Ansatz für die Steuerung <strong>und</strong> Bewertung eines Projekts<br />

oder Programms der Konfliktbearbeitung ableiten? Gr<strong>und</strong>sätzlich ist es hierbei wichtig,<br />

zwischen einem projektinternen Monitoring <strong>und</strong> einem externen assessment zu<br />

unterscheiden.<br />

Das interne Monitoring ist das zentrale Steuerungsinstrument eines Projekts/Programms. Es<br />

ist aber auch im Sinne des Organisationslernens <strong>und</strong> zur Überprüfung <strong>und</strong> ggf. Korrektur des<br />

zugr<strong>und</strong>e gelegten Systemverständnisses wichtig. Deshalb ist neben dem Blick auf die<br />

Einzelheiten (Themen, Akteure, Subsysteme) immer ein Blick aufs Gesamtsystem wichtig.<br />

Wandel kann sehr langwierig, aber auch rasant, überraschend sein. Das Monitoring sollte<br />

dazu beitragen, das Projekt/Programm innerhalb dieser Wandlungsprozesse zu verorten <strong>und</strong><br />

die Gr<strong>und</strong>lagen zu schaffen, um die MitarbeiterInnen <strong>und</strong> Partner zu einer reflexiven<br />

Vorgehensweise sowie zur Unterstützung des Wandels zu befähigen.<br />

Bereiche des Monitorings<br />

Themen<br />

Projekt<br />

Prozess Akteure<br />

Ein Monitoring systemischer Ansätze sollte bei der Frage nach den relevanten outcomes<br />

ansetzen bei:<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

46


• Verhaltens- <strong>und</strong> Einstellungsänderungen bei den stakeholders;<br />

• Generierung neuer Perspektiven <strong>und</strong> Optionen zur Lösung wichtiger Sachfragen; <strong>und</strong><br />

• Identifizierung geeigneter Prozesse <strong>und</strong> Verfahren zur Problemlösung.<br />

Zusätzlich sollte aber auch die systemische Dimension der Intervention reflektiert werden.<br />

Dazu dienen offene Fragen, die mehrere Komponenten berücksichtigen, wie beispielsweise:<br />

• Wie wurde über bestimmte Konfliktbereiche diskutiert?<br />

• Wodurch wurden Einstellungsänderungen bei den stakeholders erzielt?<br />

• Durch welches Verhalten der Akteure wurde eine Einigung zum Thema X möglich?<br />

• Welches Thema hat welche Reaktion bei welchem Akteur hervorgerufen?<br />

Bei Pogrammen wie dem RNCST, die explizit auf eine ausgesprochene Netzwerkbindung <strong>und</strong><br />

Partnerorientierung abzielen, sollte ein Monitoring aber auch den Aspekt der<br />

Partnerschaftsbeziehungen selbst in den Blick nehmen <strong>und</strong> in dem Sinne eines<br />

partnerschaftlichen Vorgehens Bereiche identifizieren, in denen das Monitoring der<br />

Projektaktivitäten <strong>und</strong> möglicher outcomes gemeinsam durchgeführt wird. Zusätzlich sollte<br />

auch darauf geachtet werden, Ansätze des Monitorings <strong>und</strong> der Evaluation von Projekten <strong>und</strong><br />

Programmen mit den regelmäßig stattfindenden Konfliktanalysen zu verbinden.<br />

Der Frage, ob im Rahmen von externen Evaluationen auch friedenspolitische Wirkungen auf<br />

der Makroebene gemessen werden können, muss aus systemischer Sicht skeptisch begegnet<br />

werden. Zum einen kann von einem externen Team kaum erwartet werden, dass sie in der<br />

Kürze der in der Regel für Gutachten zur Verfügung stehenden Zeit hinreichend tief in das<br />

„Wesen“ der Konfliktsysteme eindringen können, um begründete Aussagen über<br />

Wirkungskreisläufe treffen zu können. Zum anderen, <strong>und</strong> das ist der wesentlichere Punkt,<br />

basieren systemische Ansätze gerade auf der Kritik an einfachen, linearen <strong>und</strong> uni-kausalen<br />

Ursache-Wirkungszusammenhängen. In der Logik systemischer Ansätze ist es deshalb<br />

allenfalls möglich von Hypothesen gestützte Beobachtungen durchzuführen. Bei<br />

Konfliktsystemen handelt es sich um hochaggregierte Systemtypen, die einer derartigen<br />

Vielzahl von internen <strong>und</strong> externen Einflüssen <strong>und</strong> Wirkungen unterworfen werden, dass eine<br />

plausible Zuordnung von Wirkungen auf der makropolitischen Ebene die Analysefähigkeiten<br />

überschätzt.<br />

Eine Bewertung von systemisch angelegten Projekten oder Programmen sollte aber auf<br />

folgende Bereiche eingehen:<br />

Systemsensibilität des Vorgehens:<br />

• Z.B. Inwieweit wird die Intervention der Komplexität des Konfliktsystems gerecht?<br />

• Welche entry points <strong>und</strong> Anknüpfungspunkte für ZKB wurden identifiziert?<br />

• Welche Kooperationskultur; Partnerbeziehungen?<br />

Strategische Annahmen <strong>und</strong> Zielsetzung:<br />

• Z.B. Inwieweit sind Strategie <strong>und</strong> Zielsetzungen plausibel, nachvollziehbar, realistisch,<br />

nachhaltig?<br />

• Auf der Gr<strong>und</strong>lage welcher Annahmen werden welche Hebel, welche Themen, welche<br />

Partner <strong>und</strong> Akteure ausgewählt?<br />

Verknüpfung der Systemebenen:<br />

• Z.B. Wird der Zusammenhang zwischen den unterschiedlichen Subsystemen <strong>und</strong> dem<br />

Bezugssystem nachvollziehbar reflektiert?<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

47


• Inwieweit können Interventionen auf der Mikroebene mit Veränderungsprozessen auf<br />

der Makroebene verknüpft werden, ohne in einfache Ursache-Wirkungs-Schemata zu<br />

verfallen?<br />

• Inwieweit ist es gelungen, eine strategische Verknüpfung zu Akteuren auf den anderen<br />

tracks der Konfliktbearbeitung herzustellen?<br />

Lernoffenheit <strong>und</strong> Anschlussfähigkeit des Vorgehens:<br />

• Z.B. Wie werden die Erfahrungen <strong>und</strong> Wirkungsannahmen im Projekt aufbereitet <strong>und</strong><br />

reflektiert?<br />

• Wie hoch ist die Bereitschaft bzw. Kapazität, Kooperationsstrukturen mit anderen<br />

einheimischen <strong>und</strong> internationalen Akteuren einzugehen?<br />

Qualität des „Beratungssystems“:<br />

• Z.B. Transparenz; Partnerorientierung; Prozessverantwortlichkeit; local ownership;<br />

Gendersensitivität.<br />

5.3 <strong>Systemische</strong> Arbeit mit Akteuren <strong>und</strong> Vernetzung<br />

In diesem Abschnitt geht es um die Frage, wie eine kritisch-konstruktive Arbeit mit Konfliktakteuren<br />

auf der Gr<strong>und</strong>lage der Prinzipien Inklusivität <strong>und</strong> Allparteilichkeit geleistet werden kann <strong>und</strong> welche<br />

Dilemmata sich dabei ergeben. Zudem werden ein Multi-stakeholder Ansatz <strong>und</strong> verschiedene Formen<br />

von Netzwerkmanagements vorgestellt.<br />

Beziehungsarbeit ist einer der Kernbestandteile der systemischen <strong>Konflikttransformation</strong>.<br />

Dabei geht es angesichts des Konfliktcharakters darum, der Spaltung von Gesellschaften<br />

entgegenzuwirken durch Stärkung aller beteiligten Konfliktakteure mit Kapazitäts- oder<br />

Kompetenzdefiziten, durch Dialogarbeit, Vernetzungen etc. auf der Basis der Prinzipien der<br />

Allparteilichkeit <strong>und</strong> Inklusivität. Doch wie kann die Anwendung dieser Prinzipien<br />

durchgehalten werden, angesichts der eingangs erwähnten Polarisierungstendenzen<br />

hartnäckiger Gewaltkonflikte sowie angesichts ausgeprägter ökonomischer <strong>und</strong> politischer<br />

Interessen an einer Fortsetzung des Konflikts?<br />

Gestützt auf Praxiserfahrungen des Berghof Zentrums <strong>und</strong> von Partnerorganisationen in Sri<br />

Lanka wollen wir zu diesen Fragenkomplexen erste Antworten geben, aber auch auf weitere<br />

Dilemmata in der Beziehungsarbeit hinweisen. Es werden vor allem folgenden Komponenten<br />

thematisiert:<br />

• Inklusivität <strong>und</strong> Allparteilichkeit<br />

• Kritisch-Konstruktives Engagement mit politischen stakeholders<br />

• Multi-stakeholder Dialog<br />

• Netzwerkmanagement<br />

Inklusivität <strong>und</strong> Allparteilichkeit<br />

Die beiden Prinzipien der Inklusivität (des Friedensprozesses) <strong>und</strong> Allparteilichkeit (der<br />

Drittpartei) stellen wesentliche Arbeitsgr<strong>und</strong>lagen der systemischen <strong>Konflikttransformation</strong><br />

dar. Inklusivität zielt auf die prinzipielle Notwendigkeit ab, die legitimen Interessen <strong>und</strong><br />

Bedürfnisse möglichst aller relevanten Akteure im Konfliktsystem in den Friedensprozess zu<br />

integrieren <strong>und</strong> zu berücksichtigen, inklusive unterschiedlicher Genderperspektiven. Einige<br />

Konfliktparteien versuchen Opponenten von den Verhandlungen mit der Begründung<br />

auszuschließen, dass es leichter sei, das Problem ohne ihre Beteiligung zu lösen. Dabei wird<br />

nicht beachtet, dass auch die Gegner Interessen im Rahmen des Konflikts vertreten, ein Teil<br />

von ihm sind <strong>und</strong> das Geschehen beeinflussen. Eine nachhaltige Lösung eines Konfliktes<br />

kann nur dann erzielt werden, wenn alle Themen behandelt <strong>und</strong> alle Interessen zumindest<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong> 48


anerkannt werden. In der Realität ist es jedoch oft weder möglich noch aus Effizienzgründen<br />

wünschenswert, alle prinzipiell möglichen Konfliktakteure an den Verhandlungstisch zu<br />

holen. 60 In diesem Fall ist es jedoch wesentlich, dass die nicht vertretenen Akteure indirekt<br />

mit einbezogen werden, sei es durch die Verhandlungsführer, durch parallele Gespräche oder<br />

durch die sequenzielle Inklusion in der Implementierungsphase (wie es zumindest teilweise<br />

im sudanesischen Friedensprozess erfolgt ist).<br />

Um aus pragmatischen Erwägungen heraus eine Auswahl derjenigen Akteure treffen zu<br />

können, die vorrangig in Friedensprozesse einbezogen werden sollen, kann es sinnvoll sein,<br />

die Akteure anhand verschiedener Kriterien zu kategorisieren. In einer Studie des Clingendael<br />

Instituts wird z.B. vorgeschlagen, Akteure danach einzuteilen, ob sie, erstens, eine politische<br />

Agenda verfolgen, zweitens, einen „normalen“ oder brutalen Krieg führen <strong>und</strong>, drittens, über<br />

eine hohe oder geringe Legitimität (innerhalb der Bevölkerung) verfügen. Der Studie zufolge<br />

bieten sich als Verhandlungspartner insbesondere die Akteure an, die über ein Programm<br />

verfügen, in ihrer Kriegsführung moderat sind <strong>und</strong> über ein hohes Maß an Legitimität<br />

verfügen. Auf der anderen Seite sollen extremistische Gruppen mit geringem inhaltlichem<br />

Profil, brutaler Kriegsführung <strong>und</strong> wenig Unterstützung durch die Bevölkerung tendenziell<br />

ausgeschlossen werden. 61<br />

Diese Versuche der Kategorisierung sollten jedoch nicht holzschnittartig angewandt werden,<br />

sondern Raum für dynamische Veränderungen innerhalb als auch außerhalb der bewaffneten<br />

Organisationen lassen. So bezeugen die Diskussion um den Umgang der internationalen<br />

Gemeinschaft mit der palästinensischen Hamas-Bewegung im Zuge der Wahlen zum<br />

Legislativrat im Januar 2006 wie schwierig es ist, Organisationen aus politischen<br />

Verhandlungen auszuklammern bzw. wie der relativ breite internationale Konsens, Hamas als<br />

terroristische Organisation zu betrachten <strong>und</strong> dementsprechend politisch zu isolieren, durch<br />

das Wahlergebnis in Frage gestellt wird: Die Hamas-Bewegung konnte in freien <strong>und</strong> fairen<br />

demokratischen Wahlen die Mehrheit erzielen <strong>und</strong> wird voraussichtlich ab März die<br />

palästinensische Regierung stellen.<br />

Schwierig bleibt auch die Frage, wie mit solchen Gewaltakteuren umzugehen ist, die vorrangig<br />

aus ökonomischen Profitinteressen heraus agieren („Gewaltunternehmer“). Diese Akteure<br />

werden u.U. wenig Sinn darin sehen, an Verhandlungen teilzunehmen. Es kann nur<br />

kontextabhängig beantwortet werden, ob es sinnvoll <strong>und</strong> möglich ist, den Handlungsspielraum<br />

dieser Akteure durch strikte Regularien <strong>und</strong> Kontrollen zu unterbinden oder ob zur<br />

Gewaltreduzierung es nicht notwendig ist, diesen Akteuren alternative Handlungsspielräume<br />

<strong>und</strong> Optionen aufzuzeigen. Eine Kombination beider Strategien erscheint sinnvoll.<br />

Während sich das Prinzip der Inklusivität vorrangig auf die politische Einbindung aller<br />

wesentlichen Konfliktparteien bzw. der von diesen vertretenen Interessen bezieht, verweist<br />

das Prinzip der Allparteilichkeit vor allem auf die Gr<strong>und</strong>haltung <strong>und</strong> Bereitschaft der<br />

Drittpartei mit allen Konfliktparteien zu arbeiten <strong>und</strong> mit diesen in einen kritischkonstruktiven<br />

Dialog zu treten. Aufgr<strong>und</strong> der starken Polarisierungstendenzen in<br />

langwierigen Gewaltkonflikten, ist es notwendig, das Prinzip der Allparteilichkeit zu wahren<br />

<strong>und</strong> an die unterschiedlichen Akteure zu kommunizieren, da der Drittpartei regelmäßig<br />

unterstellt wird, mit der „Gegenseite“ zu sympathisieren, parteiisch zu sein.<br />

Die Erfahrungen der Arbeit des Berghof Zentrums in Sri Lanka zeigen, dass es extrem wichtig<br />

ist, am Prinzip der Allparteilichkeit festzuhalten. Dem RNCST wird vor allem von buddistisch-<br />

60 Vgl. Emeric Rogier: Rethinking Conflict Resolution in Africa. Lessons from the Democratic Republic of the<br />

Congo, Sierra Leone and Sudan, The Hague: Clingendael 2004, S. 19f.; der Autor verweist hier u. a. auf das Beispiel<br />

des Inter-Congoleses Dialogue an dem 350 Delegierte teilnahmen <strong>und</strong> der nach 40 Monaten ein wenig<br />

zufriedenstellendes Ergebnis zeitigte. Zudem verweist er auf den Umstand, das der Anreiz an den Verhandlungen<br />

teilnehmen zu können, im Vorfeld zur Bildung neuer bewaffneter Gruppen beitrug.<br />

61 Ebda., S. 35ff.<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

49


nationalistischen Kreisen Parteinahme für die LTTE vorgeworfen <strong>und</strong> jede Kontaktaufnahme<br />

als eine Unterstützung der „illegitimen“ Interessen der LTTE gesehen. In diesem Kontext ist<br />

es wichtig, dass es gelungen ist, auf beiden Seiten des Konflikts Organisationen <strong>und</strong> Akteure<br />

davon zu überzeugen, dass Kontakte mit der anderen Seite nicht bedrohlich sondern für die<br />

Transformation des Gewaltkonflikts vorteilhaft sind. Dazu zählt auch die Aufrechterhaltung<br />

eines memorandum of <strong>und</strong>erstanding mit der srilankischen Regierung, welches die<br />

Notwendigkeit der Arbeit auch mit der LTTE unterstreicht.<br />

Zudem ist es im Sinne der Allparteilichkeit <strong>und</strong> der Inklusivität von Lösungsansätzen auch<br />

wichtig, Kontakte <strong>und</strong> Kommunikationskanäle zu politischen Hardlinern aufzubauen. Wie<br />

die Erfahrung in Sri Lanka zeigt, kann es in Zeiten großer politischer Spannungen schnell zu<br />

offenen Feindseligkeiten <strong>und</strong> Kampagnen gegen Drittparteien kommen. Um diesen<br />

Entwicklungen vorzugreifen, ist es wichtig, Kontaktpunkte innerhalb auch extremer<br />

Gruppierungen zu finden oder in Organisationen, die diesen nahe stehen.<br />

Kritisch-Konstruktives Engagement mit politischen stakeholders<br />

Die Umsetzung eines kritisch-konstruktiven Engagements mit allen zentralen Akteuren eines<br />

Konflikts sieht sich in der Praxis mit realpolitischen Hindernissen in der von Staaten<br />

dominierten Welt konfrontiert. Während die Einbeziehung der staatlichen Akteure zur<br />

internationalen Norm <strong>und</strong> Vorgehensweise gehört, werden Gegenspieler des Staates in so<br />

genannten internen oder inner-staatlichen Konflikten, die sogenannten nicht-staatlichen<br />

Akteure, durch fehlende internationale aber auch meist interne Legitimation geächtet oder<br />

als terroristische Organisationen in die Illegalität gedrängt. Beides gestaltet eine<br />

Zusammenarbeit ziemlich schwierig. Die Gräben scheinen um so unüberwindbarer, je mehr<br />

die nicht-staatlichen Akteure jenes anstreben: internationale Anerkennung der Legitimität<br />

ihres Anliegens <strong>und</strong> die Würdigung ihrer Rolle als Vertreter einer oder mehrerer<br />

unterdrückter Bevölkerungsgruppen.<br />

Im Gegensatz zur Herangehensweise des naming and shaming der humanitären Instanzen<br />

<strong>und</strong> Organisationen, welche die Ächtung der Menschenrechtsverletzungen zum Mittelpunkt<br />

ihrer Intervention machen, wird die Arbeit des Berghof Zentrums in Sri Lanka von der<br />

Überzeugung geleitet, dass das Anprangern <strong>und</strong> Ermahnen ins Leere läuft, wenn nicht eine<br />

gezielte Strategie des Engagements mit den Akteuren gesucht wird. Dabei stehen die<br />

folgenden Komponenten im Vordergr<strong>und</strong>:<br />

• Vertrauensbildung mit allen zentralen Protagonisten des Konflikts;<br />

• Erhöhung der persönlichen (z.B. Ausbildung in Verhandlungstechniken) <strong>und</strong><br />

inhaltlichen ( z.B. Explorierung verschiedener Dezentralisierungs- <strong>und</strong><br />

Autonomiemodelle) Kapazitäten für Problemlösung <strong>und</strong> Dialog durch empowerment<br />

der Akteure;<br />

• Stärkung des Potentials für eine Transformation in Richtung auf pluralistische,<br />

demokratische <strong>und</strong> inklusive Institutionen, mit einer expliziten Verpflichtung der<br />

Einhaltung der Menschenrechte.<br />

Das Zusammenspiel aller drei Aspekte zeichnet die Philosophie <strong>und</strong> Strategie des kritischkonstruktiven<br />

Engagement aus. Dabei treten auch Widersprüche <strong>und</strong> Dilemmata auf, wie im<br />

folgenden expliziert wird.<br />

Vertrauensbildung mit allen zentralen Akteuren des Konflikts<br />

Nur wenn die Akteure die Drittpartei akzeptieren (was einen gewissen Vertrauensvorschuss<br />

voraussetzt) <strong>und</strong> keine hidden agendas vermuten, werden sie sich ihr gegenüber öffnen.<br />

Insbesondere die nicht-staatlichen Akteure stehen der Drittpartei mit Skepsis gegenüber <strong>und</strong><br />

jede Aktivität wird mit Argwohn registriert. Eine durch Fre<strong>und</strong>-Feind-Schema geprägte<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

50


Kriegserziehung veranlasst die Akteure, nur in Dimensionen des Verlierens oder Gewinnens<br />

zu denken <strong>und</strong> jegliche Intervention wird als Einmischung interpretiert, die das Ziel hat, die<br />

eigene Position zu schwächen. Aufgr<strong>und</strong> der ungleichen Machtverteilung, sind die nichtstaatlichen<br />

Akteure in Zeiten des Waffenstillstands besonders vorsichtig, da sie sich ihrer<br />

herkömmlichen Machtinstrumente beraubt sehen, <strong>und</strong> befürchten, durch eine Politik des<br />

rapprochement neutralisiert zu werden.<br />

Die Vertrauensbildung mit Akteuren unterliegt einigen Gr<strong>und</strong>prinzipien<br />

1. Vertrauensbildung ist ein langwieriger <strong>und</strong> nicht immer linear verlaufender Prozess,<br />

der politischen Schwankungen unterliegt; kontinuierliche Beziehungspflege ist<br />

unabdingbar;<br />

2. Die Beziehungsarbeit ist personenzentriert <strong>und</strong> personenabhängig, da Beziehungen<br />

nicht zwischen Organisationen, sondern zwischen Einzelpersonen aufgebaut werden.<br />

Bei Personalwechsel (bei der Drittpartei oder beim Konfliktakteur) müssen neue<br />

Kontaktpersonen identifiziert <strong>und</strong> neue Kommunikationskanäle eröffnet werden;<br />

3. Vertrauensbildung heißt Vertraulichkeit, Transparenz <strong>und</strong> Ehrlichkeit. Für die<br />

Akteure müssen Drittparteien berechenbar <strong>und</strong> verlässlich sein. Die Konfliktakteure<br />

müssen wissen, was sie von der Drittpartei erwarten können <strong>und</strong> was sie nicht<br />

erwarten können. Falsche Versprechungen zur Erhöhung der Attraktivität sind meist<br />

kurzlebig <strong>und</strong> untergraben aufgebautes Vertrauen.<br />

Wie die Arbeit des Berghof Zentrums in Sri Lanka verdeutlicht, ist es für den Aufbau eines<br />

substantiellen Zugangs zu den Entscheidungsinstanzen der Konfliktakteure notwendig, eine<br />

tiefe Empathie aufzubauen. Intensive Beziehungen werden in Sri Lanka über Verwandtschaft<br />

<strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>schaft aufgebaut. Die Arbeit mit politischen Akteuren erfordert deshalb von den<br />

Vertretern der Drittpartei eine Austarierung von „Fre<strong>und</strong>schaft“ <strong>und</strong> kritischer Distanz, was<br />

hohe professionelle Anforderungen stellt. Zudem kann tiefe Empathie von Einflusspersonen<br />

auf höheren Entscheidungsebenen als irritierend <strong>und</strong> damit bedrohlich empf<strong>und</strong>en werden.<br />

Erhöhung der Kapazitäten für Problemlösung <strong>und</strong> Dialog durch empowerment der Akteure<br />

Maßnahmen des capacity building mit den Konfliktakteuren zielen darauf ab, durch die<br />

Erarbeitung <strong>und</strong> Identifizierung von Lösungsmodellen sowie von Wegen zur Umsetzung<br />

dieser Optionen, andere Wege zur Erreichung politischer Ziele aufzuzeigen <strong>und</strong> damit die<br />

Bereitschaft zur Gewaltanwendung zu verringern. Dabei wird angenommen, dass durch das<br />

Erlernen von Methoden der Konfliktaustragung ( z.B. auf win-win Modellen basierende<br />

Verhandlungstechniken) <strong>und</strong> Konfliktlösung ( z.B. Explorierung verschiedener<br />

Dezentralisierungs- <strong>und</strong> power sharing Modelle) die Akteure gestärkt in die Verhandlungen<br />

gehen. Zudem können etwaige Ungleichheiten bezüglich thematischen Fachwissens<br />

ausgeglichen werden. Maßnahmen des capacity building sollten sich an den Bedürfnissen der<br />

Akteure orientieren <strong>und</strong> damit deren commitment <strong>und</strong> ownership erhöhen.<br />

Es ist aber auch wichtig, sich selbstkritisch mit dem Vorwurf auseinanderzusetzen, dass das<br />

Offerieren von Programmen an die Konfliktakteure einer Belohnung ihrer unethischen,<br />

<strong>und</strong>emokratischen <strong>und</strong> autoritären Handlungen gleich komme <strong>und</strong> sie dadurch ermutige,<br />

mit solchen niederträchtigen Handlungen fortzufahren.<br />

Stärkung des Potentials für eine Transformation in Richtung auf pluralistische,<br />

demokratische <strong>und</strong> inklusive Institutionen mit einer expliziten Verpflichtung zur Einhaltung<br />

der Menschenrechte<br />

Die kritisch-konstruktive Herangehensweise geht empathisch mit den Bedürfnissen der<br />

Akteure um <strong>und</strong> zeigt die komparativen Vorteile für die Akteure durch transformative<br />

Konfliktbearbeitungsstrategien auf. Kritisches Engagement bedeutet aber auch, für eine<br />

Veränderung von menschenrechtsverletzender <strong>und</strong> internationale humanitäre Normen<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

51


missachtender Praxis einzutreten <strong>und</strong> dies klar <strong>und</strong> deutlich zu artikulieren. Dies trägt vor<br />

allem dann Früchte, wenn neben klarer Kritik auch Anreize zur Veränderung der Praxis<br />

geboten werden. Eine Veränderung der Praxis <strong>und</strong> Strategie der Akteure erfolgt aber in der<br />

Regel von innen heraus.<br />

Um die beiden Rollen der Empathie <strong>und</strong> der kritischen Distanz integrieren zu können, ist es<br />

wichtig, rules of engagement vor jeder neuen Kontaktaufnahme auszuarbeiten. Dabei gilt es<br />

Klarheit über die Fragen herzustellen, warum <strong>und</strong> mit welcher Zielsetzung mit einer<br />

bestimmten Zielgruppe (gemeint sind hierbei auch Einzelpersonen <strong>und</strong> nicht nur Parteien)<br />

gearbeitet wird – <strong>und</strong> wo die Grenzen des Engagements liegen.<br />

Förderung eines umfassenden Dialogs zwischen einheimischen <strong>und</strong> internationalen<br />

Akteuren: Die One-Text Initiative in Sri Lanka<br />

Die One-Text Initiative in Sri Lanka stellt den interessanten Versuch dar, einen umfassenden<br />

Dialog zwischen den relevanten Konfliktakteuren, der srilankischen Zivilgesellschaft <strong>und</strong><br />

internationalen Akteuren zu unterstützen. Dieser multi-stakeholder Ansatz beruht auf der<br />

Idee, mit Hilfe des Computerprogramms Info Share eine Plattform für den Austausch von<br />

Ideen <strong>und</strong> die facilitation eines kontinuierlichen Problemlösungsdialog zu bieten.<br />

The One-Text Approach<br />

The Sri Lanka One-Text Process space was designed to facilitate dialogue and stimulate the<br />

exchange of ideas based on a One-Text Process. The one-text procedure is a systematic<br />

process to elicit <strong>und</strong>erlying interests and needs of parties and providing a mechanism and<br />

space to jointly explore and develop many options and deciding on one. After eliciting the<br />

issues and interests of all the parties, the nominated Process Managers and Technical Experts<br />

draft a proposal and present it to the parties as a draft for their input and criticism.<br />

Using the Technical Experts for the on-going re-drafting of the One-text proposals would<br />

provide the parties the freedom to criticize and discuss the drafts freely without damaging<br />

their working relationships. It will hopefully enable the parties to discover common needs and<br />

interests -- although they might disagree about the means used to achieve them.<br />

The Process Managers and Technical Experts will continue to revise and resubmit drafts to the<br />

parties until the parties believe the draft they have reflects the best they can do to meet all<br />

parties' interests. The work in this process and space will be offered to the Sri Lanka track one<br />

negotiators as resources, guide and means to explore major issues before it reach the<br />

negotiations table. The participants in this space are Technical Experts, Policy Advisors,<br />

Process Managers, Researchers, Technology Support Consultants and individuals associated<br />

with the major political stakeholders or parties.<br />

In creating the One-Text space for high-level negotiations between the various political<br />

stakeholders in the Sri Lankan Peace Process, Info Share needed to create a virtual<br />

negotiations table that would enable the stakeholders to discuss issues freely and frankly, and<br />

most importantly, privately, without worrying about the security of their communications.<br />

This need lead to the creation of the Sri Lanka One Text Process Groove space. 62<br />

Die One-Text Initiative wurde im Nachgang des Waffenstillstands vom Februar 2002 ins Leben<br />

gerufen <strong>und</strong> konnte 2003 mit Unterstützung der wichtigsten srilankischen politischen<br />

Gruppierungen mit Aktivitäten beginnen. Finanziert wurde die Initiative ursprünglich von<br />

USAID, der Appeal of the Nobel Peace Laureates Fo<strong>und</strong>ation <strong>und</strong> der Firma Groove Networks.<br />

62 Vgl. www.info-share.org.<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

52


An der One-Text Initiative nehmen Vertreter der politischen Parteien <strong>und</strong> von NGOs sowie von<br />

diesen benannte Experten, Berater <strong>und</strong> Wissenschaftler teil. 63 Die Themen <strong>und</strong> politischen<br />

Fragestellungen werden von den Teilnehmern bestimmt. In 2005 wurden die Diskusisonen in<br />

7 Standing Committees (Human Rights, Strengthening Ceasefire Agreement & Monitoring,<br />

People’s Participation, Peace Structures, Muslim Peace Process, International Ressource<br />

Partners, Future Scenario Planning and Optioning) <strong>und</strong> 4 Themengruppen 64 durchgeführt.<br />

Welche Ergebnisse kann die One-Text Initiative aufweisen? Zum einen ist es gelungen, eine<br />

Reihe von information sharing networks zu politisch relevanten Themen aufzubauen <strong>und</strong><br />

Akteure einzubeziehen, die ansonsten entweder nicht oder nur wenig kommunizieren, die<br />

einen unterschiedlichen organisatorischen Backgro<strong>und</strong> haben (Geberorganisationen, NGOs)<br />

<strong>und</strong> die u.U. auch geografisch weit verstreut agieren. Zum anderen konnte in einzelnen<br />

Themengruppen <strong>und</strong> Komitees ein relativ hoher Grad an Abstimmung <strong>und</strong> Kooperation<br />

erzielt werden, der u.a. auch für die Gründung des Muslim Peace Secretariat genutzt werden<br />

konnte. Schließlich soll noch auf die Herstellung von mehr Transparenz durch die Nutzung<br />

gemeinsamer Datensätze <strong>und</strong> Studien verwiesen werden.<br />

Was ist an der One-Text Initiative systemisch? Die Initiative hat einen Rahmen geschaffen, in<br />

dem sich viele relevante staatliche <strong>und</strong> nicht-staatliche, einheimische <strong>und</strong> internationale<br />

Akteure mit spezifischen Anliegen einbringen können. Ein wesentlicher Bestandteil dieses<br />

multi-stakeholder Ansatzes liegt darin, dass die Themen, Prioritätensetzung <strong>und</strong> Tiefe der<br />

Diskussion von den teilnehmenden Akteuren eingebracht bzw. bestimmt werden. Die<br />

hierdurch ermöglichte Offenheit <strong>und</strong> Komplexität wird technisch durch Info Share<br />

organisiert, prozessual werden die Akteure durch das Arbeiten an einem Text zur Fixierung auf<br />

das Wesentliche angehalten.<br />

63 In 2005 nahmen an der Initiative die Parteien SLFP, UNF, TNA, SLMC, NUA sowie die Peace Secretariats <strong>und</strong> eine<br />

Reihe von Zivilgesellschaftlichen Organisationen statt. Die LTTE, JVP <strong>und</strong> JHU waren als Beobachter anwesend <strong>und</strong><br />

haben eine spätere Beteiligung in Aussicht gestellt.<br />

64 In 2005 waren die behandelten Themen: Interim Self Governing Authority, Negotiations Framework and Agenda<br />

for Talks, Strengthening Ceasefire & Monitoring, Southern Consensus.<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

53


Netzwerkmanagement<br />

Das Akteursumfeld in der zivilen <strong>Konflikttransformation</strong>, beispielsweise in Sri Lanka, wird<br />

durch eine Vielzahl von nationalen <strong>und</strong> internationalen, staatlichen <strong>und</strong> nicht-staatlichen<br />

Akteuren <strong>und</strong> kleinen Gruppen von Vertretern der stakeholders geprägt, deren Engagement<br />

oftmals durch einen nicht ausreichenden Austausch <strong>und</strong> geringe gemeinsame<br />

Zielorientierung Gefahr läuft, wenig effektiv bzw. kontraproduktiv zu sein. Dieser Mangel an<br />

Kohärenz <strong>und</strong> Komplementarität hat eine Reihe von Gründen. Hierzu zählen u.a. strukturelle<br />

<strong>und</strong> organisatorische Gründe, negativer Wettbewerb <strong>und</strong> Ungleichheiten zwischen externen<br />

<strong>und</strong> internen Akteuren sowie Ziel- <strong>und</strong> Prioritätenkonflikte (vgl. Kap. 2.2). Ein Ansatzpunkt<br />

diesen Tendenzen entgegenzuwirken besteht in der Stärkung <strong>und</strong> dem Aufbau von<br />

Netzwerken. Netzwerke können dabei im weiteren Sinne als Kommunikation zwischen<br />

Mitgliedern staatlicher, nicht-staatlicher <strong>und</strong> externer Organisationen aufgefasst werden, die<br />

in einem Konfliktland präsent sind <strong>und</strong> deren Interaktion vor allem durch das lose Teilen von<br />

Informationen <strong>und</strong> Wissen geprägt ist.<br />

In der systemischen Konfliktbearbeitung wird der Nutzung systemeigener Ressourcen<br />

Priorität eingeräumt <strong>und</strong> ein umfassender Ansatz für das Management von Netzwerken<br />

angestrebt. Voraussetzung für systemisches Netzwerkmanagement ist deshalb die<br />

Identifizierung von Veränderungstrends <strong>und</strong> Druckpunkten auf der Mikroebene des<br />

politischen Systems <strong>und</strong> die Herausarbeitung des darunter liegenden vernetzten<br />

Engagements von Kleingruppen. Diese können dann durch effektives Netzwerkmanagement,<br />

eine zielgerichtete Unterstützung <strong>und</strong> Verbindung von Akteuren <strong>und</strong> Themen, ausgebaut <strong>und</strong><br />

verstärkt werden, so dass sich Synergieeffekte ergeben.<br />

<strong>Systemische</strong>s Netzwerkmanagement versucht, eine Kooperationskultur zu befördern, die auf<br />

strategischen Partnerschaften <strong>und</strong> Bündnissen mit lokalen <strong>und</strong> internationalen Akteuren <strong>und</strong><br />

der Unterstützung von networks of action basiert. Kooperationskultur bedeutet dabei eine<br />

vertrauensbasierte, mittel- bis langfristige Zusammenarbeit unterschiedlicher Intensität vor<br />

allem zwischen den Akteuren vor Ort, die an einer nachhaltigen Friedenslösung interessiert<br />

sind, wozu auch agents of peaceful change (vgl. Kap. 5.4) gehören. Hierbei sollen NGOs nicht<br />

als einfache Ausführungsorgane offizieller Politik oder subcontracting partner gesehen<br />

werden, sondern auch ihr Stellenwert auf der Input-Seite von Politik anerkannt werden. 65<br />

Es können drei Arten von Netzwerken unterschieden werden, die von besonderer Bedeutung<br />

für systemische Interventionen sind:<br />

1. Networks of effective action (NEA), die aus Netzwerken im o.g. Sinne bestehen, deren<br />

Mitglieder darüber hinaus aber ein gemeinsames Ziel verfolgen <strong>und</strong> einige<br />

gemeinsame Handlungsprinzipien haben. Eine gegenseitige Koordination der<br />

Aktivitäten der beteiligten Organisationen ist aber kein primäres Ziel von NEA. Ein<br />

Beispiel für networks of effective action ist die Peace Review Group (PRG) in Sri Lanka,<br />

die aus fünf Vertretern wichtiger zivilgesellschaftlicher ZKB-Organisationen besteht.<br />

Die PRG trifft sich in regelmäßigen Abständen, um gemeinsam den Stand des<br />

Friedensprozesses zu reflektieren <strong>und</strong> die Aktivitäten untereinander abzustimmen.<br />

Die Gruppe ist weder zentral gesteuert noch hierarchisch gegliedert – die gemeinsame<br />

handlungsanleitende Maxime ist die zivile Konfliktbearbeitung zur Erreichung eines<br />

gerechten positiven Friedens in Sri Lanka.<br />

2. Strategische Partnerschaften oder strategische Allianzen, die darauf abzielen, die<br />

Effizienz bei der Zusammenarbeit an einem konkreten Projekt zu erhöhen. Die<br />

65 Vgl. Cordula Reimann &Norbert Ropers: Discourses on Peace Practices. Learning to Change by Learning from<br />

Change?, in: Paul von Tongeren u.a.: People Building Peace II. Successful Stories from Civil Society, Boulder CO:<br />

Lynne Rienner 2005.<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

54


Berghof Stiftung in Sri Lanka hat einer Reihe von strategischen Projektpartnern nicht<br />

nur finanzielle <strong>und</strong> organisatorische Unterstützung gegeben, sondern mit diesen auch<br />

regelmäßig Projekte gemeinsam geplant <strong>und</strong> durchgeführt. Hierzu zählen die Social<br />

Scientist Association (SSA), oder das Center for Policy Alternatives (CPA) neben<br />

anderen Organisationen. Mit CPA wurde beispielsweise nicht nur im Rahmen des road<br />

map Programms zusammengearbeitet (s.o.), sondern auch zu Fragen des Monitorings<br />

des Friedensprozesses oder zur Entwicklung von Ansätzen föderaler Gewaltenteilung<br />

im Rahmen von Diskussionen zur Staatsreform eng kooperiert.<br />

3. Strategische Allianzen im internationalen/regionalen Kontext, welche der<br />

gemeinsamen Lobbyarbeit im Politikfeld vis-a-vis nationaler, oder internationaler<br />

Institutionen dienen <strong>und</strong> den Informationsaustausch in der Region organisieren.<br />

Strategische Allianzen der Berghof Stiftung in Sri Lanka bestehen u.a. zum<br />

norwegischen Vermittler <strong>und</strong> seinem Team, den like-minded donors in der donor<br />

working group <strong>und</strong> den unmittelbaren Gebern des RNCST Projekts.<br />

Aufgr<strong>und</strong> unser bisherigen Erfahrungen halten wir es für eine effektive Zusammenarbeit<br />

zwischen staatlichen <strong>und</strong> nicht-staatlichen Akteuren in einem Konfliktgebiet für<br />

vielversprechend, eine gemeinsame Handlungstheorie (theory of action) zu entwickeln <strong>und</strong><br />

als Ziel zu vereinbaren, gemeinsam an einem „Netzwerk für effektives Handeln“ (network of<br />

effective action) mitzuarbeiten. 66 Ein NEA soll unterschiedlichste Akteure in einem<br />

Konfliktgebiet zusammenbringen <strong>und</strong> zwar in einer Art <strong>und</strong> Weise, die weder zufällig noch<br />

zentral koordiniert ist („in a chaordic fashion“: dezentrale Entscheidungsfindung,<br />

Selbstorganisation, flexible Form). In den Worten Riciglianos sind NEAs:<br />

„(...)essentially a communication network with a common goal (...) and some shared rules of<br />

the road. Members of a NEA may choose to coordinate with each other, but are not required to<br />

do so.” 67<br />

Idealerweise sollen NEAs Organisationen umfassen, die im politischen, sozialen <strong>und</strong><br />

strukturellen Bereich einer Gesellschaft aktiv sind, die internationale, nationale <strong>und</strong> lokale<br />

Perspektiven abdecken sowie prozessorientiert zusammenarbeiten. NEAs <strong>und</strong> andere<br />

Netzwerke funktionieren vor allem dann effektiv, wenn keine überhöhten Erwartungen an die<br />

sofortige Leistungsfähigkeit eines Verb<strong>und</strong>es gestellt werden, sondern eine sukzessive<br />

Entwicklung von guten Verfahren <strong>und</strong> ein Lernen zwischen den Beteiligten stattfindet.<br />

Weitere Voraussetzungen für eine erfolgreiche Kooperation sind die Existenz von Akteuren<br />

mit facilitation Fähigkeiten <strong>und</strong> Kapazitäten, die bereit sind, sich für die Vernetzung<br />

einzusetzen, die in ihrer Funktion akzeptiert werden <strong>und</strong> darüber hinaus Ressourcen für den<br />

Aufbau von institutionellen Kapazitäten von anderen Mitgliedern des Netzwerks mitbringen. 68<br />

5.4 <strong>Systemische</strong> Mobilisierung von „Agenten friedlichen Wandels“<br />

In diesem Unterkapitel werden die Zielgruppen der systemischen <strong>Konflikttransformation</strong> näher<br />

beleuchtet <strong>und</strong> die <strong>Konzept</strong>e der agents of peaceful change <strong>und</strong> der „kritische Masse“ vorgestellt.<br />

Darüber hinaus werden die Notwendigkeiten der Verknüpfung von Dialogmaßnahmen <strong>und</strong> capacitybuilding<br />

in der Arbeit mit diesen Agents <strong>und</strong> der Institutionalisierung betont.<br />

Wie können einheimische Akteure nachhaltig <strong>und</strong> wirksam dergestalt unterstützt werden,<br />

dass sie wesentlich zur <strong>Konflikttransformation</strong> beitragen? Während die <strong>Konzept</strong>e der<br />

Friedensallianzen <strong>und</strong> der Friedenspotentiale vor allem auf die Stärkung<br />

veränderungsbereiter gesellschaftlicher Friedenskräfte setzten, geht die systemische<br />

<strong>Konflikttransformation</strong> explizit davon aus, dass es wesentlich ist, Akteure des Wandels unter<br />

66 Vgl. Ricligiano 2003, a.a.O.<br />

67 Ricligiano 2003, a.a.O., S. 457.<br />

68 Reimann/Ropers 2005, a.a.O.<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

55


den politischen Entscheidungsträgern zu identifizieren <strong>und</strong> zu unterstützen. Im folgenden<br />

sollen deshalb die folgenden Komponenten dargestellt werden:<br />

• Agents of peaceful change<br />

• „kritische Masse“<br />

• Verknüpfung von Dialog & capacity building<br />

• Institutionalisierung <strong>und</strong> Unterstützung durch Organisationsentwicklung<br />

Agents of peaceful change<br />

Gewaltsame politische Konflikte sind in der Regel dadurch gekennzeichnet, dass strategische<br />

Einflussgruppen der streitenden Parteien eine überkommene Machtordnung<br />

aufrechterhalten oder verändern wollen. In diesem Spannungsfeld von “Agenten der<br />

Beharrung” <strong>und</strong> “Agenten des Wandels” 69 gibt es zudem kleine Gruppen, die sich für<br />

einvernehmliche, inklusive <strong>und</strong> Kompromisslösungen stark machen. Diese agents of peace<br />

werden oft als kleine <strong>und</strong> wenig einflussreiche Gruppen wahrgenommen, weil die<br />

Aufmerksamkeit sich vor allem auf die artikulierte zivilgesellschaftliche Elite richtet.<br />

Systemisch interessant ist es, das <strong>Konzept</strong> auf das eines agents of peaceful change zu<br />

erweitern. Dann können darunter viele Angehörige funktionaler Eliten <strong>und</strong> auch moderate<br />

Vertreter der direkten Konfliktparteien gefasst werden.<br />

Das RNCST Projekt in Sri Lanka basiert auf der Hypothese, dass es möglich ist agents of<br />

peaceful change zu identifizieren, sie zu unterstützen <strong>und</strong> strategisch zusammenzuführen.<br />

Dabei sollen unter dem Oberbegriff „100+“ mindestens 100 Schlüsselpersonen in strategisch<br />

wichtigen <strong>und</strong> politisch einflussreichen Schaltstellen identifiziert <strong>und</strong> zusammengebracht<br />

werden. Dazu werden wichtige Personen innerhalb der stakeholders, der Elite der<br />

Zivilgesellschaft sowie innerhalb der traditionell veränderungsresistenten Schichten wie dem<br />

buddhistischen Klerus <strong>und</strong> dem öffentlichen Dienst ausgesucht. Die identifizierten<br />

Einzelpersonen stehen für unterschiedliche ideologische, politische <strong>und</strong> normative <strong>Konzept</strong>e<br />

von Veränderung. Aber sie zeichnen sich als agents of peaceful change (AoPC) u.a. dadurch<br />

aus, dass sie alle einen Minimalkonsens vertreten, der die Bereitschaft zum friedlichen<br />

Wandel, die Akzeptanz der Gleichberechtigung aller in Sri Lanka lebenden Ethnien <strong>und</strong> die<br />

Notwendigkeit der Erzielung einer gerechten Friedenslösung umfasst.<br />

Eine wesentliche Herausforderung für die Arbeit der Berghof Stiftung bestand darin, die AoPC<br />

innerhalb der stakeholders einem ständigen screening zu unterziehen. In einer sich<br />

kontinuierlich verändernden politischen Landschaft wechseln der Grad des Einflusses <strong>und</strong><br />

der politischen Macht. Einflussreiche Politiker, Berater oder Beamte können aufgr<strong>und</strong> von<br />

Regierungsumbildungen an Einfluss verlieren, evtl. diesen aber zu einem späteren Zeitpunkt<br />

oder an anderer Stelle wiedererlangen. Deshalb ist es nötig, ein möglichst großes Netzwerk<br />

von AoPC aufzubauen, wie in unserem Fall mit 100+.<br />

69 Das <strong>Konzept</strong> der agents of change hat seine Wurzeln in Ansätzen der Betriebswirtschaftslehre, wo es um die<br />

Identifizierung von „Innovatoren“ oder „Katalysatoren“ zur Erklärung von Markttrends geht. Es wurde in DFIDs<br />

drivers of change <strong>Konzept</strong> für den Bereich der Entwicklungsarbeit adaptiert. DFID hatte das drivers of change<br />

Modell 2001 entwickeln lassen, das eine verbesserte Erklärung für die Persistenz von Armutsstrukturen in Hinblick<br />

auf das politische System <strong>und</strong> gesellschaftliche Institutionen in Entwicklungsländern ermöglicht. Zentral ist die<br />

Ergebnisoffenheit von gesellschaftlichem Wandel <strong>und</strong> die wichtige Rolle von Institutionen (soziale Regeln), als<br />

Vermittler zwischen Strukturen <strong>und</strong> Akteuren. In der praktischen Anwendung wurden hiermit sehr breite<br />

Akteursgruppen, wie die Medien, die Zivilgesellschaft oder die Jugend als drivers of change identifiziert. Für die<br />

systemische Konfliktbearbeitung sind diese Großgruppen aus unserer Erfahrung zu weit gefasst, weshalb wir uns<br />

im <strong>Konzept</strong> der agents of peaceful change auf strategische Gruppen/Organisationen <strong>und</strong> Einflusspersonen mit<br />

privilegiertem Zugang zu politischen, ökonomischen, militärischen Machtressourcen beschränken.<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

56


Zusammengefasst zeichnen sich AoPC durch folgende Eigenschaften aus:<br />

1. Männer <strong>und</strong> Frauen oder Organisationen, die willens <strong>und</strong> qua Einfluss fähig sind,<br />

politische Veränderungen einzuleiten <strong>und</strong> zu unterstützen;<br />

2. Sie sind in ihrer Zusammensetzung nicht kohärent <strong>und</strong> benötigen unterschiedliche<br />

Formen der Unterstützung wie Logistik, <strong>Konzept</strong>entwicklung, Methoden-Trainings;<br />

3. Sie müssen nicht unbedingt die gleichen Vorstellungen <strong>und</strong> Visionen notwendiger<br />

Veränderungen haben, wie eine Drittpartei, die in einem Konflikt mit transformativer<br />

Absicht interveniert. Sie müssen aber zumindest eine Reihe von Minimalvorstellungen<br />

hinsichtlich z.B. der Notwendigkeit eines friedlichen Wandels, der Akzeptanz einer<br />

gleichberechtigten multiethnischen Gesellschaft, etc. teilen, die eine Kooperation auf<br />

Zeit zulassen;<br />

4. Als Partner, Verstärker (Advokaten) <strong>und</strong> Vermittler (Multiplikatorenfunktion) von<br />

Veränderungsprozessen innerhalb der politischen Eliten sind sie für die systemische<br />

Konfliktbearbeitung in hohem Maße relevant.<br />

5. Sie tragen zur Beurteilung der Attraktivität von politischen Konfliktlösungsansätzen<br />

bei bzw. können deren Relevanz in ihrem jeweiligen Wirkungsfeld beobachten.<br />

In der Regel finden sich die AoPC innerhalb der politischen Elite im Bereich der oft als<br />

„Moderate“ oder „Reformer“ bezeichneten Gruppen. Von einem systemischen Blickwinkel<br />

aus, ist es aber auch geraten, die Hardliner (auch als non-like minded beschrieben) in den<br />

Blick zu nehmen <strong>und</strong> zu überlegen, wie diese Gruppen <strong>und</strong> Individuen strategisch in die<br />

Konfliktbearbeitung einbezogen werden können. Wie die historische Erfahrung zeigt, können<br />

Hardliner, die sich in kritischen Situationen für den Wechsel hin zu gewaltfreien<br />

Lösungsstrategien entscheiden, diese in der Regel leichter im Hinblick auf ihre populäre<br />

Unterstützung durchsetzen (so sei z.B. an Richard Nixons Politik der Ost-West Entspannung,<br />

an Charles De Gaulles Algerienpolitik oder an die Friedenspolitik Yitzhak Rabins erinnert).<br />

Können wir diese Prozesse des „historischen Perspektivwechsels“ unterstützen, indem wir<br />

z.B. mit einflussreichen Beratern <strong>und</strong> think tanks im eher konservativen politischen Spektrum<br />

kooperieren? Wie müssen Optionen gewaltfreier Konfliktlösungsstrategien aufbereitet <strong>und</strong><br />

kommuniziert werden, damit sie bei einem breiten Spektrum von Akteuren Gehör finden?<br />

Auch wenn der Zugang zu Hardlinern in vielen Fällen nicht gegeben sein mag, ist es in<br />

Situationen, in denen eine Einflussnahme möglich erscheint, sicherlich lohnenswert über<br />

eine Strategie des Engagements mit Hardlinern nachzudenken.<br />

Agents of peaceful change in the Georgia-Abkhazia Programme<br />

The development of the CR-Berghof Schlaining process, as with all areas of CR’s work in the<br />

Caucasus, has been shaped by a variety of partners, people who perceived the need for an<br />

engagement of this sort with their own political establishments and who saw the need for external<br />

interlocutors in driving it forward. The political instincts of these partners and their analysis of the<br />

developments and needs of their respective societies were instrumental in the development of the<br />

Schlaining process (as well as informing much of CR’s overall work).<br />

Working across a conflict divide and with a range of partners there is a question as to whose agenda<br />

one is working to: are we trying to reconcile opposing agendas? Often we have seen the need to<br />

support partners in working to their own agendas while at the same time creating a space in which<br />

mutually distinct agendas can be discussed. In working on a range of issues with partners it is also<br />

important to respect their capacities – they are working to change their societies but are also having<br />

to juggle the demands of partners and donors from outside and this can lead to a degree of<br />

overstretch.<br />

The criteria for selecting participants in the Schlaining process are driven by the politics of the<br />

situation. People are selected on the basis of their relation to the political process within their own<br />

communities, their relation to the conflict and peace process and their capacity to engage with the<br />

opportunities and obstacles within the peace process. While people take part in their individual<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

57


capacities it has always been important to invite participants who perform functionally relevant tasks<br />

and those who have the scope to impact upon public opinion. In selecting participants CR has always<br />

consulted widely in order to develop a vision of who the influential figures within both communities<br />

are. It has been important to achieve a balance between different forces within the respective<br />

political communities – government and opposition, politicians, officials and civic actors. As noted<br />

above we have attempted to widen and deepen the circle of participants, maintaining relations with<br />

previous participants and drawing new people in as the political landscape in each community<br />

evolves. While CR consults with the political leaderships of the respective parties and discusses<br />

participants from the other side we have sought to avoid a situation whereby the participation of<br />

individuals can be refused – in particular in regard to the participation of IDPs we have sought to<br />

push at the bo<strong>und</strong>aries imposed by the Abkhaz (and in doing so over time there has been an<br />

evolution in the range of participants and people who have taken part in meetings in 2003-5 would<br />

certainly have been unacceptable in earlier meetings) while not proposing people who we knew it<br />

would be politically difficult for the Abkhaz to meet.<br />

One area it has been harder to find the appropriate balance has been in regard to gender: the<br />

predominantly male politics of Georgia and Abkhazia has meant that most of the participants have<br />

been male and those women who have taken part have more often than not been civic activists –<br />

reflecting the fact that in much of the post-Soviet world women have been instrumental in the<br />

growing influence of civil society.<br />

Kritische Masse<br />

Eine zweite Kategorie zur Identifizierung von Akteuren des Wandels i.w.S. ist diejenige der<br />

“kritischen Masse”. Damit sind derjenige quantitative Umfang <strong>und</strong> ein solches<br />

Einflusspotential von agents of peaceful change gemeint, die notwendig sind, damit diese<br />

Gruppe zu einem ernstzunehmenden Akteur im gesellschaftlichen Wandel wird. Basierend<br />

auf Thesen der Revolutionsforschung <strong>und</strong> Chaostheorie kann argumentiert werden, dass in<br />

Phasen unübersichtlicher gesellschaftlicher Umbrüche relativ kleine Gruppen einen<br />

überproportionalen Einfluss haben können. Dabei kann es eine maßgebliche Rolle spielen,<br />

ob es ihnen gelingt, überzeugende Visionen für die Lenkung <strong>und</strong> Orientierung in diesem<br />

Wandlungsprozess anzubieten <strong>und</strong> sie in der Lage sind, effektive Netzwerke der Kooperation<br />

zu entwickeln. Offen bleibt die Frage, wie viel externe Hilfe das Potential einer sozialen<br />

Bewegung stärkt <strong>und</strong> wie viel Hilfe sie politisch schwächt, d.h. ihre Legitimität in Frage stellt.<br />

Externe Unterstützung muss deshalb konsequent dem Vorwurf der Fremdsteuerung oder<br />

eines finanziellen Abhängigkeitsverhältnisses zur Durchsetzung eigener politischer bzw.<br />

wirtschaftlicher Vorstellungen vorbeugen.<br />

In diesem Sinne ist es ein zentrales Ziel der systemischen <strong>Konflikttransformation</strong>, die agents<br />

of peaceful change dahingehend zu stärken <strong>und</strong> zu unterstützen, dass sie als “kritische<br />

Masse” wirken können, also als Gruppe die Fähigkeit entwickeln, den gesellschaftlichen<br />

Wandel zugunsten der Attraktion <strong>und</strong> Übernahme von Machtteilungskonzepten zu<br />

beeinflussen. John Paul Lederach bevorzugt an dieser Stelle den Begriff des critical yeast, um<br />

den Aspekt der Qualität (des <strong>Konzept</strong>s der Machtteilung) gegenüber demjenigen der Quantität<br />

(der Zahl der Personen, die sich zugunsten dieses <strong>Konzept</strong>s engagieren) zu betonen. 70 In der<br />

strategischen Zielsetzung des Ressource Network for Conflict Transformation and Studies in<br />

Sri Lanka geht es darum, beide Aspekte zu kombinieren: Sowohl das <strong>Konzept</strong> so<br />

weiterzuentwickeln, dass sein Problemlösungspotential für den ethnischen Konflikt eine<br />

“kritische Überzeugungskraft” gewinnt <strong>und</strong> soviele Vertreter in strategisch einflussreichen<br />

Positionen zu mobilisieren, dass sie gemeinsam eine neue kollektive Definitionsmacht<br />

gewinnen.<br />

70 Ledearch 2005, S. 87 ff.<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

58


Das <strong>Konzept</strong> der „kritischen Masse“ steht auch im Bezug zu der vom Reflecting on Peace<br />

Practice (RPP) Projekt aufgeworfenen Frage, ob more people oder key people in die Arbeit<br />

einbezogen werden sollen (vgl. Kap. 4.3) Da die systemische <strong>Konflikttransformation</strong><br />

insbesondere auf politische Entscheidungsträger (track 1,5) einzuwirken sucht, sind die hier<br />

ausgewählten agents of peaceful change in der Kategorie der key people einzuordnen. Aber es<br />

macht Sinn, die Frage auch im Bereich politisch einflußreicher Akteure erneut zu stellen: Ist<br />

es ratsam, darauf hinzuarbeiten, einige sehr einflussreiche agents of peaceful change in<br />

zentralen Positionen zu gewinnen? Oder ist es langfristig sinnvoller, agents of peaceful<br />

change in allen thematischen Schlüsselbereichen des Konflikts zu unterstützen? Letztlich<br />

kann diese Frage nur kontextabhängig beantwortet werden <strong>und</strong> hängt u.a. von den Zugängen<br />

<strong>und</strong> Zugangsmöglichkeiten zur politischen Elite sowie der gr<strong>und</strong>legenden strategischen<br />

Ausrichtung <strong>und</strong> der Ressourcenausstattung des Projekts ab.<br />

Verknüpfung von capacity building <strong>und</strong> Dialog<br />

Eine klassische Form der Verknüpfung in der Konfliktbearbeitung ist diejenige zwischen<br />

“Kapazitätsbildung/Training” <strong>und</strong> “Dialogarbeit”. Hierbei wird eine konfliktbezogene<br />

Weiterbildungsveranstaltung mit Angehörigen verschiedener Konfliktparteien zugleich für<br />

den Dialog <strong>und</strong> die Anwendung des “Gelernten” auf den eigenen Konflikt genutzt. In der<br />

Konfliktbearbeitungsprofession gibt es unterschiedliche Einschätzungen dazu, wie sinnvoll<br />

diese Kombination ist. Aus systemischer Perspektive spricht viel für diese Kombination, weil<br />

sie die Beteiligten zum wiederholten Perspektivenwechsel bzw. Systemwechsel anhält, um das<br />

Gelernte auf das “eigene System” anzuwenden.<br />

Am Beispiel der Arbeit in Sri Lanka lässt sich dies erläutern, weil es gerade einer der<br />

Schlüsselbereiche des Ressource Network for Conflict Studies and Transformation ist, die<br />

Förderung des Diskurses zur Machtteilung <strong>und</strong> zum Föderalismus mit der Stärkung<br />

einheimischer Kapazitäten zur Unterstützung von Verfassungsreformen im Sinne dieser<br />

Zielsetzungen zu verbinden. Dieser Bereich leitet sich aus der Arbeitshypothese ab, dass die<br />

Reform des srilankischen Staates zugunsten von Machtteilungs- <strong>und</strong> föderalistischen<br />

<strong>Konzept</strong>en eine notwendige Komponente einer nachhaltigen <strong>und</strong> gerechten Friedenslösung<br />

darstellt. Dabei wird im RNCST Wert darauf gelegt, dass nicht eine föderale Lösung propagiert<br />

wird, sondern dass mit diesem Begriff eine Vielzahl unterschiedlicher Machtteilungskonzepte<br />

gemeint sind (weshalb dafür auch der Begriff der “multiplen Zukünfte” benutzt wird). Sie<br />

reichen von Modellen asymmetrischer Autonomie für die Nordost-Provinz über verschiedene<br />

Grade von Dezentralisierung, Regionalisierung bis zur Föderalstaatlichkeit i.e.S. <strong>und</strong> können<br />

auch konföderale Arrangements umfassen. Welche von ihnen letztlich einer Regelung<br />

zugr<strong>und</strong>egelegt werden, muss von den Parteien selbst entschieden bzw. verhandelt werden.<br />

Der Ausgangspunkt ist hier, dass Verhandlungen auf der offiziellen Ebene nicht ausreichen,<br />

um den umfassenden Herausforderungen einer derart einschneidenden Verfassungsreform<br />

gerecht zu werden. Erforderlich sind vielmehr ein breiter gesamtgesellschaftlicher Diskurs<br />

über verschiedene Modelle von Machtteilung sowie eine Vielzahl von Räumen <strong>und</strong> Foren,<br />

in/auf denen dieses Thema “kleingearbeitet” wird, d.h. als nicht-bedrohliche, legitime <strong>und</strong><br />

effiziente Staatsverfassung “angeeignet” werden kann. Dazu gehören neben dem klassischen<br />

Instrument von Experten-Workshops eine breite Palette von Aktivitäten: Integration in die<br />

Aus- <strong>und</strong> Weiterbildungsprogramme von Juristen, Verwaltungsbeamten, Journalisten, Lehrer<br />

u.a., Studien zu Teilaspekten <strong>und</strong> Alternativkonzepten, Publikationen für unterschiedliche<br />

Zielgruppen, Medienprogramme, öffentliche Foren <strong>und</strong> Paneldiskussionen etc. Diese Vielfalt<br />

an Aktivitäten bedarf der Zusammenarbeit von diversen Organisationen. Deshalb ist das<br />

RNCST-Ziel hier der Aufbau einer Netzwerk-Organisation unter dem Arbeitstitel einer “Sri<br />

Lankan Association of Federalists”.<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

59


Die Arbeit mit agents of peaceful change einschließlich der durch die Kombination von<br />

capacity building <strong>und</strong> Dialogmaßnahmen initiierten Prozesse sozialen <strong>und</strong> politischen<br />

Wandels kann allerdings nur erfolgreich sein, wenn sie als längerfristiger, detailliert<br />

strukturierter Prozess angelegt wird.<br />

Institutionalisierung <strong>und</strong> Unterstützung durch Organisationsentwicklung<br />

Eine Form der effektiven <strong>und</strong> nachhaltigen Kooperation ist diejenige der<br />

Institutionalisierung. Sie kann unterschiedliche Formen annehmen, von der Etablierung von<br />

den stakeholders nahestehenden think tanks zur Unterstützung ihrer Verhandlungsstrategien<br />

über die Organisation inklusiver Friedenssekretariate bis zur Schaffung von Institutionen zur<br />

Vorbereitung <strong>und</strong> Popularisierung von Verfassungsreformen, Machtteilungskonzepten usw.<br />

Die Entwicklung von institutionalisierten Formen der Zusammenarbeit einer Kerngruppe von<br />

Personen, die die Vision einer Konfliktregelung durch Machtteilungskonzepte teilen <strong>und</strong> die<br />

gemeinsam eine arbeitsteilige Prozessorganisation in Angriff nehmen, ist ein zentrales<br />

Architekturelement im Föderalismuskonzept des RNCST. Ausgangspunkt waren jene<br />

Institutionen, die sich diesem Thema bereits in der Vergangenheit verschrieben hatten, wie<br />

das Center for Policy Alternatives (CPA) <strong>und</strong> eine genauere Bestimmung ihres Potentials <strong>und</strong><br />

ihrer Pläne für den Ausbau dieses Arbeitsfeldes. Der nächste Schritt war die Identifizierung<br />

jener Gesellschaftsbereiche, in denen eine Institutionalisierung einen besonderen Mehrwert<br />

haben würde. Daraus ergab sich die Unterstützung bei der Gründung eines<br />

Qualifizierungszentrums für Angehörige des öffentlichen Dienstes, die sich der Förderung des<br />

Föderalismus verschrieben hatten (Institute of Professionals in Public Administration, IPPA).<br />

Gegenwärtig unterstützt die Berghof Stiftung die Institutionalisierung von think tanks die den<br />

stakeholders nahe stehen. Dabei wird u.a. die Möglichkeit erörtert, ob diese Einrichtungen<br />

nicht in eine multi-ethnische <strong>und</strong> politisch diversifizierte gemeinsame Institution aufgehen<br />

können.<br />

Ein weiteres Beispiel für eine Kombination von agents of peaceful change, die innerhalb der<br />

muslimischen Gemeinschaft in Sri Lanka identifiziert werden konnten, mit einem Aufbau von<br />

institutionellen Ressourcen, stellt die vom RNCST unterstützte Gründung des Muslim Peace<br />

Secretariats dar. Dieser Prozess wurde innerhalb des Projekts zuerst als ein<br />

Unterstützungsversuch gesehen, um den bisher in der srilankischen Öffentlichkeit<br />

weitgehend ignorierten Leidenserfahrungen der muslimischen Minderheit eine Stimme zu<br />

verleihen. Im Zuge einer sich weiter entwickelnden Institutionalisierung der Netzwerke von<br />

agents of peaceful change, konnte das Muslim Peace Secretariat bereits in einigen<br />

Themenfeldern eine Lobbyfunktion für die politischen Anliegen der muslimischen<br />

Gemeinschaft vis-a-vis offizieller politischer Entscheidungsträger spielen <strong>und</strong> wird sicherlich<br />

auch bei einer Wiederaufnahme von offiziellen Friedensverhandlungen nicht ohne Gehör<br />

bleiben.<br />

Insgesamt kann für den Prozess der Institutionalisierung von Unterstützungs- <strong>und</strong><br />

Netzwerkstrukturen einheimischer Akteure auch auf einige zentrale Erfahrungen aus<br />

Organisationsentwicklung (OE) <strong>und</strong> change management zurückgegriffen werden:<br />

1. Externe Akteure sollten die Institutionalisierung von Unterstützungs- <strong>und</strong><br />

Netzwerkstrukturen nicht nur allein finanziell unterstützen, sondern auch Fach- <strong>und</strong><br />

Prozessberatung anbieten. Hierbei kommt externen Akteuren eine besondere Rolle zu,<br />

weil in vielen Konfliktländern, die durch schwache oder ineffiziente Staatsstrukturen<br />

geprägt sind, genau für diese Überführungsphase von kurzfristiger projektbezogener<br />

Arbeit hin zu mittel- <strong>und</strong> langfristigen Institutionalisierungen oftmals nicht genügend<br />

Ressourcen <strong>und</strong> Fachwissen zur Verfügung stehen.<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

60


2. Eine Finanzierung darf dabei weder nach dem Gießkannenprinzip erfolgen, noch zu<br />

einer unhinterfragten Förderung von vermeintlich gut arbeitenden<br />

Einzelinstitutionen führen. In Anlehnung an Peter Senge ist ein klassischer Fehler bei<br />

Reformvorhaben <strong>und</strong> Organisationsentwicklung, auf positive Entwicklungen nur mit<br />

einer Erhöhung des Inputs zu reagieren. Zur systemischen Fach- <strong>und</strong> Prozessberatung<br />

gehört deshalb, sich immer wieder auf die einwirkenden Faktoren aus dem<br />

Konfliktsystem zu beziehen <strong>und</strong> diese beim Aufbau von Unterstützungsstrukturen <strong>und</strong><br />

in der Arbeitsplanung zu berücksichtigen.<br />

3. Design <strong>und</strong> Implementierung von Organisationsentwicklungsprozessen müssen<br />

primär an Bedürfnissen <strong>und</strong> Interessen der einheimischen Partner oder agents of<br />

peaceful change ausgerichtet sein, ohne relevante Lernerkenntnisse, die sich aus<br />

anderen internationalen Friedensprozessen, oder aus den systemischen Prinzipien<br />

von Allparteilichkeit <strong>und</strong> Nachhaltigkeit ergeben, aus den Augen zu verlieren.<br />

4. Je nach Zielsetzungen der Organisationen, ob es sich eher um Vermittlungsaufgaben<br />

in der Öffentlichkeit (z.B. bestimmte Themen wie Föderalismus zu popularisieren),<br />

um informelle, fachlich <strong>und</strong> administrative Unterstützungsstrukturen (think tanks,<br />

Friedenssekretariate) handelt oder es darum geht, Kreativitätstechniken zur<br />

permanenten Generierung von Lösungsansätzen durch Vertreter der Konfliktparteien<br />

zu institutionalisieren, müssen Organisationsentwicklungsprozesse unterschiedliche<br />

Strategien entwickeln. Hierbei muss insbesondere die wichtige Frage der<br />

Personalauswahl <strong>und</strong> –platzierung mitberücksichtigt werden.<br />

5. Um die Zusammenarbeit von Akteuren <strong>und</strong> stakeholders zu ermöglichen, die einen<br />

sehr unterschiedlichen Zugang zu Ressourcen haben oder deren Verhältnis durch die<br />

Wahrnehmung starker Machtasymmetrien geprägt ist, ist zum einen ein<br />

ausreichender Vertrauensaufbau sicherzustellen. Zum anderen ist zu garantieren,<br />

dass eine anerkannte Persönlichkeit als Prozess facilitator zur Verfügung steht. Diese<br />

Struktur sollte institutionell verankert werden. Innerhalb von heterogenen<br />

Netzwerken ist darüber hinaus der Aufbau von Führungsrollen schrittweise unter<br />

Anerkennung fachlicher Kompetenzen zu entwickeln, weil sonst die Gefahr droht, das<br />

Führungsauseinandersetzungen das ergebnisorientierte Arbeiten beeinträchtigt.<br />

6. <strong>Systemische</strong> Planung <strong>und</strong> systemisches Lernen unter den Bedingungen von<br />

Routinehandeln ist oft langwierig <strong>und</strong> setzt adäquate Räume <strong>und</strong><br />

Unterstützungsangebote voraus, in denen out of the box thinking stattfinden kann<br />

<strong>und</strong> dann auch wieder im Hinblick auf konkrete politische Situationen fokussiert<br />

werden kann. Ein Beispiel ist die Peace Review Group, in der sehr unterschiedliche<br />

politische Perspektiven zusammengebracht wurden <strong>und</strong> sich ein kreativer<br />

Arbeitsprozess entfaltete, der aufgr<strong>und</strong> adäquater Moderation <strong>und</strong> Unterstützung<br />

zeitnah in einer gemeinsamen Publikation mündete. Motivationsfaktor war die<br />

gemeinsame Vision, das window-of-opportunity vor der damals für April 2004<br />

geplanten Wiederaufnahme der offiziellen Friedensverhandlungen, zu nutzen.<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

61


5.5 <strong>Systemische</strong> Kreativität bei der Imagination von inhaltlichen Lösungen<br />

In diesem Unterkapitel wird die Notwendigkeit betont, die Konfliktakteure bei der Erarbeitung von<br />

konstruktiven Lösungsansätzen zu unterstützen. Dabei müssen nicht nur inhaltliche <strong>und</strong> affektive<br />

Widerstände <strong>und</strong> Blockaden bearbeitet, sondern insbesondere das ownership der Beteiligten<br />

berücksichtigt werden. Es geht also um einen ergebnisoffenen gemeinsamen Lernprozess, der durch<br />

„paradoxe Interventionen“, Kreativtechniken sowie Wissenstransfer angeregt werden kann.<br />

Gewaltkonflikte zeichnen sich durch eine Verhärtung von Positionen der Konfliktparteien<br />

aus. Dies gilt insbesondere bei langjährigen Konflikten, wo die Bereitschaft zur Generierung<br />

<strong>und</strong> Erprobung kreativer neuer Lösungsmodelle besonders gering ist, da dies aufgr<strong>und</strong> der<br />

Opferhaltung der Konfliktparteien (wodurch die Folgen der Gewalt als Kosten für die eigene<br />

Gruppe gewertet werden) als Verlust gewertet wird <strong>und</strong> die Haltung des Alles oder Nichts<br />

dominiert. Für Drittparteien stellt sich zudem die Herausforderung zur Erarbeitung von<br />

inhaltlichen Vorschlägen beizutragen, die dem Kontext entsprechen <strong>und</strong> für Akteure<br />

akzeptabel sind. Standardlösungen oder eine Übertragung der eigenen Vorstellungen für eine<br />

Lösung auf die Konfliktparteien werden in der Regel ins Leere laufen oder müssen gegen die<br />

Akteure mit Gewalt durchgesetzt werden, wie es beispielsweise im Rahmen internationaler<br />

Interimsadministrationen geschehen ist.<br />

Im folgenden wird auf folgende Komponenten Bezug genommen:<br />

• Paradoxe Interventionen<br />

• Impulse, Kreativtechniken <strong>und</strong> Wissenstransfer<br />

• „Pushing frontiers not solutions“<br />

Paradoxe Interventionen<br />

Da sich die systemische <strong>Konflikttransformation</strong> qua Definition „systemsensibel“ mit den<br />

Interdependenzen unterschiedlicher thematischer Diskurse beschäftigt, ist sie prinzipiell gut<br />

in der Lage „blinde Flecken“ in den thematischen Auseinandersetzungen zu identifizieren<br />

<strong>und</strong> die Akteure darin zu unterstützen, kreative <strong>und</strong> tragfähige Lösungsansätze zu entwickeln.<br />

Vereinzelte <strong>und</strong> unter-komplexe Interventionen in protracted social conflicts, die sich durch<br />

einen hohen Grad an interner Selbst-Reproduktion sowie Veränderungsresistenz<br />

auszeichnen, sind wenig wirksam oder können sogar kontraproduktive Effekte auslösen.<br />

Erforderlich sind Interventionen, die “system-adäquat” oder genauer gesagt, so “systemstörend”<br />

sind, dass sie der Selbst-Reproduktion des Konflikts entgegenwirken <strong>und</strong> geeignet<br />

sind, eine Systemtransformation einzuleiten. Unter „system-störenden“ Interventionen sind<br />

nicht unbedingt, die Interventionen gemeint, die an den Widerständen ansetzten, sondern<br />

eher auf Paradoxien hinweisen <strong>und</strong> die kreative Irritationen zu verursachen suchen.<br />

Paradoxe Interventionen<br />

Paradoxe Interventionen sind “all jene Interventionsformen .., die entgegen den Erwartungen des<br />

Klientensystems darauf abzielen, dem Klientensystem zu signalisieren: Sie können sich nur ändern,<br />

wenn Sie so bleiben, wie Sie sind.“ 71 Interventionen dieser Art, so eine verbreitete Annahme vor allem<br />

in der systemischen Beratung von Double-bind-Situationen, können bei starkem Widerstand gegen<br />

Veränderungen zu kreativer Irritation führen: Ist es nicht besser für Sie, wenn der Konflikt bestehen<br />

bleibt? Auf diese Weise werden jene Anteile des Konflikts leichter zugänglich, die auf die Gewinner<br />

<strong>und</strong> Verlierer verweisen <strong>und</strong> dass die Konfliktbearbeitung diese Balance verändern wird.<br />

Zu den paradoxen Interventionen werden auch die Interventionstechniken des Umdeutens /<br />

reframing, der positiven Konnotation (Hervorheben guter Eigenschaften bestimmter<br />

71 Königswieser/Exner 2004, S. 37.<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

62


Konfliktfaktoren), etc. gezählt, die auf die Entwicklung kreativer Lösungen <strong>und</strong> Optionen<br />

abzielen.<br />

Impulse, Kreativtechniken <strong>und</strong> Wissenstransfer<br />

Für die Unterstützung der Generierung von kreativen <strong>und</strong> angepassten Lösungen vertrackter<br />

Konflikte bieten sich für Drittparteien weitere Möglichkeiten an, von denen drei im folgenden<br />

vorgestellt werden:<br />

1. Impulse ins Konfliktsystem geben: Die durch systemische Analysen (mit Blick auf<br />

systemeigene Ressourcen) gewonnenen Einsichten <strong>und</strong> Hypothesen werden bspw. in<br />

Form von Studien in das Konfliktsystem eingespeist. In Sri Lanka fand dies in Form<br />

einer Studie zum Friedensprozess statt, die gemeinsam mit bedeutenden<br />

Intellektuellen verfasst wurde <strong>und</strong> viel Öffentlichkeit fand. 72<br />

2. Anwendung von Kreativtechniken im Rahmen von Dialogworkshops: Arbeit mit<br />

Metaphern, mind-mapping, Visuelle Synektik (Arbeit mit Bildern), etc. Als ein<br />

zentrales <strong>und</strong> oft sehr wirkungsvolles Mittel von Problemlösungsworkshops, Dialog<br />

facilitation <strong>und</strong> Mediation hat sich die Methode des Perspektivwechsels erwiesen, die<br />

Konfliktakteure zu einem deutlich erweiterten Blickwinkel verhelfen kann. 73<br />

3. Reflexion <strong>und</strong> Kontextualisierung von systemexternen Erfahrungen: Das Lernen <strong>und</strong><br />

die kritische Reflexion von lessons learned aus anderen Konflikten bzw. Erfahrungen<br />

mit anderen Lösungsansätzen befördern den kreativen Umgang mit der eigenen<br />

Situation (Umgehung der blinden Flecke). Wichtig ist allerdings, im Anschluss den<br />

Transfer dieser Erfahrungen auf den eigenen Konfliktkontext zu leisten <strong>und</strong> falls<br />

möglich spontane Schlussfolgerungen abzuleiten.<br />

„Pushing frontiers, not solutions“<br />

Nachhaltige Problemlösungsverfahren zeichnen sich allerdings dadurch aus, dass hier ein<br />

gemeinsamer Lernprozess zwischen den stakeholdern <strong>und</strong> auch unter Einbeziehung der<br />

Drittparteien stattfindet. Es macht wenig Sinn, Inhalte oder scheinbare Lösungen zu<br />

forcieren, ohne auf das notwendige ownership der Konfliktparteien Rücksicht zu nehmen.<br />

Zudem müssen auch affektive Vorbehalte <strong>und</strong> Widerstände berücksichtigt <strong>und</strong> konstruktiv<br />

bearbeitet werden, was den Drittparteien u.U. ein sehr hohes Maß an prozessualer Sensitivität<br />

abverlangt.<br />

Im Rahmen der Arbeit des Berghof Zentrums in Sri Lanka wurde aufgr<strong>und</strong> politischer<br />

Vorbehalte gegenüber dem Begriff „Föderalismus“ der allgemeinere Begriff des „power<br />

sharings“ (sowie der „multiple futures“ für verfassungspolitische Reformen insgesamt)<br />

gewählt. Da es beim Konflikt in Sri Lanka aber maßgeblich um Fragen politischer<br />

Machtteilung geht, wird es sich bei einer konstruktiven Lösung mit hoher Wahrscheinlichkeit<br />

um eine wie auch immer im Detail aussehende Föderalstruktur handeln. In der<br />

wissenschaftlichen Diskussion zur modernen Staatsrechtslehre werden vielfältige Varianten<br />

föderalistischer Systeme aufgeführt. 74 Drittparteien sollten von diesem reichen Angebot<br />

Gebrauch machen <strong>und</strong> den Konfliktparteien helfen, einen angepassten <strong>und</strong> akzeptablen<br />

Institutionen- <strong>und</strong> Regulierungsmix zu finden.<br />

72 Tyrol Ferdinands, Kumar Rupesinghe, Paikiasothy Saravanamuttu, Jayadeva Uyangoda, Norebrt Ropers: The Sri<br />

Lankan Peace Process at Crossroads: Lessons, Opportunities and Ideas for Principled Negotiations & Conflict<br />

Transformation, Colombo 2004.<br />

73 Vgl. bspw. Ljubjana Wüstehube: Konflikt-Perspektiv-Analyse (KPA) – ein mediationsanaloges Instrument zur<br />

konstruktiven Analyse <strong>und</strong> Bearbeitung von Konflikten. In: Perspektive Mediation Heft 1/2004.<br />

74 Vgl. Thomas Fleiner <strong>und</strong> Lidija R. Basta Fleiner: Allgemeine Staatslehre. Über die konstitutionelle Demokratie in<br />

einer multikulturellen globalisierten Welt, Berlin: Springer Verlag 2004 (3. Aufl.).<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

63


Es gibt prinzipiell vielfältige Möglichkeiten, die Generierung kreativer Lösungsansätze durch<br />

Seminare, Problemlösungsworkshops, Studienreisen etc. zu fördern. Ein Etappensieg der<br />

systemischen <strong>Konflikttransformation</strong> wäre dann erzielt, wenn es gelänge, solche kreativen<br />

Prozesse trotz externen politischen Drucks <strong>und</strong> interner Spaltungstendenzen zu verstetigen,<br />

beispielsweise in Form von akteursübergreifenden Netzwerken oder sonstigen<br />

Unterstützungsstrukturen (Friedenssekretariate, spezialisierte think tanks).<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

64


6. Anwendungskontext <strong>und</strong> Rahmenbedingungen<br />

In diesem Kapitel stehen die wesentlichen Rahmenbedingungen für die Anwendung <strong>und</strong><br />

Nutzung der systemischen <strong>Konflikttransformation</strong> im Mittelpunkt. Dabei geht es unter<br />

anderem auch um die Grenzen des Ansatzes <strong>und</strong> um die Frage nach den möglichen Zugängen<br />

für Drittparteien, wozu wir auch auf die Ergebnisse der vier Kurzstudien zurückgreifen.<br />

6.1 Nutzung <strong>und</strong> Anwendungskontext der systemischen <strong>Konflikttransformation</strong><br />

Die systemische <strong>Konflikttransformation</strong>, wie sie in dieser Studie vorgestellt wird, ist vor allem<br />

für intermediäre Organisationen <strong>und</strong> deren Partner nützlich, die sich im Bereich der<br />

Friedensförderung <strong>und</strong> ZKB engagieren, <strong>und</strong> denen sie vielfältige Anknüpfungspunkte für<br />

eine verbesserte Praxis u.a. im Bereich der Konfliktanalyse <strong>und</strong> strategischer<br />

Interventionsplanung bietet. Darüber hinaus kann der Ansatz auch von MitarbeiterInnen von<br />

Geberorganisationen genutzt werden. Wie in Kap. 7 ausführlicher dargestellt wird, gilt dies für<br />

die Steuerungs- <strong>und</strong> Planungsebene als auch für die Weiterentwicklung <strong>und</strong> strategische<br />

Nutzung friedensfördernder Instrumente. Zuletzt bietet der systemische Ansatz auch<br />

TrainerInnen, KonfliktforscherInnen, MediatorInnen <strong>und</strong> anderen Multiplikatoren im<br />

Bereich der Zivilen Konfliktbearbeitung <strong>und</strong> Friedensförderung viele innovative Anregungen<br />

für die Nutzung <strong>und</strong> Weiterentwicklung systemischer Methoden.<br />

Für welchen Konflikttypus <strong>und</strong> welche Konfliktphasen bietet sich der systemische<br />

Ansatz besonders an?<br />

Im Prinzip bietet der systemische Ansatz Erkenntnisgewinn <strong>und</strong> Handlungsorientierung bei<br />

allen gewaltförmigen Inter-Gruppenkonflikten. Dies gilt insbesondere für die Arten von<br />

Konflikt, bei denen es im Kern um Fragen der Identität, Territorium, Sicherheit <strong>und</strong> des<br />

governance Systems geht. 75 Bei internationalen Konflikten zwischen Staaten gibt es gewisse<br />

Einschränkungen, da das internationale politische System eine Reihe von fest etablierten<br />

Regelungsverfahren entwickelt hat, deren Akteure ausschließlich aus der UN <strong>und</strong> den<br />

kriegsführenden Staaten bestehen. Es ist im Kontext zwischenstaatlicher Konflikte deshalb<br />

auch relativ schwer, bspw. Anknüpfungspunkte zu anderen tracks der Friedensförderung zu<br />

identifizieren. <strong>Systemische</strong> Planungs- <strong>und</strong> Analyseverfahren mögen sich dennoch als sehr<br />

nützlich erweisen. Allerdings gilt zu beachten, dass der Übergang von zwischen-staatlichen<br />

<strong>und</strong> inner-staatlichen Konflikten fließend sein kann (z.B. in der Balkanregion, Kaukasus).<br />

Gewaltkonflikte, die von Staatsverfall <strong>und</strong>/oder starken wirtschaftlichen Motiven der<br />

Konfliktparteien geprägt sind, schränken die Anwendungsmöglichkeiten eines systemischen<br />

Ansatzes der Friedensförderung ebenfalls ein. Zwar gilt, dass eine starke<br />

Ressourcenorientierung der Gewaltakteure ein kohärentes Vorgehen der Gebergemeinschaft<br />

dringend erforderlich machen. Ein inklusiver Ansatz der Friedensförderung wird sich aber mit<br />

der Herausforderung konfrontiert sehen, dass konstruktives Engagement aufgr<strong>und</strong> des<br />

externen politischen Drucks <strong>und</strong> Sanktionierungsmaßnahmen nur begrenzt möglich sein<br />

kann. Ähnliches gilt für Situationen des Staatszerfalls, wobei im Kontext eines hohen<br />

Gewaltniveaus bzw. von Gewalteskalation zusätzlich noch die Frage der Sicherheitssituation<br />

den Handlungsspielraum internationaler, aber auch einheimischer Akteure stark begrenzt<br />

(vgl. auch 6.2). Einige Organisationen wie das in Genf ansässige Centre for Humanitarian<br />

Dialogue (HDC) versuchen, in Eskalationsphasen Korridore für humanitäre Hilfe zu eröffnen<br />

<strong>und</strong> nutzen diese Interaktionen, um die Akteure zu weiterreichenden Maßnahmen zu<br />

bewegen.<br />

75 Laut Marshall & Gurr: Peace and Conflict 2005, a.a.O. liegt die Anzahl der über die Frage politischer<br />

Selbstbestimmung ausgetragenen Bürgerkriege bei 25 im Jahr 2004.<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

65


In der überwiegenden Mehrzahl der gegenwärtigen Gewaltkonflikte kann die systemische<br />

<strong>Konflikttransformation</strong> aber sinnvoll zum Tragen kommen. Wie die Kurzstudien zu Nepal,<br />

Sudan <strong>und</strong> Aceh/Indonesien zeigen, gilt dies sowohl für politisch vermachtete Konflikte wie<br />

Nepal, in denen es um Fragen des governance Systems geht. Hier kann der systemische Ansatz<br />

einerseits von Geberorganisationen zur Planung <strong>und</strong> Abstimmung einer kohärenten Strategie<br />

genutzt werden, andererseits aber auch dazu dienen, dass intermediäre Organisationen<br />

zusammen mit einheimischen Akteuren zur Identifikation <strong>und</strong> Stärkung von agents of<br />

peaceful change <strong>und</strong> zum Aufbau von Schlüsselkapazitäten <strong>und</strong> von Unterstützungs- <strong>und</strong><br />

Netzwerkstrukturen zur Transformation des Konflikts beitragen.<br />

In Aceh/Indonesien <strong>und</strong> Sudan ist die Situation etwas anders gelagert, da es in beiden Fällen<br />

bereits eine Friedensvereinbarung zwischen Konfliktakteuren gibt (MoU zwischen GAM <strong>und</strong><br />

der indonesischen Regierung bzw. der Friedensvertrag zwischen SPLA/M <strong>und</strong> der<br />

sudanesischen Regierung). In beiden Konfliktfällen, die im Kern ebenfalls auf Fragen der<br />

Identität, des governance Systems, ökonomischer Marginalisierung <strong>und</strong> der Frage einer<br />

gerechten Aufteilung natürlicher Ressourcen (Erdöl <strong>und</strong> Erdgas) beruhen, ist die Situation<br />

aber politisch äußerst fragil; <strong>und</strong> die Gefahr eines Rückfalls in eine erneute Spirale der Gewalt<br />

äußerst real. Sudan <strong>und</strong> Aceh unterscheiden sich in zwei wichtigen Aspekten: a) der<br />

Machtasymmetrie, die in Aceh/Indonesien extrem ausgeprägt ist <strong>und</strong> bei der weiteren<br />

Bearbeitung des Konflikts berücksichtigt werden muss, <strong>und</strong> b) dem Vorhandensein von<br />

zahlreichen weiteren Gewalteskalationen <strong>und</strong> schwelenden Gewaltkonflikten im Sudan, was<br />

u.a. zur Folge hat, dass der momentane Friedensprozess nur erfolgreich sein kann, wenn es<br />

gelingt, die weiteren Regionalkonflikte in diesen Prozess zu integrieren.<br />

Zusammenfassend eignet sich die systemische <strong>Konflikttransformation</strong> für die Phasen vor<br />

dem Eintritt in die Friedensverhandlungen, während <strong>und</strong> danach. Eine wichtige Rolle kann<br />

sie insbesondere bei dem Übergang von Friedensverhandlungen in die sogenannte Post-<br />

Konflikt-Phase spielen. In dieser Phase kommt es nämlich oftmals zu einem Politikwechsel<br />

auf Seiten der internationalen Gemeinschaft: die intensiven diplomatischen Bemühungen<br />

werden zugunsten von Wiederaufbaumaßnahmen eingestellt, externer Druck <strong>und</strong><br />

Sanktionsregime werden als Belohnung für das Friedensabkommen aufgehoben.<br />

Problematisch ist dabei aber, dass die tatsächlichen Umverteilungsprozesse (Macht- <strong>und</strong><br />

Ressourcenteilung) erst jetzt einsetzen – <strong>und</strong> die Konfliktparteien versuchen werden, ihre<br />

Vereinbarungen zu relativieren, die Umsetzung zu verschleppen oder ganz aufzuheben. Die<br />

Gefahr erneuter Gewaltausbrüche ist in dieser Phase am größten. Allzu häufig gelingt es nur<br />

zum Teil, die Bestimmungen der Friedensverträge zu implementieren <strong>und</strong> nicht selten<br />

erodieren sie früher oder später. 76 Ein systemischer Ansatz der Gebergemeinschaft sollte<br />

deshalb darauf abzielen, dass das Wissen über die in der Verhandlungsphase deutlich<br />

gewordenen Schwachpunkte <strong>und</strong> Bruchstellen verantwortlich weiter kommuniziert wird,<br />

damit besonders auf diese thematischen <strong>und</strong> prozessualen Aspekte geachtet werden kann. In<br />

diesem Zusammenhang gilt es auch, effektive Kommunikationsstrukturen unter<br />

Einbeziehung einheimischer nicht-staatlicher Akteure sowie einen adäquaten Mechanismus<br />

des Friedens-Monitorings aufzubauen.<br />

76 Vgl. bspw. Barbara Walters Untersuchung zu Friedensabkommen in 72 Bürgerkriegen in der Zeit von 1940 bis<br />

1992. In 62% aller Fälle, in denen formale Friedensverhandlungen durchgeführt wurden (was in etwas mehr als der<br />

Hälfte aller Bürgerkriege der Fall war), wurde eine Vereinbarung/ein Abkommen unterzeichnet. Von diesen<br />

Abkommen wurden 57% erfolgreich umgesetzt, 43% konnten nicht umgesetzt werden; Barbara Walter: Committing<br />

to Peace. The Successful Settlement of Civil Wars, Princeton: Princeton University Press 2002.<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

66


Auf welchen tracks der Konfliktbearbeitung kann der systemische Ansatz sinnvoll zur<br />

Anwendung kommen?<br />

Die systemische <strong>Konflikttransformation</strong> bietet prinzipiell Anknüpfungspunkte auf allen<br />

tracks der Konfliktbearbeitung <strong>und</strong> kann auch auf allen tracks gewinnbringend eingesetzt<br />

werden. Auf allen Ebenen ist es für die Arbeit zentral, eine möglichst umfassende<br />

Konfliktanalyse anzufertigen <strong>und</strong> auf dieser basierend Hypothesen über relevante Hebel <strong>und</strong><br />

Druckpunkte des Systems sowie über Möglichkeiten der Identifizierung <strong>und</strong> Unterstützung<br />

von agents of peaceful change, etc. abzuleiten. Darüber hinaus ist es ratsam, die Grenzen des<br />

jeweiligen Beratungssystems möglichst präzise zu definieren <strong>und</strong> regelmäßig den<br />

analytischen Blick über den systembedingten Tellerrand schweifen zu lassen. Natürlich gibt<br />

es auf den unterschiedlichen tracks für die Drittparteien auch jeweils spezifische Spielräume,<br />

Begrenzungen <strong>und</strong> Regeln des Engagements (wie diplomatische Gepflogenheiten), weshalb<br />

die systemische <strong>Konflikttransformation</strong> an diese Anwendungskontexte angepasst werden<br />

muss.<br />

Die Kernherausforderung eines systemischen Ansatzes der <strong>Konflikttransformation</strong> besteht<br />

aber darin, Aktivitäten auf den unterschiedlichen Ebenen dergestalt zu vernetzen, dass sie zur<br />

Aktivierung von systemeigenen Ressourcen zur Transformation des Konflikts beitragen.<br />

In der Regel sind Drittparteien nur auf einem oder im Grenzbereich zwischen zwei tracks<br />

aktiv. Ein Multi-track Ansatz erfordert deshalb vor allem eine kommunikative Vernetzung<br />

zwischen unterschiedlichen Akteuren. Hierbei gilt es über den Austausch der<br />

unterschiedlichen Analysen des Konfliktsystems sowie der Wirkungshypothesen <strong>und</strong><br />

Strategien der jeweiligen Interventionsansätze hinaus bestehende ungenutzte Potentiale<br />

(„blinde Flecken“) zu identifizieren <strong>und</strong> über Klarheit über die tatsächlichen <strong>und</strong> potentiellen<br />

Schnittstellen der jeweiligen Beratungssysteme herzustellen. Multi-track Ansätze zeichnen<br />

sich in diesem Sinne also durch drei Komponenten aus:<br />

a) der Erweiterung der strategischen Perspektiven der auf den unterschiedlichen tracks<br />

arbeitenden Akteure, mit dem Ziel, dass zentrale Entwicklungen, die auf den anderen<br />

tracks stattfinden, berücksichtigt bzw. „mitgedacht“ werden (track sensitivity);<br />

b) der kooperativen Identifizierung gemeinsamer Zielsetzungen <strong>und</strong> Wirkungen, indem<br />

Synergien zwischen zwei oder mehr tracks hergestellt werden (track cooperation);<br />

c) der Durchführung von konkreten gemeinsamen Aktivitäten durch Akteure, die auf<br />

verschiedenen Ebene arbeiten, z.B. Unterstützung der gleichen Gruppen von agents of<br />

peaceful change (track collaboration).<br />

Diese Arten der track-Vernetzung können sowohl im Rahmen mehr oder weniger<br />

formalisierter Netzwerke (Peace Support Groups) von unterschiedlichen Akteuren stattfinden<br />

oder – etwas systematisch – durch die Hinzuziehung fach- <strong>und</strong> prozessspezifischer Beratung,<br />

wozu aber eine klare Einwilligung der beteiligten Akteure notwendig ist.<br />

6.2 Welche Rahmenbedingungen müssen gegeben sein?<br />

Im folgenden soll dargestellt werden, welche Rahmenbedingungen gegeben sein müssen,<br />

damit ein systemischer Ansatz der Friedensförderung sinnvoll durchgeführt werden kann <strong>und</strong><br />

welche gr<strong>und</strong>sätzlichen Herausforderungen sich durch die unterschiedlichen Rollen- <strong>und</strong><br />

Funktionswahrnehmungen der intervenierenden Akteure ergeben.<br />

Zugang <strong>und</strong> Mandat<br />

Insbesondere im Kontext langanhaltender Konflikte mit hohem Eskalationspotential ist die<br />

Frage nach Zugang <strong>und</strong> Mandatierung friedensfördernder Aktivitäten sehr wichtig. Ein<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

67


fehlender territorialer Zugang erschwert die Arbeit, macht sie aber nicht unmöglich<br />

(Aktivitäten mit proxies, in Nachbarländern oder im Ausland, durch einheimische Partner,<br />

etc.). Im Sinne der Allparteilichkeit ist die systemische <strong>Konflikttransformation</strong> aber darauf<br />

angewiesen, dass es einen Zugang zu den Konfliktparteien gibt <strong>und</strong> diese die Maßnahmen<br />

akzeptieren bzw. unterstützen.<br />

Der Zugang zu den Konfliktparteien kann durch mehrere Faktoren erschwert bzw. verhindert<br />

werden. Dazu zählen:<br />

• hohe Gewalteskalation (Sicherheitssituation);<br />

• Widerstand gegen externe Intervention, Abwehrhaltung (z.B. in Indonesien, Sudan);<br />

• Sanktionierung von nicht-staatlichen Gewaltakteuren (NSAG) durch Aufnahme in<br />

Terrorismus-Listen (ein upgrading der bisherigen Restriktionen wird bspw.<br />

gegenwärtig für die LTTE diskutiert);<br />

• Hochgradige politische Vermachtung durch UN, NATO oder OSZE-Missionen (z.B. in<br />

Georgien/Abchasien).<br />

Zur Frage ob es einen adäquaten Zugang für einen systemischen Ansatz der<br />

<strong>Konflikttransformation</strong> gibt, müssen eine Reihe von Einschätzungen getroffen werden<br />

hinsichtlich der “Interventionsakzeptanz” des vom Konflikt betroffenen Landes sowie<br />

hinsichtlich der Art <strong>und</strong> Weise, wie eine transformative Synergie zwischen den<br />

internationalen <strong>und</strong> einheimischen Akteuren geschaffen werden kann. Es versteht sich von<br />

selbst, dass die Frage des Zugangs in hohem Maße kontextabhängig ist <strong>und</strong> deshalb nur im<br />

Einzelfall sinnvoll zu beantworten ist.<br />

Die Interventionsakzeptanz wird wie auf der track 1 Ebene stark von realpolitischen<br />

Parametern bestimmt. Zwischengesellschaftliche Akteure können hier jedoch entweder<br />

größere Spielräume erwirken (ihr Engagement wird als weniger „bedrohlich“ als das von<br />

ausländischen Staaten oder IGOs wahrgenommen bzw. den betreffenden Staaten fehlt das<br />

Instrumentarium, um sie zu kontrollieren) oder sie werden gerade umgekehrt als besonders<br />

problematische „Einmischung“ von der einen oder anderen Konfliktpartei zurückgewiesen.<br />

Am Beispiel des Georgien-Abchasien Konflikts zeigt sich, dass nicht-staatliche Aktivitäten auf<br />

der track 1,5 Ebene trotz eines hochgradig vermachteten politischen Umfelds eine wichtige<br />

Funktion gerade dadurch ausüben, dass sie als Äquivalent für nicht-stattfindende offizielle<br />

Verhandlungen dienen. Sie können dadurch im Sinne des Krisenmanagements eine<br />

wesentliche Ventilfunktion übernehmen <strong>und</strong> Kommunikationskanäle eröffnen zur<br />

Vorbeugung <strong>und</strong> Abwendung weiterer Gewalteskalation.<br />

Wie bereits erwähnt, kann ein inklusiver Ansatz der Friedensförderung nicht durchgeführt<br />

werden, wenn der Zugang zu einer zentralen Konfliktpartei nicht gegeben. In Phasen der<br />

Konflikteskalation wie es gegenwärtig etwa in Nepal der Fall ist, versuchen beide (bzw. alle)<br />

Seiten Kooperationen mit der jeweiligen Gegenseite zu unterbinden, da sie darin eine<br />

Schwächung ihrer eigenen Mobilisierungsfähigkeit befürchten. In einigen Fällen kann es aber<br />

durchaus erwünscht sein, dass Drittparteien zur Eröffnung oder Aufrechterhaltung<br />

inoffizieller Gesprächskanäle (back channel) beitragen. In anderen Fällen ist auch eine<br />

Arbeitsteilung denkbar, bei der unterschiedliche Organisationen mit den Konfliktparteien<br />

arbeiten <strong>und</strong> sich dabei eng abstimmen. Für Nepal werden im Rahmen dieses<br />

Forschungsprojekts sowohl eine Strategie des koordinierten Vorgehens der internationalen<br />

Gemeinschaft vorgeschlagen, aber auch die Stärkung <strong>und</strong> Unterstützung von Verhandlungs-<br />

<strong>und</strong> Konfliktbearbeitungsstrukturen (z.B. Mediatorennetzwerke, Friedenssekretariat).<br />

Eng mit der prinzipiellen Akzeptanz verb<strong>und</strong>en ist die Notwendigkeit, ein klares Mandat für<br />

die Arbeit mit den Konfliktparteien zu erwirken. Ohne die damit einhergehende Auftrags- <strong>und</strong><br />

Rollenklärung ist es schwer, immer wieder neu zu begründen, dass es aufgr<strong>und</strong> der<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

68


„Allparteilichkeit“ des Ansatzes notwendig ist, prinzipiell mit allen wesentlichen<br />

Konfliktakteuren eng zu kooperieren. Die Qualität der Mandatsvergabe kann sehr<br />

unterschiedlich sein <strong>und</strong> reicht von lokalem Vertrag über die Abfassung eines memorandum<br />

of <strong>und</strong>erstanding (MoU) bis hin zu informellen Absprachen. Neben den Konfliktparteien ist es<br />

wichtig, sich auch mit anderen internationalen Akteuren abzustimmen (regionale<br />

Großmächte, Verhandlungsführern, Fre<strong>und</strong>esgruppen), allerdings muss von diesen Akteuren<br />

in der Regel kein Mandat eingeholt werden. 77<br />

Es kann noch weitergehend gefragt werden, ob es im systemischen Sinne überhaupt möglich<br />

ist, zur Transformation von Konflikten beizutragen, wenn es keine offiziellen Verhandlungen<br />

auf der track 1 Ebene gibt bzw. wenn die Entscheidungsträger kein Mandat für eine<br />

systemisch angelegte Intervention erteilen. Und es ließe sich auch darauf verweisen, dass<br />

gerade die Erfahrungen aus den Bereichen Organisationsentwicklung <strong>und</strong> change<br />

management bezeugen, dass nachhaltige Veränderungsprozesse nur mit <strong>und</strong> nicht gegen das<br />

Top-Management einer Organisation durchgeführt werden können. Bei der Beantwortung<br />

dieser Frage soll vorweggeschickt werden, dass es zweifellos richtig ist, dass ein nachhaltiger<br />

Friedensprozess offizielle Verhandlungen <strong>und</strong> Übereinkünfte zwischen den Parteien<br />

erfordert. Hartnäckigen Gewaltkonflikte zeichnen sich aber gerade dadurch aus, dass die<br />

Konfliktparteien (einschließlich der politischen Entscheidungsträger) in Denk- <strong>und</strong><br />

Handlungslogiken von Gewalt <strong>und</strong> Gegengewalt verfallen sind. Für Drittparteien ergibt sich<br />

deshalb nicht nur eine moralisch, sondern vor allem auch inhaltlich gebotene Notwendigkeit,<br />

zur Durchbrechung <strong>und</strong> Überwindung dieser Gewaltspiralen beizutragen.<br />

Zudem ist es in der Regel ja auch so, dass in Gewaltkonflikten zahlreiche Erfahrungen mit<br />

offiziellen Verhandlungen existieren, die aber aus unterschiedlichen Gründen gescheitert<br />

sind. Systemisch betrachtet ist es deshalb notwendig, nicht nur die Gründe für das Scheitern<br />

früherer Verhandlungsr<strong>und</strong>en, sondern auch die Folgen für das Konfliktsystem gründlich zu<br />

analysieren. Die Konsequenzen für die Akteure, die Themen <strong>und</strong> mögliche Prozesse werden in<br />

neuen track 1 Initiativen berücksichtigt werden müssen.<br />

Mit welcher Strategie auf der track 1 Ebene einer Verweigerung oder Verschleppung von<br />

Verhandlungen am besten begegnet werden kann, hängt stark vom Kontext <strong>und</strong> den<br />

jeweiligen Opportunitäten ab. Massgeblich ist sicher, über welche Best Alternatives to a<br />

Negotiated Agreement (BATNA) die Parteien verfügen <strong>und</strong> diese sorgfältig zu analysieren.<br />

Häufig sind diese BATNAs, ihre Wirksamkeit <strong>und</strong> ihre Risiken aber nicht eindeutig zu<br />

bestimmen. Dies eröffnet auf der track-1,5 Ebene Möglichkeiten des Engagements mit den<br />

Parteien im Sinne der Klärung von Optionen, Kosten <strong>und</strong> Risiken. Insofern können track-1,5<br />

<strong>und</strong> track-2 Prozesse eine wichtige Vorbereitungsrolle auch ohne die aktuelle Bereitschaft zu<br />

offiziellen Verhandlungen spielen.<br />

In einigen Fällen können Drittparteien erst nach einer längeren Vorlaufphase damit rechnen,<br />

dass die Konfliktakteure bereit sind, ihnen ein formales Mandat zu erteilen. Wie eine der<br />

Kurzstudien zum Sudan deutlich herausstellt, ist es bspw. für die Arbeit von Drittparteien im<br />

Sudan notwendig, sehr eng mit einheimischen Partnern zu kooperieren (einschließlich<br />

politischer Eliten) <strong>und</strong> für die Vertrauensbildung die notwendige Zeit einzuplanen.<br />

Insbesondere im Nordsudan ist die Situation von einem starkem Argwohn <strong>und</strong> Misstrauen<br />

gegenüber den Zielsetzungen <strong>und</strong> der Motivation ausländischer Akteure geprägt. 78<br />

77 In Ländern, die unter internationaler Schirmherrschaft stehen, bietet es sich an, ein Mandat bei den<br />

entsprechenden Missionen einzuholen, welche quasi-staatliche Funktionen ausfüllen.<br />

78 Vgl. “Sudan: Conflict Analysis and Options for Systemic Conflict Transformation. A Northern and a Southern<br />

View”. In der Studie werden für den Argwohn gegenüber ausländische Akteuren folgende Gründe angegeben:<br />

“presence of foreign troops; luxury in which donors and INGO staff live; lack of ‘win projects’ quickly prepared and<br />

easily implemented; f<strong>und</strong>amentalists’ promote hostility; perception of the exclusiveness of the Comprehensive<br />

Peace Agreement as a product of external pressure; flow of aid through third parties, i.e. INGOs; role of external<br />

actors in Afghanistan and Iraq; up to date there has been no flow of aid.”<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

69


Neben der Abstimmung mit den zentralen Konfliktparteien bzw. deren proxies ist es auch<br />

wichtig, die externen Unterstützungsstrukturen zu berücksichtigen <strong>und</strong> ggf. mit<br />

einzubeziehen. Am Beispiel Sudan sind dies bspw. die Donor Working Group for Sudan <strong>und</strong><br />

die IGAD Partnerstaaten; zudem die UN Mission in Sudan (UNMIS) <strong>und</strong> die AU, die sich in<br />

Darfur engagiert. Für Aceh/Indonesien ist die von EU/ASEAN durchgeführte Aceh Monitoring<br />

Mission (AMM) ebenfalls ein zentraler Akteur der Konfliktbearbeitungsstruktur.<br />

Trotz der insgesamt positiven Bilanz von UN-Missionen 79 können lang andauernde UN<br />

Beobachtermission, wie die 1993 ins Leben gerufene UNOMIG (United Nations Observer<br />

Mission in Georgia) in Abchasien/Georgien, selber zum Teil des Problems werden, da sie viele<br />

Aufgaben <strong>und</strong> Verantwortungsbereiche, die sonst von lokalen Eliten, NGO oder politischen<br />

Institutionen übernommen würden, in Eigenregie veranlassen <strong>und</strong> durchführen. Damit<br />

reduzieren sie aber den politischen Druck, ein umfassendes Friedensabkommen erreichen zu<br />

müssen. Für die systemische <strong>Konflikttransformation</strong> stellt sich in solchen politisch<br />

vermachteten Kontexten einerseits die Frage des legitimen Zugangs zu den Konfliktparteien.<br />

Andererseits ist es gerade in Situationen, in denen Gewaltkonflikte nicht gelöst, sondern<br />

lediglich eingefroren wurden, wichtig, über neue Impulse für das eingefrorene Konfliktsystem<br />

nachzudenken. Dazu ist allerdings eine diesbezügliche Offenheit <strong>und</strong> Unterstützung der<br />

beteiligten internationalen Akteure erforderlich.<br />

Es scheint also zusammenfassend wichtig, nach Abwägung der jeweils spezifischen<br />

Gesamtkonstellation zu entscheiden, ob es für Ansätze der systemischen<br />

<strong>Konflikttransformation</strong> hinreichend planbare <strong>und</strong> sinnvoll zu beschreitende Zugänge gibt. In<br />

vielen Fällen wird ein schrittweiser Einstieg <strong>und</strong> eine rollende Planung, die sich an dem<br />

jeweils machbaren bzw. an den windows of opportunity orientiert, geraten sein. Zugänge<br />

können thematisch, über Kernkompetenzen oder innovative Projektansätze erfolgen. Sie<br />

werden immer einen Beziehungsaufbau zu den Konfliktakteuren bzw. ihnen nahestehenden<br />

Gruppen, Organisationen <strong>und</strong> Individuen erfordern.<br />

Zeitpunkt <strong>und</strong> „Reife des Konflikts“<br />

Ein vor ein paar Jahren gängiges <strong>Konzept</strong> in der Konfliktbearbeitung lautet, dass Konflikte<br />

„reif“ für eine Bearbeitung sein müssten. Laut William Zartman ist ein Konflikt reif, wenn die<br />

Konfliktparteien dazu bereit sind, ihre politischen Positionen <strong>und</strong> Strategien einer<br />

gr<strong>und</strong>sätzlichen Überprüfung zu unterziehen. Dies ist zum einen dann gegeben, wenn eine<br />

sich gegenseitig bedingende Pattsituation (mutually hurting stalemate) vorliegt. Hierbei<br />

realisieren beide Parteien, dass sie aus eigener Kraft ihre Ziele nicht erreichen können, die<br />

Probleme nicht lösen können, oder den (militärischen) Konflikt nicht gewinnen können. Zum<br />

anderen sind die Konfliktparteien eher dazu bereit, ihr Verhältnis zur Gewaltanwendung zu<br />

hinterfragen, wenn der Konflikt eskaliert oder sich kurz vor einer Katastrophe befindet. Wenn<br />

beide Seiten einsehen, dass sie sich eine solche Katastrophe nicht leisten können, sind sie<br />

eher in der Lage, Interventionen zur <strong>Konflikttransformation</strong> durch Dritte zuzulassen. 80<br />

Wie zurecht von einigen Autoren kritisiert wurde, ist das ripeness <strong>Konzept</strong> sehr statisch.<br />

Sollen externe Akteure als Konsequenz mehr oder weniger tatenlos auf den Moment der Reife<br />

warten? Es scheint vielmehr geboten, dass Drittparteien die wichtigen Aufgaben übernehmen,<br />

auf die Wahrnehmungsmuster der Konfliktparteien einzuwirken <strong>und</strong> ihnen die<br />

Konsequenzen ihres Handelns bewusst zu machen, Alternativen aufzuzeigen <strong>und</strong> Anreize zu<br />

79 Vgl. Human Security Report 2005 (www.humansecurityreport.info); James Dobbins, Seth G. Jones u.a.: The UN's<br />

Role in Nation-Building. From the Congo to Iraq, Santa Monica CA: Rand Corporation 2005.<br />

80 Vgl. William Zartman: Ripe for Resolution. Conflict and Intervention in Africa, Oxford: Oxford University Press<br />

1989.<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

70


schaffen, um sie zu „reifem“ Verhalten zu bewegen. 81 Internationaler Druck <strong>und</strong> Anreize<br />

können zudem direkt dazu beitragen, dass ripeness entsteht. So vermerkt Emeric Rogier mit<br />

Bezug auf den Sudan 82 : „Ripeness in Sudan is closely linked to the willingness of the Islamic<br />

regime to improve bilateral relations with the United States after September 11 th 2001 and<br />

avoid potential retaliation.”<br />

Sicherheitsregime<br />

Damit systemische Konfliktbearbeitungsprojekte in schwachen oder zerfallenden Staaten<br />

aktiv werden können, müssen bestimmte Mindestkriterien erfüllt sein. Hierzu gehören<br />

beispielsweise das Vorhandensein von staatlichen Ansprechpartnern, um bilaterale<br />

Rahmenvereinbarungen abschließen <strong>und</strong> die Umsetzung von Maßnahmen abstimmen zu<br />

können. Außerdem müssen gewisse Mindeststandards für die Sicherheit der<br />

MitarbeiterInnen <strong>und</strong> gutes Wissen über das politisch-militärische Akteursumfeld vorhanden<br />

sein. Für systemische Interventionen in zerfallenden Staaten ist auch ein weitgehendes<br />

Verständnis <strong>und</strong> eine kommunikative Auseinandersetzung mit lokalen nicht-staatlichen<br />

Gewaltakteuren (NSAG) sehr wichtig.<br />

In hocheskalierten Konflikten kommt hinzu, dass radikale <strong>und</strong> extremistische Kräfte diese Art<br />

der Einmischung zum Anlass nehmen, sie als “unzulässige ausländische Einmischung”<br />

zugunsten der Gegenseite zu diskreditieren. In den Gewaltkulturen langhaltender Konflikte<br />

entsteht damit für die betroffenen Aktivisten ein mehr oder weniger akutes Sicherheitsrisiko –<br />

ähnlich demjenigen für Angehörige humanitärer Organisationen. Hier ist es erforderlich, eine<br />

laufende sorgfältige Risikoanalyse vorzunehmen <strong>und</strong> auf der Basis vergleichbarer<br />

Erfahrungen von humanitären Organisationen <strong>und</strong> gewaltfreier Bewegungen für ein<br />

hinreichendes Sicherheitsregime zu sorgen.<br />

Kapazitäten zur Umsetzung<br />

Ein systemischer Ansatz ist anspruchsvoll. Falls er als Gr<strong>und</strong>lage für ein abgestimmtes<br />

Vorgehen unterschiedlicher Akteure konzipiert werden soll, ist es nötig, auf die Sicherstellung<br />

der notwendigen Kapazitäten zu achten.<br />

In Konfliktkontexten mangelt es oft an qualifiziertem internationalen <strong>und</strong> lokalen Personal.<br />

Wird „systemische Konfliktbearbeitung“ als Zusatzkomponente zu bestehenden bilateralen<br />

Projekten der Entwicklungszusammenarbeit eingesetzt, besteht die Gefahr des Mangels an<br />

Ressourcen für Netzwerkarbeit, Analyse <strong>und</strong> (politischen) Fortbildung der MitarbeiterInnen,<br />

da diese keine Kernbereiche der (traditionellen) Entwicklungszusammenarbeit sind.<br />

Gleichzeitig wird aus makropolitischer Perspektive immer wieder auf ein hohes <strong>und</strong> bisher<br />

weitgehend ungenutztes Potential in der dezentralen Struktur von bilateralen<br />

Entwicklungsprojekten, i.S. des nutzbaren Wissens der verantwortlichen<br />

ProjektmitarbeiterInnen für systemische Friedensinterventionen, hingewiesen. Um dies<br />

stärker nutzbar zu machen, sind enge Abstimmungsprozesse zwischen Projekten, die working<br />

in conflict betreiben sowie Schlüsselpersonen aus der Länderstruktur, der Botschaft <strong>und</strong> den<br />

beteiligten Ministerien notwendig. 83<br />

Die Konzipierung der systemischen ZKB aus der Sicht des/der externen Akteure(s) birgt die<br />

Gefahr, dass die einheimischen Partnerorganisationen entweder über- oder unterfordert<br />

werden. Einerseits wird ihnen nämlich die Aufgabe zugewiesen, die “eigentlichen” Agenturen<br />

81 Vgl. Fen Osler Hampson: Nurturing Peace. Why Peace Settlements succeed or fail, Washington: USIP Press1996.<br />

82 Rogier: Rethinking Conflict Transfomation 2004, a.a.O., S. 23.<br />

83 Weitere Fragen sind: Welche Rolle spielen objektive <strong>und</strong> subjektiv wahrgenommene politische Risiken <strong>und</strong><br />

Sicherheitsrisiken (in Deutschland <strong>und</strong> vor Ort) für das EZ-Engagement im Bereich systemische<br />

Konfliktbearbeitung? Zu welchem Grad sollten entwicklungspolitische finanzierte, systemische Ansätze ihr<br />

politisches Ziel ausschließlich komplementär zu den anderen bilateralen Entwicklungsprojekten verfolgen?<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

71


der <strong>Konflikttransformation</strong> zu sein, denen die Externen lediglich ein konzeptionelles <strong>und</strong><br />

strategisches backstopping anbieten sowie Ressourcen bereitstellen. Aus der Sicht der<br />

externen Akteure geschieht dies aber andererseits oft nur ungenügend, so dass sie in der<br />

Gefahr stehen, selbst mehr Aufgaben zu übernehmen <strong>und</strong> so ungewollt ihre Partner<br />

“entmächtigen”. Aus diesen Gründen sind u.a. eine frühzeitige <strong>und</strong> diesen Umständen<br />

Rechnung tragende (Zeit-)Planung <strong>und</strong> ebenfalls frühzeitig anzusetzende Qualifikations- <strong>und</strong><br />

capacity building Maßnahmen von Partnern anzuraten (vgl. dazu auch Kap. 5.4).<br />

6.3 Herausforderungen <strong>und</strong> Dilemmata für das Rollenverständnis der internationalen<br />

Akteure<br />

Historisch gesehen hat die ZKB-Bewegung ihren Ausgangspunkten in den OECD-Ländern<br />

genommen, während die Mehrzahl der ZKB-Aktivitäten in den Ländern stattfand, die nicht<br />

der OECD angehören. Die beeindruckende Popularisierung von Ansätzen der ZKB, aber auch<br />

die Kritik an der quasi “kolonialen” Struktur dieser Art friedlicher Intervention hat<br />

mittlerweile zu einer Verringerung dieser Asymmetrie geführt. Prinzipiell besteht aber<br />

weiterhin ein deutliches Übergewicht “nördlicher” ZKB-NGOs, die sich als externe Akteure in<br />

Konflikten im Süden <strong>und</strong> Osten engagieren. Das geschah in der Anfangszeit oft in der Weise,<br />

dass die ausländische NGO kurzfristige Trainings in Methoden ZKB, Dialog- <strong>und</strong><br />

Problemsolving-Workshops vor Ort organisierte oder Partner für ähnliche Veranstaltungen im<br />

Norden einlud.<br />

Die Kritik an diesem “Fallschirmjäger”-Modell hat inzwischen zwei unterschiedliche Modelle<br />

einer angemesseneren Präsenz vor Ort hervorgebracht. Das eine Modell besteht aus einer<br />

institutionalisierten Kooperation mit einem oder mehreren einheimischen<br />

Partnerorganisationen vor Ort, welche die Legitimation <strong>und</strong> Qualität des Engagements der<br />

externen Akteure garantieren hilft. Das andere Modell sieht die Gründung einer<br />

Niederlassung des externen Akteurs in der Konfliktregion vor, in der Regel mit einem<br />

gemischten Team von Externen <strong>und</strong> Einheimischen. Beide Modelle haben ihre Vor- <strong>und</strong><br />

Nachteile. Häufig werden sie auch miteinander kombiniert.<br />

Eine der schwierigsten Herausforderungen besteht in der Klärung der Rollen, die im Rahmen<br />

eines Vorhabens der ZKB miteinander kombiniert werden sollten. Im Rahmen des RNCST<br />

wurde der Versuch unternommen, in der Arbeit mit stakeholders Rollen zu kombinieren. Dies<br />

betraf die gemeinsame Kapazitätsbildung <strong>und</strong> die facilitation von Dialog- <strong>und</strong> problemsolving<br />

Workshops. Ob <strong>und</strong> inwieweit dies sinnvoll ist, wird seit langem kontrovers<br />

diskutiert. 84 Die erste Herausforderung besteht darin, dass wirksame Kapazitätsbildung in<br />

Kooperation mit stakeholders einen Prozess der schrittweisen Vertrauensbildung <strong>und</strong> des<br />

Beziehungsaufbaus erfordert. In hocheskalierten Konflikten ist es den meisten Parteien<br />

schwer einsichtig, wie die Angehörigen einer Organisation diese Leistung gleichzeitig mit den<br />

Angehörigen aller anderen Parteien bewältigen können. Sie stellen Fragen nach der<br />

Vertraulichkeit von Informationen, nach Loyalitäten <strong>und</strong> der “eigenen Meinung” der Partner.<br />

Oft genug führen diese Bedenken dazu, dass die Kapazitätsbildung verfeindeter Parteien von<br />

verschiedenen Organisationen geleistet wird.<br />

Die zweite Herausforderung besteht darin, inwieweit die facilitation Aufgabe mit der<br />

Kapazitätsbildung vereinbar ist. Prinzipiell kann diese Kombination in zwei verschiedenen<br />

Formen auftreten. Einerseits als multi-stakeholder Kapazitätsbildung, bei der Angehörige<br />

verschiedener Parteien gleichzeitig z.B. an einem Training teilnehmen. Dabei bietet es sich<br />

an, die Präsenz streitender Parteien zum Anlass zu nehmen, mit ihnen den Trainingsstoff<br />

unmittelbar auf ihren eigenen Konflikt anzuwenden. Andererseits gibt es den “klassischen”<br />

84 Siehe Haumersen, Rademacher, Ropers: Die Workshopmethode, a.a.O., 2002.<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

72


Dialog- oder problem-solving Workshop mit Vertreterinnen mehrerer Konfliktparteien. Hier<br />

ist ein facilitator <strong>und</strong> Kapazitätsbildner erfahrungsgemäß nur glaubwürdig, wenn alle<br />

beteiligten Parteien von der Kapazitätsbildung profitieren konnten.<br />

Manche ZKB-Schulen vertreten die Auffassung, dass eine saubere Trennung dieser Rollen<br />

hilfreich ist, um eine schärfere Mandatierung der facilitation Rolle zu ermöglichen <strong>und</strong> um<br />

Reibungsverluste zu vermeiden, die sich aus der Überschneidung beider Rollen ergeben<br />

können. Dem wird entgegen gehalten, dass es oft erst die Kapazitätsbildung ist, die eine<br />

hinreichende Vertrauensbildung für die facilitation schafft. Aus unseren bisherigen<br />

Erfahrungen ergibt sich, dass beide Standpunkte ihre Berechtigung haben. Unter<br />

systemischen Gesichtspunkten empfiehlt es sich deshalb, die jeweiligen Rollen gegenüber<br />

den Partnern zu thematisieren <strong>und</strong> im Einvernehmen mit ihnen Bedenken <strong>und</strong> Reserven zu<br />

erörtern.<br />

Die hier skizzierten Herausforderungen haben auch für Geberorganisationen der<br />

internationalen Zusammenarbeit Relevanz. Wie diese die Erfahrungen der systemischen<br />

<strong>Konflikttransformation</strong> nutzen können <strong>und</strong> welche Anknüpfungspunkte, aber auch<br />

Begrenzungen bestehen, wird im nächsten Kapitel erörtert.<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

73


7. Nutzen <strong>und</strong> Begrenzungen des Ansatzes für Geber der<br />

internationalen Zusammenarbeit<br />

In diesem Kapitel soll aufgezeigt werden, wie sich die bisherigen Erfahrungen <strong>und</strong><br />

Anregungen zur Entwicklung eines Ansatzes der systemischen <strong>Konflikttransformation</strong> für<br />

Geber nutzen lassen. Dabei richten wir uns in diesem Kapitel vor allem an die schweizerischen<br />

<strong>und</strong> deutschen Institutionen, insbesondere die Förderer der Studie BMZ <strong>und</strong> EDA. Wir<br />

beziehen uns dabei auf Aktivitäten, die der Finanzierung, Planung <strong>und</strong> Durchführung von<br />

Maßnahmen der zivilen Konfliktbearbeitung dienen <strong>und</strong> häufig im Umfeld von<br />

Entwicklungszusammenarbeit stattfinden, nicht aber auf gute Dienste <strong>und</strong> politischen Dialog<br />

der Diplomatie. Mit einem entsprechenden Transfer können die Anregungen für andere<br />

Geberorganisationen nützlich sein.<br />

<strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong> kann zugleich als analytische Betrachtungsweise auf der<br />

Metaebene, z.B. zur strategischen Platzierung von geberfinanzierten Interventionen, sowie als<br />

methodischer Ansatz zur Gestaltung von Interventionen dienen. Der Übergang zwischen<br />

beiden Ebenen ist in der Praxis häufig fließend, der klareren Darstellung wegen trennen wir<br />

sie jedoch in den Kapiteln 7.1. <strong>und</strong> 7.2.<br />

Den konkreten Hinweisen zu Nutzen <strong>und</strong> Begrenzungen des Ansatzes soll vorweggestellt<br />

werden, dass die Anwendungsmöglichkeiten von systemischer <strong>Konflikttransformation</strong><br />

selbstverständlich vom jeweiligen Konfliktkontext abhängen <strong>und</strong> in stark vermachteten<br />

Konflikten zusätzliche Einschränkungen erfahren (siehe auch Kapitel 6). Die folgenden<br />

Ausführungen müssen daher in der jeweiligen Anwendungssituation überprüft werden.<br />

7.1. Strategische Planung, politische Steuerung <strong>und</strong> Geberkoordinierung von Beiträgen<br />

zur Friedensförderung auf der Basis systemischer <strong>Konflikttransformation</strong><br />

Die systemische <strong>Konflikttransformation</strong> kann praktische Anregungen für die strategische<br />

Planung, Steuerung <strong>und</strong> Koordination der Geberbeiträge geben. Wie in den OECD/DAC<br />

Leitlinien zur Krisenprävention <strong>und</strong> der Joint Utstein Study of Peacebuilding betont wurde, ist<br />

der strategische Einsatz <strong>und</strong> die auf einer gemeinsamen Konfliktanalyse basierende Planung<br />

<strong>und</strong> Koordination von Maßnahmen zur Friedensförderung elementar für deren Wirksamkeit.<br />

Während die meisten Geber, <strong>und</strong> auch EDA <strong>und</strong> BMZ, mittlerweile Strategiedokumente <strong>und</strong><br />

Planungskonzepte 85 vorgelegt haben, stellt die strategische Gestaltung <strong>und</strong> Steuerung von<br />

konkreten Maßnahmen in der Praxis noch eine große Herausforderung dar.<br />

Einen guten Einstiegspunkt stellt die vielfach empfohlene gemeinsame Konfliktanalyse dar,<br />

die Geber möglichst im Verb<strong>und</strong> erstellen lassen <strong>und</strong> als Ausgangspunkt ihrer Planungen <strong>und</strong><br />

Abstimmungen verwenden sollten. Hierbei erweist es sich als sinnvoll, die Analyse auf das<br />

allgemeine Verständnis der Konfliktstrukturen <strong>und</strong> –dynamiken, der Rolle der<br />

internationalen Gemeinschaft sowie auf Bedarf <strong>und</strong> strategische Ansatzpunkte zur<br />

Friedensförderung zu fokussieren. Diese Informationen sind für alle Geber gleichermaßen<br />

nutzbar, auch wenn die Analyse in der Regel von einem oder einer kleineren Gruppe von<br />

Gebern koordiniert <strong>und</strong> finanziert wird. 86<br />

85 EDA: Botschaft über einen Rahmenkredit für Maßnahmen zur zivilen Konfliktbearbeitung <strong>und</strong><br />

Menschenrechtsförderung (Okt. 2002, verabschiedet vom Parlament Dez. 2003), BMZ: Übersektorales <strong>Konzept</strong> zur<br />

Friedensförderung, Juni 2005<br />

86 Hinweise zur Methodik von Konfliktanalysen finden sich in Kapitel 5.<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

74


Im Sinne einer kontinuierlichen Überprüfung der Einschätzungen sollte eine Konfliktanalyse<br />

keine einmalige Aktivität sein, sondern regelmäßig wiederholt werden. In Sri Lanka geschah<br />

dies seitens der Gebergemeinschaft im Abstand von 5 Jahren, dabei wurden Methoden <strong>und</strong><br />

Hauptgutachter übernommen, um eine relative Vergleichbarkeit der Aussagen zu<br />

ermöglichen. 87 Die Gebergemeinschaft in Sri Lanka hat darüber hinaus etwa vierteljährliche<br />

Monitoringberichte durch ein politisches Forschungsinstitut, das Center for Policy<br />

Alternatives, in Auftrag gegeben, um sich gemeinsam über die Konfliktsituation zu<br />

informieren. Während der geberinterne Austausch über diese Analysen gut organisiert ist,<br />

werden die Dokumente nur begrenzt außerhalb des Geberkreises verbreitet. Die strategische<br />

Konfliktanalyse wird publiziert, die Monitoringdokumente bisher nicht. Hier besteht<br />

ungenutztes Potenzial, mit den Konfliktparteien <strong>und</strong>/oder nicht-staatlichen Akteuren der<br />

Konfliktbearbeitung in Dialog zu treten <strong>und</strong> die Analysen als Ausgangspunkt für die<br />

Entwicklung von Problemlösungen zu nehmen – jedoch muss wohl auch die diplomatische<br />

Abwägung in Rechnung gestellt werden, diesen Dialog in Zeiten eines ins Stocken geratenen<br />

Friedensprozesses öffentlich zu führen.<br />

Die gemeinsamen Aktivitäten finden im Rahmen der sogenannten Donor Working Group on<br />

the Peace Process (mittlerweile umbenannt in Donor Peace Support Group) statt, die<br />

abwechselnd von verschiedenen Gebern koordiniert wird. Aus systemischer Sicht ist hierbei<br />

interessant, dass<br />

1. die Gruppe im Sinne einer technischen Koordinierungsgruppe eingerichtet wurde <strong>und</strong><br />

überwiegend von den konfliktbezogenen Beratern der Botschaften <strong>und</strong> Geber besucht<br />

wird. In dieser Konstellation ist es wichtig, ein gutes Zusammenspiel mit der<br />

Botschafterebene sicherzustellen, damit Information <strong>und</strong> Koordination auch in die<br />

politische Positionierung der internationalen Gemeinschaft einfließen. Hier sollte<br />

gezielt auf die Aneignung konflikt- <strong>und</strong> friedensbezogener Expertise hingearbeitet<br />

werden.<br />

2. der vertretene Geberkreis das traditionelle Verständnis von Entwicklungszusammenarbeit<br />

widerspiegelt. Dieser Kreis bildet jedoch nicht die Gruppe der internationalen<br />

<strong>und</strong> regionalen Interessenvertreter ab. Um die Umwelt des Konfliktsystems<br />

angemessen in Analyse <strong>und</strong> vor allem Koordination einzubeziehen, müsste eine<br />

Gruppe mit solcher Zielsetzung regionale Hegemonialmächte wie z.B. China <strong>und</strong><br />

Indien einbeziehen, die (noch) nicht zu den klassischen Gebervertretern zählen. Im<br />

Fall von Sri Lanka wird dies gerade mit Indien vorangetrieben. Interessante<br />

Anregungen für die Einbeziehung unterschiedlicher Interessenskreise bietet auch der<br />

Friedensprozess zwischen Nord- <strong>und</strong> Südsudan.<br />

Viele der hier beschriebenen Aktivitäten der Gebergruppe finden unter Einbeziehung des<br />

RNCST statt. Aus Sicht der Gebergemeinschaft ist es interessant, das Beratungsangebot<br />

einzubeziehen. Aus Sicht der systemischen <strong>Konflikttransformation</strong> ist es sinnvoll, die<br />

internationale Gemeinschaft als wichtigen stakeholder in die eigene Analyse <strong>und</strong> ggf.<br />

Aktivitäten einzubeziehen <strong>und</strong> sich konstruktiv zu engagieren, um auch bei dieser<br />

heterogenen Akteursgruppe auf Empathie <strong>und</strong> inklusives Vorgehen hinzuwirken. Gerade das<br />

Beispiel Sri Lanka zeigt, welchen Einfluss die Gebergemeinschaft auf den Verlauf des<br />

Friedensprozesses haben kann.<br />

Darüber hinaus bestehen seitens der Berghof Stiftung in Sri Lanka zu den beiden Gebern<br />

besonders enge Informations- <strong>und</strong> Beratungsverhältnisse, die sich nicht in monatlichen<br />

Treffen vor Ort <strong>und</strong> halbjährlichen Gesprächen in den Zentralen erschöpfen.<br />

87 Jonathan Goodhand: Aid, Conflict and Peacebuilding in Sri Lanka, London: CSDG - Centre for Defence Studies,<br />

King’s College, University of London 2001, <strong>und</strong> Jonathan Goodhand, Bart Klem, et al Aid, Conflict and<br />

Peacebuilding in Sri Lanka 2000-2005. Colombo: Asia Fo<strong>und</strong>ation 2005.<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

75


7.2. Anwendungsmöglichkeiten systemischer <strong>Konflikttransformation</strong> für das deutsche<br />

<strong>und</strong> schweizerische Instrumentarium der Friedensförderung<br />

Neben der Anwendung systemischer Analyse <strong>und</strong> Betrachtungsweise für strategische<br />

Steuerung <strong>und</strong> Koordinierungsfragen der internationalen Zusammenarbeit kann der<br />

systemische Ansatz auch Anregungen für die Ausgestaltung von Instrumenten der<br />

Friedensförderung liefern. Im Folgenden soll der Fokus bei den Instrumenten,<br />

Themenschwerpunkten <strong>und</strong> „Gefäßen“ der deutschen <strong>und</strong> schweizerischen<br />

Friedensförderung liegen, dabei ist jedoch die Vergleichbarkeit der beiden aufgr<strong>und</strong> der<br />

unterschiedlichen Ressortzuständigkeiten begrenzt. 88<br />

Wie in der internationalen Zusammenarbeit (IZ) allgemein, ist auch das Instrumentarium der<br />

beiden Geber noch im Aufbau begriffen. In den letzten 10 Jahren hat in beiden Ländern eine<br />

intensive Befassung mit Fragen der Konfliktsensibilität <strong>und</strong> des mainstreaming des Themas<br />

innerhalb der IZ stattgef<strong>und</strong>en <strong>und</strong> entsprechende Leitlinien <strong>und</strong> <strong>Konzept</strong>e liegen in beiden<br />

Ländern vor. Beide Geber spielen auch im internationalen Rahmen eine aktive Rolle, so z.B.<br />

innerhalb der OECD. Weniger weit vorangeschritten ist die konkrete Anwendung dieser<br />

Leitlinien in der Praxis wie auch die Überprüfung bestehender Instrumente der IZ <strong>und</strong> ihre<br />

Anpassung <strong>und</strong> Zuspitzung für die <strong>Konflikttransformation</strong>. 89 Im Zuge der aktuellen<br />

Aufbauphase <strong>und</strong> der Reflexion erster Erfahrungen mit den bestehenden Ansätzen können<br />

die nachfolgenden Überlegungen idealerweise einfließen <strong>und</strong> als Anregung zur weiteren<br />

Diskussion dienen.<br />

Vorangestellt wird hier noch der Hinweis auf das politische Risiko, das für staatliches IZ<br />

Portfolio <strong>und</strong> diplomatische Beziehungen in akuten Krisen von Friedensprozessen aus der<br />

Unterstützung von <strong>Konflikttransformation</strong> resultiert. Dieses Risiko besteht nicht nur in der<br />

‚Unannehmlichkeit’, dass Drittparteien in solchen Krisenphasen häufig stärker für ihr<br />

Engagement kritisiert werden. Vielmehr stellen transformative Prinzipien wie Inklusivität <strong>und</strong><br />

konstruktives Engagement mit nicht-staatlichen Gewaltakteuren enorme Herausforderungen<br />

an staatliche Finanzierungsinstrumente, die primär diplomatischen Staatsverpflichtungen<br />

<strong>und</strong> der Rechfertigung gegenüber WählerInnen <strong>und</strong> Steuerzahlern verpflichtet sind.<br />

Inwieweit daher die Prinzipien der systemischen <strong>Konflikttransformation</strong> auch von staatlichen<br />

Akteuren aufrecht gehalten werden können bzw. die Regularien staatlicher Finanzierung die<br />

Einhaltung der Prinzipien letztlich auch für nicht-staatliche Träger erschwert, muss in der<br />

konkreten Situation überprüft werden.<br />

Am Beispiel Sri Lanka wird in der aktuellen Situation deutlich, dass internationale<br />

Sanktionsmechanismen z.B. der EU die Möglichkeiten einzelner Geber zur Unterstützung von<br />

langfristigen Aktivitäten zur <strong>Konflikttransformation</strong> stark einschränken können. Für die<br />

Schweiz als „neutraler/allparteilicher Staat“ ergibt sich hier ein größerer<br />

Entscheidungsspielraum, auch weiterhin eine aktive Rolle in der Begleitung <strong>und</strong><br />

Unterstützung des Friedensprozesses zu spielen.<br />

Deutsches Instrumentarium<br />

Anregungen für das deutsche Instrumentarium zielen vor allem auf die Ebene der<br />

Entwicklung von Schwerpunktstrategien, den Einsatz von EZ Instrumenten im Bereich der<br />

<strong>Konflikttransformation</strong> sowie die Schaffung von institutionellen Rahmenbedingungen<br />

88<br />

Wir richten uns hier nach der Terminologie im jeweiligen Sprachgebrauch.<br />

89 Wir beziehen uns hier vor allem auf Bezüge zu thematischen Schwerpunkten, Instrumenten <strong>und</strong><br />

Finanzierungsformen, da der Methodendiskurs z.B. zur Weiterentwicklung von PCIA an anderer Stelle bereits<br />

umfassend beleuchtet wird, siehe z.B. Alex Austin, Martina Fischer & Oliver Wils (Hrsg.): Peace and Conflict Impact<br />

Assessment - Critical Views on Theory and Practice , Berghof Handbook Dialogue Series No. 1, Berlin 2003 <strong>und</strong><br />

aktuelle Beiträge unter: www.berghof-handbook.net.<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

76


innerhalb der EZ Institutionen, um den Bereich Krisenprävention, zivile Konfliktbearbeitung<br />

<strong>und</strong> Friedensförderung weiter zu stärken. Wie in vorigen Abschnitten beziehen wir uns im<br />

Folgenden nicht auf die Verankerung von Konfliktsensibilität als Querschnittsfunktion der<br />

EZ, sondern auf den gezielten Einsatz von EZ zur Friedensförderung (auf der Projektebene<br />

gekennzeichnet durch die Kennung K1).<br />

Schwerpunktbildung<br />

Mit Blick auf die Schwerpunktbildung <strong>und</strong> Strategieentwicklung lassen sich aus den<br />

Erfahrungen des RNCST vor allem Anregungen bzgl. der thematischen Verbindung mit<br />

anderen Schwerpunktbereichen ableiten: Das Projekt in Sri Lanka hat im Laufe der letzten<br />

Jahre eine zunehmende thematische Nähe zu den Bereichen governance – insbesondere<br />

Demokratieförderung <strong>und</strong> Dezentralisierung – entwickelt. Dies liegt bei einem ethnopolitischen<br />

Konflikt, in dessen Zentrum Verfassungsfragen <strong>und</strong> Machtteilung stehen, nahe.<br />

Hingegen ergeben sich mit den anderen Aktivitäten im tatsächlichen Schwerpunkt PACT<br />

(Poverty Aleviation and Conflict Transformation) weitaus weniger Synergien. Im Sinne eines<br />

systemischen Ansatzes wäre es daher interessant, eine stärkere Fokussierung auf diesen<br />

zentralen Problemkomplex zu erwägen. In ähnlicher Weise könnte sich bei einem<br />

transformativen Engagement in Aceh die Verbindung zu dort relevanten governance Aspekten<br />

als sinnvoll erweisen, auch hier ist Dezentralisierung ein wichtiges Thema.<br />

Eine andere wichtige thematische Verbindung im Rahmen von Schwerpunktstrategien ist die<br />

zur Unterstützung von freien Medien, Friedensjournalismus <strong>und</strong> ausgewogener<br />

Berichterstattung. Im Rahmen der deutschen EZ wird diesem Bereich relativ wenig Beachtung<br />

geschenkt, er stellt jedoch bei der <strong>Konflikttransformation</strong> eine nicht zu unterschätzende<br />

Komponente dar, um der Rolle von spoilers mehr Bedeutung zu schenken, um Widerstände<br />

zu bearbeiten – <strong>und</strong> nicht zuletzt, um Akzeptanz <strong>und</strong> Toleranz für die Beiträge der EZ zur<br />

<strong>Konflikttransformation</strong> zu erhöhen. Insbesondere aus letzterem Gr<strong>und</strong> erwägt das RNCST,<br />

Aktivitäten im Bereich Journalismus/Medienförderung aufzunehmen.<br />

Wichtigstes Instrument der themenbezogenen Schwerpunktbildung der deutschen EZ sind<br />

die Schwerpunktstrategiepapiere (SSP), in denen das BMZ die themenspezifische<br />

Gr<strong>und</strong>problematik des jeweiligen Landes darstellt <strong>und</strong> strategische Vorgaben für die<br />

staatliche EZ aufstellt. (Für die nicht-staatliche EZ besitzen diese Papiere Orientierungscharakter.)<br />

Sie werden mit dem staatlichen Partner abgestimmt <strong>und</strong> der deutschen<br />

Zivilgesellschaft diskutiert. Konfliktbezogene SSP sind bzw. werden für alle Länder erstellt, in<br />

denen die zivile Konfliktbearbeitung einen Schwerpunkt der deutschen EZ darstellt. Als<br />

zentrales Koordinierungsinstrument des BMZ bieten die SSP vielfältige Möglichkeiten, einen<br />

systemischen Ansatz der <strong>Konflikttransformation</strong> anzustoßen <strong>und</strong> umzusetzen. Dazu gehören<br />

die Erstellung einer systemischen Konfliktanalyse einschließlich einer Szenarioplanung sowie<br />

die gezielte Ausrichtung der Umsetzungsstrategien auf „multi-issue“ <strong>und</strong> „multi-track“<br />

Ansätze, wobei besonderer Wert auf die Vertiefung der Schnittstellen zwischen verschiedenen<br />

thematischen Ansätzen (z.B. Konfliktbearbeitung mit governance, Medien, Armut, Umwelt,<br />

gender) gelegt werden sollte. Der Erstellungsprozeß der SSP könnte im Sinne des Prinzips<br />

„Inklusivität“ noch breiter angelegt werden (z.B. Konsultationen mit nationalen nichtstaatlichen<br />

Partnern der deutschen EZ). Zudem bieten die SSP eine noch zuwenig genutzte<br />

Gr<strong>und</strong>lage für die Abstimmung mit anderen bilateralen <strong>und</strong> multilateralen Akteuren, um so<br />

die Kohärenz <strong>und</strong> Komplementarität des gemeinsamen Vorgehens zu erhöhen.<br />

Netzwerkbildung<br />

Hinsichtlich der vertikalen Verbindungen zwischen den tracks zeigt es sich in Sri Lanka – aber<br />

nach bisheriger Einschätzung auch in Sudan -, dass diesen bei der Planung von Projekten oft<br />

noch zu wenig Raum gegeben wird <strong>und</strong> der Aufwand für nachträgliche Absprachen <strong>und</strong><br />

Koordinierung relativ hoch ist. Die Berghof Stiftung hat aber bspw. zu dem überwiegend auf<br />

track 3 aktiven <strong>und</strong> einen Friedensfond verwaltenden Projekt FLICT (Facilitating Local<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

77


Initiatives for Conflict Transformation) eine gute Kooperationspraxis entwickelt. Es ist<br />

sinnvoll, bereits zu Beginn die Verbindungen zwischen den tracks herzustellen <strong>und</strong> dabei den<br />

Fokus nicht auf die deutsche EZ allein zu richten, sondern vielmehr auf thematisch ähnlich<br />

gelagerte Aktivitäten anderer Geber bzw. die von anderen Gebern finanzierten INGO wie z.B.<br />

International IDEA, Conciliation Resources, International Alert oder Asia Fo<strong>und</strong>ation.<br />

INGOs stellen vor Ort wichtige Partner dar, spielen aber in der Geberkoordinierung auf<br />

politischer Ebene kaum eine Rolle, auch wenn viele bilaterale Geber ihre Beiträge zur<br />

Friedensförderung vornehmlich über sie abwickeln. Es sollte daher überlegt werden, wie diese<br />

Organisationen besser in die Koordinierung vor Ort <strong>und</strong> auch in Deutschland (bzw. der<br />

Schweiz – siehe Hinweis zu strategischen Partnerschaften) einbezogen werden können.<br />

Von Deutschland aus bemüht sich die Arbeitsgruppe Frieden <strong>und</strong> Entwicklung (FriEnt) durch<br />

länderbezogene ro<strong>und</strong> tables um eine verstärkte Kommunikation <strong>und</strong> Abstimmung zwischen<br />

den in einem Land tätigen staatlichen <strong>und</strong> nichtstaatlichen Organisationen, die sich im<br />

Bereich der zivilen Konfliktbearbeitung engagieren. Auch hier besteht im Sinne des Aufbaus<br />

von „networks of effective action“ noch Potential, diese Zusammenarbeit im Rahmen<br />

gemeinsamer Konfliktanalysen <strong>und</strong> Konfliktmonitoring, der Diskussion strategischer Fragen,<br />

sowie dem Austausch von „good practice“ <strong>und</strong> Lernerfahrungen weiter zu vertiefen. Allerdings<br />

besteht hierbei die Herausforderung, die in Deutschland geführten Diskussionen an die<br />

Akteure vor Ort zu vermitteln. Alternativ bestehen in einigen Ländern bereits Ansätze, über ein<br />

regelmäßig gemeinsam durchgeführtes Konflikt- bzw. Umfeldmonitoring den Dialog<br />

zwischen den in der Konfliktbearbeitung engagierten Akteuren zu vertiefen <strong>und</strong> so eine<br />

gemeinsame Gr<strong>und</strong>lage für die Strategiebildung <strong>und</strong> Entscheidungsfindung herzustellen.<br />

Komplementarität staatlicher <strong>und</strong> nicht-staatlicher Akteure<br />

Eine verstärkte Abstimmung innerhalb der deutschen EZ sollte allerdings nicht bedeuten,<br />

dass die jeweiligen Organisationen ihre jeweils originären Ansätze <strong>und</strong> Zugänge aufgeben. Im<br />

Rahmen eines „multi-issue“ <strong>und</strong> „multi-track“ Ansatzes ist hierbei vielmehr an eine sinnvolle<br />

Arbeitsteilung zwischen den einzelnen Akteuren zu denken. Dies wird besonders deutlich am<br />

Beispiel des Umgangs mit nicht-staatlichen Gewaltakteuren. Mit Blick auf die oben<br />

beschriebenen Herausforderungen im Umgang mit nicht-staatlichen Gewaltakteuren lässt<br />

sich folgern, dass konstruktivem Engagement <strong>und</strong> der Unterstützung der Transformation von<br />

NSAG seitens nicht-staatlicher Akteure weniger enge Grenzen gesetzt sind als staatlichen EZ<br />

Instrumenten. Aus diesem Gr<strong>und</strong>e wurde bereits in der Vergangenheit auf die Abgrenzung des<br />

RNCST von der staatlichen EZ wert gelegt. Ein Dilemma ergibt sich jedoch aufgr<strong>und</strong> der<br />

möglicherweise bevorstehenden EU Listung der LTTE als terroristische Organisation, da die<br />

staatliche Finanzierung des Vorhabens dessen Handlungsspielraum ebenfalls beschneidet.<br />

Hier müssen kreative Lösungen gef<strong>und</strong>en werden, wenn staatliche Akteure gezielt <strong>und</strong><br />

verlässlich die Transformation von <strong>und</strong> das Engagement mit nicht-staatlichen<br />

Gewaltakteuren unterstützen wollen.<br />

Angesichts dieser Beschränkungen bei inklusivem <strong>und</strong> allparteilichem Vorgehen für die<br />

staatliche EZ scheint es vor allem für die Instrumente der politischen Stiftungen, des DED<br />

(Deutscher Entwicklungsdienst) sowie des Zivilen Friedensdiensts (ZFD) interessant, die<br />

Prinzipien <strong>und</strong> normativen Gr<strong>und</strong>lagen der systemischen <strong>Konflikttransformation</strong><br />

aufzugreifen. Eine instrumentelle Lücke besteht bisher bei der Verknüpfung von fachlicher<br />

Expertise <strong>und</strong> Beratung, ausreichenden Finanzmitteln, um lokale Partner aller Parteien zu<br />

unterstützen, <strong>und</strong> institutioneller Unabhängigkeit, um nicht an einen lokalen Träger<br />

geb<strong>und</strong>en zu sein, der einer Konfliktpartei nahe steht. In diesem Sinne wäre es interessant,<br />

über die gezielte Verbindung der einzelnen Instrumente nachzudenken. Zu beachten ist<br />

dabei, dass die Zusammenarbeit verschiedener Institutionen einen über das ohnehin hohe<br />

Maß hinausgehenden, politischen Steuerungs- <strong>und</strong> Koordinierungsaufwand mit sich bringt,<br />

der durch Aufgabenteilung <strong>und</strong> Rollenklärung nur begrenzt reduziert werden kann.<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

78


Verbindung der verschiedenen Ebenen der systemischen <strong>Konflikttransformation</strong><br />

Die deutsche EZ verfügt über ein breit angelegtes Portfolio in den meisten klassischen<br />

Bereichen der internationalen Zusammenarbeit wie Gr<strong>und</strong>bildung, Einkommensförderung,<br />

Ressourcenmanagement, Armutsminderung, Förderung von Selbsthilfegruppen <strong>und</strong><br />

Zivilgesellschaft, Dezentralisierung, good governance etc. Viele dieser Ansätze bearbeiten<br />

klassische root causes gewaltsamer Konflikte bzw. arbeiten auf der sog. track 3 Ebene. Einige<br />

mögen sich auch in einzelnen Subsystemen eines Konflikts wiederfinden. Bisher werden<br />

derartige Maßnahmen aber noch zu wenig strategisch im Sinne der zivilen Konfliktarbeitung<br />

eingesetzt. Über die im Jahr 2005 eingeführte „K-Kennung“ wird zwar versucht, den<br />

Konfliktbezug dieser Maßnahmen indirekt als „Querschnittsthema“ zu erhöhen. Diese<br />

Vorgehensweise ist aber nicht in der Lage, die in Kap. 5.2. geforderte systemisch-strategische<br />

Interventionsplanung zu gewährleisten. Hier ist auch die systemische <strong>Konflikttransformation</strong><br />

gefordert, noch differenziertere <strong>Konzept</strong>e vorzulegen, die eine vertiefte Integration der drei<br />

Tracks der Konfliktbearbeitung im Rahmen eines systemischen Planungs- <strong>und</strong><br />

Handlungsprozesses möglich machen.<br />

Institutionelle Rahmenbedingungen<br />

Der Schwerpunkt des Kapitels auf Anregungen für das BMZ soll nicht bedeuten, dass nicht<br />

auch andere Politikfelder Bezugspunkte zur systemischen <strong>Konflikttransformation</strong> aufweisen.<br />

So sollte nicht nur bei der landesbezogenen Planung <strong>und</strong> Koordinierung der EZ Instrumente<br />

das Instrumentarium des Auswärtigen Amts (FEM Titel, Fonds für Kleinstmaßnahmen an den<br />

Botschaften) gezielt einbezogen werden, sondern auch auf konzeptioneller Ebene über eine<br />

Bündelung der Instrumente nachgedacht werden. Ein gezielter Einsatz dieser<br />

Finanzierungsinstrumente z.B. für langfristige strategische Partnerschaften mit Akteuren der<br />

Friedensförderung oder für die gezielte Unterstützung ausgewählter Friedensprozesse würde<br />

das deutsche Profil in der Friedensförderung stärken helfen.<br />

<strong>Konflikttransformation</strong> ist personalintensiv <strong>und</strong> erfordert hoch qualifiziertes <strong>und</strong> gut<br />

informiertes Personal. Vielfach setzen Geber daher spezielle fachliche Berater ein, die bei der<br />

fachlichen Steuerung der Projekte sowie der politischen Analyse <strong>und</strong> Politikgestaltung eine<br />

Rolle spielen können. Für die B<strong>und</strong>esregierung ergeben sich aufgr<strong>und</strong> der<br />

Ressortkonstellation besondere Herausforderungen, dennoch erscheint es interessant, die<br />

Erfahrungen anderer Geber wie der Schweiz mit ihren politischen Beratern an den<br />

Botschaften oder DFID für die weitere Entwicklung der eigenen Kompetenzen auszuwerten.<br />

Training<br />

In Deutschland sind in den vergangenen Jahren mehrere Foren für die Ausbildung <strong>und</strong><br />

Fortbildung von Fachkräften der zivilen Konfliktbearbeitung entstanden (u.a. das Zentrum für<br />

Internationale Friedenseinsätze, InWent, Akademie für Konflikttransfomation für den<br />

Bereich ZFD), die sich an jeweils eigene Zielgruppen wenden. Dabei bietet insbesondere<br />

InWent regionale Fortbildungskurse zu diesem Themenbereich, die sich an<br />

Friedensaktivisten <strong>und</strong> Fachkräfte aus Konfliktregionen wenden. Auch hier besteht noch<br />

Potential, die sich herausbildenden persönlichen Netzwerke unter den TeilnehmerInnen<br />

stärker im Sinne von „networks of effective action“ zu fördern. Eine andere Möglichkeit<br />

bestünde darin, diese Trainings stärker mit Dialogformaten <strong>und</strong> „systemischer<br />

Beziehungsarbeit“ zwischen Vertretern von Konfliktparteien zu verbinden.<br />

In gleicher Weise lassen sich interessante Anregungen aus den Fortbildungs- <strong>und</strong><br />

Trainingskonzepten ableiten. Hier fällt auf, dass die deutschen Programme relativ technisch<br />

auf die EZ Instrumente ausgerichtet sind, sich aber wenig mit makropolitischen Fragen wie<br />

z.B. Verfassungs- <strong>und</strong> Staatsmodellen, Wahlsystemen oder rechtlichen Gr<strong>und</strong>lagen z.B. des<br />

Völkerrechts befassen. Diese Themenbereiche stehen jedoch in der Regel im Zentrum<br />

politischer Gewaltkonflikte.<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

79


Schweizerisches Instrumentarium<br />

In der folgenden Übersicht liegt der Schwerpunkt auf dem Instrumentarium der Schweizer<br />

Institutionen, die sich primär mit ZKB beschäftigen, wie die Politische Abteilung IV<br />

(„Menschliche Sicherheit“) des EDA, die Conflict Prevention and Transformation (COPRET)<br />

Abteilung der DEZA <strong>und</strong> das Kompetenzzentrum Friedensförderung (KOFF) der Schweizer<br />

Friedensstiftung swisspeace. Die folgenden Instrumentarien werden in<br />

„Themenschwerpunkte“ (Unterstützung von track 1, track 1,5 <strong>und</strong> track 2; Verfassungsfragen,<br />

Dezentralisierung, Machtteilung) 90 <strong>und</strong> „existierende Gefäße“ (Training; Peacebuilding<br />

Advisers; Strategische Partnerschaften; PA IV-NGO Gespräche) unterschieden.<br />

Unterstützung von track 1, track 1,5 <strong>und</strong> track 2<br />

Die Unterstützung von track 1, track 1,5 <strong>und</strong> track 2 in Friedensprozessen zählt zu den<br />

wichtigsten Aufgabenbereichen der Politischen Abteilung IV. Aktuelle Diskussionen drehen<br />

sich um die Frage, wie genau die horizontale <strong>und</strong> vertikale Vernetzung von track 1-3 verbessert<br />

<strong>und</strong> eine Mehrebenenpolitik vorangetrieben werden kann. Hier finden sich konkrete<br />

Überschneidungen zum systemischen Ansatz: Sie ergeben sich bei Fragen des „multistakeholder<br />

Dialogs“ <strong>und</strong> des „Netzwerkmanagements“, die sich für die PA IV<br />

Programmverantwortlichen in dem Kontakt mit <strong>und</strong> bei der Auswahl von lokalen<br />

Partnerorganisationen stellen. Weitere Anknüpfungsmöglichkeiten bieten die Diskussionen<br />

mit lokalen track 1-3 Akteuren über Fragen des „Aufbaus <strong>und</strong> der Institutionalisierung eines<br />

Unterstützungssystems“ <strong>und</strong> der „Inklusivität“.<br />

Verfassungsfragen/Dezentralisierung/Machtteilung<br />

Bei diesem Arbeitsbereich des EDA sind Fragen des „konstruktiven Engagements“, der<br />

„Inklusivität“ <strong>und</strong> eines „multi-stakeholder Dialoges“ vor allem im Hinblick auf die aktuellen<br />

Diskussionen über die Rolle der „Schweiz als pro-aktivem Friedensakteur“ <strong>und</strong> über den<br />

Umgang mit nicht-staatlichen Konfliktakteuren von zentraler Bedeutung:<br />

Die Frage, wieweit die Schweiz expliziter als bisher als „pro-aktiver Friedensakteur“ auftreten<br />

soll, spiegelt sich auch in der aktuellen Debatte zur Mediation <strong>und</strong> der spezifischen Rolle der<br />

Schweiz in internationalen Mediationsprozessen wider (diese Diskussion wird begleitet durch<br />

das Mediation Support Project (MSP) von swisspeace 91 ). Die „Verknüpfung von Dialog &<br />

capacity building“ ist vor allem bei der Frage des Ausbaus <strong>und</strong> der stärkeren<br />

Institutionalisierung der Mediationskompetenzen der PA IV MitarbeiterInnen eine wichtige<br />

Diskussion innerhalb der PA IV.<br />

Die Beschäftigung mit der Mediation wirft zentrale Fragen des politischen<br />

Selbstverständnisses des EDA nicht zuletzt im Hinblick auf ihre Arbeit mit „nicht-staatlichen<br />

Gewaltakteuren“ auf. Die laufende Arbeit mit NSAG in den PA IV- Länderprogrammen bietet<br />

hier wichtige Anknüpfungspunkte für die verstärkte Thematisierung der systemischen<br />

<strong>Konflikttransformation</strong>, v.a. für Fragen der „systemischen Beziehungsarbeit“ <strong>und</strong> des<br />

„konstruktiven Engagements“. Ideale <strong>und</strong> direkte Verbindungen lassen sich auch in der<br />

langjährigen Arbeit der DEZA mit NSAG in den Bereichen der „Humanitären Hilfe“, der<br />

„Demokratisierung“ <strong>und</strong> der „Demobilisierung, Entwaffnung <strong>und</strong> Reintegration“ sehen, wo<br />

Fragen der „Inklusivität“ <strong>und</strong> des „konstruktiven Engagements“ wichtige Eckpfeiler ihrer<br />

Arbeit bilden.<br />

Nicht-staatliche Gewaltakteure spielen auch im Kontext der politischen Bedeutung der<br />

Diaspora <strong>und</strong> ihrer Einbeziehung in die Friedensförderung eine wichtige Rolle. Wieweit die<br />

90 Die folgende Darstellung beschränkt sich auf ausgewählte Schwerpunkte. Sie bezieht auch die Ergebnisse der<br />

Baselinestudie mit ein, die 2003 vom KOFF im Auftrag der PA IV durchgeführt wurde.<br />

91 Siehe www.swisspeace.org/mediation/mediation.htm<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

80


Diaspora stärker in die Friedensförderung einbezogen werden kann <strong>und</strong> soll, wird aktuell<br />

innerhalb der PA IV am Beispiel der srilankischen Diaspora in der Schweiz diskutiert. Das<br />

KOFF greift darüber hinaus „nicht-staatliche Gewaltakteure“ als neuen Arbeitsbereich für<br />

2006 auf. Im Vordergr<strong>und</strong> soll die Sammlung von lessons learned in der Einbeziehung der<br />

NSAG in internationale Friedensprozesse stehen. Darüber hinaus wird sondiert werden, wie<br />

das Thema stärker als bisher in die KOFF-Instrumentarien, wie die geographischen <strong>und</strong><br />

thematischen KOFF-R<strong>und</strong>tische, einbezogen werden könnte.<br />

Training<br />

Der Ausbildungskurs des „Schweizerischen Expertenpool für zivile Friedensförderung“ (SEF) 92<br />

ist bereits in vielen Aspekten holistisch angelegt <strong>und</strong> bietet somit gute Anknüpfungspunkte<br />

für die Thematisierung von Prinzipien <strong>und</strong> Kernelementen des systemischen Ansatzes. Eine<br />

stärkere Betonung des systemischen Ansatzes könnte stattfinden in Form von inhaltlichen<br />

Bausteinen zu Fragen der „Inklusivität“, des „konstruktivem Engagements“ <strong>und</strong> des „multistakeholder<br />

Dialoges“, anhand konkreter Beispiele aus Sri Lanka, Georgien-Abchasien etc.<br />

<strong>und</strong> praktischer Übungen, wie z.B. zur „Szenariobildung“ oder zu der systemischen<br />

Konfliktanalyse. Ähnliche Anknüpfungspunkte lassen sich bei den jährlichen KOFF Trainings<br />

zur Konfliktanalyse <strong>und</strong> dem DEZA Ausbildungszyklus „Mediation“ 93 finden. Die zentrale<br />

Herausforderung bei allen Trainingsmodulen wird das follow up in Form von politischer <strong>und</strong><br />

analytischer Unterstützung <strong>und</strong> regelmäßigem Monitoring sein.<br />

Peacebuilding Advisers (PBAs)<br />

Die bisherigen Erfahrungen in Mozambique, Sri Lanka, Kolumbien, Guatemala, Balkan,<br />

Nahost, Nepal, Zentralasien <strong>und</strong> Angola zeigen, dass die PBAs bereits, wenn auch in<br />

unterschiedlicher Intensität, wichtige Arbeit im Sinne des systemischen Ansatzes geleistet<br />

haben bzw. leisten: Konkrete Beispiele sind ihre Erfahrungen mit nicht-staatlichen<br />

Gewaltakteuren, Prozessen von „multi-stakeholder Dialogen“ <strong>und</strong> Fragen der „Inklusivität“.<br />

Ihre Erfahrungen unterstreichen, wie essentiell die politische <strong>und</strong> professionelle Supervision<br />

<strong>und</strong> Unterstützung von Seiten der PA IV ist. Als erster Schritt müsste es darum gehen, die<br />

bereits gesammelten Erfahrungen der PBAs im Hinblick auf ihre Wirkung <strong>und</strong> Effektivität<br />

systematisch auszuwerten. In diesem Kontext könnte geklärt werden, wieweit ihre Wirkung<br />

im Sinne der systemischen <strong>Konflikttransformation</strong> noch erhöht werden kann. Darüber hinaus<br />

wäre zu überlegen, wieweit zusätzliche human rights advisers PBAs bei der „systemischen<br />

Beziehungsarbeit“ ergänzen <strong>und</strong> unterstützen könnten (human rights advisers gibt es derzeit<br />

in China, Vietnam, Iran <strong>und</strong> voraussichtlich bald in Sri Lanka).<br />

Strategische Partnerschaften 94<br />

Die Idee <strong>und</strong> die Auswahl „strategischer Partnerschaften“ kann als erfolgreicher Versuch der<br />

PA IV gewertet werden, „agents of peaceful change“ im Sinne einer „kritischen Masse“<br />

aufzubauen, zu unterstützen <strong>und</strong> eine „Abgleichung verschiedener Perspektiven“ zu<br />

ermöglichen. Die PA IV thematisiert mit strategischen PartnerInnen bereits Fragen des<br />

„konstruktiven Engagements“, des „multi-stakeholder Dialoges“ <strong>und</strong> des<br />

„Netzwerkmanagements“ im Sinne des systemischen Ansatzes. Hierbei spielen u.a. die von<br />

KOFF organisierten geographischen <strong>und</strong> thematischen R<strong>und</strong>tische eine wichtige Rolle. 95<br />

92 Zusammen mit SWISSINT, Verteidigungsministerium.<br />

93 Siehe das Programm des Zyklus „Modulare Ausbildung Mediation 2005-2006“ unter<br />

http://www.sdc.admin.ch/ressources/deza_product_de_711.pdf<br />

94 Siehe „http://www.eda.admin.ch/eda/g/home/foreign/humsec/frpziv/sp.html“ <strong>und</strong> http://www.eda.admin.ch/<br />

eda/g/home/foreign/humsec/Public/focusblaetter.ContentPar.0040.UpFile.tmp/Strat_P_34_d.pdf.<br />

95 Siehe auch Empfehlungen des KOFF-Evaluationsberichtes<br />

http://www.swisspeace.org/koff/uploads/website/KOFFEvaluationsberichtFinal.pdf<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

81


PA IV-NGO Gespräche<br />

Die regelmäßig stattfindenden Treffen zwischen dem Leitungspersonal ausgewählter NGOs,<br />

Hilfswerke <strong>und</strong> der PA IV ermöglichen es, Fragen der „systemischen Beziehungsarbeit“, des<br />

„Netzwerkmanagements“ sowie des „multi-stakeholder Dialoges“ gezielt zu diskutieren.<br />

Die beiden Bereiche „Themenschwerpunkte“ <strong>und</strong> „existierende Gefäße“ illustrieren<br />

beispielhaft, dass Kernelemente des systemischen Ansatzes implizit schon im Portfolio der<br />

betreffenden Schweizer Institutionen enthalten sind. Es gilt zu sondieren, wieweit die bereits<br />

gesammelten Erfahrungen mit dem systemischen Ansatz in Sri Lanka, Georgien-Abchasien<br />

etc. noch gezielter für das bestehende Portofolio genutzt werden können. Gleichzeitig stellt<br />

sich die Frage, wieweit die Anknüpfungspunkte in den beiden obigen Bereichen helfen, den<br />

systemischen Ansatz noch weiterzuentwickeln.<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

82


8. Fazit <strong>und</strong> Empfehlungen<br />

8.1 Zusammenfassung <strong>und</strong> Bewertung der Ergebnisse<br />

Die Studie basiert auf der Prämisse, dass für eine konstruktive <strong>und</strong> nachhaltig erfolgreiche<br />

Bearbeitung von Gewaltkonflikten neue innovative Strategien der Friedensförderung nötig<br />

sind. Diese Strategien müssen einerseits der enormen Komplexität <strong>und</strong> Dynamik von<br />

Konflikten gerecht werden. Andererseits müssen sie aber auch in der Lage sein, vor dem<br />

Hintergr<strong>und</strong> teilweise äußerst schwieriger realpolitischer Gegebenheiten (politische<br />

Vermachtung von Konflikten, fehlender Ordnungsrahmen, „Terrorismusdiskurs“, etc.),<br />

einheimischen Akteuren <strong>und</strong> internationalen Drittparteien ein konzeptionelles Gerüst zu<br />

bieten, um i) möglichst effektive <strong>und</strong> effiziente Einstiegspunkte für Programme <strong>und</strong><br />

Maßnahmen der Friedensförderung zu identifizieren, ii) eine klare <strong>und</strong> nachvollziehbare<br />

Strategie der Friedensförderung zu erarbeiten, iii) einen Rahmen zu kreieren, der<br />

Kommunikation, Kooperation <strong>und</strong> Partnerschaft mit anderen einheimischen <strong>und</strong><br />

internationalen, staatlichen <strong>und</strong> nicht-staatlichen Akteuren herzustellen hilft <strong>und</strong> fördert.<br />

Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> wurden basierend auf der jüngeren Diskussion von Wissenschaftlern<br />

<strong>und</strong> Praktikern der Zivilen Konfliktbearbeitung <strong>und</strong> dem von der Berghof Stiftung in Sri Lanka<br />

<strong>und</strong> dem Kaukasus gewonnen Erfahrungswissen Gr<strong>und</strong>prinzipien, konzeptionelle Pfeiler,<br />

notwendige Rahmenbedingungen <strong>und</strong> Methoden der systemischen <strong>Konflikttransformation</strong><br />

vorgestellt. Auch wenn es sich bei der Studie um eine erste konzeptionelle Aufarbeitung<br />

handelt <strong>und</strong> weitere Erfahrungen aus der Praxis gewonnen werden müssen, glauben wir, dass<br />

die vorgestellten Elemente der systemischen <strong>Konflikttransformation</strong> dessen großes<br />

innovatives Potential verdeutlichen, <strong>und</strong> zeigen, dass dieser Ansatz in der Analyse <strong>und</strong> Praxis<br />

der Friedensförderung neue Perspektiven aufzeigen <strong>und</strong> den Weg für kreatives Denken <strong>und</strong><br />

flexibles Handeln eröffnen kann.<br />

Wir sehen vor allem folgende fünf Stärken eines systemischen Ansatzes:<br />

1. Die systemische <strong>Konflikttransformation</strong> leitet Individuen, Organisationen <strong>und</strong><br />

Netzwerke zu einer ergebnisoffenen <strong>und</strong> „komplexitätsbewussten“ Art des Denkens<br />

<strong>und</strong> Handels an, ohne den notwendigen Blick auf spezifische Details <strong>und</strong> Faktoren zu<br />

negieren.<br />

2. Die systemische <strong>Konflikttransformation</strong> ist flexibel <strong>und</strong> integrativ, lädt also zu<br />

kreativem interdisziplinären Austausch ein.<br />

3. Die systemische <strong>Konflikttransformation</strong> bietet insbesondere hinsichtlich der Analyse<br />

<strong>und</strong> Bewertung komplexer Situationen <strong>und</strong> Dynamiken sowie zur Entwicklung von<br />

Zukunftsszenarien eine Vielfalt von wichtigen Anregungen <strong>und</strong> Impulsen für<br />

Drittparteien <strong>und</strong> einheimische Akteure.<br />

4. Durch die Nutzung von Methoden, die ein „Out-of-the-box“-Denken,<br />

Perspektivenwechsel <strong>und</strong> Irritationen hervorrufen, trägt die systemische<br />

<strong>Konflikttransformation</strong> zur Verbesserung von Interventionsmethoden bei; einige<br />

systemische tools (z.B. die fishbowl-Methode) werden bereits in Workshops <strong>und</strong><br />

Dialogprozessen angewandt; es gibt aber eine hohe Nachfrage diese<br />

weiterzuentwickeln.<br />

5. Die systemische <strong>Konflikttransformation</strong> leistet einen wichtigen Beitrag zur Erstellung<br />

eines strategischen Planungsrahmens für die Abstimmung <strong>und</strong> Verknüpfung<br />

unterschiedlicher Aktivitäten, Aktivitätsebenen <strong>und</strong> Akteure.<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

83


Zusammenfassend stellt sich die systemische <strong>Konflikttransformation</strong> als ein dynamischer,<br />

nicht-linearer Ansatz dar, der durch die folgenden Schritte charakterisiert werden kann:<br />

Zyklus der systemischen <strong>Konflikttransformation</strong><br />

1. Systembeobachtung<br />

- regelmäßige Analyse, Monitoring <strong>und</strong> assessment<br />

- „complexify „simplify“<br />

2. Mit <strong>und</strong> in dem System arbeiten<br />

- Kritisch-konstruktives Engagement<br />

- Verstehen der eigenen Rolle <strong>und</strong> Begrenzungen<br />

- Supervision <strong>und</strong> „Blick von Außen“<br />

3. Mit dem System wachsen<br />

- gemeinsames Lernen mit Partnern <strong>und</strong> stakeholdern<br />

- Reaktionen aus dem System antizipieren<br />

- an den notwendigen Stellen Flexibilität zeigen<br />

Als Schwäche des systemischen Ansatzes ließe sich vor allem das hohe Voraussetzungsniveau<br />

anführen. Dabei geht es weniger um Mindestanforderungen, die sich aus der Art <strong>und</strong> Weise<br />

des Konfliktsystems ableiten, als vielmehr um die Schwierigkeit des Transfers in<br />

festgefahrene Praxisroutinen:<br />

1. Die systemische <strong>Konflikttransformation</strong> erfordert ein hohes Maß an Zeit <strong>und</strong><br />

Ressourceneinsatz:<br />

i) Da Maßnahmen der ZKB in der Regel in einem hochdynamischen politischen<br />

Umfeld stattfinden, ist es wichtig, dass diese flexibel angelegt sind <strong>und</strong> auf neue<br />

Konstellationen reagieren bzw. sich eröffnende windows of opportunity (auf<br />

deren Entstehen sie hinarbeiten) auch wirksam nutzen können. Ein flexibles<br />

Vorgehen kann jedoch nur dann zur vollen Entfaltung gelangen, wenn ein<br />

langfristiges Engagement möglich bzw. beabsichtigt ist <strong>und</strong> gr<strong>und</strong>legende<br />

Zielsetzungen <strong>und</strong> Strategien nicht zu oft angepasst werden müssen;<br />

ii) <strong>Systemische</strong> Ansätze sind so angelegt, dass unterschiedliche Instrumente auf<br />

unterschiedlichen tracks zum Tragen kommen können, d.h. den einzelnen<br />

Akteuren wird methodisch ein breiter Bewegungsrahmen eingeräumt. Um auf<br />

neue Herausforderungen einzugehen, kann es sich als nötig erweisen, auf die<br />

spezielle Expertise anderer Organisationen zurückzugreifen, diese also als<br />

weitere Partner in den systemischen Ansatz zu integrieren;<br />

iii) Auch in der Projektumsetzung sind die Ressourcenaufwendungen für<br />

konsequente Partnerorientierung, Netzwerkpflege, Vertrauensbildung <strong>und</strong><br />

Informationsaustausch hoch. Mittelfristig dürfte der systemische Ansatz aber<br />

auch wieder zu Einsparungen beitragen, da sich im Rahmen eines konsequent<br />

partnerschaftlichen oder zumindest auf Kooperation abzielenden Vorgehens<br />

einzelne Akteure auf Kernkompetenzen konzentrieren können.<br />

2. Die systemische <strong>Konflikttransformation</strong> setzt voraus, dass es ein Umdenken <strong>und</strong> einen<br />

Mentalitätswechsel bei Organisationen der internationalen Zusammenarbeit gibt –<br />

weg vom Denken in uni-linearen planerischen Machbarkeiten hin zu einer sensiblen<br />

<strong>und</strong> auf Langfristigkeit angelegten Prozessbegleitung <strong>und</strong> weg vom Denken in<br />

Kategorien wie „Unser Projekt“ hin zu einer engagierten <strong>und</strong> glaubwürdigen<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

84


Unterstützung einheimischer Partner. Das Ziel sollte sein, zu einer ausgeprägten<br />

Kooperationskultur <strong>und</strong> Partnerorientierung zu gelangen. Zudem ist eine<br />

Fokussierung auf die Problemlösungskapazitäten von Akteuren aus dem System<br />

erforderlich, externe Vorstellungen von Ordnungsstrukturen <strong>und</strong> Prozessdesign<br />

können nicht einfach übertragen <strong>und</strong> dem betreffenden Konfliktsystem übergestülpt<br />

werden.<br />

3. Die systemische <strong>Konflikttransformation</strong> erfordert sehr gut ausgebildetes<br />

Schlüsselpersonal, welches über ein hohes Maß an Offenheit sowie über<br />

ausgezeichnete Prozess- <strong>und</strong> Moderationsqualifikation für die Anwendung<br />

systemischer Ansätze verfügen muss. Zur Anwendung in Projekten <strong>und</strong> Programmen<br />

der Friedensförderung sind deshalb unter Umständen externe Fach- <strong>und</strong><br />

Prozessmoderatoren notwendig (bei Netzwerken evtl. eine Art „Systemberater“), die<br />

über eine diesbezügliche Qualifikation verfügen. Die Essenz der systemischen<br />

<strong>Konflikttransformation</strong> lässt sich zudem nicht in eine simplen Methodenbox sperren.<br />

Im Gegenteil: jegliche one tool catches all Philosophie liegt diametral zu deren Wesen.<br />

4. Keine Schwäche, wohl aber eine Schwierigkeit des Ansatzes liegt in der klaren<br />

Kommunikation <strong>und</strong> Definition von Schlüsselkonzepten. Aufgr<strong>und</strong> der Popularität<br />

systemischer Ansätze gilt: „Alles ist systemisch, aber was genau ist systemisch?“<br />

Deshalb müssen Definitionen von Typen systemischer Ansätze <strong>und</strong> von<br />

Schlüsselkategorien wie agents of peaceful change klar kommuniziert werden <strong>und</strong><br />

über die Ergebnisse der vorliegenden Studie hinaus weiter begrifflich <strong>und</strong><br />

konzeptionell geschärft werden.<br />

8.2 Offene Fragen <strong>und</strong> Perspektiven<br />

Für die Weiterentwicklung der systemischen <strong>Konflikttransformation</strong> erscheinen uns vor<br />

allem die folgenden drei Bereiche wichtig:<br />

Erstens, für die praktische Anwendung des systemischen Ansatzes sind weitere<br />

Lernerfahrungen <strong>und</strong> die konzeptionelle Weiterentwicklung vor allem im Bereich der<br />

Instrumente der Konfliktanalyse <strong>und</strong> Projektplanung (einschließlich „systemisches M & E“)<br />

sinnvoll. Dazu könnte u.a. auf bestehende systemische Planungsmethoden wie etwa<br />

SINFONIE 96 <strong>und</strong> die Methode der Szenario-Analysen zurückgegriffen <strong>und</strong> auch die<br />

Erfahrungen von „einfachen“ systemischen tools der Konfliktanalyse einbezogen werden. Die<br />

Frage eines systemischen Monitoring Ansatzes bzw. eines Monitorings von multi-issue <strong>und</strong><br />

multi-track Ansätzen, wie sie zunehmend von Organisationen der internationalen<br />

Zusammenarbeit durchgeführt werden (z.B. im Rahmen integrierter oder übersektoraler<br />

<strong>Konzept</strong>e), wird das Feld auch in den nächsten Jahren weiter beschäftigen. Vor dem<br />

Hintergr<strong>und</strong> der statischen Debatte über PCIA/PCA 97 könnte die systemische<br />

<strong>Konflikttransformation</strong> wesentliche <strong>und</strong> neue Impulse in diese Diskussion bringen.<br />

Zweitens, das von uns als sehr hoch eingestufte Potential des systemischen Ansatzes für<br />

Netzwerke <strong>und</strong> Kooperationsverbände sollte hinsichtlich der Aspekte<br />

organisationsübergreifender Analyse, Strategieplanung <strong>und</strong> Steuerung weiter ausgelotet <strong>und</strong><br />

konzeptionell <strong>und</strong> methodisch vertieft werden. Im Rahmen der vorliegenden Studie konnte<br />

dies nicht geleistet werden, weil hierzu weitere empirische Untersuchungen geleistet werden<br />

müssten <strong>und</strong> es zudem ein klares Mandat der beteiligten Organisationen geben sollte.<br />

Ansatzpunkte für einen organisationsübergreifenden systemischen Ansatz der<br />

96 Zur von Denkmodell entwickelten Methode SINFONIE vgl. Kap. 5.1.<br />

97 Zur Debatte über PCIA <strong>und</strong> PCA siehe vor allem die Diskussionsbeiträge im Berghof Handbook for Conflict<br />

Transformation: www.berghof-handbook.net.<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

85


Friedensförderung sehen wir sowohl im multi-lateralen Rahmen (CPN, CPDC/DAC) als auch<br />

im nationalen Rahmen (z.B. in Form von Multi-track Ansätzen <strong>und</strong> Strategien).<br />

Drittens, im Bereich des systemischen Netzwerkmanagements sind insbesondere die<br />

formellen <strong>und</strong> informellen Koordinierungs- <strong>und</strong> Unterstützungsstrukturen in<br />

Friedensprozessen genauer zu untersuchen. Das gilt für die der internationalen Akteure<br />

ebenso wie für die, die zur Kommunikation, Abstimmung <strong>und</strong> Interaktion zwischen<br />

internationalen <strong>und</strong> einheimischen Akteuren genutzt werden.Momentan gibt es noch keine<br />

Untersuchung, die diese Erfahrungen (beispielsweise der donor working groups, friends<br />

groups, Friedenskommissionen <strong>und</strong> Unterstützungsstrukturen für die Vermittler <strong>und</strong><br />

facilitators) systematisch hinsichtlich ihrer Rolle im Friedensprozess als auch hinsichtlich der<br />

internen Lernerfahrungen auswertet.<br />

8.3 Empfehlungen<br />

Welche weiteren Schritte <strong>und</strong> Maßnahmen lassen sich aus der Studie ableiten? Wir möchten<br />

die folgenden Empfehlungen geben, die sich zum einen direkt auf den systemischen Ansatz<br />

beziehen, zum anderen aber auch einige prinzipielle Erwägungen widerspiegeln. Die<br />

Empfehlungen richten sich zum einen an uns selbst (BFPS) <strong>und</strong> andere intermediäre<br />

Organisationen, die an der Nutzung <strong>und</strong> Weiterentwicklung des systemischen Ansatzes der<br />

<strong>Konflikttransformation</strong> interessiert sind, sowie an die beiden Geber der Studie, EDA <strong>und</strong> BMZ.<br />

Empfehlungen an BFPS <strong>und</strong> andere ZKB-Organisationen<br />

Wir sind davon überzeugt, dass die systemische <strong>Konflikttransformation</strong> einen bedeutsamen<br />

Beitrag zur konzeptionellen <strong>und</strong> strategischen Weiterentwicklung der Praxis der<br />

Friedensförderung leistet. Aufbauend auf den Ergebnissen dieser Studie kann <strong>und</strong> sollte der<br />

systemische Ansatz konzeptionell <strong>und</strong> in der Anwendung noch weiter präzisiert <strong>und</strong><br />

modifiziert werden. Wir schlagen deshalb folgende Bereiche vor, in denen wir uns zukünftig<br />

engagieren möchten <strong>und</strong> wollen einen intensiven Erfahrungs- <strong>und</strong> Wissensaustausch mit<br />

BFPS Partnerorganisationen <strong>und</strong> anderen interessierten ZKB-Organisationen befördern:<br />

1. Erstellung, Weiterentwicklung <strong>und</strong> Adaption von Methoden der<br />

<strong>Konflikttransformation</strong> mit Fokus auf Systemperspektive insbesondere in den<br />

Bereichen der Konfliktanalyse, der Interventionsplanung (z.B. Prozessarchitektur) <strong>und</strong><br />

des systemischen Wirkungsmonitorings. Die Methodenentwicklung soll u.a. im<br />

Rahmen von BFPS Praxisprojekten <strong>und</strong> auch in Kooperation mit dem Berghof<br />

Forschungszentrum betrieben werden.<br />

2. Stärkere Systematisierung <strong>und</strong> Anwendung von systemischen Methoden <strong>und</strong> Ansätzen<br />

der <strong>Konflikttransformation</strong> in Dialog- <strong>und</strong> Problemlösungsworkshops. Neben<br />

Berghof-eigenen Erfahrungen soll dazu auch verstärkt der Austausch mit<br />

Partnerorganisationen wie bspw. Conciliation Resources, One-Text-Initiative oder<br />

Crisis Management Initiative (CMI) gesucht werden.<br />

3. Zur Sicherstellung <strong>und</strong> systematischen Erfassung von Lernerfahrungen schlagen wir<br />

vor, Lernschleifen <strong>und</strong> Aktionsforschungskomponenten in alle größeren bzw.<br />

methodisch innovativen Projekte <strong>und</strong> Programme der Friedensförderung zu<br />

integrieren. Mit Unterstützung durch Aktionsforscher <strong>und</strong> –forscherinnen könnte im<br />

Sinne eines systemischen Wissensmanagement eine regelmäßige Reflexion der<br />

Vorhaben stattfinden, die einerseits die Lernerfahrungen sichert (<strong>und</strong> damit einen<br />

Transfer der Erfahrungen überhaupt erst erlaubt), andererseits aber auch ein feedback<br />

für die Projekte/Programme darstellt. Gerade bei komplexen Programmen könnten<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

86


Zielkonflikte unterschiedlicher Programmkomponenten besser erfasst <strong>und</strong><br />

ausgewertet, mögliche Anknüpfungspunkte an andere Vorhaben <strong>und</strong> Aktivitäten<br />

identifiziert werden.<br />

4. Wir wollen den Austausch über die systemische <strong>Konflikttransformation</strong> durch<br />

Publikationen aber insbesondere durch Workshops <strong>und</strong> Seminare fortführen <strong>und</strong><br />

intensivieren. Diese Seminare können einerseits als Austauschforen zwischen<br />

Organisationen mit ähnlichem Erfahrungswissen dienen. Wir halten es aber auch für<br />

sinnvoll, den Austausch über die systemische <strong>Konflikttransformation</strong> mit<br />

Weiterbildungskomponenten zu verknüpfen, wie es z.B. mit EDA <strong>und</strong> BMZ geplant ist.<br />

5. Mit Bezug auf die Praxis der systemischen <strong>Konflikttransformation</strong> wollen wir auch<br />

weiterhin Unterstützung <strong>und</strong> Beratung für andere internationale Organisationen <strong>und</strong><br />

Geber anbieten, bspw. im Rahmen von donor working groups oder mit Bezug auf die<br />

Ausgestaltung anderer friedensfördernder Strukturen (peace support groups; peace<br />

secretariats, etc.).<br />

Empfehlungen an Geberorganisationen<br />

6. Für die Nutzung des systemischen Ansatzes durch die Geber sollten klare<br />

Anknüpfungspunkte identifiziert werden <strong>und</strong> zwischen den Anwendungsbereichen<br />

auf der Ebene der politischen Steuerung <strong>und</strong> Koordinierung einerseits <strong>und</strong> der<br />

Nutzung des systemischen Ansatzes zur weiteren Instrumentenentwicklung anderseits<br />

unterschieden werden. Zur weiteren Klärung der Nutzung des Ansatzes könnte bspw.<br />

exemplarisch ein Pilotprojekt der systemischen <strong>Konflikttransformation</strong> in ein<br />

bestehendes Programm der Friedensförderung integriert werden <strong>und</strong> gezielt<br />

Beratungsleistungen in beiden erwähnten Anwendungsbereichen anbieten.<br />

7. Da wir seitens der internationalen Gebergemeinschaft einen großen Handlungsbedarf<br />

beim Übergang von Friedensverhandlungen zur sogenannten Post-Konflikt-Phase<br />

sehen (sowohl hinsichtlich der Ausgestaltung der support Strukturen als auch der<br />

Prozessbegleitung), empfehlen wir, die Anwendbarkeit von systemischen Anätzen in<br />

Multi-Akteurs-Kontexten am Beispiel dieser politisch hochsensiblen Übergangsphase<br />

zu testen.<br />

8. Die Anwendung systemischer Ansätze erfordert von allen Beteiligten Flexibilität,<br />

Offenheit <strong>und</strong> Kreativität bei der Entwicklung tragfähiger Lösungsansätze, was unter<br />

Umständen auch einen höheren Zeit- <strong>und</strong> Ressourceneinsatz erforderlich macht. Wir<br />

empfehlen daher den Geberorganisationen, bei Pilotprojekten <strong>und</strong> systemisch<br />

angelegten Vorhaben die notwendigen Ressourcen für eine gr<strong>und</strong>legende Analyse des<br />

Konfliktsystems, strategische Planung, Reflektion <strong>und</strong> Lernen bereitzustellen. Diese<br />

Analysen <strong>und</strong> Lernerfahrungen sollten allerdings auch für andere Organisationen zur<br />

Verfügung gestellt werden, so dass unter dem Strich keine nicht breit genutzten<br />

Mehraufwendungen entstehen sollten.<br />

9. Der systemische Ansatz basiert in hohem Maße auf Inklusivität <strong>und</strong> Kooperation.<br />

Gefordert sind deshalb partnerschaftliches Vorgehen <strong>und</strong> eine Erhöhung der Anreize<br />

zur Koordination <strong>und</strong> Kooperation als Gr<strong>und</strong>lage eines fruchtbaren inter-agency<br />

Dialogs zwischen einheimischen <strong>und</strong> internationalen Akteuren. Neben einem<br />

Mindestmaß an Transparenz <strong>und</strong> Vertrauen sowie der richtigen Balance aus<br />

commitment <strong>und</strong> Autonomie der beteiligten Akteure, bedarf es sicherlich auch<br />

Anreize <strong>und</strong> klarer Vorgaben seitens der Gebergemeinschaft, etwa durch die explizite<br />

Unterstützung von Netzwerken <strong>und</strong> gemeinsamer Aktivitäten unterschiedlicher<br />

Akteure.<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

87


10. Die Nutzung der systemischen <strong>Konflikttransformation</strong> auf der Steuerungs- als auch<br />

Instrumentenebene sollte mit einer diesbezüglichen Weiterbildung von<br />

MitarbeiterInnen der Gerberorganisationen verb<strong>und</strong>en werden. Dabei wäre zu klären,<br />

welche Komponenten des systemischen Ansatzes besonders relevant sind <strong>und</strong> in<br />

welchem Rahmen eine Weiterbildung stattfinden kann (interne Arbeitsgruppen bzw.<br />

Operationszirkel, Weiterbildung für PBAs, Thementeam KB/KP). Zudem wäre auch zu<br />

überlegen, ob nicht Komponenten der systemischen <strong>Konflikttransformation</strong> in die<br />

regulären in-house Weiterbildungsmaßnahmen integriert werden können.<br />

11. Die Durchführung systemischer Ansätze der Friedensförderung stellt aber auch hohe<br />

Anforderungen an das Projektpersonal (Fach-, Methoden- <strong>und</strong> Prozesskompetenz).<br />

Wir empfehlen deshalb, capacity building <strong>und</strong> Qualifizierungsmaßnahmen für<br />

Akteure aus den Konfliktländern sehr frühzeitig anzubieten <strong>und</strong> zu fördern.<br />

Teilnehmer dieser Maßnahmen können dann dazu beitragen, ein Programm<br />

systemischer Konfliktbearbeitung in ihren Ländern aufzubauen.<br />

12. Zur Flankierung der vorgeschlagenen Qualifikationsmaßnahmen regen wir<br />

nachdrücklich an, über Formen der Unterstützung <strong>und</strong> Finanzierung von Süd-Süd<br />

Kooperationen nachzudenken. Regionale Netzwerke <strong>und</strong> Austauschprogramme<br />

zwischen Akteuren in Konfliktländern können die bestehenden<br />

Abhängigkeitsverhältnisse zwischen dem Süden <strong>und</strong> dem Norden verringern helfen;<br />

für systemische Ansätze ergeben sich weitere wesentliche Vorteile: Akteure aus der<br />

Region verfügen über ein viel größeres Wissen über die politischen, historischen,<br />

ökonomischen, kulturellen, sozialen <strong>und</strong> religiösen Strukturen, in denen die Konflikte<br />

stattfinden. Zudem können über Südakteure Zugänge zu komplexen Konfliktsystemen<br />

geschaffen werden, die für Akteure aus dem Norden schwieriger zu eröffnen sind,<br />

bspw. in der islamischen Region.<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

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Anhang 1: Abkürzungsverzeichnis<br />

AA Auswärtiges Amt<br />

AoPC Agents of peaceful change<br />

BFPS Berghof Fo<strong>und</strong>ation for Peace Support<br />

BMZ B<strong>und</strong>esministerium f. wirtschaftliche Zusammenarbeit u. Entwicklung<br />

COPRET Conflict Prevention and Transformation Abteilung der DEZA<br />

CR Conciliation Resources<br />

CSO Civil Society Organization<br />

DEZA Direktion für Entwicklung <strong>und</strong> Zusammenarbeit<br />

DFID Department for International Development<br />

EDA Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten<br />

FriEnt Arbeitsgruppe Frieden <strong>und</strong> Entwicklung<br />

ICR Interactive conflict resolution<br />

IZ Internationale Zusammenarbeit<br />

KOFF Kompetenzzentrum Friedensförderung<br />

KT <strong>Konflikttransformation</strong><br />

LTTE Liberation Tigers of Tamil Eelam<br />

NEA Networks of effective action<br />

NSAG Non-state armed groups<br />

PCIA/PCA Peace and conflict impact assessment/peace and conflict assessment<br />

RNCST Resource Network for Conflict Studies and Transformation<br />

SSP Schwerpunktstrategiepapiere<br />

SSR Sicherheitssektorreform<br />

VSBM Vertrauens- <strong>und</strong> sicherheitsbildende Maßnahmen<br />

ZFD Ziviler Friedensdienst<br />

ZKB Zivile Konfliktbearbeitung<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

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Anhang 2: Glossar<br />

Friedensförderung mittel- <strong>und</strong> langfristig angelegte Maßnahmen zur i) Etablierung<br />

von Mechanismen des Interessenausgleichs <strong>und</strong> der<br />

konstruktiven Konfliktbearbeitung, ii) der Überwindung der<br />

strukturellen Ursachen gewaltsamer Konflikte, <strong>und</strong> iii) zur<br />

Schaffung von Rahmenbedingungen für eine friedliche <strong>und</strong><br />

gerechte Entwicklung.<br />

<strong>Konflikttransformation</strong> Umfassender Begriff für Maßnahmen <strong>und</strong> Prozesse, die auf die<br />

Transformation von durch hohen Gewalteinsatz geprägte<br />

Konfliktsysteme abzielen. <strong>Konflikttransformation</strong> zielt auf die<br />

Änderung sowohl der strukturellen Ursachen von<br />

Gewaltkonflikten als auch der Einstellungen <strong>und</strong><br />

Verhaltensweisen der Konfliktakteure ab.<br />

Multi-track Ansatz Mehrgleisiger Ansatz der Konfliktbearbeitung, welcher versucht<br />

die Aktivitäten auf den unterschiedlichen tracks zu verbinden.<br />

Problem-solving Workshops vertrauliche/informelle Dialogworkshops zwischen<br />

Konfliktakteuren, die darauf abzielen, die Suche nach einer<br />

Lösung des Sachproblems mit der Berücksichtigung der<br />

Gr<strong>und</strong>bedürfnisse der Konfliktparteien nach Sicherheit,<br />

Identität <strong>und</strong> Partizipation zu verbinden.<br />

Track 1 umschreibt den Bereich der offiziellen Verhandlungen<br />

zwischen den Konfliktparteien (in der Regel mit Unterstützung<br />

externer staatlicher Akteure durchgeführt).<br />

Track 1,5 umschreibt informelle Dialog- <strong>und</strong> Problemlösungsformate mit<br />

hochrangigen Politikern <strong>und</strong> Entscheidungsträgern<br />

(Teilnehmer des track 1, Methodik des track 2).<br />

Track 2 bezeichnet nicht-offizielle Dialog- <strong>und</strong> Problemlösungsformate<br />

an denen hochrangige Multiplikatoren <strong>und</strong> einflussreiche<br />

Akteure (Intellektuelle, Berater, religiöse<br />

Führungspersönlichkeiten) teilnehmen.<br />

Track 3 bezeichnet die Vielzahl der in <strong>und</strong> mit der Zivilgesellschaft<br />

durchgeführten Aktivitäten (Aufbau von Institutionen,<br />

Trainingsarbeit, Friedenserziehung, „Reconciliation“,<br />

Privatsektor, Medien, etc.).<br />

Zivile Konfliktbearbeitung Sammelbegriff für die kurz-, mittel <strong>und</strong> langfristig angelegten<br />

nicht-militärischen Maßnahmen zur Einhegung aber auch<br />

Transformation von Konfliktsystemen.<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

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Anhang 3: Liste der kontaktierten Organisationen<br />

ACCORD<br />

Alliance for International Conflict Prevention and Resolution<br />

Aria Group<br />

Carter Center<br />

Center for Conflict Resolution, University of Cape Town<br />

Centre for Humanitarian Dialogue<br />

Center for International Conflict Resolution<br />

Collaborative for Development Action<br />

Center for Peace Research and Strategic Studies<br />

Institute for International and European Policy (University of Leuven)<br />

Community of St’Egidio<br />

Conciliation Resources<br />

Conflict Transformation Program, Eastern Mennonite University<br />

Crisis Management Initiative<br />

INCORE<br />

International Alert<br />

International Crisis Group<br />

International Development Research Centre - Peacebuilding Programme<br />

International IDEA<br />

International Peace Research Institute, Oslo (PRIO)<br />

Institute for Multi-Track Diplomacy<br />

Mercy Corps Conflict Management Group<br />

Partners for Democratic Change<br />

Project on Ethnic Relations<br />

Responding to Conflict<br />

Saferworld<br />

Search for Common Gro<strong>und</strong><br />

United States Institute of Peace<br />

BFPS Studie – <strong>Systemische</strong> <strong>Konflikttransformation</strong><br />

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