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Blaue Narzisse - Onlineartikel 2006/07

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„Braune Brandstifter“ ein Interview mit einem ehemaligen Gründungsbursch unserer pennalen<br />

Burschenschaft, der aufgrund des öffentlichen Drucks ausgetreten war, heute allerdings wieder bei<br />

uns Mitglied ist, und mir. Umrahmt wurde dies von mehreren Kommentaren von Schülern und einer<br />

Lehrerin. Obwohl der negative Grundtenor des Interviews und seine Randerscheinungen<br />

vorhersehbar war, so zeigt die Doppelseite im „Spiesser“ dennoch die Vorgehensweise der Schule<br />

ganz deutlich. Ein Schüler, Ole (16) gibt Auskunft über den Unterrichtsstoff in Gemeinschaftskunde:<br />

„Und dann haben wir mit unserer Lehrerin in Gemeinschaftskunde gesprochen und sind gemeinsam<br />

zu dem Schluss gekommen, dass wir alle gegen diese Art Burschenschaft sind. Weil da wohl teilweise<br />

schon sehr enge Verbindungen zum Gedankengut des Nationalsozialismus zu sehen sind.“<br />

Die angesprochene Lehrerin, Frau Nothnagel, durfte sich selbstverständlich ebenfalls zu Wort melden<br />

und bekräftigte, daß die pennale Burschenschaft aus der demokratischen Grundordnung herausfalle.<br />

,Schon seltsam’, dachte ich mir in jenen Tagen, ,ist das Studium Lehramt Geschichte tatsächlich so<br />

lückenhaft, daß die angehenden Lehrkräfte nicht einmal die demokratische Geschichte der<br />

Burschenschaften seit 1815 kennenlernen?’<br />

Wenn Demokratie das ist, was Lehrer und Schulleitung damals vorlebten, dann muß ich wohl meine<br />

für den Gemeinschaftskundeunterricht auswendig gelernte Definition für „Demokratie“<br />

umschreiben. Anstelle eines pluralistischen Dialogs, erlebte ich Intrigen und Lügen. Anstelle von<br />

Freiheit für Schüler in ihrer Meinung und Schutz für Jugendliche in ihrer „Sturm und Drang“-Phase,<br />

Verleumdung und ein verbittertes politisches Klima. Zur sachlichen Auseinandersetzung mit<br />

andersgesinnten Schülern und Lehrern waren wir immer bereit, doch diese Möglichkeit räumte man<br />

uns nie ein. Trotz dem ausbleibenden Gespräch lernte ich in diesen Jahren über diese „unsere“<br />

Demokratie und ihre Spielregeln wesentlich mehr als in irgendeiner Unterrichtsstunde. Die Methode<br />

des Lernens durch eigene Erfahrungen prägte mich mehr als jedes Unterrichtsgespräch. Meine<br />

Naivität gegenüber den wohlklingenden Verlautbarungen der „politisch Korrekten“ wurde mir<br />

ausgetrieben. Die Enttäuschung über diese erzieherische Klasse bleibt dennoch und findet immer<br />

wieder neue Bestätigung.<br />

Zwei Jahre nach den geschilderten Vorfällen las ich bestürzt in einer „Kleinen Anfrage“ des SPD-<br />

Landtagsabgeordneten Johannes Gerlich vom 23. März 2005 die Antworten des damaligen<br />

sächsischen Innenministers Dr. Thomas de Maiziere:<br />

„Die Mitglieder der Burschenschaften wurden von Anfang an sowohl von Lehrkräften als auch seitens<br />

der Schülerschaft des Alexander-von-Humboldt-Gymnasiums aufmerksam beobachtet. Im<br />

Gemeinschaftskundeunterricht wurde u. a. auch über Burschenschaften im Zusammenhang mit<br />

rechtsextremistischem Gedankengut gesprochen.<br />

Von den Schulleitungen wurde übereinstimmend mitgeteilt, dass die der Burschenschaft<br />

angehörenden Schüler bei Diskussionen, z.B. im Leistungskurs Geschichte, zu Themen mit<br />

rechtsextremistischen Hintergrund keine Auffälligkeiten zeigen. Es gab bisher keine rechtsextremen<br />

oder nationalistischen Äußerungen im Unterricht.“<br />

Meine Äußerungen im Geschichtsunterricht und die meiner Freunde wurden offensichtlich an den<br />

Verfassungsschutz weitergeleitet und untersucht. Zynisch könnte ich mich bei meinem ehemaligen<br />

Geschichtslehrer Herrn Behrendt bedanken für die genaue Prüfung meiner Aussagen, doch dies wäre<br />

ungerecht, denn sicher ist er nur ein kleines Rad in diesem Getriebe. Ich hoffe für ihn, daß er sich den<br />

Dienst wenigstens vernünftig bezahlen läßt, denn Demokratieunterricht in dieser Form ist großartig,<br />

wirkungsvoll und einprägsam für das weitere Leben.<br />

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