mitteilungen der residenzen - Residenzen-Kommission - GWDG
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kalverwaltung in England erst in den 1880er Jahren und löste an<strong>der</strong>s als in Böhmen<br />
keinen Konflikt zwischen Adel und Zentralregierung aus, weil in England ein allgemeiner<br />
Konsens bestand, daß dezentrale Entscheidungsstrukturen bewahrt werden<br />
sollten.<br />
Yme KUIPER zeigte anhand <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lande, daß <strong>der</strong> Adel eine „immerwährende<br />
Erfindung“ ist, die stets neuer Begründung bedarf. Er wandte sich gegen das vorherrschende<br />
Bild, die Nie<strong>der</strong>lande seien seit dem Beginn <strong>der</strong> Neuzeit eine rein bürgerliche<br />
Nation gewesen. Der nach 1814 etablierte Jungadel vermischte sich nach und nach mit<br />
dem Altadel; zusammen mit dem Patriziat bildete <strong>der</strong> Adel eine Notabelnelite, <strong>der</strong>en<br />
Angehörige bis zum Ersten Weltkrieg einen Großteil <strong>der</strong> politischen Schlüsselpositionen<br />
in den Nie<strong>der</strong>landen besetzten. Mit dem Aufkommen <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Parteipolitik<br />
löste sich aber ab 1900 diese Notabelnschicht immer mehr auf. Während sich die<br />
Adligen zunehmend aus <strong>der</strong> aktiven Politik zurückzogen – wobei die Kolonialverwaltung<br />
einen gewissen Ersatz geboten haben mag – versuchten sie beispielsweise mit <strong>der</strong><br />
Gründung des Nie<strong>der</strong>ländischen Adelsvereins 1899 und <strong>der</strong> Herausgabe des Nie<strong>der</strong>ländischen<br />
Adelsbuches ab 1903 ihre ständische Exklusivität neu zu erfinden. Im<br />
Gegensatz zum Adel in an<strong>der</strong>en europäischen Staaten verfügt <strong>der</strong> Adel in den Nie<strong>der</strong>landen<br />
über vergleichsweise wenige internationale Heiratsverbindungen und ist bis<br />
heute öffentlich kaum sichtbar.<br />
Der Abendvortrag von Eduardo COSTADURA widmete sich drei großen literarischen<br />
Erzählungen vom Ende des Adels, Cervantes’ Don Quijote, Chateaubriands Mémoires<br />
d’outre-tombe und Lampedusas Gattopardo. Don Quijote möchte das Ende <strong>der</strong> heroischen,<br />
ritterlichen Lebensweise nicht wahrhaben und scheitert letztlich an einer verän<strong>der</strong>ten<br />
Welt. Chateaubriand hält zwar das Ende des Adels für unvermeidbar, weist dem Adel<br />
aber die Aufgabe zu, zuvor noch das Bewahrenswerte <strong>der</strong> mit <strong>der</strong> Revolution untergegangenen<br />
Epoche an die bürgerliche Gesellschaft weiterzugeben. Ebenso wie sich Chateaubriand<br />
in den Mémoires d’outre-tombe als einer <strong>der</strong> letzten Zeugen <strong>der</strong> untergehenden<br />
adligen Lebenswelt stilisiert, sind auch an<strong>der</strong>e seiner literarischen Figuren Gestalten, die<br />
das Ende einer Welt repräsentieren. Lampedusa glaubt im Gegensatz zu Chateaubriand<br />
nicht, daß aus dem Ende des Adels etwas Konstruktives entstehen könne. Alle Versuche<br />
des Adels, den Untergang abzuwenden, sind für Lampedusa letztlich zum Scheitern<br />
verurteilt. Im Falle des Gattopardo wird <strong>der</strong> Untergang <strong>der</strong> eigenen Lebenswelt durch die<br />
Mesalliance des Adels mit dem Bürgertum noch beschleunigt. Das Ende des sizilianischen<br />
Adels ist hier <strong>der</strong>art vollständig, daß nicht nur die dynastische Kontinuität abreißt,<br />
son<strong>der</strong>n sogar die Erinnerung verschwindet, weil die Nachgeborenen an <strong>der</strong> Pflege <strong>der</strong><br />
Tradition <strong>der</strong> Vorfahren nicht mehr interessiert sind.<br />
Die dritte Sektion behandelte „Adlige Ästhetik“. Die Musik und das Musizieren<br />
standen beim Vortrag von Klaus PIETSCHMANN im Mittelpunkt. Castigliones Cortegiano<br />
legte dem Adligen die Ausbildung in möglichst vielen Künsten nahe. Die Musik<br />
bot dem einzelnen Adligen vielerlei Möglichkeiten, sich als aktiver Musiker o<strong>der</strong> als<br />
Mäzen zu betätigen. Je<strong>der</strong> Anschein von Professionalität sollte jedoch vermieden, die<br />
Musik vielmehr im Kontext kultivierter Muße und zur Erholung gepflegt werden. Die<br />
Praxis wie<strong>der</strong>um konnte ganz unterschiedlich aussehen. Heinrich VIII. beispielsweise<br />
musizierte öffentlich und komponierte, womit es ihm gelang, ausländische Diplomaten<br />
mit seiner Kultiviertheit zu beeindrucken. Mit Rücksicht auf sein geistliches<br />
Amt beschränkte sich Papst Leo X. hingegen darauf, nur im engsten Kreis zu musi-<br />
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