AKADEMIE -REPORT - Akademie für Politische Bildung Tutzing
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Das frühe Ausscheiden der deutschen<br />
EM-Fußballer war Anlass genug: Das<br />
Scheitern der deutschen Fußballelite in<br />
Portugal bot Michael Hartmann eine<br />
Steilvorlage zum aktuellen Einstieg ins<br />
Thema. Der Bogen war rasch gespannt<br />
und die Parallelen schnell gezogen zu<br />
den Entwicklungen in Politik, Wirtschaft<br />
und Gesellschaft. Ist Leistung<br />
ein hinreichendes Kriterium <strong>für</strong> Elite?<br />
Spielen andere Faktoren eine wichtigere<br />
Rolle? Und wie vor allem rekrutiert<br />
sich das deutsche Führungspersonal?<br />
10<br />
Eliten in Deutschland –<br />
Problem oder Problemlöser?<br />
Wer gehört in Deutschland zur Elite? Aus welchen<br />
Elternhäusern kommen die Führungsgruppen in<br />
Wirtschaft und Politik, Wissenschaft, Verwaltung,<br />
Justiz, Kultur, Gewerkschaften, Verbänden und Massenmedien?<br />
Welche Ausbildungen und welche Karrierewege führen in<br />
die – der Potsdamer Elitestudie von 1997 zufolge – rund 4000<br />
höchsten Entscheidungspositionen in Deutschland? Ist die nationale<br />
Führungsschicht eine geschlossene Gesellschaft, die nur<br />
Personen mit elitärer Herkunft und entsprechenden Wertorientierungen<br />
kooptiert? Oder ist die Positionselite offen <strong>für</strong> Aufsteiger<br />
aus unteren Sozialschichten und Personen mit neuen,<br />
unkonventionellen Einstellungen zu Politik und Gesellschaft?<br />
Solche Fragen, ursprünglich mehr<br />
in den engeren Zirkeln von Sozialwissenschaftlern<br />
diskutiert, interessieren<br />
seit geraumer Zeit auch eine<br />
breite Öffentlichkeit in unserem<br />
Land. Warum ertönt neuerdings in<br />
Deutschland immer häufiger der<br />
Ruf nach Eliteförderung in Schule<br />
und Universität? Ist das einer demokratischen,<br />
dem Gleichheitsprinzip<br />
verpflichteten Gesellschaft<br />
angemessen? Oder sind es die krisenhaften<br />
Entwicklungen des Sozialstaates<br />
und des Wirtschaftsstandortes<br />
Deutschland, die dem Begriff<br />
der Elite den ihm früher anhängenden,<br />
durchaus auch historisch be-<br />
gründeten negativen Klang – im<br />
Sinne von abgeschlossenen Machtzirkeln,<br />
privilegierten Minderheiten,<br />
hochfahrendem Gehabe etc. – genommen<br />
haben? So hat vielleicht<br />
dieses neue Interesse <strong>für</strong> Elitenförderung<br />
etwas mit der Hoffnung auf<br />
verbesserte Zukunftschancen unseres<br />
Landes zu tun. Sinnvollerweise<br />
muss dann auch über die Maßstäbe<br />
diskutiert werden, die an die verschiedenen<br />
Funktionseliten anzulegen<br />
sind. Die Tagung unter der Leitung<br />
von Michael Piazolo und Jürgen<br />
Weber gab Anlass zu kontroversen<br />
Debatten unter den Teilnehmern<br />
und Referenten.<br />
Der Mythos von den Leistungseliten<br />
Elitenforscher Michael Hartmann<br />
über Rekrutierungswege und die Zusammensetzung<br />
des deutschen Führungspersonals<br />
Der Referent, ausgewiesener Fachmann<br />
auf dem Gebiet der Elitenforschung,<br />
wurde deutlich: „Die deutsche<br />
Führungselite ist männlich und kommt<br />
aus der oberen Bürgerschicht.“ Hartmann<br />
vertritt einen engen Elitebegiff,<br />
will er zu den „Eliten“ doch nur jene<br />
Personen gezählt wissen, „die wirklich<br />
etwas bewegen“, die also die Fähigkeiten<br />
besitzen, grundlegende Veränderungen<br />
innerhalb der Gesellschaft zu<br />
initiieren. Die eindeutig messbare geschlechtsspezifische<br />
Diskriminierung<br />
gehe, so Hartmann, mit der faktischen<br />
sozialen Diskriminierung Hand in<br />
Hand. So sei der Frauenanteil zwar<br />
deutlich gestiegen – in den Jahren 1981<br />
bis 1995 von 3 auf 13 Prozent –, doch<br />
von proportionaler Vertretung könne<br />
längst noch keine Rede sein. Zudem<br />
bleibe der Zuwachs hauptsächlich auf<br />
den Bereich der Politik – Stichwort:<br />
Quotenregelungen – beschränkt, während<br />
die Wirtschaftseliten nach wie vor<br />
eindeutig männlich dominiert seien.<br />
<strong>Bildung</strong>sprivilegien<br />
Die Unverhältnismäßigkeit in der sozialen<br />
Zusammensetzung führte der<br />
Sozialforscher auf die unterschiedliche,<br />
schichtspezifische <strong>Bildung</strong>sbeteiligung<br />
zurück. Hartmann betonte ein<br />
„<strong>Bildung</strong>sprivileg“ der Ober- und Mittelschicht,<br />
wozu auch der Auslesemechanismus<br />
des dreigliedrigen Schulsystems<br />
entscheidend beitrage. Mithin<br />
sei ein prinzipieller Zusammenhang<br />
zwischen der sozialen Selektivität des<br />
<strong>Bildung</strong>swesens und der Rekrutierung<br />
deutscher Eliten zu konstatieren: 75<br />
Prozent der Eliten könnten ein absolviertes<br />
Studium vorweisen, 25 Prozent<br />
hätten promoviert.<br />
<strong>Bildung</strong>swege und Elitenrekrutierung<br />
lassen sich demzufolge nicht getrennt<br />
voneinander betrachten. Die These der<br />
funktionalistischen Elitentheorie, wonach<br />
sich das Führungspersonal hauptsächlich<br />
nach Leistungskriterien zusammensetze,<br />
sei nicht haltbar. Deutsche<br />
Eliten kommen der empirischen<br />
Studien Hartmanns zufolge eindeutig<br />
und überproportional aus dem gehobenen<br />
Bürgertum: Diese kleine<br />
Schicht, nur rund 3,5 Prozent der Gesamtbevölkerung,<br />
stelle demnach zwischen<br />
50 und 60 Prozent der Führungspersonen<br />
in Deutschland.<br />
Soziale Herkunft<br />
entscheidet<br />
Die Untersuchung der Lebensläufe von<br />
vier Promotionskohorten (6500 Personen<br />
aus vier ausgewählten Promotionsjahrgängen<br />
von 1955 bis 1985; 96 Prozent<br />
davon männlich) zeige eindeutig,<br />
�<br />
<strong>Akademie</strong>-Report 4/2004