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AKADEMIE -REPORT - Akademie für Politische Bildung Tutzing

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20 Jahre Dualer Rundfunk:<br />

„Pilcherisierung und Kriminalisierung“<br />

auf dem Vormarsch<br />

Experten suchen den Standort des öffentlich-rechtlichen Systems<br />

zwischen Qualität und Quote<br />

In Deutschland lebt inzwischen<br />

eine Generation von<br />

Kindern, Jugendlichen und<br />

jungen Erwachsenen, die mit<br />

dem Nebeneinander von kommerziellem<br />

und öffentlich-rechtlichem<br />

Fernsehen aufgewachsen<br />

ist. Vor etwas mehr als 20 Jahren<br />

– am 1. Januar 1984 – fiel<br />

in Ludwigshafen der Startschuss<br />

<strong>für</strong> das private Fernsehen und<br />

damit <strong>für</strong> das duale Rundfunksystem.<br />

Was auf kleinen Ka-<br />

Unterhaltungsmaschine<br />

Fernsehen<br />

MAR-Sprecher Walter Hömberg, Professor<br />

<strong>für</strong> Journalistik an der Katholischen<br />

Universität Eichstätt, konstatier-<br />

Walter Hömberg: „Die Familie ‚Tainment’<br />

wächst und wächst.“<br />

te zu Beginn einen „Formatwechsel“.<br />

Er erkennt Magazine und Serien als<br />

Programmelemente, die die „neue Unübersichtlichkeit<br />

(Habermas)“ wieder<br />

sortieren helfen sollen. Beide sind Instrumente<br />

der Zuschauerbindung und<br />

wurden bald flächendeckend einge-<br />

6<br />

belinseln begann und zunächst<br />

nur wenige Zuschauer und Zuhörer<br />

erreichte, wurde schon<br />

bald als „Urknall“ in der westdeutschen<br />

Medienlandschaft<br />

bezeichnet. Inzwischen ist ein<br />

Sender der ersten Stunde – RTL<br />

– seit Jahren unangefochtener<br />

Marktführer im Fernsehen. Die<br />

Nutzungsgewohnheiten des Publikums<br />

sowie die Programme<br />

haben sich in den letzten 20<br />

Jahren qualitativ und quantita-<br />

setzt. Das Testbild als Ruhepol <strong>für</strong><br />

meditativ veranlagte Zuschauer verschwand<br />

vom Bildschirm, gesendet<br />

wurde rund um die Uhr. Deutsche Produktionen<br />

aus dem Arzt-, Juristen- und<br />

Förstermilieu ersetzten mit zunehmender<br />

Finanzkraft der Privaten die amerikanischen<br />

Vorbilder. Deswegen stellte<br />

Hömberg in seiner Rückschau fest:<br />

„Das Fernsehen mutiert immer mehr<br />

zu einer gigantischen Unterhaltungsmaschine“:<br />

„Trends in Richtung Unterhaltung<br />

zeigen sich heute in vielen<br />

weiteren Programmsparten. Das Infotainment<br />

hat längst eine große Geschwisterschar<br />

bekommen: Servotainment,<br />

Edutainment, Scientainment,<br />

Emotainment, Politainment, Histotainment,<br />

Militainment gar. Die Familie<br />

„Tainment“ wächst und wächst und<br />

wächst.“<br />

Die Veränderungszyklen der Formate<br />

laufen immer schneller, ihre Halbwertszeit<br />

wird immer kürzer. Viele so<br />

genannte Innovationen erweisen sich<br />

indes als junger Wein in alten Schläuchen<br />

– siehe die Quizsendungen. Dann<br />

spricht man modisch von „Retrotrends“.<br />

Aber es gibt auch einen<br />

Schichtwechsel der Medienprominenz.<br />

Längst sind gepflegte Konversationsrunden<br />

zu „Brüll-Shows“ und „Kon-<br />

tiv stark verändert. Neue Programmformen<br />

und Formate haben<br />

sich etabliert und Angebot<br />

und Nachfrage bei allen Sendern<br />

beeinflusst. Die Fachtagung in<br />

Zusammenarbeit mit dem Münchner<br />

Arbeitskreis öffentlicher<br />

Rundfunk (MAR) spürte den<br />

Entwicklungen der Vergangenheit<br />

nach und versuchte gleichzeitig,<br />

die Zukunftstrends zu ergründen.<br />

fro-Talks“ verkommen und Container-<br />

Bewohner füllen die Schlagzeilen der<br />

Boulevardmedien.<br />

Die Expansion des Angebots führt<br />

dazu, dass selbst der „Vielseher“ rigide<br />

auswählen muss. Die meisten Bundesbürger<br />

hatten Ende 2003 im Durchschnitt<br />

41 Fernsehprogramme zur Auswahl.<br />

Die durchschnittliche Sehdauer<br />

der über 14-Jährigen betrug 217 Minuten,<br />

also gut dreieinhalb Stunden.<br />

„Pilcherisierung und<br />

Kriminalisierung“<br />

Auf bedenkliche Entwicklungen der<br />

letzten Jahre wies Karl-Otto Saur hin,<br />

früher Medienredakteur bei der „Süddeutschen<br />

Zeitung“ und beim „Spiegel“,<br />

jetzt Produzent. Er erinnerte an<br />

Sternstunden des öffentlichen Fernsehens<br />

mit Dokumentarfilmen von Eberhard<br />

Fechner wie „Nachrede auf Klara<br />

Heydebreck“ oder „Comedian Harmonists“.<br />

Er vertrat die These, dass<br />

solche Produktionen heute nicht mehr<br />

machbar seien: „Die Beschleunigung<br />

des Mediums lässt so etwas kaum noch<br />

zu.“ Er beklagte, dass die beobachtete<br />

Kommerzialisierung vor den öffentlich-rechtlichen<br />

Anstalten nicht Halt<br />

mache und diagnostizierte den Nieder-<br />

�<br />

<strong>Akademie</strong>-Report 4/2004

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