AKADEMIE -REPORT - Akademie für Politische Bildung Tutzing
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Politik systematisch zu beeinflussen.<br />
Aber nicht nur die Spionagetätigkeit<br />
zählte zu den Tätigkeiten der DDR-<br />
Staatssicherheit im Operationsgebiet<br />
BRD. Eine Vielzahl von Zersetzungsmaßnahmen<br />
gehörten ebenfalls zum<br />
Repertoire der Stasi, um DDR-kritische<br />
Einrichtungen und Personen auch<br />
auf westdeutschem Territorium aktiv<br />
zu bekämpfen.<br />
Helmut Müller-Enbergs knüpfte mit<br />
seinem Referat über die geheimnisumwitterte<br />
„Rosenholz-Kartei“ an den<br />
Vortrag von Knabe an. Nachdem Mitte<br />
Dezember 1989 die Herauslösung<br />
der HVA aus dem MfS beschlossen<br />
wurde, begann die systematische Vernichtung<br />
der Karteien, die alle Informationen<br />
über die Mitarbeiter sowie<br />
Vorgänge der HVA enthielten. Es folgte<br />
die vermeintlich vollständige Zerstörung<br />
der Mikrofilmaufzeichnungen,<br />
die die Bestände der Agentenkarteien<br />
der HVA umfassten. Erst 1993 wurde<br />
bekannt, dass der amerikanische Geheimdienst<br />
CIA auf bisher immer noch<br />
nicht völlig geklärte Weise in den Besitz<br />
dieser Mikrofilme gelangt war.<br />
Diese als „Rosenholz“ bekannten Mikrofilme,<br />
von denen der Verfassungsschutz<br />
zunächst Teile als Kopie erhielt,<br />
dokumentieren die Agentenkartei der<br />
HVA mit Stand vom 7. Januar 1988.<br />
Nach jahrelangen Verhandlungen übergaben<br />
die USA schließlich der deutschen<br />
Seite alle Mikrofilme „mit deutschen<br />
Bezügen“ auf 381 CD-Roms.<br />
„Die Identität<br />
von etwa 200 IMs<br />
bleibt ungeklärt“<br />
Helmut Müller-Enbergs<br />
Dennoch ist es nicht möglich, die Identität<br />
aller <strong>für</strong> die HVA tätig gewesenen<br />
westdeutschen IMs herauszufinden,<br />
denn insbesondere aufgrund von technischen<br />
Fehlern können nicht alle<br />
Decknamen eindeutig bestimmten Personen<br />
zugeordnet werden. Aus „Rosenholz“<br />
lässt sich schließen, dass die<br />
HVA in ihrer 40-jährigen Geschichte<br />
insgesamt wahrscheinlich 3.000 bis<br />
3.500 Bundesbürger als IMs führte; am<br />
Schluss waren noch etwa 1.500 davon<br />
aktiv tätig. Daneben waren in der DDR<br />
<strong>Akademie</strong>-Report 4/2004<br />
1989 noch cirka 10.000 IMs von der<br />
HVA registriert. Es handelt sich dabei<br />
um DDR-Bürger, die innerhalb der<br />
DDR vor allem <strong>für</strong> die Auslandsspionage<br />
aktiv waren und bisher noch nicht<br />
enttarnt worden sind – ein Sachverhalt,<br />
der bisher nicht bekannt war.<br />
Helmut Müller-Enbergs brachte<br />
Licht in das Dunkel der geheimnisumwitterten<br />
„Rosenholz-Kartei“.<br />
Redselige Politiker<br />
Überraschend war Müller-Enbergs<br />
Feststellung, dass insbesondere im Bereich<br />
Politik- und Gegenspionage nicht<br />
die eingesetzten Spione, sondern die<br />
Redseligkeit von Politikern und deren<br />
Mitarbeitern beim abendlichen Kneipenbesuch<br />
oder aber das Abhören von<br />
Telefonaten die hochwertigsten Informationen<br />
lieferten. Im Hinblick auf<br />
besonders erfolgreiche Spione in den<br />
Bereichen Politik und Wirtschaft nannte<br />
Müller-Enbergs insbesondere den<br />
jahrzehntelang aktiven Agenten „Fichtel“<br />
(Hans Adolf Kanter), der eine außergewöhnlich<br />
große Anzahl von qualitativ<br />
hochwertigen Informationen aus<br />
diesen beiden Bereichen lieferte. Ein<br />
weiterer mit Decknamen „Peter“ (Alfred<br />
Spuler) war sowohl in der Militär-<br />
als auch Gegenspionage sehr erfolgreich<br />
und wurde bei der Militärspionage<br />
wohl nur von dem bekannten<br />
NATO-Spion „Topas“ (Rainer<br />
Rupp) übertroffen. Dennoch ist zu bemerken,<br />
dass nur ein Bruchteil der eingegangenen<br />
Informationen von der<br />
Stasi auch direkt verwendet wurde. Der<br />
Großteil wurde archiviert <strong>für</strong> den Fall,<br />
dass später einmal diese Informationen<br />
benötigt würden.<br />
Diese Archivierung spielte insbesondere<br />
bei der Wirtschaftsspionage eine<br />
große Rolle, da viele Unternehmen<br />
Informationen aus der Datenbank des<br />
MfS „bestellten“, wie Reinhard Buthmann<br />
in seinem Vortrag über das<br />
Schalck-Imperium „Kommerzielle<br />
Koordinierung“ (KoKo) erläuterte.<br />
Die KoKo, eine Abteilung des Ministeriums<br />
<strong>für</strong> Außenhandel, war vornehmlich<br />
<strong>für</strong> die Wirtschafts-, Wissenschafts-<br />
und Technologiespionage und<br />
die legale und illegale Beschaffung von<br />
Gütern zuständig, wobei diese mit den<br />
Problemlagen der DDR-Ökonomie<br />
korrespondierten.<br />
Dieter Wiefelspütz (SPD, MdB) forderte<br />
eine baldige erneute Novellierung<br />
des Stasi-Unterlagengesetzes.<br />
Verweigerte<br />
Aufarbeitung<br />
Im Mittelpunkt der Diskussion mit dem<br />
SPD-Bundestagsabgeordneten und Innenpolitiker<br />
Dieter Wiefelspütz und<br />
Hubertus Knabe stand der durch das<br />
Kohl-Urteil stark eingeschränkte Zugang<br />
zu den Stasi-Akten. Dadurch wird<br />
nach Meinung aller die wissenschaftliche<br />
Aufarbeitung dieses Teils der gesamtdeutschen<br />
Geschichte sehr behindert.<br />
Wiefelspütz sagte, dass er sich <strong>für</strong><br />
eine baldige erneute Novellierung des<br />
Stasiunterlagengesetzes einsetzen wolle,<br />
denn der Zugang zu den Akten müsse<br />
mit wachsendem zeitlichen Abstand<br />
zum Geschehen einfacher werden. In<br />
diesem Zusammenhang wurde auch<br />
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